Viertes Buch Das Ich Willst Du zur Ruhe kommen, flieh, o Freund, Die ärgste Feindin, die Persönlichkeit! Sie täuschet Dich mit Nebelträumen, engt Dir Geist und Herz und quält mit Sorgen Dich, Vergiftet Dir das Blut und raubet Dir Den freien Athem, daß Du, in Dir selbst Verdorrend, dumpf erstickst von eigner Luft. Sag an: was ist in Dir Persönlichkeit? Als in der Mutter Schooß von Zweien Du Das Leben nahmst und, unbewußt Dir selbst, An fremdem Herzen, eine Pflanze, hingst, Zum Thier gediehest und ein Menschenkind (So saget man) die Welt erblicktest: Du Erblicktest sie noch nicht; sie sahe Dich, Von Deiner Mutter lange noch ein Theil, Der ihren Athem, ihre Küsse trank Und an dem Lebensquell, an ihrer Brust, Empfindung lernete. Sie trennte Dich Allmählig von der Mutter, eignete In tausend der Gestalten Dir sich zu, In tausend der Gefühle Dich ihr zu, Den immer Neuen, immer Wechselnden. Wie wuchs das Kind? Es strebte Fuß und Hand Und Ohr und Auge spähend, immer neu Zu formen sich. Und so gediehest Du Zum Knaben, Jünglinge, zum Mann und Greis. Im Jünglinge, was war vom Kinde noch? Was war im Knaben schon vom Greis und Mann? Mit jedem Alter tauschtest Du Dich um; Kein Theil des Körpers war derselbe mehr. Du täuschtest Dich mit Dir; Dein Spiegel selbst Enthüllte Dir ein andres, neues Bild. Verlangtest Du, ein Jüngling, nach der Brust Der Mutter? Als die Liebe Dich ergriff, Sahst Du die Braut wie Deine Schwester an? Und als der Traum der Ehre fort Dich riß, Verlangtest in die Windeln Du zurück? Schmeckt Dir die Zuckerbirne, wie sie Dir, Dem Kinde, schmeckte? Und die innre Welt Der Regungen, der lichten Phantasei, Des Anblicks aller Dinge, ist sie noch Dieselbe Dir, wie sie dem Knaben war? Ermanne Dich! Das Leben ist ein Strom Von wechselnden Gestalten. Welle treibt Die Welle, die sie hebet und begräbt. Derselbe Strom, und keinen Augenblick, An keinem Ort, in keinem Tropfen mehr Derselbe, von der Quelle bis zum Meer. Und solch ein Trugbild soll Dir Grundgebäu Von Deiner Pflicht und Hoffnung, Deinem Glück Und Unglück sein? Auf einen Schatten willst Du stützen Dich? und einer Wahngestalt Gedanken, Wirkung, Zweck des Lebens weihn? Ermanne Dich! Nein, Du gehörst nicht Dir; Dem großen, guten All gehörest Du. Du hast von ihm empfangen und empfängst; Du mußt ihm geben, nicht das Deine nur, Dich selbst, Dich selbst; denn sieh, Du liegst, ein Kind, Ein ewig Kind, an dieser Mutter Brust Und hangst an ihrem Herzen. Abgetrennt Von allem Lebenden, was Dich umgab Und noch umgiebt, Dich nähret und erquickt, Was wärest Du? Kein Ich. Ein jeder Tropf In Deinem Lebenssaft, in Deinem Blut Ein jedes Kügelchen, in Deinem Geist Und Herzen jeder regende Gedank', Und Fertigkeit, Gewöhnung, Schluß und That (Ein Triebwerk, das Du übend selbst nicht kennst), Jedwedes Wort der Lippe, jeder Zug Des Angesichtes ist ein fremdes Gut, Dir angeeignet, doch nur zum Gebrauch. So, immer wechselnd, stets verändert, schleicht Der Eigner fremden Gutes durch die Welt. Er leget Kleider und Gewohnheit ab, Verändert Sprache, Sitten, Meinungen, Wie sie der Zeiten rastlos gehnder Schritt Ihm aufdringt, wie die große Mutter ihm In ihrem Schooße bildet Herz und Haupt. Was ist von Deinen zehentausenden Gedanken Dein? Das Reich der Genien, Ein großer untheilbarer Ocean, Als Strom und Tropfe floß er auch in Dich Und bildete Dein Eigenstes. Was ist Von Deinen zehen-zehentausenden Empfindungen das Deine? Lieb' und Noth, Nachahmung und Gewohnheit, Zeit und Raum, Verdruß und Langeweile haben Dir Es angeformt und angegossen, daß In Deinem Leim Du neu es formen sollst Fürs große, gute, ja fürs bessre All. – Dahin strebt jegliche Begier, dahin Jedweder Trieb der lebenden Natur, Verlangen, Wunsch und Sehnen, Thätigkeit Und Neugier und Bewunderung und Braut- Und Mutterliebe, daß vom innern Keim Die Knospe sich zur Blum' entfalt' und einst Die Blum' in tausend Früchten wieder blüh'. Den großen Wandelgang des ew'gen Alls Befördert Luft und Sonne, Nacht und Tag. Das Ich erstirbt, damit das Ganze sei. Was ist's, das Du mit Deinem armen Ich Der Nachwelt hinterlässest? Deinen Namen? Und hieß' er Raphael: an Raphael's Gemälden selbst vergess' ich gern den Mann Und ruf' entzückt: »Ein Engel hat's gemalt.« Dein Ich? Wie lange kann und wird es denn Die Nachwelt nennen? Und am Namen liegt's? So nennet sie mit Dir auch Mävius Und Bavus, Stax und Nero-Herostrat. Nur wenn, uneingedenk des engen Ichs, Dein Geist in allen Seelen lebt, Dein Herz In tausend Herzen schläget, dann bist Du Ein Ewiger, Allwirkender, ein Gott, Und ach, wie Gott, unsichtbar-namenlos. Persönlichkeit, die man den Werken eindrückt, Die kleinliche, vertilgt im besten Werk Den allgemeinen, ew'gen Genius, Das große Leben der Unsterblichkeit. So lasset denn im Wirken und Gemüth Das Ich uns mildern, daß das bessre Du Und Er und Wir und Ihr und Sie es sanft Auslöschen und uns von der bösen Unart Des harten Ichs unmerklich sanft befrein! In allen Pflichten sei uns erste Pflicht Vergessenheit sein selber! So geräth Uns unser Werk, und süß ist jede That, Die uns dem trägen Stolz entnimmt, uns frei Und groß und ewig und allwirkend macht. Verschlungen in ein weites Labyrinth Der Strebenden, sei unser Geist ein Ton Im Chorgesang der Schöpfung, unser Herz Ein lebend Rad im Werke der Natur! Wenn einst mein Genius die Fackel senkt, So bitt' ich ihn vielleicht um Manches, nur Nicht um mein Ich. Was schenkt er mir damit? Das Kind? den Jüngling? oder gar den Greis? Verblühet sind sie, und ich trinke froh Die Schale Lethens. Mein Elysium Soll kein vergangner Traum von Mißgeschick Und kleinem krüpplichten Verdienst entweihn. Den Göttern weih' ich mich, wie Decius, Mit tiefem Dank und unermeßlichem Vertrauen auf die reich belohnende, Vielkeimige, verjüngende Natur. Ich hab' ihr wahrlich etwas Kleineres Zu geben nicht, als was sie selbst mir gab Und ich von ihr erwarb, mein armes Ich.