Das Rosenknöspchen. Lovelace an Belford. Aus Richardson's »Clarissa«. Hier ist ein kleines süßes Mädchen, Kaum Sechzehn alt vor sieben Tagen, Der ganzen Gegend eine Blume, In zwanzig Jahren lang kaum eine So schön, so süß ersproßte Blume. Ich nenne sie nur Rosenknöspchen. Nur, Bube, brich das Knöspchen nicht! Ein Waisenkind! Ist ohne Mutter, Ist ihres guten Vaters Freude, Ihm Trost allein und Bild der Mutter; Und ihre Ahn' hat's von mir weinend Erfleht, hat mich am schwächsten Herzen Bewegt, doch nicht sie zu verführen. Ha, Bube, thu auch Du es nicht! Hör mein Gebot! Mit Höllenreue Hab' ich's entweihet je! Ein Mädchen, Das nichts als Unschuld hat und Tugend Und dann in Hohn und Elend sinket Und dann für Hohn und Gram und Elend Zum Giftkelch fliehn muß! Ha, wer anders Als solch ein Elend kann ihn wählen? – Ruchloser Bube, thu es nicht! Sie wird Dir dienen, wird Dir tändeln, Wird alle süße Mädchenseele Dir schuldlos, kunstlos Dir enthüllen, Wird Deiner List nicht trotzen, Arglist Argwohnen nicht, wird nie Dich locken, Wird wie ein Lämmlein um Dich spielen. Nur, Höllenmörder, würg es nicht! Ihr kleiner Busen schlägt schon Liebe; Nur weiß es noch nicht, was er schläget, Ist gut nur noch dem süßen Hänschen, Und oft (oft hab' ich sie belauschet!) Begegnen schon, wie Unschuldpilger, So gern, so sanft sich ihre Blicke; Dann hüpft sie, froh des stummen Blickes, Das Rehchen, fröhlicher nach Hause. »Liebst Du auch schon, mein kleines Herzchen?« »Ei, was ist Liebe? Meinem Hänschen Bin ich zwar gut, auch seine Mutter Sagt oft: ich wäre wol das Mädchen Für Hänschen. Doch was hilft das Sagen? Ich bin arm, er ist arm! Und Röschen Soll Hänschen nicht unglücklich machen!« Ha, Bube, wäre meine Seele So gut noch wie mein Rosenknöspchen, Aufrichtig, schuldlos, zart und edel! Ha, meine schwarze Teufelsseele Ist, Bube, schwarz wie Du! Der Augenblick Genuß! Das eitle, Das ekle Nichts! Und welche Mühe G1orher! Und nachher welche Reue! Und welche schwarze Teufelsseele! Sieh, Bube, das ist Höllenlohn!