20. Raffaels Jonas Immer, so oft ich träumend und ziellos schlendre dem Tor zu, Lockt mich Santa Maria del Popolo – unter den Kirchen Roms die gepriesenste nicht, doch mein erkorener Liebling – Mit geheimer Gewalt in ihre bescheidene Pforte. Still ist's drinnen und traulich, zumal zur Stunde des Mittags, Wenn die Messe vorüber. Ein honigsüßes Gedüft von Eben erloschenen Kerzen und Weihrauch wandelt im falben Zwielicht magisch dahin und spielt in bläulichen Ringeln, Wo durch bogige Fenster ein Sonnenschimmer hereinbricht. Solches behagt dort hinten dem Mütterchen. Hüstelnd, den braunen Rosenkranz in den Händen, hinüberdämmert sie friedlich, Und auf Filzschuhn trippelt, als gönn' er ihr herzlich das bißchen Kirchenschlummer, vorbei ihr Altersgenosse, der Küster, Der auch mich wohl kennt und mir zuliebe die Kirchtür Ein halb Stündlein später verschließt, obwohl er als Ketzer Längst mich erkannt. Sein Schad' ist's nicht, noch bin ich im Weg ihm, Wenn ich voll Andacht wieder die herrlichen Werke betrachte, Die verschwenderisch hier des Sansovino beseelter Meißel, der zärtliche Pinsel des Pinturicchio geschaffen. Immer zuletzt dann weil' ich in jener berühmten Capella Chigi, welche dem großen Saneser Bankier zur Familien- Gruft er selber erbaut, der göttliche Raffael. Andre Traten hinzu, wie ein Schatzkästlein mit Edelgesteinen, Reich zu verzieren den Bau mit unsterblichen Meistergebilden. Doch er selber entwarf für die Kuppel den Schmuck: die Planeten Um Gottvater gereiht, des Firmamentes Erhalter, Und nachschuf mit musivischer Kunst ein venedischer Meister Sein erhabenes Werk. Doch mehr als alles ergreift mich Dort in der Nische zur Linken die Knabengestalt, die der große Urbinate, so heißt's, im Marmor bildend vollendet, Er, den sämtliche Musen begabt mit Zaubergewalten. Zu den Propheten gesellt, die vorverkündet den Heiland, Sitzet der Knabe Jonas, gewandlos, in der Gebärde Ahnungsvollen Erstaunens zurückgebogen, das Haupt nur Vorgeneigt, wie gebannt von dem Schreckbild, das ihm zu Füßen Auftaucht, eben ans Ufer gespült: der Rachen des grausen Meerunholdes. Ergreift das Gemüt des Kindes die Ahnung Seines Prophetengeschicks und schaudert die knospende Seele, Weil im Bauche des Fisches dereinst drei Tage zu wohnen Ihm vom Schöpfer bestimmt? Und doch, glückseliger Knabe, Gehst du ja wieder hervor zu Licht und Leben und preisest Um so froher den Herrn, der aus dem Grab dich errettet. Ach, ich denke zurück an ein anderes Kind, dem auch einst Wie ein Blitz in die Seele die Ahnung zückte, hinunter Müss' es in schaurige Nacht. Aus fröhlichen Spielen auf einmal Stürzt' es hinweg und warf mit schreckentgeistertem Antlitz Sich in die Arme der Mutter. O liebe Mutter, was ist denn Tod? Muß ich auch sterben? – Und mühsam glückt' es, den schwarzen Traum ihm wieder zu scheuchen. Nun ward sein Ahnen verwirklicht; Doch ihn zog kein gnädiger Gott aus der Tiefe zurück ans Wärmende Licht, mit den Kindern der Welt sich des Tages zu freuen. Und mir umflort sich der Blick. Durch täuschende Schleier der Wehmut Glaub' ich das Bild zu erkennen, das ewig nahe, des Lieblings Dort in der Nische, den Leib von Todesschauern umfröstelt. Bist du's wirklich und rufst mir zu: O rette mich, Vater! Sieh, es verschlingt mich der Tod! – Da rührt ein zitternder Finger Sanft an der Schulter mich an: Es ist Zeit, Herr! – Und mit den Schlüsseln Klirrend winkt mir der Alte. Ich wende mich ab, und erschüttert Wank' ich hinaus an den Tag, als hätte mich selber der Abgrund Ausgespien und ich trät' ein Gespenst in das sonnige Dasein.