An Wilhelm Jensen Wie mir's gehe, seitdem nun endlich zu meinem geliebten Gardasee ich wiedergekehrt, in Villa Annina Sehnlich der Ankunft harre des hier auch zögernden Frühlings, Fragst du mich, Freund, und sagst, du gönnest mir, über des Gartens Palmen und Lorbeerlauben und dunkle Zypressen die Blicke Weithin schweifen zu lassen zu Kap Manerba, der Garda- Insel, die lang hinlagernd, vergleichbar einer gekrönten Schlange, das Haupt aus den Wellen erhebt, und drüben zur Küste San Vigilio's, zart von silbernem Duft umwoben, Während das goldene Licht mit zitterndem Glanz in der weiten Fläche des Sees sich spiegelt, das Herz im Busen belebend. Wem dies alles zu schauen vergönnt, dem müsse, so schwärmst du, Auch die Seele sich weiten und still zum Empfange der hohen Muse sich rüsten, die hier vor zwei Jahrtausenden gern schon Weilte, seitdem Katull sein Häuschen in Sirmio baute. Und so rufst du mir fröhlich Glück auf! und erwartest mit Nächstem Wieder ein dichterisch Werk des Freunds zu empfangen, darinnen Leise das Rauschen erklingt von der purpurnen Flut des Benacus. Fromme Wünsche, mein Teurer! Es ändern sich leider die Zeiten, Wir mit ihnen. Und wär' auch die Hand des Gealterten, die einst Unermüdlich die Saiten gerührt, noch kundig des zarten Musischen Spiels, heut regt nur selten sich noch in der Seele Irgend ein dichtender Trieb, und der ich jeglichen Tag einst Für verloren erachtet, an dem die Muse mir fern blieb, Jetzt, wenn irgend ein Traum mir ihr Nahn ankündigt, erschreck' ich, Daß sie mich unwert fänd', und möchte mich gern ihr verleugnen. Fühl' ich es doch: das Beste, das Eigenste, was ich zu geben Hatte der Welt, längst gab ich's dahin, und da ich mein Herzblut Nimmer gespart, wie Wein, in eigener Vigne gekeltert, Und aus Vollem geschenkt, ich hätte nur dürftige Neigen Jetzt zu kredenzen den Freunden, die einst ich besser bewirtet. Ach, und leider versäumt ich, obwohl in mancherlei Künsten Ich mit Glück mich versucht, von allen die schwerste zu lernen: Müßig zu gehn! Was köstlich bedünkt an der Schwelle der Achtzig Tausenden, jetzt von den Mühen des lebenslänglichen Werktags Auszuruhn, gleichsam in beständiger Sonntagsfeier Still zu verzehren ihr Ruhegehalt, das sauer verdiente, Täglich des Otiums froh cum dignitate – und wär's auch Ohne besondere Würde –, vor Augen stand es mir immer Als ein drohend Gespenst, nicht Lohn, nein Strafe des Dichters. Anders freilich genießt dies Los, wer nur um des Lebens Notdurft kämpfend in schwerem Geschäft, nun endlich die Bürde Abwirft, täglich beglückt, daß nicht am Morgen die Pflicht ihn Zwingt, halb ausgeschlafen, das wohlige Bett zu verlassen, Um zur Arbeit zu gehn, dran nie sein Herz sich erquickte; Anders der Glückliche, der, stets auf des Genius Weckruf Lauschend, das Werk nur schuf, das tief im Busen ihm reifte. Wenn nun der ihm verstummt, ward alles umher ihm auf einmal Öd und tot. Nicht klingt der Natur melodische Stimme Ihm noch lieblich ans Ohr. Er wandelt ein lebender Schatten Unter der strebenden Menschen Gewühl, als hätte das Recht er Mitzuatmen verscherzt und stünd in der Welt, ein verdorrter Baum, dem nimmer vergönnt, in Früchten den Saft zu entladen. Dann wohl neidet er selbst die Genügsamen, welche die leeren Stunden des müßigen Tags ausfüllen mit allerlei Kurzweil, Sei's mit Altersgenossen beim Skat im Café und am Abend Am Biertische die Weltpolitik wohlweise bekrittelnd, Oder sie treiben vergnüglich mit ernster Beeiferung eine Liebhaberei als Sammler und Dilettanten und täuschen Spielend sich drüber hinweg, daß jetzt mit dem Ernst es vorbei sei. Wer sein Leben dem Schönen geweiht, die höchste der Wonnen Kostete, die nur der Künstler genießt, im Äther der reinen Phantasieen zu schweben, den irdischen Nöten enthoben, Dem kann, wenn er verloren die Flugkraft und auf der niedern Erde dahin soll schreiten, den Sinn nichts wieder erheitern, Wie dem Kraniche, dem es versagt mit zerschossenem Flügel Seinen Gefährten zu folgen. Nun brütet er trauernd und einsam, Auch wenn Futter vollauf ihm gereicht wird, über sein herbes Los, an die Scholle gebannt im Staub notdürftig zu kriechen. Doch, was sag' ich nur dir, was längst im Freundesgemüt du Ahnst und vielleicht einst selber erfährst? Auch wirst du den schalen Trost mir ersparen, womit Wohlmeinende gleich bei der Hand sind, Wenn dem Alten einmal in verdrossener Stunde der Seufzer Über die Lippen sich wagt: nicht leicht sei's, müßig am Austrags- Stübel zu sitzen und still in den Schoß die Hände zu legen. Viel ja hast du geschafft, so sagen sie, und dir den Feier- Abend verdient. Nun magst du auf Lebensernten zurückschaun, Die dir danken die Besten der Zeit, ein reiches Vermächtnis. O ihr Guten, nur allzu viel, wohl weiß ich es, schuf ich, Wertlos manches und einiges doch, das wohl noch ein Weilchen Mich überdauert, so daß der Richter mich nicht zu den faulen Knechten gesellt, die schlecht mit ihrem Pfunde gewuchert. Doch – und wäre mir Höheres noch, mir Höchstes beschieden, Daß mein Bestes bestünd' im launischen Wandel der Zeiten Und noch spätesten Enkeln vertraut mein Name erklänge – Nie hat Hoffen und Wunsch, nach solchem Kranze zu streben, Je mich erfüllt und die Schritte gelenkt und die Seele beflügelt. Nur zu genügen dem inneren Drang tiefwurzelnder Bildkraft, Wie ein Weib das empfangene Kind ans Licht zu gebären Ringt in seliger Qual, so schuf ich meine Gebilde, Keinem der Menschen zulieb und nicht hinhorchend im Volke, Ob sie auch wohlgeraten und beifallswürdig erschienen. Tat ich doch nur, was nicht ich zu lassen vermocht' und so gut ich's Konnt'. Ein Schelm gibt mehr als er hat, und des eignen Gewissens Spruch wiegt schwerer, als Lob und Tadel des mäkelnden Haufens. Hätt' um Ruhm ich der Muse gedient, bei klarem Besinnen Wär' ich ein Tor mir erschienen, des Alltags Götzen betrachtend, Denen das Volk zujauchzt und heut verschwenderisch Weihrauch Streut, um morgen sie schon von den eitlen Altären zu stürzen, Hingeopfert dem neusten Idol. So schwebte der Ruhm mir Nie vor Augen als Ziel, das glücklich errungen die Sehnsucht Stillt' im schaffenden Geist und süß nun machte das Ausruhn. Nein, ein besserer Trost im schleichenden Winter der Jahre Bleibt nach allem Verzicht: in fröhlichen Kindern und Enkeln Sich fortleben zu sehn und Lieb' im Kreise der Nächsten Reich zu empfahn und zu geben. Und wie auch dürft' ich der hohen Freundin, die so getreu ausharrt bei dem Greisen, vergessen? Weisheit ist ihr Name. Sie ist die Letzte von allen Himmlischen Musen und bleibt, wenn ihre Schwestern gegangen. Zwar nur wie im Kamine die Glut die fröstelnden Glieder Wärmt, nicht lieblicher Hauch der sonnigen Lüfte des Sommers, Hegt sie und hütet sie uns vor eisigem Seelenerstarren Und ist traun nicht immer bequem. Sie raubt uns die letzten Täuschungen, läßt so manches, daran ein alterndes Herz sich Kindisch selbst sich betrügend, ergötzt, als nichtigen Trug uns Mitleidslos durchschauen und weniges nur frei ausgehn Aus dem großen Bankrott des irdischen Glückes. Doch lehrt sie Auch mit gefaßtem Gemüt erkennen die schicksalsvolle Macht der Notwendigkeit, der sich mit Würde zu fügen Göttern und Menschen geziemt. Nur manchmal, wenn sich wie heute Über Gebirg und See der lachende Frühlingshimmel Breitet, die Kinder des Orts auf dem Schulweg jauchzend vorbeigehn Und sein Eselchen treibend ein Bursch die Straße daherkommt Vor dem beladenen Karren – er knallt mit der Geißel und singt aus Vollem Halse sein Ritornell und dem lockigen Mädchen Nickt er mit lustiger Schalkheit zu – da mag wohl ein Heimweh Heimlich den Alten beschleichen nach lange verschollener Jugend, Und er gäbe die Weisheit gern, die teuer erkaufte, Gegen die selige Dumpfheit hin der Kinder und Toren, Wenn er auch noch so stoisch sich beugt der ehrnen Ananke. Gardone, 28. März 1909