An Hermann Lingg Wie, Freund? Ist's Wahrheit, was ich seh'? Wir zwei beim Bundesschützenfeste, Nicht als beschaulich stille Gäste, Nein, feierlich im Komitee? Ist denn die Zeit zurückgekehrt, Da noch Apollo ward verehrt Nicht bloß als treuer Musenpfleger, Auch als berühmter Schütz und Jäger? Denn daß wir beide, wie wir hoffen, Ins Schwarze hie und da getroffen Mit unsrer stillen Art und Kunst, Erwarb uns schwerlich so viel Gunst, Daß, wo es knallt den ganzen Tag, Man unser nicht entraten mag, Zumal kein Mangel ist an biedern Grünangehauchten Schützenliedern, Daß nun ein großer Lyrikus, Wie du, ein frisches dichten muß, Zu schweigen von meiner Wenigkeit. Doch sieh! da fällt mir ein beizeit, Daß ich in Tagen, die schon fern, Auch war ein Jäger vor dem Herrn, Wovon der Münchner Magistrat Etwa ein Gerücht vernommen hat, So daß er nun auch mich erlesen Zum Beirat diesem Schützenwesen, Als einen, der der Jägerei Zwar nur als Dilettant beflissen, Doch auch nicht übel kundig sei. Da treibt mich leider mein Gewissen, Zu beichten, was mich lang gebrannt, Wie's um mein erstes Jagdglück stand, Daß einst nicht meinen Grabstein zieret Ein Nachruhm, der mir nicht gebühret. Ich war im schönen Berchtesgaden Anno Sechzig zu Hof geladen, Wo ich im luftigen Sommerschloß Gar vielfach Liebs und Guts genoß Von meinem königlichen Herrn, Der so viel Huld an mir bewiesen – Nie würde sie genug gepriesen. Nun mocht' er seine Gäste gern Vergnügt und guter Dinge sehn, Sollt' einem jeden nach Wunsch geschehn; Und da von manchem Jägerzug Ich keine Beute nach Hause trug – Ein blutiger Neuling, wie ich war, Nicht ungeschickt im Treffen zwar, So lang es nur die Scheibe galt, Doch wenn das Hochwild durch den Wald Hinstürmte, gleich mit Herzenspochen Fühlt' ich das Blut in den Adern kochen, Und schoß, wie's Sonntagsjägern geht, Zu hoch, zu tief, zu früh, zu spät – Da schien's meinem hohen Gönner fast, Als würde das Weidwerk mir verhaßt, Und nagt' ein Wurm mir am Gemüte. Drum, da es wieder waldwärts ging, Ich eine Büchse von ihm empfing, Einen schönen Zwilling von sondrer Güte. – Die hat mir selbst bei keiner Jagd, So sprach er lächelnd, je versagt; Mit der soll's Ihnen heut gelingen. Nun, Weidmannsheil! – Und also gingen Wir Schützen jeder an seinen Stand. Ein Wäldchen, das Ahornet genannt, Im wolkennahen Hochgebiet Empor zur Gotzenalm sich zieht, Von steilem Felskamm überragt, Des jäh abstürzendes Gewänd Vom Königssee den Talgrund trennt. Hier war bestellt die frühe Jagd Und ward ein Stand mir zugewiesen, Nie einen schönern gab's als diesen. Aus eines Tännleins grünem Schatten Sah ich hinab die sanften Matten, Von Ahornwipfeln überdacht, Dazwischen spielt in Ringen sacht Die golden heitre Sommersonne. Ich saß verträumt in stiller Wonne, Doch späht' ich scharf und hielt zum Schuß Die Büchse fertig auf den Knieen. Ein Jagdgehilf' war mir verliehen, Mit seltnem Namen: Phrygius. (Dies aber war sein ganz Latein, Mocht' eines Ahnherrn Erbschaft sein, Der einer Schul' einmal gewaltet Und sich lateinisch umgestaltet.) Ein hagrer Bursch mit Augen blau, Ein rechter Jäger fest und schlau, Und war's wohl längst von Herzen satt, Daß der Herr Doktor aus der Stadt Sein Pulver nebenbei verknallte. Wie nun die Jagd das Tal durchhallte Und ferne fiel ein erster Schuß – Heut, sag' ich, teurer Phrygius, Sollst du dich meiner nimmer schämen; Ich will mich scharf zusammennehmen. – Und sieh, kaum ward die Rede laut, Stößt mein Gesell mich heimlich an. Ein junger Spießer zog heran, Vorsichtiglich, nicht gar vertraut, Und windet äugend um sich her, Als ob's ihm nicht geheuer wär'! Ich flugs die Büchse von den Knien, Doch er gewahrt mich, wie mir schien, Er wend't sich – tut einen Satz – und krach! Donnert mein Mordgewehr ihm nach. Doch was war das? Im selben Nu Kracht's abermals – Was Teufel! du? Phrygius? – Er achselzuckte bloß: 's war nix. Mein rechter Lauf ging los, Von selbst. Doch der Herr Doktor hat Getroffen. Schaun's nur, grad aufs Blatt! Hin durch die Lichtung eilen wir. Da lag im Gras das edle Tier, Die Lichter halb verglast, und wendet Den Kopf nach mir, eh' es verendet, Fast vorwurfsvoll, als früg' es an, Wer von uns zwein ihm das getan. Mein Phrygius murmelt nur: Den hat's! Und schleicht zurück zum alten Platz. Doch ich: Phrygius – der Schuß war gut; Doch ist mir wunderlich zumut. Ging deine Büchse – schwör mir's heilig! – Von selber los? – Los ging sie freilich. Hab' mit der Hand am Schloß gespielt Und auch – mein Eid! – nicht erst gezielt. Doch jetzt sein's stat. Es kimmt noch mehr. Wohl kam's, doch nimmer zu uns her. Die Jagd nahm ihren raschen Lauf, Ein Wetter zog vom See herauf, Bald sahn wir auch die Treiberkette. Nun ging's bergunter in die Wette, Bis zu dem sichern Ort am Strand, Wo schon gedeckt die Tafel stand, Die Köche für den Königstisch Sotten und brieten, Wild und Fisch. Da ward mit Zuruf ich empfangen. Schon war die neue Mär ergangen, Daß heut auch mir ein Schuß geglückt. Den Zweifel, der mich heimlich drückt', Ich schluckt' hinunter ihn und saß Ganz still, da nun das volle Glas Der königliche Jagdherr hob Und sprach: Dem Doktor ziemt ein Lob. Er tat heut seinen Meisterschuß. So wollen wir verdientermaßen Den wackren Schützen leben lassen! – Und neigte mir sein Glas zum Gruß. Ich murmelt was von Phrygius, Doch nahm es niemand mehr in acht, Denn plötzlich brach mit wilder Macht Das Wetter los, der See ging hoch, Wir leerten kaum die Gläser noch Und schwammen durch Gewittergraus Bis auf die Haut durchnäßt nach Haus. So losch mein erster Glückstag aus. Doch nachts im Traum ist mir erschienen Mein junger Hirsch und sah mich an Mit spöttlich überlegnen Mienen, So gut ein Waldtier grinsen kann, Als wollt' er sagen: Hast du nun Das Herz, auf Lorbeern auszuruhn, Die du nicht selber konntst gewinnen? Bei deinem Leisten bleib hinfort: Mach Verse! Sinne nicht auf Mord! – Spuk, rief ich, hebe dich von hinnen! Vernahmst du nicht des Phrygius Schwur? – Der Unhold aber lachte nur, Und um den Spötter rings zuhauf Tauchte viel andres Wild noch auf, Rehböcke, Gemsen ohne Zahl, Die sprangen um mich her zumal, Vertraut und nah, um mich zu necken, Und stupften mich an allen Ecken, Und hob ich meine Büchs' empor, Hohnkicherte der ganze Chor, Bis mir vom Haupt der Angstschweiß lief, Ich überlaut: Hilf, Phrygius! rief – Da war das Nachtgespenst zerstoben. Seitdem gab ich wohl beßre Proben, Das Treffen mit der Kugel sei Doch eben auch kein' Hexerei. Nur seltsam: Keiner hatt' es acht, Ob ich meine Sache gut gemacht, Und kam ich siegesfroh nach Haus, Bracht' niemand einen Trinkspruch aus. Dir aber les' ich's am Gesichte: Was die Moral sei der Geschichte? – Ei, daß man uns um manches ehrt, Was nicht der Red' und Ehre wert, Indes die Welt bleibt wiederum Bei unsern besten Taten stumm, So daß mit ruhigem Gewissen Wir eins ins andre rechnen müssen. Und also, wenn ich heut' uns seh' Im Bundesschützenkomitee, Laß uns nicht grübeln, ob wir wert Des Ehrenamts, so uns beschert, Vielmehr bescheiden Arm in Arm Durchwandern wollen wir den Schwarm, Und wenn am Himmel Wolken schweben, Die Hände zum Apoll erheben, Daß diesem frohen Festgetreibe Der Fernhintreffer günstig bleibe, Mit seiner Sonne schönstem Glanz Vergoldend jedes Siegers Kranz, Daß ungetrübt in alt und jung Nachleuchte die Erinnerung. So wären denn auch die Poeten Im Ausschuß nicht umsonst vertreten. Juni 1881