Peter Hille Blätter vom fünfzigjährigen Baum An die Poesie Zu dir meine Flucht, An deinen lindernden Busen, In deine weich Umschlingenden Arme Rett ich mein Herz, Das prosawunde Qualenzuckende Herz, O du meine tröstende Mutter, Sorgen verkosendes Lieb, O du meine Muse! Ruhe lächelt dein Auge, Dein mildes, hehres Auge, In meine dunklen Qualen und Sorgen, Das glänzende tiefe, Das mit olympischer Klarheit Tränkte den greisen Homer, Mit tragischer Milde umgoß Die bruderbestattende, Still ins Todesbrautgemach Steigende Jungfrau ... Muse, du wölbtest Den blauen Himmel von Hellas Auf Marmor Plastik, Mit blitzzerrissener, Düsterer Wolken hehrer Phantastik Bangtest du Dem Jehovah heiligen Lande. Wilde Schwüle ließest du zittern Über dem üppigen Traubengehänge, Drin der schwellende Busen der Braut Wogte unter den Küssen Des ebenholz-lockigen Freundes. Ein Leichenfeld Sieht der begeisterte Seher, Ein Wirbelwind Dreht die Gebeine zusammen, Sie fügen sich ein, Dasteht Ein totenköpfiges Heer. Sehnen schießen und Fleisch sproßt, Haut spannt sich herum. Ein Gotteshauch: Mit den Waffen Rasselt das Heer. – Dem glutenhagern Jacopone di Todi Erschienst du Hoher düsterer Gestalt, Drücktest kohlenbrennenden Kuß Auf seine schroffe steinerne Stirn, Draus die düstern Flammenrhythmen Des dies irae glühten, Das heiße Angstgebet, Das Flammenflehen: Recordare, Jesu pie, Quod sum causa tuae viae, Ne me perdas illa die! O, entsende auch mich! Laß mich nicht stehn Im Alltagsgrau, Und Neidesblicke Werfen auf die Erkorenen, Gedrückt durch niedere Prosa, Gequält von den Stichen Des kleinlichen Lebens, Der Philister Umgebung, Philisterhaft Die Pfennige zu rechnen gezwungen. Nein Muse, so grausam Kannst du nicht sein, Mich hocken nicht lassen Auf dumpfem Bureau, Angewidert von Allem, Verhöhnt von Allen! Mit selbstzerfressendem Grimm, Mit selbstvergiftendem Hohn Mich selbst regalierend, Was bleibt mir als Wahnsinn? Halbdichter zu sein! O diesen Jammerstand Hab' ihn verdient ich, Weil mit allen Fasern mein Wesen Sich drängt zu dir? Berauscht hat mich Dein wonniger Atem, Vollende dein Werk. Drücke den Kuß der Weihe Mir auf die Stirn, Erschließe sie – Und ich gehöre ganz dir. O schleudere mich nicht Zurück in die Prosa!!