Hugo von Hofmannsthal Der Tod des Tizian Ein dramatisches Fragment Personen Dramatis Personae. Der Prolog. Filippo Pomponio Vecellio, genannt Tizianello, des Meisters Sohn. Giocondo. Desiderio. Gianino, er ist 16 Jahre und sehr schön. Batista. Antonio. Paris. Lavinia, eine Tochter des Meisters. Cassandra. Lisa. [Prolog] [Prolog] Der Vorhang, ein Gobelin, ist herabgelassen. Im Proscenium steht die Büste Böcklins auf einer Säule; zu deren Fuß ein Korb mit Blumen und blühenden Zweigen. In die letzten Takte der Symphonie tritt der Prolog auf, seine Fackelträger hinter ihm. Der Prolog ist ein Jüngling; er ist venezianisch gekleidet, ganz in schwarz, als ein Trauernder. Nun schweig, Musik! nun ist die Szene mein, Und ich will klagen, denn mir steht es zu! Von dieser Zeiten Jugend fließt der Saft In mir; und er, des Standbild auf mich blickt, War meiner Seele so geliebter Freund! Und dieses Guten hab ich sehr bedurft, Denn Finsternis ist viel in dieser Zeit, Und wie der Schwan, ein selig schwimmend Tier, Aus der Najade triefend weißen Händen Sich seine Nahrung küßt, so bog ich mich In dunklen Stunden über seine Hände Um meiner Seele Nahrung: tiefen Traum. Schmück ich dein Bild mit Zweig und Blüten nur? Und du hast mir das Bild der Welt geschmückt, Und aller Blütenzweige Lieblichkeit Mit einem solchen Glanze überhöht, Daß ich mich trunken an den Boden warf Und jauchzend fühlte, wie sie ihr Gewand Mir sinken ließ, die leuchtende Natur! Hör mich, mein Freund! ich will nicht Herolde Aussenden, daß sie deinen Namen schrein In die vier Winde, wie wenn Könige sterben: Ein König läßt dem Erben seinen Ruf Und einem Grabstein seines Namens Schall. – Doch du warst solch ein großer Zauberer, Dein Sichtbares ging fort, doch weiß ich nicht, Was da und dort nicht alles von dir bleibt, Mit heimlicher fortlebender Gewalt Sich dunklen Auges aus der nächtigen Flut Zum Ufer hebt – oder sein haarig Ohr Hinter dem Efeu horchend reckt, drum will ich Nie glauben, daß ich irgendwo allein bin, Wo Bäume oder Blumen sind, ja selbst Nur schweigendes Gestein und kleine Wölkchen Unter dem Himmel sind; leicht daß ein Etwas, Durchsichtiger wie Ariel, mir im Rücken Hingaukelt, denn ich weiß: geheimnisvoll War zwischen dir und mancher Kreatur Ein Bund geknüpft, ja! und des Frühlings Au Siehe, sie lachte dir so wie ein Weib Den anlacht, dem sie in der Nacht sich gab! Ich meint' um dich zu klagen; und mein Mund Schwillt an von trunkenem und freudigem Wort: Drum ziemt mir nun nicht länger hier zu stehen. Ich will den Stab dreimal zu Boden stoßen Und dies Gezelt mit Traumgestalten füllen. Die will ich mit der Last der Traurigkeit So überbürden, daß sie schwankend gehn, Damit ein jeder weinen mag und fühlen: Wie große Schwermut allem unsren Tun Ist beigemengt. Es weise euch ein Spiel Das Spiegelbild der bangen, dunklen Stunde, Und großen Meisters trauervollen Preis Vernehmet nun aus schattenhaftem Munde! Er geht ab, die Fackelträger hinter ihm. Das Proscenium liegt in Dunkel. Die Symphonie fällt wieder ein. Das Standbild verschwindet. Darauf ertönt das dreimalige Niederstoßen eines Stabes. Der Gobelin teilt sich und enthüllt die Szene. [Stücktext] [Stücktext] Die Szene ist auf der Terrasse von Tizians Villa, nahe bei Venedig. Die Terrasse ist nach rückwärts durch eine steinerne, durchbrochene Rampe abgeschlossen, über die in der Ferne die Wipfel von Pinien und Pappeln schauen. Links rückwärts läuft eine (unsichtbare) Treppe in den Garten; ihr Ausgang vor der Rampe ist durch zwei Marmorvasen markiert. Die linke Seite der Terrasse fällt steil gegen den Garten ab. Hier überklettern Efeuund Rosenranken die Rampe und bilden mit hohem Gebüsch des Gartens und hereinhangenden Zweigen ein undurchdringliches Dickicht. Rechts füllen Stufen fächerförmig die rückwärtige Ecke aus und führen zu einem offenen Altan. Von diesem tritt man durch eine Tür, die ein Vorhang schließt, ins Haus. Die Wand des Hauses, von Reben und Rosen umsponnen, mit Büsten geziert, Vasen an den Fenstersimsen, aus denen Schlingpflanzen quellen, schließt die Bühne nach rechts ab. Spätsommermittag. Auf Polstern und Teppichen lagern auf den Stufen, die rings zur Rampe führen, Desiderio, Antonio, Batista und Paris. Alle schweigen, der Wind bewegt leise den Vorhang der Tür. Tizianello und Gianino kommen nach einer Weile aus der Tür rechts. Desiderio, Antonio, Batista und Paris treten ihnen besorgt und fragend entgegen und drängen sich um sie. Nach einer kleinen Pause. Nicht gut? mit erstickter Stimme. Sehr schlecht. Zu Tizianello, der in Tränen ausbricht. Mein armer lieber Pippo! Er schläft? Nein, er ist wach und phantasiert Und hat die Staffelei begehrt. Allein Man darf sie ihm nicht geben, nicht wahr, nein? Ja, sagt der Arzt, wir sollen ihn nicht quälen Und geben, was er will, in seine Hände. ausbrechend. Heut oder morgen ists ja doch zu Ende! Er darf uns länger, sagt er, nicht verhehlen ... Nein, sterben, sterben kann der Meister nicht! Da lügt der Arzt, er weiß nicht, was er spricht. Der Tizian sterben, der das Leben schafft! Wer hätte dann zum Leben Recht und Kraft? Doch weiß er selbst nicht, wie es um ihn steht? Im Fieber malt er an dem neuen Bild, In atemloser Hast, unheimlich, wild; Die Mädchen sind bei ihm und müssen stehn, Uns aber hieß er aus dem Zimmer gehn. Kann er denn malen? Hat er denn die Kraft? Mit einer rätselhaften Leidenschaft, Die ich beim Malen nie an ihm gekannt, Von einem martervollen Zwang gebannt – Ein Page kommt aus der Tür rechts, hinter ihm Diener; alle erschrecken. TIZIANELLO, GIANINO, PARIS. Was ist? Nichts, nichts. Der Meister hat befohlen, Daß wir vom Gartensaal die Bilder holen. Was will er denn? Er sagt, er muß sie sehen ... »Die alten, die erbärmlichen, die bleichen, Mit seinem neuen, das er malt, vergleichen ... Sehr schwere Dinge seien ihm jetzt klar, Es komme ihm ein unerhört Verstehen, Daß er bis jetzt ein matter Stümper war ...« Soll man ihm folgen? Gehet, gehet, eilt! Ihn martert jeder Pulsschlag, den ihr weilt. Die Diener sind indessen über die Bühne gegangen, an der Treppe holt sie der Page ein. Tizianello geht auf den Fußspitzen, leise den Vorhang aufhebend, hinein. Die andern gehen unruhig auf und nieder. halblaut. Wie fürchterlich, dies letzte, wie unsäglich ... Der Göttliche, der Meister, lallend, kläglich ... zurückkommend. Jetzt ist er wieder ruhig, und es strahlt Aus seiner Blässe, und er malt und malt. In seinen Augen ist ein guter Schimmer. Und mit den Mädchen plaudert er wie immer. So legen wir uns auf die Stufen nieder Und hoffen bis zum nächsten Schlimmern wieder. Sie lagern sich auf den Stufen. Tizianello spielt mit Gianinos Haar, die Augen halb geschlossen. halb für sich. Das Schlimmre ... dann das Schlimmste endlich ... nein. Das Schlimmste kommt, wenn gar nichts Schlimmres mehr, Das tote, taube, dürre Weitersein ... Heut ist es noch, als obs undenkbar wär ... Und wird doch morgen sein. Pause. Ich bin so müd. Das macht die Luft, die schwüle, und der Süd. lächelnd. Der Arme hat die ganze Nacht gewacht! auf den Arm gestützt. Ja, du ... die erste, die ich ganz durchwacht. Doch woher weißt denn dus? Ich fühlt es ja, Erst war dein stilles Atmen meinem nah, Dann standst du auf und saßest auf den Stufen ... Mir wars, als ginge durch die blaue Nacht, Die atmende, ein rätselhaftes Rufen. Und nirgends war ein Schlaf in der Natur. Mit Atemholen tief und feuchten Lippen, So lag sie, horchend in das große Dunkel, Und lauschte auf geheimer Dinge Spur. Und sickernd, rieselnd kam das Sterngefunkel Hernieder auf die weiche, wache Flur. Und alle Früchte, schweren Blutes, schwollen Im gelben Mond und seinem Glanz, dem vollen, Und alle Brunnen glänzten seinem Ziehn. Und es erwachten schwere Harmonien. Und wo die Wolkenschatten hastig glitten, War wie ein Laut von weichen, nackten Tritten ... Leis stand ich auf – ich war an dich geschmiegt – Er steht erzählend auf, zu Tizianello geneigt. Da schwebte durch die Nacht ein süßes Tönen, Als hörte man die Flöte leise stöhnen, Die in der Hand aus Marmor sinnend wiegt Der Faun, der da im schwarzen Lorbeer steht Gleich nebenan, beim Nachtviolenbeet. Ich sah ihn stehen, still und marmorn leuchten; Und um ihn her im silbrig – blauen Feuchten, Wo sich die offenen Granaten wiegen, Da sah ich deutlich viele Bienen fliegen Und viele saugen, auf das Rot gesunken, Von nächtgem Duft und reifem Safte trunken. Und wie des Dunkels leiser Atemzug Den Duft des Gartens um die Stirn mir trug, Da schien es mir wie das Vorüberschweifen Von einem weichen, wogenden Gewand Und die Berührung einer warmen Hand. In weißen, seidig – weißen Mondesstreifen War liebestoller Mücken dichter Tanz, Und auf dem Teiche lag ein weißer Glanz Und plätscherte und blinkte auf und nieder. Ich weiß es heut nicht, obs die Schwäne waren, Ob badender Najaden weiße Glieder, Und wie ein süßer Duft von Frauenhaaren Vermischte sich dem Duft der Aloe ... Das rosenrote Tönen wie von Geigen, Gewoben aus der Sehnsucht und dem Schweigen, Der Brunnen Plätschern und der Blüten Schnee, Den die Akazien leise niedergossen, Und was da war, ist mir in eins verflossen: In eine überstarke, schwere Pracht, Die Sinne stumm und Worte sinnlos macht. Beneidenswerter, der das noch erlebt Und solche Dinge in das Dunkel webt! Ich war in halbem Traum bis dort gegangen, Wo man die Stadt sieht, wie sie drunten ruht, Sich flüsternd schmieget in das Kleid von Prangen, Das Mond um ihren Schlaf gemacht und Flut. Ihr Lispeln weht manchmal der Nachtwind her, So geisterhaft, verlöschend leisen Klang, Beklemmend seltsam und verlockend bang. Ich hört es oft, doch niemals dacht ich mehr ... Da aber hab ich plötzlich viel gefühlt: Ich ahnt in ihrem steinern stillen Schweigen, Vom blauen Strom der Nacht emporgespült, Des roten Bluts bacchantisch wilden Reigen, Um ihre Dächer sah ich Phosphor glimmen, Den Widerschein geheimer Dinge schwimmen. Und schwindelnd überkams mich auf einmal: Wohl schlief die Stadt: es wacht der Rausch, die Qual, Der Haß, der Geist, das Blut: das Leben wacht. Das Leben, das lebendige, allmächtge – Man kann es haben und doch sein vergessen! ... Er hält einen Augenblick inne. Und alles das hat mich so müd gemacht: Es war so viel in dieser einen Nacht. an der Rampe, zu Gianino. Siehst du die Stadt, wie jetzt sie drunten ruht? Gehüllt in Duft und goldne Abendglut Und rosig helles Gelb und helles Grau, Zu ihren Füßen schwarzer Schatten Blau, In Schönheit lockend, feuchtverklärter Reinheit? Allein in diesem Duft, dem ahnungsvollen, Da wohnt die Häßlichkeit und die Gemeinheit, Und bei den Tieren wohnen dort die Tollen; Und was die Ferne weise dir verhüllt, Ist ekelhaft und trüb und schal erfüllt Von Wesen, die die Schönheit nicht erkennen Und ihre Welt mit unsren Worten nennen ... Denn unsre Wonne oder unsre Pein Hat mit der ihren nur das Wort gemein ... Und liegen wir in tiefem Schlaf befangen, So gleicht der unsre ihrem Schlafe nicht: Da schlafen Purpurblüten, goldne Schlangen, Da schläft ein Berg, in dem Titanen hämmern – Sie aber schlafen, wie die Austern dämmern. halb aufgerichtet. Darum umgeben Gitter, hohe, schlanke, Den Garten, den der Meister ließ erbauen, Darum durch üppig blumendes Geranke Soll man das Außen ahnen mehr als schauen. ebenso. Das ist die Lehre der verschlungnen Gänge. ebenso. Das ist die große Kunst des Hintergrundes Und das Geheimnis zweifelhafter Lichter. mit geschlossenen Augen. Das macht so schön die halbverwehten Klänge, So schön die dunklen Worte toter Dichter Und alle Dinge, denen wir entsagen. Das ist der Zauber auf versunknen Tagen Und ist der Quell des grenzenlosen Schönen, Denn wir ersticken, wo wir uns gewöhnen. Alle verstummen. Pause. Tizianello weint leise vor sich hin. schmeichelnd. Du darfst dich nicht so trostlos drein versenken, Nicht unaufhörlich an das eine denken. traurig lächelnd. Als ob der Schmerz denn etwas andres wär Als dieses ewige Dran – denken – Müssen, Bis es am Ende farblos wird und leer ... So laß mich nur in den Gedanken wühlen, Denn von den Leiden und von den Genüssen Hab längst ich abgestreift das bunte Kleid, Das um sie webt die Unbefangenheit, Und einfach hab ich schon verlernt zu fühlen. Pause. Gianino ist seitwärts auf den Stufen, den Kopf auf den Arm geschmiegt, eingeschlummert. Wo nur Giocondo bleibt? Lang vor dem Morgen – Ihr schlieft noch – schlich er leise durch die Pforte, Auf blasser Stirn den Kuß der Liebessorgen Und auf den Lippen eifersüchtge Worte ... Pagen tragen zwei Bilder über die Bühne: die Venus mit den Blumen und das große Bacchanal. Die Schüler erheben sich und stehen, solange die Bilder vorübergetragen werden, mit gesenktem Kopf, das Barett in der Hand. Nach einer Pause, alle stehen. Wer lebt nach ihm, ein Künstler und Lebendiger, Im Geiste herrlich und der Dinge Bändiger Und in der Einfalt weise wie das Kind? Wer ist, der seiner Weihe freudig traut? Wer ist, dem nicht vor seinem Wissen graut? Wer will uns sagen, ob wir Künstler sind? Er hat den regungslosen Wald belebt: Und wo die braunen Weiher murmelnd liegen Und Efeuranken sich an Buchen schmiegen, Da hat er Götter in das Nichts gewebt: Den Satyr, der die Syrinx tönend hebt, Bis alle Dinge in Verlangen schwellen Und Hirten sich den Hirtinnen gesellen ... Er hat den Wolken, die vorüberschweben, Den wesenlosen, einen Sinn gegeben: Der blassen, weißen schleierhaftes Dehnen Gedeutet in ein blasses, süßes Sehnen; Der mächt'gen goldumrandet schwarzes Wallen Und runde, graue, die sich lachend ballen, Und rosig silberne, die abends ziehn: Sie haben Seele, haben Sinn durch ihn. Er hat aus Klippen, nackten, fahlen, bleichen, Aus grüner Wogen brandend weißem Schäumen, Aus schwarzer Haine regungslosen Träumen Und aus der Trauer blitzgetroffner Eichen Ein Menschliches gemacht, das wir verstehen, Und uns gelehrt, den Geist der Nacht zu sehen. Er hat uns aufgeweckt aus halber Nacht Und unsre Seelen licht und reich gemacht: Und uns gewiesen, jedes Tages Fließen Und Fluten als ein Schauspiel zu genießen, Die Schönheit aller Formen zu verstehen Und unsrem eignen Leben zuzusehen. Die Frauen und die Blumen und die Wellen Und Seide, Gold und bunter Steine Strahl Und hohe Brücken und das Frühlingstal Mit blonden Nymphen an kristallnen Quellen, Und was ein jeder nur zu träumen liebt, Und was uns wachend Herrliches umgibt: Hat seine große Schönheit erst empfangen, Seit es durch seine Seele durchgegangen. Was für die schlanke Schönheit Reigentanz, Was Fackelschein für bunten Maskenkranz, Was für die Seele, die im Schlafe liegt, Musik, die wogend sie in Rhythmen wiegt, Und was der Spiegel für die junge Frau Und für die Blüten Sonne licht und lau: Ein Auge, ein harmonisch Element, In dem die Schönheit erst sich selbst erkennt ... Das fand Natur in seines Wesens Strahl. »Erweck uns, mach aus uns ein Bacchanal!« Rief alles Lebende, das ihn ersehnte Und seinem Blick sich stumm entgegendehnte. Während Antonio spricht, sind die drei Mädchen leise aus der Tür getreten und zuhörend stehen geblieben. Nur Tizianello, der zerstreut und teilnahmslos etwas abseits rechts steht, scheint sie zu bemerken. Lavinia trägt das blonde Haar im Goldnetz und das reiche Kleid einer venezianischen Patrizierin. Cassandra und Lisa, etwa 19- und 17jährig, tragen beide ein einfaches Gewand aus weißem, anschmiegendem, flutendem Stoff; nackte Arme mit goldenen Schlangenreifen am Oberarm; Sandalen, Gürtel aus Goldstoff. Cassandra ist aschblond, Lisa hat eine gelbe Rosenknospe im schwarzen Haar. Irgend etwas an ihr erinnert ans Knabenhafte, wie irgend etwas an Gianino ans Mädchenhafte erinnert. Hinter ihnen tritt ein Page aus der Tür, der einen getriebenen, silbernen Weinkrug und Becher trägt. Daß uns die fernen Bäume lieblich sind, Die träumerischen, dort im Abendwind ... Und daß wir Schönheit sehen in der Flucht Der weißen Segel in der blauen Bucht ... zu den Mädchen, die er mit einem leichten Nicken begrüßt hat. – Alle anderen drehen sich um. Und daß wir eures Haares Duft und Schein Und eurer Formen mattes Elfenbein Und goldne Gürtel, die euch weich umwinden, So wie Musik und wie ein Glück empfinden – Das macht: Er lehrte uns die Dinge sehen ... Bitter. Und das wird man da drunten nie verstehen! zu den Mädchen. Ist er allein? Soll niemand zu ihm gehen? Bleibt alle hier. Er will jetzt niemand sehen. O, käm ihm jetzt der Tod, mit sanftem Neigen, In dieser schönen Trunkenheit, im Schweigen! Alle schweigen. Gianino ist erwacht und hat sich während der letzten Worte aufgerichtet. Er ist nun sehr blaß. Er blickt angstvoll von einem zum anderen. Alle schweigen. Gianino tut einen Schritt auf Tizianello zu. Dann hält er inne, zusammenschaudernd; plötzlich wirft er sich vor Lavinia hin, die vorne allein steht und drückt den Kopf an ihr Knie. Der Tod! Lavinia, mich faßt ein Grausen! Ich war ihm nie so nah! Ich werde nie, Nie mehr vergessen können, daß wir sterben! Ich werde immer stumm daneben stehn, Wo Menschen lachen, und mit starrem Blick Dies denken: daß wir alle sterben müssen! Ich sah einmal: sie brachten mit Gesang Einen geführt, dem war bestimmt zu sterben. Er schwankte hin und sah die Menschen alle Und sah die Bäume, die im leisen Wind Die süßen Schattenzweige schaukelten. Lavinia, wir gehen solchen Weg! Lavinia, ich schlief nur eine Weile Dort auf den Stufen, und das erste Wort, Da ich die Augen aufschlug, war der Tod! Schaudernd. Ein solches Dunkel senkt sich aus der Luft! Lavinia steht hochaufgerichtet, den Blick auf den völlig hellen Himmel geheftet. Sie streift mit der Hand über Gianinos Haar. Ich seh kein Dunkel. Ich seh einen Falter Dort schwirren, dort entzündet sich ein Stern, Und drinnen geht ein alter Mann zur Ruh. Der letzte Schritt schafft nicht die Müdigkeit, Er läßt sie fühlen. Indem sie spricht, und der Tür des Hauses den Rücken wendet, hat dort eine unsichtbare Hand den Vorhang lautlos aber heftig zur Seite gezogen. Und alle, Tizianello voran, drängen lautlos und atemlos die Stufen empor, hinein. ruhig weitersprechend, immer gehobener. Grüße du das Leben! Wohl dem, der von des Daseins Netz gefangen Tief atmend und nicht grübelnd, wie ihm sei, Hingibt dem schönen Strom die freien Glieder, Und schönen Ufern trägt es ihn ... Sie hält plötzlich inne und sieht sich um. Sie begreift, was geschehen ist, und folgt den anderen. noch auf den Knien, schaudernd vor sich hin. Vorbei! Er richtet sich auf und folgt den andern. Der Vorhang fällt.