Hugo von Hofmannsthal Alkestis Ein Trauerspiel nach Euripides Personen Personen. Herakles. Apollon. Der Tod. Admet. Alkestis. Der kleine Eumelos. Pheres. Stimme. Der alte Sklave. Die alte Sklavin. Ein Jüngling. Ein Edler. Ein Sklave. Männer. Frauen. Sklavinnen. Prolog Prolog auf der Gartenmauer, von einer leisen Musik begleitet, halb Gebet, halb Lied. So liebst du nicht mehr dieses gastliche Haus, Phöbos Apollon? Und liebtest es doch und hast einst nicht verschmäht, Phöbos Apollon, hier dienend im Hause, ein weidender Hirt, zu führen die Herde auf Heide und Hald und mit tönendem Rohr zu berauschen den Wald, Herr, Phöbos Apollon! Da kamen die Luchse und weideten mit, da folgten die Löwen dem Klang und dem Schritt in feuerfarbenem Rudel, gebunden von süßer Gewalt, um deine Zither die bunten Reh hintanzten und ließen für deine Näh den dunklen, schweigenden Wald! Vergißt du, Apollon, so bald, die sterblichen Menschen so bald? während des Liedes von links aufgetreten, geht langsam gegen das Haus zu, blickt durch das Tor ins Innere. Sie rufen mich und singen, daß ich einst in diesem Königshaus, obwohl ein Gott, als Hirte an dem Tisch der Knechte saß. Nicht ungern, fast mit Wehmut denk ich dran, weil immer doch Vergangnes lieblich ist ... So kam es: meinen Sohn erschlug mir Zeus mit bösem Blitz; da ging ich hin und schlug ihm die Kyklopen, seine Knechte, tot, des Blitzes Schmiede; dafür zwang mich er, zu dienen einem Sterblichen, Admet, dem König, der in diesen Gauen herrscht Das ist vorbei: doch ich gewann ihn lieb, den Menschen, meinen Herrn, und weil sie so am Leben hängen, diese Sterblichen, so ging ich zu den Schicksalsgöttinnen und bat für ihn, und die gelobten mir, er mag dem Tode, der ihm droht, entfliehn, wenn einen andern er hinunterschickt statt seiner, aber einen, der so will. Da bebt' er zwischen Scham und Todesangst und fragte; und die Frage, kaum getan, gereut' ihn, und er wäre lieber tot ... Die alten Eltern hatten ihn gehört, allein sie schauerten und schwiegen still. – Da trat sein junges Weib lautlos vor ihn und sagte: »Herr, ich sterbe gern für dich, ich flehe, anstatt deiner gib mich hin!« Da wars erfüllt, und Todesgötter, die unsichtbar, grauenvoll, auf stummen Flügeln mit Todesaugen hingen in der Luft, hörtens und wehten ihren jungen Leib mit leisem Schauer an, und als er wild in Angst die Arme um sie klammerte, umschlang er eine Todgeweihte schon. Sie stirbt, eh diese Sonne sinkt, und ich muß dieses Haus vermeiden, ich, ein Gott, eh noch der Hauch des Todes mich entweiht. Denn schon durchs Gartenpförtchen tritt er dort, der Grauenvolle, ein, der Todesgott, der diese Frau die dunklen Wege führt. Er wendet sich nach rückwärts zum Abgehen. von links auftretend, ein Schwert in der Hand. Ha! Phöbos, immer wachsam, immer da, wos eines andern Tun zu stören gilt! Das ist dir nicht genug, daß dem Admet sein Schicksal du verwandelt, nein, die Frau, die zum Ersatz mir hingegeben wird, die mir zu rauben, hast du sicherlich den Bogen und den Köcher umgetan! Ich tu nicht unrecht. Aber dieses Mannes Elend geht mir zu Herzen. Freilich, dich, dich dazu bringen ... abschneidend. Bringen, daß ich tu, was meines Amtes? Dazu kam ich her. Nein, daß du einen Alten, der zu lang im Leben säumt, ein wandelnd Schattenwesen, hinnähmest statt der Jungen. Schweig. Auch ich – merk! – freu mich meiner Macht. Ich freu mich, junge und schöne Menschen hinzustrecken so! So red ich ganz umsonst? Umsonst. ganz nahe, ausbrechend. Du Hund! Die Menschen und die Götter hassen dich! kalt. Laß sie mich hassen, stärker doch bin ich. Auch dieses hat ein Ende. Ja! Der Held Herakles kommt – und bald! – die Straße hier gezogen, klopft um Gastrecht an dies Tor und kommt dann über dich und ringt mit dir und reißt dir aus den Armen dieses Weib! indem er langsam, mit lautlosen Schritten ins Haus geht. Du redest, redest, aber sehr umsonst. Dies Weib geht heut hinab in Hades' Haus mit mir. Jetzt geh ich dir zum Trotz hinein und rühr ihr Haupthaar an mit diesem Stahl, unsichtbar, stumm. Dann ist sie mir verfallen. Er verschwindet im Haus. Apollon durch die Mitte nach rechts. Pause. Von der Landstraße, rückwärts links, kommen in kleinen Gruppen Edle von Pherä mit ihren Frauen und treten in den Vorhof. Ein paar Männer reden. [Stücktext] [Stücktext] Unheimlich still ists. Stumm, als ob die Luft den Atem einhielte. Totenstill. Wie sagt Ihr? Ein schlimmes Wort! laut, gegens Haus. Ist hier kein Mensch, kein Freund? Kein Diener, der uns etwas sagen kann? Wir wissen nicht, ob unsre Königin lebt oder tot ist. Pause. Große Stille. Einige Frauen reden. Mich graut. Mir ist, als wär die Luft voll Stöhnen und voll Geräusch von Händen, die sich regen. Hört! Klagen sie nicht drin, als wärs geschehn? Alle lauschen. Tiefe Stille. St! Kein Schritt! Kein Mensch! Kommt denn kein guter Gott und wehrt dies Elend ab? Ich meine, wär sie tot, so blieb' es eben nicht so still ... Auch seh ich kein Weihwasser vor dem Tor, wie's Brauch vor Türen von Verstorbenen ... Und Klageweiber müßte man doch hören! Und doch ist heute der Entscheidungstag! Alle flüstern. Heut muß sie hinab. Die Frauen kreischen leise auf. Schweig! Du zerreißt einem das Herz. Die Frau! Solange Leben lebt, ist Hoffnung da. Nein, die ist nimmer, alles ward versucht, auf allen Straßen dampfen die Altäre vom Blut der Opfer. Da ist keine Hilfe. Schaut! eine alte Sklavin! Weh, sie weint! Eine alte Sklavin tritt aus der Haustüre. Lebt unsre Königin? Weh! ist sie tot? Ihr könnt sie lebend nennen oder tot, ist alles gleich. Was solls? Sie atmet, freilich, wenn ihr das für des Lebens Zeichen nehmt, dort hart am Tod, ja, ringend mit dem Tod! Der arme Herr! So rettet niemand? Nein, das ist Geschick! Das Übliche natürlich ist bereit, die Brauch, der Schmuck, worin ihr sie begrabt? Das eine kann sie wissen: keine Frau Der Welt war gut wie sie. Das streitet heilig dir niemand ab. Denn wie sollt eine sein? Wie zeigte eine größre Lieb und Treu, als wenn sie willig für den Gatten stirbt! Das weiß in Pherä jeder Mensch. Allein hört, wie sie diesen letzten Tag verbracht: Sie wußte wohl, daß es der letzte war, machte kein Hehl daraus und schauerte nicht. Nur ihre Stimme – wenn man so sie kennt wie ich – war eigentümlich herb und fremd, als hätte sie Entsetzliches versenkt in ihrer Brust und hätte Angst davor, sich selbst zu rühren mit gewohntem Klang. Heut morgen ging sie an den Fluß und wusch die weißen Glieder, nahm Gewand und Schmuck aus Zedernschränken, tat sich zierlich an und trat zum Altar Hestias und betete: »O Göttin, da der Tod mich nehmen will, bitt ich, behüt die kleinen Waisen mir, gib meinem Sohn ein liebes Weib, der Tochter gib einen edlen Mann. Und beide, o laß sie nicht sterben vor der Zeit wie mich, die Mutter, sondern laß sie glücklich leben ganz bis zum Ende und im Vaterland.« Dann trat sie hin zu jedem Altar im Palast, bekränzt' ihn, flehte zu dem Gott, nicht weinend, ohne Seufzer, und der Tod, der hinter ihr, sie fast berührend, stand, verfärbte nicht ihr leuchtendes Gesicht. Dann ging sie in ihr ehlich Schlafgemach, und vor dem Bett brach sie in Tränen aus und sagte: »Bette, wo ein halbes Kind ich mich zuerst dem Manne ganz ergab, für den ich jetzt mein Leben geb, leb wohl. Ich zürn dir nicht, bringst du doch mir allein Verderben, weil ich dir und ihm jetzt sterbe. Dich gewinnt ein andres Weib, kaum reiner, doch wohl glücklicher als ich.« Sie beugte sich und grub sich küssend in das Bett und weinte so. Und ausgeweint ging sie vom Lager weg, den Kopf gesenkt, und kehrte immer wieder um und warf von neuem schluchzend auf das Bette sich. Die Kinder hingen sich an ihr Gewand und weinten auf. Sie nahm sie in den Arm, eins um das andre küssend, vor dem Scheiden. Die Diener alle weinten mit, und jedem gab sie die Hand und sah ihn freundlich an, und keiner war ihr da zu schlecht, daß sie nicht hörte, was er sprach, und ihm ein Wort nicht sagte. Pause. Solches Elend trifft Admet. Wär er gestorben! Freilich, er wär hin: und jetzt? er floh den Tod, der aber warf dem Fliehnden in den Rücken einen Dolch: die Wunde schwärt ihm fort, solang er lebt! dritte. Besser sterben, den Strick um den Hals, als das erdulden! zweiter. Du redest, du bist jung, du weißt nicht, wie schwer der Tod ist! Sie atmet nur mehr leise. Aber sie will noch einmal heraus ans Sonnenlicht: Ich geh euch anzumelden: es tut wohl, in solcher Stunde nicht allein zu sein. Sie geht ins Haus. Stille. Mir ist, es kommt niemand. Wir sehn sie nimmer! mit ausgebreiteten Armen. O Gott, heilender Gott! Mach unsres Herren Not ein Ende! Gewähre, Gott, gewähre! Du hast ja früher Rat gefunden, gehört, wenn wir zu dir um Hilfe schrien ... leise. Schaut hin, schaut, sie kommt. leise. Auf seinen Arm gelehnt. Er trägt sie fast! Aus dem Haus kommt Alkestis, an Admet gelehnt. Die Kinder. Dienerinnen. Auf den Stufen wird Alkestis auf Polstern und Decken niedergelassen. Die übrigen treten nach links. Die Sonne, schau. Sie streichelt meine Hände. – – – – – – – – – – – – – – – – – – – Und Wolken! wie sie gleiten, gleiten! weh! Schauernd. Die kommen auch nicht wieder. vor sich hinbrütend. Da stehen wir in diesem ganzen Glanz, der keinen Sinn hat, zwei Unglückliche, die nicht den Göttern taten, was den Tod verdient. sinnend. Wenn ich da schau, wie sich das abhebt, das dunkle Dach vom Himmelsblau, da fällt mir etwas ein ... nein ... eine Menge! – –: Du! Von meiner Eltern Haus, wo ich daheim, wo mein Brautbette stand ... Gib nicht so nach, Alkestis, sei doch gut! laß mich nicht so allein! Hilf mir die Götter um Erbarmen anflehn. Ich sehs! ich sehe schon das Boot! Der Totenfährmann steht am Steuer und ruft: »Was säumst du? Schnell! so eil dich doch! Bereit ist alles zu der Fahrt! Komm! Komm!« Schauernd. Ich habe Angst! Admet! für sich. Nein, das geht nicht! Das trägt kein Mensch! Er beugt sich zu ihr. Was für ein Boot, mein Kind? Er holt mich. Weißt du nicht? Er führt mich ja ins Haus der Toten, düster schaut er her! In wachsender Angst. Der mit den schwarzen Flügeln, der! der Herr der Toten, Hades! Laß mich! Laß mich Arme! Laß mich! Ich will nicht diese Wege gehn. Alkestis, hör mich! sanft. Laß mich, laß mich jetzt! Ja, lehnt mich an. So. Dank! Ich bin so schwach! Das ist der Tod. Die Augen werden so voll Dunkelheit! Ah! Kinder! Kinder! Die Mutter kann euch nicht mehr sehen. Freut euch an der hellen Sonne, meine Kinder! halblaut. Das Wort ist bittrer als der Tod. – Ich fleh dich bei den Göttern an, verlaß mich nicht! Bei den Kindern, die du als Waisen läßt, bleib bei uns! Denn stirbst du, leb auch ich nicht mehr, mein Leben bebt in deinem Herzschlag mit. Lieber Mann! Mein Los ist nun einmal gefallen. Aber du hör, bevor ich sterb, noch meinen Willen: Da her! Ganz nah! Du Lieber! Daß du lebst! Ich geb so gern das eigne Leben drum und sterbe willig, könnt ich leben auch und wen ich wollte freien und mit ihm hier in dem schönen Hause wohnen. Nein! Mich lockt kein Leben losgetrennt von dir, mit vaterlosen Kindern! Nein. Viel lieber streif ich dies liebe Leben schauernd ab und werf mich in den dunkeln kalten Strom. Dein Vater und die Mutter, die freilich taten schlimm an uns: den Alten geziemte wohl, für dich sich hinzugeben, dein junges, starkes Leben so erkaufend. Du bist ihr einziger, doch kein zweites Kind statt deiner können sich die Alten hoffen. Dann dürft ich leben, und du weintest nicht und brauchtest keine Waisen aufzuziehen. Doch all das hat gewiß ein Gott gefügt. So denk an das, was ich für dich getan, und was ich jetzt dich bitten will, gewähr! Du hast die Kinder ja so gern wie ich, so zieh sie auf zu Herrn in deinem Haus und führ nicht eine zweite Frau herein, die, schlimmer als die arme Alkestis, neidisch die Hand an deine und meine Kinder legt Das tu nicht, ich beschwör dich, nur nicht das! Stiefmütter sind den ersten Kindern gram, ja, unbarmherzig wie die kalten Schlangen sind. Nicht um den Buben ist mirs bang, der hat an dir den starken Schutz, allein die Tochter! Was wird aus der, wenn irgendeinem Weib der Vater sich vermählt, die bösen Ruf auf ihren Namen bringt und jeden Freier dem jungen Ding verscheucht. Du armes Kind! Ausstatten wird dich nicht die Mutter einst, und in der schweren Stunde, wo nichts nötiger als eine Mutter, bin ich nicht bei dir. Denn sterben muß ich, sterben, heute! hier! In dieser Stunde sagt ihr noch: »Sie war.« – – – – – – – – – – – – – – – – – – – Lebt wohl. Du darfst dich rühmen, lieber Mann, daß du die beste Frau erlesen hast, und ihr wohl eine gute Mutter, Kinder! O sorg dich nicht, daß alles so geschieht! Du warst die meine lebend, und im Tod bleibst du allein mein Weib, und keine Frau trägt diesen Namen, noch der Königin Stirnreif und goldnen Gürtel hier im Land. Der Gürtel und der Reif, die bleiben leer, leer wie mein Herz, wie meine Arme leer, Goldfassung ohne Sinn und ohne Wert, daraus der Dieb den Diamanten brach! – – – – – – – – – – – – – – – – – – – Die mich geboren, haß ich! Meinen Vater will ich nicht ansehn. Ihre Liebe ist ein Wort im Wind, die deine Öl und Wein, nein, Blut, vergossen, meinen Durst zu löschen, aus deinem Herzen deiner Jugend Blut! Wie Vater nicht und Mutter nicht hast du an mir getan! Meinst du, ich traure drum ein Jahr um dich? Was kümmert mich die Zeit! Solang ich leb, ist Trauer meine Herrin, setzt sich mit mir zu Tisch, geht hinter mir und steht des Nachts an meinem leeren Bette und sieht mich an mit eisernen Augen, stumm. Und manches Mal schlaftrunken wähn ich dann, du stündest da, und strecke meine Arme nach ihr und schlafe selig lächelnd ein, bis sie mir ihre kalte Hand aufs Herz hinlegt und schauerlich der Wahn zerrinnt. – – – – – – – – – – – – – – – – – Sonst war mein Haus mit Fackeln, Flötenschall und Blumenkränzen tönend angefüllt, und seine Fugen bebten von Musik! Jetzt steht es hohl und tot, ein Sarg der Lust, wie Früchte innen voller Moderstaub! O komm im Traum nur manches Mal zu mir! Hätt ich des Orpheus wilden, süßen Mund, hätt ich sein Saitenspiel, drauf Herzenslust und Sehnsucht und Verführung und Genuß anstatt der Saiten aufgezogen sind, daß ich, den Schattenkönig und sein Weib, Persephoneia, rührend, aus der Nacht dich rettete! Ich stieg' hinab, und keiner von den Dämonen sollte mir verwehren, dich heimzutragen an das Licht, Geliebte! So bleib ich hier am öden Ufer stehn, ohnmächtig winselnd, bis der Tod mich holt Und dir entgegenführt zum zweitenmal! Habt ihr verstanden, Kinder, wie der Vater gelobte, daß er nie ein andres Weib, mein Flehn mißachtend, euch zur Mutter gibt? Ich schwör es abermals und heilig dir. Jetzt mußt du ihnen auch die Mutter sein. Wohl haben sie mich nötig, dein beraubt. Ich sollte leben, Kinder, und ich muß hinunter! Was beginn ich ohne dich! Ein Toter ist ja nichts! Ein wenig Zeit, und alles dies ist dir so fern und fremd! O verlaß die Kinder nicht! Ich muß fort, Kinder, Kinder! Lebt wohl! Was willst du denn! was willst du denn! Fortgehn. Leb wohl. Sie sinkt zurück. Alkestis! Tot! Tot! Vater, die Mutter macht so große Augen, sie hat so starre Finger. Mutter, hör doch! Sie sieht dich nicht, sie hört dich nicht, wir sind sehr elend, Kinder: arm ist euer Vater! Mein König, tragen heißt die schlimme Not. Wir alle leiden diesen großen Schmerz. Das weiß ich ja. Nicht plötzlich ists gekommen: dies namenlose Leid, ich ahnte es seit langem schon, und manchmal in der Nacht beugt ich mich über sie in solcher Angst, als müßt ich plötzlich, wie die Kerze lischt, ihr Leben mir im Arm auslöschen sehn. So grauenvoll ist, wenn man es bedenkt, das Leben. Also jetzt muß ich hingehn und diese Tote da begraben. Ihr bleibt nur indessen, laßt sie nicht allein, und singt ein frommes Lied dem Gott, den Flehen nicht rührt. Doch ganz Thessalien, soweit mein Speer gebietet, trauere mit mir! Die süßen Flöten, die sie aus dem Holz des Lotosbaumes schneiden, sollen schweigen. Ich will nicht, daß sie mich vergessen lehren! Er geht ins Haus. Die Frauen schmücken die Leiche und bahren sie rechts unter dem vorspringenden Dach auf. Die Männer treten in den Hintergrund. Was legen sie die Mutter auf die Trage? Kann sie denn nicht mehr gehn, hat sies verlernt? Was ziehn sie ihr die schönsten Kleider an? Was geben sie ihr goldne Spangen um? Ist doch kein Fest? Die alte Sklavin nimmt ihn auf den Schoß und redet mit ihm leise. Ein fremder Mann? wann bringt er sie denn wieder? an der Bahre, rezitativisch. Es pflücken die Menschen die Früchte des Lebens, die Wunder der Weite, die Wunder der Nähe. Sie saugen den Zauber der Töne aus Flöten und Königsgedanken aus Träumen der Nacht. Sie fahren im hohen Wagen des Lebens mit stolzen Stirnen den Wunderweg, da springt gegen sie mit eichener Keule und schlägt sie nieder das stumme Geschick. Wir dürfen nicht fragen, wir könnens nicht fassen! O brechet die Früchte, umschlinget einander, beladet mit Leben die fliehenden Stunden, mit Lachen und Liebe, mit Herrschaft und Lust! Was frommen die duftenden, goldnen Sandalen, was frommen die Spangen, was frommen die Blumen, um nieder ins Dunkel zu folgen dem Tod? Sklavinnen heben die Bahre auf, und der Zug geht, singend von allen Frauen geleitet, durch die gewölbten Gänge rechts vorne langsam ab. Nicht des Geiers Schwingen schlage ihr ums Haupt, die wilden, Tod, flieg ihr auf den Mund, ein Falter, schwarz und still im Abendrot! Führ sie nicht die schlimmen Wege zu der blutigen Schatten Schar, laß sie gehn auf Dämmerwiesen, Träumerei und Mohn im Haar! Einer von den Männern am Tor zeigt den andern etwas. Bewegung, wachsende Unruhe. rufen. Er ist es! Von Nemea ists das Fell! Die Keule ists! Der Held Herakles ists! in den Torweg tretend. Geh ich hier recht zur Schwelle des Admet? Treff ich den König, euren Herrn, daheim? O laß mich sie anrühren, Herr, die Keule! Meinst du, es müßte was hinüberzucken vom wilden Feuer der Lernäischen, vom Löwenkampf und von Kentaurenschlachten? So hab ich noch den Herakles gesehn, bevor ich starb, und kann im Schattenland davon erzählen, wenn mich einer fragt! lächelnd. Da hast du gar was Großes, alter Mann! Staunst du auch jedesmal, wenn du den Blitz in alte Bäume fahren siehst? Und doch, der schlägt viel stärker zu als ich und kommt viel weiter her. Der Blitz hat nur noch nie mit uns geredet! Du aber, wenn du nur den Mund auftust, ist einem doch, als wüchsen alle Sterne, als würden alle Wasser feuerfarb, so läuft ein Wind von Wundern vor dir her! Und sag, Herakles, wohin gehst du jetzt, daß du an unsrer Stadt vorüber mußt? Damit ich, wenn ich künftig dieses Tal und die vertrauten Wege seh, mir sag: Auch hier bist du so gut im Märchenland als irgendwo, nur wie der Floh im Pelz; was kümmerts ihn, ob Löwe oder Hund? Zum König Diomedes geht mein Weg. Da mußt du über öde, düstre Berge, wo alles Leben starrt und alles Licht von grundlos tiefen Weihern stumm verschluckt wird. Doch was entreißen willst du diesem König? Kein schönes Weib, dein Auge blitzt umsonst: nur seine Rosse brauch ich. Weh! die wilden! Die aus den Nüstern Feuer sprühn und denen statt Heu lebendge Menschen in die Krippe zu grauenvollem Fraß geworfen werden! ... Die eben locken meinen Herrn, Eurystheus, den König, dem ich diene. Ich begreifs, daß, wer die Hesperidenäpfel hat und wer der Amazonenkönigin knirschenden Gürtel seiner jungen Tochter zum Zierat um die Hüfte legen kann, daß der im Stall gerade nur die Rosse des Diomedes will. Der König kommt! in Trauerkleidung, tritt aus dem Hause. Ich grüße dich, Herakles, Sohn des Zeus. Heil sei dir, König! bitter. Wohl, das wünscht ich sehr. Vergib. Mein ganzes Haus ist dir zu Dienst mit Trank und Schatten, Lager, Herd und Knecht: mich selber nur entlaß, mir ist die Seele wie mohnbetäubt von traurigen Gedanken: in meinem Haus steht eine Totenbahre. Dem Trauernden will ich nicht lästig sein. Daß du um einen Nahverwandten weinst, ich wußt es früher nicht, jetzt freilich geh ich und suche mir ein andres Haus zur Rast. Er wendet sich zum Gehen. sieht ihm teilnahmslos nach; plötzlich besinnt er sich, richtet sich auf und sagt stark. Herakles, nur dies eine tu mir nicht, daß du, ein Gast, umkehrst auf meiner Schwelle! Entlaß mich, und ich dank dirs tausendmal. Ich lasse dich zu keines andern Herd; eh ließ ich meine Toten unbegraben! Ward meine Art so ganz unköniglich, daß ich den fortscheuch, den ich ehren soll? Und dafür solch ein Opfer! Pfui! Die schönsten Früchte bringt man wohl den Gartengöttern, damit der wilde Wind in Sommernächten die schlechte Vogelscheuche uns verschone? Nein! daß er nicht die edlen Äste breche, die Träger goldner Frucht! – Um einen König, um einen milden König über Männer und Land und Flüsse, einen reichen König hat diese sterben dürfen, nicht um einen, der eines Königs Puppe. Hör, Herakles: mir starb kein Nahverwandter, nein, ein Weib, zwar nötig hier im Haus, doch eine Fremde. Sie blieb nach ihres Vaters Tod als Waise bei uns. Gleichviel. Tot sind die Toten. Geht, schließt auf die Fremdenhallen. Du lauf hin und heiß sie Speisen bringen für den Gast, nur hinter ihm verschließt die Tür, ihn soll es nicht im Schmausen stören, wenn sie hier die Totenlieder singen, wie sich ziemt. Er schließt mit schwankender Stimme. Geh ... jetzt ... hinein ... verzeih ... Du siehst mich ... Später! Diener öffnen die Tür der Halle rechts vorne und führen den Herakles hinein. im Begriff ins Haus zu gehen, wendet sich nach den untereinander murmelnden Edlen zurück und sagt stark. Wer mich hier nicht versteht, wer fragen will, wie dieses Tun zu solcher Trauer stimmt, wem alles dies umziemlich scheint und hart, der schweige und bedenk: der König tats. Eine Stufe heruntersteigend. Ihr schautet doch zu meinen Vätern auf und dachtet: »Wenn uns der durchs Feuer führt, ists gut, trägt er doch Helm und Schild von Göttern, und tötet er, so kommts als wie ein Blitz, nur mittelbar, aus eines Gottes Faust.« Ich aber hab viel größeres Geschenk und Gabe, die mich über Menschen hebt, ab Schwerter, die vom Himmel fielen, Rosse, die reden, Flammen um die Stirn und Stimmen aus Bäumen tönend: mir ist auferlegt, so königlich zu sein, daß ich darüber vergessen könne all mein eignes Leid! Der schöne Leib der jungen Königin ward in die Erde eingesenkt als Same: nun sollen Wunderbäume Zweige spreizen, von Taubenschwärmen rauschend; alle Flüsse in meinem Lande sollen kühner rollen in lauterem Triumph und rollend spiegeln den Schatten wundervoll erhöhten Lebens; und Zaum und Zügel aller dieser Wunder will ich wie diesen Stab in meiner Hand beherrschend halten und mein Leid vergessen! Meint ihr, der Mann wär über meine Schwelle getreten, wenn er wüßte, daß das ist, was ich ableugnete? Und dieses Haus soll nicht zum erstenmal ungastlich heißen! Er wendet sich, um ins Haus zu gehen. Unter dem Eingang kommt ihm die Bahre mit der Toten entgegen, von Spielleuten, Fackelträgern und Sklavinnen umgeben. vor der Bahre zurückweichend. So kommt ihr mir entgegen, habts so eilig, sie aus dem Haus zu tragen, fort, hinaus! Wo wilde Winde laufen übern Weg, dort müssen wir dich hegen lassen, müssen zurück ins Haus wie Knechte, wenn der Herr sie aus der Kammer jagt, indessen du daliegst und ihn erwarten mußt, den Herrn, der deine Hände anrührt, und du stehst dann auf, und in der Dämmrung führt er dich den Weg, den keiner kennt! ... Ohnmächtges Denken! Was red ich denn! ich kanns nicht hemmen! Von draußen kommt ein Sklave und tritt zu Admet. Herr! Dein Vater, der fast hundertjährige, mit kindischem Kopf, kommt mühsam gegangen, und seine Diener halten in Händen den Schmuck, daran sich die Toten freuen. Auch das. Es wird mir nichts erspart. So setzt die Bahre nieder. Mit Anstrengung freundlich. Vater, kommst du auch und klagst? Nicht wahr, sie war so gut, so schön! hinter ihm Diener, die Kranz, Schleier und Totenblumen tragen. Pheres ist uralt, fast phantastisch. Mein Sohn, ich fühle tief mit deinem Schmerz: Ein züchtig edles Weib begräbst du da. Nimm hin denn diesen Schmuck, mein Töchterchen, du holde kleine Frau, die nicht geduldet, daß ich hinleben sollte, kinderlos, und dein beraubt, mein Sohn. mit bemusterter Ungeduld. Ich bitte, Vater, machs kurz! So möge dir es wohl ergehn, du armer Schatten, an den schwarzen Wassern, indessen wir uns hier am süßen Leben freuen, Denn wir, Er kichert. wir leben und sind frisch. zu sich selbst. Es ist der Vater, denk, es ist der Vater! Wie grauenvoll, daß bloße Zeit dies wirkt, dies ganz unwürdig hilflos Häßliche, fast wie das Alter selber hassenswert! zu den Umstehenden. Der Männer Glück sind solche Frauen, ja! Und sind sie anders, soll man sie verachten! Admet nimmt leise den Schmuck von der Leiche und läßt ihn mit einer halbunterdrückten Gebärde des Ekels fallen. Ei! nimmst du ihr den Schmuck, den ich ihr gab? Ja, Vater, sei nicht bös, mich dünkt, sie braucht ihn nicht, und mir ist wohler, seit er fort! Sohn, du denkst viel an dich, hast wenig Mitleid mit ihr, die doch um deinetwillen starb. Dein Mitleid! Mitleid hätte dir geziemt, als fürchterlich auf meines Hauses Schwelle der Totenäugige stand und auf mich schaute! Da krochest schaudernd du in dich und schwiegst! Soviel an dir lag, bin ich tot! Du freust dich doch des Lebens, und ich sollt es nicht? Kurz dauerts wohl, ist aber süß. Sehr süß dünkts dir, das merk ich. Und dir nicht? So warsts nicht du, der damals schamlos sich gesträubt und seine junge Frau hinabgestoßen! Rückst du mir Feigheit vor, du Allerfeigster! Und dich hat doch ein schwaches Weib besiegt, die sich dem schönen Knaben opfern ging! Du wirst ja noch unsterblich, findest du nur jedesmal ein Weib gewärtig, dir zulieb, zum Dank für manche süße Lust, zu sterben. schreiend. Vater, solche Worte sprich du lieber nicht, so ohne Scham und Scheu! Daß keiner doch die Wahrheit hören mag! Die Auf die Bahre zeigend. freilich war nicht schamlos! aber töricht! Ich lud dich nicht, ich hieß dich nicht willkommen! Ich will dich nicht! Geh fort und laß die Tote mich doch begraben. Schweig! und geh! geh! geh! Ich geh. Was brauch ich mich hier schmähn zu lassen von einem frechen Burschen. Bin ich etwa ein Sklave? Bin ich nicht ein König, he, so gut als er ein König? Kommt, wir gehn. Pheres mit seinem Gefolge ab. Der Leichenzug ordnet sich, Admet hinter der Bahre. Man hört Herakles in der Halle singen und lärmen. Von dem Trauerzuge löst sich am Tor ein alter Sklave ab und bleibt zurück. Mit dem verhallenden Gesang des abgehenden Zuges vermischt sich das ungefüge, nicht deutlich verständliche, trunkene Singen des. Weiberarme, Weinreben umschlingen das Leben, sonst lägs schon in Stücken, wer sollt sich drum bücken?! dann und wann unwillig auf das Gejohle des Herakles horchend. Ja, lärm nur, roher Bursch! Wahrhaftig, ich hab manchen Fremden hier im Haus bedient mit Trank und Speise, aber keinen schlimmern als den da drin. Tritt trotzig in das Haus, obwohl er unsern Herrn in Trauer sieht! Nimmt – keineswegs bescheiden – was man ihm an Gastgeschenken bietet, ja wenn wir ihm etwas nicht von selber bringen, treibt er uns drum fort! Und setzt sich hin und säuft der schwarzen Reben ungemischten Saft, bis ihm der Wein den viereckigen Kopf erhitzt! Dann kränzt er sich die Stirn mit Myrtenzweigen und beginnt ein Lied zu brüllen, daß es ungefügen Schalls in unsre frommen Totenlieder dröhnt. Und ich steh ihm zu Diensten, schafft der Herr! Wahrhaftig, übertriebne Gastlichkeit! Gegen die Halle. Du Straßenräuber, du! du schlauer Dieb! Dir zu gefallen muß gerade ich wegbleiben, nicht der Herrin letzten Gang, nicht sehen, wie sie Fackeln ihr zu Haupt und schöne Krüge ihr zur Seite stellen und Zaubersprüche murmeln zur Musik! Da gehn sie und sind alle so gerührt und weinen um die gute Frau, nur ich, als wär ich nichts, gehörte nicht zum Haus, muß abseits stehn, nicht besser als ein Hund! ist aus der Tür der Halle getreten, steht im Gang; er ist erhitzt; er trägt den Kranz um die Stirn, den efeubekränzten Becher in der Hand. He! trübsinniger, lächerlicher Knecht! Was guckst du dort dem toten Weibe nach und läßt mich dürsten, den lebendgen Gast! Bist mürrisch gegen einen Freund des Herrn und nur bekümmert um die Fremde dort? Laß die in Ruh, der Tod läßt sein Geheimnis nicht fallen, wie der Apfelbaum die Frucht: warum er Menschen ausbläst und die Lampen daneben ruhig weiterbrennen läßt! Komm her, merk auf, daß du gescheiter wirst, und bring mir mehr vom dunklen Saft der Mutter! Im Rausch begreifst du alles, auch den Tod! – Ich würgte einmal einen Riesen tot, weiß nicht mehr wo, der war der Erde Sohn und prahlte, durch die Sohlen ströme Kraft ihm auf, wie durch die Wurzeln in den Baum. Ich hob ihn in die Luft und würgt ihn dort! Nüchterne Menschen sind wie der arme Narr, und zappelnd sehnen alle sich zurück nach ihrem Muttergrund, der Trunkenheit! Göttliche Art der Trunkenheit vielleicht ist, was wir Totsein heißen! Weintrunkne und Verliebte, die Berauschten der Kypris, schaun mit solchen sonderbaren Augen auf einen, als ob sie, aus Dämmrung voll Wundern, zwinkernd ins Alltäglich-Grelle einträten –: kämen aber Tote wieder, sie hätten noch viel wundervollre Augen, so vollgesogen innerlich mit Wundern – mit riesenhafter Lust, mit schwarzen Flammen, und was noch sonst im Herzen träumt der Erde – wie Diamanten, die vom Licht des Tags, dem eingeschluckten, nachts unmäßig strahlen! Ja, irgendeine schlechte, blöde Magd käm aus dem Tor des Todes so zurück, wie ihr erschauernd eine Göttin träumt, mit bösem, süßem Mund und dunklem Blick! Noch immer mürrisch? He, das schickt sich nicht! Der Tag ist nicht danach, daß es sich schickt, zu lächeln. Etwa wegen dieser Fremden? Des Hauses Herren leben, daran denk. Die leben? du kennst nicht des Hauses Leid? Wohl, wenn mich dein Gebieter nicht belog. Mein König, allzu gastlich ist dein Sinn! Soll ich der Fremden halber unbehaglich mirs machen? Fremd! Das ist das rechte Wort! So hat Admet das Rechte mir verhehlt? Entlaß mich, Herr, uns kümmert unsres Herrn Geschick. betreten. So klagt man nicht um fremdes Weh! Dann hätt ich dir dein Johlen nicht verdacht! So hat mein Gastfreund falsch an mir getan! Zu keiner guten Stunde kamst du, Herr! Wir haben Trauer. Schau: geschornes Haar und schwarze Kleider. Ist der Vater, red, dem Herrn gestorben? von den Kindern eines? Herr, es ist unsre Frau, die Königin! Was? und trotzdem verhehlt ers, nahm er mich so auf? Weil er dich nicht fortweisen wollte, weil er sich scheute. Wohl, er sah so drein, so ganz verstört wie einer, neben dem der Blitz in Boden fuhr – Ich wollte nicht herein, allein ich überwands, weil er mich bat – Und da bin ich gesessen und hab getrunken, ja ich sang, mir scheint. Er legt den Kranz ab, stellt den Becher weg. Du, du bist schuld, warum hast du mirs nicht gesagt Er schüttelt ihn an den Schultern. Er wehrte mirs, Herr, er verbot mir, nur mit feuchten Augen dir zu nahen. Du, das ist schön! Das ist viel mehr als Trunk und Gastgeschenk, wie's Könige wohl geben. Wenn solche Sitte in den Menschenköpfen jetzt wüchs, da würde vieles seltsam anders: Der nahm mich in sein Haus und lächelte, obwohl er innen wilden Jammer trug! Der schweigt wohl auch, wo er der Stärkre ist, und läßt den Schwächern prahlen! – Mann, ich will mich nicht vor dir so was wie schämen! Mann, ich geh und hole dir dein Weib zurück! ... Ungeduldig, da der Sklave seine Raschheit nicht begreift. Der Platz, wo er sie hingelegt, dem Tod zur Beute? Herr, du siehst, dort wo den grauen Olivenhain die weiße Straße schneidet. Drei Pinien beugen sich – – auf einen Weiher, ein altes heiliges Wasser. Und der Weg? Der nächste übern Kamm des nackten Hügels. Hin stürm ich, leg mich in den Hinterhalt, und kommt der schwarzbeschwingte Schleicher Tod, mit gierigen Lippen Blut den schwarzen Lämmern aus ihrem Hals zu schlürfen, werf ich mich auf ihn und drück ihn hart und würg ihn wild, und keine Macht der Welt entreißt ihn mir, eh ich die Tote ihm. Allein, verfehl ich ihn und kommt er nicht zum blutigen Mahl, so steig ich nieder zu des Hades Haus im sonnenlosen Land und bitt sie los, ich führ Alkestis in des Freundes Arm zurück! Er soll nicht sagen, wohlgetan hab er, der Edle, einem schlechten Mann! Herakles ab, der Sklave ins Haus. Die Bühne bleibt eine Weile leer. Dann kommt Admet, auf seinen Stab gestützt, hinter ihm die Männer. Aus leeren Augenhöhlen starrst du her, mein Haus! Öd streicht die Luft durch Leeres hin, die Bäume brüten häßlich, stumm ist alles! Gebt einen Mantel, mir ist kalt. Er hüllt sich ein und setzt sich dumpf brütend auf den Steinsitz rechts vorne; die Männer stehen links zurück. Als Kind in Winternächten, wenn ich allzu schwer den satten Glanz des Lichts, lebendiges Wasser und andres Sommerglück entbehrte, da hielt ich die magern Hände vor ein Licht und freute mich am Purpur meines Bluts: das war doch schön und blieb doch immer mein! Das andre kommt und geht, so eingekernt in stumpfe Schalen, so unwesentlich so sich entziehend, während es sich gibt! Er hält seine Hand gegen den Himmel, wie um durchzuschauen. Das Licht ist schon zu matt, es glüht nicht durch! Und doch bebt deines Herzens Herz, Alkestis, hier drin, und solcher Aufschwung, solche Träume, die ohne dich in dieses Blut nie kamen ... tritt hinter ihn, beugt sich über seines Sitzes Lehne und sagt. So wie vor heilgen Quellen, Götterbäumen und andern Wohnungen der Himmlischen, so beten wir vor unsrer Herrin Grab: »Heil, Holde, dir, gewähr uns Gutes, Herrin!« Und wenn sie dran vorübergehn, sagt einer: »Sie starb um ihren Herrn, nun ward sie Göttin, ja, Kinder, selge Göttin, nicht geringer als andre, die der Adler aufwärtstrug oder der Erde heilger Mund verschlang!« Kanns dich nicht trösten, König, hörst du das? Admet starrt teilnahmslos vor sich hin, ohne auf ihn zu achten. Kämst du im Traum nur manches Mal zu mir ... das wär mir mehr, als ich begreifen kann. Nein, gäben meines Bluts Atome nur, was sie von dir umschlossen halten, frei, dann träumt ich fort von dir und wüßte drum! So aber träum ich dumpf in solchen Tiefen der Seele, draus nur Ahnung Kunde gibt von dir, wie von den andern Göttlichen, den Göttern oder Bäumen oder Quellen: denn alles dies lebt irgendwo in uns: da saugt die dunkle Wurzel unsrer Kraft wie blinde Hündlein an der Mutter Zitzen! Er wiederholt halb unbewußt. Wie Vater nicht und Mutter nicht hast du an mir getan! Pause. Tot! Tot! Kann denn das sein? Nicht da! nicht dort! und kommt nie mehr herein! Er sagt die Worte vor sich hin, als verstünde er sie gar nicht; erst nach einer Weile scheint er sie zu fassen und bricht in Schluchzen aus; wie er den Kopf hebt, sieht er vor dem Tor ein paar Frauen vorübergehen; fast schreiend. Ich trag den Anblick eurer Weiber nicht! Er steigt die Stufen im Hintergrund zur Mauer empor. Das Land ist fürchterlich! die Wiesen reden von ihr, die Teiche sehnen sich nach ihr! Die Bäume sind, als ob sie weinen wollten, Stöhnend. seid lieber häßlich, starr und stumpf als so! Pause. Aufschreiend. Zu mir, Adrast, zu mir! schaut hin! schaut hin! Mich dünkt, ich seh den Tod mit meinem Weib! Der Mann, dort! dort! dort! dort! er führt ein Weib! am Tor hinausspähend. Herakles, Herr, dein Gast ists, Herr! der tritt mit einem fremden Weib jetzt aus dem Hohlweg. Erkennst ihn nicht? Er kommt ja auf uns zu! Herakles kommt zurück, eine vollständig verschleierte Frau (Alkestis) an der Hand führend. Soll ich frei reden, Herr, zum Freunde frei? Als ich in deinem Leid dir nahte, da hätt ich mich gern als Freund erprobt, doch du verschwiegst mir deinen Kummer, nahmst mich auf, als wärens fremde Leiden nur, die dich bekümmerten. Und ich bekränzte mich in deinem Unglückshaus und trank und sang! Das tadl ich, tadle, daß mir das geschah. Allein genug davon. Nicht Vorwurf noch will ich zu deinem Leiden häufen, Freund Weshalb ich wiederkomme, hör, Admet! Bewahre mir dies Weib in deinem Hause, bis ich den König Diomed erschlug und wiederkehre mit den wilden Rossen. Doch trifft mich, was fern bleibe, halte sie als mein Geschenk im Haus als Dienerin. Nicht leicht erwarb ich sie, der Kampfpreis wars in einem harten Ringen, doch davon erzähl ich dir ein andermal. Vielleicht lobst du mich dann sogar für meinen Kampf: Bewahr sie gut, Admet, sie ist mir wert. Du mußt nicht falsch verstehn, warum ich dir mein unglückselig Los verbarg; es wäre ja nur zum alten neues Leid gekommen, scheucht ich dich von der Schwelle, und genug hatt ich zu tragen schon an dem, was war. Doch dieses Weib, ich bitte, wenn es angeht, heiß einen andern Gastfreund dir bewahren, der nur gerade nicht mein Leid erfuhr. Ich könnte dieses Weib nicht sehn im Haus und ohne Tränen bleiben! ... Mit wachsender Erregtheit. Die dumpfe Starrheit meines Innern löst in Sehnsucht qualvoll ihre Gegenwart, vergeßne Dinge weben durch mich hin, ein Schauer von Alkestis rührt die Fibern, und grauenhafter spüren sie das Leere! Zwischen zu Boden sehn und sie anschaun durchleb ich neu das Wissen des Verlusts, den Blitz, den Wahn, als wär es nur ein Traum, und abermals Hinfallen in das Nichts. Das ist zu viel. Mir ist mein Gram genug. Dann: sie ist jung, ich sehs an diesem Schmuck: zu viele Männer hab ich hier im Haus, und wahren möcht ich doch des Freundes Gut. Und meiner toten Frau Schlafkammer ihr einräumen? Nein, Herakles! Sieh, und wenn ichs tät, die Menschen reden ließ und schmähn: »Vergessen hat er seine Retterin und ruht in eines fremden Weibes Arm!« Auch das, auch das! allein ich kann doch nicht, nicht wahr, ich kann doch nicht! die Tote kränkts; ich hasse, es zu denken! Aber du, Von ihrem Anblick unwillkürlich ergriffen. wer immer, Frau, du bist, Alkestis gleichst du, das wisse ... zwar du weißt nicht, was im Grund ... Er bricht ab. Ah! bei den Göttern! schaff mir aus den Augen dies Weib, o quäle mich Gequälten nicht! Wenn ich sie sehe, glaub ich mein Gemahl zu sehn, ja mehr, mein Leben kommt zurück! Mein Schmerz und alles Fühlen fällt von mir! Und lautlos wie ein Schleier löst sich ab vom nackten Ich das bunte Schicksalskleid. Mit innerem Schauer. Als trüge mich der Adler in die Luft und unter meinem Fuß versänken die verlaßnen Lebensfluten dieser Welt! Ein Schauder geht von dieser Fremden aus, als wär sie aus dem Herzen aller Dinge ans Licht getreten! Weh! ans Licht! Die Toten, die kommen auch nicht wieder! Herber Kummer, den ich da wieder kosten muß. O hätt ich die Macht von Zeus, aus Hades' dunklem Haus dir dein Gemahl zurückzuführen, könnt ich dir diesen Liebesdienst erweisen! Wohl, allein du ahnst ja nicht, wie schwer es ist! Es frommt ja gar zu nichts, das neue Seufzen! Das Wort der Klage ist verlorner Atem! Das weiß ich selber, aber Sehnsucht schreit in mir und fragt mich nicht und macht mich elend, elender, als ich sagen kann! Dein Kummer ist neu, allmählich lindert ihn die Zeit. O ja, die bringt ihn schließlich auch zur Ruh, bringt sie doch einmal mir den Todestag! Es heilt ein Weib und neuer Ehe Lust den Jammer. Schweig! Das hätt ich nicht gedacht von dir! Wie? willst du ewig Witwer sein? An meiner Seite ruht kein zweites Weib! Meinst du vielleicht, das nützt der Toten was? Ich will sie ehren, wo sie immer sei! Das ist sehr schön, doch töricht, nimmt mans recht. Werd ich der Toten untreu, an dem Tag will ich auch sterben! Alles gut und schön. So nimm das Mädchen hier an deinen Herd. Niemals! Bei deinem Vater Zeus, verschon mich! Schwer wirst du fehlen, tust dus nicht. Und wenn ichs tu, so schaff ich mir die ärgste Pein! So tus, Herr, mir zuliebe! Freundesdienst frommt sicher, so begehrt und so gewährt! O hätt er die im Kampf sich nie gewonnen! Ich siegte nun einmal und du mit mir! Schön, schön. Allein, das Weib heiß von dir gehn. Nun, wenn sie gehn muß, geht sie. Überlegs. Sie soll schon müssen, zürnst nur du mir nicht. Ich wünsche, Herr, ich bitte, nimm sie auf! So habe deinen Willen; ehrlich, Freund, mir tut das alles wenig wohl von dir. Du sollst uns schon noch loben, folg nur jetzt. Führt sie hinein, ich muß sie dann wohl nehmen. Herr, deinen Knechten überlaß ich nicht dies Weib. So führ sie selber, wenns beliebt. In deine Hände, König, geb ich sie. Ich rühre sie nicht an, sie trete nur ins Haus. Ich werde deiner rechten Hand sie anvertrauen, keinem andern sonst! Du zwingst mich, widerwillig muß ichs tun. Streck aus die Hand, Admet, und rühr sie an. Wohl aber so, als wärs der Gorgo Haupt. Er rührt sie mit abgewendetem Gesicht an. Du hast sie? Ja! So wahre sie. Er nimmt ihr den Schleier vom Gesicht. Du rühmst dereinst: ein edler Gastfreund sei der Sohn des Zeus. Schau dieses Mädchen an, mich dünkt sie gleicht Alkestis, deiner toten Frau! wendet sich um. O Götter! Was? was soll ich sagen? bist du mein Gemahl? Sich gewaltsam zurückhaltend. Nein, nein, du bist ein Spuk von irgendeinem bösen Gott, um mich zu quälen, boshaft ausgeheckt. So schau sie an! O wär es nur kein Schatten aus dem Hades, wärs nur lebendig! Rede doch mit mir! Herr, steht hier wahrhaft meine Frau vor mir? Herr, darf ich sie berühren? Herakles! Red ich sie an? Admet, nicht Schatten führt ein Freund empor, an der Lebendigen erfreue dich! zweifelnd. O meiner Liebsten Aug und Leib! Ich hab dich wieder, die ich nimmermehr gehofft zu sehn? Du hast sie: fern sei dir der Neid der Götter! ohne auf ihn zu achten. Weh! Mich faßt ein Schauer an! Warum so lautlos steht mir diese da? Was ist da Fürchterliches um sie her, daß sie so steht und schweigt und daß sich lechzend die Seele aus weitoffnen Augen legt? Solang die Totenweihen nicht von ihr genommen sind, solange bleibt sie stumm. Drei Tage schweigt sie, bis die Lebenslust aus ihrer Seele nimmt, was übermenschlich- unsäglich ihren innern Sinn erfüllt und wie im tiefsten Traum gebunden hält: So führe sie hinein und nenn sie dein; ausschöpfen kannst du nie den Sinn davon: Des Lebens Früchte geben sich nicht uns, sie lassen allenfalls sich nehmen: diese gab sich dir hin und gibt sich dir aufs neu so ganz, wie kaum dir selber du gehörst. Sei stets den Fremden hold, du weißt doch nie, wer dir, ein Heiland, wandeln übern Weg und aus dem Herzen aller Dinge kommen und wiederbringen kann, was sich verlor. Und, König, übe stets Gerechtigkeit: wie der Granatapfel die vielen Kerne hält, die in sich die Keime alles Guten – Leb wohl, Admet. So bleibst du nicht bei uns und setzt dich an den Herd mit unserm Glück, Herakles? Nein, zum wenigsten nicht jetzt. Zu Diomedes muß ich, meinem Herrn die Rosse rauben. Doch vielleicht, daß ich Leise Musik. am Rückweg wiederkomme; kann auch sein, nie mehr. Lebt wohl! Leb wohl und sei gesegnet! Er führt sie ins Haus; beide bleiben auf den Stufen stehen und sehen dem langsam abgehenden Herakles nach. Vorhang.