2. Und wieder hieb, Taub für den Wahnwunsch, Den tausendfältigen Ihres Geschlechts, Unbarmherzig Mit eherner Schneide Die Zeit in ihr Kerbholz: Wieder ein Tag! Und wieder nun wandelt, Fröhlich wie immer, Singend der Abend Durch das Goldthor des Westens Den hängenden Gärten Der sinkenden Sonne zu Und leis verhauchen, Vor Wehmuth zitternd, Ihr tönendes Leben Ins Spätroth die Glocken, Die Trauerglocken Zu Lübeck, der Stadt. Und immer stiller Wird es und stiller – Und immer dunkler! Längst ist zerstoben In alle vier Winde Des todten Dichters Letztes Geleit. Nur hie und da noch Am Brunn auf dem Marktplatz, Oder im Winkel Der dämmrigen Gasse, Mit verschränkten Armen Gelehnt an die Hausthür, Erzählt vertraulich Der Nachbar dem Nachbarn, Aus braunem Meerschaum Bläuliche Wölkchen Ins Zwielicht blasend: Wie auch er, Schon am frühen Morgen, Den wuchtigen Hammer Bei Seite gelegt Und staubüberdeckt Den blauen Werkeltagskittel Vertauscht mit dem schwarzen, Wohlgebürsteten Sonntagsrock. Wie er, begleitet Von seinem Vetter, Dem Fabrikanten, Drauf gravitätisch In modischem Aufputz Dem Zuge gefolgt sei; Und wie auch er dann Von seinem Gönner, Dem Herrn Senator, Die Gunst sich erwirkt Und dem grossen Todten, Dem Ehrenbürger Der freien Vaterstadt, Feuchten Blicks Eine Hand voll Erde Ins Grab geworfen. Und immer dunkler Wird es und dunkler – Und immer stiller! Das bleiche Antlitz Von Schleiern umhangen, Von Haus zu Haus Wandelt die Nacht. In Erkern und Giebeln Blitzt es von Lichtern auf Und leuchtende Streifen Fallen wie Gold Durch die Scheiben der Fenster Weit auf die Gasse. Kaum, dass ein Wandrer, Der nachtverspätet Den Heimweg sucht, Sie quer durchschneidet. Aber droben im traulichen Zimmer Am warmen Kamin, Umringt von den Kindern, Sitzt die Hausfrau; Und auf den Schooss Hebt sie ihr jüngstes, Blondes Töchterchen, Die kleine Ada; Und hochaufhorchend Vernehmen die Mäuschen, Dass der alte Mann Mit dem weissen Schneebart, Den sie erst gestern noch, Umduftet von bunten, Zaubrischen Blumen, In einem schmalen, Glasüberdeckten, Schwarzen Kasten Bleich und reglos Liegen gesehn, Ein König gewesen, Dessen Reich So schrecklich gross war, Dass drin die Sonne Nie untergegangen. Und wie die Mutter Den kauernden Kindern Dann weiter erzählt, Dass der todte König Auch noch ein Zaubrer war, Der die Sprache der Vögel verstand Und das Duften der Blumen, Das Wehen der Winde, Das Funkeln der Sterne, Das Rauschen der Wälder, Ja, selbst den Herzschlag der Menschen, In wunderselige, Geheimnisssüsse Zauberlieder zu bannen gewusst: Da nickt auch der Vater, Der seitab im Lehnstuhl Ueber die Zeitung gebückt Mit halbem Ohr Der Erzählerin lauscht, Und still überdenkt er Das Leben des Dichters, Des todten Dichters, Und siehe auch ihm, Dem Skeptiker, däucht's nun Fast wie ein Märchen! Und weiter draussen Immer weiter, Von Haus zu Haus, Wandelt die Nacht. Immer stiller Wird's auf den Gassen, Immer dunkler Werden die Fenster Und ein Licht lischt nach dem andern aus. Wo aber einsam, Die schlaflosen Züge Vom Goldlicht der Lampe Sanft überhaucht, Noch ein Menschenkind wacht, Da wühlt es sich nicht mehr In düstre Probleme, Da fragt es sich nicht mehr Um Sein oder Nichtsein, Wie weiland Hamlet Oder Faust: Ein kleines Büchlein Mit blankem Goldschnitt Hält es entzückt In seiner Hand, Und golden träufelt Aus jedem Liede, Das lustberauscht Sein bebendes Lippenpaar Klangvoll ausströmt, Bezaubernder Wohllaut Ihm ins Ohr. Er aber, er, Der einst vor Jahren, Vor langen Jahren, Mit seinem warmen, Rothen Herzblut Die Blätter beschrieben, Dass nach Jahrhunderten noch Der spätgeborene Enkel – Zieht er sie prüfend Aus seinem Erbschrein Wieder ans Licht – Von ihrer Räthselkraft Magisch durchzuckt wird Und die Blätter, Die unscheinbaren Blätter, Nicht hergeben will, Nicht um Gold und Gesteine: Er schlummert die Nacht nun, Die erste Nacht auf dem Friedhof! Silbern stiehlt sich der Mond Durch das grüne Gezweig Und spiegelt sich wieder In den tausend blanken Blättern, Die trauernd der Lorbeer Seinem Liebling Aufs Grab gestreut; Und weinend breitet Die ewige Liebe Ihre schirmenden Fittige Drüber aus. Noch hat der Lenz Aus seinem Füllhorn Die schönsten Blumen, Die lieblichsten Düfte Nicht über die Erde gestreut, Denn noch weilt die Nachtigall »Fern im Süd« Und klang- und duftlos nur Grünt der Flieder. Aber die Liebe, Die Allurewige, Glaubend und hoffend Hebt sie ihr Antlitz, Ihr thränenumflortes, Hoch empor Zu den ewigen Sternen; Und mitleidsvoll Leiht der Allgütige Ihrer Klage sein Ohr. Mit dunklen Schleiern Die Gräber um sie Rings überdeckend, Zeigt er der Lächelnden Ein farbenschillerndes Bild der Zukunft. Da wird es licht um sie, Ihr von den Augen Fällt es wie Schuppen Und durch ihr Sinnen Zuckt's wie ein Traumgesicht: Hochauf recken Die Thürme von Lübeck, Die sieben Thürme, Die vielbesungnen, Sich blitzend ins Morgenroth Und aus den Gärten, Den vollerblühten, Am Ufer der Trave, Schluchzt nun die Nachtigall Ihr erstes Lied! Aber durchs Stadtthor Auf staubiger Strasse Am schwarzen Gitter Des Friedhofs vorbei Ziehen zwei Bursche, Zwei junge Bursche Mit Ränzel und Knotenstock, In die weitweite Welt, Und jubelnd ringt sich Aus ihren Kehlen, Aus ihren Herzen Das alte Lied: Der Mai ist gekommen! Der Mai ist gekommen! Nicht sie allein nur Sind's, die es singen: Ein ganzes Volk, Eine ganze Welt singt's! Und auch er selber, Der Schwan von Lübeck, Freudig nun stimmt er Mit in sein Lied ein; Ist doch auch ihm nur Nach irdischem Winterleid Himmlische Lenzlust Herrlich erblüht. Auf schönerem Stern Der dunklen Schatten Der dunklen Erde Eingedenk, Webt eine Glorie Ihm um das Haupt nun Das kleine Wörtchen: Unsterblichkeit! Also sinnend Und in das Göttliche Tief sich versenkend, Vergisst die Liebe, Die ewige Liebe, Rund um sich her Tod und Verwesung Und durch das Herz ihr Zittert das Echo, Das wundertröstliche: »Hoffe du nur!« Aber die Stunden, Die lachenden Dirnen, Goldsohlig wandeln sie Ueber das Grab. Und wie allmählich Korn auf Korn Durch die Sanduhr rinnt, Blitzt es röthlich Am Horizont auf. Flammend entsteigt Die junge Sonne, Die Morgensonne Des ersten Ostertags, Dem wogenden Fluthmeer Der blauen Ostsee Und lächelnd grüsst sie, Mit tausend goldnen, Flackernden Lichtern Es blitzend umspielend, Zum ersten Mal – Das Grab ihres Dichters.