Arno Holz Buch der Zeit Lieder eines Modernen Widmungsepistel Seinem lieben Freunde Emil Richter der Verfasser. Dir, den ich freudig meinen Bruder nenne, Sei dieses Büchelchen hier dedicirt, Zu dessen Autorschaft ich mich bekenne, Obgleich es streng genommen mich genirt; Denn sieh, es ist zu frei in seinem Tone Und hier und da vermiss ich die Schablone. Doch sei's! Bespucken mich auch links und rechts Die alten Weiber beiderlei Geschlechts, Du weisst ja selbst, ich sag es unverfroren; An meiner Wenigkeit ist nichts verloren! Als Motto über meine Weltkarriere Setz ich vergnügt per Gummitopf und Scheere Den Schluss des Beranger'schen Scherzgedichts: Als Gott mich schuf, da sprach er: Werde nichts! Wozu sich auch dies winzge Spännlein Zeit Auf diesem Erdstaubkörnlein noch verkürzen, Anstatt mit ungestümer Freudigkeit Dem süssen Leben heiss ans Herz zu stürzen? Ich trug noch nie, vom Sturm umhergetrieben, Warum im Zorn mich die Natur erschuf; Die Götzen hassen und die Götter lieben Dünkt mir der einzig menschliche Beruf. In allen Himmeln weil ich weltvergessen Und immer höher nehm ich meinen Flug, Und mit Papier verkleb ich unterdessen Die Fensterscheiben, die der Wind zerschlug! Ein grimmer Todfeind aller Jeremiaden, Missbrauch ich Tinte, Feder und Papier Als Dichterling von meinen eignen Gnaden Und unverbesserlicher Verspolier. Nach Amt und Titel seh ich tausend schnappen, Im Golde wühlt der jüdische Banquier, Ich aber kuck vergnügt durch all die Lappen Der Welt bis in ihr tiefstes Negligee. Und wird es auch tagtäglich immer bunter, In meinem Reich geht nie die Sonne unter! Denn alle Wunder dieser Welt sind mein: Der Chimborasso und der Drachenstein, Timbuctu, die Ruinen von Palmyra Und Memnons steingeformte Sonnenlyra. Die alten Völker und die alten Zeiten Stehn leuchtend auf, wenn sie mein Lied beschwor Und hört es gar die Griechengötter schreiten, Dann wird mein Herz gross wie ein Tempelthor! Ein Luftschloss baut mir jedes Körnchen Sand Von Heliopolis bis Niniveh, Auch wohnt ein Freund von mir in Samarkand, Am Südpol und am Titikakasee! Vertraut ist mir die Weisheit des Confuz Wie die des Mannes aus dem Lande Uz, Und Altchaldäas graue Zeichendeuter Sind mir verständlich wie ein Band Fritz Reuter! Selbst was die Isispriester in Aegypten Einst klug versenkt ins Pyramidengrab, Auf mein Geheiss entsteigt es seinen Krypten, Und wirlt den tausendjährigen Moder ab! Doch greift zumeist ans Herz der Kreatur Die süsse Schönheit dieser Allnatur. Was soll der Himmel dem und seine Pracht, Den sie zurückstösst in die alte Nacht? O, lieber sündhaft und von Fleisch und Bein, Als transcendent und wie die Engel sein! Mein goldner Liebling ist die Morgenröthe, Die freudig aufsteigt überm dunklen Tann, Und, wenn ich's will, stimmt, weich wie eine Flöte, Die Sommernacht ihr dunkles Waldlied an! Die Sterne kreisen, bis mein guter Wille Sein winzig Tintenscepterlein verlor, Und seine goldgefasste Rosenbrille Lieh mir der alte Weltkauz Gott Humor! Der Wald steht wie ein beinernes Gerippe Vor Kälte klappernd im Novemberwind, Doch nur ein einzig Lied von meiner Lippe Und siehe, all sein Wintereis verrinnt! Die Quelle, die begraben unter Gletschern, Denkt wieder silbern an ihr süsses Plätschern, Und tausend wundergrüne Blättlein singen Wie Aeolsharfen, die im Lenzwind klingen .... Das wilde Meer und seine wilden Riffe Sind mir vertraut wie nur ein Hälmchen Gras, Und mehr als Ein Mal liess ich meine Schiffe Erbarmungslos zerschellen wie ein Glas. Was sollte mir wohl auch ein Schock Matrosen, Wo eine Welt mir licht zu Füssen lag, Und neugeschaffen jeder neue Tag Mich überschüttete mit rothen Rosen? Drum lächle ich, wenn meine Herrn Collegen Sich tragisch vor den grossen Spiegel stellen, Dort ihren Missmuth wie ein Aeffchen hegen Und sich ihr bischen Leben selbst vergällen. Zuwider sind mir jene faden Possen Von einem ewigen Pessimistenleid, Denn ich bin jung und noch zu tief verschossen In Gottfried Kellers »grüne Erdenzeit!« Ich trinke ihre Luft in vollen Zügen Mit Wipfelwehen, Licht und Adlerschrei, Und kein Talarmensch soll mich fromm belügen, Dass diese junge Liebe »sündhaft« sei! Lasst nur die ewig biblischen Asketen Sich selbst in die Kameelshaartoga zwängen Und nicht uns junge, lachende Poeten, Die sich den Himmel noch voll Geigen hängen! Zwar hab ich dann und wann »verrückte Touren«, Doch zieh ich niemals vor mir selbst den Hut Und braue meine lyrischen Mixturen Aus Zuckerwasser und Tyrannenblut! Auch bin ich Heide und als solcher cynisch Und hasse nichts so wie die Prüderei, Steh nicht zum Besten mit der Polizei Und bin vor allem Eins nicht: misogynisch! Ja, ich geb's zu: Ein Weltkind bin auch ich Und mag es leiden, »wenn der Becher schäumt«, Und weiss trotz Don Juan wie süss es sich An einem schönen Weiberherzen träumt! Drum würgen möcht ich jene schwarzen Heuchler, Die auf den Kanzeln jesuitisch flennen Und hinterrücks als feige Unschuldsmeuchler Die denkbar schlüpfrigsten Finessen kennen! Ein Narr, wer heut sich nicht zu helfen weiss: Erst schielt dies christlich frömmelnde Geschmeiss Nach vollen Brüstchen und nach drallen Wädchen Und dann – schreibt's Andachtsbücher und Traktätchen! Doch dies und Andres auszusprechen, Ist heut ein Majestätsverbrechen; Denn »echt« kann man als Dichter sein Nur harmlos wie Hans Huckebein! Zwar glaub auch ich, dass unsre Ahnen Affen, Doch will ich heut mal mythologisch sein Und sage, Gott hat Eva nackt geschaffen, Das Feigenblättchen kam erst hinterdrein! Doch, Ihr verzeiht! Ich wollte ja dies Thema Als all zu spitz nicht länger mehr tractiren, Auch nöthigt mich zudem mein dummes Schema Mich schleunigst in ein Andres zu verlieren! Da sind vor allem jene Glaubenseifrer, Die Finsterlinge und die Weltbegeifrer, Die überall, wo sie noch Herzblut wittern, Uns unser Leben demuthsvoll verbittern! Zwar immer opfert noch der Riese Wahn Dem alten Vicegott im Vatikan Und immer schneidern sich noch die Germanen Aus Christi Windeln bunte Kirchenfahnen: Doch ob er manchmal auch ihr Glück zerfrisst, Der beste Freund der kranken Menschheit ist Vom Oelberg bis zur – Reim her! – hohen Eifel Der alte Weltprofessor Doctor Zweifel! Vermorscht ist endlich in sich selbst die Zeit Der hohlen Köpfe und der leeren Worte Und ihrem sichern Untergang geweiht Sankt Peters kahlgeschorne Schmutzcohorte! Doch glaub nicht, dass man als »Tendenz«-Poet Die »Segnungen der Kirche« nicht versteht! In manchem Münster nistete die Taube, Vor der Legende bog die Welt ihr Knie; Des Mittelalters frommer Köhlerglaube, Ich weiss es wohl, auch er war Poesie! Im Klostergarten wehten grün die Eiben Und man vergass so gern den grellen Tag, Wenn zitternd durch die buntbemalten Scheiben Das Mondlicht silbern auf den Fliesen lag! Doch jene Welt gebiert sich nimmer wieder, Denn unsre Zeit nennt sich die Zeit des Lichts Und andre Menschen wollen andre Lieder Und für's Gewesne – giebt der Jude nichts! Man glaubt nicht mehr an »himmlische Gesichte« Und flüchtet skeptisch sich ins Voltairethum: »Der grösste Schwindel dieser Weltgeschichte, Der grösste Humbug ist das Christenthum!« Noch war, seit es die »Heiden« sich geduckt, Kein Tag, an dem es nicht sein Blut geschluckt! Und wagt sich frömmelnd pfäffische Sophistik An die Behauptung, dass mein Vorwurf hinkt, Dann schlagt nur nach die grause Blutstatistik, Die wie ein Schandpfuhl wüst zum Himmel stinkt! Millionen hörte die Geschichte jammern Auf Scheiterhaufen und in Folterkammern, Denn jenes Kreuzbild schreckte Mann und Weib, Ja, selbst den Embryo im Mutterleib! Von ihrer »Bruder«-Liebe sprach sie viel, Der ewige Friede war ihr köstlich Ziel, Doch wenn sie fromm in Köln die Juden hetzte Und ihren Fuss in die Sevennen setzte, Dann war die Kirche, dieses Schlangennest, Erbarmungsloser als die schwarze Pest! Doch enden wird auch dieser grause Fluch, Denn jung ist unsre Zeit und wenig zahm Und unterschrieb in ihrem Wörterbuch Das alte Wuthwort: Écrasez l'Infâme! Ja: erst wenn abgethan sammt Stab und Stola Die alte Lügenmutter des Loyola, Erst dann wird uns geheiligt Brod und Wein Und jedes Mahl ein Mahl der Liebe sein! Es ist die Welt mit ihren grünen Landen Ein braves Wohnhaus und kein Lazareth, Und Niemand hat sie ärger missverstanden, Als jener Zimmrerssohn aus Nazareth. Das heisst, nur jener, den die Pfaffen lehren, Nicht jener, den wir heut noch selber ehren! Für mich ist jener Rabbi Jesus Christ Nichts weiter, als – der erste Sozialist! Auch sag ich, nützlicher als alle Bibeln Sind momentan uns unsre Volksschulfibeln! Denn nur ein Narr beugt heut noch seinen Nacken Vor Göttern, die – aus Weizenmehl gebacken! Mein Lieblingsbuch betitl' ich Don Quixote Und bin in Glaubenssachen Sansculotte. Doch pfeif ich auch auf alles Jenseitsheil, So bin ich darum noch kein Gottverächter, Nur glaub ich stramm, der Menschheit bestes Theil Ist jenes althomerische Gelächter! Vorzüglich, wenn, umspickt von Bayonetten, Ihr noch energisch die Geduld nicht riss In einer Aera der Papiermanschetten, Des Lustmords und der Syphilis! Doch dies und andres auszusprechen Ist heut ein Majestätsverbrechen; Denn »echt« kann man als Dichter sein Nur harmlos wie Hans Huckebein! Ging ich schon wieder blindlings in die Falle, Die mir mein eigner harter Kopf gestellt? Ja, sie hat Recht die alte Dame Welt: In meiner Tinte gährt ein wenig Galle! Doch wer wird heute noch die Hände falten, Wer ballt sie lieber nicht zur grimmen Faust, Wenn ihm in hundert wechselnden Gestalten Die p.p. Peitsche um die Ohren saust? Wer wird zum Rosenkranz Gebete plappern, Wenn er verhungernd hinterm Eckstein hockt, Wenn ihm vor Winterfrost die Zähne klappern, Wenn ihm das Blut in allen Adern stockt? Die »dummen« Völker sind es endlich satt, Die Hände ihrer Henker fromm zu küssen, Schon rollt ihr Zorn in bleigeschmolznen Flüssen Von Land zu Land hin über Dorf und Stadt! Schon reckt gespenstisch die soziale Frage Aus Nacht und Noth ihr rothes Drachenhaupt, Der Baum des Friedens trauert nackt entlaubt Und alles Glück ward eine fromme Sage! Die Legion der Armen dieser Welt Hat roth in eine Phalanx sich gestellt, Und wild ihr Wuthschrei durch die Lüfte zieht: Gebt uns nicht Brod, nein, gebt uns Dynamit! Wir sind es müd, uns wie das Vieh zu placken, Wir harren brünstig auf den grossen Rächer; Der wird Euch herrlich an die Gurgel packen Und an die Kreuze nageln alle Schächer! Ins Nichts zerstreun wird seine rothe Wuth Die alte Zeit des Zopfs und der Kamaschen, In einem ungeheuren Meer von Blut Wird er der Neuwelt ihre Windeln waschen! Bethörtes Volk! Du wirst es schwer vergelten, Was sie dir eingebrockt in ihrem Spleen! Noch niemals rollte durch das All der Welten Die Sonne, die das Paradies beschien! Der Formen und der Farben »heitre Fülle« Schwingt ewig kreisend sich durch Zeit und Raum, Der Zukunft märchenfarbne Glücksidylle Ist nur der Menschheit schönster Fiebertraum! Doch, wehe! wenn sie fröstelnd draus erwacht Und lächelnd vor dem neuen Tantaliden Das ewge Glück mit seinen ewgen Frieden Zurücksinkt in die alte Nacht – – – Du armes Volk! Als ob ein Paradies Mit Blut und Thränen sich erschachern lies! Mit wie viel Elend wirst du diesen Tag, Mit wie viel wehen Wunden dir erkaufen, Und wie verwüstet seh ich schon den Hag, Wenn sich die Wasser wiederum verlaufen! Dann werden, was Jahrzehnte wüst zerschmettert, Jahrhunderte von Neuem auferbauen, Bis wieder mit dem neuen Morgengrauen Die alte Sündfluth neu vom Himmel wettert! So gährt von Aberwitz und Aberwahn Die Welt wie ein verriegelter Vulkan Und immer häufiger hört man sie sprechen Das grimme Wörtlein: Biegen oder Brechen! Doch unterdessen warf sich unsre Zeit Aufs Phrasenfaulbett der Bequemlichkeit. Denn immer regnen noch wie reife Birnen Titanenkronen auf Pygmäenstirnen, Noch immer zehrt von seinem alten Ruhm Das lächerliche Gottesgnadenthum! So geht es »Oben«. »Unten« geht's noch trister, Dort räkelt sich der fettige Philister, Braut bairisch Bier, backt Knödel, klebt am Staube Und liest Romane aus der Gartenlaube! Nur wenig, bitterwenig sind erwählt, Das Gros der Hämmel ist gar schwer gezählt; Man hätschelt eben seine Eiterbeulen Und lernt vortrefflich mit den Wölfen heulen! Auch betet man als ein gemachter Mann Nur Einen Gott, den Gott der Thaler an Und fühlt als Kind der grossen Corruption Sich nur noch ausnahmsweise mal chokiert, Wenn unglücksschwanger unser Telephon Den neusten Börsenkrach uns avisirt. Doch Wahrheit bleibt's, auf beiden Hemigloben, Man soll die Nacht nicht vor dem Morgen loben! Doch dies und andres auszusprechen, Ist wieder Majestätsverbrechen; Denn »echt« kann man als Dichter sein Nur harmlos wie Hans Huckebein! O dass ich endlich doch ein Thema fände, Das, seicht wie ein modernes Theegeschwätz, Das, platt wie eines alten Tempels Wände, Mich nicht verhaspelt mit dem Pressgesetz! Doch unser Zeitgeist ist ein Fragegeist, Der lauernd wie ein Geier uns umkreist Und eine Beute, die er einmal fässt, Nicht leichten Kaufes wieder fallen lässt! Wir haben blutend uns hinabgerungen, Wir sind der Welt bis tief ins Herz gedrungen, Doch die Natur, die wir entschleiern wollten, Hat unsre Liebe bitterbös vergolten. Die Taschen voll von ihren goldnen Schätzen, So stehn wir da mit frühergrauten Haaren Und sind am Ende ärmer, als wir waren, Denn statt des Herzens schlägt uns nur ein Fetzen! Ein Fetzen Fleisch, den roh und materiell Uns blosgelegt das kritische Skalpell! Verbittern muss uns jeden Bissen Der grosse Hunger nach dem grossen Wissen, Und niemals, niemals wird es Friede In unsres Hirns Gedankenschmiede! ... Denn Einen ist, vermengt aus Kann und Muss, Der liebe Gott ein Metaphysikus, Der andre wieder leugnet gar sein Sein Und lebt fidel in seinen Tag hinein, Der eine faselt viel von Weltenleid, Der andre wieder von Unsterblichkeit, Der eine – doch die Sache wird zu heiter, Es geht so lustig ad absurdum weiter! Wer je die Wahrheit nur von fern geschaut, Weiss, jeder Tempel ist aus Staub gebaut! Drum hüte, hüte deine Menschenzunge Und bete zu dir selber, armer Junge! Wie bissig wir uns auch dagegen steifen, Die Wahrheit ist : dass wir sie nie begreifen! Das ist der Menschenweisheit letzter Schluss, Und – ewig rollt der Stein des Sysiphus! Doch, Teufel ja! was hab ich angerichtet? Dies ist ein Zickzacknichts und kein Poem! Das kommt davon, wenn so ein Klos aus Lehm Aufs hohe Pferd sich setzen will und »dichtet!« Erst geht das Rösslein stillvergnügt im Trab, Dann will es stolz den Araber markiren, Legt störrisch wiehernd sich aufs Kourbettiren Und wirft dann schliesslich seinen Reiter ab! Doch wenn dies Ding hier, das ich leicht gerundet, Auch Deinem Gaumen nicht besonders mundet – O, das verursacht weiter keine Trübung, Es ist nur eine leichte Fingerübung! Ich schrieb es nieder, als zur Sommerszeit Mich ferienweis die lange Weile zwickte, Wenn goldumschleiert in die Einsamkeit Die Abendsonne mir durchs Fenster blickte. Bunt auf dem Tischlein warf ein Blumenstrauss In meine Zeilen seinen Rosenschein, Und sah ich träumend dann und wann hinaus, Dann sah ich meilenweit ins Land hinein, Dass da an »Arbeit« nicht zu denken war, Ist Dir als Praktikus natürlich klar. Drum nimm vorlieb mit dem, was Dir mein Wille, Der immer gut ist, launig dediziert, Sei auf den Reimfex nicht zu sehr pikiert Und declamier mit ihm: »Beatus ille!« Motto Ihr kriegt mich nicht nieder, Ohnmächtige Tröpfe, Ich kehre wieder und wieder, Und meine steigenden Lieder Wachsen begrabend Euch über die Köpfe! Lenau. Zum Eingang Die Zeit ist die Madonna der Poeten, Die Mater dolorosa, die gebären Den Heiland soll; drum halt die Zeit in Ehren, Du kannst nichts Höheres denn sie vertreten. Georg Herwegh Noch sprosst der Bart mir nicht ums Kinn, Auch weiss ich, hört mich, ihr Teutonen, Dass unter allen Epigonen Just ich der allerletzte bin! Doch lasst's mich trotzdem euch gestehn: Ihr jammert mich, ihr armen Dichter, Ihr Groschen- und ihr Dreierlichter, Von denen zwölf aufs Dutzend gehn. Ihr stöhnt verzweifelt: Der Bien muss! Und ampelt krampfhaft an der Leiter, Doch ach, ihr kommt und kommt nicht weiter, Wie weiland Fausti Famulus! Seht, das ist eure Quintessenz, Ihr fliedersüssen Lenzrhapsoden: Ihr macht mit Hymnen und mit Oden Den Nachtigallen Concurrenz! Ihr glaubt verblendet, Poesie Sei Lenznacht nur und Blüthenschimmer, Ihr glaubt's verblendet und singt immer Ein und dieselbe Melodie! Ihr dichtet jeden dritten Tag Ein hohes Lied auf eure Liebe, Reimt selbstverständlich darauf »Triebe« Und gebt's dann schleunigst in Verlag. Zwar, seid ihr noch kein »grosses Thier«, Müsst ihr auf alle Fälle »zahlen«, Doch dann wird's auch mit Initialen Gedruckt auf fein Velinpapier. Und wird's dann gratis noch versandt An so und so viel Kritikaster, Dann lobt man euern schlechten Knaster Und schimpft den Kieselstein Demant. Und wenn ihr fleissig schmiert und salbt, Sorgt auch die Clique für Verbreitung, – Denn wozu hat man sonst die Zeitung? – Herr X hat wieder mal gekalbt! Ein Liederbuch ist's dieses Mal In rothem Maroquin gebunden Und überdies sehr warm empfunden Und wunderbar original! Und kauft man sich dann das Idol, Dann sind's die alten tauben Nüsse, Die längst genossenen Genüsse, Der aufgewärmte Sauerkohl. Von Wein und Wandern, Stern und Mond, Vom »Rauschebächlein«, vom »Blauveilchen«, Von »Küssmichmal« und »Warteinweilchen«, Von »Liebe, die auf Wolken thront«! Und will der Dichter hoch hinaus, Dann streicht er die Rubrik: »Erotisch!« Und hängt die Tafel: »Patriotisch!« Als Firmenzeichen vor sein Haus. Doch Blech bleibt Blech, und ob es auch Der Jude oft als Gold verschachert ... Der Ruhm, den ihr zusammenprachert, Ist eitel Moder, Dunst und Rauch! Denn kräht auch dreist zu eurem Wisch Die heutige Kritik ihr Amen, Und legt man ihn auch jungen Damen Alljährlich auf den Weihnachtstisch: Und labt sich auch aus eurem Quell Der Leutnant und der Ladenschwengel, Und nippt aus ihm auch jeder Engel, Die Gräfin und die Nähmamsell: Lasst über euch und euer Wort Ein einzig Menschenalter rollen, Und was ihr singt, ist längst verschollen, Und was ihr pflanzt, ist längst verdorrt! Ich aber mag nicht, lass wie ihr, Das Pfund, das Gott mir gab, verwalten, Ich will hoch über mir entfalten Der Neuzeit junges Lenzpanier. Ich lache, wollt ihr blöden Blicks Verjährten Tand modern staffiren Und himmelbläulich phantasiren Vom Waldgnom und vom Wassernix. Ich lache, zählt ihr eins, zwei, drei Die Kugeln, die ihr nie verschossen, Die Thränen, die ihr nie vergossen, Ein jeder Zoll ein Papagei. Ich lache, doch mein Zorn hält Wacht, Denn der St. Veitstanz wird zur Mode; Ich weiss, ihr tanzt nur aus Methode, Weil ein Narr viele Narren macht. Doch tollt nur euren tollen Schwank, Nur zu, je toller, desto besser: Ich biet euch Kampf, Kampf bis aufs Messer, Und gehe meinen eignen Gang! Den Gang, den lichtumstrahlt die Kunst Sieghaft zu wandeln mir geboten; Und Herz an Herz mit ihren Todten, Veracht ich euch und eure Gunst! Denn mir schlägt nicht das Wort den Takt Zum Reigen selbstischer Gedanken, Ein Löwe, hat es seine Pranken Tief in mein Herzfleisch eingehackt. Nur, dass es mich nicht jäh zerfleischt, Such ich's mit Liedern zu beschwören, Doch nicht beim Rauschen alter Föhren, Die Nachts ein schwarzer Aar umkreischt. Auch nicht ins Grab der Lorelei Verirrt sich mehr mein schwankes Steuer; Die Zeit verliebter Abenteuer, Für mich ist sie schon längst vorbei! Nein, mitten nur im Volksgewühl, Beim Ausblick auf die grossen Städte, Beim Klang der Telegraphendrähte Ergiesst ins Wort sich mein Gefühl. Dann glaubt mein Ohr, es hört den Tritt Von vorwärts rückenden Kolonnen, Und eine Schlacht seh ich gewonnen, Wie sie kein Feldherr noch erstritt. Doch gilt sie keiner Dynastie, Auch kämpft sie nicht mit Schwert und Keule – Galvanis Draht und Voltas Säule Lenkt funkensprühend das Genie. Und um sich sammelt es ein Heer Von himmelstürmenden Ideen, Gedanken blitzen und verwehen Unzählig, wie der Sand am Meer. Doch mehr als einer wird zur That Und lenkt das Schicksal der Geschlechter, Und als des Ideals Verfechter Streut er der Zukunft goldne Saat. Und auf flammt dann ein neues Licht, Ein neuer Welttag für die Erde, Denn auch die Menschheit hat ihr »Werde!« Und sinnlos ist kein Traumgesicht. Der ewge Friede baut sein Zelt, Und ob die Zeit sie auch verdamme, Der Freiheit goldne Oriflamme Weht leuchtend über alle Welt. Und wenn dann Lied auf Lied sich ringt In immer höhre Regionen Und alle Völker, alle Zonen Ein einzig grosser Bund umschlingt: Dann ist's mir oft, als ob die Zeit, Verlästert viel und viel bewundert, Als ob das kommende Jahrhundert Zu seinem Täufer mich geweiht Als müsst ich stossen in die Brust, Ein Winkelried, mir eure Speere: Hie Wahrheit, Freiheit und hie Ehre! O Kampf der Liebe, Kampf der Lust!! Drum dir, die schmerzvoll mich gebar, Dir, junge Zeit aus Blut und Eisen, Leg ich mein Herz und seine Weisen Nun stumm auf deinen Hochaltar! Schaust du doch auch ins Morgenroth Und träumst von unentdeckten Welten; Wirst du die Liebe mir vergelten, Die tief für dich mein Herz durchloht? Doch ob auch Dampf und Kohlendunst Die Züge dieser Schrift verwaschen; Kein flüchtig Glück will ich erhaschen, Ich liebe dich, nicht deine Gunst! Mir schwillt die Brust, mir schlägt das Herz Und mir ins Auge schiesst der Tropfen, Hör ich dein Hämmern und dein Klopfen Auf Stahl und Eisen, Stein und Erz. Denn süss klingt mir die Melodie Aus diesen zukunftsschwangern Tönen; Die Hämmer senken sich und dröhnen: Schau her, auch dies ist Poesie! Sie kehrt nicht nur auf ihrem Gang In Wälder ein und Wirthshausstuben, Sie steigt auch in die Kohlengruben Und setzt sich auf die Hobelbank. Auch harft sie nicht als Abendwind Nur in zerbröckelten Ruinen, Sie treibt auch singend die Maschinen Und pocht und hämmert, näht und spinnt. Sie schaukelt sich als schwanker Kahn Im blauen schilfumkränzten Weiher, Sie schlingt den Dampf ums Haupt als Schleier Und saust dahin als Eisenbahn. Von nie geahnter Kraft geschwellt, Verwarf sie ihre alten Krücken, Sie mauert Tunnels, zimmert Brücken Und pfeift als Dampfschiff um die Welt. Ja, Wunder thut sie sonder Zahl, Sie lindert jegliches Verhängniss, Sie setzt den Fuss selbst ins Gefängniss Und speisst die Armuth im Spital. Wohl war's der Himmel, der sie schuf, Doch heimisch ward sie längst auf Erden; Drauf immer heimischer zu werden, Ist ihr ureigenster Beruf! So klingt das Lied, das hohe Lied, Dass dumpfauf mir die Hämmer dröhnen; Euch aber, euch, die es verhöhnen, Euch fordr' ich kühn in Reih und Glied! Rückt an! Mit offenem Visir Und harter Faust will ich euch weisen: Ich und mein Lied, wir sind von Eisen – Ihr oder ich, ich oder ihr! Denn nicht soll einst in später Zeit Mit selbstgefälligem Behagen Ein später Enkel von uns sagen, Was roth wie Blut zum Himmel schreit: Poeten ohne Poesie, Und keiner rief das Wörtchen: Rette! Sie blökten allsammt um die Wette, Wie eine Heerde Hammelvieh! Nein, nein und nein und aber nein! Ein Schuft sein will ich, wenn's so endet! Das Blatt hat endlich sich gewendet! Dies Buch soll dess ein Zeichen sein! Soll sagen, was ihr nie gewollt: Der Singsang hat sich ausgetutet – Auch durch das junge Lied noch fluthet Das alte Nibelungengold! Drum ihr, ihr Männer, die ihr's seid, Zertrümmert eure Trugidole Und gebt sie weiter, die Parole: Glückauf, glückauf, du junge Zeit! 26 IV. 1884. Ein Bild Zwei Racen giebt's, die eine wird mit Sporen, ... Aus Sandstein ist das gelbliche Portal, Die rothen Säulen aus Granit gehauen, Und seitwärts in ein weisses Piedestal Vergräbt ein Löwe seine Marmorklauen. Doch schwarz verhängt sind alle Fenster heut Und Lichter brennen nur im Erdgeschosse, Der Strassendamm ist hoch mit Stroh bestreut Und lautlos drüberhin rollt die Karosse. Das Treppenhaus vertheidigt der Portier Und schüttelt grimmig seine graue Mähne, Und naht gar Einer aus der Haute volée, Dann fletscht er cerberusgleich seine Zähne. Im Prunksaal trauern hinter Flor und Taft Die bunten Inderstoffe aus Lahore, Auch schleicht die goldbetresste Dienerschaft Nur auf Spitzzehen durch die Corridore. Der hochgeborne Hausherr, Excellenz, Schwankt wie ein Rohr umher auf bleicher Düne, Die erste Redekraft des Parlaments Fehlt heute abermals auf der Tribüne. Zwar trat man gestern erst in den Etat, Doch hat sein Fehlen diesmal gute Gründe: Schon viermal war der greise Hausarzt da Und meinte, dafs es sehr bedenklich stünde. Nach Eis und Himbeer wird gar oft geschellt, Doch mäuschenstill ist es im Krankenzimmer, Und seine düstre Teppichpracht erhellt Nur einer Ampel röthliches Geflimmer. Weit offen steht die Thür zum Vestibul Und wie im Traum nur plätschert die Fontäne, Die Luft umher ist wie gewitterschwül, Denn ach, die gnädge Frau hat heut – Migräne! Ein Andres ... Mit Sätteln wird die andere geboren! Karl Kösting. Fünf wurmzernagte Stiegen geht's hinauf Ins letzte Stockwerk einer Miethskaserne; Hier hält der Nordwind sich am liebsten auf Und durch das Dachwerk schaun des Himmels Sterne. Was sie erspähn, o, es ist grad genug, Um mit dem Elend brüderlich zu weinen: Ein Stückchen Schwarzbrod und ein Wasserkrug, Ein Werktisch und ein Schemel mit drei Beinen. Das Fenster ist vernagelt durch ein Brett Und doch durchpfeift der Wind es hin und wieder, Und dort auf jenem strohgestopften Bett Liegt fieberkrank ein junges Weib darnieder. Drei kleine Kinder stehn um sie herum, Die stieren Blicks an ihren Zügen hangen, Vor vielem Weinen ward ihr Mündlein stumm Und keine Thräne mehr netzt ihre Wangen. Ein Stümpfchen Talglicht giebt nur trüben Schein, Doch horch, es klopft, was mag das nur bedeuten? Es klopft und durch die Thür tritt nun herein Ein junger Herr, geführt von Nachbarsleuten. Der Armenhilfsarzt ist's aus dem Revier, Den sie geholt aus Mitleid mit der Kranken, Indess ihr Mann in Branntwein und in Bier Sich selbst betäubt und seine Wuthgedanken. Der junge Doctor aber nimmt das Licht Und tritt mit ihm ans Bett des armen Weibes, Doch gelb wie Wachs und spitz ist ihr Gesicht Und kalt und starr die Glieder ihres Leibes. Da schluchzt sein Herz, indess das Licht verkohlt, Von nie gekannter Wehmuth überschlichen: Weint, Kinder, weint! ich bin zu spät geholt, Denn eure Mutter ist bereits – verblichen! Frühling Empfangt mich, heilige Schatten, ihr Wohnungen süsser Entzückung, Ihr hohen Gewölbe voll Laub und Dunkel schlafender Lüste, Die ihr oft einsamen Dichtern der Zukunft Vorhang zerrissen, Oft ihnen des heitern Olymps azurne Thore geöffnet. – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – Gestreckt im Schatten will ich in goldne Saiten die Freude, Die in euch wohnet, besingen! – Reizt und begeistert die Sinnen! Dass meine Töne die Gegend wie Zephyrs Lispeln erfüllen, Der jetzt durchs Veilchenthal fleucht, und wie die riefelnden Bäche! Ewald Chr. v. Kleist Wohl haben sie dich alle schon besungen Und singen dich noch immer an, o Lenz, Doch da dein Zauber nun auch mich bezwungen, Meld ich mich auch zur grossen Concurrenz. Doch fürcht ich fast, ich bin dir zu prosaisch, Aus meinen Versen sprüht kein Fünkchen Geist; Und denk ich gar an deinen Dichter Kleist, Klingt meine Sprache mir fast wie Havaïsch. Kein Veilchenduft versetzt mich in Extase, Denn ach, ich bin ein Epigone nur; Nie trank ich Wein aus einem Wasserglase Und nüchtern bin ich bis zur Unnatur. Der Tonfall meiner lyrischen Collegen Ist mir ein unverstandner Dialect, Denn meinen Reim hat die Kultur beleckt Und meine Muse wallt auf andern Wegen. Ins Waldversteck verirrt sie sich nur selten, Die blaue Blume ist ihr längst verblüht; Doch zieht die Ahnung neugeborner Welten Ihr süsser als ein Märchen durchs Gemüth. Zur Armuth tritt sie hin und zählt die Groschen, Ihr rothes Banner pflanzt sie in den Streit, An ihr Herz schlägt das grosse Herz der Zeit Und aller Weltschmerz scheint ihr abgedroschen. Doch heute singt sie, was ihr längst verboten, Mir scheint, dein Lächeln hat sie mir behext, Und unter deine altbekannten Noten Schreibt sie begeistert einen neuen Text. Die Flur ergrünt und bläulich blüht der Flieder, Ich aber leire meine Lenzmusik Und lachend schon vernehm ich die Kritik: Das denkt und singt ja wie ein Seifensieder! Schon blökt ins Feld die erste Hammelheerde, Der Hof hielt seine letzte Soiree, Und grasgrün überdeckt die alte Erde Kokett ihr weisses Winternegligee. Der Wald rauscht wieder seine Lenzgeschichten Und mir im Schädel rasselt kreuz und quer Ein ganzer Rattenkönig von Gedichten, Ein Reim- und Rythmenungethüm umher. Wie Gold in meine ärmliche Mansarde Durchs offne Fenster fällt der Sonnenschein, Und graubefrackt lärmt eine Spatzengarde: Ich schnitt es gern in alle Rinden ein! Die Luft weht lau und eine Linde spreitet Grün übers Dach ihr junges Laubpanier, Und vor mir auf dem Tisch liegt ausgebreitet Fein säuberlich ein Bogen Schreibpapier. O lang ist's her, dass mir's im Hirne blitzte! Im Winterschnee erfror die Phantasie; Erst heute war's, dass ich den Bleistift spitzte, Erst heut in dieser Frühlingsscenerie. Weh, mein Talent versickert schon im Sande, Des eitlen Nichtsthuns bin ich endlich satt; Drum da ich ihn noch nie sah auf dem Lande, Besing ich nun den Frühling in der Stadt. Denn nicht am Waldrand bin ich aufgewachsen Und kein Naturkind gab mir das Geleit, Ich seh die Welt sich drehn um ihre Achsen Als Kind der Grossstadt und der neuen Zeit. Tagaus, tagein umrollt vom Qualm der Essen, War's oft mein Herz, das lautauf schlug und schrie, Und dennoch, dennoch hab ich nie vergessen Das goldne Wort: Auch dies ist Poesie! O wie so anders, als die Herren singen, Stellt sich der Lenz hier in der Grossstadt ein, Er weiss sich auch noch anders zu verdingen, Als nur als Vogelsang und Vollmondschein. Er heult als Südwind um die morschen Dächer Und wimmert wie ein kranker Komödiant, Bis licht die Sonne ihren goldnen Fächer Durch Wolken lächelnd auseinanderspannt. Und Frühling! Frühling! schallt's aus allen Kehlen, Der Bettler hört's und weint des Nachts am Quai; Ein süsser Schauer rinnt durch alle Seelen Und durch die Strassen der geschmolzne Schnee. Die Damen tragen wieder lange Schleppen, Zum Schneider eilt nun, wer sich's »leisten« kann, Die Kinder spielen lärmend auf den Treppen Und auf den Höfen – singt der Leiermann. Schon legt der Bäcker sich auf Osterkringel Und seine Fenster putzt der Photograph, Der blaue Milchmann mit der gelben Klingel Stört uns tagtäglich nun den Morgenschlaf. Mit Kupfern illustrirt die Frauenzeitung Die neusten Frühjahrsmoden aus Paris, Ihr Feuilleton bringt zur Geschmacksverbreitung Den neusten Schundroman von Dumas fils. Es tritt der Strohhut und der Sonnenknicker Nun wieder in sein angestammtes Recht Und kokettirend mit dem Nasenzwicker Durchstreift den Park der Promenadenhecht. Das ist so recht die Schmachtzeit für Blondinen Und ach, so mancher wird das Herzlein schwer, Ein Duft von Veilchen und von Apfelsinen Schwingt wie ein Traum sich übers Häusermeer. Am Arm das Körbchen mit den weissen Glöckchen, Das blonde Haar zerweht vom Frühlingswind, Lehnt bleich und zitternd im verschossnen Röckchen Am Prunkpalast das Proletarierkind. Geschminkte Dämchen und gezierte Stutzer, Doch niemand, der ihm schenkt ein freundlich Wort; Und naht sich Abends der Laternenputzer, Dann schleicht es weinend sich ins Dunkel fort. Verfolgt vom blutgen Schwarm der Manichäer, Umirrt nun Bruder Studio wie gehetzt; Bis er sich endlich rettet zum Hebräer Und seinen Winterpaletot versetzt. Der Hypochonder sinnt auf Frühjahrskuren Und wettert auf die Stickluft der Salons, Der Italiano formt sich Gypsfiguren Und zieht vors Thor mit seinen Luftballons. Nun geht die Welt kopfüber und kopfunter, Auf Sommerwohnung zieht schon der Rentier, Die Anschlagssäulen werden immer bunter Und nächtlich wimmert oft das Portemonnaie. Der Schornsteinfeger klettert auf die Leiter Und grinst uns an als Vogelperspecteur, Vor Klingeln kommt die Pferdebahn nicht weiter Und Alles brüllt: He, schneller, Conducteur! Das Militär wirft sich in Drillichhosen Und übt sich schwitzend im Paradeschritt, Als ging's kopfüber gegen die Franzosen, Und krampfhaft schleppt es die Tornister mit. Und blitzt der Exercierplatz dann exotisch Wie ein gemaltes Farbenmosaik, Dann wird die Schusterjugend patriotisch Und lautauf spielt die Regimentsmusik. Schon dampft der Kaffee hie und da im Garten, Der Schoosshund bellt, er kreischt der Papagei, Papa studirt die kolorirten Karten Von Zoppot, Heringsdorf und Norderney. In den geschlossenen Theatern trauern Die weichen Polstersitze des Parquets Und rothe Zettel predgen an den Mauern Die goldne Aera der Retourbillets. An eine Spritztour denkt manch armer Schlucker, Doch dreht sie leider sich ums Wörtchen »wenn«; Am gelben Gurt den schwarzen Operngucker, Stelzt durchs Museum nun der Englishman. Die Provinzialen aber schneiden Fratzen, Dank ihrer anerzognen Prüderie, Und unbemerkt nur schleichen sie wie Katzen Um unsre liebe Frau von Medici. Doch drauss vorm Stadtthor rauscht es in den Bäumen, Dort tummelt sich die fashionable Welt, Und junge Dichter wandeln dort und träumen Von ewgem Ruhm, Unsterblichkeit – und Geld. Rings um die wieder weissen Marmormäler Spielt laut ein Kinderschwarm nun Blindekuh Und heimlich gibt der Backfisch dem Pennäler Am Goldfischteich das erste Rendevous. Und macht die Nacht dann ihre stille Runde Und blitzt es licht durchs dunkle Firmament, Dann ist's dieselbe Lenznacht, die zur Stunde Sich lagert um den Busen von Sorrent! Dann ist's derselbe Mond, der rings das Pflaster Sacht überdeckt mit seinem goldnen Vliess, Den vor Jahrtausenden schon Zoroaster Als ewgen Herold aller Lenze pries! O Frühling! Frühling, dem die Welt entlodert, Du führst im Schild ein Röslein ohne Dorn; Dass uns das Herz nicht ganz vermorscht und modert, Stösst du noch immer in dein Wunderhorn. Noch immer lässt du deine Nachtigallen Ins Frühroth schlagen, wie zur Zeit Homers, Und hebst empor die Engel, die gefallen, Die kranken Söhne Fausts und Ahasvers. Ob du vor Zeiten einst als junge Sonne Glorreich emporstiegst über Salamis, Indess Diogenes in seiner Tonne Sich philosophisch in die Nägel biss; Und ob dir heute noch im fernsten Norden Ein Opfer bringt der fromme Eskimo, Wie weiland an des Südmeers blauen Borden Der alte Mythenkönig Pharao: Du bist und bleibst der einzig wahre Heiland, Dein schöner Wahlspruch jauchzt: »Empor! Empor!« Was soll uns noch ein waldumrauschtes Eiland? Du wandelst um den Stadtwall auch durchs Thor! Du bist nicht scheu wie deine Waldgespenster, Du setzt auch in die Grossstadt deinen Fuss Und wehst tagtäglich durch das offne Fenster Mir in das Stübchen deinen Morgengruss. Und jetzt, wo schon der Abend seine Lichter Rothgolden über alle Dächer strahlt, Krönst du mich lächelnd nun zu deinem Dichter Und hast mir rhythmisch das Papier bemalt. Ich aber gebe dieses Blatt den Winden, Die Fangball spielen um den Kirchthurmknauf, Und wenn's noch heut die Strassenkehrer finden, Was kümmert's mich? Flieg auf, mein Lied, flieg auf! Doch fällst du einem schönen Kind zu Füssen, Das dich erröthend in den Busen steckt, Dann sprich zu ihm: »Der Frühling lässt dich grüssen!« Bis sie mit Küssen das Papier bedeckt. Doch hascht ein Graukopf dich auf deinen Bahnen, So ein vergilbter Langohr-Recensent, Dann sprich zu ihm: »Respect vor meinen Ahnen! Mein Urtext steht im Sanskrit und im Zend!« Samstagsidyll Lasst uns auch so ein Schauspiel geben! Greift nur hinein ins volle Menschenleben! Ein jeder lebt's, nicht vielen ist's bekannt, Goethe Es war ein Tag wie's ihrer viele giebt, Wenn falb der Sommer in den Herbst zerstiebt; Verstummt schon schien der Vögel buntes Völkchen Und grau am Himmel standen kleine Wölkchen. Nur ab und zu schwamm's fernher durch die Luft Noch weich wie ein verirrter Rosenduft, Und wie ein Lenzlockruf, nur herbstlich stiller, Klang hie und da ein später Vogeltriller. Auf lauen Windes Flügeln kam's und schwand Und reichte wiederkehrend sich die Hand, Wie wenn zwei Herzen durch ein letztes Grüssen Sich noch des Scheidens bittres Weh versüssen. Doch also war's nur draussen fern im Hag, Durch die Fabrikstadt schlich der Werkeltag. Das schwarzberusste Schurzfell um die Lenden, War er bemüht die Woche zu beenden; Er liess das Eisen wie ein Licht erglühn Und mehr als hundert Essen Funken sprühn, Und, unbekümmert um den eignen Jammer, Schwang er den centnerschweren Schmiedehammer. Hier war's ein Eisenwagen, dort ein Schiff, Der Schornstein rauchte und der Dampfhahn pfiff, Die Räder rollten ewig um im Kreise Und alles drehte sich im alten Gleise. Nur du und ich, wir beide waren frei Und wussten nichts von Werktagssclaverei; Wir jauchzten auf, die Noth in uns begrabend, Und machten schon Nachmittags Feierabend. Denn hatte jeder nicht mit Lust und Kraft Die Woche über pflichtgetreu geschafft? Die Nähmaschine hattest du getrieben Und ich gedacht, gedichtet und geschrieben. Doch nun war ich des »trocknen Tones satt« Und schrieb energisch: »Punkt!« aufs letzte Blatt Und stieg dann flink, mir selber zur Belohnung, In deine zierliche Mansardenwohnung. Ich klopfte an – ein neckisches: Herein! Und durch das Fenster brach der Sonnenschein; Ein Lichtmeer war's, drin Welle schwamm auf Welle, Ich aber stand geblendet auf der Schwelle. O immer, trat ich in dein trautes Heim, Schrieb's mir ins Herz sich wie ein neuer Reim; Doch war's mit seinen farbigen Gardinen So hell und freundlich mir noch nie erschienen. Zum Schmaus gedeckt war schon dein kleiner Tisch, Grau hinterm Spiegel stak ein Flederwisch. Doch, unbekümmert um die neuste Mode, Stand dicht dabei die ältliche Kommode Und unter einem Kreuz von Elfenbein Das Bild von deinem todten Mütterlein. Wie tief im Traum sah lächelnd es hernieder Auf ein zerlesnes Buch: »das Buch der Lieder«! Vom Blumenbrett, das sich um Fenster bog, Um alles das ein süsses Duften flog. Und dort ja hingen auch die beiden Schilder, Verzeih! ich meine deine Landschaftsbilder! Denn du hast Recht: die reine Phantasie Und farbenschillernd wie ein Kolibri! Rechts hing der Watzmann, links der Gamsgarkogel Und zwischen beiden ein Kanarienvogel. Du selber aber, häubchenüberdeckt, Ein weisses Schürzchen vor die Brust gesteckt, Du schobst nun grad mit hausfraulicher Miene Den Spiritus in deine Kochmaschine. Ein kurzer Aufblick dann, ein leiser Schrei, Und eins und eins, wie immer, waren zwei! Drauf, wie ich mich schon oft liess unterjochen, Sollt ich auch heute mit dir Kaffee kochen. Ich lärmte, doch was half mir mein Protest? Ein kussersticktes Lachen war der Rest! Und als ein vielgewandter junger Dichter Hielt ich galant dir nun den Kaffeetrichter. Natürlich ging das »noch einmal so gut«, Sieh hier das Lied: »Was man aus Liebe thut!« Wir schmeckten, wechselnd prüfend, mit den Zungen Und endlich war der grosse Wurf gelungen. Zwar war das Tischzeug nur von grobem Zwilch, Doch fehlte weder Zucker drauf noch Milch Und dampfend füllten nun die braunen Massen Die goldumränderten Geburtstagstassen. Des Tränkleins Wirkung aber kommt und geht, Bis sich das Zünglein wie ein Mühlrad dreht: Was Stift und Tinte, Häkelzeug und Maschen! Wir waren heut zwei rechte Plaudertaschen! Du schwärmtest von dem neusten Ausverkauf, Ich aber schlug ein kleines Büchlein auf Und las dir Lieder vor von Lingg und Keller Und übersah auch nicht den Kuchenteller. So sassen wir, zwei grosse Kinder, da, Bis roth der Abend durch die Scheiben sah Und tappten dann hinab die dunklen Stiegen, Um noch ein Stündlein vor das Thor zu fliegen. Dort, wo das Wasser sich am Stadtwall bricht, Lag bunt der Park im letzten Abendlicht Und liess die Wipfel sich in Purpur tränken Und Kinder spielten auf den Rasenbänken. Vom nahen Thorthurm kam das Spätgeläut, Mir schien's, es klang noch nie so schön wie heut; Wir lugten lauschend durch die Laubverhänge Und schritten flüsternd durch die Buchengänge. Zu Füssen knirschte uns der gelbe Kies Und alles schien uns wie im Paradies; Doch als die Glocken dann gemach verklangen, Kam leisen Schritts die Dämmrung angegangen. Da hieltst du still und hauchtest mir ins Ohr: »O, weisst du noch, dort drüben vor dem Thor?« Ob ich es weiss! Wie Lenz will's mich umwehen, Dort war's ja, wo wir uns zuerst gesehen! Und hier, wo waldversteckt das Wasser rauscht, Hier haben wir den ersten Kuss getauscht! O Maitag, Sonnenschein und Blüthenregnen, Noch heut muss ich euch tausendfältig segnen! Es war doch eine schöne, schöne Zeit, Und denk ich dran, so wird das Herz mir weit! Man fühlt's, auch ohne dass man's gleich bedichtet: Der liebe Gott hat's doch gut eingerichtet! Doch still! Was brauchts schon der Erinnerung? Wir sind ja beide noch so jung, so jung! Es lacht das Glück aus deinem rothen Munde: »Uns winkt ja noch so manche goldne Stunde!« »Gewiss!« fielst du hier lächelnd ein, »und wie? Zum Beispiel morgen eine Landpartie! Erinnerst du dich noch, wie du vor Wochen Mir einen Ausflug ins Gebirg versprochen? Mein Onkel dort, der Wirth zum weissen Schwan, Wohnt ja ganz nahe an der Eisenbahn! Ich weiss, er freut sich, wenn wir ihn besuchen, Und Tantchen gar backt einen Extrakuchen! Und dann – o Gott – die wunderschöne Luft, Wald, Wiese, Sonnenschein und Kräuterduft, Und über sich nichts, nichts als Himmelsbläue – Nein, nein! du weisst nicht, wie ich mich schon freue!« Da sprach ich: »Topp, du kleiner Niegenug! Wir fahren morgen mit dem ersten Zug. Als Musikant mach ich eins gern mal Pause ... Doch es wird kühl hier, komm, wir gehn nach Hause!« Und wieder thorwärts wandten wir uns um Und wurden still und wussten nicht warum. Im Fluss das Wasser rann nur noch von ferne Und durch das Laubdach blitzten schon die Sterne. Ein feuchter Nachtwind durch die Wipfel strich, Du aber schmiegtest fester dich an mich, Und wie das Schlusswort einer schönen Dichtung That sich nun wieder vor uns auf die Lichtung. Dort hob die Stadt sich schwarz und ungewiss Vom Horizont ab wie ein Schattenriss, Nur hie und da warf fernher aus dem Dunkel Ein Fenster noch sein rothes Lichtgefunkel. Es war so schön, so wunderschön zu sehn, Und schweigend blieben wir noch einmal stehn, Denn nun trat auch der Mond aus seinen Hallen Und liess sein Silber auf die Dächer fallen, Und drüben von der Vorstadt her erklang Noch windverweht ein frommer Nachtgesang. Du sahst mich an und wusstest nichts zu sagen, Doch fühlt ich dein Herz warm an mein Herz schlagen Und sprach zu dir und war bewegt wie nie: »Nun weisst auch du, mein Herz, was Poesie! Sie speist die Armen und sie stärkt die Schwachen, Sie kann die Erde uns zum Himmel machen, Sie kost im Zephyr und sie harft im Föhn – Nicht wahr, mein Herz, das Leben ist doch schön?« En miniature Was der bunte Vogel pfiff, Fühle und begreif ich, Liebe ist der Inbegriff, Auf das Andre pfeif ich! Wilhelm Busch Farbenfunkelnd in ihr Goldhaar hatte Ein Libellenweibchen sich verirrt. Eins – zwei – drei Sekunden liess es dort Zierlich seine Flügelchen vibrieren, Klappte sie dann schillernd wieder auf Und? Fragt das Schilfrohr, wo es dann geblieben! Lächelnd über das naive Thierchen, Das Frisuren noch für Blumen hielt, Band sie jetzt ihr kugelrundes Sträusschen Regelrecht mit einem Halm zusammen. Blank aus ihrem kleinen Goldreif blitzte In die schwarzen Augen ihr die Sonne, Und auf ihrem weissen Nacken liess Blau der Flieder seine Blüthen zittern. So, jetzt noch dies Bündelchen Reseda, Jetzt dies Veilchen, jetzt dies Tausendschönchen, Und – der alte Gärtnerjakob soll sich wundern! Sich ihr Morgenröckchen sorglich schürzend, Dass der Thau nicht seinen Saum zernässe, Strich sie sich noch einmal übers Schürzchen, Stippte dann die Blumen in den Springquell, Den der Löwenkopf ins Becken spie, Und die beiden kleinen Atlasschühchen, Knallroth wie zwei Herrgottskäferchen, Trippelten, tripp-trapp, um die Bosketts Durch das sonnige Kastanienwäldchen Auf das alte, graue Schlossthor zu. Doch der Weg bis dahin ist noch weit. So weit, dass das weisse Thürmchen dort Nur noch wie ein Punkt durch die Allee blitzt. Und sie spitzt ihr kirschrothrundes Mäulchen, Dreht dem Faun, der marmorn sie durchs Buschwerk Kollegialisch wie ein Nymphlein angrinst, Resolut ein aufgewipptes Näschen, Lacht laut auf und fängt ein altes Liedchen, Das vielleicht mal ihrer Amme einfiel, Als der Mondschein sie nicht schlafen liess, Und das heut ihr wieder wie ein Schwälblein Neckisch durch den kleinen, krausen Sinn schiesst, Leise vor sich hinzusummen an: »Ach wenn ich es doch nur wüsste, wüsste, Wie ein Liebster seine Liebste küsste!« »Wölklein, das dort um das Tännlein flattert, Vöglein, das dort um das Nestlein girrt, Und du Bäumlein, das so weiss dort blüht, Sag mir doch, wo schlägt das Herz des Frühlings? Flötet es die Nachtigall ins Mondlicht, Wiegt's der Apfelbaum in seinen Blüthen, Oder jauchzt's mir in der eignen Brust? Ach, wenn ich es doch nur wüsste, wüsste, Wie ein Liebster seine ....« doch das Liedlein Blieb erschreckt in ihrem Hälslein stecken! Lachend bog er eben um die Linde, Die so schrecklich indiskret und breit ist, Nahm sie fest in seine beiden Arme, Dass die Blumen kichernd aus dem Körbchen Und das Körbchen in die Blumen fiel, Und – sie wussten, wo des Frühlings Herz schlägt! Literarische Liebenswürdigkeiten Judenjungen, deren Bildung im Schweinefleischessen besteht, spreitzen sich auf den kritischen Richterstühlen, und erheben nicht nur Armseeligkeitskrämer zu den Sternen, sondern injuriiren sogar ehrenwerthe Männer mit ihren Lobsprüchen, – Reimschmiede, die so dumm sind, dass jedesmal, wenn ein Blatt von ihnen ins Publikum kommt, die Esel im Preise aufschlagen, heissen ausgezeichnete Dichter, – Schauspieler, die so langweilig sind, dass natürlich alles vor Freuden klatscht, wenn sie endlich einmal abgehn, heissen denkende Künstler, – Vetteln, deren Stimmen so scharf sind, dass man ein Stück Brod damit abschneiden könnte, titulirt man ächt dramatische Sängerinnen! – Die Muse der Tragödie ist zur Gassenhure geworden, denn jeder deutsche Schlingel nothzüchtigt sie und zeugt mit ihr fünfbeinige Mondkälber, welche so abscheulich sind, dass ich den Hund bedaure, der sie anpisst! Die Wörter: »genial, sinnig, gemüthlich, trefflich« werden so ungeheuer gemissbraucht, dass ich schon die Zeit sehe, wo man, um einen entsprungenen, über jeden Begriff erbärmlichen Zuchthauskandidaten vor dem ganzen Lande auf das unauslöschlichste zu infamiren, an den Galgen schlägt: N.N. ist sinnig, gemüthlich, trefflich und genial! – O, stände doch endlich ein gewaltiger Genius auf, der, mit göttlicher Stärke von Haupt zu Fuss gepanzert, sich des deutschen Parnasses annähme und das Gesindel in die Sümpfe zurücktriebe, aus welchen es hervorgekrochen ist! Christian Dietrich Grabbe 1. Ballade Kennt ihr das Lied, das alte Lied Vom heilgen Hain zu Singapur? Dort sitzt ein alter Eremit Und kaut an seiner Nabelschnur. Er kaut tagaus, er kaut tagein Und nährt sich kärglich nur und knapp, Denn ach, er ist ein grosses Schwein Und nie fault ihm sein Luder ab! Rings um ihn wie das liebe Vieh Wälzt sich zerknirscht ganz Singapur Und »Gott erhalte«, singen sie, »Noch lange seine Nabelschnur!« Denn also geht im Volk die Mähr Und also lehrt auch dies Gedicht: Wenn jene Nabelschnur nicht wär, Dann wär auch manches Andre nicht. Dann hätte beispielsweise Lingg Nie völkerwandernd sich verrannt Und Wagners Nibelungenring Wär stellweis nicht so hirnverbrannt. Uns hätte nie Professor Dahn Urdeutsch dozirt von A bis Z Und kein ägyptischer Roman Verzierte unser Bücherbrett. Wolffs Heijerleispoeterei, Kein Baumbach wär ihr nachgetatscht, Und Mirzas Reimklangklingelei Summa cum laude ausgeklatscht. Dann schlüge endlich unsrer Zeit Das Herz ans Herz der Poesie, Das Rütli schwüre seinen Eid Und unser Tell wär das Genie. So aber so – frei, fromm und frisch Kaut weiter jener Nimmersatt; Sein eigner Schmerbauch ist sein Tisch, Sein –wisch ein Bananenblatt. Und um ihn wie das liebe Vieh Wälzt sich zerknirscht ganz Singapur Und »Gott erhalte«, singen sie, »Noch lange seine Nabelschnur!« 2. Stoßseufzer! Heut misst man die Bücher mit Ellen Ein wahrer Papier-Ocean! Tagtäglich drei neue Novellen, Tagtäglich ein neuer Roman! In süsslicher Selbstpanegyrik Entwässert in jedes Journal Die unvermeidliche Lyrik Ihre Thränenkübelmoral. Die Welt ist nimmer die alte, Sie stinkt wie ein Limburger Käs Und bringt in jeder Spalte Sechs Tohuwabohuessays. Der Zeitgeist diktirt seinem Kater Eine gallige Selbstparodie Und krank liegt das deutsche Theater An chronischer Selbstmordmanie. Die Kunst war einst unwiderstehlich, Wie die Lurlei hoch über dem Rhein, Doch heute denkt jeder: O selig, Ein Wiederkäuer zu sein! Dort liegen Herrn Hartmanns Schriften, Weiss Teufel, der Kerl hat Recht – Ich möchte die Welt vergiften Mit meinem Stiefelknecht! 3. Anathema sit! Viele Wörter sind auf is Masculini generis, Viele stehn im Daniel Sanders, Viele stehn auch noch wo anders, Doch verhasst vor allen sind Diese mir, mein liebes Kind: Weihrauchfässer und Crucifixe, Tinte, Schwefel und Stiefelwichse, Englische Peers und russische Knuten, Türkische Paschahs und deutsche Rekruten, Throne, Kasernen und Schweinekofen, Parvenüs und Naturphilosophen, Enten, Seeschlangen, Juden und Zwiebeln, Alte Jungfern und enge Stiebeln, Weisse Handschuh und schwarze Fräcke, Krinolinen und Chapeau cläque, Schnupftabaksdosen und Mädchen für Alles Und – last not least– ein unsterblicher Dalles! Sympathisch zwar und angenehm Ist meiner Treu mir keins von dem; Doch bei vernünftiger Beschauung Stört mich auch keins in der Verdauung. So leb ich lustig comme il faut Wie jener Mops im Paletot. Nur Eins macht stets mich tapfer weichen Und lässt mich kreideweiss erbleichen .... O Gott, mir wird das Herz so schwer: Nachbarin, euer Fläschchen her! Das Wort bleibt mir im Halse stecken, So oft ich auch daran gedacht – Das ist der schrecklichste der Schrecken: Ein Schöngeist, der in Versen macht! 4. Einem Glacédemokraten Komm, Freund, dass ich die Hand dir fasse, Du bist wie ich ein jeune garçon Und führst das Elend aus der Gasse Durch deine Lieder in den Salon. Du hüllst sie in Gold und Purpur ein, Nun wird die Armuth unsterblich sein. Ich weiss, du liebst es hoch zu Rosse Zu schütteln den Speer deiner Poesie, Drum duftet sie auch nie nach der Gosse Und stinkt beträchlich nach Patchouli. Famos! schon wird vor Bewundrung stumm Das höhere Töchterpublikum. Vergnüglich hockst du hinterm Ofen, Des Fortschritts Ziel hast du entdeckt Und so zu sagen mit deinen Strophen Den weissen Mohren schwarz geleckt. Kein Lied, das die rothe Rache preist, Kein Aufschrei, der uns das Herz zerreisst! Ich würde dir gern ein Krönchen kleistern, Du weist, ich bin kein Nihilist; Doch kann ich mich nicht recht begeistern; Dieweil es mir mitunter ist: Als lachte durch jedes Hungergedicht Dein wohlgenährtes Prostmahlzeitsgesicht! 5. Tagtäglich Tagtäglich wispert die Kritik: »O wirf ihn fort den Hungerknochen! Es hat die leidige Politik Schon Manchem hier den Hals gebrochen. Auch meine Galle schwimmt in Groll, Doch wozu ihn versificiren? Die Welt ist heute prosatoll Und wird ihn schwerlich honoriren. Such lieber hohe Protection, Dein Sozialismus ist uns schnuppe, Denn schliesslich wärmst du nur, mein Sohn, Die achtundvierzger Bettelsuppe. Drum still, du Sturm im Wasserglas, Und reime fortab nur auf »Triebe« – Du säst wie Lucifer nur Hass, Das Herz der Kunst heisst aber Liebe!« Ich hör's und fluche: Sapprement! Zwar lieblich locken die Moneten, Doch fehlt mir leider das Talent Zum schwarzweissrothen Hofpoeten. Ich pfeif auf euern Fahneneid, Ich pfeif auf eure feigen Possen! Ins schwarze Schuldbuch unsrer Zeit Sind meine Verse rothe Glossen! Drum bitte, mir drei Schritt vom Leib Mit euern Tombackpoesieen Und zischt nicht wie ein feiles Weib: Tritt ein in unsre Koterieen! Thät ich's, ich wär ein Halb-Poet, So aber ruf ich durch die Gassen: Die Welt, die sich um Liebe dreht, Weiss auch das Hungertuch zu hassen! 6. F. v. B. Ein Quentchen Herz, ein Quentchen Hirn, Die schlanke Nase kühn gekurvt Und die gedankenhohle Stirn Gedankenvoll »gefaltenwurft«: So seh ich ihn, verblichnen Airs, Den alten, goldbebrillten Knaben – O, F.v.B., das Beste wär's, Du liessest endlich Dich begraben! Begnadge Feder und Papier Und ziehe endlich die Moral, Du siehst, ich mein es gut mit Dir Und bin wie immer radikal. Was hast Du um die Zeit der Noth Auch heut in dieser Welt zu suchen? Wir Dichter schrein nur noch nach Brot Und nicht wie Du nach Kaffeekuchen! Kein Mensch ist mehr zuleikatoll, Dein Bülbülschwindel ist verkracht, Und ein entsetzlich tiefer Groll Ist jählings mit uns aufgewacht. Drum gecke weiter, alter Geck, Und schwärme vom Medschidscheorden, Wir – schreiten über Dich hinweg, Denn anders ist die Welt geworden! Sie schwelgt nicht mehr »an Baches Strand« Und sucht verzückt das Blümlein »Blau«, Sie hat sich endlich selbst erkannt Und plant den grossen Zukunftsbau. Zum Factum macht sie die Idee Und lacht der Schwärmer hinterm Ofen – Was sollen ihr nun, F.v.B., Was sollen ihr nun Deine Strophen? Ein Musterstück für Versdressur, Ein farblos Nichts, das bunt lackirt, Vergleichbar einer Kinderuhr, Die »fingerdick mit Gold beschmiert« – So ungefähr als Mann von Fach Würd ich den Mischmasch kritisiren; Doch nein, auch das ist noch zu schwach, Dein Witz ist ledern zum Crepiren! Drum noch einmal: Streu Sand aufs Blatt Und schreibe endlich Punktum drauf! Wir sind den alten Krimskrams satt Und athmen täglich freier auf. Wir wünschen Dir, weil Du ergraut, Auch schliesslich noch ein langes Leben; Nur darfst Du nie, was Du verdaut, In Versen wieder von Dir geben! Denn traurig ist's mit anzuschaun, Wenn ein zerbrochner Hampelmann Noch immer thun will wie ein Faun Und doch nicht kann, o Gott, nicht kann! Dann zuckt's mir durch das Herz: Er weint! Gespenstisch däucht mir seine Glatze, Und wenn die Sonne drüber scheint, Verklärt sie golden – eine Fratze! 7. Wie es kam Sie sassen in Walhall und tranken, Die Kukukuhr schlug Eins, Patagonier, Inder und Franken, Confuzius, Kant und Prinz Heinz. Sie sassen und tranken und Plato –Der Windhund sass neben Silen! – Silentium, rief er, bis Dato Geht nichts mir über Athen! Athen mit seiner Athene Und Phidias, dem griechischen Kiss, Athen und notabene Seine Akropolis! Virgil zerschlug seinen Humpen Und brüllte: Rom, Hund, Rom! Auch sein Nebenmann liess sich nicht lumpen: O Stadt am Gangastrom! Teut Michel pries keusch Buxtehude Und machte dazu: Hem Hem! Und Salomo, der Jude, Plädirte: Jerusalem! Napoli vedi e mori! Ein Kerl im Frack hat's geschnalzt, Bis meuchlings ein frecher Mahori Ihm gründlich die Suppe versalzt. Da erhub sich vom goldenen Stuhle, Das Trinkhorn in der Hand, Der alte König von Thule Und küsste sein Burschenband. Es blitzte sein Schläger im Weine, Es klang so voll, so weich: Alt Heidelberg, du Feine, Du Stadt an Ehren reich! Alt Heidelberg, du Feine – Wie das ins Herz ihm schnitt! Er sang es nicht mehr alleine, Zehntausend sangen es mit! Es sang es der ganze Chorus, Childe Harold brummte: All right! Und selbst der König Porus Rief: Wetter, das Ding hat Schneid! Derweilen, draussen vorm Thore, Stand lauschend ein deutscher Scholar, Der eben seiner Lore Lachend entlaufen war. Der hatte kein Wörtlein verloren, Der fing einen Sonnenstrahl Und gab ihm verträumt die Sporen Und ritt ins Neckarthal. Und heute, im Abendscheine, Jeder Vogel singt es vom Blatt: Alt Heidelberg, du Feine, Alt Heidelberg, du Stadt! 8. So ist's! Auf diesem schönsten der Planeten Erheben furchtbar ihr Geschrei Die theegepäppelten Poeten Der Höhern-Töchterclerisei: »Schon wieder Einer, der revoltert, Schon wieder Einer, der nur schreit: Der Menschheit Herz habt ihr gefoltert, Ich bin der Geist der neuen Zeit! Was will der Lump? Was? Räsonniren? Der Kerl, scheint's, hat den grossen Floh! So jung noch und schon kritisiren! O tempora! sagt Cicero. Hm! Jedenfalls sitzt er im Dalles, Doch, Teufel ja, wie dem auch sei! Wir dulden alles, alles, alles, Nur nicht Tendenzenreiterei! Die Poesie ist keine Pfütze, Sie brennt nicht wie ein Lampendocht, Und nichts gilt uns ein Kopf voll Grütze, Wenn sie das Herz nicht weich gekocht!« Schon gut! So hört doch auf mit Schelten Und schlagt mir nicht die Fenster ein! Gewiss, ihr Herrn, ich lass es gelten: Der Mensch lebt nicht von Brot allein! Die Lerchen jubeln noch und klettern An ihren Liedern in die Luft Und dunkle Hochgewitter wettern Noch nächtlich über Wald und Kluft. Noch immer blüht im Lenz der Flieder, Im Sommer duftet der Jasmin, Die Nachtigall singt ihre Lieder Und jeder Ton ein Blutrubin. Und macht der Herbst dann seine Runde, Umkreist das Adlerweib den Horst, Dann wandert um die Mittagsstunde Die Sonne golden durch den Forst. Dann lieg ich träumerisch im Grase Und freu mich, dass die Erde rund, Und oft versetzt mich in Extase Ein heisser, rother Frauenmund. Und doch – o heilige Hippokrene! – Wenn ihr das Ding so süss bereimt, In Goldschnitt »gb.« notabene Und roth mit Callico beleimt: Fällt mir der Nürnberger Trichter Und Geibels schöner Wahrspruch ein: Man kann ein guter lyrischer Dichter Und doch ein dummer Teufel sein! 9. Die deutschen Denker an die deutschen Dichter Wohl reiht ihr Reim an Reime Und fügt zum Wort das Wort, Doch eurer Saaten Keime Uns dünken sie verdorrt – Verdorrt, noch eh die Sichel Der Zeit sie jäh durchkracht Und so dem deutschen Michel Die Arbeit leichter macht. Denn ach, euch ging verloren Der Dinge Gang und Grund, Ihr hört mit tauben Ohren Und sprecht mit stummem Mund. Doch wehe eurer Scheitel Am Tage des Gerichts, Denn was ihr singt ist eitel, Und was ihr sagt ist nichts! Und doch, ging je vor Zeiten Der Sänger mit dem Sieg, Dann gilt es heut zu streiten In einem heilgen Krieg. Denn nicht um Hof und Heerde Schlägt unser Herz und schwillt: Heut ist's die ganze Erde, Der unser Sterben gilt! Seit Urbeginn schon gährte Es tief im Schooss der Zeit Und jede Stunde nährte Den grausen Widerstreit. Doch heute erst entrauchte Die Lohe ihrem Schacht Und blutig überhauchte Sie das Gewölk der Nacht. Und weh, das Glück zerschellte, Was ganz war, brach entzwei, Und durch die Lande gellte Ein einzig lauter Schrei. Mit Mehlthau übernetzte Das Feld sich weit und breit Und es begann der letzte, Der Bürgerkrieg der Zeit. Nun rast er durch die Auen Und spielt sein wildes Spiel Und uns durchrinnt ein Grauen, Bedenken wir sein Ziel. Die Tafel der Gesetze Zerbarst wie sprödes Glas, Die Tugend ward zur Metze, Die Liebe ward zum Hass. Die Wahrheit liegt im Staube, Die Hoffnung sitzt und weint, Gestorben ist der Glaube Und ach, das Herz versteint! Des Wahnsinns Schlangen zischen Und Alp thürmt sich auf Alp Und wüst erschallt dazwischen Der Tanz ums goldne Kalb. Doch nahn schon Gottes Boten Und ihre Stimme spricht: Lebendig sind die Todten Und nahe das Gericht! Der Erdball wankt und zittert, Des Himmels Wolken drohn Und durch die Lande wittert Der Hauch des Todes schon. Ihr aber, die zu Wächtern Des Heiligthums bestellt, Ihr habt euch den Verächtern Des Himmels zugesellt; Denn wenn der Donner rollte, Verschlosst ihr euer Ohr, Und wenn die Brandung grollte, Wer war's, der sie beschwor? Ihr stammelt wie die Kinder, Dass niemand euch versteht, Und jeder Reimverbinder Ist heute ein: Poet! Sich selbst singt er im Liede Und macht es sich bequem, Als wäre der ewige Friede Schon mehr als ein Problem! Doch nun genug der Schande, Auf, auf! und greift zur Wehr Und wandert durch die Lande Und rudert übers Meer! Streift ab die blumigen Ketten Und folgt uns in den Krieg, Denn noch sind sie zu retten Die Ehre und der Sieg! Und dräut auch manche Wolke Euch schwarz am Horizont, O haltet treu zum Volke, Ihr habt's noch nie gekonnt! Nach ihm streckt seine Krallen Siebenfach die Noth; Der schrecklichste von allen Ist doch der Kampf ums Brot! Zerknechtet und zerknetet, Es kennt sich selber nicht; Drum singt und wacht und betet: Mehr Licht, o Gott, mehr Licht! Und kehrt der Friede wieder Dereinst nach Kampf und Streit, Dann singt: Das Lied der Lieder, Das ist das Lied der Zeit! Den Franzosenfressern O Land der blauäugigen Menschen! ......................................................... Der Rhein bot dir Gold, Bernstein das baltische Meer! Musik ist dein Odem, Deine Seele Harmonie und Weihrauch; Sie lässt in mächtigen Hymnen Den Schrei des Adlers Mit dem Gesange Der Lerche wechseln! ......................................................... Keine Nation ist gerechter als du! Zur Zeit, als die ganze Erde Noch ein Ort des Schreckens war, Warst du unter den starken Völkern Das gerechte Volk! ......................................................... So lange, wie die Eiche Dem Epheu ihre Arme bietet, Warst du die Kämpferin Für das alte Recht der Besiegten! Viktor Hugo Ich bin ein deutscher Patriot Und schwarz-weiss-roth sind meine Verse, Denn treu dem Volk bis in den Tod Schwör ich auf Werther, Faust und Lerse. Manch goldbeschlagnes Auerhorn Hab ich aufs Deutschthum schon getrunken Und bin als Kerl von Schrot und Korn Noch niemals untern Tisch gesunken. Doch trotzdem ruf ich: Vive la France! Honi soit, qui mal y pense! O, nicht stets für sich selbst geschwärmt! Aus tausend Schriften lässt sich's lesen: Die Gluth, die mir das Herz durchwärmt, Sie loht auch jenseits der Vogesen. Das Volk der Rousseaus und St. Pierres, Man mag's begeifern, mag's beneiden: Mir ist's so lieb, wie das Homers, Und kein Phantast soll's mir verleiden! Drum ruf ich lautauf: Vive la France! Honi soit, qui mal y pense! O wer, als einst wie nie zuvor Die Welt ein Haupt voll Blut und Wunden, Sang ihr das »Lied im höhern Chor«, Daran wir heute noch gesunden? Rouget de L'Isle war's, der Franzos, Die Seine rauscht's und die Garonne, Und aus der Knechtschaft dunklem Schooss Rang sich die Freiheit in die Sonne. Drum juble, Seele: Vive la France! Honi soit, qui mal y pense! Wohl weiss ich's, krass war jene Zeit Und ward von Tag zu Tag noch krasser, Doch jede grosse Wahrheit schreit Nach Blut und nicht nach Zuckerwasser! Wem sie ihr Herz geoffenbart, Der schrickt zusammen und bewundert's; O, jener Schwur im Ballhaus ward Zur ersten Grossthat des Jahrhunderts! Drum juble, Seele: Vive la France! Honi soit, qui mal y pense! Wohl steht noch heut, Gewehr bei Fuss, Ein Cerberus an jeder Grenze, Doch schon umweht's mich wie ein Gruss Aus ferner Zukunft fernem Lenze. Dann schlägt kein Tambour mehr Allarm, Dann steht die Welt voll goldner Halme Und Frankreich ringt dann Arm in Arm Mit Deutschland um dieselbe Palme. Drum juble, juble: Vive la France! Honi soit, qui mal y pense! Doch ihr ... verhöhnt mich immer nur, Ihr biedern Knopflochpatrioten; Ich weiss, ihr schwärmt nur für Dressur, Für Kalbsfilet und Schweinepoten. Ihr sammelt Lumpen, sammelt Geld Und träumt von längst verschollnen Tagen; Was kümmert's euch, wenn durch die Welt Der Zukunft Nachtigallen schlagen? Ich aber rufe: Vive la France! Honi soit, qui mal y pense! Noch Eins! Mit dem Volke soll der Dichter gehen, Also les' ich meinen Schiller heut! Ferdinand Freiligrath Beim Leibe des Brots und beim Blute des Weins! Merkt auf, ihr Herren im Frack! Ihr hohen Herrn! denn ich pfeif euch noch Eins, Noch Eins auf dem Dudelsack! Und ob ihr auch flucht und mich niederschreit, Mir Alles einerlei! Die Porzellan- und Reifrockzeit Ist Gottseidank vorbei! Vor dem Drei-Stern, den unsere Zeit gebar, Verschliesst St Peter die Thür: Garibaldi heisst er und Bolivar Und Toussaint L'Ouverture. Es wandelt der neue Jesus Christ Still durch die Völker schon: O glaubt mir, unser Jahrhundert ist Das Jahrhundert der Revolution! Schaut hin, schon hat's an den Nagel gehängt Purpur und Hermelin Und sitzt am Studirtisch tief versenkt In die heilige Schrift des Darwin. Ja, die biblische Spottgeburt aus Lehm Besann sich auf ihre Kraft, Und die Wahrheit entschleiert ihr Weltsystem Vor der Köngin der Wissenschaft! Ihr aber thut, als wäre die Welt Noch die Welt, die sie ehmals war; Ihr bucht eure Titel und zählt euer Geld Und faselt von Thron und Altar! Ihr faselt im Wachen, ihr faselt im Traum, Und im Frühling genirt euch der Wind, Und keiner merkt, wie im Freiheitsbaum Schon die Knospen gesprungen sind! Ihr spreizt euch und bläht euch und nörgelt und mault Trotz Hunger und Dynamit Und seid doch an Körper und Geist verfault, Verfault bis ins hundertste Glied! Ihr hasst das Licht wie die Pestilenz, Und der Schuftigste brüllt: Ich riskir's! Und schneuzt sich und schwört auf die Intelligenz Der hinterpommerschen Peers! Doch ein braver Fluch ist auch ein Gebet Und die Marseillaise ein Lied, Drum wenn das noch lange so weitergeht, Dann weiss ich, was geschieht! Dann ruft das Volk: Vermaledeit! He, Pulver her und Blei! Die Porzellan- und Reifrockzeit Ist Gottseidank vorbei! Religionsphilosophie Und Ich will einen Bund mit dir machen! Jeohova O Herr, aus tiefer Noth Schrei ich zu Dir hinauf: Gieb mir mein täglich Brod Und etwas Butter drauf! Ein Stückchen Leberwurst Wär schliesslich auch nicht ohne; Du weisst, mein Teufelsdurst Ist Deiner Schöpfung Krone! Wär nur mein alter Hut Nicht so entsetzlich schief; Du weisst nicht, wie das thut, Doch hier, hier brennt es tief! Mein Flaus hält nur soso, Ich wollt, er wäre wärmer; Ein Winterpaletot Macht Dich doch auch nicht ärmer! Du siehst, mir fehlt noch viel, Und meine Seele schreit, Ich finde keinen Stil Vor lauter Frömmigkeit! Doch sei's. Ich bin ein Mann Und will mich nicht erdreisten, Nur musst Du dann und wann Mir auch was Extra's leisten! Für Klärchen einen Zopf, Ein Cul für meine Frau Und Sonntags in den Topf Womöglich eine Sau! Und lässt Du einmal, geht's, Mich Calculator werden, Dann will ich Dir auch stets Erkenntlich sein auf Erden! Dann halt ich hübsch den Mund Bei andrer Spott und Hohn Und gründe einen Bund Für innere Mission. Mein Fritz muss fürchterlich Theologie studiren Und schliesslich lass ich mich Zum Kirchenrath creiren! Doch, wenn Du filzig bist, Dann dank ich für die Kur; Dann werd ich Atheist Und wähle bebel'sch nur! Dann mag Altar und Thron Nur dreist zusammenbrechen, Dann werd ich Deinen Lohn In Gold und Blut Dir blechen! Doch, wie man's treibt, so geht's. Mein Loos wägt Deine Hand, Und eine wäscht ja stets Die andre hier zu Land. So nimm mein Herz denn hin, Ich will's Dir ja nicht schenken; Dass ich Geschäftsmann bin, Wirst Du mir nicht verdenken! Drum, Herr, aus tiefer Noth Schrei ich zu Dir hinauf: Gieb mir mein täglich Brod Und etwas Butter drauf! Ein Stückchen Leberwurst Wär schliesslich auch nicht ohne, Du weisst, mein Teufelsdurst Ist Deiner Schöpfung Krone! Arme Lieder O dass er käme, jener Fürst der Liebe, Der von dem Haupt die goldne Krone legt Und, dass kein Herz verarmt und dürftig bliebe, Den goldnen Reif zu frommen Münzen prägt, Der seinen Purpurmantel voll Erbarmen Zu Windeln theilte für die Brut der Armen! – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – Ein schöner Traum! Er wird sich nicht erfüllen, Doch blickt er schön aus rothem Dämmerlicht. Es taugt, die Noth der Erde zu verhüllen, Die Blumenpracht von hundert Lenzen nicht, Allein so lang noch ird'sche Lenze dauern, Wird der Poet mit dem Enterbten trauern. Alfred Meissner 1. Meine Nachbarschaft Mein Fenster schaut auf einen düstern Hof, Auf schmutzge Dächer und auf russge Mauern, Doch wer wie ich ein Stückchen Philosoph, Lässt darum sich noch lange nicht bedauern. Ein wenig Luft, ein wenig Sonnenlicht Dringt schliesslich auch durch seine trüben Scheiben, Zu hungern und zu frieren brauch ich nicht Und all mein Thun ist nur ein wenig Schreiben. Ein wenig Schreiben, wenn ich stundenlang Mich einlas in die Wunderwelt der Alten, Bis endlich, endlich es auch mir gelang, Was ich gefühlt, zum Wohllaut zu gestalten. Dann fliesst es um mich wie ein Heilgenschein, Und mir im Herzen bauen sich Altäre; So könnt ich glücklich und zufrieden sein, Wenn ach, nur meine Nachbarschaft nicht wäre! Kein Schwärmer ist es, der die Flöte liebt Und auf ihr nur »des Sommers letzte Rose«, Kein Tanzgenie, das ewig Stunden giebt, Auch kein klavierverrückter Virtuose: Ein armer Schuster nur, der nächtens flickt, Wenn längst aufs Dach herab die Sterne scheinen, Indess sein Weib daneben sitzt und strickt Und seine Kinderchen vor Hunger weinen! O Gott, wie oft nicht schon hat dieser Laut Mich mitten aus dem tiefsten Schlaf gerüttelt! Und wenn ich halbwach dann mich umgeschaut, Hat wild es wie ein Fieber mich geschüttelt. Des Mädchens Schluchzen und des Knaben Schrei Und ganz zuletzt des Säuglings leises Wimmern – Mir war's, als hörte ich dann nebenbei Drei kleine, kleine schwarze Bettlein zimmern. Mir war's, als rollte dumpf dann vor das Haus Der nur zu wohlbekannte Armenwagen Und jene Bettlein trugen sie hinaus Und luden sie in seinen düstern Schragen. Der Kutscher aber nahm noch einen Schluck Und peitschte fluchend seine magren Schinder Und übers Pflaster dann ging's Ruck auf Ruck, Doch ach, noch immer wimmerten die Kinder! Und immer, immer noch klang's mir im Ohr, Wenn schon der Morgen durch das Fenster blickte, Und mir ums Auge hing einen Thränenflor, Wenn ich dann stumm mein Tagewerk beschickte. Was half mir nun mein »Stückchen Philosoph«? In Trümmer fiel, was ich so luftig baute! Doch that's das Haus nicht, nicht der düstre Hof, Nein, nur die abgebrochnen Kindeslaute! – Die Armuth bettelt um ein Stückchen Brot, Doch herzlos lässt der Reichthum sie verhungern Millionen tritt die Goldgier in den Koth, Und Einen einzigen nur lässt sie lungern. In seidne Betten wühlt sie ihn hinein, Wenn er beim Sect sich endlich ausgeplappert, Indess beim flackernden Laternenschein Das bleiche Elend mit den Zähnen klappert. O Gott, warum dies alles, o warum? Wie Centnerlast drückt mich die Frage nieder! In meinen Reimen geht sie heimlich um Und ächzt und stöhnt durch meine armen Lieder. Was bleibt mir noch auf diesem Erdenball? Denn auch die Kunst, längst stieg sie vom Kothurne! Einst schlug mein Herz wie eine Nachtigall, Doch ach, nun gleicht es einer Thränenurne! 2. Een Boot is noch buten! »Ahoi! Klaas Nielsen und Peter Jehann! Kiekt nach, ob wi noch nich to Mus sind! Ji hewt doch gesehn dem Klabautermann? Gott Lob, dat wi wedder to Hus sind!« Die Fischer riefen's und stiessen ans Land Und zogen die Kiele bis hoch auf den Strand, Denn dumpf an rollten die Fluthen; Han Jochen aber rechnete nach Und schüttelte finster sein Haupt und sprach: »Een Boot is noch buten!« Und ernster keuchte die braune Schaar Dem Dorf zu über die Dünen, Schon grüssten von fern mit zerwehtem Haar Die Frau'n an den Gräbern der Hünen. Und »Korl!« hiess es und »Leiw Marie!« »'T is doch man schön, dat ji wedder hie!« Dumpf an rollten die Fluthen – »Un Hinrich, min Hinrich? Wo is denn dee?!« Und Jochen wies in die brüllende See: »Een Boot is noch buten!« Am Ufer dräute der Möwenstein, Drauf stand ein verrufnes Gemäuer, Dort schleppten sie Werg und Strandholz hinein Und gossen Oel in das Feuer. Das leuchtete weit in die Nacht hinaus Und sollte rufen: O komm nach Haus! Dumpf an rollen die Fluthen – Hier steht Dein Weib in Nacht und Wind Und jammert laut auf und küsst Dein Kind: »Een Boot is noch buten!« Doch die Nacht verrann und die See ward still Und die Sonne schien in die Flammen, Da schluchzte die Aermste: »As Gott will!« Und bewusstlos brach sie zusammen! Sie trugen sie heim auf schmalem Brett, Dort liegt sie nun fiebernd im Krankenbett Und draussen plätschern die Fluthen; Dort spielt ihr Kind, ihr »lütting Jehann«, Und lallt wie träumend dann und wann: »Een Boot is noch buten!« – 3. So Einer war auch Er! Liegt ein Dörflein mitten im Walde, Ueberdeckt vom Sonnenschein, Und vor dem letzten Haus an der Halde Sitzt ein steinalt Mütterlein. Sie lässt den Faden gleiten Und Spinnrad Spinnrad sein Und denkt an die alten Zeiten Und nickt und schlummert ein. Heimlich schleicht sich die Mittagsstille Durch das flimmernde, grüne Revier. Alles schläft; selbst Drossel und Grille Und vorm Pflug der müde Stier. Da plötzlich kommt es gezogen Blitzend den Wald entlang Und vor ihm hergeflogen Trommel und Pfeifenklang. Und in das Lied vom alten Blücher Jauchzen die Dörfler: Sie sind da! Und die Mädels schwenken die Tücher Und die Jungens rufen: Hurrah! Gott schütze die goldnen Saaten, Dazu die weite Welt; Des Kaisers junge Soldaten Ziehn wieder ins grüne Feld! Sieh, schon schwenken sie um die Halde, Wo das letzte der Häuschen lacht! Schon verschwinden die ersten im Walde Und das Mütterchen ist erwacht Versunken in tiefes Sinnen, Wird ihr das Herz so schwer Und ihre Thränen rinnen: »So Einer war auch Er!« 4. Ein Herz, das zersprungen Den Menschen fernab In Sammt und in Trauer Liegt einsam ein Grab, Ein Grab an der Mauer. Kein Marmorstein deckt Den sinkenden Hügel, Doch drüberhin reckt Ein Baum seine Flügel. Ein Christuskreuz sieht Aus blühendem Flieder Und manchmal auch kniet Ein Weib davor nieder. Und gestern, als sacht Ich vorübergegangen, Da gab ich drauf Acht, Was die Vögel dort sangen. Ich lauschte und sieh, Da war es die alte, Die Schmerzmelodie, Die noch niemals verhallte: Ein Baum, der verblüht, Ein Ton, der verklungen, Ein Stern, der verglüht, Ein Herz, das zersprungen! 5. Nachtstück Längst fiel von den Bäumen Das letzte Blatt, In Schlaf und Träumen Liegt nun die Stadt; Die Fenster verdunkeln Sich Haus an Haus Und drüberhin funkeln Die Sterne sich aus; Kalt weht es vom Strom her, Der Eisgang kracht, Und drüben vom Dom her Dröhnt's Mitternacht. Ich aber schleppe mich zitternd nach Haus – Der Nordwind bläst die Laternen aus! Was half's, dass ich klagend Die Gassen durchlief Und mitleidverzagend »Hier Rosen!« ausrief? »Hier Rosen, o Rosen! Wer kauft einen Strauss?« Doch die Herren Studiosen Lachten mich aus! Und keiner, keiner .... Dass Gott erbarm! O unsereiner Ist gar zu arm! Mir wanken die Kniee, mein Herzblut gerinnt – O Gott, mein Kind, mein armes Kind! In stockdunkler Kammer, Verhungert, verthiert! Schon packt mich der Jammer: »Ach Muttchen, mich friert! Ach bitte, bitte Ein Stückchen Brot!« Mir ist es, als litte Ich gleich den Tod! Mir ist es, als müsste Ich schreien: »Fluch!« – O dass ich dich küsste Durchs Leichentuch! Dann wär es vorbei und sie scharrten dich ein Und ich trüg es allein, o Gott, allein ..... 6. Weder Glück noch Stern! Es war ein Narr! sprach mitleidslos die Welt, Ein Träumer! milderte die Nachbarschaft Und nur sein Herzfreund sprach: Er war ein Dichter! Vor seinem Krankenlager aber sass Die bleiche Schwester der Barmherzigkeit Und blickte sinnend auf ein Blatt Papier, Das gestern erst der flinke Telegraph, Mit seinen krausen Zügen überdeckt, Und nur mit Mühe konnte sie entziffern: »Ihr erstes Stück! Ein Sensationserfolg! Berühmt mit einem Schlag! Wir gratuliren!« Er aber, dem dies kleine Blatt Papier Die heissersehnte Botschaft künden sollte: Glück auf, nun hast du nicht umsonst gelebt – Er schlief und sah es nicht, denn er war todt. Der dunkle Winterabend warf sein Licht Kalt durch die zugefrornen Fensterscheiben Und spielte zitternd um ein Frauenbild, Das auf die bleiche Stirn des todten Dulders Unsäglich schön und mitleidsvoll herabsah. Darunter aber wand ein welker Kranz Sich grün um ein vergilbtes Atlasband; Drauf stand, voreinst von Freundeshand geschrieben, Das Sprüchlein: Lorbeerbaum und Bettelstab! 7. Ninon Ninon heisst sie. Ihre Mutter Handelt nachts mit Apfelsinen An der Weidendammer Brücke. Doch sie selbst ist Kammerkätzchen. Stöckelschühchen. Sehr kokett. Sehr kokett sitzt auch ihr Häubchen, Das auf ihrem krausen Köpfchen Weiss und niedlich balanciert. Doch der kleine Marmorschlingel, Der dem Spiegel vis-a-vis Grad vor einem Makartstrauss hockt, Lässt sich dadurch nicht verblüffen. Immer, wenn ihr Pfauenwedel Ihn frühmorgens abstäubt, lacht er. Ja, die Stutzuhr kann sogar Deutlich hören, was er sagt: »Thu mir den Gefallen, Kind, und Kokettiere nicht so viel! Ninon nennt die gnädge Frau dich? Geh, du heisst ja gar nicht so! Martha heisst du. Dein Papa War der gnädge Herr von Dingsda. Vor drei Wochen in New-York Starb er als Conditorlehrling. Deine Mutter lebt. Sie schielt, Hinkt und schnupft. Im Uebrigen Handelt sie mit Apfelsinen An der Weidendammer Brücke.« 8. Im Volkston Das Scheiden, ach das Scheiden, Wer hat das nur erdacht Und ein so schweres Leiden Mir übers Herz gebracht? Und wär's ein Kräutelein, Ich nähm mein Messerlein Und wollte flink zerschneiden Die bösen Würzelein. Ich hörte von den Weiben Herzliebe und Herzleid, Wo Herzelieb mag bleiben, Ist Herzeleid nicht weit. Herzliebe war uns hold Und fluchs kam angetrollt, Die Schwester zu vertreiben, Herzleide, die ihr grollt. Aus Thor und Thurm und Mauern Zieh ich hinab das Thal Und blicke noch in Trauern Zurück zum letzten Mal. Horch, wie die Winde gehn, Schau, wie die Blätter wehn – Ach Gott, wie lang wird's dauern, Bis wir uns wiedersehn! Der Teufelsteich Thörichte Freunde des todten Alten, Fahrend in ausgeleierten Gleisen, Tanzend nach verklungenen Weisen, Möge dies Mährlein euch unterhalten. Lenau Die Leute nennen ihn den Teutelsteich. Die alte Müllersch, die mit Krücken wirft, Die Hurenlieder singt und Kräuter trocknet, Und die der Pfundwirth immer Hexe schimpft – Wahrscheinlich weil die Kathi schwanger geht, Weil morgen Markt ist und sein Bier nichts taugt – Die alte Müllersch hat's nicht weit von ihm. Ihr wisst, auf Christenleute Worte werfen, Die um ihr Renommee wie Kletten baumeln, Sie Höllenunflad, Fegefeuerzangen Und Teufelsfricassee betituliren, Ist nicht mein Amt. Ich bin kein Leutepriester. Ich bin nur sozusagen Philosoph. Ich züchte Bienen, schneide Haselruthen Und bläu den Jungens meine Fibel ein. Doch diese Müllersch ... wie? Ihr kennt sie nicht? Ei, was Ihr sagt! 'S ist ja dasselbe Weibsbild, Das neulich über diesen Zaun geschielt, Grad als der Toni sich den Fuss verstauchte Und meine Mietze sieben Junge warf! Zum Kukuk, Herr, entsinnt Ihr Euch denn nicht? Ach, geht! Ihr sasst ja grad auf dieser Bank Und suchtet Euer weisses Taschentuch. Nicht wahr? Ein Schluckanfall! Nun ja, ich sag's ja! Hm? Und mein Altchen? Ach, die gute Seele! Hat sie nicht dreimal Euch ins Kreuz gestukt? Glaubt mir, ich hab's Euch immer schon gesagt, Sie hat Euch lieb; weit lieber noch als mich; So lieb, wie ihr Kanarienvögelchen. Und als ihr Mittelchen nicht gleich verschlug? Lief sie nicht händeringend nach dem Brunnen Und stolperte dann über diesen Pflock, Den ich erst Ostern so hübsch rund geschnitzt Und jetzt zu Pfingsten grün bemalen wollte? Und ging mir selber, da ich still dabei stand Und blaue Ringel in den Flieder blies, Ging mir nicht einszweidrei das Pfeifchen aus? Die Hexe aber, die es ausgeblasen, Die mir mein Altchen beinah lahm geschielt Und Euch den Schluckauf in den Hals gewünscht, That unschuldsvoll wie ein Marienbildchen, Griff dreimal an ihr gelbes Kopftuch, nieste, Sah blinzelnd in die Sonne und verschwand Dann endlich hinkend hinter jenem Kirschbaum. Mag Lux, der Glöckner auf den Melibocus, Ihr mal gelegentlich um Mitternacht Mit seinem Kuhschwanz das Genick abdrehn! Der neue Amtmann wird sie hoffentlich, Wenn unser Herrgott nichts dagegen hat Und Pfarrers Köchin nicht dahinter kommt, – Wie ich mir denke, noch so vor Johanni – An irgend ein Spital verauktioniren. Wenn's der Gemeinde, der das rothe Schulhaus Schon unverschämt viel Geld gekostet hat, Nur nicht das Futter aus dem Säckel reisst! Das Jahr fünf Thaler wird's ihr freilich kosten. Dass doch ein Weibsbild so verflucht schwer stirbt! Na, gut, dass wenigstens das alte Rauchloch, Drin sie seit Jahren schon herumspelunkt, Von unserm Dörflein so hübsch abseits liegt! Die Kühe milchen so wie so schon schlecht. Wer weiss, wenn sie die Alte grünlich anspuckt, Ob sie nicht Frösche mit fünf Beinen kalben? Doch von der Müllersch, die mit Krücken wirft, Die Hurenlieder singt und Kräuter trocknet, Und die der Pfundwirth immer Hexe schimpft, –Sein Schwager Forstwart will sogar drauf wetten, Dass sie nach Kümmel stinkt und Taback kaut – Von dieser Müllersch wollt ihr ja nichts hören. Ihr wollt nur wissen, was die Ofenbank Am Abend, wenn das Feuer auf den Dielen Sich blassroth zwischen Kalmusblättern malt Und weiss der Winter durch die Scheiben lugt, Was dann die Ofenbank sich plappermäulig, Indess die Mädels ihre Spindeln drehn, Vom Teufelsteich zu colportiren weiss. Nun gut. So hört denn zu. Vom Teufelsteich Mag's bis zur Kathe von der alten Müllersch, So ungefähr drei Vaterunser weit sein. Ihr wisst, die Haide fängt schon früher an. Um seine Ufer, die von Scherben starren, Von Stiefelsohlen und Papier umkränzt, Dehnt sie sich nackt und dürr wie ein Gerippe. Sand, nichts als Sand und immer wieder Sand, Soweit die Raben ihre Flügel blähn! Drei alte Silberpappeln rauschen nur Gespenstisch in den dunklen Abendhimmel, Und blutroth drunterhin schwankt eine Blume. Die einzige, die hier zu blühen wagt. Denn niemals singt ein Vogel ihr ein Lied, Ihr Duft erstickt in der verfaulten Luft Und in den Wassern darf sie sich nicht spiegeln. Denn die sind kohlschwarz wie das Herz des Teufels. Das Boot, das ruderlos im Schilf verfault, Hat längst der Sumpfpilz wie ein böser Aussatz Mit grossen, grünen Buckeln übertupft Und um die Kette, die durchs Wasser schleift, Klebt Schlamm und Entengrütze fingerdick. Die Planken, die verspaakt, zurechtzubasteln, Hat sich bisher noch niemand träumen lassen. Wozu auch? Karpfen giebt's dort nicht zu angeln Und Krötensuppe mag der Pfarrer nicht. Klaus Tom, der Fischer, hat sein graues Netz Nur noch zum Staat vor seiner Thür zu hängen! Punkt fünf Uhr morgens steht der Racker auf, Probirt sein Süpplein, gähnt, schlurft in sein Gärtchen, Stäubt dort das morsche Bretterbänklein ab, Stopft sich gemüthlich seinen Türkenkopf, Schlägt dann das rechte übers linke Bein, Pafft wie ein Schornstein, zählt die Sommerwolken Und merkt daneben, was die Fliegen summen. Zu Frühstück schickt ihm dann der alte Matthies, Der neulich erst den schwarzen Stern gepachtet, Ein Kümmelchen mit Pommeranzen rüber. Ein Kümmelchen! Das heisst wohl mehr ein Kümmel. Man lutscht bequem ein Viertelstündchen dran. Natürlich ist man dann zu Mittag hungrig! Dreimal die Woche Häring, einmal Fleisch Und Samstag Abend ein Gebacknes extra! Na, mir kann's recht sein! Seit der Geizhalssepp Ihm erst um Lichtmess den Gefallen that Und sich zum Vesperbrod auf seinem Strohsack Mit einem Hühnerbein die Gurgel einstiess, Darf sich sein Päthling schon sein Süpplein schmälzeln! Fünf alte Strümpfe, wie ein Weib sie trägt, Mit Doppelkronen aus der Schwedenzeit, Sind auch für unsereins kein Katzendreck. Nur Schade, dass das Blech der Armenbüchs, Noch niemals, wenn der Protz dran rumgeschielt, »Schöndank« geklimpert! Doch – was schwatz ich da! Klaus Tom, der Fischer, der sein graues Netz Nur noch zum Staat vor seine Thür gehangen, Der seinen Türkenkopf mit Gold beschlug Und Kümmel nur mit Pommeranzen trinkt, Klaus Tom, der Glückspilz, geht bei Licht besehn Euch ja noch wenger als die Müllersch an. Die alte Müllersch, die mit Krücken wirft, Und die der Pfundwirth immer Hexe schimpft! Nicht wahr, Ihr wolltet doch nur wissen, Herr, Was sich die alten Weiberzungen hier Um Mitternacht, wenn Hans das Gruseln lernt Und Grete näher an den Ofen rückt, Was dann die alten Weiberzungen hier Vom Teufelsteich sich in die Ohren zischeln? Nun gut. So hört denn zu. Mein Grossohm Pankraz, Der's selbst mit angesehn, hat's mir verbürgt. Denkt Euch die Haide, die sich meilenweit Nackt, braun und baumlos, dass das Herz Euch weh thut, Wenn Ihr ans Waldgrün Eurer Heimath denkt, Bis fernhin in den Horizont verliert. Weiss durch die Silberpappeln um den Teich Segelt ein Sommerfaden. Es ist Abend. Schwarz liegt das Wasser da, schwarz wie die Sünde, Und drüber, wie ein blutender Rubin, Neigt sich die zauberhafte Blume ... Der Nebel, der phantastisch sie umwindet, Rollt sich jetzt auf und ringelt wie ein Wurm Sich weiss und langsam bis ins Dorf hinein. Jetzt knarrt die Kirchhofsthür, ein Schlüssel dreht sich Und auf die Christuskreuze tropft der Thau. Der fahle Schwefelstreif im Westen stirbt, Vom Wald her brüllt verirrt noch eine Kuh, Und durch den dunkelblauen Himmel tropfen Ihr Licht die Sterne. Alles still ... Nur dass der Nachtwind, der im Schlafe träumt, Mal ab und zu mit seinen Flügeln schlägt, Und dass die Unkenmuhme tief im Teich Bisweilen ihre dumpfen Glocken läutet. Da – plötzlich! schreit die alte Thurmuhr Zwölf Und mitten aus dem schwarzen Rachen reckt Sich weiss und lautlos in die dunkle Nacht Ein nackter Frauenarm ... Das Wasser, das wie Mondlicht ihn umfliesst, Ballt sich zu grossen, runden Tropfen, glitzert Und rollt dann wieder langsam in die Fluth. Indessen wächst der Arm und wächst und wächst. Das Griechenweib, das einst Homer besang, Und das noch heut als Vampyr durch die Nacht irrt, Verkriechen müsst es sich vor seiner Schönheit, Wenn er nicht – Krallen statt der Nägel hätte! Indessen wächst der Arm und wächst und wächst. Doch kaum, dass ihn die Sterne droben sehn, So fängt ihr Licht auch schon zu flackern an, Als ob sie's eiskalt, wie ein Fieber packte, Und mehr als einer zittert wie ein Kind, Das nachts durch eine dunkle Stube gehn soll. Indessen wächst der Arm und wächst und wächst. Er wächst und wächst, bis seine Klaue schliesslich Sich jäh und rund um den Orion klaftert, Ihn knisternd aus dem blauen Himmel gräbt Und mitleidslos den angstvoll Zitternden Hinunter in die schwarze Tiefe krallt! Dann reckt er wieder langsam sich empor, Pflückt die Plejaden, löscht den Uranus Mit einem Tupf drauf wie ein Windlicht aus, Bringt den Saturn erst, dann die Venus um Und ruht nicht eh'r von seinem grausen Handwerk, Als bis er sich die lieben, goldnen Dinger, Alle, Bis auf den letzten! in den Sumpf gekrallt. Doch der schreit auf, wie ihn das Unheil packt, Die Morgennebel, die ums Schilf sich winden, Umschleiern rosenroth den Sonnenaufgang Und links vom Dorf herüber krähn die Hähne. Nackt, braun und baumlos dehnt die Heide jetzt Sich wieder fern bis in den Horizont Und rund aus seinem Scherbengürtel gähnt Der alte Tümpel, schwarz wie immer ... Doch wenn ein Sonntagskind vorüber geht, Sieht's roth und tellergross in seiner Mitte Wie Blut durchs todte Wasser blitzen, Und mitten wieder durch den Blutfleck schwimmen, Die fleckigen Kadaver gelb gedunsen, Drei todte Kröten ... Wenn sie mein Grossohm nicht, der alte Pankraz, Mit seinen eignen Augen selbst gesehn, Ich würde meine Dose hier drauf wetten, Dass dieses Märlein nur ein Märlein ist! Doch giebt's ja manches, Herr, auf dieser Welt, Was in den Katechismus schlecht hineinpasst. Wozu soll also dies Histörchen hier Durchaus erstunken und erlogen sein? Die alte Müllersch beispielsweise hat, Wenn sie betrunken Abends durch das Dorf trollt, Schon manches vor sich in den Wind geschwatzt. Was unsereinem sehr zu denken giebt. Man munkelt so von einer Enkelin, Die sie in alter, längstverschollner Zeit, Als noch die Möbel krumm verschnörkelt waren Und die Soldaten hinten Zöpfe trugen, An unserm König seinen Ohm verschachert. Demselben der – ich glaube, bei Kollin war's – Sich die Blessur links in den Arm geholt, Als er mit seinen ungrischen Schwadronen Die zwölfte Batterie zusammenritt. Ihr kennt ihn, Herr, gewiss aus Euern Büchern Den Prinzen Theodor! Gott hab ihn selig. Der Schnurrbart hing ihm unter seiner Nase Zu beiden Seiten wie ein schwarzer Pechdraht. O, er sah forsch aus! Der Husarendolman, Der roth um seine Schultern flatterte, Wird Euch noch heut im alten Residenzschloss Für einen Gulden vom Portier gezeigt. Das dumme Mädel aber war zu jung, Ich mein, zu jung, um nicht verrückt zu sein, Warf ihm den golden Krimskrams vor die Füsse, Spieh nachts wie toll ihm mitten ins Gesicht, Riss sich den seidnen Plunder frech vom Leib Und lief bei Nacht und Nebel auf die Haide. Der Wenzel aber, den sie lieb gehabt, Vor dem sie weinend auf den Knieen lag, Der Wenzel lachte auf, wie ein Besessner, Biss sich in die geballte Faust, schrie: Hure! Und stiess den armen Klumpen Weib dann schliesslich Mit seinem Fuss wie eine Hündin fort. Drei Tage drauf fand Barthel Franz, der Wildrer, Der grade Holz für seine Weiber stahl, Den rothen Prinzen unter einem Ahorn. Die Kugel war von einem Kreuz geritzt Und ihm gerade durch die Brust gegangen. Der Mussjöh Feldscheer, der mit seinem Wäglein Ein Stündlein drauf aus Schöppstedt ankutschirt kam, Hat nur die Achseln dazu zucken können. Ja, wo der tolle Wenzel einmal zuschoss, Da hat kein Pflästerchen mehr hacken wollen! Das Blutgeld aber, das dann die Justiz Noch selbgen Tags, auf seinen Kopf gesetzt, Hat sich kein Christenmensch verdienen wollen. Am Aschermittwoch war die Residenz Vom Kärntnerthor bis an den Elsterplatz Schwarz ausdrapirt wie ein Paradesarg, Und am Charfreitag schwamm der Wenzel schon Als Leichtmatrose nach Amerika. Postmeisters Günter, den sein Corporal So krumm genommen, bis er desertirt war, Sah ihn in Boston dann als Seifensieder. So Stücker zehn bis fünfzehn Jahre freilich Mocht's her sein, dass er ausgekniffen war! Das arme Mädel, die Sabine aber War unterdess in unsern Teich gesprungen. – Doch lassen wir den alten Schnickschnack, Herr! Das Kirchhofsgras, das über ihn gewachsen, Wird, wenn es Zeit, auch über uns sich biegen. Was? Teufel! Zeigt die Sonnenuhr schon Sieben? ... Pst! Still doch! Hört Ihr? Unser Altchen ruft schon! Wenn wir noch länger diesen Zaun hier schief stehn, Sperrt uns der Amtmann noch ins Spritzenhaus. Vergesst auch dort nicht Euer Taschenbuch! Und dieser Bleistift? Eurer? Na, denn kommt! Doch lasst den Bauch Euch nicht zu heftig knurren: 'S giebt heut nicht viel. Nur ein Kartoffelsüpplein! Emanuel Geibel Und eine Krone ist gefallen von dem Haupte eines Königs! Und ein Schwert ist gebrochen in der Hand eines Feldherrn! Und ein hoher Priester ist gestorben! Ludwig Börne 1. Dir ward das Köstlichste verliehen In dieser Tage Sturm und Drang: Ein Sinn für ewge Harmonieen Und eine Seele voll Gesang. Dem Jüngling lauscht, es lauscht dem Greise Das deutsche Volk allüberall, Und lieblich klingt die süsse Weise: Dein Herz ist seine Nachtigall! Denn wer verstand wie Du das Wesen Der deutschen Sehnsucht und ihr Leid? Zu ihrem Herold auserlesen, Warst Du das Echo Deiner Zeit! In dämmerschwülen Tagen sangst Du Dein: Wache auf! dem deutschen Reich Und nach dem Sieg von Sedan schlangst Du Das Oelblatt in den Lorbeerzweig. Doch nicht der Zeit nur und ihr Wüthen Hat Dir das Harfenspiel bewegt, Die duftigsten der Liederblüthen Dein eignes Herz hat sie gehegt. Doch was es immer auch erfahren, Stets blieb Dir heilig Deine Kunst, Und eingedenk des Ewig-Wahren, Verschmähtest Du des Pöbels Gunst! Dem Herrn befahlst Du Deine Wege Und übtest fromm Dein frommes Amt, Dem Lenz gleich, der das Dorngehege Mit rothen Rosen überflammt. Denn alles, was mit seiner Schöne Das Herz erquickt in Wald und Flur, Du gabst ihm Worte, gabst ihm Töne, Ein Hoherpriester der Natur! Und jetzt in einer Zeit der Gährung, Der schon das Blut zu Eis gerinnt, Weil sie in eitler Selbstverklärung Den Thurmbau Babels neu beginnt: Wer schickt sie aus, die Friedenstaube, Wer bricht das Brot und trinkt den Wein? Du bist es, Du, Du und Dein Glaube, Dein Glaube an ein Gottessein! Wohl tanzt noch immer die Verblendung Wie ehmals um das goldne Kalb, Doch naht die Zeit schon der Vollendung Und weichen wird von uns der Alp. Denn nicht umsonst hast Du gerungen, Wie Du gekämpft, hast Du gesiegt: Von Sphärenharmonie umklungen, Ein Aar, der in die Sonne fliegt. Schon steht die Kunst nicht mehr am Pranger, Schon winkt aufs Neu ihr Bahn auf Bahn, Und unsre Zeit sieht zukunftsschwanger Das kommende Jahrhundert nahn. Drin werden tausend Blüthen blinken In neuer Glorie neuem Schein, Und mag die Frucht auch andern winken, Die Saat, die goldne Saat ist Dein! O alte Zeit, o altes Lieben, Euch schleift kein Stahl, kein Diamant! Was so vor Jahren ich geschrieben, Heut nahm ich's wiederum zur Hand. Und wieder sprang mit jedem Schlage Mein Herzblut an zu schnellerm Lauf, Und eingedenk verschollner Tage, Schlug ich die Juniuslieder auf. Ferndraussen schwebte durch die Lüfte, Der erste Sonntag im April, Durchs Zimmer flog's wie Veilchendüfte Und heimlich war's und kirchenstill. Vom Thurm nur läuteten die Glocken Den Winter in sein Wittwerbett, Und frühverwehte Blüthenflocken Warf mir der Lenz aufs Fensterbrett. Ich aber sass und las sie wieder – O Gott, mir war das Herz so schwer! Ich las die alten, goldnen Lieder: Das Heimweh und die Nacht am Meer. Im Mondschein schritt ich weltvergessen Hinunter und hinauf den Strand, Und sacht umrauschten die Cypressen Das Inselmeer von Griechenland. Des Südens Sterne sah ich scheinen, Doch fühlt ich nicht des Südens Lust, Der Liebe langverhaltnes Weinen Rang schluchzend sich aus meiner Brust. Als müsst es wonnig sich verbluten, Vor Sehnsucht ward das Herz mir weit, Und durch mein Sinnen liess ich fluthen Das Heimweh nach der Ewigkeit. Und wieder dacht ich dann begeistert Des Sängers, der dies Lied einst sang, Der eine Welt mit ihm bemeistert Und Zeit und Raum mit ihm bezwang. Sass er jetzt auch in sich versunken, Ein Liederbuch auf seinen Knien, Und lauschte lenz- und wohllauttrunken Dem Glockenspiel von St. Marien? Er, der Brunhilde, die Walkyre, Aus Island rief an unsern Rhein ... Da horch, ein Klopfen an der Thüre Und laut erschallte mein Herein! Und eilvoll trat zu mir ins Zimmer Mein Freund, der mir die Rechte bot; Schon seines Auges feuchter Schimmer Sprach, eh's sein Mund sprach: Er ist todt! Er starb, noch eh die Morgenröthe, Eh sich die Nacht ins Auge sahn; Mit Uhland, Schiller und mit Goethe Wallt nun auch Geibel seine Bahn. Die Stirn vom Lorbeer sanft umfächelt, Mit seinem Herrn ist er vereint; Sein bleiches Antlitz liegt und lächelt, Die ewge Liebe aber weint. – O wehmuthweiche Trauerkunde, Wie schlugst du schmerzlich an mein Ohr; Mir war's, als ob ich jäh zur Stunde Ein Stück von meinem Selbst verlor! Der Tod, der bleiche Allvernichter, Blies mir ins Herz die Melodie: O, nun ist todt der letzte Dichter Und mit ihm auch die Poesie! Kein armes Wörtchen könnt ich stammeln, Ein Schauer war's, der mich beschlich, Erst mählich wusst ich mich zu sammeln, Der Bann, der mich umfangen, wich. Der Muse Flügel hört ich schlagen Und all mein Wesen war entflammt: Halt ein, rief ich, mein Freund, mit Klagen, Nun feiern wir sein Todtenamt! Und sacht hiess ich ihn niedersitzen, Ich aber wandte mich geschwind, Der blanken Lederbände Blitzen Zog magisch mich ans Bücherspind. Durchs Fenster fielen Sonnenstäubchen Und bauten einen goldnen Steig Und draussen wiegte sich ein Täubchen Auf windbewegtem Fliederzweig. Ich aber las schnell längs den Brettern Die bunten Titel Band für Band, Bis endlich mit vergilbten Lettern Ich ein verstaubtes Büchlein fand. Gepresst lag eine Schlehdornblüthe Drin als ein Pfand verjährter Lust; Ich schlug es auf, mein Antlitz glühte, Und klangvoll brach's aus meiner Brust: »Es ist ein hoher Baum gefallen, Ein Baum im deutschen Dichterwald, Ein Sänger schied, getreu vor allen, Von denen deutsches Lied erschallt. Wie stand mit seinem keuschen Psalter Im jüngern Schwarm er stolz und schlicht; Ein Meister und ein Held wie Walther Und rein sein Schild, wie sein Gedicht!« Ein gluthgeborstner Feuerofen, In lohen Flammen stand mein Herz; Rollt doch ein Klang durch diese Strophen, Ein Klang wie von korinthisch Erz! Und weiter, immer weiter las ich Des todten Dichters eignes Lied; Dass er's einst Uhland sang, vergass ich Und wusste Eins nur noch: Er schied! »Er schied, es bleibt sein Mund geschlossen Im Wort so karg, im Lied so klar: Der Mund, draus nie ein Wort geflossen, Das seines Volks nicht würdig war Er schied: doch waltet sein Gedächtniss Unsterblich fruchtend um uns her, Das ist an uns sein gross Vermächtniss: So treu und deutsch zu sein, wie er!« Ich schwieg, der Lenz hielt draussen Feier Und unsre Herzen schlugen drein, Und leuchtend über Wald und Weiher Sein Goldnetz wob der Sonnenschein. Verwehte Frühlingsdüfte kamen Von fernher über Fluss und Ried, Und wie ein feierliches Amen Klang hoch im Blau ein Lerchenlied. 2. Und wieder hieb, Taub für den Wahnwunsch, Den tausendfältigen Ihres Geschlechts, Unbarmherzig Mit eherner Schneide Die Zeit in ihr Kerbholz: Wieder ein Tag! Und wieder nun wandelt, Fröhlich wie immer, Singend der Abend Durch das Goldthor des Westens Den hängenden Gärten Der sinkenden Sonne zu Und leis verhauchen, Vor Wehmuth zitternd, Ihr tönendes Leben Ins Spätroth die Glocken, Die Trauerglocken Zu Lübeck, der Stadt. Und immer stiller Wird es und stiller – Und immer dunkler! Längst ist zerstoben In alle vier Winde Des todten Dichters Letztes Geleit. Nur hie und da noch Am Brunn auf dem Marktplatz, Oder im Winkel Der dämmrigen Gasse, Mit verschränkten Armen Gelehnt an die Hausthür, Erzählt vertraulich Der Nachbar dem Nachbarn, Aus braunem Meerschaum Bläuliche Wölkchen Ins Zwielicht blasend: Wie auch er, Schon am frühen Morgen, Den wuchtigen Hammer Bei Seite gelegt Und staubüberdeckt Den blauen Werkeltagskittel Vertauscht mit dem schwarzen, Wohlgebürsteten Sonntagsrock. Wie er, begleitet Von seinem Vetter, Dem Fabrikanten, Drauf gravitätisch In modischem Aufputz Dem Zuge gefolgt sei; Und wie auch er dann Von seinem Gönner, Dem Herrn Senator, Die Gunst sich erwirkt Und dem grossen Todten, Dem Ehrenbürger Der freien Vaterstadt, Feuchten Blicks Eine Hand voll Erde Ins Grab geworfen. Und immer dunkler Wird es und dunkler – Und immer stiller! Das bleiche Antlitz Von Schleiern umhangen, Von Haus zu Haus Wandelt die Nacht. In Erkern und Giebeln Blitzt es von Lichtern auf Und leuchtende Streifen Fallen wie Gold Durch die Scheiben der Fenster Weit auf die Gasse. Kaum, dass ein Wandrer, Der nachtverspätet Den Heimweg sucht, Sie quer durchschneidet. Aber droben im traulichen Zimmer Am warmen Kamin, Umringt von den Kindern, Sitzt die Hausfrau; Und auf den Schooss Hebt sie ihr jüngstes, Blondes Töchterchen, Die kleine Ada; Und hochaufhorchend Vernehmen die Mäuschen, Dass der alte Mann Mit dem weissen Schneebart, Den sie erst gestern noch, Umduftet von bunten, Zaubrischen Blumen, In einem schmalen, Glasüberdeckten, Schwarzen Kasten Bleich und reglos Liegen gesehn, Ein König gewesen, Dessen Reich So schrecklich gross war, Dass drin die Sonne Nie untergegangen. Und wie die Mutter Den kauernden Kindern Dann weiter erzählt, Dass der todte König Auch noch ein Zaubrer war, Der die Sprache der Vögel verstand Und das Duften der Blumen, Das Wehen der Winde, Das Funkeln der Sterne, Das Rauschen der Wälder, Ja, selbst den Herzschlag der Menschen, In wunderselige, Geheimnisssüsse Zauberlieder zu bannen gewusst: Da nickt auch der Vater, Der seitab im Lehnstuhl Ueber die Zeitung gebückt Mit halbem Ohr Der Erzählerin lauscht, Und still überdenkt er Das Leben des Dichters, Des todten Dichters, Und siehe auch ihm, Dem Skeptiker, däucht's nun Fast wie ein Märchen! Und weiter draussen Immer weiter, Von Haus zu Haus, Wandelt die Nacht. Immer stiller Wird's auf den Gassen, Immer dunkler Werden die Fenster Und ein Licht lischt nach dem andern aus. Wo aber einsam, Die schlaflosen Züge Vom Goldlicht der Lampe Sanft überhaucht, Noch ein Menschenkind wacht, Da wühlt es sich nicht mehr In düstre Probleme, Da fragt es sich nicht mehr Um Sein oder Nichtsein, Wie weiland Hamlet Oder Faust: Ein kleines Büchlein Mit blankem Goldschnitt Hält es entzückt In seiner Hand, Und golden träufelt Aus jedem Liede, Das lustberauscht Sein bebendes Lippenpaar Klangvoll ausströmt, Bezaubernder Wohllaut Ihm ins Ohr. Er aber, er, Der einst vor Jahren, Vor langen Jahren, Mit seinem warmen, Rothen Herzblut Die Blätter beschrieben, Dass nach Jahrhunderten noch Der spätgeborene Enkel – Zieht er sie prüfend Aus seinem Erbschrein Wieder ans Licht – Von ihrer Räthselkraft Magisch durchzuckt wird Und die Blätter, Die unscheinbaren Blätter, Nicht hergeben will, Nicht um Gold und Gesteine: Er schlummert die Nacht nun, Die erste Nacht auf dem Friedhof! Silbern stiehlt sich der Mond Durch das grüne Gezweig Und spiegelt sich wieder In den tausend blanken Blättern, Die trauernd der Lorbeer Seinem Liebling Aufs Grab gestreut; Und weinend breitet Die ewige Liebe Ihre schirmenden Fittige Drüber aus. Noch hat der Lenz Aus seinem Füllhorn Die schönsten Blumen, Die lieblichsten Düfte Nicht über die Erde gestreut, Denn noch weilt die Nachtigall »Fern im Süd« Und klang- und duftlos nur Grünt der Flieder. Aber die Liebe, Die Allurewige, Glaubend und hoffend Hebt sie ihr Antlitz, Ihr thränenumflortes, Hoch empor Zu den ewigen Sternen; Und mitleidsvoll Leiht der Allgütige Ihrer Klage sein Ohr. Mit dunklen Schleiern Die Gräber um sie Rings überdeckend, Zeigt er der Lächelnden Ein farbenschillerndes Bild der Zukunft. Da wird es licht um sie, Ihr von den Augen Fällt es wie Schuppen Und durch ihr Sinnen Zuckt's wie ein Traumgesicht: Hochauf recken Die Thürme von Lübeck, Die sieben Thürme, Die vielbesungnen, Sich blitzend ins Morgenroth Und aus den Gärten, Den vollerblühten, Am Ufer der Trave, Schluchzt nun die Nachtigall Ihr erstes Lied! Aber durchs Stadtthor Auf staubiger Strasse Am schwarzen Gitter Des Friedhofs vorbei Ziehen zwei Bursche, Zwei junge Bursche Mit Ränzel und Knotenstock, In die weitweite Welt, Und jubelnd ringt sich Aus ihren Kehlen, Aus ihren Herzen Das alte Lied: Der Mai ist gekommen! Der Mai ist gekommen! Nicht sie allein nur Sind's, die es singen: Ein ganzes Volk, Eine ganze Welt singt's! Und auch er selber, Der Schwan von Lübeck, Freudig nun stimmt er Mit in sein Lied ein; Ist doch auch ihm nur Nach irdischem Winterleid Himmlische Lenzlust Herrlich erblüht. Auf schönerem Stern Der dunklen Schatten Der dunklen Erde Eingedenk, Webt eine Glorie Ihm um das Haupt nun Das kleine Wörtchen: Unsterblichkeit! Also sinnend Und in das Göttliche Tief sich versenkend, Vergisst die Liebe, Die ewige Liebe, Rund um sich her Tod und Verwesung Und durch das Herz ihr Zittert das Echo, Das wundertröstliche: »Hoffe du nur!« Aber die Stunden, Die lachenden Dirnen, Goldsohlig wandeln sie Ueber das Grab. Und wie allmählich Korn auf Korn Durch die Sanduhr rinnt, Blitzt es röthlich Am Horizont auf. Flammend entsteigt Die junge Sonne, Die Morgensonne Des ersten Ostertags, Dem wogenden Fluthmeer Der blauen Ostsee Und lächelnd grüsst sie, Mit tausend goldnen, Flackernden Lichtern Es blitzend umspielend, Zum ersten Mal – Das Grab ihres Dichters. Eichendorff Mein Gott, Dir sag ich Dank, Dass Du die Jugend mir bis über alle Wipfel In Morgenroth getaucht und Klang Und auf des Lebens Gipfel Vom Herzen unbewacht Den falschen Glanz gewendet, Dass ich nicht taumle ruhmgeblendet, Da nun herein die Nacht Dunkelt in ernster Pracht. Eichendorff Ferndrüben hinter den Bäumen Ist eben ein Glöcklein verhallt, Nun will ich hier liegen und träumen Den Mittag im stillen Wald. Hoch über mir rauschen die Wipfel Und kühl herweht's aus der Kluft, Und fernhin verschwimmen die Gipfel Der Berge in bläulichem Duft. Verschlafen zwitschern und nicken Die Vögel im grünen Tann, Und wie verzaubert blicken Die wilden Rosen mich an. Nun wird mir vor Weh und vor Wonne Das Herz so weit, so weit! Und ich denk an die goldene Sonne Der schönen Jugendzeit. Da sang ich so lustige Weisen Und ward es doch nimmer müd, Denn herrlich ist es zu reisen, Zu reisen im sonnigen Süd! Dort raunen die Brunnen und rauschen Verschlafen die ganze Nacht, Und Marmorbilder lauschen, Wenn die Sternlein am Himmel erwacht. Dann singen die Mandolinen Das alte Lied von den Zwei'n, Und in sinkende Tempelruinen Spinnt silbern der Mond sich ein. Von einer Vigne zur andern, Dahin über Thäler und Höhn, Wie träumend sang ich im Wandern: O Welschland, wie bist du doch schön! Doch, Herz, hör auf zu träumen, Denn dahin ist die alte Zeit, Und über dir rauscht in den Bäumen Die grüne Einsamkeit. So manche seiner Flocken Blies mir der Winter aufs Haupt, Und meine braunen Locken Sind alle schon grau verstaubt. Nur du, mein Herz, bliebst das alte Und schlägst noch so süss, so süss – O, dass dich dein Herrgott erhalte: Gott grüss dich, mein Herz, Gott grüss! Ein Heroldsruf! Was du ererbt von deinen Vätern hast, Erwirb es, um es zu besitzen! Goethe Ich stand als Kaisers Ehrenhold Voreinst in Friedrich Rothbarts Sold Und schaute noch die Herrlichkeit Der goldnen Hohenstaufenzeit. Herr Du mein Gott! das war ein Leben, Wenn hoch ihr Schlachtpanier gerauscht Und wir den kargen Kranz der Reben Um einen Lorbeer eingetauscht! Da schien die ganze, weite Welt Nur aufs Germanenthum gestellt, Und deutsche That und deutsches Wort Gebot im Süd und galt im Nord; Gesühnt war Tribur und Kanossa, Denn unser Held hiess Barbarossa! O, wie doch dieses Namens Hauch Noch immer mir das Herz erfreut, Als ob ein blühender Rosenstrauch Mir alle seine Düfte streut! Wir dienten ihm im Heeresbann So an die hunderttausend Mann, Doch hätte Jeder wohl sein Leben Mit Freuden für ihn hingegeben! Ich bin so manches liebe Mal Ins Welschland vor ihm hergeritten, Wenn über uns ins Alpenthal Vom Felsgrat die Lawinen glitten. Der Pfad war eng, von rechts und links Umzischten uns die welschen Speere, Doch mitten durch die Feinde gings Zu seiner und zu unsrer Ehre. Dann sprengte er wohl siegbewusst Dicht neben mir auf seinem Rappen, Ich aber jauchzte auf vor Lust Und hoch hielt ich das Kaiserwappen. So kämpften wir uns wacker durch Und stürmten manche Felsenburg, Bis endlich wir in welschen Landen Die köstlichste Belohnung fanden. Wohl sind sie schön, Germaniens Gauen Und sagenraunend rauscht der Rhein Und lieblich ist's, in ihn zu schauen Beim Sonnen- wie beim Mondenschein; Denn rückgespiegelt siehst Du blinken In ihm der Burgen schlanken Bau Und tausend goldne Sterne sinken Des Nachts in seinem Wellenthau: Doch wem des Südlands Wunderdüfte Nur einmal Haupt umspielt und Brust, Dem dünken rauh die deutschen Lüfte Und sehnend lockt ihn seine Lust, Dahin zu ziehn auf schnellen Füssen, Wo hoch der Alpen Firne glühn, Und wandernd mit Gesang zu grüssen Das Land, wo die Orangen blühn. Italiens sonnige Gefilde Sind ihm der Sel'gen sel'ges Land, Darüber sich in sanfter Milde Ein ewig blauer Himmel spannt. Vergessen mit dem deutschen Harme Hat er das Lied der Lorelei Und wirft sich jauchzend in die Arme Der sonnbeglänzten Lombardei! So ist es Jedem noch ergangen, Der einst mit Kaiser Rothbart stritt; Auch ich hab mich nach Südlands Prangen Gesehnt, wenn ich ins Nordland ritt. Doch wenn dann nach den sieben Hügeln Sich wieder unser Tross gewandt, Dann war's, als schwebten wir auf Flügeln, So schnell durchflogen wird das Land. Venetiens schimmernde Paläste Verschwammen kaum im Morgenduft, Da grüsste schon die deutschen Gäste Der Thurm Bolognas durch die Luft. Doch weiter ging's; und immer milder Umfloss uns Luft und Licht und Lenz, Bis wir das schönste aller Bilder Erschaut, das göttliche Florenz. Doch ach, so schnell wie es erschienen, So schnell war es auch schon versunken, Und weiter zogen schönheitstrunken Wir längs des Hangs der Apenninen. Durch alter Tempel Säulenreste Ging lachend unser Siegeslauf Und mehr als eine welsche Veste Nahm uns in ihre Mauern auf. Im Pinien- und Olivenhain, In manches Klosters stiller Zelle, Siener- und Orvietowein, Wir probten ihn an seiner Quelle. Durch Ufergrün und Blüthenschnee Ging's rund um den Bolsenersee Und weiter mit Triumphgesang Den gelben Tiberstrom entlang, Bis endlich auf den sieben Hügeln Die Stadt der Städte sich erhob, Und jauchzend, mit verhängten Zügeln, Ging's thalwärts, dass es Funken stob! O Wonne, wenn nach langem Ritt Durch Säulensturz und Tempelbogen Als Sieger wir in Schritt und Tritt Durch Roms bekränzte Gassen zogen! Quartier nahm Jeder, wo er wollte, Der Becher klang, der Würfel rollte, Und ans Gesims hing sein Gewaffen Beim Fürsten der und der beim Pfaffen. Dann ging erst unser Leben an, Trotz Weh und Ach, trotz Papst und Bann. Juchhei, das war ein flottes Schreiten, Den langen Flammberg an der Seiten, Die Strassen auf, die Strassen ab, Und oft, den Schmucksten zu belohnen, Fiel hoch von marmornen Balkonen Ein rother Rosenstrauss herab. Und überall, wohin wir schauten, Noch nie von uns erblickte Bauten; Das war ein Blinken, Glitzern, Gleissen: Statüen, Obelisken, Hermen, Theater, Circusse und Thermen Und wie die Wunder alle heissen! Ja, es ist schön das ewge Rom Mit seinen Kirchen, Tempeln, Brücken; Ein farbenschillerndes Phantom Wird es dir Herz und Sinn berücken Doch schöner noch dünkt mich Byzanz, Die goldne Stadt am goldnen Horn; Ein nie erschöpfter Wunderborn, Strahlt sie in märchenhaftem Glanz. Denn dort, auch dorthin kamen wir Auf unsern vielverschlungnen Wegen Und trugen kühn das Kreuzpanier Dem Sultan Saladin entgegen. Das war ein Kampf! Oft gell und schrill, Mit Durst und Hunger, Pest und Seuchen, Und oft auch wieder todtenstill, Man hörte nur die Pferde keuchen. Wir aber wankten wie im Traum, Die Zunge klebte uns am Gaum, Der Sand stieg schier bis übers Knie und seufzend klang's: Hilf, Sanct Marie! Nur Einer, Einer für uns wachte Und sprach uns Muth und Hoffnung ein, Bis wieder uns das Kriegsglück lachte Im Palmenthal beim Cyperwein, Der Rothbart war's, der greise Held, Dem silbern schon die Locke wallte, Der stets als Erster trat vors Zelt, So oft das All il Allah hallte. Und wenn das Sarazenenheer Dann rund um unser Lager sauste, Dann war es wieder er, nur er, Vor dem's den wilden Heiden grauste. Er war ein Schild uns, war der Stern, Der ins gelobte Land uns wies, Und den das Heer als seinen Herrn, Als seinen Hort und Hirten pries. Und wär zum Glück der gelben Horden Er uns nicht jäh entrissen worden, Es hätte binnen wenig Wochen, Anstatt vom Wüstenhauch umweht, Des Kaisers Pater sein Gebet Am heilgen Grabe selbst gesprochen. Doch als des Salephs falsche Wogen Ins feuchte Nixengrab ihn zogen, Da war es aus mit unserm Hoffen, Und jäh vom Todespfeil getroffen Zerfiel sein schwarzes Flügelpaar Germaniens nie bezwungner Aar. Schwer war der Schlag und gross das Leid Und an brach eine trübe Zeit, Die Sonne stach, die Wunde rann Und hingerafft ward Mann um Mann. Und wem die Sarazenenklinge, Wem Durst und Hunger gnädig waren, Den schlug die schlimmste der Gefahren, Den fing die Pest in ihrer Schlinge. Da war's denn wohl kein grosses Wunder, Wenn Jeder, der noch aufwärts blickte, Den ganzen Sarazenenplunder Ergrimmt zu allen Teufeln schickte! Zu weit war uns der Weg, zu krumm, Und ach, noch fern lag Christi Grab; Da kehrte mehr als Einer um – Auch ich nahm mir das Kreuzlein ab! Auf einer griechischen Triere, Vorbei der Insel der Cythere, Fuhr ich meerüber nach Korinth; Ein Leben, voll von Aventiuren, Ein Wanderleben, wollt ich führen, Unstät und frei, frei wie der Wind. In Korfu, wo San Markos Fahnen Von Thürmen wehten und Altanen, Trat ich ins Heer der Republik; Ich kämpfte auf Venedigs Meeren Und purpurn schwammen die Galeeren Beim Klang der maurischen Musik. Auf dunkelblauem Meerespfade, Entlang die schimmernden Gestade, Ging pfeilschnell unser Siegeslauf; Auf Capri pflückten wir uns Myrten Und lauerten im Schutz der Syrten Den lybischen Korsaren auf. Beim Sterngeflimmer der Plejaden Durchruderten wir die Cycladen Und Gold, nur Gold war unsre Fracht; Und wieder von der Insel Paros Ging's südwärts, wo der Leuchtthurm Pharos Die Ptolemäerstadt bewacht. Das Wunderland der Pyramiden, Die Zauberwelt der Abbassiden, Selbst sie, sie schlossen sich uns auf: So, ewig wechselnd, manches Jährchen Schwamm ich, mir selbst ein buntes Märchen, Das Mittelmeer hinab, hinauf! Doch ob auch noch so blau die Wogen, Nach Deutschland fühlt ich mich gezogen, Nach Deutschland kehrt ich auch zurück: Ich fuhr den Rhein hinab bei Bingen Und tief im Herzen fühlt ich's klingen: Nur in der Heimat wohnt das Glück! Und ostwärts dann im Morgengrauen Zog ich durch Frankens goldne Auen, Vorbei an Dörfern, Weilern, Seen; Und oft sang ich auf grüner Haide, Wie Walther von der Vogelweide: Der Lande hab ich viel gesehn! Doch was gilt Frankreich mir, was Spanien, Was Gräcien gegen dich, Germanien, O du mein liebes Vaterland! Auf Jahre warst du mir verloren, Doch heut fühl ich mich neu geboren: Heil mir, dass ich dich wiederfand! So, über Thäler, über Hügel, Ward mir gemach die Ferne nah, Und meine Sehnsucht lieh mir Flügel, Bis endlich ich die Wartburg sah. Ich sah sie hoch vom Berg mir winken, Den steilen Pfad klomm ich hinauf, Und mir im Auge fühlt ich's blinken, Und mir im Herzen klang's: Glückauf! Ja, alles war noch wie vor Zeiten, Die Brücke dort und dort der Thurm, Drin ich beim Loh'n von eichnen Scheiten So oft verträumt den Wintersturm Umkrächzt von Dohlen und von Raben, Hat er, vom nahen Wald umrauscht, Des alten Burgwarts jungen Knaben Gar oft bei seinem Spiel belauscht. In dieses Gras bin ich gesunken, Von diesem Baum sang ich mein Lied, Aus jenem Born hab ich getrunken, Vor jenem Kreuz hab ich gekniet. Ich habe mir unter dieser Rüster Die ersten Sporen umgeschnallt, Und dort steht auch noch grau und düster Die alte Steinwand aus Basalt! Ach, jene weinumrankte Mauer War oftmals meiner Sehnsucht Ziel, Wenn Nachts ein dunkler Regenschauer Lautplätschernd auf die Dächer fiel! Blauschwärzlich um die blanke Rüstung Den Reitermantel, den ich trug, Lehnt ich mich träumend an die Brüstung Und fühlte, wie das Herz mir schlug. Denn über mir schwang sich ein Gaden Phantastisch in die Wetternacht Und golden hinterm Fensterladen War noch ein Lichtlein angefacht. Dort sass sie fleissig hinterm Rocken Und spann und sang und sang und spann, Indess das Seidenweich der Locken Ihr golden um die Schläfen rann. Ich hörte, wie die Spindel surrend Sich rythmisch um sich selber schwang Und, felldurchwärmt, schlich leise schnurrend Ihr Kätzlein um die Ofenbank. O stillverschwiegne Kemenate, Noch heute schwellt sich mir die Brust, Noch heute pocht's in ihr: »Renate!« Ob sie's gewusst? Ob sie's gewusst? Ich weiss, ich hab Dich nie vergessen, Und oft hab ich an Dich gedacht, Wenn ich am Lagersaum gesessen In Syriens blauer Sommernacht; Wenn ich mich wild im Tanz geschwungen Auf Maltas braunem Felsenriff Und übers Enterbrett gesprungen Aufjauchzend ins Piratenschiff! Du bist als Traum zu mir gekommen Ums Morgen- und ums Abendroth Und schluchzend hab ich einst vernommen, Dass Du schon lange, lange todt! Dass sich im Schatten jener Linde Um Dich ein schwarzes Kreuz erhub, Aus jenem Holz, in dessen Rinde Ich einst vielleicht »Renate!« grub! ... O Gott, wie lang, wie bitterlange, Hab ich die Heimat nicht gesehn! Doch still, mein Herz, nun sei nicht bange, Nun sollst du wieder auferstehn! Zwar hegt dich keines Sängers Busen, Doch hold sind ja auch mir die Musen, Und Landgraf Hermann ist bekannt Als edler Fürst im ganzen Land! Und ein trat ich durchs Bogenthor, Ich traf ihn grad bei seiner Linde Und trug, umringt vom Burggesinde, Bescheiden meine Bitte vor. Und siehe da, er war mir hold Und nahm mich auf in seinen Sold! Und nun ging mir ein Leben an In holder Frauen holdem Bann, In edler Sänger edlem Kreis, Dass ich es kaum zu schildern weiss. Von Falknern und von Bogenspannern, Von Kranzgewinden und von Bannern War das ein farbenprächtig Wogen, Und allenthalben kam gezogen Durch Winterschnee und Sommerstaub, Durch Herbstblattfall und Frühlingslaub Ein Heer von ritterlichen Sängern, Von Fahrenden und Herzensfängern. Von Harfenklang und Speerwurf klang's Im Burgpallas tagaus, tagein Und edle Herzen werbend drang's Bis weit ins deutsche Land hinein; Denn nichts stand höher in der Gunst Des Burgherrn als die Sangeskunst. Und wahrlich, nicht vergebens hielt, Vom Hauch der Poesie umspielt, Der Landgraf Hermann für und für Den Sängern offen Thor und Thür. Denn prächtig war die Tafelrunde In seinem goldnen Prunkgemach Und wohl der Edelste im Bunde War Wolferam von Eschinbach; Auch Walther von der Vogelweide, Wer dess vergäss, der thät mir leide, Herr Hartmann von der güldnen Aue, Der Waidmann Biterolf, der Schlaue, Und auch der Schreck der alten Weiber, Heinrich, der tugendhafte Schreiber! Und wenn Turnier und Sangesfehden Den edlen Herrn Ergötzung schufen, Dann war's mein Amt, mit Heroldsreden Im Prunksaal und im grünen Gras Des Tages Sieger auszurufen, Und hei! wie gerne that ich das! Denn klingen Wort und That wie Erz, Dann freut's ein braves Reiterherz. Nur einmal schlug es Weh und Ach, Als Wolferam von Eschinbach Nach wildverzweiflungsvollem Ringen Den armen Heinz von Ofterdingen Durch seiner Lieder Kraft bezwungen Und schmählich in den Staub gerungen. Noch heute lebt im Volk die Sage Von jenem alten Sängerkrieg Und preisen wird man Wolframs Sieg Bis an das Ende aller Tage! Denn als schon grinsend Meister Hans Sein Richtschwert prüfte mit dem Finger, Nahm Wolfram seinen goldnen Kranz Und reichte ihn – dem Ofterdinger! Hei, wie da Männerherzen klopften Und blaue Frauenaugen tropften, Als nun versöhnlich die Genossen Sich stumm in ihre Arme schlössen! Dann aber bogen sie ihr Knie, Der Fürst stieg von des Thrones Stufen Und lieber hab ich wohl noch nie, Was meines Amts war, ausgerufen! Die ganze Wartburg schwamm in Jubel, Der Becher nur, kein Schwert erklang, Zum Reigentanz ward bald der Trubel, Das Leid zur Lust, die Lust Gesang. So schwanden wechselnd mir die Tage, Ein Jahr ums andre sacht verrann, Und schon blies mich des Alters Plage, Des Alters schleichend Siechthum an. Nun ward Erinnrung mein Genosse, Erinnrung sang mir Tag und Nacht Von jener Zeit, da ich zu Rosse Dem Kaiser vorritt in die Schlacht. Doch todt der Held! Nur sein Gedächtniss Klang noch im Volke rings umher, Doch seine Krone, sein Vermächtniss, Mit jedem Tag zerfiel sie mehr. Geschändet war die deutsche Ehre Durch Fürstenmord und Pfaffentrug Und nicht wie sonst von Meer zu Meere Hielt Deutschlands Aar mehr seinen Flug. Doch sank das Reich auch ins Verderben, Noch einmal, eh ich ging zu sterben, Wollt ich mir seine sieben Gauen Im Glanz der Frühlingspracht beschauen. Drum wieder, als der Schnee geschmolzen, Gab ich mein Amt dem Burgherrn ab Und ritt mit Armbrust, Schwert und Bolzen Getrost durchs Thor ins Thal hinab. Durch Wäldergrün um Dorf und Weiler Ritt ich fürbass beim Blättersäuseln Und oft sah ich den Rauch der Meiler Still träumend in die Luft sich kräuseln. Durch mancher Burg zerfallne Häuser Ging's weiter dann ins Land hinein Und einst kam ich im Abendschein Auch an den alten Berg Kyffhäuser. Der Herr war müd, sein Rösslein auch, Ich band es los und liess es grasen Und lagerte mich in den Rasen Tief unter einem Hollerstrauch. Dem Schicksal Deutschlands sann ich nach, Dem Schicksal meines Vaterlands, Bis mir vom Abendsonnenglanz Das Salz durch beide Wimpern brach. Des Reiches Herrlichkeit verhandelt! Und wann, wann wird sie auferstehn? O Zeit, wie hast du dich verwandelt! O Herz, nun darfst du sterben gehn! Wie Kaiser Rothbart möcht ich nun Tief, tief im Schooss der Erde ruhn! Und wie ich also sass und sann, Da that sich auf des Berges Thor Und schimmernd trat ein Rittersmann In goldner Rüstung draus hervor. Er war von königlicher Art, Wie Silber wallten seine Locken, Doch roth wie Feuer war sein Bart – Und nieder kniet ich froh erschrocken; Ein Zauber war's, der mich nun bannte, Denn Rothbart war's, den ich erkannte. »Hab Dank,« so hub er an zu sprechen, »Für deine Treue, Ehrenhold; Ich weiss, es will das Herz dir brechen, Weil es mit seinem Volke grollt. Doch sei getrost; denn meine Krone, Nicht spurlos soll sie untergehn; Einst wird auf neuerstandnem Throne Ein neuer Herrscher auferstehn, Ein neuer Kaiser, der gewaltig Des Reiches goldnes Scepter schwingt, Indess der Purpurmantel faltig Die eherne Gestalt umschlingt. Dann wird das deutsche Banner prächtig Gen Himmel wehn im Morgenschein Und wieder dann Alldeutschland mächtig Ein einig Volk von Brüdern sein! Indessen, bis auf deutschem Herde Die Aschenglut aufs neu erglommen, Will tief ich hier im Schooss der Erde Der Zeiten harren, die da kommen. Gewappnet und im Kreis der Ritter Will helfen ich das Reich erstreiten, Und eines Sängers goldne Zither Soll meine That im Lied begleiten. Doch dich, den treusten meiner Knappen, Dich nehm ich wiederum in Sold; Da, hier mein Schild und hier mein Wappen, Nimm's hin und sei mein Ehrenhold; Nimm's hin und halt im Bergesschacht Für unser Volk die heilge Wacht!« Er schwieg und bot mir seine Hand Und freudebebend schlug ich ein Und dann – noch einen Blick ins Land Und dann – ging's in den Berg hinein! Ein goldig grüner Schimmer blinkte Auf uns herab aus dem Gestein Und tief im Hintergrunde winkte Uns fernher rother Ampeln Schein. Dann that, umrauscht vom Tropfenfalle, Sich prächtig eine weite Halle Vor den erstaunten Augen auf; Und horch, ein Sänger schlug die Zither Und um ihn drängten sich die Ritter, Am Gurt das Schwert, die Hand am Knauf. Die Panzer schmückten Eichenreiser Und nieder setzte sich der Kaiser An seinen Tisch von Marmelstein, Die Häupter sah man rings sich neigen, Und plötzlich dann ein grosses Schweigen Und wach blieb nur der Schlaf allein. Da stand ich mit gelähmten Händen, Das Wasser tropfte von den Wänden Und dunkel brach die Nacht herein, Und über uns auf grüner Erde Schlug wild die Zeit auf ihre Pferde, Die rollenden Jahrzehnte, ein. Die »kaiserlose« Zeit vertollte Und auf Neapels Marktplatz rollte Das blonde Haupt des Konradin; Die Hansa baute ihre Flotten, Die Frau Scholastik fing sich Motten Und Strassburgs Münster schuf Erwin. Dann aus des Mittelalters Wettern Schoss seine Blitze, seine Lettern, Der brave Hans von Guttenberg Und Dr. Martin griff zum Besen Und prügelte mit seinen Thesen Den Papst durch, Romas Riesenzwerg, Drauf Kaiser Max, »der letzte Ritter«, Und weiter jenes Hochgewitter, Der wilde dreissigjährge Krieg; Zuerst ein wüstes Hälsebrechen, Dann Pudern und Französischsprechen Und endlich wieder mal ein Sieg! Der alte Fritz nahm seine Krücke Und schlug die Reichsarmee in Stücke Und straffer zog sich jedes Glied; Die Schlacht von Rossbach war geschlagen, Ein neuer Morgen schien zu tagen Und Goethe sang sein erstes Lied! Wir aber, tief im Schooss der Erde, Lauschten vergeblich auf das: »Werde!« Denn knöchern schlich um uns der Tod, Und leis nur klirrten die Schwerterspitzen: Wann wirst du endlich uns umblitzen, O Morgenroth! O Morgenroth! Doch sprecht, was soll ich euch in Bildern Hier unsre Leidensnacht noch schildern; Ihr kennt die alten Sagen ja; Ihr wisst, wie je nach hundert Jahren Der Kaiser aus dem Schlaf gefahren Und ich die Raben fliegen sah; Bis endlich ich mit Horngeschmetter Nach sechs Jahrhunderten den Retter, Den Retter Deutschlands, froh begrüsst, Indess, den Erbfeind zu bekriegen, Sein Heer von Siegen flog zu Siegen, Bis Frankreich seine Schuld gebüsst! Und wieder nun von Fels zu Meer Reicht Deutschlands Wacht, reicht Deutschlands Wehr, Und leuchtender als je vordem Erglänzt des Kaisers Diadem. Und fragt ein Sänger noch im Liede: »Wo wohnt auf Erden wohl der Friede?« Dann heisst's: Er wohnt auf Deutschlands Flur. Gelöst hat Rothbart seinen Schwur! Ach, heimgekehrt zu seinen Ahnen Schläft er den ewgen Schlummer nun, Indess die Völker der Germanen Im Schatten ihrer Lorbeern ruhn. Nur ich darf nicht mein Theil ergreifen Da mich die Ewigkeit verstösst, Und durch die Lande muss ich schweifen Und suchen den, der mich erlöst. Denn wohl erstand uns jener Ritter, Der kühn des Reiches Banner schwingt, Doch fehlt der Sänger mit der Zither, Der würdig seine Thaten singt! und eh'r nicht, eh'r nicht darf ich sterben, Nicht eh'r bricht dieser Leib in Scherben, Eh ich ins Aug ihm nicht gesehn; Erst, wenn sein hohes Lied erklungen, Dann, dann erst hab ich ausgerungen, Dann, dann erst kann ich sterben gehn! Drum hört mich ihr, ihr deutschen Sänger, Ihr Sänger süsser Harmonien, O sprecht, sprecht, soll ich denn noch länger Ruhlos das deutsche Land durchziehn? Jetzt, wo des deutschen Volks Geschichte Zum welterschütternden Gedichte Schon selbst sich aneinanderreiht, Will Keiner, Keiner denn es wagen, Sein goldnes Harfenspiel zu schlagen Zum ewgen Ruhme seiner Zeit? O denkt zurück, woher wir kamen, Denkt an die Teutoburger Schlacht, Und zählt die Thaten, zählt die Namen – Sie sind gestorben, ruft: Erwacht! Ja, denkt zurück an all die Hohen und lasst den Tand, der blinkt und gleisst: Nicht nur die griechischen Heroen Sind werth, dass sie der Dichter preist! Nicht mehr exotische Gedichte Ersinne heute das Genie, Nein, unsre herrliche Geschichte Ist auch ein gut Stück Poesie! O, ist denn deutsch zu sein so schwer? Und lebt nur einmal ein Homer? Schaut her! die ich in Händen wiege, Die kranzverzierte Harfe hier, Wer ist so kühn und nimmt sie mir Und singt von unserm heilgen Kriege? O schaut nur, wie der Sonne Gold Ihr glitzernd durch die Saiten rollt! Sie schlug mit kunstgeübtem Finger Herr Heinrich einst, der Ofterdinger, Der schneidig uns wie Schwertesschwang Das Lied der Nibelungen sang. Glück auf! Wer will sein Epigone, Nein, wer sein Herr, sein Meister sein? Da, hier die Harfe, hier die Krone, Und meine Hand hier ... wer schlägt ein? Schon grollt's von fernen Klanggewittern, Schon durch die Saiten fühl ich's zittern Und mein Erlösungstag ist nah! O haltet eure Herzen offen Und lasst mich nicht vergeblich hoffen – Heil Dir und mir Germania! Zum 2. September Vieltausend Männer und Knaben, Vieltausend, Schaar bei Schaar, Begraben, begraben, begraben An Mosel, Maas und Saar! O, der Wittwen und der Waisen O, der armen Eltern nun! Und immer noch darf das Eisen Das blutige, nicht ruhn. Ferdinand Freiligrath O Tag, an dem in leuchtender Wehr Noch immer schwarzweissroth Die deutsche Flagge von Fels zu Meer Nord-, ost- und westwärts loht: In Einigkeit verbunden Durch die heilige Schaar, die an Dir verblich, O Tag voll Blut und Wunden, Wir grüssen Dich! Wir grüssen Dich! Denn oft noch wird Dein Morgenwind Durch die Reiser an unsern Helmen wehn Und manche Mutter mit ihrem Kind Lautweinend am Wegrand stehn. Nur Waffen hört man schmieden Vom Bodensee bis an den Belt; Den Traum vom ewigen Frieden, Lügen straft ihn die heutige Welt! Die Zeit, die Eisen und Blut verschweisst, Wir ahnen sie längst vor den Thüren stehn: Die Trommel, die wirbelnd die Luft zerreisst, Kann schon morgen durch unsere Reihen gehn. Dann werden auf deutschem Herde Die alten Gluten noch einmal glühn Und roth auf französischer Erde Um junge Gräber Rosen blühn. Nicht die Welt zu knechten ist unsre Begier, Brandfackeln zu werfen in fremdes Glück: Ein schwäbischer Bauer ist kein Baschkir Und ein pommerscher Landwehrmann kein Kalmück! Was thut's, wenn der Ruhm unsre Siege Auf seine thönernen Tafeln schreibt? Sie gelten dem Weib an der Wiege Und dem Schäfer, der seine Schafe treibt! Doch weh, wenn die Kraft, die einst Kronen zerbrach, Nicht länger mehr unsre Schwerter umsprüht Und die alte Zeit der alten Schmach In unsre Stirnen ihr Schandmahl glüht! Wenn Franzosen, Russen und Czechen Ihre Fangarme um unser Land gekrallt – Doch schon zu denken daran, ist Verbrechen, Nach blitzt ja die Wacht auf dem Niederwald! Drum, Du Tag, an dem in leuchtender Wehr Noch immer schwarzweissroth Die deutsche Flagge von Fels zu Meer Nord-, ost- und westwärts loht: In Einigkeit verbunden Durch die heilige Schaar, die an Dir verblich, O Tag voll Blut und Wunden, Wir grüssen Dich! Wir grüssen Dich! Weltgeschichte Sicherlich die bedeutsamste Errungenschaft jener neuen Anschauung der Dinge, die auch das Leben und seine Entwickelung unter der Herrschaft der allgemeinen Naturgesetze betrachtet, bildet die Reklamation des Menschen als unzertrennlichen Bestandtheil der Natur und als Gegenstand der Forschung in seinen Beziehungen zu derselben. Wie einst die Erde durch Copernikus aus dem geträumten Mittelpunkt der Welt hinausgeschleudert wurde, so fand sich nunmehr der Mensch selbst, der bisher ausserhalb und über der Natur zu stehen schien, mitten in dieselbe hineingezogen, als ein Glied der grossen Kette der Wesen anerkannt, und damit seiner Ausnahmsstellung mit einem Schlage enthoben. Aber wir dürfen behaupten, dass ihm mit dieser endlichen Anerkennung seiner Erdenbürgerschaft auch nicht ein Titelchen seiner Würden, nicht der kleinste Strahl seines Glorienscheins geraubt worden ist. Im Gegentheil, erst jetzt, nachdem er erkennen konnte, aus wie tiefen Anfängen sich sein Geschlecht emporringen musste, wird er seine Würde mit dem vollen Bewusstsein, wirklich das oberste Glied und die Krone der Schöpfung darzustellen, tragen. Carus Sterne Heimlich durchwandert die Nacht den Tann, Duftend im Vollmond schwanken die Gräser; Alles schläft! Nur ein steinalter Mann Putzt sich geschäftig die Brillengläser. Nimmt sich ein Prieschen und sagt: Hätschi! Ich bin der achte der sieben Weisen! Ach, und er merkt es nicht einmal, wie Ueber ihm leuchtend die Sterne kreisen! Sehnsüchtig harft durch die Zweige der Wind, Blüthen erschliessen sich, Knospen schwellen; Alles still! Nur der Nachtthau rinnt Und von den Bergen her rauschen die Quellen. Raune nur traumhaft, Du dunkle Natur, Raune das Räthsel der Elemente, Hat doch der alte Graukopf nur Sinn für Bücher und Pergamente! Wenn er nur schnüffeln und büffeln kann, Mag dreist dies Sonnensystem erkalten; Ihm ist's schon recht, denn was geht es ihn an, Dass sich die Welten wie Blumen entfalten? Festgeleimt an den Stuhl das Gesäss, Fängt er sich Grillen und mästet sich Motten, Hüstelt und schreibt gelehrte Essays Ueber Assyrer und Hottentotten. Tintenfässer bilden Spalier, Goldstreusand und Radiermesser blinken, Ganze Ballen von Schreibpapier Liegen bekritzelt ihm schon zur Linken. Säuberlich hat er drin aufnotirt Jede Schlacht und jedes Gemetzel, Neben Napoleon figurirt Kaiser Tiber und der Hunnenchah Etzel Ekelerregend mit jedem Band Schwillt das Gemengsel von Blut, Fleisch und Knochen; Leute wie Sokrates, Shakesspeare und Kant Werden nur so nebenbei besprochen. Weltharmonie und Sphärenmusik Können ihm vollends gestohlen bleiben; Interessanter ist schon die Rubrik, Wie sich die Kaiser von China entleiben! Also sitzt er und schmiert und schmiert Todte Zahlen und trockne Berichte, Bis er dann endlich »Schluss« drunter kliert Und auf das Titelblatt: »Weltgeschichte«. Weltgeschichte! O blutiger Hohn! Uralter Hymnus auf die Bornirtheit! Wann, o wann kommt des Menschen Sohn, Der Dich erlöst aus Deiner Verthiertheit? Immer noch brütet die alte Nacht Grauenvoll über den Völkern der Erde, Aber schon seh ich rothlodernd entfacht Flammen des Geistes auf ewigem Herde, Freiheit und Gleichheit und Brüderlichkeit Jubelt die neugeborene Trias! Freu Dich, mein Herz, denn die goldene Zeit Dämmert und predigen wird der Messias: Lebt in Frieden und baut euer Zelt, Viel, ach, müsst ihr noch lehren und lernen; Ein Herz schlägt durch die ganze Welt, Ein Geist fluthet von Sternen zu Sternen. Ruft drum als Loosung von Land zu Land: Eins sei die Menschheit von Zone zu Zone Erst wenn sie staunend sich selbst erkannt, Dann erst ist sie der Schöpfung Krone! Von Ewigkeit zu Ewigkeit Nimm hin mich, Leben, ich bin dein! Wie hoch die Fluth auch gehe, Ich zage nicht vor deinen Mühn und nicht vor deinem Wehe; Du führst die Menschheit an ihr Ziel durch alle Wandelungen, Und dem nur winkt der Siegespreis, der tapfer mitgerungen; Doch eine Stunde jedes Tags dem drängenden Gewühle, Das rastlos um uns tobt und braust, wie eine Riesenmühle, Ja, eine will ich ihm entfliehn, dass ich in stiller Weihe Der grossen Hymne der Natur das Ohr voll Andacht leihe! Adolf Friedrich Graf von Schack Der Schöpfung nie begriffne Herrlichkeit Entfacht noch stündlich den Prometheusfunken Und doch ist ihre goldne Blüthezeit Schon längst ins Grab der Ewigkeit gesunken. Denn jene Welt der Sagenpoesie Ist nicht nur Traum, ist Wirklichkeit gewesen, Und wem das Schicksal Seherkraft verlieh, Kann das noch heute aus den Sternen lesen. Wer zählt die Sprossen, die zertrümmert sind Aus jener gotterbauten Himmelsleiter? Die Sonne glüht und kühlend weht der Wind Und unaufhaltsam rollt das Rad sich weiter. Die leuchtend kreisen durch das dunkle All, Erhaben gross ist noch die Zahl der Welten; Und kommt allnächtlich eine auch zum Fall, Was kann dem Meere wohl ein Tropfen gelten? Doch wem sich das Geheimniss der Natur Nicht unterm Sternenzelt mag offenbaren, Der wandle mit mir durch die Erdenflur, So wie sie war vor hunderttausend Jahren. Noch stritt kein Jason um das goldne Vliess, Die Menschheit knechtete kein Triumphator, Doch endlos dehnte sich ein Paradies Vom Nordpol bis hinunter zum Aequator. Wo heute sich durch eisumstarrten Belt Die Walfischfahrer ihre Strasse bahnen, Erhub sich ehmals eine Inselwelt, Beblüht von üppig wuchernden Bananen. Und lächelnd kränzte sich die Meeresfee Mit bunten Perlenmuscheln und Korallen, Wo längst verweht vom Wüstenkörnerschnee Die Isistempel in sich selbst zerfallen. Nicht trübte schon den funkelnden Azur Der Riesenschlote schmutzigfeuchter Brodem, Denn unentweiht noch träumte die Natur Und jeder Windhauch war ein Gottesodem. Kein Erdgeborner fühlte sich entbrannt Nach fremden Wundern einer fremden Zone Und brach mit seiner frevlen Menschenhand Sich Stein auf Stein aus Gottes Schöpfungskrone. Doch jede Zeit singt sich ihr eignes Lied Und jenes Lied ist lange schon verklungen; Die Melodie, die heut die Welt durchzieht, Verhöhnt die alten Ueberlieferungen. Die Menschheit hat sich zum Titanenkampf Mit ihrer Mutter, der Natur, gerüstet Und denkt nur noch mit Eisen, Blut und Dampf, Weil sie's dem Schöpfer gleich zu thun gelüset. Erloschen ist der kindlichfromme Zug Aus ihres Angesichts versteinten Mienen, Und unbekümmert um den alten Fluch, Zwingt sie die Elemente ihr zu dienen. Im Bergschooss gräbt nach Schätzen sie umher Und macht den Feuergeist sich zum Vertrauten, Die Weltumsegler schickt sie übers Meer Und in die Luft die kühnen Aeronauten. Ja, bis gen Himmel, den der Herr sich schuf, Auf dass er würdig seine Schöpfung kröne, Erhebt sich schon der schicksalsschwangre Ruf Der staubentsprossenen Gigantensöhne. Denn hier auf diesem engen Erdenkreis Ist kaum ein Fels noch für sie zu verschieben, Der Steppensand nur und das Gletschereis Ist unentweiht vor ihrer Wuth geblieben. Doch drückt sie auch das auferlegte Joch Und seufzt sie auch um Tage, die verwehten, Ein Prachtjuwel blieb unsre Erde doch Im Kronendiademe der Planeten! Denn unbekümmert um die Weltenuhr Lässt sie die tausendfältgen Kräfte sprühen Und nach dem heilgen Rathschluss der Natur Die Quellen springen und die Blumen blühen. Wie herrlich steigt der erste Frühlingstag Doch immer noch vom Himmel zu ihr nieder! Und schreitet erst der Sommer durch den Haag, Dann fühlt sie ihre ganze Jugend wieder. Und stehst du dann, umwallt von all dem Duft, Dann lacht die Flur und ihre Ströme blitzen Und fernher schimmern durch die blaue Luft Die ewig eisgezackten Gletscherspitzen. Da horch! Ein leiser Hauch im Blätterdach, Und durch die Wipfel geht ein seltsam Rauschen; Wie Stimmen flüstert's durch das Laubgemach, Und andachtsvoll musst du den Tönen lauschen. Das ist der Wind, der ruhlos durch die Welt Dahinrollt auf den nie erschauten Gleisen, Der nun im Bergwald seinen Einzug hält Und dir erzählt von seinen weiten Reisen. Erst ist, vergleichbar einem wilden Schwan, Er majestätisch durch die Luff gezogen Und stieg dann nieder in den Ocean Und spielte mit den grüngewellten Wogen. Doch bald verlockte ihn der nahe Strand Und hinter sich liess er das Meergebrause Und ging mit Riesenschritten übers Land Und hielt dann Rast in einer Felsenklause. Da lag denn nun tief unter ihm die Welt Idyllisch da im Sommersonnengolde Und athmete gen Himmel, duftgeschwellt, Wie eine farbenprächtge Blüthendolde. Und Meereswellenschaum und Gottesluft, Dazu die paradiesischen Gefilde, Verwoben lieblich sich im Sonnenduft Zu einem nie geschauten Wunderbilde. Dir aber schwillt das Herz vor hoher Lust Bei solcher windgetragnen Himmelskunde, Und das Gefühl der übervollen Brust Gestaltet sich zum Wort in deinem Munde. Du preist Natur und ihre Herrlichkeit, Die Gott in seinen eignen Werken loben, Und lächelst über den Pygmäenstreit, Den wider ihn die Sterblichen erhoben. Die eitle Selbstsucht menschlicher Kultur Vermag nur eben das, was ihr von Nöthen, Sie weiss die Herrlichkeit der Gottnatur Zu untergraben wohl, doch nie zu tödten. Und ist auch ihre goldne Blüthezeit Schon längst ins Grab der Ewigkeit gesunken, Der Schöpfung nie begriffne Herrlichkeit Entfacht noch stündlich den Prometheusfunken! Ecce homo! An das klopfende Herz ihres Volkes Legen die Dichter Ihr lauschendes Ohr Und hören sie rauschen Von Ferne Die Taufbronnen des neuen Heils, Die Jordansströme Der neuen Zeit. Nicht an die Weisen Und Schriftgelehrten, An die Männer Von Weihwasser und Weihrauch, Wendet um Rath sich Die neue Menschheit; Es lehrt als Priester Der neuen Zeit Der Sohn des Volkes Im schlichten Gewande. Alfred Meissner Ich sah ihn Tag für Tag, Als wäre nichts geschehn, Still mit dem Glockenschlag An seine Arbeit gehn; Das Halstuch roth wie Blut, Von Locken wirr umflogen, Den Kalabreserhut Tief in die Stirn gezogen. Ein jeder Zoll Genie, Ein Volksmann, ein Poet, Scheint er mir öfters, wie Ein biblischer Prophet. Das ganze Viertel kennt Und ehrt in ihm den Führer, Der oft im Parlament Auftrat, ein wilder Schürer. Weh jeder Tyrannei, Wenn er bis Mitternacht Am Pult der Druckerei Geschrieben und gedacht! Wem seine Blitze sprühn, Vergisst das Athemholen, Denn seine Worte glühn Im Hirn wie rothe Kohlen. Ein rechter Proletar! Ein wahres Zorngedicht! Wer seine Mutter war? Er weiss es selber nicht! Vielleicht ein Kind der Lust, Das, weil die Noth es taufte, Das Herz aus seiner Brust Um schnödes Gold verkaufte. Vielleicht auch nur, ja nur, Ein Weib in Goldbrokat, Das trotz Moraldressur In eine Pfütze trat. Vielleicht liegt sie schon todt In einer eklen Gosse, Vielleicht bespritzt mit Koth Ihn ihre Staatskarosse. Ein armes Findelkind, Im ersten Morgengrau, Umweht vom Winterwind, Fand ihn die Zeitungsfrau. Er that's ihr lächelnd an, Der rosige Rebeller, Und auf nahm ihn ihr Mann In seinen Schusterkeller. Hier wuchs er in die Welt, Ein Bursch mit blondem Haar, Sein einzig Tummelfeld Das Grossstadt-Trottoir. Wohl schwoll der Stiefelkram, Doch auch das Taufregister, Und nach und nach bekam Er sieben Milchgeschwister. Und knapper ward das Brot, Der Junge musste ran! Und bleich im Dienst der Noth Hub nun sein Elend an. Er stand im Setzersaal, Die Hand am Letternkasten, Und half das Volksjournal Des Nachts zusammenhasten. Die Uhr vom Thurm her klang Wie tief in eine Gruft, Ein fetter Oelgestank Schwamm ranzig durch die Luft. Man hörte wie im Traum Die Winkelhaken klirren Und im Maschinenraum Die Lederriemen schwirren. Um ging von Hand zu Hand Ein Bräu aus Schnaps und Bier, Als Etikett drauf stand: Gesundheit-Elixir! In schmutzgen Zoten sprach Frech das Maschinenmädel, Das Gaslicht aber stach Ihm grell auf seinen Schädel. Er aber: Griff auf Griff That er mit düsterm Blick, Durchs offne Fenster pfiff Der Wind ihm ins Genick. Er strich um ihn herum Und blies ihm in die Ohren: »So recht! So recht! Warum Bist Du nicht »hoch« geboren? Warum beim Stümpfchen Talg Hat Dich das Glück geheckt Und nicht als Wechselbalg In Eiderdun gesteckt? Dann stündest Du nicht hier, Behängt mit schmutzgen Lappen, Dann wärst Du auch kein Thier Und pochtest auf Dein Wappen. Du wärst auch nicht wie nun An Leib und Seele krank, Du brauchtest nichts zu thun Und sagtest: Gottseidank! Auch hättest Du dann Geld, Wie Rothschild ganze Frachten, Und könntest diese Welt Noch mehr als jetzt verachten!« So stand er düster da Und rang mit seinem Groll Und sein College sah, Wie ihm die Ader schwoll. Zu tief sass es, zu tief, Er grollte, sann und dachte, Bis sie, die in ihm schlief, Die Urkraft, jäh erwachte. Und heiss ins Hirn empor Kam ihm das Blut gespritzt, Wie wenn ein Meteor Nachts durch den Himmel blitzt. Denn plötzlich riesengross Sah er ein Schreckbild thronen – Es war sein eignes Loos, Das Loos von Millionen! Da deutlich, schwarz auf weiss, Stand's da und sah ihn an, Dass ihm das Blut wie Eis Kalt durch die Adern rann. Es war nur ein Fragment, Ein abgerissner Fetzen, Ein neustes Testament, Und er, er sollt es setzen! »Ein armer Bettler kroch Vor seines Bruders Haus Und bat, o reich mir doch Ein Stückchen Brot heraus! Vor meinen Augen flirrt's Ich habe nichts zu essen, Der liebe Herrgott wird's Dir sicher nicht vergessen! Sein Bruder aber schrie Und strich sein Doppelkinn: Was willst du, tolles Vieh? Scheer dich wo anders hin! Das sauft nur immer Wein Und ekelt sich vor Wasser – Da hier, friss diesen Stein ... Doch, sag ›Schöndank!‹ du Prasser! Da schrie der Aermste auf, Zu teuflisch war der Hohn, Und eine Stunde drauf Lag er im Wasser schon. Derweil nach dem Diner Hielt lammfromm vor dem Städtchen Sein Bruder, Herr P.P., Sein Mittagspromenädchen! O, nun zum ersten Mal Verstand er Wort für Wort, Fürs Volk war das Journal Und dies war ja ein Mord! Es war ein Mord und mehr, Es war die alte Fabel, Wie einst – o lang ist's her – Der Kain schlug den Abel! Mit Augen, thränenroth, Verschlang er, was er las, Bis knöchern ihm der Tod Im weichen Herzen sass. Den Otternkranz im Haar, Umtanzten ihn die Furien, So sinnverwirrend war Kein Zerrbild aus Lemurien! Und tage- wochenlang Lief er umher wie wild, In seine Träume schlang Sich jenes wüste Bild. Er sah es riesengross In jedem Winkel thronen, War's doch sein eignes Loos, Das Loos von Millionen! In Stoppeln stand sein Bart, Sein Herz war wie verdorrt, Er – lachte nur und ward Ein Anderer hinfort! Sein Weichmuth bis ins Gras, Ihn kniff's wie eine Zange Und hochauf schwoll sein Hass Wie eine Tigerschlange. Da winkte wie ein Ziel Ihm fern ein goldner Schein Und mehr als einmal fiel Ihm der Messias ein. Er grübelte und sah: Noch wird das Volk geknutet, Das Herz von Golgatha Hat sich umsonst verblutet! Nun sprach das Ideal Ihm tief zu Herz und Hirn, Sein blutig Kainsmal Stand roth auf seiner Stirn. Er floh das Volksgewühl Und schlief nur wenig Stunden Und liess dann sein Gefühl Sich zu Gedanken runden: »Ein Fluch auf diese Zeit! Was grad wuchs, biegt sie krumm! Mein Herzblut aber schreit: Warum, o Gott, warum? Wozu denn Herr und Knecht? Was arm, was reich auf Erden? Für das zertretne Recht Will ich der Anwalt werden! Drum her, o her zu mir, Die ihr beladen seid! Mein Reich ist ja von hier! Mein Reich ist diese Zeit! Ihr, die hier wild in sich Den Schrei der Wuth ersticken, Kommt alle her, denn ich, Ja ich will euch erquicken! Ich will ins Morgenroth Der nahen Zukunft sehn Und euer Schrei nach Brot Wird in Erfüllung gehn. Der Knechtschaft Dorngesträuch, Mein Schwert soll es zerkrachen, Ich will aus Sklaven euch Zu freien Menschen machen! Ihr aber, die ihr faul Auf euerm Geldsack sitzt, Indess das Volk, der Gaul, Vor euerm Karren schwitzt: Lasst euern Wanst gedeihn, Lasst eure Hunde bellen, Ich werde »Feuer!« schrein, Bis euch die Ohren gellen! Ich stosse von dem Thron Das Wörtchen »mein und dein«, Das brave Volk wird schon Auf seinem Posten sein. Drum tanzt nur! Der Vulkan Wird bald in Feuer kreissen, Dann wird es Zahn um Zahn Und Aug um Auge heissen!« Was er nur halb durchdacht, Er rief es wildverstört Und manche stille Nacht Hat seinen Fluch gehört. Die Furcht vor Gold und Rang Verschwur er hoch und theuer, Ein wilder Wissensdrang Rann ihm durchs Hirn wie Feuer. Wohl stand er hart in Frohn, Ein armer Proletar, Doch blieb sein halber Lohn Beim Bücher-Antiquar. An jedem Wahltag strich Er ruhlos um die Thüren Und haschte Zettel sich, Flugblätter und Broschüren. O, wenn er las und schrieb, Schlug ihm das Herz so warm, Und unverstanden blieb Ihm sein Collegenschwarm. Wenn der in Saus und Braus Sich Sonntags amüsirte, Dann sass er still zu Haus Am Werktisch und studirte. Die Schusterkugel warf Aufs Buch ihr Licht herab Und seitlich hub sich scharf Sein schwarzer Schatten ab. Man sah ihn, wenn er kroch, Bis an die Decke schwanken, Doch höher reichten noch Des Schwärmers Traumgedanken. Er träumte, seine Saat Ging auf im Zeitverlauf Und schon schloss ein Mandat Ihm auch den Reichstag auf. Sein Wort flog wie ein Ball, Er stand auf der Tribüne, Halb Rousseau, halb Lassalle, Und sprach von Schuld und Sühne. Er sprach, und wenn er schwieg, Klang's linksher wie Hurrah, Denn hüben war's ein Sieg Und drüben ein Eclat. Und flog's dann durch das Land, Wo heisse Stirnen tropften, Dann gab man sich die Hand Und tausend Herzen klopften. Und wieder schlug's ihm dann Vertrauter ans Gehör, Er war ein schlichter Mann, Ein Zeitungsredakteur. Er sass am Pult und schrieb, Es waren grosse Züge, Und jeder Satz ein Hieb, Ein Hieb ins Herz der Lüge. Er schrieb, und lag das Blatt Dann auf dem Tisch der Noth, Dann war die Armuth satt Und schrie nicht mehr nach Brot. Ein Balsam war sein Wort, Es stand ein Held auf Wache Und war ein rechter Hort Für jede gute Sache. Die Hände vorm Gesicht, So sass er träumend da, Bis bleich das Morgenlicht Durchs Kellerfenster sah. Dann, müd und überwacht, Ging's in die neue Woche – O, er war Tag und Nacht Ein Pegasus im Joche! So rollte abgrundwärts Von dannen Jahr um Jahr Und heller ward sein Herz Und dunkler ward sein Haar. Wie Chopins Melodien, Er war nicht zu verkennen, In seinen Augen schien Ein blauer Stern zu brennen. Er stand nicht mehr bestaubt Am Werktisch um Gewinnst, Das Glück wob ihm ums Haupt Sein lichtes Goldgespinnst. Erschallen liess er frank, Ein Herold, seine Rufe Und jubelte und schwang Von Stufe sich zu Stufe. Er flehte: Herz, sei hart Und rühr's nicht an, das Gold! Bis er es endlich ward, Was er so heiss gewollt. O, nur ein Mann, ein Wort, Ein Volkssoldat auf Wache, Ein echter, rechter Hort Für jede gute Sache! Sein Bild hängt nun bekränzt Die Noth an ihre Wand, Auf seinem Haupt erglänzt Des Freimuths Krondemant. Sein Wort klirrt wie von Erz Und nennst du seinen Namen, Dann schlägt dem Volk das Herz Und heimlich spricht es: Amen! An seinen Werken schweisst Das ringende Geschlecht, Sein Wahlspruch aber heisst: Die Freiheit und das Recht! So kämpft als Paladin Der Schusterssohn von weiland Und alles schaut auf ihn, Wie auf den neuen Heiland. Doch stösst ein Volkstribun Allorts auf einen Stein, Kein Wunder drum, wenn nun Auch viele »Kreuzigt!« schrein. Dies Wort war ja von je Ein gute Wehr und Waffen – So lehrt's das Abc Der Junker und der Pfaffen! Das Volk, hat's ein Idol, Dann will's zum Brot auch Salz: Die Herren wissen wohl, Es geht an ihren Hals! Drum zetern sie: Er ist Ein Teufelsflammenschürer, Ein wilder Antichrist, Ein schlauer Volksverführer! Er aber lacht sie aus, Er weiss, der Sieg ist sein; Und treiben sie's zu kraus, Dann donnert er darein: »Ja, tanzt nur! Der Vulkan Wird bald in Feuer kreissen, Dann wird es Zahn um Zahn Und Aug um Auge heissen!« So klingt – bald Moll, bald Dur – Sein grosses Tongedicht; Ob er ein Schwärmer nur? Je nun, ich glaub es nich! Ein rechter Demokrat Grollt auch im Festungsgraben, Zu einem Manne der That Scheint er das Zeug zu haben. Einstweilen stürzt sein Zorn Ihn noch nicht in den Streit; Er freut sich, wie das Korn, Das er gesät, gedeiht. Schon kann er's hoch und dicht Mit beiden Händen greifen, Doch noch ist's Austtag nicht, Er lässt es reifen, reifen .... Ich seh ihn Tag für Tag, Als wäre nichts geschehn, Still mit dem Glockenschlag An seine Arbeit gehn; Das Halstuch roth wie Blut, Von Locken wirr umflogen, Den Kalabreserhut Tief in die Stirn gezogen. Religion O Erd', voll Licht und Finsternissen, Der Geister schönstes Mutterland! Vom Jenseits mag ich nichts mehr wissen, Seit ich das Diesseits erst erkannt. Dein bin ich, dein, die du mit Kosen Um jedes deiner Kinder wachst Seitdem ich weiss, dass du zu Rosen Selbst das Gebein der Toten machst! Alfred Meissner Ihr Priester, die ihr einst vor Zeiten Mit Blut geeifert wider Baal Und heut in andern Erdgebreiten Den Kampf erstickt ums Ideal: Kehrt um und wählt ein ander Zeichen, Das Feld des Zweifels steht behalmt; Das Rad der Zeit dreht seine Speichen, Und wer hineingreift, wird zermalmt! Wohl wärmt ihr eure alten Wunder Uns immer noch von Neuem auf, Doch ward ihr Flitter längst zum Plunder Und niemand nimmt ihn mehr in Kauf. Gesprengt hat seine dumpfen Bande Der freie Geist und jauchzte: Licht! Und trägt nun jubelnd durch die Lande, Der Schöpfung grofses Weltgedicht. Verlästert viel und viel bewundert, Strebt höher er von Jahr zu Jahr; Er ahnt das kommende Jahrhundert, Und jedes Herz wird sein Altar. Denn nicht im Staub der Pergamente Verlor sich seines Suchens Spur: Er fragte kühn die Elemente Und Antwort gab ihm die Natur. Die Sterne, die seit Uräonen Ihr räthselhaftes Feuer sprühn, Die Thierwelt neuerschlossner Zonen, Ja, selbst die Blumen, die verblühn: Nicht stumm mehr wie vor tausend Jahren Schaut ihm ihr Sphinxbild ins Gesicht, Sie alle, alle offenbaren Das grosse Weltwort: Licht, mehr Licht! Das Blättchen der versteinten Pflanze Singt vom verlornen Paradies, Und nur für ihn grub Schwert und Lanze Die Vorzeit in den Uferkies. Es wob der Traum vom ewigen Frieden Ums Haupt ihm seinen Glorienschein, Und bis ins Herz der Pyramiden Drang forschend seine Fackel ein. Das Wissen, nicht der Glaube frommt ihm, Ihm schien die Sonne bis ins Mark! Ihr aber näselt nur und kommt ihm Mit euerm abgestandnen Quark! Umsonst mit euern Anathemen Habt ihr zu bannen ihn versucht – Was soll der Welt denn auch ein Schemen Von einer Liebe, die nur flucht? ... Da liegt sie nun zerbrochnen Stempels Die Münze, die ihr falsch geprägt! Schon ist zum Bau des neuen Tempels Das grosse Fundament gelegt! Schon grüsst den kommenden Messias Das junge, werdende Geschlecht Und seine goldne Zukunftstrias Jauchzt: Wahrheit, Freiheit nur und Recht! Und steigt der grosse Ueberwinder Erst wieder erdwärts, nackt und blos, Dann wieder birgst du deine Kinder, Natur, in deinem Mutterschooss! Der Menschheit zukunftstrunkne Seher Sind dann die Jünger, die er wirbt, Bis mit dem letzten Kantschudreher Einst auch der letzte Hundsfott stirbt! Dann wird kein Thron mehr goldig gleissen, Vom Pfaffenhimmel überdacht, Denn jene Welt, die uns verheissen Ist lächelnd dann ins Licht erwacht. Dann hört die Hoffnung auf zu bluten, Die Liebe weint vor lauter Lust Und jauchzend sinken alle Guten Sich Bruderbrust an Bruderbrust! Drum ihr dort, die ihr einst vor Zeiten Mit Blut geeifert wider Baal Und heut in andern Erdgebreiten Den Kampf erstickt ums Ideal: Kehrt um und wählt ein ander Zeichen, Das Feld des Zweifels steht behalmt; Das Rad der Zeit dreht seine Speichen, Und wer hineingreift, wird zermalmt! Tagebuchblätter In dem Traum siehst du die stillen, Fabelhaften Blumen prangen; Und mit Sehnsucht und Verlangen Ihre Düfte dich erfüllen. Doch von diesen Blumen scheidet Dich ein Abgrund tief und schaurig, Und dein Herz wird endlich traurig, Und es blutet und es leidet. Heine 1. Ich rauchte nicht und trank kein Bier, Ein junger Mensch von achtzehn Jahren, Und dieses Buch der Welt schien mir Wie eines Engels Memoiren. Schon sah ich mich im Frührothschein Vor lauter Glück die Hände falten, Doch heut gesteh ich's traurig ein: Mein Herz hat mir nicht Wort gehalten! Auch schrieb ich manchen Liebesbrief Und schwärmte à la Heinrich Heine, Doch das war kindisch und naiv, Denn statt der Herzen fand ich Steine. Nun hängt am Galgen mein Humor Und macht mein warmes Blut erkalten, Denn traurig klingt es mir im Ohr: Mein Herz hat mir nicht Wort gehalten! Zwar meiner Kunst ersehnten Kranz, Schon streift ihn hie und da mein Scheitel, Doch denk ich schon wie Meister Hans Und deklamire: Alles eitel! Mir kreist das Hirn, mir wankt das Knie, Ein Andrer mag mein Amt verwalten! Zu traurig klingt die Melodie: Mein Herz hat mir nicht Wort gehalten! 2. Ins Meer versank des Abends letzte Röthe, Du gabst mir scheidend das Geleit, Im nahen Wald blies eine Hirtenflöte Ein altes Lied aus alter Zeit. Nicht Küsse waren's, die wir heimlich tauschten, Es war die Zeit des Blätterfalls, Doch als am Kreuzweg die drei Linden rauschten, Fielst Du mir weinend um den Hals! Und Deiner Liebe langverhaltnes Leiden, Aus Deinem Herzen brach's hervor, Als ahntest Du's, dass Jedes von uns Beiden Im Andern auch sich selbst verlor! Und Worte sprachst Du, die ich nie vergessen, Doch ach, uns gönnte das Geschick Nur noch ein letztes Aneinanderpressen ... Es war ein dunkler Augenblick! Doch nicht entweihen will ich jene Stunde, Schweig still, o still, Erinnerung! Denn nie schliesst sich ein Herz um seine Wunde, Ein echtes Leid bleibt ewig jung. Noch immer, wenn des Abends letzte Röthe Ins Meer taucht, wird das Herz mir weit, Und mich umklingt wie eine Hirtenflöte Ein altes Lied aus alter Zeit. 3. O, wie so oft hab ich gesessen Auf moos'ger Bank am Buchenhag Und sann beglückt und selbstvergessen Dem Räthsel Deines Wesens nach! Dann sang am waldverschwiegnen Orte Ihr hohes Lied die Maienfee, Und jedes ihrer süssen Worte Fiel mir ins Herz wie Blüthenschnee; Und jedes ihrer süssen Worte Klang mir wie Deutung Deines Seins Und golden that sich auf die Pforte Und ich und Du, wir waren Eins! Und doch; wenn Du dann kamst und lächelnd Die Anmuth Dir zur Seite ging, Und süsser als der Maiwind fächelnd Dein weicher Odem mich umfing: Dann war dahin, was kaum gewesen Und was nur dunkel mir geschwant, In Deinen Augen konnt ich's lesen, Von Wundern, die ich nie geahnt; In Deinen Augen konnt ich's lesen, Was ich gewann, was ich verlor, Und süsserschreckt schien mir Dein Wesen Nur räthselhafter als zuvor! 4. Mein Herz war froh, mein Leben Poesie, Draus meine Tage sich wie Knospen schälten, Da kam Dein Brief, der mir Dein Elend schrie, Und dessen Thränen mir Dein Leid erzählten. Nur Einer weiss, wie schwer ich daran trug, Der Flieder, der nachts an mein Fenster schlug. Derselbe Flieder, dessen Duft so lind Im Mai uns wie ein Frühlingstraum umschauert, Und der jetzt frierend im Novemberwind Sich wie ein Bettler scheu zu Boden kauert. 5. O, wie weit, wie weit, Liegt die goldne Zeit, Wo mein Herz von tausend Liedern schwoll! Nun ist stumm mein Mund Und mein Herz so wund Ist von Thränen, nur von Thränen voll! O was gäb ich drum, Wär ich nicht so stumm, Und die Thräne fände ihren Lauf! Aber Lied wie Schmerz, Hütet stumm das Herz, Und wer kommt und schiebt den Riegel auf? Junger Liebe Glück, Kehrst du nie zurück? Ach, das Herz mir noch das Herz zerbricht! Wie ein Funkelstern, O so ewig fern, Glänzt die goldne Zeit im goldnen Licht! 6. O dass doch aus dem Klanggewinde Mir Blatt auf Blatt von dannen stiebt Und ich nicht mehr die Worte finde, Wie sie das Herz dem Herzen giebt! Denn ach, die Lust singt immer leiser Und immer lauter schreit das Weh, Und längst sind alle Hoffnungsreiser Begraben unterm Winterschnee. Ich bin so stumm und still geworden Und sing nur manchmal noch im Traum, Doch in den klagenden Akkorden Tönt meiner Schmerzen Echo kaum. Und will mir auch die Brust zerspringen, Es trägt kein Lied ihr Weh hinaus: Und so muss denn auch dies verklingen Und ist doch lange noch nicht aus! 7. Sonnengluthen, Abendschatten Wechselten im alten Gleise, Und auch dir, dem Qualenmatten, Tönt ins Ohr die gleiche Weise: Ging das Gestern, kommt das heute Und am Ende auch das Morgen, Doch in alle drei als Beute Theilen gierig sich die Sorgen. Sonnengluthen, Abendschatten Können nicht von selber enden, Aber dir, den Lebenssatten, Ist's vergönnt, sein Loos zu wenden. Nicht umsonst sei dir gegeben, Was Natur den andern schuldig: Drum so ende du dein Leben, Oder trag es still geduldig! 8. Ja, ich geb's zu, und Du hast Recht, mein Freund: Der Sommer ist's, der meine Wange bräunt, Und meine Lenzsaat steht noch ungeschnitten. Und doch, der erste Frühschmelz ist dahin, Mein Herz ward dunkel, düster ward mein Sinn, Denn sieh, wer viel geliebt, hat viel gelitten! Ich weiss, Du glaubst und hoffst noch. Nun, es sei. In mir ruft's faustisch schon: Vorbei! Vorbei! Nur wenig noch will meinem Herzen taugen: Ein Blumenduft, ein ferner Glockenklang, Ein Vogelruf, ein Sonnenuntergang Und dann und wann ein Blick in Kinderaugen. 9. Mit den Wolken, mit den Winden, Steur' ich nach dem goldnen Vliess – Das verlorne Paradies, O, wann werd ich's wiederfinden? Tag und Nacht, in Schlaf und Wachen, Wogt um mich die dunkle Fluth, Und die Sehnsucht, die nicht ruht, Ja, die Sehnsucht ist mein Nachen! Und so gehn denn Mond und Sterne Immer wieder meerempor; Doch wie sie, winkt Edens Thor Mir ach, immer nur von Ferne! Aber lass das Rad nur rollen, Wie's das schon seit je gethan, Denn auch deine irre Bahn Wird sich ja vollenden wollen. Wind und Wellen werden schlafen Und sein Ziel erreicht dein Boot, Denn sein Steuermann heisst Tod Und der Himmel ist sein Hafen! 10. Und immer weiter Dreht sich die Welt, Ihr Pfad wird breiter, Ihr Triebrad schnellt; Die Stunden rollen, Die Sonne scheint, Ich bin verschollen Und niemand weint! In Kraut und Kressen Auf hohem Stein Lieg ich vergessen Und ganz allein; Nur eine Linde Schwingt über mir Im Abendwinde Ihr grün Panier, Und leis nur zittert Mir ums Gesicht, Goldrothumwittert, Das Abendlicht. Die Welt ging unter, Die Gott erschuf, Nur noch mitunter Ein Vogelruf; Nur noch zuweilen Ein irrer Schrei – Die Wolken eilen Vorbei, vorbei! Was wie ein Stern mir Die Brust durchzieht, Singt nun von fern mir Sein Alphornlied. Erinnrung hält mich In ihrem Bann Und plötzlich fällt mich Die Sehnsucht an. O Lust von weiland, Wie liegst du weit! O selig Eiland Der Jugendzeit! Die Blumen blühten, Die Quelle sprang, Die Sterne glühten, Die Amsel sang; Und mir gab Küsse Zu jeder Stund, Als ob er's müsse, Ein Mädchenmund! Noch stockt der Schmerz mir In seinem Lauf – Wie ging das Herz mir In Liedern auf! Doch wer beschriebe Die goldne Zeit, Die erste Liebe, Das erste Leid? Wie dort die Sonne Versinkt in Nacht, Stirbt Weh und Wonne, Eh wir's gedacht. Schon deckt ihr Schleier Den Fluss, das Ried – Die alte Leier, Das alte Lied! 11. Der Sonne letzter Schein Umspielt das schwanke Ried, Der Thürmer bläst sein Lied Ins Abendroth hinein. Von fernher weht ein Duft Berauschend mir ums Haar, Ein weisses Taubenpaar Durchflattert noch die Luft. Nun taucht mein Geist ins Bad Und stärkt sich im Gebet, Ein Engel Gottes geht Stillsegnend durch die Stadt. Für Jeden, der ihn sieht, Hat er im Herzen Raum: Dir gab er einen Traum, Und mir gab er dies Lied. 12. Jüngst sah ich den Wind, Das himmlische Kind, Als ich träumend im Walde gelegen, Und hinter ihm schritt Mit trippelndem Tritt Sein Bruder, der Sommerregen. In den Wipfeln da ging's Nach rechts und nach links, Als wiegte der Wind sich im Bettchen; Und sein Brüderchen sang: Di Binke di Bank, Und schlüpfte von Blättchen zu Blättchen. Weiss selbst nicht, wie's kam, Gar zu wundersam Es regnete, tropfte und rauschte, Dass ich selber ein Kind, Wie Regen und Wind, Das Spielen der beiden belauschte. Dann wurde es Nacht, Und eh ich's gedacht, Waren fort, die das Märchen mir schufen, Ihr Mütterlein Hatte sie fein Hinauf in den Himmel gerufen! 13. O du lieber, linder Sommerabend, Bist so süss wie zarte Frauenhuld, Wenn dein tiefgeheimer Zauber labend Mich in wunderholde Träume lullt. Bin ich singend über Land gezogen Wohl den ganzen Tag im Sonnenschein Und nun schreit ich durch den Thoresbogen In die altersgraue Stadt hinein. Von den holzgeschnitzten Giebelspitzen Sich schon längst der letzte Schimmer stahl, Nur die hohen Kirchenkreuze blitzen Golden noch im späten Abendstrahl. Kinder auf den Treppensteinen hocken, Spielen Haschen oder Blindekuh, Und dazwischen läuten fromm die Glocken Von den Thürmen Feierabendruh. Wer sich abgemüht in Tagesschwüle, Ruht im Schoosse seiner Lieben aus; Herzerquickend duftet ihm die Kühle, Wie ein frischgepflückter Blumenstrauss. Rollt kein Wagen mehr, es schlägt kein Hammer, Denn der Werkeltag ist längst verrauscht; Lämpchen knistert schon in stiller Kammer, Drin der Nestling Mutters Märchen lauscht. Immer stiller wird es auf den Gassen, Immer heimlicher die Dämmrung winkt, Bis das Giebeldach die silberblassen, Mondgewebten Flimmerstrahlen trinkt. Wo in marktumpflanzten Lindenbäumen Funkenwürmchen hin und wieder fliegt, Wandeln Liebende in süssen Träumen, Hand in Hand und Arm in Arm geschmiegt. Mit den alten, halbverwaschnen Runnen Und dem steingehaunen Reckenbild Steht am Rathhauseck der Rolandsbrunnen, Der aus hundert Röhren tönend quillt. Auf bemoostem Rande sitz ich nieder, Und ich schaue in die Fluthenpracht, Und ich lausche auf die Wiegenlieder, Bis mein Herz zur guten Ruh gebracht. Und da hör ich, wie auf leisen Sohlen Blonde Engel durch die Gassen gehn, Und ich blinzle ab und zu verstohlen, Um die blonden Engel auch zu sehn. O du lieber, linder Sommerabend, Bist so süss wie zarte Frauenhuld, Wenn dein tiefgeheimer Zauber labend Mich in wunderholde Träume lullt! 14. Nun pfeift der Herbstwind ums Gemäuer, Und grau in grau verschwimmt die Luft, Und um den Herd und um sein Feuer Webt Winterduft. Das ist die Zeit, wo sich die Seele Stilleinsam auf sich selbst besinnt Und wie im Lenz einst Philomele Auf Lieder sinnt. Willkommen drum zur guten Stunde, O Muse, unter meinem Dach; Ist auch dies Stübchen hier im Grunde Kein Prunkgemach! Vier Wände nur und was darinnen, Ein Tisch, zwei Stühle und ein Schrein; So sitzen wir vergnügt und sinnen Beim Lampenschein. Horch, draussen, welch ein grauses Wetter Durchrast gespensterhaft die Nacht? Mir däucht, so klingt das Horngeschmetter Der wilden Jagd! Der Regen peitscht in jähem Grimme Ans Fenster, dass der Laden wankt, Und durch die Luft heult eine Stimme Und ächzt und bangt. Ein Kreischen, wie von Wetterhähnen, Umkreist der Kirche nahen Thurm, Denn ihn bedräut mit giftgen Zähnen Der Drache Sturm. Von Menschen scheint die Stadt verlassen, Kein Licht mehr, das nicht längst verblich, Und wer hinabblickt auf die Gassen, Bekreuzigt sich. Fürwahr, ist da nicht unsre Zelle Ein irdisch Stücklein Seligkeit? Und predigt nicht des Lämpchens Helle Gemüthlichkeit? Und näher rücken wir zusammen Und was ich frage, thust du kund; Dein Auge spielt in blauen Flammen, Es lacht dein Mund. Aus Ost und Westen, Süd und Norden, Von Steinen, Blumen und Gethier, Warum und wie sie so geworden, Erzählst du mir. Und was einst vor so manchem Jährchen Die Welt erlebt in Lust und Leid, Und wenn ich bitte, auch ein Märchen Aus alter Zeit. Wie Siegfried einst die Maid Brunhilde Durch seinen Kuss vom Schlaf erweckt, Und wie sich hinter diesem Bilde Ein Sinn versteckt. Wie jährlich noch die Mutter Erde Sich einspinnt in die Witternacht, Bis sie im Lenz durch Gottes Werde Aufs Neu erwacht. Drum lass den Tod nur draussen dräuen, Wir zwei sind gegen ihn gefeit; Das Leben wird sich schon erneuen Zu seiner Zeit. Als Lenz wird es uns Veilchen bringen, Und tändeln wird's als Blüthenfall, Und Nachts im Flieder wird es singen Als Nachtigall! 15. Und wieder nun lässt aus dem Dunkeln Die Weihnacht ihre Sterne funkeln! Die Engel im Himmel hört man sich küssen Und die ganze Welt riecht nach Pfeffernüssen ... So heimlich war es die letzten Wochen, Die Häuser nach Mehl und Honig rochen, Die Dächer lagen dick verschneit Und fern, noch fern schien die schöne Zeit. Man dachte an sie kaum dann und wann. Mutter teigte die Kuchen an Und Vater, dem mehr der Lehnstuhl taugte, Sass daneben und las und rauchte. Da plötzlich, eh man sich's versah, Mit einem Mal war sie wieder da. Mitten im Zimmer steht nun der Baum! Man reibt sich die Augen und glaubt es kaum ... Die Ketten schaukeln, die Lichter wehn, Herrgott, was giebt's da nicht alles zu sehn! Die kleinen Kügelchen und hier Die niedlichen Krönchen aus Goldpapier! Und an all den grünen, glitzernden Schnürchen All die unzähligen, kleinen Figürchen: Mohren, Schlittschuhläufer und Schwälbchen, Elephanten und kleine Kälbchen, Schornsteinfeger und trommelnde Hasen, Dicke Kerle mit rothen Nasen, Reiche Hunde und arme Schlucker Und Alles, Alles aus purem Zucker! Ein alter Herr mit weissen Bäffchen Hängt grade unter einem Aeffchen. Und hier gar schält sich aus seinem Ei Ein kleiner, geflügelter Nackedei. Und oben, oben erst in der Krone!! Da hängt eine wirkliche, gelbe Kanone Und ein Husarenleutnant mit silbernen Tressen – Ich glaube wahrhaftig, man kann ihn essen! In den offenen Mäulerchen ihre Finger, Stehn um den Tisch die kleinen Dinger, Und um die Wette mit den Kerzen Puppern vor Freuden ihre Herzen. Ihre grossen, blauen Augen leuchten, Indess die unsern sich leise feuchten. Wir sind ja leider schon längst »erwachsen«, Uns dreht sich die Welt um andre Achsen Und zwar zumeist um unser Büreau. Ach, nicht wie früher mehr macht uns froh Aus Zinkblech eine Eisenbahn, Ein kleines Schweinchen aus Marzipan. Eine Blechtrompete gefiel uns einst sehr, Der Reichstag interessirt uns heut mehr; Auch sind wir verliebt in die Regeldetri Und spielen natürlich auch Lotterie. Uns quälen tausend Siebensachen. Mit einem Wort, um es kurz zu machen, Wir sind grosse, verständige, vernünftige Leute! Nur eben heute nicht, heute, heute! Ueber uns kommt es wie ein Traum, Ist nicht die Welt heut ein einziger Baum, An dem Millionen Kerzen schaukeln? Alte Erinnerungen gaukeln Aus fernen Zeiten an uns vorüber Und jede klagt: Hinüber, hinüber! Und ein altes Lied fällt uns wieder ein: O selig, o selig, ein Kind noch zu sein! 16. Apage, blonder Satan, lass mich los! Ich weiss, dies ist das Haus »Zu den drei Nymphen«, Doch setze dich nicht gleich mir auf den Schooss Und kokettire nicht mit deinen Strümpfen! Dein Wort ist wie ein tönendes Geschell, Du wirst dies junge Herz mir nicht beschwatzen; Du bist ja doch nur eine Biermamsell Und feil und falsch wie alle diese Katzen. Durch dein Gelächter zischt die rothe Lust, Die Goldgier grub sich tief in deine Züge Und luftgepolstert thront auf deiner Brust Die gummifabricirte Doppellüge. Was dir an Locken bummelt um die Stirn, Ist mühsam nur gestutzt mit Papilloten, Und dein vertrates kleines Weibsgehirn Ist bis zum Platzen vollgepfropft mit Zoten. Du machst die Augen zu und schnalzt: Wie schön! Und nippst beim Nachbargast vom Blut der Reben Und denkst dabei nur an das Lustgestöhn, Als du dich gestern Nacht ihm preisgegeben. Dein Element ist recht die Völlerei, Das Austernfressen und Champagnersaufen... Wie? Teufel! schlägt die Stutzuhr dort schon Zwei? Da, nimm mein Portemonnaie und – lass mich laufen! 17. Mein Herz schlägt laut, mein Gewissen schreit. Ein blutiger Frevel ist diese Zeit! Am hölzernen Kreuz verröchelt der Gott, Kindern und Thoren ein seichter Spott; Verlöscht ist am Himmel das letzte Roth, Ueber die Welt hin schreitet der Tod, Und trunken durch die Gewitternacht klingt Das sündige Lied, das die Nachtigall singt! Die Menschheit weint um ihr Paradies, Draus sie ihr eigener Dämon verstiess, Und heimlich zischt ihr die rothe Wuth Ihre Parole zu: Gold und Blut! Gold und Blut, Blut und Gold! Hei wie das klappert, hei wie das rollt! Und wüst dazwischen kräht der Hahn: Volksohnmacht und Cäsarenwahn! Und immer dunkler wird die Nacht, Die Liebe schläft ein und der Hass erwacht Und immer üppiger dehnt sich die Lust Und immer angstvoller schwillt die Brust; Kein Stern, der blau durch die Wolken bricht, Kein Lied, das süss von Erlösung spricht – Mein Herz schlägt laut, mein Gewissen schreit: Ein blutiger Frevel ist diese Zeit! 18. Vom Thurm her klangen die Osterglocken Ueber des Kirchhofs trauernde Gruft, Und gleich verwehten Blütenflocken. Verschwamm ihr Klang in der Morgenluft. Mich aber riefen sie in die Weite Und liessen mich nicht im dumpfen Haus, Und unter der Osterlieder Geleite Zog ich die Strassen zum Thore hinaus. Weit hinter mir im Morgendämmer Sich das Gemäuer der Stadt verlor, Und selbst das Pochen der Eisenhämmer Traf nur gedämpft noch an mein Ohr. Doch dehnte sich immer weiter und weiter Vor meinen Blicken der sonnige Gau, Und jauchzend auf tönender Himmelsleiter Schwang sich die Lerche ins Aetherblau. Da stand ich denn nun am Waldesrande Mit meinen Gedanken so ganz allein Und sah tief unter mir die Lande Liegen im flimmernden Sonnenschein. Und als dann, den letzten Zweifel zu rauben, Ein Schäfer noch blies auf seiner Schalmei, Da wollte ich es selbst nicht glauben, Dass Tod die Lösung des Räthsels sei Da schien mir alles verweht und vergangen, Was ich betrauerte winterlang; Und alle Saiten des Herzens klangen Zusammen im Auferstehungsgesang. O, solche Seelenklänge dringen Weit höher noch in die Himmel empor, Als je auf seinen Flatterschwingen Ein Vogel sich in der Luft verlor! Ja, Fest der Ostern, nun warst du gezogen Auch endlich in diese verödete Brust; Und dies Herz, das so oft schon das Leben betrogen, Erzitterte wieder von süsser Lust Und schlägt nun der hohen Feier entgegen, Die über die Erde zu giessen verheisst Den herrlichsten aller himmlischen Segen, Den welterlösenden, heiligen Geist. Der heilige Geist ist die ewige Liebe, Die Gott in die Herzen der Menschen gesenkt, Und die mit jedem Ostertriebe Von neuem sich zum Lichte drängt. Sie schwebt herab vom Himmelssaale Zu Jedem, der an sie noch glaubt– O neige, neige die goldene Schaale Auch hier auf dieses Beterhaupt! 19. Nun muss sich wieder alles wenden, Ich fühl's an meines Herzens Schlag, Und schöner wird's an allen Enden Und lieblicher mit jedem Tag. Die Liebe schnürt ihr rothes Mieder, Der Armut schmeckt ihr trocknes Brod Und süss klingt's nächtlich aus dem Flieder: Im Frühling lächelt selbst der Tod! 20. Noch stellt der Wald sich taub und todt, Noch blühen die Primeln nicht, Doch schlägt mein Herz schon so roth, so roth, Und meine Seele jauchzt: Licht! Ja Licht, ja Licht, bis das Eis zerstiebt Und die Welt in Blüthen versinkt Und mein rothrothes Herzblut verliebt, verliebt Die Sonne, die Sonne trinkt! 21. Endlich durchfährt nun mit Sang und Klang Der Frühling wieder die harrende Welt; Und wo er sich zeigt, da singt es, Und wo er nur wandert, da klingt es Jauchzend zum Himmelszelt. Und wen nur der Frühling zum Feste sich lud, Der mag nun nimmermehr traurig sein; Doch mich hat er nicht geladen, Ich kann ja die Seele nicht baden In dem goldigen Sonnenschein! Ich kann ja nicht steigen zu schwindelnden Höhn, Wo das Adlerweib brütet im luftigen Horst! Ich kann ja nicht liegen und lauschen, Wie die Wälder so einsam rauschen Und die Amseln pfeifen im Forst! Vor dem schwärzlichen, städtischen Bogenthor, Da schauert der lustige Frühling zurück – Ach, zwischen den Giebeln und Mauern Muss ich nun einsam vertrauern Meinen Jugendtraum und mein Glück! O du Stadt und du kleinliches Krämervolk, Wie bin ich doch euer so übersatt! Tagtäglich dieselbe Reise, Tagtäglich dasselbe Gleise, Tagtäglich dasselbe Rad! Und dazu noch dies Weh, o dies innerste Weh, Das die Brust mir zerreisst und die Sinne zerwühlt! O sende nur einen Tropfen Auf dieses Herz und sein Klopfen, Der die lechzende Seele mir kühlt!– – Wo das Meer erbraust dumpfdonnernden Schlags Und die weisslichen Möven flattern und schrein Und die dunkelnden Meereswellen Sich bäumen und fluthend schwellen Zum Leuchtthurm am Klippenstein: Da möcht ich wohl stehn, ha du wilde Lust! Wenn die rasenden Fittige schüttelt der Sturm, Wenn die schnellenden Wogen rollen Und die gellenden Donner grollen Und das Feuer verlischt auf dem Thurm! Und macht dann des Sturmwinds Orgelmusik Dich, du wildaufschlagendes Herz, nicht gesund: Dann kommt, o ihr Wogen, ihr kühlen, Von dem Fels mich hinunter zu spülen In den gähnenden Meeresschlund! 22. Nun stimmt sie wieder mir den Psalter Die liedervolle Maienzeit Und gaukelnd schwebt um mich der Falter, Das Sinnbild der Unsterblichkeit. Drum lebt mir wohl, ihr Pergamente Der winterlichen Hirntortur, Mich lockt ins Reich der Elemente Die neuerstandne Lenznatur. Umspielt von silberbleichem Lichte, Ein Grabfeld nach verlorner Schlacht, Ein Todtentanz ist die Geschichte, Ein Todtentanz um Mitternacht. Es bleibt der Ruhm, wie er auch glänze, Ein Blendwerk nur, ein eitler Schein; Mehr gilt als tausend welke Kränze Mir dieses Lebens goldnes Sein! 23. Schenk ein, liebe Sonne, dein Licht, dein Licht, Ich will es trinken wie Wein, Und wenn mich mein Herz dann zu packen kriegt, Dann werden wir beide betrunken sein! Dann dreht die Welt sich rund um uns rum Und die Nachtigall singt wie ein Buch: Wie ist doch der Hansel so dumm, so dumm, Und die Grethel so klug, so klug! 24. Willst du denn immer noch nicht ruhn? Hast du noch immer so viel zu thun? Häng deine Harfe, mein Herz, an die Weiden, Lerne dich endlich doch, endlich bescheiden! Immer noch fühl ich dich flammen und glühn, Wenn dich im Frühling die Rosen umblühn; Immer noch sehnst du dich, süss wie vor Jahren, Wild nach dem Glück mit den goldenen Haaren, Schmeichelst es Liebling und Lorelei, Ach, und noch immer fliegt es vorbei! Lass doch dein Schlagen, lass doch, mein Herz, Sieh, diese Welt ist ein grausamer Scherz, Ueberall gähnt es dich an: Verzichte! Immer und immer die alte Geschichte! 25. Still, still, Kind, still! es war ein Traum. Die Wellen grün und weiss der Schaum. Er rollt durch den Sonnenschein, blitzt und zerstiebt – Es war ein Traum, dass es Rosen giebt! Es war ein Traum, dass ein deutscher Wald Hoch über dir grün seine Wipfel geballt, Und dass dort, von Menschen wie du gesehn, Berge, Thäler und Städte stehn! Schon seit Wochen sahst du kein Streifchen Land, Hinter dir liegt, was du Welt genannt. Nun giebt's kein Leid mehr und keine Lust, Nun schlägt kein Herz mehr in deiner Brust! Das Segel blitzt, die Welle schäumt, Es war ein Traum, wie ein Kind ihn träumt; Der Schornstein raucht, die Möwe flieht, Nichts, nichts, so weit dein Auge sieht, Nur: Himmel und Wasser! 26. Gründunkel wehn die Pinien, Von Fern her blaut die See – Schau nicht so ernst in die schöne Welt, Wie die Griechin Antigone! Dein Goldhaar flackert wie Feuer, Micht packt ein wild Gelüst: Denk lieber, du seist Cleopatra, Die ihren Cäsar küsst! Befiel, und der Erdball zerblättert, So wahr ich sein Herrscher bin, Und zitternd vor deine Füsse kniet Die ewige Roma hin! Die Völker bauen dir Tempel Von Susa bis Carchedoon – Du aber, als Aphrodite, setzt Dich, lächelnd, auf meinen Thron! 27. Wozu dies Fältchen heut, mein Süsschen, Dies Fältchen unter deinem Hut? Meinst du, das Scharren mit den Füsschen Thut deinen Stiefelsöhlchen gut? Dein rothes Sonnenschirmchen zittert, Dein Händchen fiebert brennend heiss, Gesteh's nur ein, du bist erbittert Und denkst, sein Herz ist kalt wie Eis. O nein! Sein Herz hat tausend Fühler Und schlägt genau so warm wie deins; Nur denkt sein Kopf ein wenig kühler Und kennt genau das Einmaleins. Ich wollte wohl, dass ich es wüsste, Wie rosenroth dein kleiner Zeh, Wie milchweiss deine kleinen Brüste Und wie diskret dein Negligee. Nach Indien würd ich mit dir fliehen, In Heinrich Heine'schem Geschmack, Und wenn du willst, auch vor dir knieen, Ein neuer Don Quixote im Frack. Doch dir Bonbons und Ringe kaufen? Den Casus, Kind, nehm ich dir krumm. Das Beste, wär's, du lässt mich laufen Und siehst dich – anderweitig um! 28. Mille de Fleurs und Bonbonnièren, Atlasschleifen und Bouquets, Jeden Tag drei Dutzend Briefe, Ungerechnet die Billets, Jeden Tag ein goldnes Armband, Ein gesticktes Etui – Für die »Wunden« unsrer »Herzen« Die vorzüglichste Charpie! Kind, sag selbst: wozu dies Alles, Dies Geliebel per Distance? Heut, im neunzehnten Jahrhundert, Ist das längst nicht mehr Usance! Heut, im neunzehnten Jahrhundert, Kratzt der Mensch sich, wenn's ihn juckt; Werther's Leiden sind pläsirlich, Aber nur, wenn sie gedruckt. Deine Schwüre pack in Watte Und verschliess sie in Dein Spind, Sie verwehn sonst wie die Fäden, Die der Sommerabend spinnt! Deine Thränen aber, Goldkind, Lass getrost dem Krokodil Und vor allen Dingen, bitte, Deine Mutter aus dem Spiel! Täglich fährt sie ihre Nerven Bleich spazieren durch den Park, Und der Hut an ihrem Schleier Kostet sicher sechzig Mark. Doch die Liebe schlägt sich barfuss, Wie ein Bettler, durch die Welt, Und ich fürchte, dieser Dame Ist sie noch nicht vorgestellt! Deine Mutter, Kindchen, kennt nur Ein Idol: die Prüderei, Und noch mehr als Dich verzieht sie Ihren grünen Papagei. Deine Mutter, Kindchen, hat mich Sozusagen auf dem Strich, Nochmal ihr die Hand zu küssen, Dafür, Herz, bedank ich mich! ... »Reiss« auch nicht, um's mir zu »schenken«, Dir das »Herz« aus Deiner »Brust«, Küsse will ich, nichts als Küsse, Roth wie Rosen im August! Küsse will ich, nichts als Küsse, Alles and're gilt mir gleich – Morgen Abend, Punkt halb Sieben, Treff ich Dich am Goldfischteich!« 29. Nein, nein! Im Ernst, mein Herz! Dein Marquis Posa Hat bitter unrecht. Dieses Leben ist Durchaus nicht schön. Denn Stunden schickt es dir auf deinen Hals, In denen du dich wüthend drüber ärgerst, Dass Con-Fu-Tse, der Bhudda der Chinesen, Kein Droschkenkutscherssohn aus Zwickau war. Auch will es dir durchaus nicht in den Kopf, Dass die Pastoren weisse Bäffchen tragen. Warum nicht pfeffer- oder ferkelfarbne? Pflanz dir dies Eine zolltief in den Schädel Und lass ihm Zeit, zu wachsen, und ich wette, Dein ganzer Kerl platzt prasselnd wie ein Frosch, Den man zum Schluss auf einem Jahrmarkt abbrennt, In fünfmalhunderttausend kleine Stücke. Dann bist du futsch, und deinem Publikum, Das sein Entree nur ungern gratis zahlt, Bleibt nichts als eine Nase voll Gestank. Zuletzt verpufft auch der, die Bande brüllt, Schimpft, pfeift, krakehlt und prügelt sich Und johlt dann schliesslich knüppeldick besoffen Durch Vollmondschein und Fliederduft nach Hause. Dort liegt das dann wie ein gestochnes Kalb Idyllisch da in seinem Himmelbett Und schnarcht gemüthlich sich die Sterne runter. Nein, nein! Es ist nur Eins: entsetzlich albern. Nichts weiter. 30. Wohl jauchz ich, wenn der Tag sein Werk bestellt, Und helf ihm mit, die alte Zeit zerhämmern, Doch soll noch manchmal mich umdämmern Die alte, goldne Heidenwelt! Denn stets beleidigt meine Phantasie Ein Marmorchristus mit verrenkten Knochen, Doch oft hat mir ins Herz gesprochen Ein Jupiter Otricoli! O schöne Zeit, als am Hymettoshang Ein heilig Volk sein heilig Feuer schürte, Als Phidias seinen Meissel führte Und Pindar seine Hymnen sang! Ihr Wallfahrtsweltort hiess Olympia Und nicht von Holz war'n ihre Rosenkränze, Wenn sie die priesterlichen Tänze Sich seelenvoll verschlingen sah! Die Erde, nicht der Himmel, war ihr Traum, Erst später lernte sie das dumme Knieen; Sie spann nicht graue Theorieen, Ihr Leben war ein grüner Baum. Doch das ist lange, o schon lange her, Die Opferschalen fielen und zerklirrten, Und heut tönt nur das Lied der Hirten Noch nächtlich übers Mittelmeer. Das Volk des Perikles gab sich den Rest, Doch wächst und blüht der Stammbaum des Eumäus – Heut ist die Weltstadt am Pyräus Ein elendes Barackennest! Zwar ist der Himmel noch wie ehmals blau, Der Urwald harft noch und das Weltmeer psaltert, Doch ach, die Menschheit hat gealtert Und pinselt nur noch grau in grau! Der Schönheit goldner Springquell ist versiegt, Fürwahr, wir leben in der Zeit des Spottes, Da selbst die heilge Mutter Gottes Auf Pflaumenbäume kriecht! Drum zupft den Dichter nicht an seinem Kranz Und titulirt ihn nicht gleich einen Narren, Denkt er umqualmt mal von Cigarren Der Götterwelt Altgriechenlands. 31. Wie lang ist's her? Erst sieben Jahre! Und doch klingt's schon: Es war einmal! Der Wiege näher als der Bahre, Stieg ich tagtäglich ins Pennal. Ich war ein träumerischer Junge, Las Cicero und Wilhelm Hauff Und trug das Herz auf meiner Zunge Und spiesste Schmetterlinge auf. Auch lief ich, Katzengold zu suchen, Oft Tage lang im Wald umher Und schwärmte unter hohen Buchen Von einstger Nimmerwiederkehr. Betäubend dufteten die Kressen, Grüngolden floss das Licht herein; Es war ein seliges Vergessen, Vergessen und Vergessensein! Der Lenzwind liess die Aeste knarren, Vom Dorf herüber klang die Uhr, Ich lag begraben unter Farren Und stammelte: Natur! Natur! In alten Büchern steht geschrieben, Du bist ein Weib, ein schönes Weib; Ich bin ein Mensch und muss dich lieben, Denn diese Erde ist dein Leib! Weh, jenem bleichen Nazarener! Er stiess dich kalt von deinem Thron! Ich aber bin so gut wie jener Der Gottheit eingeborner Sohn! Ich will nicht mönchisch dich zergeisseln – Her, deinen Freudenthränenwein! Ich will dein Bild in Feuer meisseln Und Vollmensch wie ein Grieche sein! Doch du, um die in ewgem Schwunge Die Welt sich dreht, o Poesie, O, lege Gold auf meine Zunge Und in mein Herz giess Melodie! In ewge Lieder lass mich weben, Was du so süss in mir erhellt, Und wie so köstlich doch das Leben Und wie so wunderschön die Welt! Noch gährt's von Blinden und von Tauben Und mehr als ein Herz ward zum Sfein, Ich aber lehre sie wieder glauben, Ich will der neue Johannes sein! In deine Wunder will ich wiegen Die Sehnsucht ihres kranken Seins, In deine Arme will ich sie schmiegen, Denn ich, du, sie ... o, wir alle sind Eins! So lag ich träumend einst im Walde, Wenn tiefblau rings der Himmel hing, Bis draussen hinter grüner Halde Die Sonne blutroth unterging. Dann schritt ich heimwärts, und mit Singen Begrüsst ich meines Vaters Haus Und schaute, wenn die Sterne gingen, Noch lange in die Nacht hinaus. Und jetzt? – Die heimatlichen Thäler, Die seine Jugend grün umrauscht, Hat längst der lyrische Pennäler Für eine Weltstadt eingetauscht. Er sieht mit Schauder, wie das Laster Sich dort juwelenfunkelnd bläht, Das Elend aber tritt das Pflaster Von Morgens früh bis Abends spät! Er hört, wie nachts in den Fabriken Der Proletar nach Freiheit schreit, Indess ein Volk von Domestiken Dem nackten Recht ins Antlitz speit! Er fühlt, wie wilde, wilde Flammen Ihm heiss und roth das Hirn durchlohn, Und beisst die Zähne fest zusammen Und murmelt: Hohn, Hohn, dreimal Hohn! Er sieht, er hört, er fühlt den Jammer Und wandelt tags von Haus zu Haus Und grollt dann nachts in seiner Kammer Sein Herz in wilde Lieder aus. Er hat es längst, schon längst vergessen, Wie wohl im Lenz die Sonne thut, Und wie's im Wald, umblüht von Kressen, Sich einst so schön, so schön geruht! Nur manchmal, manchmal noch durchziehen Sein Herz, das nach Erlösung schreit, Die grünen Waldhornmelodieen Der längst verrauschten Kinderzeit. Dann stöhnt er auf, und seine Hände Presst er verzweifelt vors Gesicht Und rings die weissgetünchten Wände Erzittern, wenn er schluchzend spricht: O Poesie, du Heiligschöne, Von Thränen ist mein Herz durchnässt, Weil du den treusten deiner Söhne In Nacht und Noth verkümmern lässt. Ich war ein Kind und sprach: O, schütte Dein Füllhorn golden in mein Lied Und lass mich knien in einer Hütte, Auf die der Stern der Liebe sieht. Ja, lass auf einem weissen Zelter Mich fliegen in den Sonnenschein, Lass aus des Lebens Freudenkelter Mein Herzblut sprühn als Liederwein! Du schwebtest segnend durch die Lüfte, Ich hab dir selig nachgeblickt, Und Lenzgoldlicht und Blüthendüfte Hast du mir lächelnd zugenickt. Und doch, und doch! Du hast gelogen! Dein Lächeln war ein schönes Gift! Du hast mich um mich selbst betrogen! Dein Herz ist schwarz wie deine Schrift! Du gabst mir einen wilden Rappen, Umschnürtest meine Brust mit Erz Und unter Thränen in mein Wappen Hast du gestickt ein blutend Herz! 32. Nacht. Der Ahorn vor meinem Fenster rauscht, Von seinen Blättern funkelt der Thau ins Gras Und mein Herz Schlägt. Nacht, Nacht, Nacht. Ein Hund bellt – – ein Zweig knickt – – still! Still!! Still!!! . . . . . . . Du? Du?? Ah, deine Hand! Wie kalt, wie kalt! Und – deine Augen: gebrochen! – – Gebrochen!! . . . . . . . Nein! Nein!! Du darfst es nicht sehn, Dass die Lippen mir zucken, Und auch die Thräne nicht, Die ich kindisch um dich vergiesse – – Du armes Weib! Also nachts? Nachts nur noch wagst du dich, Schüchtern, aus deinem Sarg? Aus deinem Sarg? Um dich auf Zehen zu mir zu schleichen? Armes Weib! Todt, todt, todt ... Verblüht die Kränze, Die du gewunden, Verweht die Lieder, Die du gesungen, Und in deinen Haaren, Die so golden geflattert, Klebt nun die Erde! Todt, todt, todt ... Und deine Flügel, deine armen Flügel! Unbarmherzig heruntergeschnitten Von den schimmernden Schultern – ah, weine nicht! Weine nicht! Hier! Hier!! Zu mir sollst du dich setzen, Nächtlich, allnächtlich, Bis der Morgen graut, Bis die Sonne scheint, Und die Welt, Die kluge Welt, Wieder plump über dein Grab rollt – – Horch! Der Ahorn vor meinem Fenster rauscht, Der Thau tropft Und mein Herz Schlägt! Nacht, Nacht, Nacht ... 33. In himmelblauer Ferne, Da liegt und lacht ein Paradies, Da singen die Sirenen, Da trocknen alle Thränen, Da wohnt das Glück. In himmelblauer Ferne .... Präludium Kräht der Hahn auf dem Mist, Aendert sich das Wetter, oder es bleibt, wie es ist. Alte Bauernregel Dieses lachende Präludium, Lachend sei es dedicirt Euch, ihr wohlverbohrten Ritter Vom romantisch blauen Strumpfband Und vom klassischen Kothurn. Euch und allen andern windgen, Hyperschlauen Kritifatzkis, Die, zum Zeichen, dass sie's lasen, In dies saubre Exemplar Eselsohren falzen werden. Bitte sich nicht zu geniren, Dass ich dies mein kleines Epos Nicht gleich, zunft- und zopfgerecht, Philologisch präludirte: »Nenne mir den Mann, o Muse!« Armer klassischer College! Streu, wie unser Grossohm Hiob Asche Dir auf deine Platte, Denn die Welt hat sich gedreht Und mit Wolfgang Goethe starb Längst der Letzte der Olympier. Andre Zeiten, andre Lieder, Andre Lieder, andre Menschen, Und von Wien bis nach Paris Fährt man heutzutag per Blitzzug Noch nicht lumpge siebzehn Stunden. Zwar ein Dichter, der wie ich Schon von jeher kein Talent, Und, getreu der goldnen Fahne, Die mir roth zu Häupten flattert, Zukunftsroth und gleichheitspredgend, Warn ich meine Concurrenten Vor der unsoliden Firma Der Homer und Compagnie. Ja, mein Herz, ich muss Dich seufzend, Seufzend, wenn ich daran denke, Dass auch ich ein Versfaiseur nur, Oeffentlich hier denunciren: Dein Credit beginnt zu wanken, Deine Curse stehen schlecht, Und dein Renommee ward schartig Wie ein schäbiger Cylinder. Ach, es ist nur gar zu wahr, Dein ambrosisch grüner Lorbeer Fing mit Harold – Byron schon Ganz bedenklich an zu welken, Und in meinen Augen bist Du Nur ein ganz profaner Mensch Und als solcher wiederum Nur der erste aller blinden Bänkelsänger Griechenlands. Ja, mein Hirn ist ein Rebell, Und wie alle diese Leute, Die auf Thron und Altar pfeifen, Bläht es frech sich auf und pfeift auch Auf das schulstaubtrockne Dogma Klassischer Autorität Immer noch durch unsre Köpfe Taumeln schwarz bechapeauclacquet Sich die Götter des Olymp, Und wenn Rothschild mein Cousin wär, Liessen heute noch die »Times« Einen Aufruf los zur Gründung Eines internationalen Antimuseistenclubs. Hätte ein gewisser Herwegh, Der ein grosser Demokrat Und ein grössrer Dichter war, Ihn nicht meuchlings schon verausgabt, Hier an dieser schönen Stelle Bräch ich aus in den Naturlaut: »Raum, ihr Herrn, dem Flügelschlag Einer freien Seele!« Poesien für Pennäler Sind bereits genug gedrechselt; Siehe hier das Gros der Werke Unsrer deutschen Dioskuren – Nomina odiosa sunt! Aber vollends lasst mich schweigen Von den lächerlichen Grössen Ihres lächerlichen Nachtrabs! Graf von Platen war ihr Mogul, Und die griechische Schablone Rüpelte jahrzehntelang Ihre längstversteinten Formen Ueber jeden deutschen Quark. O, ich hasse dies Gezücht Phrasenschwammiger Banausen, Das nach jedem Wort sich einen Idealen Kloss ins Maul pfropft! Aber ach, mein braves Deutschland War ja leider das beliebte Eldorado der Philister Schon seit anno Tacitus! Seit der alte Herr von Hutten, Von der Meute seiner braven Zeitgenössischen Philister Wie ein Hirsch ins Holz gehetzt, Auf der Ufenau verreckt ist, Hat nur ein Mensch hier in Deutschland Tabak, Bier und Kohl verdaut, Der, bis in den Tod sich selbst treu, Ein lebendiger Protest war Gegen jedes lächerliche, Knöcherne Schablonenthum. Fern vom Rhein, wo er sein erstes Kinderhöschenpaar zerrissen, Fern in Frankreich liegt sein Grab, Und von Immergrün umwoben Schaut es hoch her vom Montmartre Auf die Weltstadt an der Seine. O, ich weiss, wie einst die Mitwelt Vipernzüngig ihn begeifert; Kann doch selber heutzutag noch Ihm kein Dunkelmann vergessen, Dass sein rothes Dichterherz nicht Pauvre wie ein pauvres Talglicht, Sondern gross und welterleuchtend, Golden wie die Sonne brannte. Ach, die Lösung dieses Räthsels, Das durchaus kein Phänomen, Lässt sich leicht in Worte fassen: Heinrich Heine war kein Stockfisch, Heinrich Heine war ein Mensch! Schellenfroh aus seinen Nestern, Drin es lichtscheu sich verkrochen, Schreckte er das nachtverliebte Fledermausgezücht der Vorzeit, Und sein blutender Messias War das dreimal heilge Recht! Ja, Hosianna! rief er jubelnd, Seine Hymnen präludirten Den Befreiungskrieg der Menschheit, Und in seinem Herzen schliefen Schon des neuen Weltprogramms Goldne Zukunftsparagraphen. Zwar sein armer Körper war Abgemergelt wie ein Schatten, Aber seine goldne Seele Strotzte nur so von Gesundheit. Fern im lachenden Paris, Eingepfercht in ihre graue, Muffige Matratzengruft, Rang sie singend wie ein Schwan Jahrelang mit ihrem Tode, Denn die Weltlust war ihr Spielzeug Und ihr Liebling war das Meer. Doch das Schwimmbassin des Nereus War von jeher schon ein äusserst Komplizirter Mechanismus. Neben Perlen züchtet es Auch noch ganz gemeine Schlangen. Längst versoffne Seemannsprime Wälzt es gleichfalls tief im Bauch rum, Und die Traumwelt der Atlantis Hart, bedeckt von Gold und Seetang, Ihrer künftgen Auferstehung. Um den Wendekreis des Krebses Wälzt der Teifun vor sich her Chinas räuberische Dschunken, Und am Strand von Norderney Baden Deutschlands Aphroditen Ihre semmelblonden Glieder. Ja, ein Künstler ist der Weltgeist Und das Meer sein Meisterwerk! Silbergrau durch seine rothen, Brennenden Corallenwälder Tummelt sich der flinke Stör, Und versunkne Städte läuten Oft aus seinen blauen Fluthen Ihre träumerischen Glocken Märchenhaft ins Abendroth. Doch zur Zeit der Aequinoctien Wird es hungrig wie ein Wärwolf, Und die jungen Fischerfrauen Schrein dann nächtlich oft im Traum auf. Mit dem Herzen eines Dichters, Der sein Lebtag nicht nur Thee soff, Sondern manchmal auch frivol Veritablen Rum hineingoss, Ist es ähnlich meist bestellt. Heine war ein solcher Dichter; Und wenn dann und wann sein Magen, Statt des oben schon erwähnten Obligaten »Thees mit Rum«, »Rum mit Thee« verconsumirte: Nun, wer will ihm das verdenken? Spucken mögen auf sein Grab Dreimal alle alten Jungfern: Heilig war ihm seine Liebe, Heilig war ihm auch sein Hass! Sein Geschlecht war ein erlauchtes, Und die Blüthen seines Stammbaums Sind die Sterne ihre Völker. Aristophanes, der Grieche, War sein vielgeliebter Ahnherr, Miguel de Saavedra Und der Doctor Rabelais Waren gleichfalls seine Ahnen. Doch wozu, o Publikum, Geb ich heut, wo Dahn und Ebers Siegreich mit mir concurriren, Dir ein Privatissimum In der Kunst der Langenweile? Ach, die Werke jener Männer Kennst Du kaum dem Namen nach, Denn ein einzger Pattitriller Gilt Dir mehr als tausend Mozarts. Strickstrumpfflüchtig rettete Vor dem Schreckregime der Trikots Die Vernunft aus dem Theater Sich ins Land der Botokuden, Denn das neunzehnte Jahrhundert Applaudirt wie ein Cretin Nur Ballets und Operetten. Wer wird heut auch, wo der Golddurst Wie ein Moloch sich gerirt, Hamlet oder Faust studiren? Lieber schluckt man Casanovas Elegante Sauerein! Ja, ein Lüstling ist der Zeitgeist, Ein gealterter Roué, Und in jedem neuen Buch, Das ihm eine Kernnatur Zornig lachend an den Kopf wirft, Wittert er versteckte Zoten. Seine alternde Maitresse, Die Geborene von Welt, Thut es selbstverständlich dito. Jeden kantigen Charakter, Der es lästerlich verschmäht Honig ihr ums Maul zu schmieren, Wühlt sie skeptisch um und um, Wie's mit einem Stückchen Erde Wohl nach Würmern thut ein Maulwurf. Grosser Zeitgenosse Emile, Dich auch, Dich hat sie verlästert, Und der Shakespeare des Romans Ward zum Dichter der Kloake. Doch was thut's? Wenn auch die alten Weiber beiderlei Geschlechts Prüde sich vor Dir bekreuzgen, Dein Genie reckt seine Glieder, Seine giftgeschwollnen Stichler Fallen von ihm wie die Fliegen Und sein Haupt ragt in die Wolken! Zola, Jbsen, Leo Tolstoi, Eine Welt liegt in den Worten, Eine, die noch nicht verfault, Eine, die noch kerngesund ist! Klammert euch, ihr lieben Leutchen, Klammert euch nur an die Schürze Einer längst verlotterten, Abgetakelten Aesthetik: Unsre Welt ist nicht mehr klassisch, Unsre Welt ist nicht romantisch, Unsre Welt ist nur modern! Und der Mensch, der sie mit tausend, Abertausend Eisenarmen Erdverlangend wild umschnürt hält, Ist er gleichfalls nicht modern? Glaubt er wirklich noch an eure Abgedroschnen Ammenmärchen Und dass schwarz soviel wie weiss Und dass zwei mal zwei gleich fünf ist? Macht euch auf, ihr Neunmalweisen, Schleicht euch nächtlich durch die Gassen, Pilgert tags durch die Fabriken Und den Denkern schaut ins Hirn! Thut's und wagt es dann zu läugnen, Dass der Mensch sich, den die Vorzeit Wie ein Thier ins Joch geknutet, Endlich sehnt, ein Mensch zu werden! Ausgetreten hat der Träumer Endlich seine Kinderschuhe, Und vor seinen trunknen Blicken Wiegt sich lachend wie ein Eiland, Das das Weltmeer grün umschaukelt, Seine märchenhafte Zukunft. Durch die Wälder Kaliforniens Schnüffelt wie ein Riesenwurm Feuerschnaubend sich sein Dampfthier, Und ums Cap der guten Hoffnung Segeln seine Panzerschiffe. Seine Telegraphendrähte Ueberbrücken wie ein Wasser Delhi's grüne Palmenwipfel, Und durchs ewige Eis des Nordpols Blitzen weisslich die Gebeine Seiner neusten Märtyrer. Tausend goldne Sacramente, Die Kleinodien seiner Kindheit, Sind zersprungen wie ein Glas, Und die alte, taube Nusswand Einer abgelebten Kunstform Sollte frech sie überdauern? Deklamirt nur, ihr Poeten, Eure lyrischen Tiraden, Eure wortverbohrte Nichtswelt, Mit euch selber geht sie unter! Doch das thut nichts. Eine neue Taucht schon lächelnd aus den Wassern, Und die Wasser gehen schwanger Noch mit hunderttausend andern. Hätte dies mein kleines Carmen Nicht so wohlgeschliffne Krallen, Die so unbarmherzig spitz sind, Ich verbräche sans façon Folgende Apostrophe: »Du, mein Lied, um das mein Herz Lieblich klang wie eine Glocke, Schwing Dich auf, mein goldner Liebling, Schwing Dich auf wie eine Taube, Bis die Wasser sich verlaufen! Melancholisch um mein Haupt Schwingt die urweltschwangre Sintflut Ihre dunklen Rabenflügel, Und durchs Schleusenmeer des Himmels Brüllt noch immer das alte Chaos! Ach, und doch! Durch mein Gehirn Huscht es wie von goldnen Lichtern, Und die eingelullte Sehnsucht Nach den hängenden Gärten der Sonne Wachte weinend wieder auf! Hat mein Herzschlag mich betrogen? Tauchen die ersten grünen Zacken Jener heissersehnten Neuwelt, Tauchen sie lächelnd endlich auf? Eine Welt für einen Oelzweig! Drum, mein Lied, um das mein Herz Lieblich klang wie eine Glocke, Schwing Dich auf, mein goldner Liebling, Schwing Dich auf wie eine Taube, Bis die Wasser sich verlaufen!« Doch dergleichen wohlfrisirte Taschenspielerstückchen sind mir Gottseidank zu abgedroschen, Und mein urwaldstruppig Lied Ist nichts wenger als ein Täubchen! Nein! Die föhnumbrüllten Trümmer Eurer längst verkrachten Welt Liess es sonnenfeuertrunken Meertief unter sich versinken Und verlor sich in den Himmel. Flügelstolz, ein kleiner Kondor, Schwebt's nun über seiner lieben, Jungen Sonnenaufgangswelt, Und zum Aerger aller griechisch Radebrechenden Philister Schmettert's dort wie eine Lerche Uebermütig seinen Triller: »Zola, Jbsen, Leo Tolstoi, Eine Welt liegt in den Worten, Eine, die noch nicht verfault, Eine, die noch kerngesund ist!« So! Bis hierher und nicht weiter! Lachend rief ich's, und die Feder Stiess ich tief ins Tintenfass. Fern am Biertisch harrte schon Das Trifolium meiner Freunde, Und im Duftkreis einer braunen Sobetitelten Havannah Lässt sich's ja, wie jeder selbst weiss, Ganz vortrefflich Hütten baun! Selbstverständlich gab mein Opus, Das ich lachend ihnen vortrug, Stoff zu einer Diskussion. Längst verrostete Gewaffen Aus dem Rüstzeug der Aesthetik Wurden wieder blank geputzt, Und die köstlichsten Sophismen Bissen wie die jungen Hechte Sich vergnügt in ihren Schwanz. Doch was half's! Am Ende gaben Sie sich kleinlaut mir gefangen, Und die schnurgerade Klassik Fiel nicht minder glänzend durch Als die winklige Romantik. Nur zu meiner neuen Welt, Zu dem neuen Evangelium, Das aus Frankreich her und Russland Unsrer Kunst gepredigt wird, Konnten sie sich nicht bekehren, Und das Kleeblatt opponirte Gegen die Verherrlichung Zola's, Jbsen's, Leo Tolstoi's. »Wenn Du ihre Welt so lieb hast,« Replicirten die drei Käuze, »Nun, so tritt sie doch mit Füssen! »Aus der Vogelperspektive Sieht ein Düngerhaufen schliesslich Aehnlich wie ein Weizenfeld aus. Willst Du ihre goldnen Früchte, Die wie Pomeranzen lachen, Dir nicht einmal näher ansehn? Ach, am Ende sind sie giftig, Giftig wie die ganze Welt, Die sie farbig überschaukeln? Geh, Du bist ein Jünger Plato's, So ein Wolkenkukuksheimer, Und scharwenzelst um sie her, Wie ein blöder Schmetterling, Der um eine Rose tändelt! Ergel, wenn Du wirklich auf Dein Neues Evangelium« schwörst, »Nun dann brocke Deine Verse Nicht in seine Prosasuppe. Schlängle klug mit dem Notizbuch, Wie ein jüdischer Reporter, Dich durchs Gassenmeer der Grossstadt Und edire Jahr für Jahr, Ein gedruckter Photograph, Realistische Romane. Reime, Rhythmen und was sonst noch Dich an Versen so entzückt, Jene knappe Condensiertheit, Die in Einem goldnen Lichtblitz Tausend bunte Farben aufsaugt, Musst Du dann als neuer Heiland Selbstverständlich brüsk verläugnen. Englands Hamlet, Deutschlands Faust Und Altgriechenlands Prometheus – Lächerlich, dass diese Leute Verse, nichts als Verse schwabbeln! Destillire Dir doch einmal Die famose Quintessenz Henrik Ibsenscher Kritik, Der im Namen Deiner Gottheit, Als ihr wohlbestallter Priester, Schillers Jambendramen köpfte: Blödsinn, nichts als höhrer Blödsinn! Deine formverliebte Seele Hat sich eben schon aus tausend Goldgeformten Henkelkrügen Gar zu heidnisch schön besoffen! Hungre sie asketisch aus! Verse thun's heut freilich nicht: Prosa, Freundchen, platte Prosa!« Ach, wie wohlfeil war euch Braven Dieser gutgemeinte Spott! Harmlos wie die jungen Bären Lebt ihr euer Leben hin; Auf die Quadratur des Cirkels Habt ihr als verständge Leute Philosophisch schon verzichtet, Und ein schief getretner Stiefel Bringt euch eher aus dem Häuschen, Als das närrische Problem: Dreht die Achse dieser Welt Sich nach rechtshin oder linkshin? Anders, wenn ein Homo sapiens Nicht, wie ihr, nur Steuern zahlt, Sondern, wie z.B. ich, Nebenbei auch noch Poet ist. Werden doch in seiner Brust Feindlich stets zwei Seelen wohnen, Und vielleicht just, wenn die eine Strümpfe stopft und Hosen flickt, Reimt die andere ihr erstes, Tiefgefühltes Liebeslied. Zwar mein Kopf hat sich schon längst Radikal emanzipirt; Doch in meinem Herzen blühn noch Alle Blumen der Romantik! Kriechen soll ich, Freunde, kriechen, Kriechen wie ein fader Wurm? Schaut nur, wie die alten Wälder Ihre grünen Häupter schütteln, Und wie über sie die Sterne Kreuzweis ihre Lichter werfen: Ach, sie intoniren alle Ein homerisches Gelächter! Wem die Sonne dieser Gottwelt Niemals bis ins Herz geschienen, Mag sich in den Staub verlieben, Doch wer Flügel hat, der fliege! Weiss nicht, ob ich nicht noch einmal Später, wenn ich alt und grau bin, Mich ins Prosajoch bequeme. Ach, die Zeit ist gar zu flüchtig, Und wenn erst das Podagra Uns moquant an Arm und Bein zwickt, Macht die Jugend schmählich Pleite, Und die goldnen Ideale Drehen schnippisch uns den Rücken. Doch einstweilen dedicir ich Dieses lachende Präludium Euch, ihr wohlverbohrten Ritter Vom romantisch blauen Strumpfband Und vom klassischen Kothurn! Γνωϑι σαυτον Da steh ich nun, ich armer Thor, Und bin so klug, als wie zuvor! Faust Mitternacht war's. Auf den glitschrigen Asphalt Plätscherte der Novemberregen Und, windgepeitscht, flackerte rothgelb Durch den Nebeldunst das Licht der Laternen. Nur hie und da noch humpelte schwerfällig Durch die dunklen Gassen der träumenden Weltstadt Ein schläfriger Droschkengaul Und vor der Hausthür, hart unter meinem Fenster, Stand, wie immer um diese Stunde, So auch heute, mein Stubennachbar, Der neugebackene Referendar, Und deklamirte höchst gefühlvoll, Mit seinem Stöckchen die Luft durchfuchtelnd Und das Schlüsselloch immer vergeblich suchend, Den Monolog der Schillerschen Jungfrau. Von drüben über die Strasse her Blitzten die Spiegelscheiben des Wiener Cafés, Und hinter den zierlichen Marmortischchen, Auf die rothen Sammetpolster Coquettirend hingegossen, Bot sich den alten und jungen Roués Schamlos feil die geschminkte Sünde, Theelöffelklappernd! Ach, und draussen fuhr pflichtgetreu Ein bärtiger Schutzmann ein kleines Mädchen an, Das seine Händchen, vor Kälte zitternd, In sein zerrissenes Schürzchen gerollt hielt Und bitterlich weinend Zündhölzchen ausbot!! Mitternacht war's. In Büchern vergraben Sass ich am Schreibtisch und schrieb. Zu meiner Linken, dem Herzen am nächsten, Gähnte lauernd der lahme Papierkorb Und rechts, neben Byron und Victor Hugo, Dampfte die Wasserpfeife. Vom Ofen her, warm und gemüthlich, Zog durch das Zimmer ein brauner Kaffeeduft Und an den weissen Kalk der Decke Malte die Lampe ihr zitterndes Goldlicht. Alles still – mäuschenstill! Nur die Schwarzwälder Wanduhr nickte ihr Tiktak Und eilig kratzte meine Feder Ueber das gelbliche Manuscript. Rhythmisch reihte sich Vers an Vers an Und schneller rollte mein Blut Von Strophe zu Strophe, Ungestüm wie ein Katarakt, Der sich durch die Gewitternacht Wild übers Wehr stürzt; Denn um mich webte, Gestaltlos und dunkel, Ein faustisches Etwas Und blies mir ins Ohr Wort auf Wort. Und neue Gedanken, nie gedachte, Wuchsen gigantisch aus meinem Gehirn auf In nie erforschte Zeiten und Zonen Tauchten sie wahrheitssuchend hinab, Wie die farbigen Taucher ins indische Meer Perlenfischend. Mit Erden und Sonnen spielten sie Fangball Und Völkern und Königen raubten sie Hohnlachend die goldenen Kronen, Die die kalte Berechnung Einer herzverkrüppelten Selbstsucht Der armen, blutiggegeisselten Menschheit, Der göttlichen Dulderin, schlangenklug Als Fetische neben den Brotkorb gehangen, Jahrhundertelang! Und die also Entthronten, Aus ihrer wahnwitzigen Selbstherrlichkeit Jählings aufgeschreckt, bäumten sich auf Und aus den Kehlen Der Wehgefolterten, Qualverzerrten, Rang sich, schauerlich gurgelnd, Der wilde Angstruf: »Das jüngste Gericht« Millionenfach! Auf der rauchenden Brandstatt Verkohlter, sündiger Paläste Schlang sich fluchend Um seinen pestgeschwollenen Leichnam Der letzte Bettler den letzten Purpur, Blutgefärbt; Und von dem braunen, Gluthgeborstenen Stein von Golgatha Warf sich vernichtungstoll Kopfüber hinab Ins bodenlose, gähnende Nichts Das wurmzerfressene, hölzerne Kreuz, Dornenumwunden. Und niemand mehr kannte den Rabbi von Nazareth! Der Mond verdunkelt sich, Durch den schwarzen Abgrund des Raums, Hin und her wie ein Windlicht, Flackerte entseelt der Polarstern Und durch den wehenden Schweif der Kometen Blitzten farbig die Meteore. Sündfluth und Weltbrand brachen zugleich herein Und Nacht und Licht, Ormudz und Ahriman, Kämpften noch einmal Mit alter Kraft den alten Kampf Um die endliche, ewige Herrschaft. Aber die Menschheit, die ringende Menschheit, Athmete auf – zum ersten Mal! Denn auch sie, ja auch sie, rüstete endlich Den letzten, grossen, den heiligen Krieg, Den sie schon Jahrtausende lang So heiss ersehnt hatte! Oben, hoch oben, Auf den lichten, sagenumwobenen, Heiligen Bergen, Das Haupt gen Westen, Knieten ihre Führer, Die Weisen des Abendlandes, Und rangen qualvoll In heissen, brünstigen Gebeten, Wie weiland Israel in der Wüste, Oben, hoch oben! Und unten, tief unten, Durch die dunklen, wipfelverschatteten, Grünen Thäler Wälzte sich stromgleich die heilige Phalanx Der gottentflammten, ölgesalbten, Todgeweihten Streiter, Stumm und erwartungsbleich, Eine neue Völkerwandrung. Ihr blutrothes Banner, Umblitzt von tausend nackten Schwertern, Spiegelte die aufgehende Sonne wieder, Noch einmal küsste sich Mutter und Kind, Vater und Sohn Und feierlich fluthete durch alle Himmel Ihr heiliger Hymnus: Excelsior! Herzerschütternd, seelenergreifend, Unten, tief unten! Aber droben im siebenten Himmel Thronte noch immer auf seinem goldnen, Bluttriefenden Stuhl Der gealterte Judengott, kalt wie ein Steinbild, Und all der Jammer, der unsägliche Jammer, Der aus dem armen, wehgemarterten Herzen der Menschheit, äonenlang Blut gesaugt wie ein Vampyr: O, der war spurlos an ihm vorübergegangen, Denn der alte Mann war kindisch geworden Und liess sich selbstgefällig Von seinen sogenannten Engeln – Kleinen, abgeschnittenen Kinderköpfchen Mit Flügeln hinter den Ohren! – Lügengeschwollene Phrasen drehn, Bis er, hohl wie ein kleiner, menschlicher Geck, Heimlich mit dem Spiegel coquettirte Und sich schliesslich einbildete: Er wäre wirklich allgütig! Ach, und er ahnte nicht, Wie sein kahlglatziger Generalstab, Die allmählig Aus Erdenpriestern zu Himmelspfaffen Avancirten Nachfolger Petri, Feiste Silengesichter, Hinter seinem Rücken Schadenfroh sich ins Fäustchen lachten Und wie ungezogene Schulbuben Ihm Nasen drehten und Männchen machten! Und so war denn nun der einst so allmächtige Schöpfer des Himmels und der Erde Ein närrischer Popanz geworden, Eine lächerliche, nichtswürdige Karrikatur Auf den altmexikanischen Vitzliputzli! O, es war fürchterlich! Unten auf Erden, Aufgewühlt bis in die innersten Tiefen ihrer Seele, Die ringende Menschheit, eine tragische Heldin, Die endlich nach jahrmyriadenlangem, Wildem Ringen Von ihrem eigenen, dunklen Sein Den geheimnissvollen Isisschleier heben sollte, Und hier oben im Himmel Ein fühlloser Selbstling, dem der Weihrauch Eines kleinen Häufleins Alter, verrückter Betschwestern Das Hirn umnebelt hatte! Aber die Liebe, die ewige Liebe, Die Allerbarmerin, Sah es und weinte laut auf Und an ihr grosses, feuriges Sonnenherz Presste sie wild ihre schöne, süsse Tochter, Das Mitleid, Und beide traten, hochaufathmend, Vor den Thron des Alten, Der so alt war, dass er sich selbst nicht mehr kannte, Und die Mutter sprach: »Soll Dich denn nichts Aus Deinem wüsten, hässlichen Halbschlaf Aufrütteln, Du alter Mann? Hat Dich die einstige siebentägige Schöpfungsarbeit Denn wirklich schon erschlafft? Und willst Du nun ewig Auf Deinem Faulbett thatlos herumlungern? Geh in Dich, Alter, geh in Dich und lass Dir Das brünstige, äonenaltrige, Nie erschlaffte Ringen der Menschheit, Deines verstossenen Stiefkindes, Nacht, Licht und Wahrheit Das Roth der Scham ins Gesicht treiben! O, schau hinab! Dort unten auf deiner altgewordenen Erde Ringt nun die Herrliche Im letzten Kampfe, im Todeskampfe; Und glaube mir, Vater, sie verröchelt Und Millionen Weltmeere Voll bitterer, blutiger Thränen Sind umsonst geweint, Wenn Du ihr nicht hilfst! Doch Du wirst ihr helfen! Denn einmal schon Warst Du taub für mein Flehn Und liessest es zu, Dass ein thörichtes Volk von Pharisäern Den bleichen Zimmermann aus Nazareth, Deinen eigenen Sohn! ans Kreuz nagelte Ich aber sass, Dich heimlich verfluchend, Nachts auf dem Oelberg, In meinen Thränen spiegelten sich, Wehmütig zitternd, Die tausend Sterne der syrischen Mondnacht Und die frommen Dichter des Evangeliums Nannten mich später: Maria Magdalena! Nein, Vater, nein! Du darfst es nicht wagen, Du wirst es nicht wagen, Mir wieder zu trotzen Und so nicht nur meinen Fluch, Nein, auch den der Menschheit, Einer ganzen Welt, Dir aufs Haupt zu lasten, Kalt und gefühllos! Und so wirf ihn denn von Dir Den bunten, lächerlichen Flitterkram, Mit dem Jahrmarktsnarren und Brotkorbschurken Dich schlau behängt: Sei wieder Du Und schleudre noch einmal Aus der herrlichen Fülle Deiner Allmacht Durch Deine sieben mal siebenzig Himmel Dein erstes, grosses, Heiliges Schöpfungswort!« So sprach die Liebe, die ewige Liebe, Die Allerbarmerin, Und warf sich nieder in den Staub des Himmels Vor die Füsse ihres grossen Vaters Und das Mitleid, ihre schöne, süsse Tochter, Faltete flehend ihre zarten, weissen Hände Und stammelte schluchzend: Erbarmen, Erbarmen! Da fuhr's wie ein Blitz durch das blutlose Steinbild Und die frömmelnd gefaltete Riesenfaust, Die einst in nebelgrauer Vorzeit Die Hand des Prometheus gelenkt Und aus Thon Menschen geformt, Ballte sich wieder und schlug An die immer noch weltenschwangere Stirn Und der alte, zornige Jude Wurde weich wie ein Kind! Denn er fühlte, wie sein Herz, Tief in pochender Brust, Wieder wonnig zu schlagen anhub Und eine wilde, verzehrende Sehnsucht Fiel ihn an, Eine Sehnsucht nach jener alten, schönen Zeit, Als er selber noch jung war Und die Welt, die träumende Welt, In das bläuliche Dämmerlicht der Urzeit Süss hineinduftete, Zitternd und thaufrisch, Wie eine jungerblühte, rothe Maienrose! Und zornentbrannt Riss er die weihrauchduftende Schellenkappe, Die der hirnvernagelte Aberwitz Der letzten dunklen Jahrhunderte Ihm frech übers Ohr gestülpt, Aus seinen silberfluthenden Locken Und warf sie nieder und trat sie mit Füssen! Die blauen Kinderaugen Der ängstlich den Raum durchflatternden Engel Verglasten und brachen; Die himmlische Parasitengarde Der Heiligen und Kirchenväter Flüchtete watschelnd, Laut aufheulend und sich bekreuzigend, Von Wolke zu Wolke; Ein Fusstritt schleuderte Petrus, Den feist gewordenen Himmelspförtner, Auf die Erde hinab, ins todte Meer Und millionenzüngig, wonnetriefend, Von Stern zu Stern, von Welt zu Welt, Rollte wieder das alte, uralte, Heilige Evangelium: Gott ist Gott! Er aber legte lächelnd der Liebe, Der ewigen Liebe, Segnend die Hand aufs Haupt Und aus dem wehenden, Schwarz verkohlten Lügenschutt Längst gewogener, wüster Jahrhunderte, Umflattert von den letzten, phantastischen Fetzen Seines eingestürzten, christlichen Thronhimmels, Zuckte sein Wort, roth wie ein Blitz: Es werde Licht! Weinend tauschte tiefunten auf Erden Beim ersten Aufblitz des ewigen Frühlichts Die versöhnte Menschheit Herz an Herz Den ersten heiligen Bruderkuss Und lächelnd entrang sich dem dunklen Chaos, Von ihrer eigenen, wonnigen Schönheit Süss erschreckt, eine neue Welt, Die Welt der Verheissung! . .... O wie das Herz mir schlug! In zorndurchloderten, wilden Rhythmen, Kraftvoll gegliedert, Standen sie da meine feurigen Strophen, Glorreich und todverachtend, Wie weiland das Häuflein der dreihundert Sparter In den Schluchten der Thermopylen. Und ich las es noch einmal, Was ich niedergeschrieben mit meinem Herzblut! Und wieder dann dacht ich, lautauf grollend, Wie noch immer Auf dieser ruhlos wandernden Erde Das Elend, unser ältestes Hausthier, Augenrollend und zähnefletschend, Um Paläste und Hütten schleicht, Tag und Nacht! Und wie die Menschheit, dies arme Findelkind, Das die Mutter nicht kennt und den Vater verflucht, Trotz Zerduscht und Buddha, Christus und Muhamed, Noch so weit vom Ziel, Noch so weit, o so weit! Müssen nicht immer noch tausend Fäuste, Harte, schwielenbedeckte Fäuste, Sich vom Munde das Brot abdarben, Das schwarze Brot, Um einem einzigen dummfaulen Tagedieb Den gefrässigen Schmeerbauch zu mästen, »Standesgemäss« Mit Krebshirn und Nachtigallzungen? Zwingt nicht das Gold, Dieser herzloseste aller Teufel, Die Schönheit, die arme, rührende Schönheit, Noch immer in das dumpfe, Seuchenverpestete Lustbett der Sünde? Leckt nicht das Volk, Die gezähmte, schweifwedelnde Bestie, Noch immer die bluttriefende Hand Ihres gekrönten Peinigers? Und muss sich die Wahrheit, die bleiche Dulderin, Nicht immer noch Aus dem hölzernen Betstuhl der Kirche Querhin über den pfennigfeilschenden Markt Durch Seitengässchen und Hinterpförtchen Nachts in das lampenerhellte Stübchen Der Dichter und Denker flüchten, Flüchten vor dem lauernden Schlangenblick Der kahlgeschorenen, glattrasirten Priester der Liebe? Und doch! Und doch! Durchblättre das grosse, heilige Buch der Geschichte, Und du speist dir selbst in dein Lügengesicht, Wenn du, Schwächling, die Lästrung wagst: Alles ist eitel! Die Welt dreht sich rückwärts! Zwar die Bronceschwerter der Urzeit Sind nur die Ahnen ihrer Enkel gewesen, Der schlanken, stählernen Klingen der Neuzeit, Denn Ares, der Kriegsgott, Schüttelt sein schlangenlockiges Haupt Heut noch so wild wie zur Zeit des Homer. Doch wo sperrt noch heut Der assyrische Moloch der heidnischen Vorzeit Seinen feuerspeienden Rachen Hungrig nach Menschenfleisch auf? Wer schnürt wohl heut noch ein triefäugiges Weib, Blos weil es triefäugig ist, An den mittelalterlichen Brandpfahl? Und hat nicht erst gestern, Drüben über dem grossen Weltmeer, Der schwarze Mann die Kette zerbrochen, Die ihm jahrtausendelang um den Knöchel geklirrt? Und haben ihm seine weissen Brüder Nicht treulich geholfen? Ist es von jenem ausgehöhlten Baumstamm, Der einst vor grauen Jahren Längs der felsigen Küste Phöniciens Ueber das Mittelmeer schwamm, Bis zum Great Eastern, Dem eisengeschuppten Riesendelphin, Denn nicht mehr als ein Schritt? Sind die sonnigen, griechischen Märchen Des Blinden von Chios etwa göttlicher, Als das dunkle, deutsche Mysterium Vom Doctor Faust? Und haben die Weisen der neuen Zeit, Keppler und Humboldt, Newton und Darwin, Der Welt denn nicht tiefer ins Herz geschaut, Als der griechische Aristoteles, Oder sein Schüler, der römische Plinius? So sass ich und sann ich. Wild schlug mein Puls, Meine Wangen glühten Und heiss wie im Fieber Pochten und hämmerten meine Schläfen. Mein Hirn war der Aetna Und seine Gedanken die Cyclopen! An den weissen Kalk der Decke Malte noch immer die grüne Lampe Kreisrund ihr zitterndes Goldlicht, Und die alte Schwarzwälder Wanduhr Tickte ihr Tiktak, wie vordem. Draussen in der dunklen, stillen Strasse Warf der Regen Seine letzten, schweren Tropfen Plätschernd aufs Trottoir, Um die ausgedrehten Laternen Hatte der Nebel sich dichter gelagert Und durch den feinen, weissen Schleier Glotzte das stiller gewordne Café Mit seinen grossen Fensteraugen Phantastisch herüber, Ein Rembrandtsches Helldunkel. Ich aber achtet' es nicht Und sprang auf vom Schreibtisch Und durchmass, verschränkten Arms, Mit grossen, schweren Schritten, Hastig das Zimmer. Der blonde Kopf der sixtinischen Göttin Schaute aus seinem wurmstichigen Rahmen Verwundert auf mich herab Und lächelnd schüttelte Auf seinem gelblichen Postament Das Miniaturbild der Venus von Milo Sein schönes, gipsverkittetes Haupt. Ich aber stellte mich fest Vor das wackelnde Bücherbrett hin Und lehnte den Kopf an das weisse Thürgerüst Und fühlte, wie mir das Herz bis hoch an den Hals schlug, Und sprach: »Nicht bleich und neidvoll Schau ich Nachgeborner empor Zu euch, ihr unsterblichen Kinder des Lichts, Die ihr den Staub der Erbärmlichkeit Verächtlich von den Füssen geschüttelt Und auf Alpengipfel entrückt, Von Wettern umblitzt Und umrauscht von den Flügen der jungen Adler, Aus euern grossen, goldenen Herzen Jene erhabenen Werke geschöpft, Die Millionen und Abermillionen Lachen und Weinen, Lieben und Hoffen gelehrt; Jene Werke, die nun – nach Jahrhunderten! – In Bücher gedruckt und in Leder gebunden Von jenen weissen, tannenen Brettern Eure grossen, goldgedruckten, Dreimal heiligen Namen Mir mystisch ins Herz blitzen! Ob ihr im Dämmergrau der Geschichte, Getaucht in die weichen, Bläulichen Schatten des Himalaya, An den Ufern des heiligen Ganges, Vedenentziffernd, Unter den Palmen Indiens gewandelt; Ob ihr, die Herzen von Hymnen geschwellt, Auf die Nachtigallen von Hellas gelauscht Und sinnend Veilchen gepflückt am Illyssos; Ob ihr, umweht von dem Odem des Weltgeists, Brütend durch euer Hirn gewälzt: Himmel und Hölle, Sein oder Nichtsein, Mahom und Faust – Am italischen Arno, Am englischen Avon, An der deutschen Ilm; Stolz sprech ich's aus: Ich beneid euch nicht! Rauscht nicht noch immer das blaue Weltmeer, Länderumrollend und inselgebärend, Seinen alten, heiligen Psalm? Träumt nicht noch immer der grüne Urwald, Föhndurchharft und sternübersät, Von den Wundern des ersten Schöpfungstages? Und schlägt denn das grosse Herz der Menschheit Heute nicht feuriger denn je? Ist der gewaltige Tempelbau, Zu dem einst der Schüler des Wiswamitra Und der Sohn der Jungfrau Maria Den Grund gelegt, Denn schon vollendet? Muss sich die Armuth, die ehrliche Armuth, Nicht immer noch bücken, Wenn ihr der Hochmuth, der reiche Hochmuth, Mit der Peitsche über den Rücken knallt? Lechzen nicht um mich noch tausend und abertausend Dürstende Seelen hungernder Völker Nach Licht und Freiheit? Und braucht denn die Wahrheit, die ewige Wahrheit, Nicht immer noch Zeugen, Zeugen, die gesteinigt bluten Und brechenden Herzens noch triumphiren können? Und so heb ich denn hier, Vor euch, ihr unsterblichen, Heiligen Märtyrer, Hoch meine Hand empor Und gelobe feierlich: Die Armen zu trösten, Die Schwachen zu stärken, Die Gefangenen zu lösen, Die Geschlagenen zu rächen, Die Wahrheit zu lieben, Die Lüge zu hassen Und meiner Kunst Ein Priester zu sein Mein Leben lang – Und alles das: Aus ganzem Herzen, Aus ganzer Seele Und aus ganzem Gemüthe! Und ob sich mein Pfad auch durch Wüsten windet Und unter dornenumkrochnem Gestein Giftige Schlangen nach meiner Ferse züngeln, Indess die Versuchung, die alte, graue Sünderin, Mir dreifach ins Ohr raunt: »Thor, der du bist! Denk nicht an Andre! Denk an dich selber und schlage dich seitwärts! Besser als Nachts auf freiem Feld, Steingebettet und windbedeckt, Ruht es sich unter dem schirmenden Dach Der ragenden Burg, der hallenden Kirche Und des schimmernden Palasts,« Mein Weg sei gradaus! Kein Gold soll mich blenden, Kein Kreuz mich verdummen, Kein Schwert mich erschrecken! Ja! Ein will ich stehn Für Licht und Wahrheit, Recht und Freiheit, Opferfreudig und unentwegt, Mit Herz und mit Hand, in Wort und in That! Und will nur einmal eine Fiber meines Herzens Untreu werden, untreu sich selbst, Dann sei die Lippe verflucht, die mich küsst, Das Herz, das mich lieb hat, breche in Stücke, Und die Hand, die schurkisch den Schwur gebrochen, Recke dereinst sich um Mitternacht Aus meinem Grab ins Mondlicht empor Und melde so stumm dem verstörten Wandrer: »Hier ruht der Verfluchte! Bebend rollten die dumpfen Worte von meinen Lippen, Auf meinen Lidern lag es wie Blei Und ich schleppte mich Schwindelnden Kopfs an den Schreibtisch Und warf mich dort Erschöpft auf den Stuhl. Da – plötzlich – legte sich riesenschwer Auf meine müde, zitternde Schulter Eine grosse, knochige Faust Und vor mir stand, Bleich und düster, Eine markige, hochgegliederte Mannsgestalt Und sah mich mit grossen, schwarzen Augen, Die abgrundtief unter der hohen, weissen Stirn Wie feurige Kohlen glühten, Durchbohrend an. Von den faltigen, malerischen Gewändern Längst verschollner Jahrhunderte Phantastisch behangen, Schien er mir eins jener dunklen, Räthselhaften Wesen, Die, wie das Volk sich heimlich ins Ohr raunt, Schon im Urbeginn der Zeiten Mit ihrem Schöpfer vermessen gehadert; Die beim flackernden Blutlicht menschlicher Brandfackeln Die Grabkammern der ägyptischen Pyramiden Zaubrisch mit Hieroglyphen bedeckt, Und die fluchgepeitscht, Ueberdauernd die gewaltigen Geschicke Aller Völker und aller Zeiten, Noch leben und athmen werden, Wenn der letzte Mensch, Müde des Seins und des goldenen Lichts, Schon jahrhundertelang ins Grab gestiegen Und die dunkle, todtenstarre Erde Ihre wüste, ausgebrannte Schlacke Eiskalt durchs Nichts wälzt. Und schaudernd sah ich, Wie das wachsbleiche Antlitz des mystischen Fremdlings, Wechselnden Mienenspiels, Mich grauenvoll anstarrte, Bald wie Christus, bald wie Mephisto Und bald – o Gott! – wie mein eignes Spiegelbild! Da gerann mir das Blut in den Adern zu Eis Und an die wilder pochende Stirn Tastete meine Hand wie im Fieber Und zitternd frug ich: »Was willst du?? Wer bist du??« »Was willst du? Wer bist du? Windiges Püpplein!« lachte der Schreckliche, »Ist da das Küchlein kaum aus dem Ei geschlüpft Und klatscht schon verwegen Mit seinen ärmlichen, Schalenumschlotterten Federchen, Flügelstolz, wie der alte, Braungesprenkelte Weih, Der über ihm hoch in blauer Luft Beutelüsterne Kreise zieht! Wer bist du!! Was willst du!! Thor, der so fragt! Beherbergt dein winziges Menschengehirnchen Etwa noch mehr solcher ungezogenen, Täppischen Schulbubenwitze? Schleudre erst von dir, weit, weit von dir, Dein florumflattertes, schellenumklingeltes, Kleinliches Selbst; Entziffre Nachts unterm Sternenhimmel Das grosse Räthselbuch der Natur; Begreife mit deinem Zwergverstand, Wie die Blume blüht und die Sonne scheint; Frage dich selber, woher und wohin; Und hat sich dein Fürwitz, Dein kleiner, menschlicher Fürwitz, Dann noch nicht erschöpft: Dann fasse dir – wenn du es kannst – Noch einmal ein Herz, Dann tritt noch einmal hier vor mich hin Und frage noch einmal: Was willst du? Wer bist du? Und ich werde dir – wenn du es willst – Das Urbild der Wahrheit zeigen, Schleierlos, wie ein nacktes Weib, Und auch du wirst dann sein wie der alte Gott, Der einst in sein herrliches Paradies – Dem Teufel zu Liebe! – Eigenhändig einen Apfelbaum pflanzte, Und wissen, was böse, doch nicht, was gut ist!! Doch à propos ich werde pathetisch! Und graue Haare und Gelbschnabelphrasen Sind immer komisch! Verflucht! Ich glaube, dein Monolog, Den du dir erst – Dort am Thürgerüst! – »Nicht bleich und neidvoll« Vordeklamirtest, Ist Schuld an dem Unsinn, den ich geschwatzt! Doch setzen wir uns! Nicht wahr, du erlaubst doch?« Sprach's und liess sich, ironisch lächelnd, Mir gegenüber in den alten, Grossgeblümten Lehnstuhl fallen, Der sich, der hohen Ehre bewusst, Bedenklich nach vorn bog und Knickknack! sagte, Legte phlegmatisch ein Bein übers andre, Nieste, rief: Prosit! Zupfte sich etwas am Kragen zurecht Und fuhr dann in seiner Rede fort: »Mensch und Poet, Sieh mal nach, was die Uhr ist! Was, eine goldne? Meine war silbern nur Und blieb mir leider schon treulos stehn, Als Cäsar über den Rubikon ging. Dreiviertel zwei? Dann hab ich noch Zeit! Der nächste Schnellzug nach Buxtehude Geht ja bekanntlich erst 7 Uhr 50! Doch wenn ich nicht irre, riecht's hier nach Kaffee! Wie wär's denn, mein Freund, Wenn du mir, deinem Gast, Einen Löffel voll anbötest? Seit Muhameds Hedschra War ich in Mokka nur zwei- oder dreimal Und – ländlich, schändlich! – Seit Sir Francis Drake trink ich nur Schnaps! Ausnahmen mach ich nur manchmal in China, Wo ich mich zopfgerecht Mandarin titulire Und Thee wie Wasser saufe, Und – last not least, wie wir Engländer sagen – Mein Freundchen, bei dir! Und warum denn auch nicht? Variatio delectat! Für Zucker dank ich! Milch nur ein wenig! So, das genügt! – Variatio delectat! O du mein Cicero, Göttlichster unter den Göttlichen! Deine Nase war krumm, Aber das Gold, das Gold deiner Rede Blitzte und floss – Um ein verbrauchtes Bild Gelegentlich wieder aufzuputzen – Von deinen Lippen wie Honigseim! Wie? Du lächelst? Wurm, der du bist! Du kennst ihn ja nur Aus der Unter-Sekunda her, Als du noch weisheitochsend die Bänke drücktest Und schon nach dem ersten, Weltberühmten: »Quousque tandem« Trotz Eselsbrücken und Präparation Schmählich stecken bliebst! Ich aber habe mit ihm, Einst als mein Bart, mein langer Judenbart, Noch nicht ganz so grau war wie heute, In den hängenden Gärten Seines Tusculums Bei einem Henkelkruge Goldnen Falerners Brüderschaft getrunken! Durch die zitternden Pinien brach silbern das Mondlicht, Fern von den Bergen her, triefend von Wohllaut, Tönte das Lied der römischen Hirten Und aus dem bläulichen Dunkel der Grotten Leuchteten weiss und verführerisch Die nackten Glieder gemietheter Nymphen. Wir aber sprachen, falernerseelig, Ueber die platosche Philosophie Und schimpften weidlich auf Catilina, Den Carbonari! Und zwar in den schönsten, classischen Formen Und gebrauchten nie ut mit dem Indicativ Und verstummten erst lange nach Mitternacht, Wohlig eingewiegt von weissen, Schwellenden Frauenarmen! Ja, Homo Homunculus, Das waren noch Zeiten! Zeiten, von denen sich, Frei nach Shakespeare, Eure tintentrunkene Schulweisheit Heut nichts mehr träumen lässt! Doch Scherz bei Seite! Nicht um ein Stündlein mit dir zu verplaudern, Malträtir ich hier deinen Lehnstuhl! Dein Schutzgeist, ein kleiner, niedlicher Blondkopf, Hat oft meiner Grossmutter, Der alten Hekate, An dunklen Winterabenden, Wenn wir gemüthlich ums Höllenfeuer hockten Und Sünder wie Bratäpfel schmorten, Lange Geschichten von dir erzählt: Wie du schon in der Wiege, Als kleiner Schreihals, Dich in den schwierigsten Rhythmen geübt Und später als fünfzehnjähriger Dandy Krampfhaft höhere Töchter besungen Und pralineenaschend hyperplatonisch Für Zuckerwasser und Mondschein geschwärmt, Bis du nun endlich – mit 20 Jahren! – Eine Reimfabrik etablirt Und selbstzufrieden mit goldnen Lettern Ueber die Thür gemalt: Weltverbesserungsoffizin! Natürlich brüllte die ganze Gesellschaft Dann dreimal: Hurrah! Der »Chor der Verdammten« erging sich johlend In den polizeiwidrigsten Verbalinjurien Und Beelzebub gar Biss sich vor Lachen in seinen Schwanz! Ich aber dachte an Karl Moor Und sprach mit Schiller, deinem Collegen: Dem Mann kann geholfen werden! Denn seit man auf Erden hier Neben die Kirchen, Kasernen und Zellengefängnisse Auch Irrenhäuser, Sparkassen und Volksküchen baut, Folg ich der Mode und mache in Mitleid Und so sitz ich denn nun Hier in deinem Museo Und predige also: Mensch! Kind dieses »aufgeklärten« Jahrhunderts! Bist du denn wirklich naiv genug Und glaubst, wie ein Kindlein, Die Ritzen des Weltbaus Mit Versleim verstopfen zu können? Gibst du dich wirklich dem Köhlerwahn hin, Und bildest dir ein, Dein schädelgeborener Mikrokosmos Würde den fadenscheinigen Groschenseelen Deiner lieben, unsterblichen Mitwürmer Auch nur einen Pfifferling werth sein? Ich aber sage dir: Und wenn Camoens, der Portugiese, Noch einmal lebte Und noch einmal seine Lusiaden sänge, Die Welt stiefs ihn noch einmal kalt ins Spital Und noch einmal müsste der »Stern von Lisboa« Auf faulem Stroh elend verrecken, Angespien wie ein toller Hund!! Glaube mir, Freund! Die Menschheit, Diese concentrirte Bestie, Die mit der Zeit Gelehriger noch als ihr äffischer Urahn, Der erste Pavian, Scepter und Kronen apportiren gelernt, Hat immer nur hündisch Ihrem Bändiger die Hand geleckt Und kothbespritzt Sich behaglich ihrer Verdauung gefreut, Indess die grossen, herrlichen Dulder – Ihre Wohlthäter! – Weltverlassen am Kreuz verblutet, Oder im Kerker elend verschmachtet! Denk an Christus, denk an Columbus! Auch ich war einst jung, Auch mir ging der Kopf oft Schwärmerisch mit dem Herzen durch; Und wenn ich dann singend und lustberauscht Durch den Frühlingsgarten der Schöpfung gewandelt, Dann hab ich beseligt geglaubt wie du An die goldene Zeit und den ewigen Frieden, An das verheissene Eldorado! Doch der Schleier zerriss, Und unter dem Lenzgrün der sündigen Erde, Neben die Schuppenthiere der Urwelt Grauenvoll hingelagert, Sah ich die höhnisch grinsenden Schädel Ganzer Geschlechter, Die vor mir gelebt und gelitten wie ich, Würmerdurchkrochen! Und über die Gräber Wälzte sich wüst Durch den lachenden Sonnenschein Ein grässlicher Pestknäul Von Noth und Sünde, Gold und Blut, Schlangenumzischt! Und die liebliche Freundin meiner Seele, »Die edle Trösterin, Treiberin Hoffnung,« Weinte sterbend Ihre letzten Thränen! Und so stand ich denn nun, Zweifelnd, verzweifelt, Auf diesem wüsten, Entsetzlichen Trümmerball, An dem einst ein Gott Sieben Tage, Sieben lange, verlorene Tage, Nutzlos herumgemurkst, Und lauschte begierig den weisen Sprüchen Der alten indischen Evangelisten. Und sie raunten mir zu: »Was lebst du noch, Thor? Tauch dich hinab, Tief hinab In das selige Urnichts! Millionen Sonnen Sind schon verblutet Und aber Millionen noch Werden verbluten Und du ? Fliehst den Tod? Dies elende Sein Ist des Seins ja nicht werth! Was lebst du noch, Thor? Tauch dich hinab, Tief hinab In das selige Urnichts!« Ich aber habe, Prometheus zum Trotz, Gerungen wie Faust und gelitten wie Hiob, Bis ich mich endlich, blutenden Herzens, In das eherne Schicksal gefügt. Doch glaube mir, Freund, Hamlet hat Unrecht: Der Rest ist nicht Schweigen, Der Rest ist Verachtung! Und so wandl' ich denn nun, Wie mein Bruder, der ewige Jude, Auf dieser »besten aller Welten« Ruhlos umher, ein lebendiger Leichnam, Und denke mit Salomo: Alles ist eitel! Nur manchmal noch, manchmal, Wenn sich die Sonne purpurn ins Meer taucht, Oder der Frühling hoch auf die Berge steigt, Oder »auf ewig« im ersten Kuss Zwei Herzen sich finden, Zwei arme, thörichte, Wankelmüthige Menschenherzen: Klingt's durch die Weihnachtsglocken der Kindheit Mir süss wie die Stimme meiner Mutter, Meiner schönen, todten Mutter, Und ich denke zurück an die alte Zeit, Als ich im Volk noch des Menschen Sohn hiess! Damals war ja mein Herz, Mein armes Herz, Noch kein todtes Uhrwerk; Lieblich grünten die Thäler von Hebron, Mir zu Füssen rauschte der Jordan Und blutroth blühte die Rose von Saron! Ich liebte, liebte und wurde geliebt Und freudig trug ich die »frohe Botschaft«, Die goldne Legende, Unter die Fischer am See Genezareth. Doch Teufel! was red ich! Nickt denn nicht grinsend von meinem Käppi Die fuchsrothe Hahnenfeder Mephistos? Und bin ich nicht oft mit Marte Schwertlein Schäkernd im Mondschein, Hart an der Stadtmauer, Arm in Arm durchs »Wurzgärtlin« gestelzt? Indess mein Blutsfreund, der junge Magister, Unterm blühenden Rosengebüsch Seinem blonden, schnippischen »Grasaffen« Zärtlich die Cour schnitt? – Mensch! Stier mich nicht an! Glaubst du, ich kram hier im Fieberwahn Tollhausentsprungene Märchen dir aus? Seh ich denn aus, wie ein Charlatan? Sieh mich doch recht an! Hat dich nicht schliesslich alles getäuscht Und bin ich nicht du? Und dennoch verkriecht sich dein furchtsames Ich Scheu in sich selbst? Graut dir vor mir? Papperlapapp! Ich heisse nicht Heinrich! Schlag ein neutraleres Thema vor Und ich rede so dumm, wie der ehrlichste Spitzbub! Ah voilà – dein Manuscript! Mal her das Geschreibsel! Was? Verse? Schon wieder mal Verse? Natürlich! Für Prosa Hält sich der gnädige Herr ja zu schade! Schlag da der Teufel drein! Gut, dass mein Schwager, der alte Weltgeist, Dich nicht zum Hausarzt hat! Hättest ihm längst schon mit deinen verfluchten Lyrischen Universaltinkturen Homöopathisch den Magen verdorben! Kenne die Verse! Habe dir oft, wenn du Nachts bei der Lampe Brütend am Federhalter gekaut, Ueber die Schulter gekuckt. Zwar, Recht muss Recht bleiben: Die allerfadesten, die ich gelesen, Sind's grade nicht – Elise Polko gibt schlechtre heraus! Zum mindesten scheinen sie Fein ciselirt und bunt wie Perlmutter! Und doch! Ben Akiba hat wieder mal Recht: Alles schon dagewesen! Du aber dünkst dich das Urgenie selbst, Wirfst lukullisch Mit neuen Reimen und alten Gedanken Wie mit Aepfelschalen umher, »Dichtest und denkst«, Schreibst dann dein Machwerk In ein kleines, schwindsüchtiges Heftlein Säuberlich ein Und nennst es pomphaft: Buch der Zeit! – Eins gegen Hundert! Ich wette, auch du, Freund, denkst nun bereits, Materiell wie alle Poeten: Süss, o süss schmeckt der erste Kuss, Aber noch süsser, weit, weit süsser Schmeckt das erste, heissersehnte Goldig klimpernde Honorar! Hoffentlich, Mensch, »Krone der Schöpfung«, Hat dir dein Gönner, Ben Machol, Noch nichts drauf gepumpt? Wäre doch schad um sein koscheres Geld! Oder hast du schon – So unter der Hand – Nach einer Villa dich umgesehn? Im Winter Berlin, im Frühjahr Florenz, Im Herbst Paris, und im Sommer Ostende! Famoses Leben das! Pyramidal!! Fasanenhaft!!! Und Lorbeeren? Ganze Viehwagen voll! Nicht wahr, mon cher, ich hab es errathen? Nicht? Na, denn nicht! Nur nicht die Miene gekränkter Unschuld! Bist doch kein Mädel, das nur geküsst sein will! Und sagt nicht ein altes Volkslied schon: Ein braver Kerl und ein braver Knuff, Die passen halt immer zusammen? Item, Wie Doctor Martin sagt, Schiessen wir endlich den Vogel ab! Mensch! Zeitgenosse von Emile Zola! Weltverbessrer par excellence! Bist du denn ganz und gar vernagelt Und siehst du nicht ein, wie das Publikum, Das Massenpublikum deiner Zeit, Hundertmal lieber Wiener Schnitzel als Verse verdaut? Wer liest denn heut welche? Junge Mädchen am Einsegnungstage, Oder, wenn's hoch kommt, verliebte Primaner Und – was das Schlimmste! – Wer macht denn heut welche? Lässt dich dein sterblicher Galgenhumor Nicht schmählich im Stich, Dann mustre doch einmal Das elende Phrasendreschergezücht Der Kathederpoeten und Sonntagsdichter! Alles nur Blaustrümpfe, männliche Blaustrümpfe! Ach, und kein einziger ehrlicher Kerl, So ein Kerl, was man Kerl nennt! Hinc illæ lacrimæ! Du aber streichst dir, tief in Gedanken, Schon martialisch den Schnurrbart in spe Und regierst die Feder, als wär sie ein Wurfspeer, Und rufst wie Hutten: Ich hab's gewagt! Lass doch, mein Freundchen; lass doch, wozu denn? Wozu denn dich opfern, opfern für nichts? Wozu denn verhungern wie Doktor Tanner? Macht heut bei Licht besehn keinen Effekt mehr! Die goldne Zeit des heilgen Antonius Ist gottlob vorüber! Wärst du noch Jungfer, ich proponirte dir: Geh in ein Kloster! So aber rath ich dir dringend und ernsthaft: Werde Professor in Königsberg Und schreibe die Memoiren Odhins! Selbstverständlich in Stabreimprosa! Pump dir das Schreibrohr Des Herrn Mirza von Schaffy Und schlage das Tamtam und predige Weisheit! Kauf dir ein Landgut und handle mit Possen! Meinethalb auch mit alten Hosen! Und wenn dir das Geld fehlt, Kauf dir den Toussaint und übersetze Englische Gouvernantenromane! Thu, was du willst! Giess dir ins Wasserglas Cognac hinein Und verkünde befrackt »populär« vom Katheder Wie der erste Mensch und der letzte Papu Sich so verteufelt ähnlich gesehn! Fasle das Blaue vom Himmel herunter! Tanz auf dem Seil! Schneide Gesichter! Werde Schuster! Werde Weinreisender! Leg dich auf Flohdressur Und fertige Patente, Fertige Zöpfe und falsche Waden! Mache Reklame, Guano und Caviar! Mach, was du Lust hast, Nur keine Verse! Dixi, Poetlein! Dixi! Dixi! Also sprach er, der grobe Poltron, Der »Schwager des Weltgeists«, Der »Enkel der Hekate«, Und frug noch einmal, ob es schon Zeit sei, Und drückte mir dann, Au revoir! wie er lächelnd meinte, Die tintenbeklexten Poetenfinger So echt deutsch und hausknetsch, Dass ich lautauf wie ein wunder, Homerischer Held Ω μοι εγω schrie und – Erwachte! ..... Natürlich!!! Vor mir, Auf dem wachsüberzogenen Schreibtisch, Lagen die Bücher und Manuscripte Wüst durcheinander, Das »Goldlicht der Lampe« wär längst erloschen Und statt des »braunen Kaffeedufts« Zog sich stickig der Brenzelgeruch Des schwarzverkohlten Dochts durch das Zimmer. Sonst aber stand, lag und hing Alles noch an seinem alten, Gewohnten Platz. Hüben die gelbsüchtge Venus von Gyps, Drüben der Raphaelische Kupferstich, Links der Papierkorb und rechts die Wasserpfeife! Nur draussen hatte sich unterdess Das Bild geändert. Weiss und kalt Stahl sich durchs Fenster das Morgenlicht, Linkshin hatte das Wiener Café Schamhaft seine Spiegelscheiben verhängt Und über den Asphalt wälzte sich dumpf Das wiedererwachte Geräusch der Strasse. War das dieselbe Welt? Die Welt von gestern? Und sollten die Bilder, Die tollen Bilder der letzten Nacht, Nur Traumbilder gewesen sein, Traumbilder einer »erhitzten Phantasie?« Doch still! es klopft und lächelnd tritt Mein Stubennachbar zu mir herein, Der neugebackene Referendar, Sagt: »Moi'n!« und lässt sich dann, Leger wie immer, In meinen alten, Wackligen Lehnstuhl fallen, Dreht sich zärtlich seinen blonden, Wohlgekräuselten Henri Quatre Und näselt dann los: Hoffentlich stör ich hier nicht? Wollte Sie nur im Vorbeigehn fragen: Haben Sie heute Vormittag Zeit? Hat da ein ehmalger Leibfuchs von mir Gestern den Doktor gemacht, Utriusque natürlich! Fidele Kneipe gewesen, saufidel! Natürlich etwas spät nach Hause geklettert... Famoser Frühschoppen heut! Erlanger Bier! Patentes Gesöff! Kommen doch mit? – Nicht?! Ei verfault! Na dann sei'n Sie mal – Donnerwetter! Wie sagt man doch schon? Grosskohtz! Richtig! Grosskohtz und bleichrödern mir So Stück zehn, zwanzig Mark! Wissen doch! Kurz vor dem Ersten, Momentane Verlegenheit, Handschuh bezahlt, Na, und so weiter! Kennen den Krempel ja! In circa acht Tagen Schickt mir der Alte wieder Moos. Bis dahin, schlage vor: Theilen! Natürlich, nur Bismark zum Aerger! He? Famoser Witz das? Nicht wahr, Herr College? Doch à propos, ich sag da »College«! Ist doch gestattet? Nicht wahr? Machen doch auch Verse? Paysage intime Ma pauvre Muse, hélas qu'as-tu donc ce matin? Charles Baudelaire Sternklar über seinem Filz Wölbte sich der Winterhimmel Und, die Dächer dick verschneit, Lag das schlummernde Berlin. Leider war die Gaslaterne, Die ihr gelblich ins Gesicht schien, Nicht mehr hell genug dazu. Erst als kichernd sie im Hausflur Sich mit seinen Schwefelhölzchen Ihren Wachsstock angezündet, Sah er, dass sein Schmetterling Schon zu unverschämt lädirt war. Sich nach rückwärts concentriren? Nein, die Hausthür war schon zu! Pech! Pfui Deibel! Und verdriesslich, Kritisch jede Stufe prüfend, Tappte er ihr langsam nach. Fern vom Hinterhaus her johlte Ein verspäteter Geburtstag, Und das Flakerlicht des Kerzchens, Das sich vor ihm aus dem Dunkeln, Wie ein Irrlicht abhob, streifte Ab und zu ein Porzellanschild Baltrutsch, las er auf dem einen, Baltrutsch, Knopf-Arbeiter. – Endlich! Gut, dass wenigstens ihr Zimmer, Dessen Thür erst frisch geölt schien, Eingermassen wohnlich war. Feuerroth im Ofen glühte Grad das letzte Schäuflein Kohlen, Und ein sauberes Rouleau Schob sich schneeweiss vor das Fenster. An die grüngestreifte Wand War ein Christusbild genagelt. In das aufgedeckte Bett, Das davorstand, dämmerte Mattblau eine kleine Ampel, Und das obligate Sopha Stand ihm grade gegenüber. Auch die Marmortoilette Fehlte selbstverständlich nicht. Zwei bis drei zerbrochne Stühle Blätterten daneben cynisch Ihre Memoiren auf. Freilich, wie diverse Lieder, Memoiren ohne Worte. »Nun? Was schenkst du mir denn Schatz?« Und die vollen nackten Arme Frech um seinen Hals geringelt, Presste ihn die weisse Bestie Fest an ihre blossen Brüste. Doch, da kürzlich erst der Erste Ihm das Portemonnaie gefüllt, Wurden sie bald handelseins. Während er sich noch bemühte, Sich die Stiefel auszuziehn, Lachte auch sein Kaufobjekt, Nackt wie Eva, schon vom Bett her. Fünf Minuten später noch, Und das indiscrete Lämpchen Flackert, leuchtet und verlischt. Dunkelheit! Vom Ofenrost her, Leis hinzitternd über die Dielen, Nur ein magrer, rother Lichtstreif, Und ins faltige Rouleau Malt sich fernher von der Strasse Fahl das Licht der Gaslaternen. Dunkelheit! Nur ab und zu Bricht ein heftig schweres Athmen Hastig durch die tiefe Stille, Und dazwischen rauscht's und knittert's Durch die Luft wie frisches Bettzeug. Dunkelheit! Im Hause gingen Schon zum fünften Mal die Uhren, Und das Zimmer fing sich an Leise grau in grau zu malen. »Bleib doch noch!« »Nein, lass, ich muss gehn!« Und aus ihrem Arm sich windend, Tappte er nach seinen Kleidern Und begann sich anzuziehn. Ihren bleichen, runden Kopf Matt auf ihren Arm gestützt, Sah sie ihm mechanisch zu. »Kommst du wieder?« Gottseidank! Jetzt nur noch den Rock und – »Kommst du wieder?« – jetzt: »Adieu!« Unten, auf dem Hausflur, kam ihm Eine Zeitungsfrau entgegen. Donnerwetter! Schon so spät? Und den Kragen seines Mantels Hoch bis unters Kinn geknöpft, Trat er fröstelnd vor die Thür. Schmutzig lag vor ihm die Strasse, Schmutzig wie ein altes Schnupftuch, Und vom grauverhangnen Himmel Rieselte ein feiner Nebel. »Brrr!« Und vor sich selbst aus Ekel Spie er mitten in die Gosse. Berliner Schnitzel Ich bin ein armer Reiter, Auch beisst und schlägt mein Gaul, Ich bin ein grober Streiter Und führ ein grobes Maul. Gottfried Keller Initiale Die deutsche Sprache war einst in alter Zeit Ein blondes Vollweib, das durch die Wälder strich; Doch heut ist längst ihr schlotternder Busen Platt wie ein Plättbrett! Das gute Frauchen hat zu viel Thee geschluckt Und leidet nun an Husten und Heiserkeit; Ich aber frage, wann wird sie wieder Saugrob wie Luther? Programm Kein rückwärts schauender Prophet, Geblendet durch unfassliche Idole, Modern sei der Poet, Modern vom Scheitel bis zur Sohle! Die deutsche Dichtkunst Die deutsche Dichtkunst schrieb notorisch Sich selber den Uriasbrief, Seit das Gefühl ihr obligatorisch Und der Verstand nur facultativ. Suum Cuique Ich weiss, ich bin euch zu polemisch; Doch die Dichteritis ist heut epidemisch. Und kann ich ihr nicht das Maul verriegeln, So will ich ihr doch den Hintern striegeln! Die Simpeldichter Die Simpeldichter hör ich ewig flennen, Sie tuten alle in dasselbe Horn Und nie packt sie der dreimal heilge Zorn, Weil sie das Elend nur aus Büchern kennen. Chorus der Lyriker O Mainacht, Mond und Mandoline! Wer schwärmte früher für Lassalle? Heut gellt der Pfiff der Dampfmaschine Ins Hohelied der Nachtigall! Man schimpft uns »ewge Sekundaner«, Doch falsch ist ihre Strategie: Wir sind die letzten Mohikaner Der deutschen Stimmungspoesie. Wir klopfen an die leere Tonne Und rufen: Wein her, rothen Wein! Auch uns erfreut das Licht der Sonne, Nur darf es nicht elektrisch sein. Lasst uns die Henkelkrüge schwingen: Ju Evoë, Anakreon! Was geht die Zeit uns an? Wir singen Vom Mammuth und vom Mastodon! Donner und Doria! Das ist so heute der Herren Manier: Man setzt sich ans Schreibpult wie an ein Klavier; Vor sich drei Bogen gelbes Concept Und kommt sich vor wie ein alter Adept. Dann taucht man ins schwarze Gallelement Sein Selbstberäucherungsinstrument; Träumt sich nach Memphis, Korinth und Walhall Und gebiert einen mächtigen Phrasenschwall. Daneben spuckt man nach Recht und Pflicht Der neuen Zeit in ihr Prosagesicht; Und hat man sich dick mit Gefühlen beschwert, Wird drüber der Thränenkübel geleert. Dann druckt es der Drucker auf fein Velin, Der Buchbinder bindet's in Maroquin Und schliesslich schimpft's die Kritik: »Poesie« – Blasphemie!!! An unsre Modedichter Noch ehe die Zukunft euch richtet, Verfallt ihr der ewigen Nacht Weil ihr zu viel gedichtet Und weil ihr zu wenig gedacht! Traurig aber wahr Die deutsche Muse – hört's, ihr Patrioten! – Warf ihre Flinte lachend längst ins Korn; Mit Heinrich Heine riss sie freche Zoten Und rülpst nun Verse à la Klappenhorn. Theorie Was mir im Hirn als Wissen glüht, Gilt noch nicht eine dieser Strophen. Der Tiefsinn, den die Rose blüht, Verlacht den Schweiss der Philosophen. Recept Nicht wahr, du bist ein grosses Thier? So sprich, was ist zum Dichten nütze? Eine Perryfeder, ein Bogen Papier, Ein Tintfass – und ein Schädel voll Grütze! Stossgebet! Eins ist Noth, ach Herr, dies Eine Lehre mich vollbringen hier, Und mein Schutzpatron, der Heine, Schärfe meine Klingen mir; Gürt mein Herz mit Siegfriedsleder, Giess ins Hirn mir tausend Lichter Und befiehl in meine Feder Unsre sogenannten Dichter; Dichter, deren ganzer Codex Essen, Trinken, Trinken, Essen, Dichter, die sich in den Podex Hämorrhoiden eingesessen! Grüss Gott, ihr Folianten, Hurrah in den Tod! Spielt auf, Musikanten, Das Eine thut Noth! Offener Brief Lasst euch begraben, ihr Philologen, Bei mir habt ihr den Kürzern gezogen! Drei winzige Jährchen erst ist es her, Da habt ihr geflucht die Kreuz und Quer: Der Kerl, der hat zu lange Ohren, An dem ist Hopfen und Malz verloren! Und heute? Donner und Doria! Grenzt das nicht schamlos an einen Eclat! Zwar, was er weiss, ist nur autodidaktisch, Aber das Faktum ist eben faktisch: Er capirte die deutsche Poesie Auch ohne die griechischen Verba auf mi! An Neunundneunzig von Hundert Ihr schwatzt befrackt hoch vom Katheder Von alter und von neuer Kunst, Von Fleischgenuss und Sinnenbrunst, Und gerbt nur Leder, altes Leder! Ihr lasst um jede Attitüde Ein weissgewaschnes Hemdchen wehn, Denn um die Schönheit nackt zu sehn, Sind eure Seelen viel zu prüde! Als Wegzehrung Gott weiss, du bist ein braver Junge, Noch neune solcher machen zehn, Dein Herz ist rein wie deine Zunge Und schwerlich wirst du untergehn. Du wogst noch niemals eine Lanze Und singst von Liebe nur und Lenz – So geh denn hin, mein Freund, und tanze Den Eiertanz der Convenienz! Bibelbiereifrig! Hier Genie und dort Talent! Jeder Mensch hat sein Pläsirchen – So ein armer Recensent Ist das ärmste aller Thierchen. Wenn es pfaucht und wenn es zischt, Lass es, lass es sich nur schinden, Denn dem Ochsen, der da drischt, Sollst du nicht das Maul verbinden! An meine Freunde Noch immer, ihr Freunde, florirt der Leim, An dem die Dummen sich leimen; Die Dichter reimen und reimen Und noch immer erscheint das »Dichterheim«! Drum schaart euch zusammen nun Mann an Mann Und wetzt eure Schwerter und sagt mir an: Wann werden wir endlich zu Boden treten Das lyrische Kruppzeug der Afterpoeten? Das kommt davon! Mit achtzehn Jahren schrieb er Verse Und frug die Welt nach ihrem Preis, Tragödien schmierte er diverse Und Epen vollends dutzendweis. Doch jede Schuld auf Erden rächt sich! Schon Goethe war's, den das verdross. Heut ist er circa fünfundsechzig Und – Kritiker der Tante Voss! An mich selbst Lass die Rosen ihren Duft Amseln streun und Finken, Dürsten sollst du nach der Luft, Draus die Adler trinken! Blut ist Blut nur wenn es rollt, Glück lässt sich erhaschen, Wolkenblau und Sonnengold Pfropft man nicht in Flaschen! An die Conventionellen Ihr habt genug mein armes Hirn gebüttelt, Ich käu nicht wieder wie das liebe Vieh; Längst hab ich von den Schuhen ihn geschüttelt, Den grauen Schulstaub eurer Poesie! Ich hab mich umgesehn in meinem Volke Und meiner Zeit bis tief ins Herz geschaut Und nächtlich ist aus dunkler Wetterwolke Ein heilig Feuer in mein Lied gethaut. Nun ruf ich zu des Himmels goldnen Kronen: Dreimal verflucht sei jegliche Dressur! Zum Teufel eure kindischen Schablonen! Ich bin ein Mensch, ich bin ein Stück Natur! En passant Was soll uns heut lyrisches Mondscheingewimmer? So seid doch endlich still davon! Ihr ändert's ja doch nicht, die Zeit ist noch immer Die alte Hure von Babylon! Das Eisen der Kraft hat sie spielend zerbrochen, Sie schnitzt sich Heroen aus jedem Wicht Und saugt uns das Mark aus unsern Knochen Mit ihrem weissen Sirenengesicht. Die Flammen der Freiheit sind lange vergluthet, Die Herzen schlagen, die Herzen schrein – Eh der neue Messias sich verblutet, O heilige Sintfluth, brich herein! An die Autoritätsklauber Schon immer hat uns der Magen gebellt, Auch ohne den modischen Materialismus, So alt wie diese alte Welt Ist ergo auch Zolas Zolaismus. Drum poltert nur, poltert: Bezuckerter Mist! Er fürchtet nicht eure kritischen Besen, Ist doch der erste »Naturalist« Schon der alte Vater Homer gewesen! An gewisse Quidams Ich weiss, ihr wünscht mir die Pest an den Hals, Ihr geberdet euch täglich entzückter; Drum flucht nur, er ist uns nichts weiter, als Ein verrückt gewordner Verrückter! Doch verlästert mich nicht. Denn dann seid ihr verratzt Und der Teufel kommt gleich, euch zu holen, Denn ich habe noch nie eine Jungfer beschwatzt Und silberne Löffel gestohlen! Die achte Todsünde Ein Dichter darf mit seinen Sachen, Uns wüthend, darf uns rasend machen, Wir stecken's schliesslich ruhig ein, Wer wird denn immer: »Kreuzigt!« schrein? Nur Eins wird man ihm nie verknusen, Und gäb's statt neun selbst neunzig Musen: Wenn er in Reimen wässrig thränt, Indess sein armer Leser gähnt. Drum, wer uns langweilt oder ledert, Verdient, dass man ihn theert und federt! Pro Domo Weh, unser Zeitgeist liegt noch in den Windeln: Die Juden schachern und die Pfaffen schwindeln! Den Freund erschiesst man im Duell Und sucht die Liebe im Bordell. Die deutsche Sprache wird gefälscht, Gekauder- und salongewälscht Und wässrig thront auf dem Parnass Die aurea mediocritas. Drum schimpft nur weidlich: »Pamphletist«, Ich bin nur Stimmungspessimist! Dito Ich bin mein eigner Kritikus, Drum spart euch eure klugen Reden, Sagt doch ein alter Pfiffikus: Nicht jede Formel passt auf Jeden. Mir hätt es so, mir so behagt, Schon gut, schon gut, ihr lieben Leute; Ihr wisst ja, was das Sprichwort sagt, Der Jäger pfeift, es bellt die Meute! Doch dass ihr auch der Weisheit Schluss, Der Wahrheit Wahrheit mögt erfahren, Sagt jener selbe Pfiffikus: Die Thorheit wächst oft mit den Jahren! Selbstporträt Nur Wenigen bin ich sympathisch, Denn ach, mein Blut rollt demokratisch Und meine Flagge wallt und weht: Ich bin nur ein Tendenzpoet! Auf Reime bin ich wie versessen, Drum lob ich plötzlich die Tscherkessen Und wüst durch mein Gehirn scherwenzen Verrückt gewordene Sentenzen. Mein Blut rollt schwarz, mein Herz schlägt matt, Mein Hirn hat noch nicht ausgegoren, Denn meine gute Mutter hat Mich hundert Jahr zu früh geboren! An mehrere Kritiker Ja, diese Welt starrt voller Klippen, Ein Jeder sehe, wie er's treibt; Denn glattrasirt wie eure Lippen, Sind auch die Worte, die ihr schreibt! Auch seid ihr durch und durch »aesthetisch« Und fast so prüde wie John Bull, Und so beweist ihr arithmetisch, Dass mein Talent so gut wie Null. O, wühlt nur um mit euern Poten, Den alten Philologenjux – Die Nachtigall singt nicht nach Noten, Sie singt, wie ihr der Schnabel wuchs! Leider! Die Welt ist heute verteufelt praktisch, Verteufelt praktisch mit Mann und Maus, Und selbst die neun Musen sehen didaktisch Wie englische Gouvernanten aus! Die Rosen verblühn und der Wein versauert, Und Keiner lacht, wenn die Sonne scheint, Denn die Jugend ist skeptisch verschopenhauert, Und das Alter leider schon längst versteint. Uns stürzt in tausend dunkle Miséren Das alte, verfluchte Warum und Wie, Und keiner, keiner kann sie entbehren Die Bettelpfennge der Philosophie! Verschiedenen Collegen Ihr armen Dichter, die ihr »Philomele« In jedem Lenz noch rythmisch angeschwärmt, O, wenn ihr wüsstet, wie sich meine Seele Um ihre gottverlassnen Schwestern härmt! Dreht ihr auch noch so ernsthaft eure Phrase, Der Teufel setzt sie lustig in Musik, Denn eine ungeheuer lange Nase Hat seine Grossmama, die Frau Kritik. Dreierlei Ich bin ein Dichter und kein Papagei Und lieb es drum, in unsre Zeit zu schauen, Und doch missfällt an ihr mir dreierlei, Und dieses Factum kann ich schwer verdauen: Die jungen Damen werden nie mehr »blind«, Die jungen Herrn sind meistens eitle Schöpse Und – last not least – die echten Thränen sind Noch seltner heute als die echten Möpse! Das beste Wappen Das beste Wappen auf der Welt, Das ist: Ein Pflug im Ackerfeld. Stimmt! Das Einmaleins und das Abc Ist nichts als die Weisheit im Negligee. Einem Kritiker Das grösste Maul und das kleinste Hirn Wohnen meist unter derselben Stirn. Collega Collegæ Dein Lied ist ein schreiendes Transparent, Dahinter dein Hirn wie ein Talglicht brennt. Kritiksucht Wenn die Kritiksucht unsre Kunst, En masse schablonenhaft verhunzt, Fällt mir der Vers ein, der famose: Du stinkst, sprach einst das Schwein zur Rose. An meine Kritiker Noch niemals hab ich mich geduckt, So oft ihr auch gegen mich aufgemuckt; Das macht, ihr seid total entnervt: Ihr donnert, eh ihr Blitze werft! Einem »Freunde« Nur selten hab ich mich ereifert, Wenn du mich hinterrücks begeifert; Dein Grund ist jedenfalls sehr triftig, Auch kleine Kröten sind ja giftig! Einem Pseudonym Zwar deine Reime sind nur selten weibliche, Doch was sie meinen ist das Ewig-Leibliche; Lass ab, du lockst uns doch nicht in den Sumpf, Durch deine Phrasen lugt der blaue Strumpf! Einem abgeblitzten Collegen Von Kritikern ein ganzes Rudel Sprang dir wie Wölfe bissig ins Genick; Und schön begossen wie ein Pudel, Senkst du nun schamhaft vor der Welt den Blick. O dieses alberne Gelichter! Wann endlich wird es endlich sich denn klar: Noch niemals gab es einen Dichter, Der dümmer noch als seine Verse war! Unser Wortschatz Die Philologen, die sich stritten, Rechneten Wort für Wort zurück Und sahn: der Schatz des grossen Britten, Umfasste fünfzehntausend Stück! Doch heut im neunzehnten Jahrhundert Die Dinger wie der Wind verwehn: Ein Droschkenkutscher braucht fünfhundert, Ein lyrischer Dichter nur circa zehn! Einem Fortschrittsleugner Dein Hypothesenungeheuer Hat mich noch niemals recht erbaut. Der Weltgeist ist ein Wiederkäuer, Der ewig frisst und nie verdaut? Still, still, mein Lieber; also spricht Nur Einer, den der Haber sticht, Denn könnt' ich, hoch im Himmel hausend, Nur um ein lumpiges Zehnjahrtausend Dein Hirn nach rückwärtshin verrenken, Du würdest anders drüber denken! Schon gut! Schon gut! Du weisst schon, wie ich's meine. Lügen haben kurze Beine. Wahrheiten aber – Mensch sei helle! – Beträchtlich breite Hinterkastelle. Et altera pars! Schon Joseph Viktor von Scheffel sagt: Lass Von Klassen-, Rassen- und Massenhass! Doch bitte, zähme auch deine Triebe In Klassen-, Rassen- und Massenliebe! Sansara Das Nichts, das nie und nirgendwo, Suchst du vergeblich zu beweisen; Es ist und bleibt nun einmal so: Du grübelst und die Sterne kreisen! Abfertigung Wohl machst du mir für mein Talent Ein ungeheures Compliment, Doch schone, Freundchen, deine Lunge, Denn wo das Herz spricht, schweigt die Zunge. Trotzalledem! Die sieben Farben und die sieben Töne, Der Welt Gestaltung und der Menschheit Treiben, Das Ewigwahre und das Ewigschöne Wird ewigwahr und ewigschön verbleiben. Urewig Urewig ist des grossen Welterhalters Güte, Urewig wechselt Herbstblattfall und Frühlingsblüthe, Urewig rollt der Klangstrom lyrischer Gedichte, Denn jedes Herz hat seine eigne Weltgeschichte. Es bleibt sich gleich! Es bleibt sich gleich! Ob du ein sogenannter Glückspilz bist, Der bunte Wäsche trägt, Coupons abschneidet Und nur Havannahs zu fünf Mark das Stück raucht, Ob du am Rand der staubigen Chausee Blödsinnig niederkniest und Steine klopfst, Es bleibt sich gleich! Nur deine Brille thut's. Der hohle Zahn, der dem Idioten weh thut, Schmerzt auch den besten Mathematiker. Und die Carriere, die der Leutnant X macht, Ist grad so glänzend und verführerisch, Wie die von seinem Putzer Y; Am Ende kommt der Todtengräber Z, Macht: Papperlapapp, genehmigt sich ein Nordlicht Und pfeift auf Beide ... Der Ruhm? Der Ruhm? Ein Ding, das unter sogenannten Brüdern Fast so reel wie eine Seifenblase? Geh, lass dir deine Nase putzen, Junge! Ein Rollmops, den die Mitwelt mit mir theilt, Wird mir unendlich schmeichelhafter sein, Als tausend stilgerechte Mausoleen. Die enthusiastisch mir die Nachwelt baut. Auch ist es Lüge, dass die Liebe sich Mitunter auf ein Rosenblatt verirrt. Auf dieses Monstrum hab ich Jagd gemacht Wie ein Professor, der Botanik liest, Vom Brocken bis zum Popokatepetl. Doch, was die Dichter mir auch vorgefaselt, Ich fand sie all mein Lebtag nur im Kuhdreck! Sei ein Philister! Sei ein Philister, der sich stillvergnügt Die Marseillaise auf den Bierbauch trommelt, Doch beiss dir deine Finger ab, mein Junge, Wenn du Talent zu einem Herrgott hast! Auch sieh dich vor, dass du um Mitternacht, Wenn dir der Vollmond schneeweis ins Gesicht scheint, Nicht einmal unversehns pathetisch wirst, Mit dem Revolver vor den Spiegel tappst, Ihn deinem Doppelgänger vor die Brust setzt Und theatralisch à la Hamlet fragst, Wozu denn eigentlich der ganze Schwindel? Frag lieber, wenn du's durchaus nöthig hast, Warum den Blocksberg keine Flöhe beissen, Wie oft sich Robespierre wohl rasiren liess, Was zalmi dupi deutsch heisst, kurz etc.! Das Beste freilich, doch – wozu noch reden? Addire nichts und nichts, und du thust das, Was Gott thut, als er diese Welt erschuf. »Adam Mensch« Ob eine Wurst, die nachts im Rauchfang hängt Sich noch Gedanken über einen Stern macht, Der golden über Ihrem Zipfel brennt? In dies Problem sich wie ein Maulwurf grübelnd, Bepinselte er seine Nase sich Vor seinem Spiegel kunstvoll mit Zinober, Schrie Kikriki, frass siebzehn saure Gurken, Soff dann diverse Kübel Buttermilch Und starb zuletzt als – Sultan von Marokko. Einem »Tondichter« Du bist, ein Jeder nimmt drauf Gift, Das Theekind aller alten Vetteln Und auch, was deine Kunst betrifft, Gerecht in allen Modesätteln. Uns fascinirt nicht nur dein Name, Du spielst wahrhaftig mit Talent – Zumal dein Lieblingsinstrument, Das goldne Kalbfell der Reclame! Richard Wagner als »Dichter« Das urigste Poetastergenie, Das unser Jahrhundert geboren; Schon beim Anhören seiner Hotthüpoesie Verlängern sich unsre Ohren! Der deutschen Sprache spie dreist ins Gesicht Seines Stabreims Eiapopeia – Ein demokratischer Krebs, der Verse verbricht: Wigala Wagala Weia! An Gottfried Keller Die Weisheit lieh dir ihre Huld, Die Schönheit steht in deiner Schuld. Durch deine Verse blitzt und rollt Goethe'sches Gold! Ich möchte dich bis in den Himmel heben, Doch ach, du glaubst ja nicht an ihn, Denn nur die Erde trägt dir Reben, Rothe Rosen und weissen Jasmin. Du bist mir auf hundert von Meilen entrückt, Doch hab ich dir oft schon die Hand gedrückt Und jauchz dir nun zu durch Nebel und Dunst Das alte Sprüchlein: Gott grüss die Kunst! An die Wölfflinge Noch immer währt die Aventiurenplage – Allwöchentlich ein Buch von zwanzig Bogen! Wir aber thun stets unsre alte Frage: Habt ihr euch immer noch nicht ausgelogen? Seht, eure Herzen wickelt ihr in Watte Und malt drauf zierlich: Vorsicht! Porzellan! Und ist auch manches »Vater, Mensch und Gatte«, Sein Lumpenpack ist jedenfalls im Thran. O, werft ins Feuer euer Flickenkleid, Am nächsten Stein zertrümmert euern Psalter, Den uns »Modernen« liegt die Bronzezeit Wahrhaftig näher als das Mittelalter! An Albert Träger Du überschwemmst das ganze Land Als Mutterliederfabrikant Und bist, soviel du auch geschrieben, Immer ein kleines Kind geblieben. An Max Kretzer Du bist das wahre Urgenie Der Hintertreppenpoesie; Damit sie wirkt, versetzst du deine Schrift Mit Brausepulver und mit Rattengift! An Joseph Victor von Scheffel Du schwankst als Urbild hin und her Eines süffelnden Philosophen, Im Magen liegen uns centnerschwer Deine vorsintfluthlichen Strophen. Jahrzehntelang lagen sie uns zur Last, Deine altdeutsch jodelnden Leute, Doch dass du den Ekkhart geschrieben hast, Das danken wir dir noch heute! Felix Dahn Lyrisch hat er geasathort Schon als ein Jüngling mit lockigen Haaren; Achtung, in seinem Schädel rumort Ledern die Weisheit von tausend Jahren! Aber, verbrach er auch manchen Quark, Unser Volk wird ihn ewig lieben, Hat er doch einst, die Knochen voll Mark, Herrlich den »Kampf um Rom« beschrieben! Einem Gartenlaubendichter Ach, lieber Emil, hab Erbarmen, Pust aus dein kleines Dreierlicht! Denn die schwarzweissrothen Gelegenheitscarmen Haben wir endlich dick gekriegt. Du bist und bleibst ein blosser Reimer, Kein echter Sohn des Vater Rhein, Und schenkst deinen Lesern, statt Rüdesheimer, Nur versificirten Dreimännerwein. An Rudolf Baumbach Mondschein, Zuckerwasser und Flieder Waren dir schon von je zuwider; Besser blinkender Sonnenschein, Rauschende Tannen und alter Wein! Ja, das ist deine ganze Devise, Du unter Zwergen der einzige Riese! Bist uns so plötzlich hereingeschneit, Du und die alte Zigeunerzeit! Zwar unsre Sphinx wirst du schwerlich errathen, Aber ein Wort von dir gilt uns Dukaten; Und deine Weltweisheit lacht uns ins Herz, Wie ein Shakespearscher Falstaffscherz: Pfeif auf die Weisen, pfeif auf die Thoren, Schlage die Welt dir forsch um die Ohren Habe das Herz auf dem rechten Fleck, Alles andre – ist ein Dreck! An Adolf Friedrich von Schack O Gott, wie ledern respective blechern Ist doch der Quark von all den Versverbrechern, Die heut mit selbstgefälligem Behagen Das Tretrad schwingen und das Tamtam schlagen! Nur du schwingst nicht das Weihrauchfass der Mode Und beugst vor deinem Publikum das Knie, Du weihst dich als begeisterter Rhapsode Dem Hohenpriesterdienst der Poesie! Die Zeit ist eisern, eisern ihr Beruf, O, dass sie endlich ihres Sohns gedächte, Des Sohns, der ihr die »Weihgesänge« schuf, Sie und des Orients wundervolle »Nächte«! Seit mir die Muse lächelnd zugenickt, Hab ich mit Staunen zu dir aufgeblickt Und winde dir nun in dein Kranzgeflecht: »Ich danke dir!« Das kommende Geschlecht. An Friedrich Rückert Du warst im Leben Unterthan und Christ, Und mehr als einmal auch ein Erzphilister, Drum trauern, dass du schon gestorben bist, Noch heute alle Unterrichtsminister. Denn lebtest du noch, dich ernannten sie, Ich schwör's bei allen abgehaunen Zöpfen, Zum Mandarin der deutschen Poesie, Zum Mandarin mit dreizehn Knöpfen! Unsre Zeit Ja, unsre Zeit ist eine Dirne, Die sich als »Mistress« produzirt, Mit Simpelfransen vor der Stirne Und schauderhaft decolletirt. Sie raubt uns alle Illusionen, Sie turnt Trapez und paukt Klavier Und macht aus Fensterglas Kanonen Und Kronjuwelen aus Papier! Ein »garstig« Lied! Ein garstig Lied, pfui ein politisch Lied! So schrieb einst der Geheimrath, Herr von Goethe, Und wenn mein Grips nicht um die Ecke sieht, Tanzt auch die Welt noch heut nach dieser Flöte. Ich aber denke, heilige Dressur! Und folgre daraus dieses Eine nur: Dass Prügel für gewisse Kreise Auch heut noch eine Lieblingsspeise! Einstweilen! Die alte Welt ist ein altes Haus Und furchtbar ungemüthlich, Der Nordwind pustet die Lichter aus – Ich wollte, wir lägen mehr südlich! Ich wollte .... Puh Teufel, wie das zieht! Der Hagel prallt an die Scheiben, Drum singt nur einstweilen das tröstliche Lied: Es kann ja nicht immer so bleiben! Drei Dinge Drei Dinge haben hier im Leben Macht: Der Neid, die Hoffahrt und die Niedertracht; Doch, wenn sie dich auch noch so schön bespucken, Am Ende wirst du sie zu Boden ducken! Verloren aber bist du auf der Welt, Wenn sich die Dummheit dir entgegenstellt: Sie setzt Spinoza hinter Löbel Pintus Und hat die Weisheit aller Zeiten intus! Sie lacht wie ein Kretin dir ins Gesicht Und lästert alles, nur sich selber nicht; Und nichts bleibt übrig dir vor diesem Viehchen Als sacht dich in dich selber zu verkriechen! Nicht »antiker Form sich nähernd« In München schneit's, und das Volk schreit nach Brod. Gaslichtverbreitung. Der Aetna raucht und Fürst Bismarck ist todt. Nein, diese Zeitung! Wozu durch alle diese Ritzen Sein Blut ins Nichts vertropfen? Gemüthlich hinterm Ofen sitzen Und seine Pfeife stopfen! Die Sonne scheint, und die Welt ist rund. Grün wehn die Cypressen. Ein Schnabus lässt sich trinken und Ein Rollmops essen. Ultima ratio Wozu sich an den Galgen baumeln, Aus einem Nichts ins andre taumeln? Ein jeder Pastor macht's dir klar: Gott ist gewesen, eh er war. Doch zeit- und ursachloses Sein Begreift kein Mensch, versteht kein Schwein. Drum schliesslich lehrt uns unser Idol: Zeuge Kinder und baue Kohl! Für Schnillern etc.! Immer noch laufen sie uns in die Quer, Faust, Hamlet, Hiob und Ahasver. Aber ich finde, nachgerade Wird die Gesellschaft ein wenig fade. Zu viel Schminke, zu viel Theater, Zu viel Klimbim und zu viel Kater. Da lob ich mir Reuter und Wilhelm Busch. Für Schnillern etc. ein ander Mal Tusch! An den's gerichtet ist! Du bist ein Held, wie der König Saul, Und hätt ich bei Hofe Credit, Ich gäbe dir für dein grosses Maul Den Orden Pour le mérite! Und doch; vergeblich dein Ringen nach Ruhm, Zum Nebel verbleicht dein Glanz Vor dem Sigl'schen Mauldreckschleuderthum Des »Bairischen Vaterlands.« Amerika Oft frag ich lachend mich, weswegen Mit Lanzen, Schwertern, Spiessen, Keulen Dies todesfrohe Kämpfen gegen Concessionirte Eiterbeulen? Wie lang noch, und das Dunkel frisst Europas letzte Gaslaternen, Denn das Panier der Zukunft ist Das Streifenbanner mit den dreizehn Sternen. In memoriam! Alte Burschenherrlichkeit, Weh, man hat dich längst begraben, Denn nur noch an Soll und Haben Denkt die Menschheit dieser Zeit! Ihre Räder wühlen Schaum, Funken sprühen ihre Essen; Ach, und längst hat sie vergessen Ihrer Jugend goldnen Traum! Ausgebrannt ist jede Brust, Die Altäre stehn verlassen, Horch, und draussen auf den Gassen Predigt die entmenschte Lust! Um das Haupt des Helicon Schwirren tausend irre Fragen Und den Zeitgeist hört man klagen An den Wassern von Babylon! Lehrfreiheit Pst! Pst! sonst wackeln die Kronen, Ihr Herrn Professoren, seid still! Schon lauschen euch vierzig Millionen, Wahrhaftig, ihr schreit zu schrill. So lispeln sie heute von »Oben« Und drohn auch mitunter: Ei! Ei! Und die fettigen Spiessbürger loben Die brave Polizei. Sie üben sich tapfer im Beten Und bilden der Dummheit Spalier, Nur wir, eine Handvoll Poeten, Umjubeln ein ander Panier! Die Wissenschaft ist nicht zünftig, Sie ist wie das Licht allgemein! Dies Wörtlein soll heut und auch künftig Unser Ceterum censeo sein. An gewisse »Naturforscher« Das Licht wird leuchten, weil es leuchten muss, Drum knurrt nur immer: Ignorabimus! Transcendental ist nichts in der Natur, Transcendental ist eure Dummheit nur! Freilich! Dass sich die Gegensätze stets berühren, Ist manchmal auch noch heute zu verspüren, Denn diese Zeit der Culs und der Pomaden Ist auch die goldne Zeit der Hiobsiaden. Schauderhaft Uns lehrt das Christenthum en gros: Hier Erdenkloss, dort Himmelspächter! Doch unsrer Weisheit A und O Ist ein unsterbliches Gelächter! Einem Pietisten Dein Heil, versuch es anderwärts, Wenn frömmelnd dich der Teufel laust; Mein Katechismus ist mein Herz Und meine Bibel ist der Faust! Schliesslich! Jawohl, das Ding ist ärgerlich! Das Volk hat lange, graue Ohren, Und seine Treiber nennen sich Rabbiner, Pfarrer und Pastoren. Verhasst ist mir der Schwindelbau Der jesuitelnden Sophisten, Und überleg ich's mir genau, Hab ich Talent zum Atheisten. Tagtäglich schürt in mir den Spott Das fade Weihrauchduftgeträufel, Denn schliesslich ist der liebe Gott Doch nur ein dummer Antiteufel! Schwarz in Schwarz Beim Dulderherzen des Don Quixote, Jetzt streich ich's dick mit Rothstift an: Der bibelgeborne Christengott Ist nie und nimmermehr mein Mann! Die Schöpfung war einst sein erster Witz Und dieser Witz war herzlich schlecht, Denn oft schon traf es mich wie ein Blitz: Die Despotie hat leider Recht! Ein Volk, das heut nicht auf Prügel hört, Und eine Unschuld beim Ballett, Ein solches Erz-Phänomen gehört Ins Naturalienkabinett! Ad notam Ganz recht! Ganz recht! Kein Mensch muss müssen! Ich weiss, mein Herz, ein Wort zum Küssen! Nur Eins muss man, dies schärf' dir ein, Kein allzugrosses Rindsvieh sein! Stossseufzer Verfluchtes Epigonenthum, Aegypter- und Teutonenthum, Dass dich der Teufel brate! Schon längst sind wir fascikelsatt, Grinst doch durch jedes Titelblatt Das Dante'sche: »Lasciate!« Einem Orthodoxen Famos steht dir dein bunter Kittel, Doch was beschmierst du ihn mit Dreck? Die Religion ist nur ein Mittel Und du – erniedrigst sie zum Zweck! Variatio delectat Himmel, das halte ein Andrer aus! Die Welt ist wirklich ein Narrenhaus. Ewig sich selbst bleibt ihr uralter Schwindel, Manchmal nur wechselt sie schlau seine Windel; Den Teufel verlacht sie und wirft sich ins Knie Vor der Mutter Gottes von Medici! Al fresko Die Menschheit flucht in ihr ewiges Licht, Stündlich dräut ihr das Weltgericht Und sie schaudert bleich, im Herzen den Tod, Ins blutig verlodernde Abendroth. Die Zeit ist morsch wie ein Todtenbein. So ist es gewesen und so wird's sein: Roth vom Weltbaum taumelt das Laub, Völker und Kronen zerfallen zu Staub Und über das christliche JNRJ-Schild Hintaumelt ein nacktes Venusbild. »Die letzten Zehn« Was heulst du wie die römische Sibylle In unsre altarkadische Idylle Dein dreimal disharmonisches: »Mehr Licht!«? Schon immer war das Wappenthier der Dichter Ein Bandwurm und ein Nürenberger Trichter, Die Garde stirbt, doch sie ergiebt sich nicht! Wenn du durchaus nur säen willst, dann säe! Wir gönnen dir von Herzen deine Mühn. Doch wer wird krächzen wie die Nebelkrähe, So lange lenzroth noch die Rosen blühn? Wir rühren wacker unsern alten Kleister Im himmelblauen Regenbogenton, Sagt doch der Jupiter von Weimar schon: In der Beschränktheit zeigt sich erst der Meister! Καϑ όλην την γην Belustigt euch nur in grandiosen Metaphern Ueber die Papus und Zulukaffern, Die liebe Fetischdienerei Legt auch bei uns ihr faules Ei! Immer noch brennen in unsern Herzen Blutig die Aschermittwochskerzen Und nächtlich durchwittern die stille Luft Orgelhymnen und Weihrauchduft! Wie's gemacht wird! Und als sich der Pfaff einen Juden briet, Da schrieen die Junker Hurrah Und sangen das alte hochherrliche Lied: Hepphepp Juvivallerala! Doch das Volk stand auf und schrie Zeter und Mord, Hie Hecker und Robert Blum! Da erfand man schleunigst das Kautschukwort: Praktisches Christenthum! Hm! Da meinen Einige vermessen, Das Leben habe keinen Zweck; Man sieht's, sie haben nie gegessen Fasanenstiz und Schnepfendreck. Geisterduo Der Zeitgeist brennt wie trocknes Stroh Und singt: In dulci jubilo! Der Weltgeist brummt dazu im Bass: O vanitatum vanitas! Russisch! Sei doch kein Tropf, mein süsses Söhnchen! Steck ein das lumpige Milliönchen! Du kennst ja die Moral der Zeit: Der Himmel ist hoch und der Czar ist weit! Pfui Deibel! Ihr wisst, ich bin kein »von« Verehrer, Ich bin des Zeitgeists Strassenkehrer; Doch protzgere Kerle sah ich noch nie, Als die Schlotbarone der Plutokratie! Selbstredend! Mein Gott, wozu die Grillenplage? Noch blüht ja unsre haute volée! Noch heilt der Zeit gewaltge Frage Ein Titel und ein Portemonnaie. Noch wachsen täglich unsre Zöpfe, Der »Glaube« ist des Pudels Kern, Das Militär putzt seine Knöpfe Und das Antike wird modern. Noch scharr'n vor meinem Cab vier Pferde, Zu Fuss zu gehn ist ja gemein – »O wunderschön ist Gottes Erde Und werth, darauf vergnügt zu sein!« Für kleine Kinder Der alte Flötenspieler Pan, Der lehrte mich das Dichten: Ein Volk und ein Stückchen Marzipan Bestehn aus zweierlei Schichten. Die eine schlürft Austern und baut sich Kohl Und macht in Vaterlandstreue Und fühlt sich kannibalisch wohl Wie Goethes fünfhundert Säue. Die andere spielt tagtäglich Va banque Und kleidet sich in Lappen Und führt ihr ganzes Lebenlang Einen Hungerknochen im Wappen! Auf der Strasse Er küsste den Laternenpfahl Und hielt ihn fest umschlungen, Und um ihn freute der Skandal Ein Rudel Strassenjungen. Erst seinen Wochenlohn verschnapst In räuchriger Spelunke Und dann verkatert und verflapst Und voll wie eine Unke! Rothangepinselten Gesichts, Ein Don Juan der Posse So bettelte der Taugenichts Sich schliesslich in die Gosse. Da fiel mir ein ein bittrer Scherz, Das Wort, das euch bekannt ist: Der Wein erfreut des Menschen Herz – Zumal wenn er gebrannt ist! Ausgepfiffen! Das Leben ist eine Komödie Und geht oft über den Spass Und gleicht dann jener Tragödie, In der Einer den Andern frass. Und wenn wir's auch nicht wollen, Wir kommen doch alle drin vor Und spielen die nöthigen Rollen Vom Jean bis zum Heldentenor. Und wer mit seiner Visage Am besten zu gaunern gelernt, Erhält die nobelste Gage Und wird auch mitunter besternt. Ich studirte mir manche Falte Und trat vor das volle Haus, Doch blieb ich immer der Alte – Drum pfiff mich das Publikum aus! Strophen! Vita nostra brevis est; War der Vorzeit weise Lehre – Doch man hasst das Miserere, Heut ist sie schon längst verwest! Rollt die Zeit, rollt auch das Blut, Heute leben wir wie morgen; Unsre Teufel heissen Sorgen, Unsre Götter Geld und Gut! Jede Blüthe wird umkreist, Jede Blume wird gebrochen, Und nach Monden schon und Wochen Weiss man was Blasirtheit heisst! Stahl und Eisen, Blut und Dampf, Rollen, donnern, sieden, zischen, Und ein Wehruf gellt dazwischen: Dieses Leben ist ein Kampf! Fidele Bande Puh, dies Erdlein stinkt nach Mist, Und die Füchse bellen, Wenn's im Himmel Festtag ist, Essen wir Forellen! Barthel schleckert, ob der Most Heuer gut gerathen, Lorenz muss auf seinem Rost, Leberwürste braten. Margarethe kocht den Brei, Küchlein bäckt Sabine, Salomo spielt die Schalmei, David Violine. Petrus muss tranchiren, Joseph legt den Braten vor, Und der Engel schnippisch Corps Thut uns invitiren! Drei Altdeutsche 1. Den Jungfern fehlt es nie an Knaben, Die mehr Goldgulden als Flöhe haben. 2. Junge Weiber und alte Weine Machen den Männern krumme Beine. 3. Lieber ein Strohsack und zu Zwein, Als ein Daunenbett und allein! Drei Andre 1. Kein Buch vermag so weise zu sein, Ein Narr falzt Eselsohren hinein. 2. Hat wer wo Geld und küsst kein Mädel, Der Kerl hat Bohnenstroh im Schädel. 3. Schwarzes Brod und weisse Zähne Und wenn ich todt bin, eine Thräne! In der Sonnengasse In der Sonnengasse zu St. Goar, Da kämmt sich die Resi ihr schwarzes Haar, Sie lacht in den Spiegel verstohlenen Blicks, Silbern über ihrem Bett hängt ein Cruzifix, Ihr Pantöffelchen klappert, ihr Schnürleib kracht: Heute Nacht!! Heute Nacht!! In der Sonnengasse zu St. Goar, Da wohnt ihr schrägüber ein junger Scholar, Der pfropft sich in den Schädel lauter dummes Zeug, Schwarz auf seinem Pult liegt der Pentateuch, Da streift ihn die Sonne und sein Leder kracht: Heute Nacht!! Heute Nacht!! Nicht wahr? Die Völker sind wie grosse Kinder Und ihre Könige sind's nicht minder, Lachen und weinen im selben Nu, Spielen mitunter auch Blindekuh Und ihre Fibel Benennt sich Bibel! Kusch dich! Willst du wohl fort mit deinen Pfötchen Von meinem lieben Kaviarbrödchen? Für dich den Schweiss, für mich das Gold! Der liebe Gott hat's so gewollt. Drum begnüge dich, Kerl, denn sonst bist du ein Flaps, Mit Kartoffeln und Schnaps! Weltzeitungs-Inserat Gesucht wird für sofort ein tüchtger Mäher. Adressen sub Bureau zum grossen Pan. Denn dreigekrönt sitzt noch ein Pharisäer Auf seinem Sündenstuhl im Vatikan. Εσσεται ήμαρ᾽ O Glaube, Liebe, Hoffnung, heilige Dreiheit, Wir dienen dir und du belohnst uns nie, Denn auch noch heut ist unsre deutsche Freiheit Nur eine schwarzrothgoldne Phantasie! Reimspiel Was ist das beste Futter, sprich, Für hungernde Nationen? »Halt's Maul, Hallunk, was kümmert's Dich?« Der Reim lacht: Blaue Bohnen! An die Opportunisten Die sieben Weisen waren eure Väter, Doch euer Ohm ist Judas, der Verräther, Denn wie der Wind weht, macht ihr tapfer Front, Und euer Bauch ist euer Horizont. An unser Volk! Das Herz entflammt, das rothe Banner schwingend, Den nackten Flammberg in der nackten Hand, So wandern wir, von deiner Zukunft singend, Der Freiheit Söhne, durch das Land. Nicht deine Götter wollen wir erschlagen, Die fallen, wenn sie morsch, von selber um; Doch deine Seele soll sich blutig fragen An unserm Aufruhrwort: Warum? Warum du hungerst und warum du dürstest, Warum du schweisstriefst und warum du frierst, Warum du hündisch deine Peinger fürstest, Warum du frömmelnd dich verthierst! Weh, dreimal Wehe, wenn am Tag der Jden Der Kelch des Zorns dann blutig überschäumt Und jener goldne Traum von einem ewgen Frieden Umsonst geträumt! Anti-Hiob Schon Heine meinte: die Menge thut's, Und im Frühling blühten die Quitten – Der alte Mann aus dem Lande Uz Hat nicht umsonst gelitten. Erst gestern hat man ihn aufgestellt Als modischen Dalai Lama, Und schluchzend liest nun die ganze Welt Sein primitives Drama. In seinem Namen als Schutzpatron Seziren sich tragisch die Reimer – O du katzengräulicher Buddhaton, Kenne die Pappenheimer! Schlagt todt die Sonne, wenn sie glüht, Mit pessimistischen Knüppeln! So lange noch eine Rose blüht, Lass ich mir mein Herz nicht verkrüppeln! Der Dichter Was Hermelin und Diademe! Ich bin kein Dichter und kein Hund! Ich bin ein freier Mann und nehme Kein Feigenblatt vor meinen Mund. Ich seh die Welt im Dunkeln tappen, Ich weise golden ihr ein Ziel, Und erst am letzten morschen Wappen Zerschmettre ich jubelnd mein Saitenspiel! Videant consules! Die Zeit der Juden, Römer und der Kelten Kam, Gottseidank, schon längst aus der Balance! Wie unsre Welt die beste aller Welten, Ist unsre Zeit, die Zeit par excellence. Wohl hör ich's, doch mit jedem meiner Lieder Heb ich den düstern Kehrreim auf den Thron: Die Zeiten der Cäsaren kehren wieder Und ihre Beile schärft die Reaktion! Chaos Das ist der Fluch, der diese Zeit durchzittert, Der uns das Leben und den Tod verbittert: Wir legen ewig neu das Fundament Und niemals greift der Bau ins Firmament! Wir hören blutend, wie die Völker wimmern, Und helfen selber ihre Kreuze zimmern! Wir flehen brünstig um das Weltgenie Und sind noch viehisch, viehisch wie das Vieh! Wir speien auf das Kreuz der Kathedrale Und dichten nur noch Zukunftsideale! Wir thun die Skepsis feig in Acht und Bann Und schliesslich – glaubt man selber nicht daran! Das ist der Fluch, der diese Zeit durchzittert, Der uns das Leben und den Tod verbittert! Dieses Buch Oft habe ich über den Blättern hier Verbrütet manche Nacht Und oft auch, ganz allein mit mir, Lautauf geweint und gelacht! Auch wob ich manchen derben Fluch Recht kernverliebt hinein – Es soll ja kein Erbauungsbuch Für christliche Jungfern sein! Es ist ein Buch, das Leben und Tod Tief in sein Sphinxherz schliesst; Es ist ein Buch, das zukunftsroth Der Welt die Leviten liest! So schüttle denn, schüttle dein blankes Erz, Wo immer nur, unterjocht, Ein Herz, ein rothes Männerherz, Wild an die Rippen pocht! Das Volk an die Fürsten Einmal schon verhalf ich euch zum Siege, Denkt, o denkt an die Befreiungskriege! Und auch heut noch muss ich, wie befohlen, Die Kastanien aus dem Feuer holen. Einmal auch schon hab ich, selbst verschuldet, Euern königlichen Dank erduldet: Erst mir lächelnd ins Gesicht geheuchelt, Dann mich hinterrücks ins Knie gemeuchelt! Glaubt mir, auch die Liebe weiss zu hassen; Eure Sonnen werden einst verblassen! Sink ich heute auch verblutend nieder: Bei Philippi sehen wir uns wieder! An die »obern Zehntausend« Und wieder rollt nun sterbend ein Jahrhundert Dem Abgrund zu, drin uns die Zeit verschlingt, Und ihr seid immer noch nicht abgeplundert, Nicht hinter die Coulissen abgehinkt? Wollt euch nicht länger freventlich vermessen, Denn euer Lebensnerv ist abgestumpft, Denn eure Kronen sind von Rost zerfressen Und eure Stammbaumwälder sind versumpft! Ein neu Geschlecht, schon wetzt es seine Schwerter, Schon webt die Sonne ihm den Glorienschein, Und glaubt: Es wird kein veilchenblauer Werther, Es wird ein blutiger Messias sein! Chanson Noch immer baumelt der alte Zopf, Der alten Welt im Genick, Noch immer schmort ihr kein Huhn im Topf, Drum: Vive la République! Drum: Vive la République, blique, blique, Das Herz schlägt uns im Bauch, Das Knutenthum haben wir dick, dick, dick, Und Kartoffel und Häring auch! Noch ein Stossseufzer O hiess es endlich doch: All right! Die Welt ist blass, blass wie Louise, Das Grundgesetz der neuen Zeit Sei drum das Buch von Adam Riese. Denn wenn die Völker nicht mehr fackeln Und über ihm die Throne wackeln, Dann lupft der Weltwitz sein Visir Und donnert: Zwei mal zwei macht vier! Sanft ruhe seine Asche! Hier ruht der Hofpoet Hans Hänschen, Gottlob, dass endlich er verreckt! Er hat sich nie ein Lorbeerkränzchen, Doch oft ein Piepmätzchen erleckt. Das Höchste war für dieses Püppchen Ein Allerhöchstes Bettelsüppchen. Er schwitzte dafür zum Erbarmen Alljährlich ein Geburtstagscarmen; Drin hiess er die Quadrate rund – Zugleich ein Dichter und ein Hund! Tres faciunt Collegium Weh, ein Morast ist unsre Zeit! Drin machen sich ekelerregend breit Kröte, Basilisk und Unke; Und wöchentlich schon – juchheideldidum – Predgen vor ihrem Publikum Herr Most, Herr Stöcker und Herr Majunke! Ganz recht! Ganz recht! Zum Beispiel die Kultur! Das heisst, nun ja, ich meine nur! Denn schliesslich, wie sie sich auch stellt, Bleibt doch das Endziel ihrer Reife Die Ueberschwemmung dieser Welt Mit Branntwein, Christenthum und Seife! Fragezeichen Der Peter spricht zum Bruder Paul: Der Zeitgeist ist ein alter Sünder Und stopfen können ihm sein Maul Nur Krupp'sche Vierundzwanzigpfünder! Doch Paul kann Peter nicht besehn, Weil er sein Lebtag nur gelungert Und meint, als wäre nichts geschehn: Du Peter, hast du mal gehungert? Auf alle Fälle Der grosse Kanzler Otto spricht, Ob's wahr, je nun, das weiss ich nicht: Der vielgesuchte Stein der Weisen Ist ein Gemisch aus Blut und Eisen! Zwar Standrecht giebt's und Festungswälle, Doch Eins bleibt wahr auf alle Fälle: Und ob der Kanzler zehnmal spricht, Ein braver Kerl, der forcht sich nicht! Frommer Wunsch Immer noch halten die uralten Fragen Nächtlich an unserm Lager Wacht, Denn das griechische Herz hat vergeblich geschlagen Und der griechische Geist hat umsonst gedacht. Die p.p. weltvernagelnden Bretter Versperren die Aussicht uns weit und breit – O, schlüge doch endlich ein heiliges Wetter In diese verfaulte Hallunkenzeit! Ein dunkles Blatt Lisch aus, du Gluth auf meinem Herd! In Nacht und Frost will ich verenden – Oft scheint das Leben mir nicht werth, Nur einen Vers dran zu verschwenden. Ihr aber fragt mich nicht, warum! Nicht Liebe mehr ist's, die ich suche: Ich weiss, die Welt dreht sich rundum, Auch wenn ich lachend sie verfluche! Ein altes Wort Weh, dass ich nie vergessen kann Das Wort im gestrigen Geschmack: Der Reichthum grunzt die Armuth an, Wie eine Sau den Bettelsack! Ein für alle Mal! Verhasst sind mir bis in den Tod Popogescheitelte Manieren – Doch zehn Mal lieber schwarzweissroth, Als mit dem Mob fraternisiren! Tafelspruch Blondes Bier und blondes Brod Machen dem Junggesellen die Backen roth, Blondes Geld und blonde Zöpfe Aber verdrehen ihnen die Köpfe. Zum Dessert Nicht jeder, der hinkt, Hat heut eine Chaise; Nicht alles, was stinkt, Ist Limburger Käse. Meine Freunde Der eine irrt mit Pinsel und Pallette Als Maler jetzt in Minnesota rum, Ist stets verliebt, schreibt englische Billette Und pfeift als Motto lustig: Homo sum! Der andre wieder weihte sein Genie Der urmodernen Eisenindustrie Und harmonirt als rother Jakobiner Aufs prächtigste mit seinem Mediziner! Das ist kein staubgenährter Dutzendgeist, Das ist ein Mensch, wie man ihn gerne leidet, Und manchmal, wenn er trockne Witze reisst, Ein Kerl, um den man selber sich beneidet! Doch hat zum Lächeln bitterwenig Zeit Die eselsgraue Rechtsgelehrsamkeit, Ochst Justinian und hilft mir Verse klügeln Und wird wohl nächstens ihren Lehrer prügeln. Bescheidner schon ist jener Chemikus, Der, schwarz bepinselt mit Retortenruss, Die üblen Folgen geistiger Diät Nur im historischen Roman entlädt. Doch unbekümmert um die ganze Blase, In einem Nichts die einzige Oase, Denkt still die Gottgelahrtheit nur: Pfui Deibel! Und schreibt ein Büchlein über – E. von Geibel! Kater Hinterm Ofen hängt verstummt Meine sogenannte Leier, Und mein armer Schädel brummt Wie nach einer Kirchweihfeier; Wie nach einer Kirchweihfeier Mir mein armer Schädel brummt Und auf ewig scheint verstummt Meine sogenannte Leier! Die Kritik als Epilog Dies schrieb ein Antihofpoet, Halb Kakerlake, halb Prophet. Er sang zu wenig mir piano Und roch verteufelt nach Guano. Zwar mancher wird ihm Beifall hageln, Doch darf's mir nicht das Hirn vernageln, Denn seht, sein ganzer Singsang hinkte: Er appellirte an die hässlichen Instinkte! Phantasus Ihm mit Staunen blickt ich nach; Doch, wenn mir die Kraft gebrach, Um ihm nachzuringen, Dacht' ich bang: genug! genug! Brechen müssen bei dem Flug Endlich seine Schwingen. Und es kam, wie ich gedacht: Um sein frühes Grab bei Nacht Flattert die Phaläne; Wo so oft er bei mir sass, Blieb ich einsam, und ins Glas Rieselt eine Thräne. Adolf Friedrich Graf von Schack Have anima candida! Armer Freund! Nicht hinter jedem Tempelvorhang verbirgt sich eine nackte Venus: dein Herz war mehr als gross, dein Herz war rein! O, dass jetzt der Todtenwurm um dein leuchtendes Lockenhaupt sein widriges Netz spinnt! Du starbst! Doch du starbst im Frühling und über dein frisch geschaufeltes Grab hin klagte die Nachtigall der Rose ihre ewige Sehnsucht .... Nein, der Frühling ist kein Kind! Die frommen Maler, die ihm zärtliche Schmetterlingsflügel an die Schultern logen, haben ihn nie auf seinem feuerschnaubenden Sturmross Nachts durch die Lüfte taumeln gesehn! Hat er nicht oft schon, droben im Bergwald, trotzige Wettertannen entwurzelt? Und schleudert der Thau, der vom Mantel ihm tropft, nicht Felsblöcke zu Thal? Felsblöcke, so gross wie Kirchthürme? Nein, der Frühling ist kein Kind! Ein Gigant ist der Frühling und seine Thaten sind Legion! Aber seine grösste war's doch, dass er dir das Herz brach! Denn ich weiss, du bist sein Liebling gewesen. Doch ich klage nicht! Was solltest du auch hier auf dieser närrischen Kugel? Das goldene Elend deiner Mitwürmer machte dich melancholisch und wenn ein Hammer auf seinen Ambos sauste, fuhr's dir durchs Herz wie ein Stich, denn die Zeit des dritten Testaments ist noch fern. Armer Freund! Wäre deine Seele, deine unsterbliche Seele, nicht von Krystall gewesen, sie wäre nicht zersprungen. Sie wäre nicht zersprungen und du selbst wärst jetzt glücklich. Glücklich, wie wir brutalen Kieselsteinseelen es eben sein können. Doch ich will nicht glücklich sein! Ich will nicht wie ein Thier sein und das Schwein zum Schwager haben! Ich pfeife auf ihre spiessbürgerliche Verdauungsmoral! Mein stilles Leben wird fortab ein Kampf sein. Und mein Lied ein Racheschrei. Ein wilder, blutrünstiger Aufschrei um dich und deine todten Hoffnungen, die hingemordeten Kinder deines Herzens! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . O, wie dunkel es ist! Lang, lang ist dem Schlaflosen die Nacht und Träume umgaukeln nur Kinder und Thoren! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wann, o ihr Brüder, wird uns das Frühroth, das ewige Frühroth, Erlösung ins Herz blitzen? Liegen wir knirschend und staubbesät nicht schmählich am Boden? Knirschend und staubbesät, wie gefesselte Titanen? Doch verzagen lasst uns nicht inmitten dieser blöden Bestien und falschen Schlangen! Wenn der Gebetriemen reisst, thut der Fluch seine Pflicht. Löwen weinen nicht, Löwen brüllen! Und der Weg zur Wahrheit führt durch den Kerker! Drum schaart euch zusammen, ihr Söhne des Ormuzd, lasst eure Banner sich mit Herzblut bespritzen und taucht sie golden ins Licht der Zukunft! Tod der Lüge! Mich aber lasst euern Winkelried sein, denn der Tod ist mein Freund und ich habe mehr zu rechten und zu richten als ihr! Seht ihr sie dort heranschleichen, die Enkel der Ahriman, die Priester des Moloch – vipernzüngig und katzenäugig? Wacht auf, ihr Götter in goldner Hochburg, denn euer Mord ist ihre Parole und ihr Feldgeschrei der Verrath! Ihre Waffen sind nicht assyrische Sichelwagen und indische Elephanten. Ihre Waffen sind vergiftete Pfeile und nur Wenige beseelt der Muth des Nahkampfs. Erst, wenn ihr Speerwald die Brust mir durchbohrt, wird mir wohl sein! Und so brech ich denn los: Tod der Lüge! Den Stahl in der Faust und im Herzen – eine Thräne. Armer Freund! 1. Ihr Dach stiess fast bis an die Sterne, Vom Hof her stampfte die Fabrik, Es war die richtge Miethskaserne Mit Flur- und Leiermannsmusik! Im Keller nistete die Ratte, Parterre gab's Branntwein, Grogk und Bier, Und bis ins fünfte Stockwerk hatte Das Vorstadtelend sein Quartier. Dort sass er nachts vor seinem Lichte – Duck nieder, nieder, wilder Hohn! – Und fieberte und schrieb Gedichte, Ein Träumer, ein verlorner Sohn! Sein Stübchen konnte grade fassen Ein Tischchen und ein schmales Bett; Er war so arm und so verlassen, Wie jener Gott aus Nazareth! Doch pfiff auch dreist die feile Dirne, Die Welt, ihn aus: Er ist verrückt! Ihm hatte leuchtend auf die Stirne Der Genius seinen Kuss gedrückt. Und wenn vom holden Wahnsinn trunken, Er zitternd Vers an Vers gereiht, Dann schien auf ewig ihm versunken Die Welt und ihre Nüchternheit. In Fetzen hing ihm seine Blouse, Sein Nachbar lieh ihm trocknes Brod, Er aber stammelte: O Muse! Und wusste nichts von seiner Noth. Er sass nur still vor seinem Lichte, Allnächtlich, wenn der Tag entflohn, Und fieberte und schrieb Gedichte, Ein Träumer, ein verlorner Sohn! 2. Durch eine unverdiente Gnade Die Sinne wunderbar erhellt, So wandl' ich sinnend diese Pfade, Mein Reich ist nicht von dieser Welt. Kein Erdenweib, vor dem ich kniete, Nein, schöner ist mein Herz entbrannt: Mich liebt die Göttin Aphrodite, Die Königin von Griechenland! Die goldne Traumwelt der Hellenen, In mir ward sie zur Melodie; Die ewge Schönheit ist mein Sehnen, Mein Flügelross die Phantasie. Kein Sänger drum, vor dem ich kniete, Mein Lied, es blitzt wie ein Demant: Mich liebt die Göttin Aphrodite, Die Königin von Griechenland! Seit unvordenklichen Aeonen War sie's schon, die das Scepter schwang, Und dienstbar sind ihr die Nationen Vom Aufgang bis zum Niedergang. Kein König drum, vor dem ich kniete, Denn purpurn wallt auch mein Gewand: Mich liebt die Göttin Aphrodite, Die Königin von Griechenland! Der Jnder nennt die Gottheit Brahma, Doch ach, schon anders der Buddhist; Ich bin mein eigner Dalai Lama, Ich bin mein eigner Jesus Christ! Kein Tempel drum, in dem ich kniete, Die ganze Welt ist mir ein Tand: Mich liebt die Göttin Aphrodite, Die Königin von Griechenland! 3. Die Nacht verrinnt, der Morgen dämmert, Vom Hof her poltert die Fabrik Und walkt und stampft und pocht und hämmert, Ein hirnzermarterndes Gequik! Die Nacht verrinnt, der Traumgott ruht nun, Die Welt geht wieder ihren Lauf, Zum Himmel spritzt der Tag sein Blut nun, Die Nacht verrinnt und seufzend thut nun Das Elend seine Augen auf! Die Schläfen zittern mir und zucken, Denk ich, o Volk, an deine Noth, Wie du dich winden musst und ducken, Dich ducken um ein Stückchen Brod! Du wälzst verthiert dich in der Gosse Und baust dir selbst dein Blutgerüst, Indess in goldener Karosse, Vor seinem sandsteingelben Schlosse Der Dandy seine Dirne küsst! Die Ritter von der engen Taille, Das sind die schlimmsten aus dem Corps, Sie schimpfen hündisch dich Kanaille! Und haun dich schamlos übers Ohr. Was kümmert sie's, wenn Millionen Verreckt sind hinterm Hungerzaun? Noch giebt's ja lachende Dublonen, Kasernen, Kirchen und Kanonen Und – köstlich mundet ein Kapaun! O sprich, wie lang noch soll es dauern, Das alte Reich der Barbarei! Noch stützen tausend dunkle Mauern Die feste Burg der Tyrannei. Doch ach, dein Herz ward zur Ruine, Du lächelst nur und nickst dazu! Denn auch der Mensch wird zur Maschine, Wenn er mit hungerbleicher Miene Das alte Tretrad schwingt wie du! 4. An seiner Kettenkugel schleppe, Wen nie sein Sclaventhum verdross, Doch mich trägt wiehernd durch die Steppe Arabiens weissgestirntes Ross. Ein grüner Turban schmückt das Haupt mir, Von Seide knittert mein Gewand, Und jeder Muselmensch hier glaubt mir, Ich wär der Fürst von Samarkand! Das Land, das ewig norddurchwehte, Ich sprach mich grollend von ihm los, Ein Perser bin ich nun und bete Allah il Allah, Gott ist gross. Ein grüner Turban schmückt das Haupt mir, Von Seide knittert mein Gewand, Und jeder Muselmensch hier glaubt mir, Ich wär der Fürst von Samarkand! Im Schatten einer Tamariske Winkt gastlich mir ein weisses Zelt Und drin die schönste Odaliske, Die allerschönste von der Welt. Ein grüner Turban schmückt das Haupt mir, Von Seide knittert mein Gewand, Und jeder Muselmensch hier glaubt mir, Ich wär der Fürst von Samarkand! Beim Nektar der verbotnen Rebe Fällt mir wohl manch ein Skolion ein, Doch da ich Lieder eben lebe, Lass ich sie ungesungen sein. Ein grüner Turban schmückt das Haupt mir, Von Seide knittert mein Gewand, Und jeder Muselmensch hier glaubt mir, Ich wär der Fürst von Samarkand! 5. Und wieder hat das Rad der Stunde Sich zwölfmal um sich selbst gedreht, Und wieder fühlst du deine Wunde Und ächzst und stöhnst wie Philoktet! Denn dir, auch dir rollt's durch die Adern Und durchs Gehirn wie heisses Blei; Gigantisch thürmst du deine Quadern, Mit Gott im Himmel willst du hadern Und deine Seele ringt im Schrei! Dein Herz steht wie die Welt in Blüthe, Gehüllt in silbergrauen Dunst, Und mächtig fühlst du's im Gemüthe: Du bist ein Priester deiner Kunst! Des Lebens goldne Kronen winken, Die Rosen stehen weiss und roth; Du fühlst sie duften, siehst sie blinken, Doch scheu musst du vorüberhinken, Denn ach, dir fehlt dein täglich Brod! Beneidenswerth in Forst und Fluren Das Schwein um seine Eichelmast! Die ärmste aller Kreaturen Ist doch ein dichtender Phantast! Der Bettler dort an seiner Krücke, Er ist nicht halb so arm wie du ... Dir brach dein Himmel wüst in Stücke, Er aber träumt von seinem Glücke – O Gott, nur zu, nur immer zu! Du Licht, das mir ins Hirn gelodert, Wozu die alte Litanei? Ist doch so viel hier schon vermodert, O, wärst auch du, auch du vorbei! Dann wär der alte, blinde Lärmer Ein dunkelbraunes Klümpchen Lehm; Dann wär die Welt um einen Schwärmer, Um einen Hirnverrückten ärmer Und rollte weiter, wie vordem! 6. Ein Königreich für eine Leier! Zwar eine Krone trug ich nie, Doch ihren bunten Majaschleier Wand mir um's Haupt die Poesie. Die dunkle Nacht, die mich geboren, Hat sie als Sternbild süss erhellt; Sie sprach: Sei du der Thor der Thoren, Denn dein Herz ist das Herz der Welt! Wer träumt so straflos unter Palmen, Wie wir, mein Liebling, ich und du? Der Urwald rauscht mir seine Psalmen, Das Weltmeer seine Hymnen zu. Ich höre Nachts, wenn fern im Fernen Ein Schakal in das Mondlicht bellt, Und spiele Fangball mit den Sternen, Denn mein Herz ist das Herz der Welt! Als Tod mit Stundenglas und Hippe Schlich ich um manchen morschen Thurm, Der Aar gehört in meine Sippe Und Bruder nenn ich jeden Wurm! Selbst jene Sonne, die seit Newton Sich rhytmisch um sich selber schnellt, Mit meinem Hirn muss sie verbluten, Denn mein Herz ist das Herz der Welt! Von Capland, Mexiko bis Medien, Gefunden ist der Weisheit Stein! Von allen Bergen will ich's pred'gen, In alle Herzen will ich's schrein! Und ist das All auch nur ein Plunder, Der lachend einst in nichts zerfällt: Ich bin das Wunder aller Wunder, Denn mein Herz ist das Herz der Welt! 7. Die Nacht liegt in den letzten Zügen, Der Regen tropft, der Nebel spinnt ... O, dass die Märchen immer lügen, Die Märchen, die die Jugend sinnt! Wie lieblich hat sich einst getrunken Der Hoffnung goldner Feuerwein! Und jetzt? Erbarmungslos versunken In dieses Elend der Spelunken – O Sonnenschein! O Sonnenschein! Nur einmal, einmal noch im Traume Lasst mich hinaus, o Gott, hinaus! Denn süss rauscht's nachts im Lindenbaume Vor meines Vaters Försterhaus. Der Mond lugt golden um den Giebel, Der Vater träumt von Mars-la-Tour, Lieb Mütterchen studirt die Bibel, Ihr Nestling colorirt die Fibel Und leise, leise tickt die Uhr! O goldne Lenznacht der Jasminen, O wär ich niemals dir entrückt! Das ewge Rädern der Maschinen Hat mir das Hirn zerpflückt, zerstückt! Einst schlich ich aus dem Haus der Väter Nachts in die Welt mich wie ein Dieb, Und heut – drei kurze Jährchen später! – Wie ein geschlagner Missethäter, Schluchz ich: Vergieb, o Gott, vergieb! Wozu dein armes Hirn zerwühlen? Du grübelst und die Weltlust lacht! Denn von Gedanken, von Gefühlen, Hat noch kein Mensch sich satt gemacht! Ja, Recht hat, o du süsse Mutter, Dein Spruch, vor dem's mir stets gegraust: Was soll uns Shakespeare, Kant und Luther? Dem Elend dünkt ein Stückchen Butter Erhabner als der ganze Faust! 8. O, lasst mir meine Himmelsleiter! Und fragt mich nicht: Woher – wohin? Nur weiter, weiter, immer weiter ... Ihr wisst ja doch nicht, wer ich bin! Ich bin ein Adler und ich fliege, Die Ewigkeit ist mein Gewand, Das Herz der Welt ist meine Wiege, Die Menschheit ist mein Vaterland! Noch grub kein leuchtender Gedanke Sich tief in eines Denkers Stirn, Der nicht schon, stolz auf seine Schranke, Gelodert hier durch dies Gehirn! Ich bin ein Adler und ich fliege, Die Ewigkeit ist mein Gewand, Das Herz der Welt ist meine Wiege, Die Menschheit ist mein Vaterland! Die Länder mein und mein die Meere, So weit die Sonne sie bescheint, Und ich bin's, dem die Bajadere Im Tanz noch blutge Thränen weint. Ich bin ein Adler und ich fliege, Die Ewigkeit ist mein Gewand, Das Herz der Welt ist meine Wiege, Die Menschheit ist mein Vaterland! Wohl frass die Zeit mit ihren Zähnen Schon manchen goldnen Heilgenschein, Ich aber schüttle meine Mähnen Und war und bin und werde sein. Ich bin ein Adler und ich fliege, Die Ewigkeit ist mein Gewand, Das Herz der Welt ist meine Wiege, Die Menschheit ist mein Vaterland! 9. Der Mond blitzt durch die Fensterscherben Ums dunkle Dachwerk pfeift der Wind, Und Nachbars Lieschen liegt im Sterben Und ihre Mutter weint sich blind. Das Haar gebleicht von tausend Sorgen, Im dünnen Kleidchen von Kattun, Erwartet sehnlich sie den Morgen, Der Apotheker will nicht borgen, Der Doktor hat »zu viel zu thun«! Der Märznacht goldne Sterne scheinen, Ihr Himmel deckt uns alle zu: Hör auf, du Mütterchen, mit Weinen, Dein Kind ist besser dran, als du! Es braucht nicht nähend mehr zu sputen Sich spät bis in die Nacht hinein, Und wenn die Lüfte sie umfluthen Und roth die Rosen wieder bluten, Spielt um sein Grab der Sonnenschein! Die Noth im löchrigen Gewande Zertritt die Perle der Moral; Das Loos der Armuth ist die Schande, Das Loos der Schande das Spital! Ja, jede Grossstadt ist ein Zwinger, Der roth von Blut und Thränen dampft; Drum hütet euch, ihr armen Dinger, Denn diese Welt hat schmutzge Finger – Weh, wem sie sie ins Herzfleisch krampft! Da horch! ein langgezognes Stöhnen Und jetzt ein wilder, geller Schrei! Was thut's? Man muss sich dran gewöhnen! Hier hiess es wieder mal: Vorbei! Schon übermorgen karrt der Racker Das arme Mädchen vor die Stadt, Und niemand kennt den Todtenacker, Darauf beim öden Sterngeflacker Ein Herz sein Glück gefunden hat! 10. Ich schwamm auf purpurner Galeere Durchs dunkelblaue Griechenmeer, Da auf der Insel der Cythere Traf ich den Juden Ahasver. Und weiter fuhren die Gefährten, Er aber ward mein Weggenoss Und sprach: Nun zeig ich dir die Gärten, Die Gärten des Okeanos! Die Welt, ich habe sie durchmessen, Doch farblos schien mir Luft und Land; Nur ein Bild hab ich nie vergessen, Nur eins ist werth, dass es entstand: Das ist die Zukunft der Verklärten, Das ist des Meergotts grünes Schloss, Das sind die wunderbaren Gärten, Die Gärten des Okeanos! Ich weiss, du bist ein deutscher Dichter, Und ewig ruhlos bist du auch, Wir sind zwei ähnliche Gesichter Und um uns weht der gleiche Hauch. Doch komm, der Kummer, den wir nährten, Wankt wie ein thönerner Koloss, Wenn wir uns tummeln durch die Gärten, Die Gärten des Okeanos! Er sprach's, wir thaten's und die Jahre Sie rollten tönend drüber her, Doch immer ist mir's noch, ich fahre Durchs dunkelblaue Griechenmeer. O, dass die Götter mir gewährten, Dereinst, wenn sich mein Leben schloss, Ein selig Ende in den Gärten, Den Gärten des Okeanos! 11. Nun hat der Morgen seine Thore Phantastisch wieder aufgethan, Und seine goldne Tricolore Weht hoch aus jedem Wolkenkahn. Nur hier in diesen dumpfen Mauern Zum Fluch wird er dem Proletar, In allen Ecken seh ich lauern, In allen Winkeln seh ich kauern, Dämonen, die die Nacht gebar! Mein letztes Licht ist längst erloschen Und fahl durchs Fenster lugt die Noth, Denn dies hier ist der letzte Groschen Und dies das letzte Stückchen Brod! Verlacht, verludert und verloren, Das alte: Weder Glück noch Stern! Fürwahr, ich bin der Thor der Thoren! O Mutter, wär ich nie geboren! O schöne Zeit, wie liegst du fern! Auf wilder, meerverschlagner Planke, Ein Schiffer bin ich, der versinkt; Mein letzter Stern ist ein Gedanke, Der leuchtend mir vom Himmel blinkt. Ein fernes Eiland seh ich ragen, Doch wirft die Fluth mich stets zurück; O, will's denn immer noch nicht tagen? Noch gilt's zu wetten und zu wagen, Denn jenes Eiland wiegt mein Glück! Schon thut mir, wie wenn Glocken klingen, Die Zukunft ihre Wunder kund – Ein Stammeln nur ist jetzt mein Singen, Ein Stammeln wie aus Kindermund! Du Schöpfer aller Harmonieen, O, gieb mir Luft, o gieb mir Licht! Im Staube sieh mich vor Dir knieen, Denn eine Welt von Melodieen Geht unter, wenn dies Herz zerbricht! 12. Schlag zu, mein Herz, die Flocken treiben Nicht wie im Winter mehr ums Dach! Der Frühling pocht an meine Scheiben Und tausend Wunder werden wach! Das Licht führt seine goldnen Funken Tagtäglich wieder nun ins Feld, Und mir im Herzen jubelt's trunken: O Gott, wie schön ist Deine Welt! Wie lieblich nur durchs offne Fenster Der Maiwind mir die Schläfen kühlt! Lebt wohl, ihr grübelnden Gespenster, Die winterlang mein Hirn durchwühlt! Als wär ich gestern erst genesen Das Herz ist mir so süss erhellt – So wohl ist mir noch nie gewesen: O Gott, wie schön ist Deine Welt! Hervor, hervor aus deiner Hülle, Du liebes Bildchen meiner Fee! O, dieser Locken goldne Fülle! O, dieses Busens weisser Schnee! Und wölbt sich über deiner Krone Auch purpurroth ein Throngezelt, Dein Herz schlägt doch dem Liedersohne – O Gott, wie schön ist Deine Welt! Doch still, mein Herz, was soll dein Pochen? O Tod, du kommst zur rechten Zeit! Das Schwert der Trübsal liegt zerbrochen ... Sei mir gegrüsst, o Ewigkeit! Beim Frühling hab ich tausendkehlig Ein Lerchengrablied mir bestellt: So sterb ich jubelnd, sterb ich selig – O Gott, wie schön war Deine Welt! 13. Und als der Morgen um die Dächer Sein silbergraues Zwielicht spann, Da war der arme, bleiche Schächer Ein stummer und ein stiller Mann. In seines Mantels grauen Falten, So lag er da, kalt und entstellt – Führwahr, er hatte Recht behalten, Sein Reich war nicht von dieser Welt! Ein goldnes Sonnenstäubchen tippte Ihm auf die Stirn von ungefähr Und seine lieben Manuscripte Verschloss der Armencommissär. Sein Freund, der Doctor, aber zierte Brutal sich durch das Kämmerlein Und schneuzte sich und constatirte Verhungert! auf dem Todtenschein. Drei Frühlingstage später karrten Ihn Armenklepper vor das Thor! Ich sah's noch, wie sie ihn verscharrten – Die Sonne lachte, doch mich fror! Mich fror, und meine Hände suchten Umsonst zu würgen meinen Schmerz Und meine bleichen Lippen fluchten ... O Gott, mein Herz, mein armes Herz! So stand ich und vermaledeite Die Welt bis in ihr Nichts hinab; Der goldne Frühling aber schneite Ihm lächelnd Rosen übers Grab. Schon nahten unsichtbaren Zuges Die grossen Geister alter Zeit, Und drüber schwebte leisen Fluges Der Genius der Unsterblichkeit! Ein Abschied Ich sah nach jedem Giebeldach, Mir war's, als riefen sie mir nach: Fahr wohl, Gesell, fahr wohl! Und mit dem Abschied war's vorbei, Nun ist mir Alles einerlei, Wohin ich wandern soll! Otto Roquette Sein Freund, der Thürmer, war noch wach, Wie Silber gleisste das Rathhausdach, Und drüber stand der Mond. Er wusste kaum, wie schwer er litt, Doch schlug ihm das Herz bei jedem Schritt, Und das Ränzel drückte ihn. Die Gasse war so lang, so lang, Und dazu noch die Stimme, die über ihm sang: Wann's Mailüfterl weht! Jetzt bog sich ein Fliederstrauch über den Zaun, Und die Mutter Gottes, aus Stein gehaun, Stand weiss vor dem Domportal. Hier stand er eine Weile still Und hörte, wie eine Dohle schrill Hoch oben ums Thurmkreuz pfiff. Dann löschte links in dem kleinen Haus Der Löwenwirth seine Lichter aus, Und die Domuhr schlug langsam zehn. Die Brunnen rauschten wie im Traum, Die Nachtigall schlug im Lindenbaum, Und Alles war wie sonst! Da riss er die Rose sich aus dem Rock Und stiess sie ins Pflaster mit seinem Stock, Dass die Funken stoben, und ging. Das Lämpchen flackerte roth überm Thor, Und der Wald, in den sich sein Weg verlor, Stand schwarz im Mondlicht da ... Erst droben auf dem Heiligenstein Fiel ihm noch einmal Alles ein, Als der Weg um die Buche bog. Die Blätter rauschten, er stand und stand Und sah hinunter unverwandt, Wo die Dächer funkelten! Dort stand der Garten und dort das Haus, Und jetzt war das aus, und jetzt war das aus, Und – die Dächer funkelten! Sein Herz schlug wild, sein Herz schlug nicht fromm: Wann i komm, wann i komm, wann i wiederkomm! Doch er kam nie wieder. Zum Ausgang O bleicher Tod, o wolle mir nicht nahn, Eh ich für mein Geschlecht etwas gethan, Ich bete auf zu meinem Gott und Herrn: Für eine schöne Sache stürb ich gern. Fürs Recht der Menschheit und der neuen Zeit, Wie wär es schön, zu fallen in dem Streit; Bei dem gebrochnen Erz der Tyrannei, Wie stürb es sich im Felde froh und frei! O, läg ich dann wie heut in selger Pein Auf einem grünen Bühl im Abendschein Und dürfte sprechen, auf der Brust die Hand: Du kennst dein Kind, mein schönes Vaterland! Alfred Meissner Ein Stück von meinem Selbst ist dieses Buch Und roth von meinem Herzblut jedes Lied; Mit ihm stell ich mich kühn in Reih und Glied – Der Dichtkunst Segen ward in mir zum Fluch! Doch sei's, ich trag's. Nicht wär ich ein Poet, Wollt ich mich anders geben, als ich bin; Auch liegt ein Wort, ein altes, mir im Sinn: Oft hilft ein Fluch uns mehr als ein Gebet! Und wahrlich, diese Zeit gleicht jener nicht, Die uns das Alterthum als goldne pries, Denn jeder Lüge lacht ein Paradies Und jeder Wahrheit droht ein Hochgericht! Schon küsst die Welt ein bleiches Abendroth, Die alte Griechensonne des Homer Hat sich ertränkt ins teifundunkle Meer, Und seine Sense schärft der schwarze Tod. Kein Stern, der farbig durch die Wolken bricht, Kein Traum, der kühlend um die Schläfen weht, Kein Lied, das Wunder thut wie ein Gebet, Kein Herz, das heimlich mit sich selber spricht! Doch tappt sich hüstelnd durch die dunkle Nacht Ein böses Ding und pocht an deine Thür Und zischt wie eine Viper: »Komm herfür, Ich bin das Herz, womit die Sünde lacht! Ich weiss, auch du bist nur ein Kind der Zeit, Das mit der Welt und mit sich selber grollt: Ich aber wate bis ans Knie in Gold Und höre, wie dein Herz nach Wollust schreit. Komm mit, in meinem Lusthaus wohnt das Glück: Du trittst hinein, und singend drehn um dich Vielhundert weisse Dirnenleiber sich Und schlank wirft sie mein Spiegel dir zurück. In dunkler Nische küsst es sich so schön! Und folgst du, süsser Junge, mir, dann klingt, Wenn einst dein Herzschlag müde wird und hinkt, Dein Todesröcheln noch wie Lustgestöhn!« So bläst es frech dir nachts durchs Schlüsselloch, Der Regen rinnt, ums Dachwerk heult der Sturm, Dir aber war's, als ob ein feister Wurm Dir todtkalt übers warme Herz hin kroch. Und zornig springst du auf und schlägst dir Licht Und prallst zurück, geekelt und enfsetzt, Denn vor dir steht, triefäugig und zerfetzt, Ein altes Weib und grinst dir ins Gesicht. Dann schreist du auf, denn dumpf hast du gefühlt, Wie dir ein Etwas kalt die Kehle presst: »Heb dich hinweg von mir, du bist die Pest! Du bist die Pest, die sich in Leichen wühlt!« Sie aber höhnt: »Pardon, Herr Optimist! Das ist die Frau von meinem Schwiegersohn! Nein, ich bin mehr, ich bin die Corruption! Die Corruption, die dich lebendig frisst! Was hat man doch nicht alles schon verdaut! Recht! Wahrheit! Ehre! Freiheit und so fort! Doch ist gesetzlich mein Metier, der Mord, Denn jeder König nennt mich »süsse Braut«! Doch bist du klug, dann geize nach Applaus Und gieb's nicht weiter, was ich dir entdeckt, Sonst wirst du sans façon ins Loch gesteckt Und deine liebe Mitwelt lacht dich aus. Im härenen Gewand seh ich dich stehn, Dein Wappen ist ein weisses Todtenbein – Du Thor, willst du denn einzig Büsser sein, Indess die Andern sich im Taumel drehn? Zerbrich den Fetisch, den du selbst geschnitzt! Die Welt ist eine grosse Illusion, Drum küsse lachend dich auf ihren Thron, Auf dem das Glück, die goldne Metze, sitzt! Das bunte Traumbild deiner Phantasie, Ich will ihm Fleisch und Blut und Leben leihn, Nur stammle einmal: Mutter, ich bin dein! Und wirf dich betend vor mir auf dein Knie!« So wälzt von deiner Brust sie Stein um Stein, Sie schnitzt sich Pfeile und sie weiss, sie trifft, Und immer tiefer tropft sie dir ihr Gift Durchs offne Ohr ins offne Herz hinein. Du aber stehst und brütest vor dich hin Und fühlst, wie dir das Blut zu Eis gefriert, Und ehe noch der Hahn kräht, triumphirt Die dreimal zischelnde Versucherin. Vergessen hast du nun den alten Schwur, Den deine Jugend einst zum Himmel that, Durch deine Adern wühlt der Selbstverrath Und dir im Herzen thront die Unnatur. Todt ist es, todt! Dein Bauch ist dein Idol Und dein Gewissen wie dein Goldgeld rund, Du liegst im Staub und wedelst wie ein Hund Und Lüge, Lüge lacht dein Weltsymbol. Du streichst dein Kinn und zupfst an deinem Bart Und siehst im Spiegel lächelnd dein Gesicht Und räusperst dich und merkst es selber nicht, Dass jeder Zoll an dir zum Schurken ward. Du bist ein Schuft, den nicht sein Handwerk reut, Ein Schuft, der's »gut« meint mit der »bösen« Welt, Ein Schuft, der sich für furchtbar ehrlich hält, Und so wie du, sind's Millionen heut!! Ihr lebt ja alle, alle nur vom Schein Und heult und winselt: Recht hat nur die Macht! Und Euch soll dieses Buch ein Anker sein, Ein Hoffnungsanker, der den Sturm verlacht?! Ich Thor! dass ich, gerührt vom Schrei der Noth, Mein warmes Herzblut in mein Lied verspritzt! Dass ich nicht donnerte, dass ich geblitzt! Dass ich euch Kampf bot, Kampf bis in den Tod! Nun wird dies Buch, verlästert und verkannt, Von Herz zu Herz um Liebe betteln gehn, Vor vielen Thüren wird es trauernd stehn, Nur hie und da drückt's eine Freundeshand. Und doch, was fasl' ich da? Ihr habt ja Recht! Es ist zu wenig à la mode-Kost, Es ist kein nachgemachter Talmimost, Und seine Thränen sind mitunter echt! Ich weiss, dass heut Begeistrung schnell verdampft, Vielleicht ist's schon mit diesem Ding vorbei, Ist's doch kein alter Mythologenbrei, Scenifizirt und in Musik gestampft! Und doch: wenn diese Blätter auch verwehn, Die Frühlingsthatkraft, die sie werden liess, Die Gottidee, die sie erstarken hiess, Sie kann und darf und wird nicht untergehn! Schon wirft sie leuchtend durch den Zeitengraus Fern in die Zukunft ihren Feuerschein – Ihr will ich jubelnd mich zum Priester weihn, Ihr giess ich trunken dieses Opfer aus!