Arno Holz
Buch der Zeit
Lieder eines Modernen
Widmungsepistel
Seinem lieben Freunde
Emil Richter
der Verfasser.
Dir, den ich freudig meinen Bruder nenne,
Sei dieses Büchelchen hier dedicirt,
Zu dessen Autorschaft ich mich bekenne,
Obgleich es streng genommen mich genirt;
Denn sieh, es ist zu frei in seinem Tone
Und hier und da vermiss ich die Schablone.
Doch sei's! Bespucken mich auch links und rechts
Die alten Weiber beiderlei Geschlechts,
Du weisst ja selbst, ich sag es unverfroren;
An
meiner
Wenigkeit ist nichts verloren!
Als Motto über meine Weltkarriere
Setz ich vergnügt per Gummitopf und Scheere
Den Schluss des Beranger'schen Scherzgedichts:
Als Gott mich schuf, da sprach er: Werde nichts!
Wozu sich auch dies winzge Spännlein Zeit
Auf diesem Erdstaubkörnlein noch verkürzen,
Anstatt mit ungestümer Freudigkeit
Dem süssen Leben heiss ans Herz zu stürzen?
Ich trug noch nie, vom Sturm umhergetrieben,
Warum im Zorn mich die Natur erschuf;
Die Götzen hassen und die Götter lieben
Dünkt mir der einzig menschliche Beruf.
In allen Himmeln weil ich weltvergessen
Und immer höher nehm ich meinen Flug,
Und mit Papier verkleb ich unterdessen
Die Fensterscheiben, die der Wind zerschlug!
Ein grimmer Todfeind aller Jeremiaden,
Missbrauch ich Tinte, Feder und Papier
Als Dichterling von meinen eignen Gnaden
Und unverbesserlicher Verspolier.
Nach Amt und Titel seh ich tausend schnappen,
Im Golde wühlt der jüdische Banquier,
Ich aber kuck vergnügt durch all die Lappen
Der Welt bis in ihr tiefstes Negligee.
Und wird es auch tagtäglich immer bunter,
In
meinem
Reich geht
nie
die Sonne unter!
Denn alle Wunder dieser Welt sind mein:
Der Chimborasso und der Drachenstein,
Timbuctu, die Ruinen von Palmyra
Und Memnons steingeformte Sonnenlyra.
Die alten Völker und die alten Zeiten
Stehn leuchtend auf, wenn sie mein Lied beschwor
Und hört es gar die Griechengötter schreiten,
Dann wird mein Herz gross wie ein Tempelthor!
Ein Luftschloss baut mir jedes Körnchen Sand
Von Heliopolis bis Niniveh,
Auch wohnt ein Freund von mir in Samarkand,
Am Südpol und am Titikakasee!
Vertraut ist mir die Weisheit des Confuz
Wie die des Mannes aus dem Lande Uz,
Und Altchaldäas graue Zeichendeuter
Sind mir verständlich wie ein Band Fritz Reuter!
Selbst was die Isispriester in Aegypten
Einst klug versenkt ins Pyramidengrab,
Auf mein Geheiss entsteigt es seinen Krypten,
Und wirlt den tausendjährigen Moder ab!
Doch greift zumeist ans Herz der Kreatur
Die süsse Schönheit dieser Allnatur.
Was soll der Himmel dem und seine Pracht,
Den sie zurückstösst in die alte Nacht?
O, lieber sündhaft und von Fleisch und Bein,
Als transcendent und wie die Engel sein!
Mein goldner Liebling ist die Morgenröthe,
Die freudig aufsteigt überm dunklen Tann,
Und, wenn ich's will, stimmt, weich wie eine Flöte,
Die Sommernacht ihr dunkles Waldlied an!
Die Sterne kreisen, bis mein guter Wille
Sein winzig Tintenscepterlein verlor,
Und seine goldgefasste Rosenbrille
Lieh mir der alte Weltkauz Gott Humor!
Der Wald steht wie ein beinernes Gerippe
Vor Kälte klappernd im Novemberwind,
Doch nur ein einzig Lied von meiner Lippe
Und siehe, all sein Wintereis verrinnt!
Die Quelle, die begraben unter Gletschern,
Denkt wieder silbern an ihr süsses Plätschern,
Und tausend wundergrüne Blättlein singen
Wie Aeolsharfen, die im Lenzwind klingen ....
Das wilde Meer und seine wilden Riffe
Sind mir vertraut wie nur ein Hälmchen Gras,
Und mehr als Ein Mal liess ich meine Schiffe
Erbarmungslos zerschellen wie ein Glas.
Was sollte
mir
wohl auch ein Schock Matrosen,
Wo eine Welt mir licht zu Füssen lag,
Und neugeschaffen jeder neue Tag
Mich überschüttete mit rothen Rosen?
Drum lächle ich, wenn meine Herrn Collegen
Sich tragisch vor den grossen Spiegel stellen,
Dort ihren Missmuth wie ein Aeffchen hegen
Und sich ihr bischen Leben selbst vergällen.
Zuwider sind mir jene faden Possen
Von einem ewigen Pessimistenleid,
Denn ich bin jung und noch zu tief verschossen
In Gottfried Kellers »grüne Erdenzeit!«
Ich trinke ihre Luft in vollen Zügen
Mit Wipfelwehen, Licht und Adlerschrei,
Und kein Talarmensch soll mich fromm belügen,
Dass diese junge Liebe »sündhaft« sei!
Lasst nur die ewig biblischen Asketen
Sich
selbst
in die Kameelshaartoga zwängen
Und nicht uns junge, lachende Poeten,
Die sich den Himmel noch voll Geigen hängen!
Zwar hab ich dann und wann »verrückte Touren«,
Doch zieh ich niemals vor mir selbst den Hut
Und braue meine lyrischen Mixturen
Aus Zuckerwasser und Tyrannenblut!
Auch bin ich Heide und als solcher cynisch
Und hasse nichts so wie die Prüderei,
Steh nicht zum Besten mit der Polizei
Und bin vor allem Eins nicht: misogynisch!
Ja, ich geb's zu: Ein Weltkind bin auch ich
Und mag es leiden, »wenn der Becher schäumt«,
Und weiss trotz Don Juan wie süss es sich
An einem schönen Weiberherzen träumt!
Drum würgen möcht ich jene schwarzen Heuchler,
Die auf den Kanzeln jesuitisch flennen
Und hinterrücks als feige Unschuldsmeuchler
Die denkbar schlüpfrigsten Finessen kennen!
Ein Narr, wer heut sich nicht zu helfen weiss:
Erst schielt dies christlich frömmelnde Geschmeiss
Nach vollen Brüstchen und nach drallen Wädchen
Und dann – schreibt's Andachtsbücher und Traktätchen!
Doch dies und Andres auszusprechen,
Ist heut ein Majestätsverbrechen;
Denn »echt« kann man als Dichter sein
Nur harmlos wie Hans Huckebein!
Zwar glaub auch ich, dass unsre Ahnen Affen,
Doch will ich heut mal mythologisch sein
Und sage, Gott hat Eva nackt geschaffen,
Das Feigenblättchen kam erst hinterdrein!
Doch, Ihr verzeiht! Ich wollte ja dies Thema
Als all zu spitz nicht länger mehr tractiren,
Auch nöthigt mich zudem mein dummes Schema
Mich schleunigst in ein Andres zu verlieren!
Da sind vor allem jene Glaubenseifrer,
Die Finsterlinge und die Weltbegeifrer,
Die überall, wo sie noch Herzblut wittern,
Uns unser Leben demuthsvoll verbittern!
Zwar immer opfert noch der Riese Wahn
Dem alten Vicegott im Vatikan
Und immer schneidern sich noch die Germanen
Aus Christi Windeln bunte Kirchenfahnen:
Doch ob er manchmal auch ihr Glück zerfrisst,
Der
beste
Freund der kranken Menschheit ist
Vom Oelberg bis zur – Reim her! – hohen Eifel
Der alte Weltprofessor
Doctor
Zweifel!
Vermorscht ist endlich in sich selbst die Zeit
Der hohlen Köpfe und der leeren Worte
Und ihrem sichern Untergang geweiht
Sankt Peters kahlgeschorne Schmutzcohorte!
Doch glaub nicht, dass man als »Tendenz«-Poet
Die »Segnungen der Kirche« nicht versteht!
In manchem Münster nistete die Taube,
Vor der Legende bog die Welt ihr Knie;
Des Mittelalters frommer Köhlerglaube,
Ich weiss es wohl, auch er war Poesie!
Im Klostergarten wehten grün die Eiben
Und man vergass so gern den grellen Tag,
Wenn zitternd durch die buntbemalten Scheiben
Das Mondlicht silbern auf den Fliesen lag!
Doch jene Welt gebiert sich nimmer wieder,
Denn unsre Zeit nennt sich die Zeit des Lichts
Und andre Menschen wollen andre Lieder
Und für's Gewesne – giebt der Jude nichts!
Man
glaubt
nicht mehr an »himmlische Gesichte«
Und flüchtet skeptisch sich ins Voltairethum:
»Der grösste Schwindel dieser Weltgeschichte,
Der grösste Humbug ist das Christenthum!«
Noch war, seit es die »Heiden« sich geduckt,
Kein Tag, an dem es nicht sein Blut geschluckt!
Und wagt sich frömmelnd pfäffische Sophistik
An die Behauptung, dass mein Vorwurf hinkt,
Dann schlagt nur nach die grause Blutstatistik,
Die wie ein Schandpfuhl wüst zum Himmel stinkt!
Millionen hörte die Geschichte jammern
Auf Scheiterhaufen und in Folterkammern,
Denn jenes Kreuzbild schreckte Mann und Weib,
Ja, selbst den Embryo im Mutterleib!
Von ihrer »Bruder«-Liebe sprach sie viel,
Der ewige Friede war ihr köstlich Ziel,
Doch wenn sie fromm in Köln die Juden hetzte
Und ihren Fuss in die Sevennen setzte,
Dann war die Kirche, dieses Schlangennest,
Erbarmungsloser als die schwarze Pest!
Doch enden wird auch dieser grause Fluch,
Denn jung ist unsre Zeit und wenig zahm
Und unterschrieb in ihrem Wörterbuch
Das alte Wuthwort: Écrasez l'Infâme!
Ja: erst wenn
abgethan
sammt Stab und Stola
Die alte Lügenmutter des Loyola,
Erst dann wird uns geheiligt Brod und Wein
Und jedes Mahl ein Mahl der Liebe sein!
Es ist die Welt mit ihren grünen Landen
Ein braves Wohnhaus und kein Lazareth,
Und Niemand hat sie ärger missverstanden,
Als jener Zimmrerssohn aus Nazareth.
Das heisst, nur jener, den die Pfaffen lehren,
Nicht jener, den wir heut noch selber ehren!
Für mich ist jener Rabbi Jesus Christ
Nichts weiter, als – der erste Sozialist!
Auch sag ich, nützlicher als alle Bibeln
Sind momentan uns unsre Volksschulfibeln!
Denn nur ein Narr beugt heut noch seinen Nacken
Vor Göttern, die – aus Weizenmehl gebacken!
Mein Lieblingsbuch betitl' ich Don Quixote
Und bin in Glaubenssachen Sansculotte.
Doch pfeif ich auch auf alles Jenseitsheil,
So bin ich darum noch kein Gottverächter,
Nur glaub ich stramm, der Menschheit bestes Theil
Ist jenes althomerische Gelächter!
Vorzüglich, wenn, umspickt von Bayonetten,
Ihr noch energisch die Geduld nicht riss
In einer Aera der Papiermanschetten,
Des Lustmords und der Syphilis!
Doch dies und andres auszusprechen
Ist heut ein Majestätsverbrechen;
Denn »echt« kann man als Dichter sein
Nur harmlos wie Hans Huckebein!
Ging ich schon wieder blindlings in die Falle,
Die mir mein eigner harter Kopf gestellt?
Ja, sie hat Recht die alte Dame Welt:
In meiner Tinte gährt ein wenig Galle!
Doch wer wird heute noch die Hände falten,
Wer ballt sie lieber nicht zur grimmen Faust,
Wenn ihm in hundert wechselnden Gestalten
Die p.p. Peitsche um die Ohren saust?
Wer wird zum Rosenkranz Gebete plappern,
Wenn er verhungernd hinterm Eckstein hockt,
Wenn ihm vor Winterfrost die Zähne klappern,
Wenn ihm das Blut in allen Adern stockt?
Die »dummen« Völker sind es endlich satt,
Die Hände ihrer Henker fromm zu küssen,
Schon rollt ihr Zorn in bleigeschmolznen Flüssen
Von Land zu Land hin über Dorf und Stadt!
Schon reckt gespenstisch die soziale Frage
Aus Nacht und Noth ihr rothes Drachenhaupt,
Der Baum des Friedens trauert nackt entlaubt
Und alles Glück ward eine fromme Sage!
Die Legion der Armen dieser Welt
Hat roth in eine Phalanx sich gestellt,
Und wild ihr Wuthschrei durch die Lüfte zieht:
Gebt uns nicht Brod, nein, gebt uns Dynamit!
Wir sind es müd, uns wie das Vieh zu placken,
Wir harren brünstig auf den grossen Rächer;
Der wird Euch herrlich an die Gurgel packen
Und an die Kreuze nageln alle Schächer!
Ins Nichts zerstreun wird seine rothe Wuth
Die alte Zeit des Zopfs und der Kamaschen,
In einem ungeheuren Meer von Blut
Wird er der Neuwelt ihre Windeln waschen!
Bethörtes Volk! Du wirst es schwer vergelten,
Was sie dir eingebrockt in ihrem Spleen!
Noch niemals rollte durch das All der Welten
Die Sonne, die das Paradies beschien!
Der Formen und der Farben »heitre Fülle«
Schwingt ewig kreisend sich durch Zeit und Raum,
Der Zukunft märchenfarbne Glücksidylle
Ist nur der Menschheit schönster Fiebertraum!
Doch, wehe! wenn sie fröstelnd draus erwacht
Und lächelnd vor dem neuen Tantaliden
Das ewge Glück mit seinen ewgen Frieden
Zurücksinkt in die alte Nacht – – –
Du armes Volk! Als ob ein Paradies
Mit Blut und Thränen sich erschachern lies!
Mit wie viel Elend wirst du diesen Tag,
Mit wie viel wehen Wunden dir erkaufen,
Und wie verwüstet seh ich schon den Hag,
Wenn sich die Wasser wiederum verlaufen!
Dann werden, was Jahrzehnte wüst zerschmettert,
Jahrhunderte von Neuem auferbauen,
Bis wieder mit dem neuen Morgengrauen
Die alte Sündfluth neu vom Himmel wettert!
So gährt von Aberwitz und Aberwahn
Die Welt wie ein verriegelter Vulkan
Und immer häufiger hört man sie sprechen
Das grimme Wörtlein: Biegen oder Brechen!
Doch unterdessen warf sich unsre Zeit
Aufs Phrasenfaulbett der Bequemlichkeit.
Denn immer regnen noch wie reife Birnen
Titanenkronen auf Pygmäenstirnen,
Noch immer zehrt von seinem alten Ruhm
Das lächerliche Gottesgnadenthum!
So geht es »Oben«. »Unten« geht's noch trister,
Dort räkelt sich der fettige Philister,
Braut bairisch Bier, backt Knödel, klebt am Staube
Und liest Romane aus der Gartenlaube!
Nur wenig, bitterwenig sind erwählt,
Das Gros der Hämmel ist gar schwer gezählt;
Man hätschelt eben seine Eiterbeulen
Und lernt vortrefflich mit den Wölfen heulen!
Auch betet man als ein gemachter Mann
Nur Einen Gott, den Gott der Thaler an
Und fühlt als Kind der grossen Corruption
Sich nur noch ausnahmsweise mal chokiert,
Wenn unglücksschwanger unser Telephon
Den neusten Börsenkrach uns avisirt.
Doch Wahrheit bleibt's, auf beiden Hemigloben,
Man soll die Nacht nicht vor dem Morgen loben!
Doch dies und andres auszusprechen,
Ist
wieder
Majestätsverbrechen;
Denn »echt« kann man als Dichter sein
Nur harmlos wie Hans Huckebein!
O dass ich endlich doch ein Thema fände,
Das, seicht wie ein modernes Theegeschwätz,
Das, platt wie eines alten Tempels Wände,
Mich nicht verhaspelt mit dem Pressgesetz!
Doch unser Zeitgeist ist ein Fragegeist,
Der lauernd wie ein Geier uns umkreist
Und eine Beute, die er einmal fässt,
Nicht leichten Kaufes wieder fallen lässt!
Wir haben blutend uns hinabgerungen,
Wir sind der Welt bis tief ins Herz gedrungen,
Doch die Natur, die wir entschleiern wollten,
Hat unsre Liebe bitterbös vergolten.
Die Taschen voll von ihren goldnen Schätzen,
So stehn wir da mit frühergrauten Haaren
Und sind am Ende ärmer, als wir waren,
Denn statt des Herzens schlägt uns nur ein Fetzen!
Ein Fetzen Fleisch, den roh und materiell
Uns blosgelegt das kritische Skalpell!
Verbittern muss uns jeden Bissen
Der grosse Hunger nach dem grossen Wissen,
Und niemals, niemals wird es Friede
In unsres Hirns Gedankenschmiede! ...
Denn Einen ist, vermengt aus Kann und Muss,
Der liebe Gott ein Metaphysikus,
Der andre wieder leugnet gar sein Sein
Und lebt fidel in seinen Tag hinein,
Der eine faselt viel von Weltenleid,
Der andre wieder von Unsterblichkeit,
Der eine – doch die Sache wird zu heiter,
Es geht so lustig ad absurdum weiter!
Wer je die Wahrheit nur von fern geschaut,
Weiss,
jeder
Tempel ist aus Staub gebaut!
Drum hüte, hüte deine Menschenzunge
Und bete zu dir selber, armer Junge!
Wie bissig wir uns auch dagegen steifen,
Die Wahrheit
ist
: dass wir sie nie begreifen!
Das ist der Menschenweisheit letzter Schluss,
Und – ewig rollt der Stein des Sysiphus!
Doch, Teufel ja! was hab ich angerichtet?
Dies ist ein Zickzacknichts und kein Poem!
Das kommt davon, wenn so ein Klos aus Lehm
Aufs hohe Pferd sich setzen will und »dichtet!«
Erst geht das Rösslein stillvergnügt im Trab,
Dann will es stolz den Araber markiren,
Legt störrisch wiehernd sich aufs Kourbettiren
Und wirft dann schliesslich seinen Reiter ab!
Doch wenn dies Ding hier, das ich leicht gerundet,
Auch Deinem Gaumen nicht besonders mundet –
O, das verursacht weiter keine Trübung,
Es ist nur eine leichte Fingerübung!
Ich schrieb es nieder, als zur Sommerszeit
Mich ferienweis die lange Weile zwickte,
Wenn goldumschleiert in die Einsamkeit
Die Abendsonne mir durchs Fenster blickte.
Bunt auf dem Tischlein warf ein Blumenstrauss
In meine Zeilen seinen Rosenschein,
Und sah ich träumend dann und wann hinaus,
Dann sah ich meilenweit ins Land hinein,
Dass da an »Arbeit« nicht zu denken war,
Ist Dir als Praktikus natürlich klar.
Drum nimm vorlieb mit dem, was Dir mein Wille,
Der immer gut ist, launig dediziert,
Sei auf den Reimfex nicht zu sehr pikiert
Und declamier mit ihm: »Beatus ille!«
Motto
Ihr kriegt mich nicht nieder,
Ohnmächtige Tröpfe,
Ich kehre wieder und wieder,
Und meine steigenden Lieder
Wachsen begrabend Euch über die Köpfe!
Lenau.
Zum Eingang
Die Zeit ist die Madonna der Poeten,
Die Mater dolorosa, die gebären
Den Heiland soll; drum halt die Zeit in Ehren,
Du kannst nichts Höheres denn sie vertreten.
Georg Herwegh
Noch sprosst der Bart mir nicht ums Kinn,
Auch weiss ich, hört mich, ihr Teutonen,
Dass unter allen Epigonen
Just ich der allerletzte bin!
Doch lasst's mich trotzdem euch gestehn:
Ihr jammert mich, ihr armen Dichter,
Ihr Groschen- und ihr Dreierlichter,
Von denen zwölf aufs Dutzend gehn.
Ihr stöhnt verzweifelt: Der Bien muss!
Und ampelt krampfhaft an der Leiter,
Doch ach, ihr kommt und kommt nicht weiter,
Wie weiland Fausti Famulus!
Seht, das ist eure Quintessenz,
Ihr fliedersüssen Lenzrhapsoden:
Ihr macht mit Hymnen und mit Oden
Den Nachtigallen Concurrenz!
Ihr glaubt verblendet, Poesie
Sei Lenznacht nur und Blüthenschimmer,
Ihr glaubt's verblendet und singt immer
Ein und dieselbe Melodie!
Ihr dichtet jeden dritten Tag
Ein hohes Lied auf eure Liebe,
Reimt selbstverständlich darauf »Triebe«
Und gebt's dann schleunigst in Verlag.
Zwar, seid ihr noch kein »grosses Thier«,
Müsst ihr auf alle Fälle »zahlen«,
Doch dann wird's auch mit Initialen
Gedruckt auf fein Velinpapier.
Und wird's dann gratis noch versandt
An so und so viel Kritikaster,
Dann lobt man euern schlechten Knaster
Und schimpft den Kieselstein Demant.
Und wenn ihr fleissig schmiert und salbt,
Sorgt auch die Clique für Verbreitung,
– Denn wozu hat man sonst die Zeitung? –
Herr X hat wieder mal gekalbt!
Ein Liederbuch ist's dieses Mal
In rothem Maroquin gebunden
Und überdies sehr warm empfunden
Und wunderbar original!
Und kauft man sich dann das Idol,
Dann sind's die alten tauben Nüsse,
Die längst genossenen Genüsse,
Der aufgewärmte Sauerkohl.
Von Wein und Wandern, Stern und Mond,
Vom »Rauschebächlein«, vom »Blauveilchen«,
Von »Küssmichmal« und »Warteinweilchen«,
Von »Liebe, die auf Wolken thront«!
Und will der Dichter hoch hinaus,
Dann streicht er die Rubrik: »Erotisch!«
Und hängt die Tafel: »Patriotisch!«
Als Firmenzeichen vor sein Haus.
Doch Blech bleibt Blech, und ob es auch
Der Jude oft als Gold verschachert ...
Der Ruhm, den ihr zusammenprachert,
Ist eitel Moder, Dunst und Rauch!
Denn kräht auch dreist zu eurem Wisch
Die heutige Kritik ihr Amen,
Und legt man ihn auch jungen Damen
Alljährlich auf den Weihnachtstisch:
Und labt sich auch aus eurem Quell
Der Leutnant und der Ladenschwengel,
Und nippt aus ihm auch jeder Engel,
Die Gräfin und die Nähmamsell:
Lasst über euch und euer Wort
Ein einzig Menschenalter rollen,
Und was ihr singt, ist längst verschollen,
Und was ihr pflanzt, ist längst verdorrt!
Ich aber mag nicht, lass wie ihr,
Das Pfund, das Gott mir gab, verwalten,
Ich will hoch über mir entfalten
Der Neuzeit junges Lenzpanier.
Ich lache, wollt ihr blöden Blicks
Verjährten Tand modern staffiren
Und himmelbläulich phantasiren
Vom Waldgnom und vom Wassernix.
Ich lache, zählt ihr eins, zwei, drei
Die Kugeln, die ihr nie verschossen,
Die Thränen, die ihr nie vergossen,
Ein jeder Zoll ein Papagei.
Ich lache, doch mein Zorn hält Wacht,
Denn der St. Veitstanz wird zur Mode;
Ich weiss, ihr tanzt nur aus Methode,
Weil ein Narr viele Narren macht.
Doch tollt nur euren tollen Schwank,
Nur zu, je toller, desto besser:
Ich biet euch Kampf, Kampf bis aufs Messer,
Und gehe meinen eignen Gang!
Den Gang, den lichtumstrahlt die Kunst
Sieghaft zu wandeln mir geboten;
Und Herz an Herz mit ihren Todten,
Veracht ich euch und eure Gunst!
Denn mir schlägt nicht das Wort den Takt
Zum Reigen selbstischer Gedanken,
Ein Löwe, hat es seine Pranken
Tief in mein Herzfleisch eingehackt.
Nur, dass es mich nicht jäh zerfleischt,
Such ich's mit Liedern zu beschwören,
Doch nicht beim Rauschen alter Föhren,
Die Nachts ein schwarzer Aar umkreischt.
Auch nicht ins Grab der Lorelei
Verirrt sich mehr mein schwankes Steuer;
Die Zeit verliebter Abenteuer,
Für mich ist sie schon längst vorbei!
Nein, mitten nur im Volksgewühl,
Beim Ausblick auf die grossen Städte,
Beim Klang der Telegraphendrähte
Ergiesst ins Wort sich mein Gefühl.
Dann glaubt mein Ohr, es hört den Tritt
Von vorwärts rückenden Kolonnen,
Und eine Schlacht seh ich gewonnen,
Wie sie kein Feldherr noch erstritt.
Doch gilt sie keiner Dynastie,
Auch kämpft sie nicht mit Schwert und Keule –
Galvanis Draht und Voltas Säule
Lenkt funkensprühend das Genie.
Und um sich sammelt es ein Heer
Von himmelstürmenden Ideen,
Gedanken blitzen und verwehen
Unzählig, wie der Sand am Meer.
Doch mehr als einer wird zur That
Und lenkt das Schicksal der Geschlechter,
Und als des Ideals Verfechter
Streut er der Zukunft goldne Saat.
Und auf flammt dann ein neues Licht,
Ein neuer Welttag für die Erde,
Denn auch die Menschheit hat ihr »Werde!«
Und sinnlos ist kein Traumgesicht.
Der ewge Friede baut sein Zelt,
Und ob die Zeit sie auch verdamme,
Der Freiheit goldne Oriflamme
Weht leuchtend über alle Welt.
Und wenn dann Lied auf Lied sich ringt
In immer höhre Regionen
Und alle Völker, alle Zonen
Ein einzig grosser Bund umschlingt:
Dann ist's mir oft, als ob die Zeit,
Verlästert viel und viel bewundert,
Als ob das kommende Jahrhundert
Zu seinem Täufer mich geweiht
Als müsst ich stossen in die Brust,
Ein Winkelried, mir eure Speere:
Hie Wahrheit, Freiheit und hie Ehre!
O Kampf der Liebe, Kampf der Lust!!
Drum dir, die schmerzvoll mich gebar,
Dir, junge Zeit aus Blut und Eisen,
Leg ich mein Herz und seine Weisen
Nun stumm auf deinen Hochaltar!
Schaust du doch auch ins Morgenroth
Und träumst von unentdeckten Welten;
Wirst du die Liebe mir vergelten,
Die tief für dich mein Herz durchloht?
Doch ob auch Dampf und Kohlendunst
Die Züge dieser Schrift verwaschen;
Kein flüchtig Glück will ich erhaschen,
Ich liebe dich, nicht deine Gunst!
Mir schwillt die Brust, mir schlägt das Herz
Und mir ins Auge schiesst der Tropfen,
Hör ich dein Hämmern und dein Klopfen
Auf Stahl und Eisen, Stein und Erz.
Denn süss klingt mir die Melodie
Aus diesen zukunftsschwangern Tönen;
Die Hämmer senken sich und dröhnen:
Schau her, auch dies ist Poesie!
Sie kehrt nicht nur auf ihrem Gang
In Wälder ein und Wirthshausstuben,
Sie steigt auch in die Kohlengruben
Und setzt sich auf die Hobelbank.
Auch harft sie nicht als Abendwind
Nur in zerbröckelten Ruinen,
Sie treibt auch singend die Maschinen
Und pocht und hämmert, näht und spinnt.
Sie schaukelt sich als schwanker Kahn
Im blauen schilfumkränzten Weiher,
Sie schlingt den Dampf ums Haupt als Schleier
Und saust dahin als Eisenbahn.
Von nie geahnter Kraft geschwellt,
Verwarf sie ihre alten Krücken,
Sie mauert Tunnels, zimmert Brücken
Und pfeift als Dampfschiff um die Welt.
Ja, Wunder thut sie sonder Zahl,
Sie lindert jegliches Verhängniss,
Sie setzt den Fuss selbst ins Gefängniss
Und speisst die Armuth im Spital.
Wohl war's der Himmel, der sie schuf,
Doch heimisch ward sie längst auf Erden;
Drauf immer heimischer zu werden,
Ist ihr ureigenster Beruf!
So klingt das Lied, das hohe Lied,
Dass dumpfauf mir die Hämmer dröhnen;
Euch aber, euch, die es verhöhnen,
Euch fordr' ich kühn in Reih und Glied!
Rückt an! Mit offenem Visir
Und harter Faust will ich euch weisen:
Ich und mein Lied, wir sind von Eisen –
Ihr oder ich, ich oder ihr!
Denn nicht soll einst in später Zeit
Mit selbstgefälligem Behagen
Ein später Enkel von uns sagen,
Was roth wie Blut zum Himmel schreit:
Poeten ohne Poesie,
Und keiner rief das Wörtchen: Rette!
Sie blökten allsammt um die Wette,
Wie eine Heerde Hammelvieh!
Nein, nein und nein und aber nein!
Ein Schuft sein will ich, wenn's so endet!
Das Blatt hat endlich sich gewendet!
Dies Buch soll dess ein Zeichen sein!
Soll sagen, was ihr nie gewollt:
Der Singsang hat sich ausgetutet –
Auch durch das junge Lied noch fluthet
Das alte Nibelungengold!
Drum ihr, ihr Männer, die ihr's seid,
Zertrümmert eure Trugidole
Und gebt sie weiter, die Parole:
Glückauf, glückauf, du junge Zeit!
26 IV. 1884.
Ein Bild
Zwei Racen giebt's, die eine wird mit Sporen, ...
Aus Sandstein ist das gelbliche Portal,
Die rothen Säulen aus Granit gehauen,
Und seitwärts in ein weisses Piedestal
Vergräbt ein Löwe seine Marmorklauen.
Doch schwarz verhängt sind alle Fenster heut
Und Lichter brennen nur im Erdgeschosse,
Der Strassendamm ist hoch mit Stroh bestreut
Und lautlos drüberhin rollt die Karosse.
Das Treppenhaus vertheidigt der Portier
Und schüttelt grimmig seine graue Mähne,
Und naht gar Einer aus der Haute volée,
Dann fletscht er cerberusgleich seine Zähne.
Im Prunksaal trauern hinter Flor und Taft
Die bunten Inderstoffe aus Lahore,
Auch schleicht die goldbetresste Dienerschaft
Nur auf Spitzzehen durch die Corridore.
Der hochgeborne Hausherr, Excellenz,
Schwankt wie ein Rohr umher auf bleicher Düne,
Die erste Redekraft des Parlaments
Fehlt heute abermals auf der Tribüne.
Zwar trat man gestern erst in den Etat,
Doch hat sein Fehlen diesmal gute Gründe:
Schon viermal war der greise Hausarzt da
Und meinte, dafs es sehr bedenklich stünde.
Nach Eis und Himbeer wird gar oft geschellt,
Doch mäuschenstill ist es im Krankenzimmer,
Und seine düstre Teppichpracht erhellt
Nur einer Ampel röthliches Geflimmer.
Weit offen steht die Thür zum Vestibul
Und wie im Traum nur plätschert die Fontäne,
Die Luft umher ist wie gewitterschwül,
Denn ach, die gnädge Frau hat heut – Migräne!
Ein Andres
... Mit Sätteln wird die andere geboren!
Karl Kösting.
Fünf wurmzernagte Stiegen geht's hinauf
Ins letzte Stockwerk einer Miethskaserne;
Hier hält der Nordwind sich am liebsten auf
Und durch das Dachwerk schaun des Himmels Sterne.
Was sie erspähn, o, es ist grad genug,
Um mit dem Elend brüderlich zu weinen:
Ein Stückchen Schwarzbrod und ein Wasserkrug,
Ein Werktisch und ein Schemel mit drei Beinen.
Das Fenster ist vernagelt durch ein Brett
Und doch durchpfeift der Wind es hin und wieder,
Und dort auf jenem strohgestopften Bett
Liegt fieberkrank ein junges Weib darnieder.
Drei kleine Kinder stehn um sie herum,
Die stieren Blicks an ihren Zügen hangen,
Vor vielem Weinen ward ihr Mündlein stumm
Und keine Thräne mehr netzt ihre Wangen.
Ein Stümpfchen Talglicht giebt nur trüben Schein,
Doch horch, es klopft, was mag das nur bedeuten?
Es klopft und durch die Thür tritt nun herein
Ein junger Herr, geführt von Nachbarsleuten.
Der Armenhilfsarzt ist's aus dem Revier,
Den sie geholt aus Mitleid mit der Kranken,
Indess ihr Mann in Branntwein und in Bier
Sich selbst betäubt und seine Wuthgedanken.
Der junge Doctor aber nimmt das Licht
Und tritt mit ihm ans Bett des armen Weibes,
Doch gelb wie Wachs und spitz ist ihr Gesicht
Und kalt und starr die Glieder ihres Leibes.
Da schluchzt sein Herz,
indess das Licht verkohlt,
Von nie gekannter Wehmuth überschlichen:
Weint, Kinder, weint! ich bin zu spät geholt,
Denn eure Mutter ist bereits – verblichen!
Frühling
Empfangt mich, heilige Schatten, ihr Wohnungen süsser Entzückung,
Ihr hohen Gewölbe voll Laub und Dunkel schlafender Lüste,
Die ihr oft einsamen Dichtern der Zukunft Vorhang zerrissen, Oft ihnen des heitern Olymps azurne Thore geöffnet.
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Gestreckt im Schatten will ich in goldne Saiten die Freude,
Die in euch wohnet, besingen! – Reizt und begeistert die Sinnen!
Dass meine Töne die Gegend wie Zephyrs Lispeln erfüllen,
Der jetzt durchs Veilchenthal fleucht, und wie die riefelnden Bäche!
Ewald Chr. v. Kleist
Wohl haben sie dich alle schon besungen
Und singen dich noch immer an, o Lenz,
Doch da dein Zauber nun auch mich bezwungen,
Meld ich mich auch zur grossen Concurrenz.
Doch fürcht ich fast, ich bin dir zu prosaisch,
Aus meinen Versen sprüht kein Fünkchen Geist;
Und denk ich gar an deinen Dichter Kleist,
Klingt meine Sprache mir fast wie Havaïsch.
Kein Veilchenduft versetzt mich in Extase,
Denn ach, ich bin ein Epigone nur;
Nie trank ich Wein aus einem Wasserglase
Und nüchtern bin ich bis zur Unnatur.
Der Tonfall meiner lyrischen Collegen
Ist mir ein unverstandner Dialect,
Denn meinen Reim hat die Kultur beleckt
Und meine Muse wallt auf andern Wegen.
Ins Waldversteck verirrt sie sich nur selten,
Die blaue Blume ist ihr längst verblüht;
Doch zieht die Ahnung neugeborner Welten
Ihr süsser als ein Märchen durchs Gemüth.
Zur Armuth tritt sie hin und zählt die Groschen,
Ihr rothes Banner pflanzt sie in den Streit,
An ihr Herz schlägt das grosse Herz der Zeit
Und aller Weltschmerz scheint ihr abgedroschen.
Doch heute singt sie, was ihr längst verboten,
Mir scheint, dein Lächeln hat sie mir behext,
Und unter deine altbekannten Noten
Schreibt sie begeistert einen neuen Text.
Die Flur ergrünt und bläulich blüht der Flieder,
Ich aber leire meine Lenzmusik
Und lachend schon vernehm ich die Kritik:
Das denkt und singt ja wie ein Seifensieder!
Schon blökt ins Feld die erste Hammelheerde,
Der Hof hielt seine letzte Soiree,
Und grasgrün überdeckt die alte Erde
Kokett ihr weisses Winternegligee.
Der Wald rauscht wieder seine Lenzgeschichten
Und mir im Schädel rasselt kreuz und quer
Ein ganzer Rattenkönig von Gedichten,
Ein Reim- und Rythmenungethüm umher.
Wie Gold in meine ärmliche Mansarde
Durchs offne Fenster fällt der Sonnenschein,
Und graubefrackt lärmt eine Spatzengarde:
Ich schnitt es gern in alle Rinden ein!
Die Luft weht lau und eine Linde spreitet
Grün übers Dach ihr junges Laubpanier,
Und vor mir auf dem Tisch liegt ausgebreitet
Fein säuberlich ein Bogen Schreibpapier.
O lang ist's her,
dass mir's im Hirne blitzte!
Im Winterschnee erfror die Phantasie;
Erst heute war's, dass ich den Bleistift spitzte,
Erst heut in dieser Frühlingsscenerie.
Weh, mein Talent versickert schon im Sande,
Des eitlen Nichtsthuns bin ich endlich satt;
Drum da ich ihn noch nie sah auf dem Lande,
Besing ich nun den Frühling in der Stadt.
Denn nicht am Waldrand bin ich aufgewachsen
Und kein Naturkind gab mir das Geleit,
Ich seh die Welt sich drehn um ihre Achsen
Als Kind der Grossstadt und der neuen Zeit.
Tagaus, tagein umrollt vom Qualm der Essen,
War's oft mein Herz, das lautauf schlug und schrie,
Und dennoch, dennoch hab ich nie vergessen
Das goldne Wort: Auch dies ist Poesie!
O wie so anders, als die Herren singen,
Stellt sich der Lenz hier in der Grossstadt ein,
Er weiss sich auch noch anders zu verdingen,
Als nur als Vogelsang und Vollmondschein.
Er heult als Südwind um die morschen Dächer
Und wimmert wie ein kranker Komödiant,
Bis licht die Sonne ihren goldnen Fächer
Durch Wolken lächelnd auseinanderspannt.
Und Frühling! Frühling! schallt's aus allen Kehlen,
Der Bettler hört's und weint des Nachts am Quai;
Ein süsser Schauer rinnt durch alle Seelen
Und durch die Strassen der geschmolzne Schnee.
Die Damen tragen wieder lange Schleppen,
Zum Schneider eilt nun, wer sich's »leisten« kann,
Die Kinder spielen lärmend auf den Treppen
Und auf den Höfen – singt der Leiermann.
Schon legt der Bäcker sich auf Osterkringel
Und seine Fenster putzt der Photograph,
Der blaue Milchmann mit der gelben Klingel
Stört uns tagtäglich nun den Morgenschlaf.
Mit Kupfern illustrirt die Frauenzeitung
Die neusten Frühjahrsmoden aus Paris,
Ihr Feuilleton bringt zur Geschmacksverbreitung
Den neusten Schundroman von Dumas fils.
Es tritt der Strohhut und der Sonnenknicker
Nun wieder in sein angestammtes Recht
Und kokettirend mit dem Nasenzwicker
Durchstreift den Park der Promenadenhecht.
Das ist so recht die Schmachtzeit für Blondinen
Und ach, so mancher wird das Herzlein schwer,
Ein Duft von Veilchen und von Apfelsinen
Schwingt wie ein Traum sich übers Häusermeer.
Am Arm das Körbchen mit den weissen Glöckchen,
Das blonde Haar zerweht vom Frühlingswind,
Lehnt bleich und zitternd im verschossnen Röckchen
Am Prunkpalast das Proletarierkind.
Geschminkte Dämchen und gezierte Stutzer,
Doch niemand, der ihm schenkt ein freundlich Wort;
Und naht sich Abends der Laternenputzer,
Dann schleicht es weinend sich ins Dunkel fort.
Verfolgt vom blutgen Schwarm der Manichäer,
Umirrt nun Bruder Studio wie gehetzt;
Bis er sich endlich rettet zum Hebräer
Und seinen Winterpaletot versetzt.
Der Hypochonder sinnt auf Frühjahrskuren
Und wettert auf die Stickluft der Salons,
Der Italiano formt sich Gypsfiguren
Und zieht vors Thor mit seinen Luftballons.
Nun geht die Welt kopfüber und kopfunter,
Auf Sommerwohnung zieht schon der Rentier,
Die Anschlagssäulen werden immer bunter
Und nächtlich wimmert oft das Portemonnaie.
Der Schornsteinfeger klettert auf die Leiter
Und grinst uns an als Vogelperspecteur,
Vor Klingeln kommt die Pferdebahn nicht weiter
Und Alles brüllt: He, schneller, Conducteur!
Das Militär wirft sich in Drillichhosen
Und übt sich schwitzend im Paradeschritt,
Als ging's kopfüber gegen die Franzosen,
Und krampfhaft schleppt es die Tornister mit.
Und blitzt der Exercierplatz dann exotisch
Wie ein gemaltes Farbenmosaik,
Dann wird die Schusterjugend patriotisch
Und lautauf spielt die Regimentsmusik.
Schon dampft der Kaffee hie und da im Garten,
Der Schoosshund bellt, er kreischt der Papagei,
Papa studirt die kolorirten Karten
Von Zoppot, Heringsdorf und Norderney.
In den geschlossenen Theatern trauern
Die weichen Polstersitze des Parquets
Und rothe Zettel predgen an den Mauern
Die goldne Aera der Retourbillets.
An eine Spritztour denkt manch armer Schlucker,
Doch dreht sie leider sich ums Wörtchen »wenn«;
Am gelben Gurt den schwarzen Operngucker,
Stelzt durchs Museum nun der Englishman.
Die Provinzialen aber schneiden Fratzen,
Dank ihrer anerzognen Prüderie,
Und unbemerkt nur schleichen sie wie Katzen
Um unsre liebe Frau von Medici.
Doch drauss vorm Stadtthor rauscht es in den Bäumen,
Dort tummelt sich die fashionable Welt,
Und junge Dichter wandeln dort und träumen
Von ewgem Ruhm, Unsterblichkeit – und Geld.
Rings um die wieder weissen Marmormäler
Spielt laut ein Kinderschwarm nun Blindekuh
Und heimlich gibt der Backfisch dem Pennäler
Am Goldfischteich das erste Rendevous.
Und macht die Nacht dann ihre stille Runde
Und blitzt es licht durchs dunkle Firmament,
Dann ist's dieselbe Lenznacht, die zur Stunde
Sich lagert um den Busen von Sorrent!
Dann ist's derselbe Mond, der rings das Pflaster
Sacht überdeckt mit seinem goldnen Vliess,
Den vor Jahrtausenden schon Zoroaster
Als ewgen Herold aller Lenze pries!
O Frühling! Frühling, dem die Welt entlodert,
Du führst im Schild ein Röslein ohne Dorn;
Dass uns das Herz nicht ganz vermorscht und modert,
Stösst du noch immer in dein Wunderhorn.
Noch immer lässt du deine Nachtigallen
Ins Frühroth schlagen, wie zur Zeit Homers,
Und hebst empor die Engel, die gefallen,
Die kranken Söhne Fausts und Ahasvers.
Ob du vor Zeiten einst als junge Sonne
Glorreich emporstiegst über Salamis,
Indess Diogenes in seiner Tonne
Sich philosophisch in die Nägel biss;
Und ob dir heute noch im fernsten Norden
Ein Opfer bringt der fromme Eskimo,
Wie weiland an des Südmeers blauen Borden
Der alte Mythenkönig Pharao:
Du bist und bleibst der einzig wahre Heiland,
Dein schöner Wahlspruch jauchzt: »Empor! Empor!«
Was soll uns noch ein waldumrauschtes Eiland?
Du wandelst um den Stadtwall auch durchs Thor!
Du bist nicht scheu wie deine Waldgespenster,
Du setzt auch in die Grossstadt deinen Fuss
Und wehst tagtäglich durch das offne Fenster
Mir in das Stübchen deinen Morgengruss.
Und jetzt, wo schon der Abend seine Lichter
Rothgolden über alle Dächer strahlt,
Krönst du mich lächelnd nun zu deinem Dichter
Und hast mir rhythmisch das Papier bemalt.
Ich aber gebe dieses Blatt den Winden,
Die Fangball spielen um den Kirchthurmknauf,
Und wenn's noch heut die Strassenkehrer finden,
Was kümmert's mich? Flieg auf, mein Lied, flieg auf!
Doch fällst du einem schönen Kind zu Füssen,
Das dich erröthend in den Busen steckt,
Dann sprich zu ihm: »Der Frühling lässt dich grüssen!«
Bis sie mit Küssen das Papier bedeckt.
Doch hascht ein Graukopf dich auf deinen Bahnen,
So ein vergilbter Langohr-Recensent,
Dann sprich zu ihm: »Respect vor meinen Ahnen!
Mein Urtext steht im Sanskrit und im Zend!«
Samstagsidyll
Lasst uns auch so ein Schauspiel geben!
Greift nur hinein ins volle Menschenleben!
Ein jeder lebt's, nicht vielen ist's bekannt,
Goethe
Es war ein Tag wie's ihrer viele giebt,
Wenn falb der Sommer in den Herbst zerstiebt;
Verstummt schon schien der Vögel buntes Völkchen
Und grau am Himmel standen kleine Wölkchen.
Nur ab und zu schwamm's fernher durch die Luft
Noch weich wie ein verirrter Rosenduft,
Und wie ein Lenzlockruf, nur herbstlich stiller,
Klang hie und da ein später Vogeltriller.
Auf lauen Windes Flügeln kam's und schwand
Und reichte wiederkehrend sich die Hand,
Wie wenn zwei Herzen durch ein letztes Grüssen
Sich noch des Scheidens bittres Weh versüssen.
Doch also war's nur draussen fern im Hag,
Durch die Fabrikstadt schlich der Werkeltag.
Das schwarzberusste Schurzfell um die Lenden,
War er bemüht die Woche zu beenden;
Er liess das Eisen wie ein Licht erglühn
Und mehr als hundert Essen Funken sprühn,
Und, unbekümmert um den eignen Jammer,
Schwang er den centnerschweren Schmiedehammer.
Hier war's ein Eisenwagen, dort ein Schiff,
Der Schornstein rauchte und der Dampfhahn pfiff,
Die Räder rollten ewig um im Kreise
Und alles drehte sich im alten Gleise.
Nur du und ich, wir beide waren frei
Und wussten nichts von Werktagssclaverei;
Wir jauchzten auf, die Noth in uns begrabend,
Und machten schon Nachmittags Feierabend.
Denn hatte jeder nicht mit Lust und Kraft
Die Woche über pflichtgetreu geschafft?
Die Nähmaschine hattest
du
getrieben
Und
ich
gedacht, gedichtet und geschrieben.
Doch nun war ich des »trocknen Tones satt«
Und schrieb energisch: »Punkt!« aufs letzte Blatt
Und stieg dann flink, mir selber zur Belohnung,
In deine zierliche Mansardenwohnung.
Ich klopfte an – ein neckisches: Herein!
Und durch das Fenster brach der Sonnenschein;
Ein Lichtmeer war's, drin Welle schwamm auf Welle,
Ich aber stand geblendet auf der Schwelle.
O immer, trat ich in dein trautes Heim,
Schrieb's mir ins Herz sich wie ein neuer Reim;
Doch war's mit seinen farbigen Gardinen
So hell und freundlich mir noch nie erschienen.
Zum Schmaus gedeckt war schon dein kleiner Tisch,
Grau hinterm Spiegel stak ein Flederwisch.
Doch, unbekümmert um die neuste Mode,
Stand dicht dabei die ältliche Kommode
Und unter einem Kreuz von Elfenbein
Das Bild von deinem todten Mütterlein.
Wie tief im Traum sah lächelnd es hernieder
Auf ein zerlesnes Buch: »das Buch der Lieder«!
Vom Blumenbrett, das sich um Fenster bog,
Um alles das ein süsses Duften flog.
Und dort ja hingen auch die beiden Schilder,
Verzeih! ich meine deine Landschaftsbilder!
Denn du hast Recht: die reine Phantasie
Und farbenschillernd wie ein Kolibri!
Rechts hing der Watzmann, links der Gamsgarkogel
Und zwischen beiden ein Kanarienvogel.
Du selber aber, häubchenüberdeckt,
Ein weisses Schürzchen vor die Brust gesteckt,
Du schobst nun grad mit hausfraulicher Miene
Den Spiritus in deine Kochmaschine.
Ein kurzer Aufblick dann, ein leiser Schrei,
Und eins und eins, wie immer, waren zwei!
Drauf, wie ich mich schon oft liess unterjochen,
Sollt ich auch heute mit dir Kaffee kochen.
Ich lärmte, doch was half mir mein Protest?
Ein kussersticktes Lachen war der Rest!
Und als ein vielgewandter junger Dichter
Hielt ich galant dir nun den Kaffeetrichter.
Natürlich ging das »noch einmal so gut«,
Sieh hier das Lied: »Was man aus Liebe thut!«
Wir schmeckten, wechselnd prüfend, mit den Zungen
Und endlich war der grosse Wurf gelungen.
Zwar war das Tischzeug nur von grobem Zwilch,
Doch fehlte weder Zucker drauf noch Milch
Und dampfend füllten nun die braunen Massen
Die goldumränderten Geburtstagstassen.
Des Tränkleins Wirkung aber kommt und geht,
Bis sich das Zünglein wie ein Mühlrad dreht:
Was Stift und Tinte, Häkelzeug und Maschen!
Wir waren heut zwei rechte Plaudertaschen!
Du schwärmtest von dem neusten Ausverkauf,
Ich aber schlug ein kleines Büchlein auf
Und las dir Lieder vor von Lingg und Keller
Und übersah auch nicht den Kuchenteller.
So sassen wir, zwei grosse Kinder, da,
Bis roth der Abend durch die Scheiben sah
Und tappten dann hinab die dunklen Stiegen,
Um noch ein Stündlein vor das Thor zu fliegen.
Dort, wo das Wasser sich am Stadtwall bricht,
Lag bunt der Park im letzten Abendlicht
Und liess die Wipfel sich in Purpur tränken
Und Kinder spielten auf den Rasenbänken.
Vom nahen Thorthurm kam das Spätgeläut,
Mir schien's, es klang noch nie so schön wie heut;
Wir lugten lauschend durch die Laubverhänge
Und schritten flüsternd durch die Buchengänge.
Zu Füssen knirschte uns der gelbe Kies
Und alles schien uns wie im Paradies;
Doch als die Glocken dann gemach verklangen,
Kam leisen Schritts die Dämmrung angegangen.
Da hieltst du still und hauchtest mir ins Ohr:
»O, weisst du noch, dort drüben vor dem Thor?«
Ob ich es weiss! Wie Lenz will's mich umwehen,
Dort war's ja, wo wir uns
zuerst
gesehen!
Und hier, wo waldversteckt das Wasser rauscht,
Hier haben wir den ersten Kuss getauscht!
O Maitag, Sonnenschein und Blüthenregnen,
Noch heut muss ich euch tausendfältig segnen!
Es war doch eine schöne, schöne Zeit,
Und denk ich dran, so wird das Herz mir weit!
Man fühlt's, auch ohne dass man's gleich bedichtet:
Der liebe Gott hat's doch gut eingerichtet!
Doch still! Was brauchts schon der Erinnerung?
Wir sind ja beide noch so jung, so jung!
Es lacht das Glück aus deinem rothen Munde:
»Uns winkt ja noch so manche goldne Stunde!«
»Gewiss!« fielst du hier lächelnd ein, »und wie?
Zum Beispiel morgen eine Landpartie!
Erinnerst du dich noch, wie du vor Wochen
Mir einen Ausflug ins Gebirg versprochen?
Mein Onkel dort, der Wirth zum weissen Schwan,
Wohnt ja ganz nahe an der Eisenbahn!
Ich weiss, er freut sich, wenn wir ihn besuchen,
Und Tantchen gar backt einen Extrakuchen!
Und dann – o Gott – die wunderschöne Luft,
Wald, Wiese, Sonnenschein und Kräuterduft,
Und über sich nichts, nichts als Himmelsbläue –
Nein, nein! du weisst nicht, wie ich mich schon freue!«
Da sprach ich: »Topp, du kleiner Niegenug!
Wir fahren morgen mit dem ersten Zug.
Als Musikant mach ich eins gern mal Pause ...
Doch es wird kühl hier, komm, wir gehn nach Hause!«
Und wieder thorwärts wandten wir uns um
Und wurden still und wussten nicht warum.
Im Fluss das Wasser rann nur noch von ferne
Und durch das Laubdach blitzten schon die Sterne.
Ein feuchter Nachtwind durch die Wipfel strich,
Du aber schmiegtest fester dich an mich,
Und wie das Schlusswort einer schönen Dichtung
That sich nun wieder vor uns auf die Lichtung.
Dort hob die Stadt sich schwarz und ungewiss
Vom Horizont ab wie ein Schattenriss,
Nur hie und da warf fernher aus dem Dunkel
Ein Fenster noch sein rothes Lichtgefunkel.
Es war so schön, so wunderschön zu sehn,
Und schweigend blieben wir noch einmal stehn,
Denn nun trat auch der Mond aus seinen Hallen
Und liess sein Silber auf die Dächer fallen,
Und drüben von der Vorstadt her erklang
Noch windverweht ein frommer Nachtgesang.
Du sahst mich an und wusstest nichts zu sagen,
Doch fühlt ich dein Herz warm an mein Herz schlagen
Und sprach zu dir und war bewegt wie nie:
»Nun weisst auch du, mein Herz, was Poesie!
Sie speist die Armen und sie stärkt die Schwachen,
Sie kann die Erde uns zum Himmel machen,
Sie kost im Zephyr und sie harft im Föhn –
Nicht wahr, mein Herz, das Leben ist doch schön?«
En miniature
Was der bunte Vogel pfiff,
Fühle und begreif ich,
Liebe ist der Inbegriff,
Auf das Andre pfeif ich!
Wilhelm Busch
Farbenfunkelnd in ihr Goldhaar hatte
Ein Libellenweibchen sich verirrt.
Eins – zwei – drei Sekunden liess es dort
Zierlich seine Flügelchen vibrieren,
Klappte sie dann schillernd wieder auf
Und?
Fragt das Schilfrohr, wo es dann geblieben!
Lächelnd über das naive Thierchen,
Das Frisuren noch für Blumen hielt,
Band sie jetzt ihr kugelrundes Sträusschen
Regelrecht mit einem Halm zusammen.
Blank aus ihrem kleinen Goldreif blitzte
In die schwarzen Augen ihr die Sonne,
Und auf ihrem weissen Nacken liess
Blau der Flieder seine Blüthen zittern.
So, jetzt noch dies Bündelchen Reseda,
Jetzt dies Veilchen, jetzt dies Tausendschönchen,
Und – der alte Gärtnerjakob soll sich wundern!
Sich ihr Morgenröckchen sorglich schürzend,
Dass der Thau nicht seinen Saum zernässe,
Strich sie sich noch einmal übers Schürzchen,
Stippte dann die Blumen in den Springquell,
Den der Löwenkopf ins Becken spie,
Und die beiden kleinen Atlasschühchen,
Knallroth wie zwei Herrgottskäferchen,
Trippelten, tripp-trapp, um die Bosketts
Durch das sonnige Kastanienwäldchen
Auf das alte, graue Schlossthor zu.
Doch der Weg bis dahin ist noch weit.
So weit, dass das weisse Thürmchen dort
Nur noch wie ein Punkt durch die Allee blitzt.
Und sie spitzt ihr kirschrothrundes Mäulchen,
Dreht dem Faun, der marmorn sie durchs Buschwerk
Kollegialisch wie ein Nymphlein angrinst,
Resolut ein aufgewipptes Näschen,
Lacht laut auf und fängt ein altes Liedchen,
Das vielleicht mal ihrer Amme einfiel,
Als der Mondschein sie nicht schlafen liess,
Und das heut ihr wieder wie ein Schwälblein
Neckisch durch den kleinen, krausen Sinn schiesst,
Leise vor sich hinzusummen an:
»Ach wenn ich es doch nur wüsste, wüsste,
Wie ein Liebster seine Liebste küsste!«
»Wölklein, das dort um das Tännlein flattert,
Vöglein, das dort um das Nestlein girrt,
Und du Bäumlein, das so weiss dort blüht,
Sag mir doch, wo schlägt das Herz des Frühlings?
Flötet es die Nachtigall ins Mondlicht,
Wiegt's der Apfelbaum in seinen Blüthen,
Oder jauchzt's mir in der eignen Brust?
Ach, wenn ich es doch nur wüsste, wüsste,
Wie ein Liebster seine ....« doch das Liedlein
Blieb erschreckt in ihrem Hälslein stecken!
Lachend bog er eben um die Linde,
Die so schrecklich indiskret und breit ist,
Nahm sie fest in seine beiden Arme,
Dass die Blumen kichernd aus dem Körbchen
Und das Körbchen in die Blumen fiel,
Und – sie wussten, wo des Frühlings Herz schlägt!
Literarische Liebenswürdigkeiten
Judenjungen, deren Bildung im Schweinefleischessen besteht, spreitzen sich auf den kritischen Richterstühlen, und erheben nicht nur Armseeligkeitskrämer zu den Sternen, sondern injuriiren sogar ehrenwerthe Männer mit ihren Lobsprüchen, – Reimschmiede, die so dumm sind, dass jedesmal, wenn ein Blatt von ihnen ins Publikum kommt, die Esel im Preise aufschlagen, heissen ausgezeichnete Dichter, – Schauspieler, die so langweilig sind, dass natürlich alles vor Freuden klatscht, wenn sie endlich einmal abgehn, heissen denkende Künstler, – Vetteln, deren Stimmen so scharf sind, dass man ein Stück Brod damit abschneiden könnte, titulirt man ächt dramatische Sängerinnen! – Die Muse der Tragödie ist zur Gassenhure geworden, denn jeder deutsche Schlingel nothzüchtigt sie und zeugt mit ihr fünfbeinige Mondkälber, welche so abscheulich sind, dass ich den Hund bedaure, der sie anpisst! Die Wörter: »genial, sinnig, gemüthlich, trefflich« werden so ungeheuer gemissbraucht, dass ich schon die Zeit sehe, wo man, um einen entsprungenen, über jeden Begriff erbärmlichen Zuchthauskandidaten vor dem ganzen Lande auf das unauslöschlichste zu infamiren, an den Galgen schlägt: N.N. ist sinnig, gemüthlich, trefflich und genial! – O, stände doch endlich ein gewaltiger Genius auf, der, mit göttlicher Stärke von Haupt zu Fuss gepanzert, sich des deutschen Parnasses annähme und das Gesindel in die Sümpfe zurücktriebe, aus welchen es hervorgekrochen ist!
Christian Dietrich Grabbe
1.
Ballade
Kennt ihr das Lied, das alte Lied
Vom heilgen Hain zu Singapur?
Dort sitzt ein alter Eremit
Und kaut an seiner Nabelschnur.
Er kaut tagaus, er kaut tagein
Und nährt sich kärglich nur und knapp,
Denn ach, er ist ein grosses Schwein
Und nie fault ihm sein Luder ab!
Rings um ihn wie das liebe Vieh
Wälzt sich zerknirscht ganz Singapur
Und »Gott erhalte«, singen sie,
»Noch lange seine Nabelschnur!«
Denn also geht im Volk die Mähr
Und also lehrt auch dies Gedicht:
Wenn jene Nabelschnur nicht wär,
Dann wär auch manches Andre nicht.
Dann hätte beispielsweise Lingg
Nie völkerwandernd sich verrannt
Und Wagners Nibelungenring
Wär stellweis nicht so hirnverbrannt.
Uns hätte nie Professor Dahn
Urdeutsch dozirt von A bis Z
Und kein ägyptischer Roman
Verzierte unser Bücherbrett.
Wolffs Heijerleispoeterei,
Kein Baumbach wär ihr nachgetatscht,
Und Mirzas Reimklangklingelei
Summa cum laude ausgeklatscht.
Dann schlüge endlich unsrer Zeit
Das Herz ans Herz der Poesie,
Das Rütli schwüre seinen Eid
Und unser Tell wär das Genie.
So aber so – frei, fromm und frisch
Kaut weiter jener Nimmersatt;
Sein eigner Schmerbauch ist sein Tisch,
Sein –wisch ein Bananenblatt.
Und um ihn wie das liebe Vieh
Wälzt sich zerknirscht ganz Singapur
Und »Gott erhalte«, singen sie,
»Noch lange seine Nabelschnur!«
2.
Stoßseufzer!
Heut misst man die Bücher mit Ellen
Ein wahrer Papier-Ocean!
Tagtäglich drei neue Novellen,
Tagtäglich ein neuer Roman!
In süsslicher Selbstpanegyrik
Entwässert in jedes Journal
Die unvermeidliche Lyrik
Ihre Thränenkübelmoral.
Die Welt ist nimmer die alte,
Sie stinkt wie ein Limburger Käs
Und bringt in jeder Spalte
Sechs Tohuwabohuessays.
Der Zeitgeist diktirt seinem Kater
Eine gallige Selbstparodie
Und krank liegt das deutsche Theater
An chronischer Selbstmordmanie.
Die Kunst war einst unwiderstehlich,
Wie die Lurlei hoch über dem Rhein,
Doch heute denkt jeder: O selig,
Ein Wiederkäuer zu sein!
Dort liegen Herrn Hartmanns Schriften,
Weiss Teufel, der Kerl hat Recht –
Ich möchte die Welt vergiften
Mit meinem Stiefelknecht!
3.
Anathema sit!
Viele Wörter sind auf is
Masculini generis,
Viele stehn im Daniel Sanders,
Viele stehn auch noch wo anders,
Doch verhasst vor allen sind
Diese mir, mein liebes Kind:
Weihrauchfässer und Crucifixe,
Tinte, Schwefel und Stiefelwichse,
Englische Peers und russische Knuten,
Türkische Paschahs und deutsche Rekruten,
Throne, Kasernen und Schweinekofen,
Parvenüs und Naturphilosophen,
Enten, Seeschlangen, Juden und Zwiebeln,
Alte Jungfern und enge Stiebeln,
Weisse Handschuh und schwarze Fräcke,
Krinolinen und Chapeau cläque,
Schnupftabaksdosen und Mädchen für Alles
Und – last not least– ein unsterblicher Dalles!
Sympathisch zwar und angenehm
Ist meiner Treu mir keins von dem;
Doch bei vernünftiger Beschauung
Stört mich auch keins in der Verdauung.
So leb ich lustig comme il faut
Wie jener Mops im Paletot.
Nur Eins macht stets mich tapfer weichen
Und lässt mich kreideweiss erbleichen ....
O Gott, mir wird das Herz so schwer:
Nachbarin, euer Fläschchen her!
Das Wort bleibt mir im Halse stecken,
So oft ich auch daran gedacht –
Das ist der schrecklichste der Schrecken:
Ein Schöngeist, der in Versen macht!
4.
Einem Glacédemokraten
Komm, Freund, dass ich die Hand dir fasse,
Du bist wie ich ein jeune garçon
Und führst das Elend aus der Gasse
Durch deine Lieder in den Salon.
Du hüllst sie in Gold und Purpur ein,
Nun wird die Armuth unsterblich sein.
Ich weiss, du liebst es hoch zu Rosse
Zu schütteln den Speer deiner Poesie,
Drum duftet sie auch nie nach der Gosse
Und stinkt beträchlich nach Patchouli.
Famos! schon wird vor Bewundrung stumm
Das höhere Töchterpublikum.
Vergnüglich hockst du hinterm Ofen,
Des Fortschritts Ziel hast du entdeckt
Und so zu sagen mit deinen Strophen
Den weissen Mohren schwarz geleckt.
Kein Lied, das die rothe Rache preist,
Kein Aufschrei, der uns das Herz zerreisst!
Ich würde dir gern ein Krönchen kleistern,
Du weist, ich bin kein Nihilist;
Doch kann ich mich nicht recht begeistern;
Dieweil es mir mitunter ist:
Als lachte durch jedes Hungergedicht
Dein wohlgenährtes Prostmahlzeitsgesicht!
5.
Tagtäglich
Tagtäglich wispert die Kritik:
»O wirf ihn fort den Hungerknochen!
Es hat die leidige Politik
Schon Manchem hier den Hals gebrochen.
Auch meine Galle schwimmt in Groll,
Doch wozu ihn versificiren?
Die Welt ist heute prosatoll
Und wird ihn schwerlich honoriren.
Such lieber hohe Protection,
Dein Sozialismus ist uns schnuppe,
Denn schliesslich wärmst du nur, mein Sohn,
Die achtundvierzger Bettelsuppe.
Drum still, du Sturm im Wasserglas,
Und reime fortab nur auf »Triebe« –
Du säst wie Lucifer nur Hass,
Das Herz der Kunst heisst aber Liebe!«
Ich hör's und fluche: Sapprement!
Zwar lieblich locken die Moneten,
Doch fehlt mir leider das Talent
Zum schwarzweissrothen Hofpoeten.
Ich pfeif auf euern Fahneneid,
Ich pfeif auf eure feigen Possen!
Ins schwarze Schuldbuch unsrer Zeit
Sind meine Verse rothe Glossen!
Drum bitte, mir drei Schritt vom Leib
Mit euern Tombackpoesieen
Und zischt nicht wie ein feiles Weib:
Tritt ein in unsre Koterieen!
Thät ich's, ich wär ein Halb-Poet,
So aber ruf ich durch die Gassen:
Die Welt, die sich um Liebe dreht,
Weiss auch das Hungertuch zu hassen!
6.
F. v. B.
Ein Quentchen Herz, ein Quentchen Hirn,
Die schlanke Nase kühn gekurvt
Und die gedankenhohle Stirn
Gedankenvoll »gefaltenwurft«:
So seh ich ihn, verblichnen Airs,
Den alten, goldbebrillten Knaben –
O, F.v.B., das Beste wär's,
Du liessest endlich Dich begraben!
Begnadge Feder und Papier
Und ziehe endlich die Moral,
Du siehst, ich mein es gut mit Dir
Und bin wie immer radikal.
Was hast Du um die Zeit der Noth
Auch heut in dieser Welt zu suchen?
Wir Dichter schrein nur noch nach Brot
Und nicht wie Du nach Kaffeekuchen!
Kein Mensch ist mehr zuleikatoll,
Dein Bülbülschwindel ist verkracht,
Und ein entsetzlich tiefer Groll
Ist jählings mit uns aufgewacht.
Drum gecke weiter, alter Geck,
Und schwärme vom Medschidscheorden,
Wir – schreiten über Dich hinweg,
Denn anders ist die Welt geworden!
Sie schwelgt nicht mehr »an Baches Strand«
Und sucht verzückt das Blümlein »Blau«,
Sie hat sich endlich selbst erkannt
Und plant den grossen Zukunftsbau.
Zum Factum macht sie die Idee
Und lacht der Schwärmer hinterm Ofen –
Was sollen ihr nun, F.v.B.,
Was sollen ihr nun Deine Strophen?
Ein Musterstück für Versdressur,
Ein farblos Nichts, das bunt lackirt,
Vergleichbar einer Kinderuhr,
Die »fingerdick mit Gold beschmiert« –
So ungefähr als Mann von Fach
Würd ich den Mischmasch kritisiren;
Doch nein, auch das ist noch zu schwach,
Dein Witz ist ledern zum Crepiren!
Drum noch einmal: Streu Sand aufs Blatt
Und schreibe endlich Punktum drauf!
Wir sind den alten Krimskrams satt
Und athmen täglich freier auf.
Wir wünschen Dir, weil Du ergraut,
Auch schliesslich noch ein langes Leben;
Nur darfst Du nie, was Du verdaut,
In Versen wieder von Dir geben!
Denn traurig ist's mit anzuschaun,
Wenn ein zerbrochner Hampelmann
Noch immer thun will wie ein Faun
Und doch nicht kann, o Gott, nicht kann!
Dann zuckt's mir durch das Herz: Er weint!
Gespenstisch däucht mir seine Glatze,
Und wenn die Sonne drüber scheint,
Verklärt sie golden – eine Fratze!
7.
Wie es kam
Sie sassen in Walhall und tranken,
Die Kukukuhr schlug Eins,
Patagonier, Inder und Franken,
Confuzius, Kant und Prinz Heinz.
Sie sassen und tranken und Plato
–Der Windhund sass neben Silen! –
Silentium, rief er, bis Dato
Geht nichts mir über Athen!
Athen mit seiner Athene
Und Phidias, dem griechischen Kiss,
Athen und notabene
Seine Akropolis!
Virgil zerschlug seinen Humpen
Und brüllte: Rom, Hund, Rom!
Auch sein Nebenmann liess sich nicht lumpen:
O Stadt am Gangastrom!
Teut Michel pries keusch Buxtehude
Und machte dazu: Hem Hem!
Und Salomo, der Jude,
Plädirte: Jerusalem!
Napoli vedi e mori!
Ein Kerl im Frack hat's geschnalzt,
Bis meuchlings ein frecher Mahori
Ihm gründlich die Suppe versalzt.
Da erhub sich vom goldenen Stuhle,
Das Trinkhorn in der Hand,
Der alte König von Thule
Und küsste sein Burschenband.
Es blitzte sein Schläger im Weine,
Es klang so voll, so weich:
Alt Heidelberg, du Feine,
Du Stadt an Ehren reich!
Alt Heidelberg, du Feine –
Wie das ins Herz ihm schnitt!
Er sang es nicht mehr alleine,
Zehntausend sangen es mit!
Es sang es der ganze Chorus,
Childe Harold brummte: All right!
Und selbst der König Porus
Rief: Wetter, das Ding hat Schneid!
Derweilen, draussen vorm Thore,
Stand lauschend ein deutscher Scholar,
Der eben seiner Lore
Lachend entlaufen war.
Der hatte kein Wörtlein verloren,
Der fing einen Sonnenstrahl
Und gab ihm verträumt die Sporen
Und ritt ins Neckarthal.
Und heute, im Abendscheine,
Jeder Vogel singt es vom Blatt:
Alt Heidelberg, du Feine,
Alt Heidelberg, du Stadt!
8.
So ist's!
Auf diesem schönsten der Planeten
Erheben furchtbar ihr Geschrei
Die theegepäppelten Poeten
Der Höhern-Töchterclerisei:
»Schon wieder Einer, der revoltert,
Schon wieder Einer, der nur schreit:
Der Menschheit Herz habt ihr gefoltert,
Ich bin der Geist der neuen Zeit!
Was will der Lump? Was? Räsonniren?
Der Kerl, scheint's, hat den grossen Floh!
So jung noch und schon kritisiren!
O tempora! sagt Cicero.
Hm! Jedenfalls sitzt er im Dalles,
Doch, Teufel ja, wie dem auch sei!
Wir dulden alles, alles, alles,
Nur nicht Tendenzenreiterei!
Die Poesie ist keine Pfütze,
Sie brennt nicht wie ein Lampendocht,
Und nichts gilt uns ein Kopf voll Grütze,
Wenn sie das Herz nicht weich gekocht!«
Schon gut! So hört doch auf mit Schelten
Und schlagt mir nicht die Fenster ein!
Gewiss, ihr Herrn, ich lass es gelten:
Der Mensch lebt nicht von Brot allein!
Die Lerchen jubeln noch und klettern
An ihren Liedern in die Luft
Und dunkle Hochgewitter wettern
Noch nächtlich über Wald und Kluft.
Noch immer blüht im Lenz der Flieder,
Im Sommer duftet der Jasmin,
Die Nachtigall singt ihre Lieder
Und jeder Ton ein Blutrubin.
Und macht der Herbst dann seine Runde,
Umkreist das Adlerweib den Horst,
Dann wandert um die Mittagsstunde
Die Sonne golden durch den Forst.
Dann lieg ich träumerisch im Grase
Und freu mich, dass die Erde rund,
Und oft versetzt mich in Extase
Ein heisser, rother Frauenmund.
Und doch – o heilige Hippokrene! –
Wenn ihr das Ding so süss bereimt,
In Goldschnitt »gb.« notabene
Und roth mit Callico beleimt:
Fällt mir der Nürnberger Trichter
Und Geibels schöner Wahrspruch ein:
Man kann ein guter lyrischer Dichter
Und doch ein dummer Teufel sein!
9.
Die deutschen Denker an die deutschen Dichter
Wohl reiht ihr Reim an Reime
Und fügt zum Wort das Wort,
Doch eurer Saaten Keime
Uns dünken sie verdorrt –
Verdorrt, noch eh die Sichel
Der Zeit sie jäh durchkracht
Und so dem deutschen Michel
Die Arbeit leichter macht.
Denn ach, euch ging verloren
Der Dinge Gang und Grund,
Ihr hört mit tauben Ohren
Und sprecht mit stummem Mund.
Doch wehe eurer Scheitel
Am Tage des Gerichts,
Denn was ihr singt ist eitel,
Und was ihr sagt ist nichts!
Und doch, ging je vor Zeiten
Der Sänger mit dem Sieg,
Dann gilt es
heut
zu streiten
In einem heilgen Krieg.
Denn nicht um Hof und Heerde
Schlägt unser Herz und schwillt:
Heut ist's die ganze Erde,
Der unser Sterben gilt!
Seit Urbeginn schon gährte
Es tief im Schooss der Zeit
Und jede Stunde nährte
Den grausen Widerstreit.
Doch heute erst entrauchte
Die Lohe ihrem Schacht
Und blutig überhauchte
Sie das Gewölk der Nacht.
Und weh, das Glück zerschellte,
Was ganz war, brach entzwei,
Und durch die Lande gellte
Ein einzig lauter Schrei.
Mit Mehlthau übernetzte
Das Feld sich weit und breit
Und es begann der letzte,
Der Bürgerkrieg der Zeit.
Nun rast er durch die Auen
Und spielt sein wildes Spiel
Und uns durchrinnt ein Grauen,
Bedenken wir sein Ziel.
Die Tafel der Gesetze
Zerbarst wie sprödes Glas,
Die Tugend ward zur Metze,
Die Liebe ward zum Hass.
Die Wahrheit liegt im Staube,
Die Hoffnung sitzt und weint,
Gestorben ist der Glaube
Und ach, das Herz versteint!
Des Wahnsinns Schlangen zischen
Und Alp thürmt sich auf Alp
Und wüst erschallt dazwischen
Der Tanz ums goldne Kalb.
Doch nahn schon Gottes Boten
Und ihre Stimme spricht:
Lebendig sind die Todten
Und nahe das Gericht!
Der Erdball wankt und zittert,
Des Himmels Wolken drohn
Und durch die Lande wittert
Der Hauch des Todes schon.
Ihr aber, die zu Wächtern
Des Heiligthums bestellt,
Ihr habt euch den Verächtern
Des Himmels zugesellt;
Denn wenn der Donner rollte,
Verschlosst ihr euer Ohr,
Und wenn die Brandung grollte,
Wer war's, der sie beschwor?
Ihr stammelt wie die Kinder,
Dass niemand euch versteht,
Und jeder Reimverbinder
Ist heute ein: Poet!
Sich selbst singt er im Liede
Und macht es sich bequem,
Als wäre der ewige Friede
Schon mehr als ein Problem!
Doch nun genug der Schande,
Auf, auf! und greift zur Wehr
Und wandert durch die Lande
Und rudert übers Meer!
Streift ab die blumigen Ketten
Und folgt uns in den Krieg,
Denn noch sind sie zu retten
Die Ehre und der Sieg!
Und dräut auch manche Wolke
Euch schwarz am Horizont,
O haltet treu zum Volke,
Ihr habt's noch nie gekonnt!
Nach ihm streckt seine Krallen
Siebenfach die Noth;
Der schrecklichste von allen
Ist doch der Kampf ums Brot!
Zerknechtet und zerknetet,
Es kennt sich selber nicht;
Drum singt und wacht und betet:
Mehr Licht, o Gott, mehr Licht!
Und kehrt der Friede wieder
Dereinst nach Kampf und Streit,
Dann singt: Das Lied der Lieder,
Das ist das Lied der Zeit!
Den Franzosenfressern
O Land der blauäugigen Menschen!
.........................................................
Der Rhein bot dir Gold,
Bernstein das baltische Meer!
Musik ist dein Odem,
Deine Seele
Harmonie und Weihrauch;
Sie lässt in mächtigen Hymnen
Den Schrei des Adlers
Mit dem Gesange
Der Lerche wechseln!
.........................................................
Keine Nation ist gerechter als du!
Zur Zeit, als die ganze Erde
Noch ein Ort des Schreckens war,
Warst du unter den starken Völkern
Das gerechte Volk!
.........................................................
So lange, wie die Eiche
Dem Epheu ihre Arme bietet,
Warst du die Kämpferin
Für das alte
Recht der Besiegten!
Viktor Hugo
Ich bin ein deutscher Patriot
Und schwarz-weiss-roth sind meine Verse,
Denn treu dem Volk bis in den Tod
Schwör ich auf Werther, Faust und Lerse.
Manch goldbeschlagnes Auerhorn
Hab ich aufs Deutschthum schon getrunken
Und bin als Kerl von Schrot und Korn
Noch niemals untern Tisch gesunken.
Doch trotzdem ruf ich: Vive la France!
Honi soit, qui mal y pense!
O, nicht stets für sich selbst geschwärmt!
Aus tausend Schriften lässt sich's lesen:
Die Gluth, die mir das Herz durchwärmt,
Sie loht auch jenseits der Vogesen.
Das Volk der Rousseaus und St. Pierres,
Man mag's begeifern, mag's beneiden:
Mir ist's so lieb, wie das Homers,
Und kein Phantast soll's mir verleiden!
Drum ruf ich lautauf: Vive la France!
Honi soit, qui mal y pense!
O wer, als einst wie nie zuvor
Die Welt ein Haupt voll Blut und Wunden,
Sang ihr das »Lied im höhern Chor«,
Daran wir heute noch gesunden?
Rouget de L'Isle war's, der Franzos,
Die Seine rauscht's und die Garonne,
Und aus der Knechtschaft dunklem Schooss
Rang sich die Freiheit in die Sonne.
Drum juble, Seele: Vive la France!
Honi soit, qui mal y pense!
Wohl weiss ich's, krass war jene Zeit
Und ward von Tag zu Tag noch krasser,
Doch jede grosse Wahrheit schreit
Nach Blut und nicht nach Zuckerwasser!
Wem sie ihr Herz geoffenbart,
Der schrickt zusammen und bewundert's;
O, jener Schwur im Ballhaus ward
Zur ersten Grossthat des Jahrhunderts!
Drum juble, Seele: Vive la France!
Honi soit, qui mal y pense!
Wohl steht noch heut, Gewehr bei Fuss,
Ein Cerberus an jeder Grenze,
Doch schon umweht's mich wie ein Gruss
Aus ferner Zukunft fernem Lenze.
Dann schlägt kein Tambour mehr Allarm,
Dann steht die Welt voll goldner Halme
Und Frankreich ringt dann Arm in Arm
Mit Deutschland um dieselbe Palme.
Drum juble, juble: Vive la France!
Honi soit, qui mal y pense!
Doch ihr ... verhöhnt mich immer nur,
Ihr biedern Knopflochpatrioten;
Ich weiss, ihr schwärmt nur für Dressur,
Für Kalbsfilet und Schweinepoten.
Ihr sammelt Lumpen, sammelt Geld
Und träumt von längst verschollnen Tagen;
Was kümmert's euch, wenn durch die Welt
Der Zukunft Nachtigallen schlagen?
Ich aber rufe: Vive la France!
Honi soit, qui mal y pense!
Noch Eins!
Mit dem Volke soll der Dichter gehen,
Also les' ich meinen Schiller heut!
Ferdinand Freiligrath
Beim Leibe des Brots und beim Blute des Weins!
Merkt auf, ihr Herren im Frack!
Ihr hohen Herrn! denn ich pfeif euch noch Eins,
Noch Eins auf dem Dudelsack!
Und ob ihr auch flucht und mich niederschreit,
Mir Alles einerlei!
Die Porzellan- und Reifrockzeit
Ist Gottseidank vorbei!
Vor dem Drei-Stern, den
unsere
Zeit gebar,
Verschliesst St Peter die Thür:
Garibaldi heisst er und Bolivar
Und Toussaint L'Ouverture.
Es wandelt der neue Jesus Christ
Still durch die Völker schon:
O glaubt mir,
unser
Jahrhundert ist
Das Jahrhundert der Revolution!
Schaut hin, schon hat's an den Nagel gehängt
Purpur und Hermelin
Und sitzt am Studirtisch tief versenkt
In die heilige Schrift des Darwin.
Ja, die biblische Spottgeburt aus Lehm
Besann
sich auf ihre Kraft,
Und die Wahrheit entschleiert ihr Weltsystem
Vor der Köngin der Wissenschaft!
Ihr aber thut, als wäre die Welt
Noch die Welt, die sie ehmals war;
Ihr bucht eure Titel und zählt euer Geld
Und faselt von Thron und Altar!
Ihr faselt im Wachen, ihr faselt im Traum,
Und im Frühling genirt euch der Wind,
Und keiner merkt, wie im Freiheitsbaum
Schon die Knospen gesprungen sind!
Ihr spreizt euch und bläht euch und nörgelt und mault
Trotz Hunger und Dynamit
Und seid doch an Körper und Geist verfault,
Verfault bis ins hundertste Glied!
Ihr hasst das Licht wie die Pestilenz,
Und der Schuftigste brüllt: Ich riskir's!
Und schneuzt sich und schwört auf die Intelligenz
Der hinterpommerschen Peers!
Doch ein braver Fluch ist auch ein Gebet
Und die Marseillaise ein Lied,
Drum wenn das noch lange so weitergeht,
Dann weiss ich, was geschieht!
Dann ruft das Volk: Vermaledeit!
He, Pulver her und Blei!
Die Porzellan- und Reifrockzeit
Ist Gottseidank vorbei!
Religionsphilosophie
Und Ich will einen Bund mit dir machen!
Jeohova
O Herr, aus tiefer Noth
Schrei ich zu Dir hinauf:
Gieb mir mein täglich Brod
Und etwas Butter drauf!
Ein Stückchen Leberwurst
Wär schliesslich auch nicht ohne;
Du weisst, mein Teufelsdurst
Ist Deiner Schöpfung Krone!
Wär nur mein alter Hut
Nicht so entsetzlich schief;
Du weisst nicht, wie das thut,
Doch hier, hier brennt es tief!
Mein Flaus hält nur soso,
Ich wollt, er wäre wärmer;
Ein Winterpaletot
Macht Dich doch auch nicht ärmer!
Du siehst, mir fehlt noch viel,
Und meine Seele schreit,
Ich finde keinen Stil
Vor lauter Frömmigkeit!
Doch sei's. Ich bin ein Mann
Und will mich nicht erdreisten,
Nur musst Du dann und wann
Mir auch was Extra's leisten!
Für Klärchen einen Zopf,
Ein Cul für meine Frau
Und Sonntags in den Topf
Womöglich eine Sau!
Und lässt Du einmal, geht's,
Mich Calculator werden,
Dann will ich Dir auch stets
Erkenntlich sein auf Erden!
Dann halt ich hübsch den Mund
Bei andrer Spott und Hohn
Und gründe einen Bund
Für innere Mission.
Mein Fritz muss fürchterlich
Theologie studiren
Und schliesslich lass ich mich
Zum Kirchenrath creiren!
Doch, wenn Du filzig bist,
Dann dank ich für die Kur;
Dann werd ich Atheist
Und wähle bebel'sch nur!
Dann mag Altar und Thron
Nur dreist zusammenbrechen,
Dann werd ich Deinen Lohn
In Gold und Blut Dir blechen!
Doch, wie man's treibt, so geht's.
Mein Loos wägt Deine Hand,
Und eine wäscht ja stets
Die andre hier zu Land.
So nimm mein Herz denn hin,
Ich will's Dir ja nicht schenken;
Dass ich Geschäftsmann bin,
Wirst Du mir nicht verdenken!
Drum, Herr, aus tiefer Noth
Schrei ich zu Dir hinauf:
Gieb mir mein täglich Brod
Und etwas Butter drauf!
Ein Stückchen Leberwurst
Wär schliesslich auch nicht ohne,
Du weisst, mein Teufelsdurst
Ist Deiner Schöpfung Krone!
Arme Lieder
O dass er käme, jener Fürst der Liebe,
Der von dem Haupt die goldne Krone legt
Und, dass kein Herz verarmt und dürftig bliebe,
Den goldnen Reif zu frommen Münzen prägt,
Der seinen Purpurmantel voll Erbarmen
Zu Windeln theilte für die Brut der Armen!
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Ein schöner Traum! Er wird sich nicht erfüllen,
Doch blickt er schön aus rothem Dämmerlicht.
Es taugt, die Noth der Erde zu verhüllen,
Die Blumenpracht von hundert Lenzen nicht,
Allein so lang noch ird'sche Lenze dauern,
Wird der Poet mit dem Enterbten trauern.
Alfred Meissner
1.
Meine Nachbarschaft
Mein Fenster schaut auf einen düstern Hof,
Auf schmutzge Dächer und auf russge Mauern,
Doch wer wie ich ein Stückchen Philosoph,
Lässt darum sich noch lange nicht bedauern.
Ein wenig Luft, ein wenig Sonnenlicht
Dringt schliesslich auch durch
seine
trüben Scheiben,
Zu hungern und zu frieren brauch ich nicht
Und all mein Thun ist nur ein wenig Schreiben.
Ein wenig Schreiben, wenn ich stundenlang
Mich einlas in die Wunderwelt der Alten,
Bis endlich, endlich es auch mir gelang,
Was ich gefühlt, zum Wohllaut zu gestalten.
Dann fliesst es um mich wie ein Heilgenschein,
Und mir im Herzen bauen sich Altäre;
So könnt ich glücklich und zufrieden sein,
Wenn ach, nur meine Nachbarschaft nicht wäre!
Kein Schwärmer ist es, der die Flöte liebt
Und auf ihr nur »des Sommers letzte Rose«,
Kein Tanzgenie, das ewig Stunden giebt,
Auch kein klavierverrückter Virtuose:
Ein armer Schuster nur, der nächtens flickt,
Wenn längst aufs Dach herab die Sterne scheinen,
Indess sein Weib daneben sitzt und strickt
Und seine Kinderchen vor Hunger weinen!
O Gott, wie oft nicht schon hat dieser Laut
Mich mitten aus dem tiefsten Schlaf gerüttelt!
Und wenn ich halbwach dann mich umgeschaut,
Hat wild es wie ein Fieber mich geschüttelt.
Des Mädchens Schluchzen und des Knaben Schrei
Und ganz zuletzt des Säuglings leises Wimmern –
Mir war's, als hörte ich dann nebenbei
Drei kleine, kleine schwarze Bettlein zimmern.
Mir war's, als rollte dumpf dann vor das Haus
Der nur zu wohlbekannte Armenwagen
Und jene Bettlein trugen sie hinaus
Und luden sie in seinen düstern Schragen.
Der Kutscher aber nahm noch einen Schluck
Und peitschte fluchend seine magren Schinder
Und übers Pflaster dann ging's Ruck auf Ruck,
Doch ach, noch immer wimmerten die Kinder!
Und immer, immer noch klang's mir im Ohr,
Wenn schon der Morgen durch das Fenster blickte,
Und mir ums Auge hing einen Thränenflor,
Wenn ich dann stumm mein Tagewerk beschickte.
Was half mir nun mein »Stückchen Philosoph«?
In Trümmer fiel, was ich so luftig baute!
Doch that's das Haus nicht, nicht der düstre Hof,
Nein, nur die abgebrochnen Kindeslaute! –
Die Armuth bettelt um ein Stückchen Brot,
Doch herzlos lässt der Reichthum sie verhungern
Millionen tritt die Goldgier in den Koth,
Und Einen einzigen nur lässt sie lungern.
In seidne Betten wühlt sie ihn hinein,
Wenn er beim Sect sich endlich ausgeplappert,
Indess beim flackernden Laternenschein
Das bleiche Elend mit den Zähnen klappert.
O Gott, warum dies alles, o warum?
Wie Centnerlast drückt mich die Frage nieder!
In meinen Reimen geht sie heimlich um
Und ächzt und stöhnt durch meine armen Lieder.
Was bleibt mir noch auf diesem Erdenball?
Denn auch die Kunst, längst stieg sie vom Kothurne!
Einst schlug mein Herz wie eine Nachtigall,
Doch ach, nun gleicht es einer Thränenurne!
2.
Een Boot is noch buten!
»Ahoi! Klaas Nielsen und Peter Jehann!
Kiekt nach, ob wi noch nich to Mus sind!
Ji hewt doch gesehn dem Klabautermann?
Gott Lob, dat wi wedder to Hus sind!«
Die Fischer riefen's und stiessen ans Land
Und zogen die Kiele bis hoch auf den Strand,
Denn dumpf an rollten die Fluthen;
Han Jochen aber rechnete nach
Und schüttelte finster sein Haupt und sprach:
»Een Boot is noch buten!«
Und ernster keuchte die braune Schaar
Dem Dorf zu über die Dünen,
Schon grüssten von fern mit zerwehtem Haar
Die Frau'n an den Gräbern der Hünen.
Und »Korl!« hiess es und »Leiw Marie!«
»'T is doch man schön, dat ji wedder hie!«
Dumpf an rollten die Fluthen –
»Un Hinrich, min Hinrich? Wo is denn dee?!«
Und Jochen wies in die brüllende See:
»Een Boot is noch buten!«
Am Ufer dräute der Möwenstein,
Drauf stand ein verrufnes Gemäuer,
Dort schleppten sie Werg und Strandholz hinein
Und gossen Oel in das Feuer.
Das leuchtete weit in die Nacht hinaus
Und sollte rufen: O komm nach Haus!
Dumpf an rollen die Fluthen –
Hier steht Dein Weib in Nacht und Wind
Und jammert laut auf und küsst Dein Kind:
»Een Boot is noch buten!«
Doch die Nacht verrann und die See ward still
Und die Sonne schien in die Flammen,
Da schluchzte die Aermste: »As Gott will!«
Und bewusstlos brach sie zusammen!
Sie trugen sie heim auf schmalem Brett,
Dort liegt sie nun fiebernd im Krankenbett
Und draussen plätschern die Fluthen;
Dort spielt ihr Kind, ihr »lütting Jehann«,
Und lallt wie träumend dann und wann:
»Een Boot is noch buten!« –
3.
So Einer war auch Er!
Liegt ein Dörflein mitten im Walde,
Ueberdeckt vom Sonnenschein,
Und vor dem letzten Haus an der Halde
Sitzt ein steinalt Mütterlein.
Sie lässt den Faden gleiten
Und Spinnrad Spinnrad sein
Und denkt an die alten Zeiten
Und nickt und schlummert ein.
Heimlich schleicht sich die Mittagsstille
Durch das flimmernde, grüne Revier.
Alles schläft; selbst Drossel und Grille
Und vorm Pflug der müde Stier.
Da plötzlich kommt es gezogen
Blitzend den Wald entlang
Und vor ihm hergeflogen
Trommel und Pfeifenklang.
Und in das Lied vom alten Blücher
Jauchzen die Dörfler: Sie sind da!
Und die Mädels schwenken die Tücher
Und die Jungens rufen: Hurrah!
Gott schütze die goldnen Saaten,
Dazu die weite Welt;
Des Kaisers junge Soldaten
Ziehn wieder ins grüne Feld!
Sieh, schon schwenken sie um die Halde,
Wo das letzte der Häuschen lacht!
Schon verschwinden die ersten im Walde
Und das Mütterchen ist erwacht
Versunken in tiefes Sinnen,
Wird ihr das Herz so schwer
Und ihre Thränen rinnen:
»So Einer war auch Er!«
4.
Ein Herz, das zersprungen
Den Menschen fernab
In Sammt und in Trauer
Liegt einsam ein Grab,
Ein Grab an der Mauer.
Kein Marmorstein deckt
Den sinkenden Hügel,
Doch drüberhin reckt
Ein Baum seine Flügel.
Ein Christuskreuz sieht
Aus blühendem Flieder
Und manchmal auch kniet
Ein Weib davor nieder.
Und gestern, als sacht
Ich vorübergegangen,
Da gab ich drauf Acht,
Was die Vögel dort sangen.
Ich lauschte und sieh,
Da war es die alte,
Die Schmerzmelodie,
Die noch niemals verhallte:
Ein Baum, der verblüht,
Ein Ton, der verklungen,
Ein Stern, der verglüht,
Ein Herz, das zersprungen!
5.
Nachtstück
Längst fiel von den Bäumen
Das letzte Blatt,
In Schlaf und Träumen
Liegt nun die Stadt;
Die Fenster verdunkeln
Sich Haus an Haus
Und drüberhin funkeln
Die Sterne sich aus;
Kalt weht es vom Strom her,
Der Eisgang kracht,
Und drüben vom Dom her
Dröhnt's Mitternacht.
Ich aber schleppe mich zitternd nach Haus –
Der Nordwind bläst die Laternen aus!
Was half's, dass ich klagend
Die Gassen durchlief
Und mitleidverzagend
»Hier Rosen!« ausrief?
»Hier Rosen, o Rosen!
Wer kauft einen Strauss?«
Doch die Herren Studiosen
Lachten mich aus!
Und keiner, keiner ....
Dass Gott erbarm!
O unsereiner
Ist gar zu arm!
Mir wanken die Kniee, mein Herzblut gerinnt –
O Gott, mein Kind, mein armes Kind!
In stockdunkler Kammer,
Verhungert, verthiert!
Schon packt mich der Jammer:
»Ach Muttchen, mich friert!
Ach bitte, bitte
Ein Stückchen Brot!«
Mir ist es, als litte
Ich gleich den Tod!
Mir ist es, als müsste
Ich schreien: »Fluch!« –
O dass ich dich küsste
Durchs Leichentuch!
Dann wär es vorbei und sie scharrten dich ein
Und ich trüg es allein, o Gott, allein .....
6.
Weder Glück noch Stern!
Es war ein Narr! sprach mitleidslos die Welt,
Ein Träumer! milderte die Nachbarschaft
Und nur sein Herzfreund sprach: Er war ein Dichter!
Vor seinem Krankenlager aber sass
Die bleiche Schwester der Barmherzigkeit
Und blickte sinnend auf ein Blatt Papier,
Das gestern erst der flinke Telegraph,
Mit seinen krausen Zügen überdeckt,
Und nur mit Mühe konnte sie entziffern:
»Ihr erstes Stück! Ein Sensationserfolg!
Berühmt mit einem Schlag! Wir gratuliren!«
Er aber, dem dies kleine Blatt Papier
Die heissersehnte Botschaft künden sollte:
Glück auf, nun hast du nicht umsonst gelebt –
Er schlief und sah es nicht, denn er war todt.
Der dunkle Winterabend warf sein Licht
Kalt durch die zugefrornen Fensterscheiben
Und spielte zitternd um ein Frauenbild,
Das auf die bleiche Stirn des todten Dulders
Unsäglich schön und mitleidsvoll herabsah.
Darunter aber wand ein welker Kranz
Sich grün um ein vergilbtes Atlasband;
Drauf stand, voreinst von Freundeshand geschrieben,
Das Sprüchlein: Lorbeerbaum und Bettelstab!
7.
Ninon
Ninon heisst sie. Ihre Mutter
Handelt nachts mit Apfelsinen
An der Weidendammer Brücke.
Doch sie selbst ist Kammerkätzchen.
Stöckelschühchen. Sehr kokett.
Sehr kokett sitzt auch ihr Häubchen,
Das auf ihrem krausen Köpfchen
Weiss und niedlich balanciert.
Doch der kleine Marmorschlingel,
Der dem Spiegel vis-a-vis
Grad vor einem Makartstrauss hockt,
Lässt sich dadurch nicht verblüffen.
Immer, wenn ihr Pfauenwedel
Ihn frühmorgens abstäubt, lacht er.
Ja, die Stutzuhr kann sogar
Deutlich hören, was er sagt:
»Thu mir den Gefallen, Kind, und
Kokettiere nicht so viel!
Ninon nennt die gnädge Frau dich?
Geh, du heisst ja gar nicht so!
Martha heisst du. Dein Papa
War der gnädge Herr von Dingsda.
Vor drei Wochen in New-York
Starb er als Conditorlehrling.
Deine Mutter lebt. Sie schielt,
Hinkt und schnupft. Im Uebrigen
Handelt sie mit Apfelsinen
An der Weidendammer Brücke.«
8.
Im Volkston
Das Scheiden, ach das Scheiden,
Wer hat das nur erdacht
Und ein so schweres Leiden
Mir übers Herz gebracht?
Und wär's ein Kräutelein,
Ich nähm mein Messerlein
Und wollte flink zerschneiden
Die bösen Würzelein.
Ich hörte von den Weiben
Herzliebe und Herzleid,
Wo Herzelieb mag bleiben,
Ist Herzeleid nicht weit.
Herzliebe war uns hold
Und fluchs kam angetrollt,
Die Schwester zu vertreiben,
Herzleide, die ihr grollt.
Aus Thor und Thurm und Mauern
Zieh ich hinab das Thal
Und blicke noch in Trauern
Zurück zum letzten Mal.
Horch, wie die Winde gehn,
Schau, wie die Blätter wehn –
Ach Gott, wie lang wird's dauern,
Bis wir uns wiedersehn!
Der Teufelsteich
Thörichte Freunde des todten Alten,
Fahrend in ausgeleierten Gleisen,
Tanzend nach verklungenen Weisen,
Möge dies Mährlein euch unterhalten.
Lenau
Die Leute nennen ihn den Teutelsteich.
Die alte Müllersch, die mit Krücken wirft,
Die Hurenlieder singt und Kräuter trocknet,
Und die der Pfundwirth immer Hexe schimpft –
Wahrscheinlich weil die Kathi schwanger geht,
Weil morgen Markt ist und sein Bier nichts taugt –
Die alte Müllersch hat's nicht weit von ihm.
Ihr wisst, auf Christenleute Worte werfen,
Die um ihr Renommee wie Kletten baumeln,
Sie Höllenunflad, Fegefeuerzangen
Und Teufelsfricassee betituliren,
Ist nicht mein Amt. Ich bin kein Leutepriester.
Ich bin nur sozusagen Philosoph.
Ich züchte Bienen, schneide Haselruthen
Und bläu den Jungens meine Fibel ein.
Doch diese Müllersch ... wie? Ihr kennt sie nicht?
Ei, was Ihr sagt! 'S ist ja dasselbe Weibsbild,
Das neulich über diesen Zaun geschielt,
Grad als der Toni sich den Fuss verstauchte
Und meine Mietze sieben Junge warf!
Zum Kukuk, Herr, entsinnt Ihr Euch denn nicht?
Ach, geht! Ihr sasst ja grad auf dieser Bank
Und suchtet Euer weisses Taschentuch.
Nicht wahr? Ein Schluckanfall! Nun ja, ich sag's ja!
Hm? Und mein Altchen? Ach, die gute Seele!
Hat sie nicht dreimal Euch ins Kreuz gestukt?
Glaubt mir, ich hab's Euch immer schon gesagt,
Sie hat Euch lieb; weit lieber noch als mich;
So lieb, wie ihr Kanarienvögelchen.
Und als ihr Mittelchen nicht gleich verschlug?
Lief sie nicht händeringend nach dem Brunnen
Und stolperte dann über diesen Pflock,
Den ich erst Ostern so hübsch rund geschnitzt
Und jetzt zu Pfingsten grün bemalen wollte?
Und ging mir selber, da ich still dabei stand
Und blaue Ringel in den Flieder blies,
Ging mir nicht einszweidrei das Pfeifchen aus?
Die Hexe aber, die es ausgeblasen,
Die mir mein Altchen beinah lahm geschielt
Und Euch den Schluckauf in den Hals gewünscht,
That unschuldsvoll wie ein Marienbildchen,
Griff dreimal an ihr gelbes Kopftuch, nieste,
Sah blinzelnd in die Sonne und verschwand
Dann endlich hinkend hinter jenem Kirschbaum.
Mag Lux, der Glöckner auf den Melibocus,
Ihr mal gelegentlich um Mitternacht
Mit seinem Kuhschwanz das Genick abdrehn!
Der neue Amtmann wird sie hoffentlich,
Wenn unser Herrgott nichts dagegen hat
Und Pfarrers Köchin nicht dahinter kommt,
– Wie ich mir denke, noch so vor Johanni –
An irgend ein Spital verauktioniren.
Wenn's der Gemeinde, der das rothe Schulhaus
Schon unverschämt viel Geld gekostet hat,
Nur nicht das Futter aus dem Säckel reisst!
Das Jahr fünf Thaler wird's ihr freilich kosten.
Dass doch ein Weibsbild so verflucht schwer stirbt!
Na, gut, dass wenigstens das alte Rauchloch,
Drin sie seit Jahren schon herumspelunkt,
Von unserm Dörflein so hübsch abseits liegt!
Die Kühe milchen so wie so schon schlecht.
Wer weiss, wenn sie die Alte grünlich anspuckt,
Ob sie nicht Frösche mit fünf Beinen kalben?
Doch von der Müllersch, die mit Krücken wirft,
Die Hurenlieder singt und Kräuter trocknet,
Und die der Pfundwirth immer Hexe schimpft,
–Sein Schwager Forstwart will sogar drauf wetten,
Dass sie nach Kümmel stinkt und Taback kaut –
Von dieser Müllersch wollt ihr ja nichts hören.
Ihr wollt nur wissen, was die Ofenbank
Am Abend, wenn das Feuer auf den Dielen
Sich blassroth zwischen Kalmusblättern malt
Und weiss der Winter durch die Scheiben lugt,
Was dann die Ofenbank sich plappermäulig,
Indess die Mädels ihre Spindeln drehn,
Vom Teufelsteich zu colportiren weiss.
Nun gut. So hört denn zu.
Vom Teufelsteich
Mag's bis zur Kathe von der alten Müllersch,
So ungefähr drei Vaterunser weit sein.
Ihr wisst, die Haide fängt schon früher an.
Um seine Ufer, die von Scherben starren,
Von Stiefelsohlen und Papier umkränzt,
Dehnt sie sich nackt und dürr wie ein Gerippe.
Sand, nichts als Sand und immer wieder Sand,
Soweit die Raben ihre Flügel blähn!
Drei alte Silberpappeln rauschen nur
Gespenstisch in den dunklen Abendhimmel,
Und blutroth drunterhin schwankt eine Blume.
Die einzige, die hier zu blühen wagt.
Denn niemals singt ein Vogel ihr ein Lied,
Ihr Duft erstickt in der verfaulten Luft
Und in den Wassern darf sie sich nicht spiegeln.
Denn die sind kohlschwarz wie das Herz des Teufels.
Das Boot, das ruderlos im Schilf verfault,
Hat längst der Sumpfpilz wie ein böser Aussatz
Mit grossen, grünen Buckeln übertupft
Und um die Kette, die durchs Wasser schleift,
Klebt Schlamm und Entengrütze fingerdick.
Die Planken, die verspaakt, zurechtzubasteln,
Hat sich bisher noch niemand träumen lassen.
Wozu auch? Karpfen giebt's dort nicht zu angeln
Und Krötensuppe mag der Pfarrer nicht.
Klaus Tom, der Fischer, hat sein graues Netz
Nur noch zum Staat vor seiner Thür zu hängen!
Punkt fünf Uhr morgens steht der Racker auf,
Probirt sein Süpplein, gähnt, schlurft in sein Gärtchen,
Stäubt dort das morsche Bretterbänklein ab,
Stopft sich gemüthlich seinen Türkenkopf,
Schlägt dann das rechte übers linke Bein,
Pafft wie ein Schornstein, zählt die Sommerwolken
Und merkt daneben, was die Fliegen summen.
Zu Frühstück schickt ihm dann der alte Matthies,
Der neulich erst den schwarzen Stern gepachtet,
Ein Kümmelchen mit Pommeranzen rüber.
Ein Kümmelchen! Das heisst wohl mehr ein Kümmel.
Man lutscht bequem ein Viertelstündchen dran.
Natürlich ist man dann zu Mittag hungrig!
Dreimal die Woche Häring, einmal Fleisch
Und Samstag Abend ein Gebacknes extra!
Na, mir kann's recht sein! Seit der Geizhalssepp
Ihm erst um Lichtmess den Gefallen that
Und sich zum Vesperbrod auf seinem Strohsack
Mit einem Hühnerbein die Gurgel einstiess,
Darf sich sein Päthling schon sein Süpplein schmälzeln!
Fünf alte Strümpfe, wie ein Weib sie trägt,
Mit Doppelkronen aus der Schwedenzeit,
Sind auch für unsereins kein Katzendreck.
Nur Schade, dass das Blech der Armenbüchs,
Noch niemals, wenn der Protz dran rumgeschielt,
»Schöndank« geklimpert! Doch – was schwatz ich da!
Klaus Tom, der Fischer, der sein graues Netz
Nur noch zum Staat vor seine Thür gehangen,
Der seinen Türkenkopf mit Gold beschlug
Und Kümmel nur mit Pommeranzen trinkt,
Klaus Tom, der Glückspilz, geht bei Licht besehn
Euch ja noch wenger als die Müllersch an.
Die alte Müllersch, die mit Krücken wirft,
Und die der Pfundwirth immer Hexe schimpft!
Nicht wahr, Ihr wolltet doch nur wissen, Herr,
Was sich die alten Weiberzungen hier
Um Mitternacht, wenn Hans das Gruseln lernt
Und Grete näher an den Ofen rückt,
Was dann die alten Weiberzungen hier
Vom Teufelsteich sich in die Ohren zischeln?
Nun gut. So hört denn zu. Mein Grossohm Pankraz,
Der's selbst mit angesehn, hat's mir verbürgt.
Denkt Euch die Haide, die sich meilenweit
Nackt, braun und baumlos, dass das Herz Euch weh thut,
Wenn Ihr ans Waldgrün Eurer Heimath denkt,
Bis fernhin in den Horizont verliert.
Weiss durch die Silberpappeln um den Teich
Segelt ein Sommerfaden. Es ist Abend.
Schwarz liegt das Wasser da, schwarz wie die Sünde,
Und drüber, wie ein blutender Rubin,
Neigt sich die zauberhafte Blume ...
Der Nebel, der phantastisch sie umwindet,
Rollt sich jetzt auf und ringelt wie ein Wurm
Sich weiss und langsam bis ins Dorf hinein.
Jetzt knarrt die Kirchhofsthür, ein Schlüssel dreht sich
Und auf die Christuskreuze tropft der Thau.
Der fahle Schwefelstreif im Westen stirbt,
Vom Wald her brüllt verirrt noch eine Kuh,
Und durch den dunkelblauen Himmel tropfen
Ihr Licht die Sterne. Alles still ...
Nur dass der Nachtwind, der im Schlafe träumt,
Mal ab und zu mit seinen Flügeln schlägt,
Und dass die Unkenmuhme tief im Teich
Bisweilen ihre dumpfen Glocken läutet.
Da – plötzlich! schreit die alte Thurmuhr Zwölf
Und mitten aus dem schwarzen Rachen reckt
Sich weiss und lautlos in die dunkle Nacht
Ein nackter Frauenarm ...
Das Wasser, das wie Mondlicht ihn umfliesst,
Ballt sich zu grossen, runden Tropfen, glitzert
Und rollt dann wieder langsam in die Fluth.
Indessen wächst der Arm und wächst und wächst.
Das Griechenweib, das einst Homer besang,
Und das noch heut als Vampyr durch die Nacht irrt,
Verkriechen müsst es sich vor seiner Schönheit,
Wenn er nicht – Krallen statt der Nägel hätte!
Indessen wächst der Arm und wächst und wächst.
Doch kaum, dass ihn die Sterne droben sehn,
So fängt ihr Licht auch schon zu flackern an,
Als ob sie's eiskalt, wie ein Fieber packte,
Und mehr als einer zittert wie ein Kind,
Das nachts durch eine dunkle Stube gehn soll.
Indessen wächst der Arm und wächst und wächst.
Er wächst und wächst, bis seine Klaue schliesslich
Sich jäh und rund um den Orion klaftert,
Ihn knisternd aus dem blauen Himmel gräbt
Und mitleidslos den angstvoll Zitternden
Hinunter in die schwarze Tiefe krallt!
Dann reckt er wieder langsam sich empor,
Pflückt die Plejaden, löscht den Uranus
Mit einem Tupf drauf wie ein Windlicht aus,
Bringt den Saturn erst, dann die Venus um
Und ruht nicht eh'r von seinem grausen Handwerk,
Als bis er sich die lieben, goldnen Dinger,
Alle,
Bis auf den letzten! in den Sumpf gekrallt.
Doch der schreit auf, wie ihn das Unheil packt,
Die Morgennebel, die ums Schilf sich winden,
Umschleiern rosenroth den Sonnenaufgang
Und links vom Dorf herüber krähn die Hähne.
Nackt, braun und baumlos dehnt die Heide jetzt
Sich wieder fern bis in den Horizont
Und rund aus seinem Scherbengürtel gähnt
Der alte Tümpel, schwarz wie immer ...
Doch wenn ein Sonntagskind vorüber geht,
Sieht's roth und tellergross in seiner Mitte
Wie Blut durchs todte Wasser blitzen,
Und mitten wieder durch den Blutfleck schwimmen,
Die fleckigen Kadaver gelb gedunsen,
Drei todte Kröten ...
Wenn sie mein Grossohm nicht, der alte Pankraz,
Mit seinen eignen Augen selbst gesehn,
Ich würde meine Dose hier drauf wetten,
Dass dieses Märlein nur ein Märlein ist!
Doch giebt's ja manches, Herr, auf dieser Welt,
Was in den Katechismus schlecht hineinpasst.
Wozu soll also dies Histörchen hier
Durchaus erstunken und erlogen sein?
Die alte Müllersch beispielsweise hat,
Wenn sie betrunken Abends durch das Dorf trollt,
Schon manches vor sich in den Wind geschwatzt.
Was unsereinem sehr zu denken giebt.
Man munkelt so von einer Enkelin,
Die sie in alter, längstverschollner Zeit,
Als noch die Möbel krumm verschnörkelt waren
Und die Soldaten hinten Zöpfe trugen,
An unserm König seinen Ohm verschachert.
Demselben der – ich glaube, bei Kollin war's –
Sich die Blessur links in den Arm geholt,
Als er mit seinen ungrischen Schwadronen
Die zwölfte Batterie zusammenritt.
Ihr kennt ihn, Herr, gewiss aus Euern Büchern
Den Prinzen Theodor! Gott hab ihn selig.
Der Schnurrbart hing ihm unter seiner Nase
Zu beiden Seiten wie ein schwarzer Pechdraht.
O, er sah forsch aus! Der Husarendolman,
Der roth um seine Schultern flatterte,
Wird Euch noch heut im alten Residenzschloss
Für einen Gulden vom Portier gezeigt.
Das dumme Mädel aber war zu jung,
Ich mein, zu jung, um nicht verrückt zu sein,
Warf ihm den golden Krimskrams vor die Füsse,
Spieh nachts wie toll ihm mitten ins Gesicht,
Riss sich den seidnen Plunder frech vom Leib
Und lief bei Nacht und Nebel auf die Haide.
Der Wenzel aber, den sie lieb gehabt,
Vor dem sie weinend auf den Knieen lag,
Der Wenzel lachte auf, wie ein Besessner,
Biss sich in die geballte Faust, schrie: Hure!
Und stiess den armen Klumpen Weib dann schliesslich
Mit seinem Fuss wie eine Hündin fort.
Drei Tage drauf fand Barthel Franz, der Wildrer,
Der grade Holz für seine Weiber stahl,
Den rothen Prinzen unter einem Ahorn.
Die Kugel war von einem Kreuz geritzt
Und ihm gerade durch die Brust gegangen.
Der Mussjöh Feldscheer, der mit seinem Wäglein
Ein Stündlein drauf aus Schöppstedt ankutschirt kam,
Hat nur die Achseln dazu zucken können.
Ja, wo der tolle Wenzel einmal zuschoss,
Da hat kein Pflästerchen mehr hacken wollen!
Das Blutgeld aber, das dann die Justiz
Noch selbgen Tags, auf seinen Kopf gesetzt,
Hat sich kein Christenmensch verdienen wollen.
Am Aschermittwoch war die Residenz
Vom Kärntnerthor bis an den Elsterplatz
Schwarz ausdrapirt wie ein Paradesarg,
Und am Charfreitag schwamm der Wenzel schon
Als Leichtmatrose nach Amerika.
Postmeisters Günter, den sein Corporal
So krumm genommen, bis er desertirt war,
Sah ihn in Boston dann als Seifensieder.
So Stücker zehn bis fünfzehn Jahre freilich
Mocht's her sein, dass er ausgekniffen war!
Das arme Mädel, die Sabine aber
War unterdess in unsern Teich gesprungen. –
Doch lassen wir den alten Schnickschnack, Herr!
Das Kirchhofsgras, das über ihn gewachsen,
Wird, wenn es Zeit, auch über uns sich biegen.
Was? Teufel! Zeigt die Sonnenuhr schon Sieben? ...
Pst! Still doch! Hört Ihr? Unser Altchen ruft schon!
Wenn wir noch länger diesen Zaun hier schief stehn,
Sperrt uns der Amtmann noch ins Spritzenhaus.
Vergesst auch dort nicht Euer Taschenbuch!
Und dieser Bleistift? Eurer? Na, denn kommt!
Doch lasst den Bauch Euch nicht zu heftig knurren:
'S giebt heut nicht viel. Nur ein Kartoffelsüpplein!
Emanuel Geibel
Und eine Krone ist gefallen von dem Haupte eines Königs!
Und ein Schwert ist gebrochen in der Hand eines Feldherrn! Und ein hoher Priester ist gestorben!
Ludwig Börne
1.
Dir ward das Köstlichste verliehen
In dieser Tage Sturm und Drang:
Ein Sinn für ewge Harmonieen
Und eine Seele voll Gesang.
Dem Jüngling lauscht, es lauscht dem Greise
Das deutsche Volk allüberall,
Und lieblich klingt die süsse Weise:
Dein Herz ist seine Nachtigall!
Denn wer verstand wie Du das Wesen
Der deutschen Sehnsucht und ihr Leid?
Zu ihrem Herold auserlesen,
Warst Du das Echo Deiner Zeit!
In dämmerschwülen Tagen sangst Du
Dein: Wache auf! dem deutschen Reich
Und nach dem Sieg von Sedan schlangst Du
Das Oelblatt in den Lorbeerzweig.
Doch nicht der Zeit nur und ihr Wüthen
Hat Dir das Harfenspiel bewegt,
Die duftigsten der Liederblüthen
Dein eignes Herz hat sie gehegt.
Doch was es immer auch erfahren,
Stets blieb Dir heilig Deine Kunst,
Und eingedenk des Ewig-Wahren,
Verschmähtest Du des Pöbels Gunst!
Dem Herrn befahlst Du Deine Wege
Und übtest fromm Dein frommes Amt,
Dem Lenz gleich, der das Dorngehege
Mit rothen Rosen überflammt.
Denn alles, was mit seiner Schöne
Das Herz erquickt in Wald und Flur,
Du gabst ihm Worte, gabst ihm Töne,
Ein Hoherpriester der Natur!
Und jetzt in einer Zeit der Gährung,
Der schon das Blut zu Eis gerinnt,
Weil sie in eitler Selbstverklärung
Den Thurmbau Babels neu beginnt:
Wer schickt sie aus, die Friedenstaube,
Wer bricht das Brot und trinkt den Wein?
Du bist es, Du, Du und Dein Glaube,
Dein Glaube an ein Gottessein!
Wohl tanzt noch immer die Verblendung
Wie ehmals um das goldne Kalb,
Doch naht die Zeit schon der Vollendung
Und weichen wird von uns der Alp.
Denn nicht umsonst hast Du gerungen,
Wie Du gekämpft, hast Du gesiegt:
Von Sphärenharmonie umklungen,
Ein Aar, der in die Sonne fliegt.
Schon steht die Kunst nicht mehr am Pranger,
Schon winkt aufs Neu ihr Bahn auf Bahn,
Und unsre Zeit sieht zukunftsschwanger
Das kommende Jahrhundert nahn.
Drin werden tausend Blüthen blinken
In neuer Glorie neuem Schein,
Und mag die Frucht auch andern winken,
Die Saat, die goldne Saat ist Dein!
O alte Zeit, o altes Lieben,
Euch schleift kein Stahl, kein Diamant!
Was so vor Jahren ich geschrieben,
Heut nahm ich's wiederum zur Hand.
Und wieder sprang mit jedem Schlage
Mein Herzblut an zu schnellerm Lauf,
Und eingedenk verschollner Tage,
Schlug ich die Juniuslieder auf.
Ferndraussen schwebte durch die Lüfte,
Der erste Sonntag im April,
Durchs Zimmer flog's wie Veilchendüfte
Und heimlich war's und kirchenstill.
Vom Thurm nur läuteten die Glocken
Den Winter in sein Wittwerbett,
Und frühverwehte Blüthenflocken
Warf mir der Lenz aufs Fensterbrett.
Ich aber sass und las sie wieder –
O Gott, mir war das Herz so schwer!
Ich las die alten, goldnen Lieder:
Das Heimweh und die Nacht am Meer.
Im Mondschein schritt ich weltvergessen
Hinunter und hinauf den Strand,
Und sacht umrauschten die Cypressen
Das Inselmeer von Griechenland.
Des Südens Sterne sah ich scheinen,
Doch fühlt ich nicht des Südens Lust,
Der Liebe langverhaltnes Weinen
Rang schluchzend sich aus meiner Brust.
Als müsst es wonnig sich verbluten,
Vor Sehnsucht ward das Herz mir weit,
Und durch mein Sinnen liess ich fluthen
Das Heimweh nach der Ewigkeit.
Und wieder dacht ich dann begeistert
Des Sängers, der dies Lied einst sang,
Der eine Welt mit ihm bemeistert
Und Zeit und Raum mit ihm bezwang.
Sass er jetzt auch in sich versunken,
Ein Liederbuch auf seinen Knien,
Und lauschte lenz- und wohllauttrunken
Dem Glockenspiel von St. Marien?
Er, der Brunhilde, die Walkyre,
Aus Island rief an unsern Rhein ...
Da horch, ein Klopfen an der Thüre
Und laut erschallte mein Herein!
Und eilvoll trat zu mir ins Zimmer
Mein Freund, der mir die Rechte bot;
Schon seines Auges feuchter Schimmer
Sprach, eh's sein Mund sprach: Er ist todt!
Er starb, noch eh die Morgenröthe,
Eh sich die Nacht ins Auge sahn;
Mit Uhland, Schiller und mit Goethe
Wallt nun auch Geibel seine Bahn.
Die Stirn vom Lorbeer sanft umfächelt,
Mit seinem Herrn ist er vereint;
Sein bleiches Antlitz liegt und lächelt,
Die ewge Liebe aber weint. –
O wehmuthweiche Trauerkunde,
Wie schlugst du schmerzlich an mein Ohr;
Mir war's, als ob ich jäh zur Stunde
Ein Stück von meinem Selbst verlor!
Der Tod, der bleiche Allvernichter,
Blies mir ins Herz die Melodie:
O, nun ist todt der letzte Dichter
Und mit ihm auch die Poesie!
Kein armes Wörtchen könnt ich stammeln,
Ein Schauer war's, der mich beschlich,
Erst mählich wusst ich mich zu sammeln,
Der Bann, der mich umfangen, wich.
Der Muse Flügel hört ich schlagen
Und all mein Wesen war entflammt:
Halt ein, rief ich, mein Freund, mit Klagen,
Nun feiern wir sein Todtenamt!
Und sacht hiess ich ihn niedersitzen,
Ich aber wandte mich geschwind,
Der blanken Lederbände Blitzen
Zog magisch mich ans Bücherspind.
Durchs Fenster fielen Sonnenstäubchen
Und bauten einen goldnen Steig
Und draussen wiegte sich ein Täubchen
Auf windbewegtem Fliederzweig.
Ich aber las schnell längs den Brettern
Die bunten Titel Band für Band,
Bis endlich mit vergilbten Lettern
Ich ein verstaubtes Büchlein fand.
Gepresst lag eine Schlehdornblüthe
Drin als ein Pfand verjährter Lust;
Ich schlug es auf, mein Antlitz glühte,
Und klangvoll brach's aus meiner Brust:
»Es ist ein hoher Baum gefallen,
Ein Baum im deutschen Dichterwald,
Ein Sänger schied, getreu vor allen,
Von denen deutsches Lied erschallt.
Wie stand mit seinem keuschen Psalter
Im jüngern Schwarm er stolz und schlicht;
Ein Meister und ein Held wie Walther
Und rein sein Schild, wie sein Gedicht!«
Ein gluthgeborstner Feuerofen,
In lohen Flammen stand mein Herz;
Rollt doch ein Klang durch diese Strophen,
Ein Klang wie von korinthisch Erz!
Und weiter, immer weiter las ich
Des todten Dichters eignes Lied;
Dass er's einst Uhland sang, vergass ich
Und wusste Eins nur noch: Er schied!
»Er schied, es bleibt sein Mund geschlossen
Im Wort so karg, im Lied so klar:
Der Mund, draus nie ein Wort geflossen,
Das seines Volks nicht würdig war
Er schied: doch waltet sein Gedächtniss
Unsterblich fruchtend um uns her,
Das ist an uns sein gross Vermächtniss:
So treu und deutsch zu sein, wie er!«
Ich schwieg, der Lenz hielt draussen Feier
Und unsre Herzen schlugen drein,
Und leuchtend über Wald und Weiher
Sein Goldnetz wob der Sonnenschein.
Verwehte Frühlingsdüfte kamen
Von fernher über Fluss und Ried,
Und wie ein feierliches Amen
Klang hoch im Blau ein Lerchenlied.
2.
Und wieder hieb,
Taub für den Wahnwunsch,
Den tausendfältigen
Ihres Geschlechts,
Unbarmherzig
Mit eherner Schneide
Die Zeit in ihr Kerbholz:
Wieder ein Tag!
Und wieder nun wandelt,
Fröhlich wie immer,
Singend der Abend
Durch das Goldthor des Westens
Den hängenden Gärten
Der sinkenden Sonne zu
Und leis verhauchen,
Vor Wehmuth zitternd,
Ihr tönendes Leben
Ins Spätroth die Glocken,
Die Trauerglocken
Zu Lübeck, der Stadt.
Und immer stiller
Wird es und stiller –
Und immer dunkler!
Längst ist zerstoben
In alle vier Winde
Des todten Dichters
Letztes Geleit.
Nur hie und da noch
Am Brunn auf dem Marktplatz,
Oder im Winkel
Der dämmrigen Gasse,
Mit verschränkten Armen
Gelehnt an die Hausthür,
Erzählt vertraulich
Der Nachbar dem Nachbarn,
Aus braunem Meerschaum
Bläuliche Wölkchen
Ins Zwielicht blasend:
Wie auch er,
Schon am frühen Morgen,
Den wuchtigen Hammer
Bei Seite gelegt
Und staubüberdeckt
Den blauen Werkeltagskittel
Vertauscht mit dem schwarzen,
Wohlgebürsteten Sonntagsrock.
Wie er, begleitet
Von seinem Vetter,
Dem Fabrikanten,
Drauf gravitätisch
In modischem Aufputz
Dem Zuge gefolgt sei;
Und wie auch er dann
Von seinem Gönner,
Dem Herrn Senator,
Die Gunst sich erwirkt
Und dem grossen Todten,
Dem Ehrenbürger
Der freien Vaterstadt,
Feuchten Blicks
Eine Hand voll Erde
Ins Grab geworfen.
Und immer dunkler
Wird es und dunkler –
Und immer stiller!
Das bleiche Antlitz
Von Schleiern umhangen,
Von Haus zu Haus
Wandelt die Nacht.
In Erkern und Giebeln
Blitzt es von Lichtern auf
Und leuchtende Streifen
Fallen wie Gold
Durch die Scheiben der Fenster
Weit auf die Gasse.
Kaum, dass ein Wandrer,
Der nachtverspätet
Den Heimweg sucht,
Sie quer durchschneidet.
Aber droben im traulichen Zimmer
Am warmen Kamin,
Umringt von den Kindern,
Sitzt die Hausfrau;
Und auf den Schooss
Hebt sie ihr jüngstes,
Blondes Töchterchen,
Die kleine Ada;
Und hochaufhorchend
Vernehmen die Mäuschen,
Dass der alte Mann
Mit dem weissen Schneebart,
Den sie erst gestern noch,
Umduftet von bunten,
Zaubrischen Blumen,
In einem schmalen,
Glasüberdeckten,
Schwarzen Kasten
Bleich und reglos
Liegen gesehn,
Ein König gewesen,
Dessen Reich
So schrecklich gross war,
Dass drin die Sonne
Nie untergegangen.
Und wie die Mutter
Den kauernden Kindern
Dann weiter erzählt,
Dass der todte König
Auch noch ein Zaubrer war,
Der die Sprache der Vögel verstand
Und das Duften der Blumen,
Das Wehen der Winde,
Das Funkeln der Sterne,
Das Rauschen der Wälder,
Ja, selbst den Herzschlag der Menschen,
In wunderselige,
Geheimnisssüsse
Zauberlieder zu bannen gewusst:
Da nickt auch der Vater,
Der seitab im Lehnstuhl
Ueber die Zeitung gebückt
Mit halbem Ohr
Der Erzählerin lauscht,
Und still überdenkt er
Das Leben des Dichters,
Des todten Dichters,
Und siehe auch ihm,
Dem Skeptiker, däucht's nun
Fast wie ein Märchen!
Und weiter draussen
Immer weiter,
Von Haus zu Haus,
Wandelt die Nacht.
Immer stiller
Wird's auf den Gassen,
Immer dunkler
Werden die Fenster
Und ein Licht lischt nach dem andern aus.
Wo aber einsam,
Die schlaflosen Züge
Vom Goldlicht der Lampe
Sanft überhaucht,
Noch ein Menschenkind wacht,
Da wühlt es sich nicht mehr
In düstre Probleme,
Da fragt es sich nicht mehr
Um Sein oder Nichtsein,
Wie weiland Hamlet
Oder Faust:
Ein kleines Büchlein
Mit blankem Goldschnitt
Hält es entzückt
In seiner Hand,
Und golden träufelt
Aus jedem Liede,
Das lustberauscht
Sein bebendes Lippenpaar
Klangvoll ausströmt,
Bezaubernder Wohllaut
Ihm ins Ohr.
Er aber, er,
Der einst vor Jahren,
Vor langen Jahren,
Mit seinem warmen,
Rothen Herzblut
Die Blätter beschrieben,
Dass nach Jahrhunderten noch
Der spätgeborene Enkel –
Zieht er sie prüfend
Aus seinem Erbschrein
Wieder ans Licht –
Von ihrer Räthselkraft
Magisch durchzuckt wird
Und die Blätter,
Die unscheinbaren Blätter,
Nicht hergeben will,
Nicht um Gold und Gesteine:
Er schlummert die Nacht nun,
Die erste Nacht auf dem Friedhof!
Silbern stiehlt sich der Mond
Durch das grüne Gezweig
Und spiegelt sich wieder
In den tausend blanken Blättern,
Die trauernd der Lorbeer
Seinem Liebling
Aufs Grab gestreut;
Und weinend breitet
Die ewige Liebe
Ihre schirmenden Fittige
Drüber aus.
Noch hat der Lenz
Aus seinem Füllhorn
Die schönsten Blumen,
Die lieblichsten Düfte
Nicht über die Erde gestreut,
Denn noch weilt die Nachtigall
»Fern im Süd«
Und klang- und duftlos nur
Grünt der Flieder.
Aber die Liebe,
Die Allurewige,
Glaubend und hoffend
Hebt sie ihr Antlitz,
Ihr thränenumflortes,
Hoch empor
Zu den ewigen Sternen;
Und mitleidsvoll
Leiht der Allgütige
Ihrer Klage sein Ohr.
Mit dunklen Schleiern
Die Gräber um sie
Rings überdeckend,
Zeigt er der Lächelnden
Ein farbenschillerndes
Bild der Zukunft.
Da wird es licht um sie,
Ihr von den Augen
Fällt es wie Schuppen
Und durch ihr Sinnen
Zuckt's wie ein Traumgesicht:
Hochauf recken
Die Thürme von Lübeck,
Die sieben Thürme,
Die vielbesungnen,
Sich blitzend ins Morgenroth
Und aus den Gärten,
Den vollerblühten,
Am Ufer der Trave,
Schluchzt nun die Nachtigall
Ihr erstes Lied!
Aber durchs Stadtthor
Auf staubiger Strasse
Am schwarzen Gitter
Des Friedhofs vorbei
Ziehen zwei Bursche,
Zwei junge Bursche
Mit Ränzel und Knotenstock,
In die weitweite Welt,
Und jubelnd ringt sich
Aus ihren Kehlen,
Aus ihren Herzen
Das alte Lied:
Der Mai ist gekommen!
Der Mai ist gekommen!
Nicht sie allein nur
Sind's, die es singen:
Ein ganzes Volk,
Eine ganze Welt singt's!
Und auch er selber,
Der Schwan von Lübeck,
Freudig nun stimmt er
Mit in sein Lied ein;
Ist doch auch ihm nur
Nach irdischem Winterleid
Himmlische Lenzlust
Herrlich erblüht.
Auf schönerem Stern
Der dunklen Schatten
Der dunklen Erde
Eingedenk,
Webt eine Glorie
Ihm um das Haupt nun
Das kleine Wörtchen:
Unsterblichkeit!
Also sinnend
Und in das Göttliche
Tief sich versenkend,
Vergisst die Liebe,
Die ewige Liebe,
Rund um sich her
Tod und Verwesung
Und durch das Herz ihr
Zittert das Echo,
Das wundertröstliche:
»Hoffe du nur!«
Aber die Stunden,
Die lachenden Dirnen,
Goldsohlig wandeln sie
Ueber das Grab.
Und wie allmählich
Korn auf Korn
Durch die Sanduhr rinnt,
Blitzt es röthlich
Am Horizont auf.
Flammend entsteigt
Die junge Sonne,
Die Morgensonne
Des ersten Ostertags,
Dem wogenden Fluthmeer
Der blauen Ostsee
Und lächelnd grüsst sie,
Mit tausend goldnen,
Flackernden Lichtern
Es blitzend umspielend,
Zum ersten Mal –
Das Grab ihres Dichters.
Eichendorff
Mein Gott, Dir sag ich Dank,
Dass Du die Jugend mir bis über alle Wipfel
In Morgenroth getaucht und Klang
Und auf des Lebens Gipfel
Vom Herzen unbewacht
Den falschen Glanz gewendet,
Dass ich nicht taumle ruhmgeblendet,
Da nun herein die Nacht
Dunkelt in ernster Pracht.
Eichendorff
Ferndrüben hinter den Bäumen
Ist eben ein Glöcklein verhallt,
Nun will ich hier liegen und träumen
Den Mittag im stillen Wald.
Hoch über mir rauschen die Wipfel
Und kühl herweht's aus der Kluft,
Und fernhin verschwimmen die Gipfel
Der Berge in bläulichem Duft.
Verschlafen zwitschern und nicken
Die Vögel im grünen Tann,
Und wie verzaubert blicken
Die wilden Rosen mich an.
Nun wird mir vor Weh und vor Wonne
Das Herz so weit, so weit!
Und ich denk an die goldene Sonne
Der schönen Jugendzeit.
Da sang ich so lustige Weisen
Und ward es doch nimmer müd,
Denn herrlich ist es zu reisen,
Zu reisen im sonnigen Süd!
Dort raunen die Brunnen und rauschen
Verschlafen die ganze Nacht,
Und Marmorbilder lauschen,
Wenn die Sternlein am Himmel erwacht.
Dann singen die Mandolinen
Das alte Lied von den Zwei'n,
Und in sinkende Tempelruinen
Spinnt silbern der Mond sich ein.
Von einer Vigne zur andern,
Dahin über Thäler und Höhn,
Wie träumend sang ich im Wandern:
O Welschland, wie bist du doch schön!
Doch, Herz, hör auf zu träumen,
Denn dahin ist die alte Zeit,
Und über dir rauscht in den Bäumen
Die grüne Einsamkeit.
So manche seiner Flocken
Blies mir der Winter aufs Haupt,
Und meine braunen Locken
Sind alle schon grau verstaubt.
Nur du, mein Herz, bliebst das alte
Und schlägst noch so süss, so süss –
O, dass dich dein Herrgott erhalte:
Gott grüss dich, mein Herz, Gott grüss!
Ein Heroldsruf!
Was du ererbt von deinen Vätern hast,
Erwirb es, um es zu besitzen!
Goethe
Ich stand als Kaisers Ehrenhold
Voreinst in Friedrich Rothbarts Sold
Und schaute noch die Herrlichkeit
Der goldnen Hohenstaufenzeit.
Herr Du mein Gott! das war ein Leben,
Wenn hoch ihr Schlachtpanier gerauscht
Und wir den kargen Kranz der Reben
Um einen Lorbeer eingetauscht!
Da schien die ganze, weite Welt
Nur aufs Germanenthum gestellt,
Und deutsche That und deutsches Wort
Gebot im Süd und galt im Nord;
Gesühnt war Tribur und Kanossa,
Denn
unser
Held hiess Barbarossa!
O, wie doch dieses Namens Hauch
Noch immer mir das Herz erfreut,
Als ob ein blühender Rosenstrauch
Mir alle seine Düfte streut!
Wir dienten ihm im Heeresbann
So an die hunderttausend Mann,
Doch hätte Jeder wohl sein Leben
Mit Freuden für ihn hingegeben!
Ich bin so manches liebe Mal
Ins Welschland vor ihm hergeritten,
Wenn über uns ins Alpenthal
Vom Felsgrat die Lawinen glitten.
Der Pfad war eng, von rechts und links
Umzischten uns die welschen Speere,
Doch mitten durch die Feinde gings
Zu seiner und zu unsrer Ehre.
Dann sprengte er wohl siegbewusst
Dicht neben mir auf seinem Rappen,
Ich aber jauchzte auf vor Lust
Und hoch hielt ich das Kaiserwappen.
So kämpften wir uns wacker durch
Und stürmten manche Felsenburg,
Bis endlich wir in welschen Landen
Die köstlichste Belohnung fanden.
Wohl sind sie schön, Germaniens Gauen
Und sagenraunend rauscht der Rhein
Und lieblich ist's, in ihn zu schauen
Beim Sonnen- wie beim Mondenschein;
Denn rückgespiegelt siehst Du blinken
In ihm der Burgen schlanken Bau
Und tausend goldne Sterne sinken
Des Nachts in seinem Wellenthau:
Doch wem des Südlands Wunderdüfte
Nur einmal Haupt umspielt und Brust,
Dem dünken rauh die deutschen Lüfte
Und sehnend lockt ihn seine Lust,
Dahin zu ziehn auf schnellen Füssen,
Wo hoch der Alpen Firne glühn,
Und wandernd mit Gesang zu grüssen
Das Land, wo die Orangen blühn.
Italiens sonnige Gefilde
Sind ihm der Sel'gen sel'ges Land,
Darüber sich in sanfter Milde
Ein ewig blauer Himmel spannt.
Vergessen mit dem deutschen Harme
Hat er das Lied der Lorelei
Und wirft sich jauchzend in die Arme
Der sonnbeglänzten Lombardei!
So ist es Jedem noch ergangen,
Der einst mit Kaiser Rothbart stritt;
Auch ich hab mich nach Südlands Prangen
Gesehnt, wenn ich ins Nordland ritt.
Doch wenn dann nach den sieben Hügeln
Sich wieder unser Tross gewandt,
Dann war's, als schwebten wir auf Flügeln,
So schnell durchflogen wird das Land.
Venetiens schimmernde Paläste
Verschwammen kaum im Morgenduft,
Da grüsste schon die deutschen Gäste
Der Thurm Bolognas durch die Luft.
Doch weiter ging's; und immer milder
Umfloss uns Luft und Licht und Lenz,
Bis wir das schönste aller Bilder
Erschaut, das göttliche Florenz.
Doch ach, so schnell wie es erschienen,
So schnell war es auch schon versunken,
Und weiter zogen schönheitstrunken
Wir längs des Hangs der Apenninen.
Durch alter Tempel Säulenreste
Ging lachend unser Siegeslauf
Und mehr als
eine
welsche Veste
Nahm uns in ihre Mauern auf.
Im Pinien- und Olivenhain,
In manches Klosters stiller Zelle,
Siener- und Orvietowein,
Wir probten ihn an seiner Quelle.
Durch Ufergrün und Blüthenschnee
Ging's rund um den Bolsenersee
Und weiter mit Triumphgesang
Den gelben Tiberstrom entlang,
Bis endlich auf den sieben Hügeln
Die Stadt der Städte sich erhob,
Und jauchzend, mit verhängten Zügeln,
Ging's thalwärts, dass es Funken stob!
O Wonne, wenn nach langem Ritt
Durch Säulensturz und Tempelbogen
Als Sieger wir in Schritt und Tritt
Durch Roms bekränzte Gassen zogen!
Quartier nahm Jeder, wo er wollte,
Der Becher klang, der Würfel rollte,
Und ans Gesims hing sein Gewaffen
Beim Fürsten der und der beim Pfaffen.
Dann ging erst unser Leben an,
Trotz Weh und Ach, trotz Papst und Bann.
Juchhei, das war ein flottes Schreiten,
Den langen Flammberg an der Seiten,
Die Strassen auf, die Strassen ab,
Und oft, den Schmucksten zu belohnen,
Fiel hoch von marmornen Balkonen
Ein rother Rosenstrauss herab.
Und überall, wohin wir schauten,
Noch nie von uns erblickte Bauten;
Das war ein Blinken, Glitzern, Gleissen:
Statüen, Obelisken, Hermen,
Theater, Circusse und Thermen
Und wie die Wunder alle heissen!
Ja, es ist schön das ewge Rom
Mit seinen Kirchen, Tempeln, Brücken;
Ein farbenschillerndes Phantom
Wird es dir Herz und Sinn berücken
Doch schöner noch dünkt mich Byzanz,
Die goldne Stadt am goldnen Horn;
Ein nie erschöpfter Wunderborn,
Strahlt sie in märchenhaftem Glanz.
Denn dort, auch dorthin kamen wir
Auf unsern vielverschlungnen Wegen
Und trugen kühn das Kreuzpanier
Dem Sultan Saladin entgegen.
Das war ein Kampf! Oft gell und schrill,
Mit Durst und Hunger, Pest und Seuchen,
Und oft auch wieder todtenstill,
Man hörte nur die Pferde keuchen.
Wir aber wankten wie im Traum,
Die Zunge klebte uns am Gaum,
Der Sand stieg schier bis übers Knie
und seufzend klang's: Hilf, Sanct Marie!
Nur Einer, Einer für uns wachte
Und sprach uns Muth und Hoffnung ein,
Bis wieder uns das Kriegsglück lachte
Im Palmenthal beim Cyperwein,
Der Rothbart war's, der greise Held,
Dem silbern schon die Locke wallte,
Der stets als Erster trat vors Zelt,
So oft das All il Allah hallte.
Und wenn das Sarazenenheer
Dann rund um unser Lager sauste,
Dann war es wieder er, nur er,
Vor dem's den wilden Heiden grauste.
Er war ein Schild uns, war der Stern,
Der ins gelobte Land uns wies,
Und den das Heer als seinen Herrn,
Als seinen Hort und Hirten pries.
Und wär zum Glück der gelben Horden
Er uns nicht jäh entrissen worden,
Es hätte binnen wenig Wochen,
Anstatt vom Wüstenhauch umweht,
Des Kaisers Pater sein Gebet
Am heilgen Grabe selbst gesprochen.
Doch als des Salephs falsche Wogen
Ins feuchte Nixengrab ihn zogen,
Da war es aus mit unserm Hoffen,
Und jäh vom Todespfeil getroffen
Zerfiel sein schwarzes Flügelpaar
Germaniens nie bezwungner Aar.
Schwer war der Schlag und gross das Leid
Und an brach eine trübe Zeit,
Die Sonne stach, die Wunde rann
Und hingerafft ward Mann um Mann.
Und wem die Sarazenenklinge,
Wem Durst und Hunger gnädig waren,
Den schlug die schlimmste der Gefahren,
Den fing die Pest in ihrer Schlinge.
Da war's denn wohl kein grosses Wunder,
Wenn Jeder, der noch aufwärts blickte,
Den ganzen Sarazenenplunder
Ergrimmt zu allen Teufeln schickte!
Zu weit war uns der Weg, zu krumm,
Und ach, noch fern lag Christi Grab;
Da kehrte mehr als Einer um –
Auch ich nahm mir das Kreuzlein ab!
Auf einer griechischen Triere,
Vorbei der Insel der Cythere,
Fuhr ich meerüber nach Korinth;
Ein Leben, voll von Aventiuren,
Ein Wanderleben, wollt ich führen,
Unstät und frei, frei wie der Wind.
In Korfu, wo San Markos Fahnen
Von Thürmen wehten und Altanen,
Trat ich ins Heer der Republik;
Ich kämpfte auf Venedigs Meeren
Und purpurn schwammen die Galeeren
Beim Klang der maurischen Musik.
Auf dunkelblauem Meerespfade,
Entlang die schimmernden Gestade,
Ging pfeilschnell unser Siegeslauf;
Auf Capri pflückten wir uns Myrten
Und lauerten im Schutz der Syrten
Den lybischen Korsaren auf.
Beim Sterngeflimmer der Plejaden
Durchruderten wir die Cycladen
Und Gold, nur Gold war unsre Fracht;
Und wieder von der Insel Paros
Ging's südwärts, wo der Leuchtthurm Pharos
Die Ptolemäerstadt bewacht.
Das Wunderland der Pyramiden,
Die Zauberwelt der Abbassiden,
Selbst sie, sie schlossen sich uns auf:
So, ewig wechselnd, manches Jährchen
Schwamm ich, mir selbst ein buntes Märchen,
Das Mittelmeer hinab, hinauf!
Doch ob auch noch so blau die Wogen,
Nach Deutschland fühlt ich mich gezogen,
Nach Deutschland kehrt ich auch zurück:
Ich fuhr den Rhein hinab bei Bingen
Und tief im Herzen fühlt ich's klingen:
Nur in der Heimat wohnt das Glück!
Und ostwärts dann im Morgengrauen
Zog ich durch Frankens goldne Auen,
Vorbei an Dörfern, Weilern, Seen;
Und oft sang ich auf grüner Haide,
Wie Walther von der Vogelweide:
Der Lande hab ich viel gesehn!
Doch was gilt Frankreich mir, was Spanien,
Was Gräcien gegen dich, Germanien,
O du mein liebes Vaterland!
Auf Jahre warst du mir verloren,
Doch heut fühl ich mich neu geboren:
Heil mir, dass ich dich wiederfand!
So, über Thäler, über Hügel,
Ward mir gemach die Ferne nah,
Und meine Sehnsucht lieh mir Flügel,
Bis endlich ich die Wartburg sah.
Ich sah sie hoch vom Berg mir winken,
Den steilen Pfad klomm ich hinauf,
Und mir im Auge fühlt ich's blinken,
Und mir im Herzen klang's: Glückauf!
Ja, alles war noch wie vor Zeiten,
Die Brücke dort und dort der Thurm,
Drin ich beim Loh'n von eichnen Scheiten
So oft verträumt den Wintersturm
Umkrächzt von Dohlen und von Raben,
Hat er, vom nahen Wald umrauscht,
Des alten Burgwarts jungen Knaben
Gar oft bei seinem Spiel belauscht.
In dieses Gras bin ich gesunken,
Von diesem Baum sang ich mein Lied,
Aus jenem Born hab ich getrunken,
Vor jenem Kreuz hab ich gekniet.
Ich habe mir unter dieser Rüster
Die ersten Sporen umgeschnallt,
Und dort steht auch noch grau und düster
Die alte Steinwand aus Basalt!
Ach, jene weinumrankte Mauer
War oftmals meiner Sehnsucht Ziel,
Wenn Nachts ein dunkler Regenschauer
Lautplätschernd auf die Dächer fiel!
Blauschwärzlich um die blanke Rüstung
Den Reitermantel, den ich trug,
Lehnt ich mich träumend an die Brüstung
Und fühlte, wie das Herz mir schlug.
Denn über mir schwang sich ein Gaden
Phantastisch in die Wetternacht
Und golden hinterm Fensterladen
War noch ein Lichtlein angefacht.
Dort sass sie fleissig hinterm Rocken
Und spann und sang und sang und spann,
Indess das Seidenweich der Locken
Ihr golden um die Schläfen rann.
Ich hörte, wie die Spindel surrend
Sich rythmisch um sich selber schwang
Und, felldurchwärmt, schlich leise schnurrend
Ihr Kätzlein um die Ofenbank.
O stillverschwiegne Kemenate,
Noch heute schwellt sich mir die Brust,
Noch heute pocht's in ihr: »Renate!«
Ob sie's gewusst? Ob sie's gewusst?
Ich weiss, ich hab Dich nie vergessen,
Und oft hab ich an Dich gedacht,
Wenn ich am Lagersaum gesessen
In Syriens blauer Sommernacht;
Wenn ich mich wild im Tanz geschwungen
Auf Maltas braunem Felsenriff
Und übers Enterbrett gesprungen
Aufjauchzend ins Piratenschiff!
Du bist als Traum zu mir gekommen
Ums Morgen- und ums Abendroth
Und schluchzend hab ich einst vernommen,
Dass Du schon lange, lange todt!
Dass sich im Schatten jener Linde
Um Dich ein schwarzes Kreuz erhub,
Aus jenem Holz, in dessen Rinde
Ich einst vielleicht »Renate!« grub! ...
O Gott, wie lang, wie bitterlange,
Hab ich die Heimat nicht gesehn!
Doch still, mein Herz, nun sei nicht bange,
Nun sollst du wieder auferstehn!
Zwar hegt dich keines Sängers Busen,
Doch hold sind ja auch mir die Musen,
Und Landgraf Hermann ist bekannt
Als edler Fürst im ganzen Land!
Und ein trat ich durchs Bogenthor,
Ich traf ihn grad bei seiner Linde
Und trug, umringt vom Burggesinde,
Bescheiden meine Bitte vor.
Und siehe da, er war mir hold
Und nahm mich auf in seinen Sold!
Und nun ging mir ein Leben an
In holder Frauen holdem Bann,
In edler Sänger edlem Kreis,
Dass ich es kaum zu schildern weiss.
Von Falknern und von Bogenspannern,
Von Kranzgewinden und von Bannern
War das ein farbenprächtig Wogen,
Und allenthalben kam gezogen
Durch Winterschnee und Sommerstaub,
Durch Herbstblattfall und Frühlingslaub
Ein Heer von ritterlichen Sängern,
Von Fahrenden und Herzensfängern.
Von Harfenklang und Speerwurf klang's
Im Burgpallas tagaus, tagein
Und edle Herzen werbend drang's
Bis weit ins deutsche Land hinein;
Denn nichts stand höher in der Gunst
Des Burgherrn als die Sangeskunst.
Und wahrlich, nicht vergebens hielt,
Vom Hauch der Poesie umspielt,
Der Landgraf Hermann für und für
Den Sängern offen Thor und Thür.
Denn prächtig war die Tafelrunde
In seinem goldnen Prunkgemach
Und wohl der Edelste im Bunde
War Wolferam von Eschinbach;
Auch Walther von der Vogelweide,
Wer dess vergäss, der thät mir leide,
Herr Hartmann von der güldnen Aue,
Der Waidmann Biterolf, der Schlaue,
Und auch der Schreck der alten Weiber,
Heinrich, der tugendhafte Schreiber!
Und wenn Turnier und Sangesfehden
Den edlen Herrn Ergötzung schufen,
Dann war's mein Amt, mit Heroldsreden
Im Prunksaal und im grünen Gras
Des Tages Sieger auszurufen,
Und hei! wie gerne that ich das!
Denn klingen Wort und That wie Erz,
Dann freut's ein braves Reiterherz.
Nur einmal schlug es Weh und Ach,
Als Wolferam von Eschinbach
Nach wildverzweiflungsvollem Ringen
Den armen Heinz von Ofterdingen
Durch seiner Lieder Kraft bezwungen
Und schmählich in den Staub gerungen.
Noch heute lebt im Volk die Sage
Von jenem alten Sängerkrieg
Und preisen wird man Wolframs Sieg
Bis an das Ende aller Tage!
Denn als schon grinsend Meister Hans
Sein Richtschwert prüfte mit dem Finger,
Nahm Wolfram seinen goldnen Kranz
Und reichte ihn – dem Ofterdinger!
Hei, wie da Männerherzen klopften
Und blaue Frauenaugen tropften,
Als nun versöhnlich die Genossen
Sich stumm in ihre Arme schlössen!
Dann aber bogen sie ihr Knie,
Der Fürst stieg von des Thrones Stufen
Und lieber hab ich wohl noch nie,
Was meines Amts war, ausgerufen!
Die ganze Wartburg schwamm in Jubel,
Der Becher nur, kein Schwert erklang,
Zum Reigentanz ward bald der Trubel,
Das Leid zur Lust, die Lust Gesang.
So schwanden wechselnd mir die Tage,
Ein Jahr ums andre sacht verrann,
Und schon blies mich des Alters Plage,
Des Alters schleichend Siechthum an.
Nun ward Erinnrung mein Genosse,
Erinnrung sang mir Tag und Nacht
Von jener Zeit, da ich zu Rosse
Dem Kaiser vorritt in die Schlacht.
Doch todt der Held! Nur sein Gedächtniss
Klang noch im Volke rings umher,
Doch seine Krone, sein Vermächtniss,
Mit jedem Tag zerfiel sie mehr.
Geschändet war die deutsche Ehre
Durch Fürstenmord und Pfaffentrug
Und nicht wie sonst von Meer zu Meere
Hielt Deutschlands Aar mehr seinen Flug.
Doch sank das Reich auch ins Verderben,
Noch einmal, eh ich ging zu sterben,
Wollt ich mir seine sieben Gauen
Im Glanz der Frühlingspracht beschauen.
Drum wieder, als der Schnee geschmolzen,
Gab ich mein Amt dem Burgherrn ab
Und ritt mit Armbrust, Schwert und Bolzen
Getrost durchs Thor ins Thal hinab.
Durch Wäldergrün um Dorf und Weiler
Ritt ich fürbass beim Blättersäuseln
Und oft sah ich den Rauch der Meiler
Still träumend in die Luft sich kräuseln.
Durch mancher Burg zerfallne Häuser
Ging's weiter dann ins Land hinein
Und einst kam ich im Abendschein
Auch an den alten Berg Kyffhäuser.
Der Herr war müd, sein Rösslein auch,
Ich band es los und liess es grasen
Und lagerte mich in den Rasen
Tief unter einem Hollerstrauch.
Dem Schicksal Deutschlands sann ich nach,
Dem Schicksal meines Vaterlands,
Bis mir vom Abendsonnenglanz
Das Salz durch beide Wimpern brach.
Des Reiches Herrlichkeit verhandelt!
Und wann, wann wird sie auferstehn?
O Zeit, wie hast du dich verwandelt!
O Herz, nun darfst du sterben gehn!
Wie Kaiser Rothbart möcht ich nun
Tief, tief im Schooss der Erde ruhn!
Und wie ich also sass und sann,
Da that sich auf des Berges Thor
Und schimmernd trat ein Rittersmann
In goldner Rüstung draus hervor.
Er war von königlicher Art,
Wie Silber wallten seine Locken,
Doch roth wie Feuer war sein Bart –
Und nieder kniet ich froh erschrocken;
Ein Zauber war's, der mich nun bannte,
Denn Rothbart war's, den ich erkannte.
»Hab Dank,« so hub er an zu sprechen,
»Für deine Treue, Ehrenhold;
Ich weiss, es will das Herz dir brechen,
Weil es mit seinem Volke grollt.
Doch sei getrost; denn meine Krone,
Nicht spurlos soll sie untergehn;
Einst wird auf neuerstandnem Throne
Ein neuer Herrscher auferstehn,
Ein neuer Kaiser, der gewaltig
Des Reiches goldnes Scepter schwingt,
Indess der Purpurmantel faltig
Die eherne Gestalt umschlingt.
Dann wird das deutsche Banner prächtig
Gen Himmel wehn im Morgenschein
Und wieder dann Alldeutschland mächtig
Ein einig Volk von Brüdern sein!
Indessen, bis auf deutschem Herde
Die Aschenglut aufs neu erglommen,
Will tief ich hier im Schooss der Erde
Der Zeiten harren, die da kommen.
Gewappnet und im Kreis der Ritter
Will helfen ich das Reich erstreiten,
Und eines Sängers goldne Zither
Soll meine That im Lied begleiten.
Doch dich, den treusten meiner Knappen,
Dich nehm ich wiederum in Sold;
Da, hier mein Schild und hier mein Wappen,
Nimm's hin und sei mein Ehrenhold;
Nimm's hin und halt im Bergesschacht
Für unser Volk die heilge Wacht!«
Er schwieg und bot mir seine Hand
Und freudebebend schlug ich ein
Und dann – noch einen Blick ins Land
Und dann – ging's in den Berg hinein!
Ein goldig grüner Schimmer blinkte
Auf uns herab aus dem Gestein
Und tief im Hintergrunde winkte
Uns fernher rother Ampeln Schein.
Dann that, umrauscht vom Tropfenfalle,
Sich prächtig eine weite Halle
Vor den erstaunten Augen auf;
Und horch, ein Sänger schlug die Zither
Und um ihn drängten sich die Ritter,
Am Gurt das Schwert, die Hand am Knauf.
Die Panzer schmückten Eichenreiser
Und nieder setzte sich der Kaiser
An seinen Tisch von Marmelstein,
Die Häupter sah man rings sich neigen,
Und plötzlich dann ein grosses Schweigen
Und wach blieb nur der Schlaf allein.
Da stand ich mit gelähmten Händen,
Das Wasser tropfte von den Wänden
Und dunkel brach die Nacht herein,
Und über uns auf grüner Erde
Schlug wild die Zeit auf ihre Pferde,
Die rollenden Jahrzehnte, ein.
Die »kaiserlose« Zeit vertollte
Und auf Neapels Marktplatz rollte
Das blonde Haupt des Konradin;
Die Hansa baute ihre Flotten,
Die Frau Scholastik fing sich Motten
Und Strassburgs Münster schuf Erwin.
Dann aus des Mittelalters Wettern
Schoss seine Blitze, seine Lettern,
Der brave Hans von Guttenberg
Und Dr. Martin griff zum Besen
Und prügelte mit seinen Thesen
Den Papst durch, Romas Riesenzwerg,
Drauf Kaiser Max, »der letzte Ritter«,
Und weiter jenes Hochgewitter,
Der wilde dreissigjährge Krieg;
Zuerst ein wüstes Hälsebrechen,
Dann Pudern und Französischsprechen
Und endlich wieder mal ein Sieg!
Der alte Fritz nahm seine Krücke
Und schlug die Reichsarmee in Stücke
Und straffer zog sich jedes Glied;
Die Schlacht von Rossbach war geschlagen,
Ein neuer Morgen schien zu tagen
Und Goethe sang sein erstes Lied!
Wir aber, tief im Schooss der Erde,
Lauschten vergeblich auf das: »Werde!«
Denn knöchern schlich um uns der Tod,
Und leis nur klirrten die Schwerterspitzen:
Wann wirst du endlich uns umblitzen,
O Morgenroth! O Morgenroth!
Doch sprecht, was soll ich euch in Bildern
Hier unsre Leidensnacht noch schildern;
Ihr kennt die alten Sagen ja;
Ihr wisst, wie je nach hundert Jahren
Der Kaiser aus dem Schlaf gefahren
Und ich die Raben fliegen sah;
Bis endlich ich mit Horngeschmetter
Nach sechs Jahrhunderten den Retter,
Den Retter Deutschlands, froh begrüsst,
Indess, den Erbfeind zu bekriegen,
Sein Heer von Siegen flog zu Siegen,
Bis Frankreich seine Schuld gebüsst!
Und wieder nun von Fels zu Meer
Reicht Deutschlands Wacht, reicht Deutschlands Wehr,
Und leuchtender als je vordem
Erglänzt des Kaisers Diadem.
Und fragt ein Sänger noch im Liede:
»Wo wohnt auf Erden wohl der Friede?«
Dann heisst's: Er wohnt auf Deutschlands Flur.
Gelöst hat Rothbart seinen Schwur!
Ach, heimgekehrt zu seinen Ahnen
Schläft er den ewgen Schlummer nun,
Indess die Völker der Germanen
Im Schatten ihrer Lorbeern ruhn.
Nur ich darf nicht mein Theil ergreifen
Da mich die Ewigkeit verstösst,
Und durch die Lande muss ich schweifen
Und suchen den, der mich erlöst.
Denn wohl erstand uns jener Ritter,
Der kühn des Reiches Banner schwingt,
Doch fehlt der Sänger mit der Zither,
Der würdig seine Thaten singt!
und eh'r nicht, eh'r nicht darf ich sterben,
Nicht eh'r bricht dieser Leib in Scherben,
Eh ich ins Aug ihm nicht gesehn;
Erst, wenn sein hohes Lied erklungen,
Dann, dann erst hab ich ausgerungen,
Dann, dann erst kann ich sterben gehn!
Drum hört mich ihr, ihr deutschen Sänger,
Ihr Sänger süsser Harmonien,
O sprecht, sprecht, soll ich denn noch länger
Ruhlos das deutsche Land durchziehn?
Jetzt, wo des deutschen Volks Geschichte
Zum welterschütternden Gedichte
Schon selbst sich aneinanderreiht,
Will Keiner, Keiner denn es wagen,
Sein goldnes Harfenspiel zu schlagen
Zum ewgen Ruhme seiner Zeit?
O denkt zurück, woher wir kamen,
Denkt an die Teutoburger Schlacht,
Und zählt die Thaten, zählt die Namen –
Sie sind gestorben, ruft: Erwacht!
Ja, denkt zurück an all die Hohen
und lasst den Tand, der blinkt und gleisst:
Nicht nur die griechischen Heroen
Sind werth, dass sie der Dichter preist!
Nicht mehr exotische Gedichte
Ersinne heute das Genie,
Nein, unsre herrliche Geschichte
Ist auch ein gut Stück Poesie!
O, ist denn deutsch zu sein so schwer?
Und lebt nur einmal ein Homer?
Schaut her! die ich in Händen wiege,
Die kranzverzierte Harfe hier,
Wer ist so kühn und nimmt sie mir
Und singt von unserm heilgen Kriege?
O schaut nur, wie der Sonne Gold
Ihr glitzernd durch die Saiten rollt!
Sie schlug mit kunstgeübtem Finger
Herr Heinrich einst, der Ofterdinger,
Der schneidig uns wie Schwertesschwang
Das Lied der Nibelungen sang.
Glück auf! Wer will sein Epigone,
Nein, wer sein Herr, sein Meister sein?
Da, hier die Harfe, hier die Krone,
Und meine Hand hier ... wer schlägt ein?
Schon grollt's von fernen Klanggewittern,
Schon durch die Saiten fühl ich's zittern
Und mein Erlösungstag ist nah!
O haltet eure Herzen offen
Und lasst mich nicht vergeblich hoffen –
Heil Dir und mir Germania!
Zum 2. September
Vieltausend Männer und Knaben,
Vieltausend, Schaar bei Schaar,
Begraben, begraben, begraben
An Mosel, Maas und Saar!
O, der Wittwen und der Waisen
O, der armen Eltern nun!
Und immer noch darf das Eisen
Das blutige, nicht ruhn.
Ferdinand Freiligrath
O Tag, an dem in leuchtender Wehr
Noch immer schwarzweissroth
Die deutsche Flagge von Fels zu Meer
Nord-, ost- und westwärts loht:
In Einigkeit verbunden
Durch die heilige Schaar, die an Dir verblich,
O Tag voll Blut und Wunden,
Wir grüssen Dich! Wir grüssen Dich!
Denn oft noch wird Dein Morgenwind
Durch die Reiser an unsern Helmen wehn
Und manche Mutter mit ihrem Kind
Lautweinend am Wegrand stehn.
Nur Waffen hört man schmieden
Vom Bodensee bis an den Belt;
Den Traum vom ewigen Frieden,
Lügen straft ihn die heutige Welt!
Die Zeit, die Eisen und Blut verschweisst,
Wir ahnen sie längst vor den Thüren stehn:
Die Trommel, die wirbelnd die Luft zerreisst,
Kann schon morgen durch unsere Reihen gehn.
Dann werden auf deutschem Herde
Die alten Gluten noch einmal glühn
Und roth auf französischer Erde
Um junge Gräber Rosen blühn.
Nicht die Welt zu knechten ist unsre Begier,
Brandfackeln zu werfen in fremdes Glück:
Ein schwäbischer Bauer ist kein Baschkir
Und ein pommerscher Landwehrmann kein Kalmück!
Was thut's, wenn der Ruhm unsre Siege
Auf seine thönernen Tafeln schreibt?
Sie gelten dem Weib an der Wiege
Und dem Schäfer, der seine Schafe treibt!
Doch weh, wenn die Kraft, die einst Kronen zerbrach,
Nicht länger mehr unsre Schwerter umsprüht
Und die alte Zeit der alten Schmach
In unsre Stirnen ihr Schandmahl glüht!
Wenn Franzosen, Russen und Czechen
Ihre Fangarme um unser Land gekrallt –
Doch schon zu denken daran, ist Verbrechen,
Nach blitzt ja die Wacht auf dem Niederwald!
Drum, Du Tag, an dem in leuchtender Wehr
Noch immer schwarzweissroth
Die deutsche Flagge von Fels zu Meer
Nord-, ost- und westwärts loht:
In Einigkeit verbunden
Durch die heilige Schaar, die an Dir verblich,
O Tag voll Blut und Wunden,
Wir grüssen Dich! Wir grüssen Dich!
Weltgeschichte
Sicherlich die bedeutsamste Errungenschaft jener neuen Anschauung der Dinge, die auch das Leben und seine Entwickelung unter der Herrschaft der allgemeinen Naturgesetze betrachtet, bildet die Reklamation des Menschen als unzertrennlichen Bestandtheil der Natur und als Gegenstand der Forschung in seinen Beziehungen zu derselben. Wie einst die Erde durch
Copernikus
aus dem geträumten Mittelpunkt der Welt hinausgeschleudert wurde, so fand sich nunmehr der Mensch selbst, der bisher
ausserhalb
und
über
der Natur zu stehen schien, mitten in dieselbe hineingezogen, als ein Glied der grossen Kette der Wesen anerkannt, und damit seiner Ausnahmsstellung mit einem Schlage enthoben. Aber wir dürfen behaupten, dass ihm mit dieser endlichen Anerkennung seiner Erdenbürgerschaft auch nicht ein Titelchen seiner Würden, nicht der kleinste Strahl seines Glorienscheins geraubt worden ist. Im Gegentheil, erst jetzt, nachdem er erkennen konnte, aus wie tiefen Anfängen sich sein Geschlecht emporringen musste, wird er seine Würde mit dem vollen Bewusstsein, wirklich das oberste Glied und
die Krone der Schöpfung
darzustellen, tragen.
Carus Sterne
Heimlich durchwandert die Nacht den Tann,
Duftend im Vollmond schwanken die Gräser;
Alles schläft! Nur ein steinalter Mann
Putzt sich geschäftig die Brillengläser.
Nimmt sich ein Prieschen und sagt: Hätschi!
Ich bin der achte der sieben Weisen!
Ach, und er merkt es nicht einmal, wie
Ueber ihm leuchtend die Sterne kreisen!
Sehnsüchtig harft durch die Zweige der Wind,
Blüthen erschliessen sich, Knospen schwellen;
Alles still! Nur der Nachtthau rinnt
Und von den Bergen her rauschen die Quellen.
Raune nur traumhaft, Du dunkle Natur,
Raune das Räthsel der Elemente,
Hat doch der alte Graukopf nur
Sinn für Bücher und Pergamente!
Wenn er nur schnüffeln und büffeln kann,
Mag dreist dies Sonnensystem erkalten;
Ihm ist's schon recht, denn was geht es ihn an,
Dass sich die Welten wie Blumen entfalten?
Festgeleimt an den Stuhl das Gesäss,
Fängt er sich Grillen und mästet sich Motten,
Hüstelt und schreibt gelehrte Essays
Ueber Assyrer und Hottentotten.
Tintenfässer bilden Spalier,
Goldstreusand und Radiermesser blinken,
Ganze Ballen von Schreibpapier
Liegen bekritzelt ihm schon zur Linken.
Säuberlich hat er drin aufnotirt
Jede Schlacht und jedes Gemetzel,
Neben Napoleon figurirt
Kaiser Tiber und der Hunnenchah Etzel
Ekelerregend mit jedem Band
Schwillt das Gemengsel von Blut, Fleisch und Knochen;
Leute wie Sokrates, Shakesspeare und Kant
Werden nur so nebenbei besprochen.
Weltharmonie und Sphärenmusik
Können ihm vollends gestohlen bleiben;
Interessanter ist schon die Rubrik,
Wie sich die Kaiser von China entleiben!
Also sitzt er und schmiert und schmiert
Todte Zahlen und trockne Berichte,
Bis er dann endlich »Schluss« drunter kliert
Und auf das Titelblatt: »Weltgeschichte«.
Weltgeschichte! O blutiger Hohn!
Uralter Hymnus auf die Bornirtheit!
Wann, o wann kommt des Menschen Sohn,
Der Dich erlöst aus Deiner Verthiertheit?
Immer noch brütet die alte Nacht
Grauenvoll über den Völkern der Erde,
Aber schon seh ich rothlodernd entfacht
Flammen des Geistes auf ewigem Herde,
Freiheit und Gleichheit und Brüderlichkeit
Jubelt die neugeborene Trias!
Freu Dich, mein Herz, denn die goldene Zeit
Dämmert und predigen wird der Messias:
Lebt in Frieden und baut euer Zelt,
Viel, ach, müsst ihr noch lehren und lernen;
Ein
Herz schlägt durch die ganze Welt,
Ein Geist fluthet von Sternen zu Sternen.
Ruft drum als Loosung von Land zu Land:
Eins
sei die Menschheit von Zone zu Zone
Erst wenn sie staunend sich selbst erkannt,
Dann erst ist sie der Schöpfung Krone!
Von Ewigkeit zu Ewigkeit
Nimm hin mich, Leben, ich bin dein! Wie hoch die Fluth auch gehe,
Ich zage nicht vor deinen Mühn und nicht vor deinem Wehe;
Du führst die Menschheit an ihr Ziel durch alle Wandelungen,
Und dem nur winkt der Siegespreis, der tapfer mitgerungen;
Doch eine Stunde jedes Tags dem drängenden Gewühle,
Das rastlos um uns tobt und braust, wie eine Riesenmühle,
Ja, eine will ich ihm entfliehn, dass ich in stiller Weihe
Der grossen Hymne der Natur das Ohr voll Andacht leihe!
Adolf Friedrich Graf von Schack
Der Schöpfung nie begriffne Herrlichkeit
Entfacht noch stündlich den Prometheusfunken
Und doch ist ihre goldne Blüthezeit
Schon längst ins Grab der Ewigkeit gesunken.
Denn jene Welt der Sagenpoesie
Ist nicht nur Traum, ist Wirklichkeit gewesen,
Und wem das Schicksal Seherkraft verlieh,
Kann das noch heute aus den Sternen lesen.
Wer zählt die Sprossen, die zertrümmert sind
Aus jener gotterbauten Himmelsleiter?
Die Sonne glüht und kühlend weht der Wind
Und unaufhaltsam rollt das Rad sich weiter.
Die leuchtend kreisen durch das dunkle All,
Erhaben gross ist noch die Zahl der Welten;
Und kommt allnächtlich eine auch zum Fall,
Was kann dem Meere wohl ein Tropfen gelten?
Doch wem sich das Geheimniss der Natur
Nicht unterm Sternenzelt mag offenbaren,
Der wandle mit mir durch die Erdenflur,
So wie sie war vor hunderttausend Jahren.
Noch stritt kein Jason um das goldne Vliess,
Die Menschheit knechtete kein Triumphator,
Doch endlos dehnte sich ein Paradies
Vom Nordpol bis hinunter zum Aequator.
Wo heute sich durch eisumstarrten Belt
Die Walfischfahrer ihre Strasse bahnen,
Erhub sich ehmals eine Inselwelt,
Beblüht von üppig wuchernden Bananen.
Und lächelnd kränzte sich die Meeresfee
Mit bunten Perlenmuscheln und Korallen,
Wo längst verweht vom Wüstenkörnerschnee
Die Isistempel in sich selbst zerfallen.
Nicht trübte schon den funkelnden Azur
Der Riesenschlote schmutzigfeuchter Brodem,
Denn unentweiht noch träumte die Natur
Und jeder Windhauch war ein Gottesodem.
Kein Erdgeborner fühlte sich entbrannt
Nach fremden Wundern einer fremden Zone
Und brach mit seiner frevlen Menschenhand
Sich Stein auf Stein aus Gottes Schöpfungskrone.
Doch jede Zeit singt sich ihr eignes Lied
Und jenes Lied ist lange schon verklungen;
Die Melodie, die heut die Welt durchzieht,
Verhöhnt die alten Ueberlieferungen.
Die Menschheit hat sich zum Titanenkampf
Mit ihrer Mutter, der Natur, gerüstet
Und denkt nur noch mit Eisen, Blut und Dampf,
Weil sie's dem Schöpfer gleich zu thun gelüset.
Erloschen ist der kindlichfromme Zug
Aus ihres Angesichts versteinten Mienen,
Und unbekümmert um den alten Fluch,
Zwingt sie die Elemente ihr zu dienen.
Im Bergschooss gräbt nach Schätzen sie umher
Und macht den Feuergeist sich zum Vertrauten,
Die Weltumsegler schickt sie übers Meer
Und in die Luft die kühnen Aeronauten.
Ja, bis gen Himmel, den der Herr sich schuf,
Auf dass er würdig seine Schöpfung kröne,
Erhebt sich schon der schicksalsschwangre Ruf
Der staubentsprossenen Gigantensöhne.
Denn hier auf diesem engen Erdenkreis
Ist kaum ein Fels noch für sie zu verschieben,
Der Steppensand nur und das Gletschereis
Ist unentweiht vor ihrer Wuth geblieben.
Doch drückt sie auch das auferlegte Joch
Und seufzt sie auch um Tage, die verwehten,
Ein Prachtjuwel blieb unsre Erde doch
Im Kronendiademe der Planeten!
Denn unbekümmert um die Weltenuhr
Lässt sie die tausendfältgen Kräfte sprühen
Und nach dem heilgen Rathschluss der Natur
Die Quellen springen und die Blumen blühen.
Wie herrlich steigt der erste Frühlingstag
Doch immer noch vom Himmel zu ihr nieder!
Und schreitet erst der Sommer durch den Haag,
Dann fühlt sie ihre ganze Jugend wieder.
Und stehst du dann, umwallt von all dem Duft,
Dann lacht die Flur und ihre Ströme blitzen
Und fernher schimmern durch die blaue Luft
Die ewig eisgezackten Gletscherspitzen.
Da horch! Ein leiser Hauch im Blätterdach,
Und durch die Wipfel geht ein seltsam Rauschen;
Wie Stimmen flüstert's durch das Laubgemach,
Und andachtsvoll musst du den Tönen lauschen.
Das ist der Wind, der ruhlos durch die Welt
Dahinrollt auf den nie erschauten Gleisen,
Der nun im Bergwald seinen Einzug hält
Und dir erzählt von seinen weiten Reisen.
Erst ist, vergleichbar einem wilden Schwan,
Er majestätisch durch die Luff gezogen
Und stieg dann nieder in den Ocean
Und spielte mit den grüngewellten Wogen.
Doch bald verlockte ihn der nahe Strand
Und hinter sich liess er das Meergebrause
Und ging mit Riesenschritten übers Land
Und hielt dann Rast in einer Felsenklause.
Da lag denn nun tief unter ihm die Welt
Idyllisch da im Sommersonnengolde
Und athmete gen Himmel, duftgeschwellt,
Wie eine farbenprächtge Blüthendolde.
Und Meereswellenschaum und Gottesluft,
Dazu die paradiesischen Gefilde,
Verwoben lieblich sich im Sonnenduft
Zu einem nie geschauten Wunderbilde.
Dir aber schwillt das Herz vor hoher Lust
Bei solcher windgetragnen Himmelskunde,
Und das Gefühl der übervollen Brust
Gestaltet sich zum Wort in deinem Munde.
Du preist Natur und ihre Herrlichkeit,
Die Gott in seinen eignen Werken loben,
Und lächelst über den Pygmäenstreit,
Den wider ihn die Sterblichen erhoben.
Die eitle Selbstsucht menschlicher Kultur
Vermag nur eben das, was ihr von Nöthen,
Sie weiss die Herrlichkeit der Gottnatur
Zu untergraben wohl, doch nie zu tödten.
Und ist auch ihre goldne Blüthezeit
Schon längst ins Grab der Ewigkeit gesunken,
Der Schöpfung nie begriffne Herrlichkeit
Entfacht noch stündlich den Prometheusfunken!
Ecce homo!
An das klopfende
Herz ihres Volkes
Legen die Dichter
Ihr lauschendes Ohr
Und hören sie rauschen
Von Ferne
Die Taufbronnen des neuen Heils,
Die Jordansströme
Der neuen Zeit.
Nicht an die Weisen
Und Schriftgelehrten,
An die Männer
Von Weihwasser und Weihrauch,
Wendet um Rath sich
Die neue Menschheit;
Es lehrt als Priester
Der neuen Zeit
Der Sohn des Volkes
Im schlichten Gewande.
Alfred Meissner
Ich sah ihn Tag für Tag,
Als wäre nichts geschehn,
Still mit dem Glockenschlag
An seine Arbeit gehn;
Das Halstuch roth wie Blut,
Von Locken wirr umflogen,
Den Kalabreserhut
Tief in die Stirn gezogen.
Ein jeder Zoll Genie,
Ein Volksmann, ein Poet,
Scheint er mir öfters, wie
Ein biblischer Prophet.
Das ganze Viertel kennt
Und ehrt in ihm den Führer,
Der oft im Parlament
Auftrat, ein wilder Schürer.
Weh jeder Tyrannei,
Wenn er bis Mitternacht
Am Pult der Druckerei
Geschrieben und gedacht!
Wem seine Blitze sprühn,
Vergisst das Athemholen,
Denn seine Worte glühn
Im Hirn wie rothe Kohlen.
Ein rechter Proletar!
Ein wahres Zorngedicht!
Wer seine Mutter war?
Er weiss es selber nicht!
Vielleicht ein Kind der Lust,
Das, weil die Noth es taufte,
Das Herz aus seiner Brust
Um schnödes Gold verkaufte.
Vielleicht auch nur, ja nur,
Ein Weib in Goldbrokat,
Das trotz Moraldressur
In eine Pfütze trat.
Vielleicht liegt sie schon todt
In einer eklen Gosse,
Vielleicht bespritzt mit Koth
Ihn ihre Staatskarosse.
Ein armes Findelkind,
Im ersten Morgengrau,
Umweht vom Winterwind,
Fand ihn die Zeitungsfrau.
Er that's ihr lächelnd an,
Der rosige Rebeller,
Und auf nahm ihn ihr Mann
In seinen Schusterkeller.
Hier wuchs er in die Welt,
Ein Bursch mit blondem Haar,
Sein einzig Tummelfeld
Das Grossstadt-Trottoir.
Wohl schwoll der Stiefelkram,
Doch auch das Taufregister,
Und nach und nach bekam
Er sieben Milchgeschwister.
Und knapper ward das Brot,
Der Junge musste ran!
Und bleich im Dienst der Noth
Hub nun sein Elend an.
Er stand im Setzersaal,
Die Hand am Letternkasten,
Und half das Volksjournal
Des Nachts zusammenhasten.
Die Uhr vom Thurm her klang
Wie tief in eine Gruft,
Ein fetter Oelgestank
Schwamm ranzig durch die Luft.
Man hörte wie im Traum
Die Winkelhaken klirren
Und im Maschinenraum
Die Lederriemen schwirren.
Um ging von Hand zu Hand
Ein Bräu aus Schnaps und Bier,
Als Etikett drauf stand:
Gesundheit-Elixir!
In schmutzgen Zoten sprach
Frech das Maschinenmädel,
Das Gaslicht aber stach
Ihm grell auf seinen Schädel.
Er aber: Griff auf Griff
That er mit düsterm Blick,
Durchs offne Fenster pfiff
Der Wind ihm ins Genick.
Er strich um ihn herum
Und blies ihm in die Ohren:
»So recht! So recht! Warum
Bist Du nicht »hoch« geboren?
Warum beim Stümpfchen Talg
Hat Dich das Glück geheckt
Und nicht als Wechselbalg
In Eiderdun gesteckt?
Dann stündest Du nicht hier,
Behängt mit schmutzgen Lappen,
Dann wärst Du auch kein Thier
Und pochtest auf Dein Wappen.
Du wärst auch nicht wie nun
An Leib und Seele krank,
Du brauchtest nichts zu thun
Und sagtest: Gottseidank!
Auch hättest Du dann Geld,
Wie Rothschild ganze Frachten,
Und könntest diese Welt
Noch mehr als jetzt verachten!«
So stand er düster da
Und rang mit seinem Groll
Und sein College sah,
Wie ihm die Ader schwoll.
Zu tief sass es, zu tief,
Er grollte, sann und dachte,
Bis sie, die in ihm schlief,
Die Urkraft, jäh erwachte.
Und heiss ins Hirn empor
Kam ihm das Blut gespritzt,
Wie wenn ein Meteor
Nachts durch den Himmel blitzt.
Denn plötzlich riesengross
Sah er ein Schreckbild thronen –
Es war sein eignes Loos,
Das Loos von Millionen!
Da deutlich, schwarz auf weiss,
Stand's da und sah ihn an,
Dass ihm das Blut wie Eis
Kalt durch die Adern rann.
Es war nur ein Fragment,
Ein abgerissner Fetzen,
Ein neustes Testament,
Und er, er sollt es setzen!
»Ein armer Bettler kroch
Vor seines Bruders Haus
Und bat, o reich mir doch
Ein Stückchen Brot heraus!
Vor meinen Augen flirrt's
Ich habe nichts zu essen,
Der liebe Herrgott wird's
Dir sicher nicht vergessen!
Sein Bruder aber schrie
Und strich sein Doppelkinn:
Was willst du, tolles Vieh?
Scheer dich wo anders hin!
Das sauft nur immer Wein
Und ekelt sich vor Wasser –
Da hier, friss diesen Stein ...
Doch, sag ›Schöndank!‹ du Prasser!
Da schrie der Aermste auf,
Zu teuflisch war der Hohn,
Und eine Stunde drauf
Lag er im Wasser schon.
Derweil nach dem Diner
Hielt lammfromm vor dem Städtchen
Sein Bruder, Herr P.P.,
Sein Mittagspromenädchen!
O, nun zum ersten Mal
Verstand er Wort für Wort,
Fürs Volk war das Journal
Und dies war ja ein Mord!
Es war ein Mord und mehr,
Es war die alte Fabel,
Wie einst – o lang ist's her –
Der Kain schlug den Abel!
Mit Augen, thränenroth,
Verschlang er, was er las,
Bis knöchern ihm der Tod
Im weichen Herzen sass.
Den Otternkranz im Haar,
Umtanzten ihn die Furien,
So sinnverwirrend war
Kein Zerrbild aus Lemurien!
Und tage- wochenlang
Lief er umher wie wild,
In seine Träume schlang
Sich jenes wüste Bild.
Er sah es riesengross
In jedem Winkel thronen,
War's doch sein eignes Loos,
Das Loos von Millionen!
In Stoppeln stand sein Bart,
Sein Herz war wie verdorrt,
Er – lachte nur und ward
Ein Anderer hinfort!
Sein Weichmuth bis ins Gras,
Ihn kniff's wie eine Zange
Und hochauf schwoll sein Hass
Wie eine Tigerschlange.
Da winkte wie ein Ziel
Ihm fern ein goldner Schein
Und mehr als einmal fiel
Ihm der Messias ein.
Er grübelte und sah:
Noch wird das Volk geknutet,
Das Herz von Golgatha
Hat sich umsonst verblutet!
Nun sprach das Ideal
Ihm tief zu Herz und Hirn,
Sein blutig Kainsmal
Stand roth auf seiner Stirn.
Er floh das Volksgewühl
Und schlief nur wenig Stunden
Und liess dann sein Gefühl
Sich zu Gedanken runden:
»Ein Fluch auf diese Zeit!
Was grad wuchs, biegt sie krumm!
Mein Herzblut aber schreit:
Warum, o Gott, warum?
Wozu denn Herr und Knecht?
Was arm, was reich auf Erden?
Für das zertretne Recht
Will ich der Anwalt werden!
Drum her, o her zu mir,
Die ihr beladen seid!
Mein Reich ist ja von hier!
Mein Reich ist diese Zeit!
Ihr, die hier wild in sich
Den Schrei der Wuth ersticken,
Kommt alle her, denn ich,
Ja ich will euch erquicken!
Ich will ins Morgenroth
Der nahen Zukunft sehn
Und euer Schrei nach Brot
Wird in Erfüllung gehn.
Der Knechtschaft Dorngesträuch,
Mein Schwert soll es zerkrachen,
Ich will aus Sklaven euch
Zu freien Menschen machen!
Ihr aber, die ihr faul
Auf euerm Geldsack sitzt,
Indess das Volk, der Gaul,
Vor euerm Karren schwitzt:
Lasst euern Wanst gedeihn,
Lasst eure Hunde bellen,
Ich werde »Feuer!« schrein,
Bis euch die Ohren gellen!
Ich stosse von dem Thron
Das Wörtchen »mein und dein«,
Das brave Volk wird schon
Auf seinem Posten sein.
Drum tanzt nur! Der Vulkan
Wird bald in Feuer kreissen,
Dann wird es Zahn um Zahn
Und Aug um Auge heissen!«
Was er nur halb durchdacht,
Er rief es wildverstört
Und manche stille Nacht
Hat seinen Fluch gehört.
Die Furcht vor Gold und Rang
Verschwur er hoch und theuer,
Ein wilder Wissensdrang
Rann ihm durchs Hirn wie Feuer.
Wohl stand er hart in Frohn,
Ein armer Proletar,
Doch blieb sein halber Lohn
Beim Bücher-Antiquar.
An jedem Wahltag strich
Er ruhlos um die Thüren
Und haschte Zettel sich,
Flugblätter und Broschüren.
O, wenn er las und schrieb,
Schlug ihm das Herz so warm,
Und unverstanden blieb
Ihm sein Collegenschwarm.
Wenn der in Saus und Braus
Sich Sonntags amüsirte,
Dann sass er still zu Haus
Am Werktisch und studirte.
Die Schusterkugel warf
Aufs Buch ihr Licht herab
Und seitlich hub sich scharf
Sein schwarzer Schatten ab.
Man sah ihn, wenn er kroch,
Bis an die Decke schwanken,
Doch höher reichten noch
Des Schwärmers Traumgedanken.
Er träumte, seine Saat
Ging auf im Zeitverlauf
Und schon schloss ein Mandat
Ihm auch den Reichstag auf.
Sein Wort flog wie ein Ball,
Er stand auf der Tribüne,
Halb Rousseau, halb Lassalle,
Und sprach von Schuld und Sühne.
Er sprach, und wenn er schwieg,
Klang's linksher wie Hurrah,
Denn hüben war's ein Sieg
Und drüben ein Eclat.
Und flog's dann durch das Land,
Wo heisse Stirnen tropften,
Dann gab man sich die Hand
Und tausend Herzen klopften.
Und wieder schlug's ihm dann
Vertrauter ans Gehör,
Er war ein schlichter Mann,
Ein Zeitungsredakteur.
Er sass am Pult und schrieb,
Es waren grosse Züge,
Und jeder Satz ein Hieb,
Ein Hieb ins Herz der Lüge.
Er schrieb, und lag das Blatt
Dann auf dem Tisch der Noth,
Dann war die Armuth satt
Und schrie nicht mehr nach Brot.
Ein Balsam war sein Wort,
Es stand ein Held auf Wache
Und war ein rechter Hort
Für jede gute Sache.
Die Hände vorm Gesicht,
So sass er träumend da,
Bis bleich das Morgenlicht
Durchs Kellerfenster sah.
Dann, müd und überwacht,
Ging's in die neue Woche –
O, er war Tag und Nacht
Ein Pegasus im Joche!
So rollte abgrundwärts
Von dannen Jahr um Jahr
Und heller ward sein Herz
Und dunkler ward sein Haar.
Wie Chopins Melodien,
Er war nicht zu verkennen,
In seinen Augen schien
Ein blauer Stern zu brennen.
Er stand nicht mehr bestaubt
Am Werktisch um Gewinnst,
Das Glück wob ihm ums Haupt
Sein lichtes Goldgespinnst.
Erschallen liess er frank,
Ein Herold, seine Rufe
Und jubelte und schwang
Von Stufe sich zu Stufe.
Er flehte: Herz, sei hart
Und rühr's nicht an, das Gold!
Bis er es endlich ward,
Was er so heiss gewollt.
O, nur ein Mann, ein Wort,
Ein Volkssoldat auf Wache,
Ein echter, rechter Hort
Für jede gute Sache!
Sein Bild hängt nun bekränzt
Die Noth an ihre Wand,
Auf seinem Haupt erglänzt
Des Freimuths Krondemant.
Sein Wort klirrt wie von Erz
Und nennst du seinen Namen,
Dann schlägt dem Volk das Herz
Und heimlich spricht es: Amen!
An seinen Werken schweisst
Das ringende Geschlecht,
Sein Wahlspruch aber heisst:
Die Freiheit und das Recht!
So kämpft als Paladin
Der Schusterssohn von weiland
Und alles schaut auf ihn,
Wie auf den neuen Heiland.
Doch stösst ein Volkstribun
Allorts auf einen Stein,
Kein Wunder drum, wenn nun
Auch viele »Kreuzigt!« schrein.
Dies Wort war ja von je
Ein gute Wehr und Waffen –
So lehrt's das Abc
Der Junker und der Pfaffen!
Das Volk, hat's ein Idol,
Dann will's zum Brot auch Salz:
Die Herren wissen wohl,
Es geht an ihren Hals!
Drum zetern sie: Er ist
Ein Teufelsflammenschürer,
Ein wilder Antichrist,
Ein schlauer Volksverführer!
Er aber lacht sie aus,
Er weiss, der Sieg ist sein;
Und treiben sie's zu kraus,
Dann donnert er darein:
»Ja, tanzt nur! Der Vulkan
Wird bald in Feuer kreissen,
Dann wird es Zahn um Zahn
Und Aug um Auge heissen!«
So klingt – bald Moll, bald Dur –
Sein grosses Tongedicht;
Ob er ein Schwärmer nur?
Je nun, ich glaub es nich!
Ein rechter Demokrat
Grollt auch im Festungsgraben,
Zu einem Manne der That
Scheint er das Zeug zu haben.
Einstweilen stürzt sein Zorn
Ihn noch nicht in den Streit;
Er freut sich, wie das Korn,
Das er gesät, gedeiht.
Schon kann er's hoch und dicht
Mit beiden Händen greifen,
Doch noch ist's Austtag nicht,
Er lässt es reifen, reifen ....
Ich seh ihn Tag für Tag,
Als wäre nichts geschehn,
Still mit dem Glockenschlag
An seine Arbeit gehn;
Das Halstuch roth wie Blut,
Von Locken wirr umflogen,
Den Kalabreserhut
Tief in die Stirn gezogen.
Religion
O Erd', voll Licht und Finsternissen,
Der Geister schönstes Mutterland!
Vom Jenseits mag ich nichts mehr wissen,
Seit ich das Diesseits erst erkannt.
Dein bin ich, dein, die du mit Kosen
Um jedes deiner Kinder wachst
Seitdem ich weiss, dass du zu Rosen
Selbst das Gebein der Toten machst!
Alfred Meissner
Ihr Priester, die ihr einst vor Zeiten
Mit Blut geeifert wider Baal
Und heut in andern Erdgebreiten
Den Kampf erstickt ums Ideal:
Kehrt um und wählt ein ander Zeichen,
Das Feld des Zweifels steht behalmt;
Das Rad der Zeit dreht seine Speichen,
Und wer hineingreift, wird zermalmt!
Wohl wärmt ihr eure alten Wunder
Uns immer noch von Neuem auf,
Doch ward ihr Flitter längst zum Plunder
Und niemand nimmt ihn mehr in Kauf.
Gesprengt hat seine dumpfen Bande
Der freie Geist und jauchzte: Licht!
Und trägt nun jubelnd durch die Lande,
Der Schöpfung grofses Weltgedicht.
Verlästert viel und viel bewundert,
Strebt höher er von Jahr zu Jahr;
Er ahnt das kommende Jahrhundert,
Und jedes Herz wird sein Altar.
Denn nicht im Staub der Pergamente
Verlor sich seines Suchens Spur:
Er fragte kühn die Elemente
Und Antwort gab ihm die Natur.
Die Sterne, die seit Uräonen
Ihr räthselhaftes Feuer sprühn,
Die Thierwelt neuerschlossner Zonen,
Ja, selbst die Blumen, die verblühn:
Nicht stumm mehr wie vor tausend Jahren
Schaut ihm ihr Sphinxbild ins Gesicht,
Sie alle, alle offenbaren
Das grosse Weltwort: Licht, mehr Licht!
Das Blättchen der versteinten Pflanze
Singt vom verlornen Paradies,
Und nur für ihn grub Schwert und Lanze
Die Vorzeit in den Uferkies.
Es wob der Traum vom ewigen Frieden
Ums Haupt ihm seinen Glorienschein,
Und bis ins Herz der Pyramiden
Drang forschend seine Fackel ein.
Das Wissen, nicht der Glaube frommt ihm,
Ihm schien die Sonne bis ins Mark!
Ihr aber näselt nur und kommt ihm
Mit euerm abgestandnen Quark!
Umsonst mit euern Anathemen
Habt ihr zu bannen ihn versucht –
Was soll der Welt denn auch ein Schemen
Von einer Liebe, die nur flucht? ...
Da liegt sie nun zerbrochnen Stempels
Die Münze, die ihr falsch geprägt!
Schon ist zum Bau des neuen Tempels
Das grosse Fundament gelegt!
Schon grüsst den kommenden Messias
Das junge, werdende Geschlecht
Und seine goldne Zukunftstrias
Jauchzt: Wahrheit, Freiheit nur und Recht!
Und steigt der grosse Ueberwinder
Erst wieder erdwärts, nackt und blos,
Dann wieder birgst du deine Kinder,
Natur, in deinem Mutterschooss!
Der Menschheit zukunftstrunkne Seher
Sind dann die Jünger, die er wirbt,
Bis mit dem letzten Kantschudreher
Einst auch der letzte Hundsfott stirbt!
Dann wird kein Thron mehr goldig gleissen,
Vom Pfaffenhimmel überdacht,
Denn jene Welt, die uns verheissen
Ist lächelnd dann ins Licht erwacht.
Dann hört die Hoffnung auf zu bluten,
Die Liebe weint vor lauter Lust
Und jauchzend sinken alle Guten
Sich Bruderbrust an Bruderbrust!
Drum ihr dort, die ihr einst vor Zeiten
Mit Blut geeifert wider Baal
Und heut in andern Erdgebreiten
Den Kampf erstickt ums Ideal:
Kehrt um und wählt ein ander Zeichen,
Das Feld des Zweifels steht behalmt;
Das Rad der Zeit dreht seine Speichen,
Und wer hineingreift, wird zermalmt!
Tagebuchblätter
In dem Traum siehst du die stillen,
Fabelhaften Blumen prangen;
Und mit Sehnsucht und
Verlangen Ihre Düfte dich erfüllen.
Doch von diesen Blumen scheidet
Dich ein Abgrund tief und schaurig,
Und dein Herz wird endlich traurig,
Und es blutet und es leidet.
Heine
1.
Ich rauchte nicht und trank kein Bier,
Ein junger Mensch von achtzehn Jahren,
Und dieses Buch der Welt schien mir
Wie eines Engels Memoiren.
Schon sah ich mich im Frührothschein
Vor lauter Glück die Hände falten,
Doch heut gesteh ich's traurig ein:
Mein Herz hat mir nicht Wort gehalten!
Auch schrieb ich manchen Liebesbrief
Und schwärmte à la Heinrich Heine,
Doch das war kindisch und naiv,
Denn statt der Herzen fand ich Steine.
Nun hängt am Galgen mein Humor
Und macht mein warmes Blut erkalten,
Denn traurig klingt es mir im Ohr:
Mein Herz hat mir nicht Wort gehalten!
Zwar meiner Kunst ersehnten Kranz,
Schon streift ihn hie und da mein Scheitel,
Doch denk ich schon wie Meister Hans
Und deklamire: Alles eitel!
Mir kreist das Hirn, mir wankt das Knie,
Ein Andrer mag mein Amt verwalten!
Zu traurig klingt die Melodie:
Mein Herz hat mir nicht Wort gehalten!
2.
Ins Meer versank des Abends letzte Röthe,
Du gabst mir scheidend das Geleit,
Im nahen Wald blies eine Hirtenflöte
Ein altes Lied aus alter Zeit.
Nicht Küsse waren's, die wir heimlich tauschten,
Es war die Zeit des Blätterfalls,
Doch als am Kreuzweg die drei Linden rauschten,
Fielst Du mir weinend um den Hals!
Und Deiner Liebe langverhaltnes Leiden,
Aus Deinem Herzen brach's hervor,
Als ahntest Du's, dass Jedes von uns Beiden
Im Andern auch sich selbst verlor!
Und Worte sprachst Du, die ich nie vergessen,
Doch ach, uns gönnte das Geschick
Nur noch ein letztes Aneinanderpressen ...
Es war ein dunkler Augenblick!
Doch nicht entweihen will ich jene Stunde,
Schweig still, o still, Erinnerung!
Denn nie schliesst sich ein Herz um seine Wunde,
Ein echtes Leid bleibt ewig jung.
Noch immer, wenn des Abends letzte Röthe
Ins Meer taucht, wird das Herz mir weit,
Und mich umklingt wie eine Hirtenflöte
Ein altes Lied aus alter Zeit.
3.
O, wie so oft hab ich gesessen
Auf moos'ger Bank am Buchenhag
Und sann beglückt und selbstvergessen
Dem Räthsel Deines Wesens nach!
Dann sang am waldverschwiegnen Orte
Ihr hohes Lied die Maienfee,
Und jedes ihrer süssen Worte
Fiel mir ins Herz wie Blüthenschnee;
Und jedes ihrer süssen Worte
Klang mir wie Deutung Deines Seins
Und golden that sich auf die Pforte
Und ich und Du, wir waren Eins!
Und doch; wenn Du dann kamst und lächelnd
Die Anmuth Dir zur Seite ging,
Und süsser als der Maiwind fächelnd
Dein weicher Odem mich umfing:
Dann war dahin, was kaum gewesen
Und was nur dunkel mir geschwant,
In Deinen Augen konnt ich's lesen,
Von Wundern, die ich nie geahnt;
In Deinen Augen konnt ich's lesen,
Was ich gewann, was ich verlor,
Und süsserschreckt schien mir Dein Wesen
Nur räthselhafter als zuvor!
4.
Mein Herz war froh, mein Leben Poesie,
Draus meine Tage sich wie Knospen schälten,
Da kam Dein Brief, der mir Dein Elend schrie,
Und dessen Thränen mir Dein Leid erzählten.
Nur Einer weiss, wie schwer ich daran trug,
Der Flieder, der nachts an mein Fenster schlug.
Derselbe Flieder, dessen Duft so lind
Im Mai uns wie ein Frühlingstraum umschauert,
Und der jetzt frierend im Novemberwind
Sich wie ein Bettler scheu zu Boden kauert.
5.
O, wie weit, wie weit,
Liegt die goldne Zeit,
Wo mein Herz von tausend Liedern schwoll!
Nun ist stumm mein Mund
Und mein Herz so wund
Ist von Thränen, nur von Thränen voll!
O was gäb ich drum,
Wär ich nicht so stumm,
Und die Thräne fände ihren Lauf!
Aber Lied wie Schmerz,
Hütet stumm das Herz,
Und wer kommt und schiebt den Riegel auf?
Junger Liebe Glück,
Kehrst du nie zurück?
Ach, das Herz mir noch das Herz zerbricht!
Wie ein Funkelstern,
O so ewig fern,
Glänzt die goldne Zeit im goldnen Licht!
6.
O dass doch aus dem Klanggewinde
Mir Blatt auf Blatt von dannen stiebt
Und ich nicht mehr die Worte finde,
Wie sie das Herz dem Herzen giebt!
Denn ach, die Lust singt immer leiser
Und immer lauter schreit das Weh,
Und längst sind alle Hoffnungsreiser
Begraben unterm Winterschnee.
Ich bin so stumm und still geworden
Und sing nur manchmal noch im Traum,
Doch in den klagenden Akkorden
Tönt meiner Schmerzen Echo kaum.
Und will mir auch die Brust zerspringen,
Es trägt kein Lied ihr Weh hinaus:
Und so muss denn auch dies verklingen
Und ist doch lange noch nicht aus!
7.
Sonnengluthen, Abendschatten
Wechselten im alten Gleise,
Und auch dir, dem Qualenmatten,
Tönt ins Ohr die gleiche Weise:
Ging das Gestern, kommt das heute
Und am Ende auch das Morgen,
Doch in alle drei als Beute
Theilen gierig sich die Sorgen.
Sonnengluthen, Abendschatten
Können nicht von selber enden,
Aber dir, den Lebenssatten,
Ist's vergönnt, sein Loos zu wenden.
Nicht umsonst sei dir gegeben,
Was Natur den andern schuldig:
Drum so ende du dein Leben,
Oder trag es still geduldig!
8.
Ja, ich geb's zu, und Du hast Recht, mein Freund:
Der Sommer ist's, der meine Wange bräunt,
Und meine Lenzsaat steht noch ungeschnitten.
Und doch, der erste Frühschmelz ist dahin,
Mein Herz ward dunkel, düster ward mein Sinn,
Denn sieh, wer viel geliebt, hat viel gelitten!
Ich weiss, Du glaubst und hoffst noch. Nun, es sei.
In mir ruft's faustisch schon: Vorbei! Vorbei!
Nur wenig noch will meinem Herzen taugen:
Ein Blumenduft, ein ferner Glockenklang,
Ein Vogelruf, ein Sonnenuntergang
Und dann und wann ein Blick in Kinderaugen.
9.
Mit den Wolken, mit den Winden,
Steur' ich nach dem goldnen Vliess –
Das verlorne Paradies,
O, wann werd ich's wiederfinden?
Tag und Nacht, in Schlaf und Wachen,
Wogt um mich die dunkle Fluth,
Und die Sehnsucht, die nicht ruht,
Ja, die Sehnsucht ist mein Nachen!
Und so gehn denn Mond und Sterne
Immer wieder meerempor;
Doch wie sie, winkt Edens Thor
Mir ach, immer nur von Ferne!
Aber lass das Rad nur rollen,
Wie's das schon seit je gethan,
Denn auch
deine
irre Bahn
Wird sich ja vollenden wollen.
Wind und Wellen werden schlafen
Und sein Ziel erreicht dein Boot,
Denn sein Steuermann heisst Tod
Und der Himmel ist sein Hafen!
10.
Und immer weiter
Dreht sich die Welt,
Ihr Pfad wird breiter,
Ihr Triebrad schnellt;
Die Stunden rollen,
Die Sonne scheint,
Ich bin verschollen
Und niemand weint!
In Kraut und Kressen
Auf hohem Stein
Lieg ich vergessen
Und ganz allein;
Nur eine Linde
Schwingt über mir
Im Abendwinde
Ihr grün Panier,
Und leis nur zittert
Mir ums Gesicht,
Goldrothumwittert,
Das Abendlicht.
Die Welt ging unter,
Die Gott erschuf,
Nur noch mitunter
Ein Vogelruf;
Nur noch zuweilen
Ein irrer Schrei –
Die Wolken eilen
Vorbei, vorbei!
Was wie ein Stern mir
Die Brust durchzieht,
Singt nun von fern mir
Sein Alphornlied.
Erinnrung hält mich
In ihrem Bann
Und plötzlich fällt mich
Die Sehnsucht an.
O Lust von weiland,
Wie liegst du weit!
O selig Eiland
Der Jugendzeit!
Die Blumen blühten,
Die Quelle sprang,
Die Sterne glühten,
Die Amsel sang;
Und mir gab Küsse
Zu jeder Stund,
Als ob er's müsse,
Ein Mädchenmund!
Noch stockt der Schmerz mir
In seinem Lauf –
Wie ging das Herz mir
In Liedern auf!
Doch wer beschriebe
Die goldne Zeit,
Die erste Liebe,
Das erste Leid?
Wie dort die Sonne
Versinkt in Nacht,
Stirbt Weh und Wonne,
Eh wir's gedacht.
Schon deckt ihr Schleier
Den Fluss, das Ried –
Die alte Leier,
Das alte Lied!
11.
Der Sonne letzter Schein
Umspielt das schwanke Ried,
Der Thürmer bläst sein Lied
Ins Abendroth hinein.
Von fernher weht ein Duft
Berauschend mir ums Haar,
Ein weisses Taubenpaar
Durchflattert noch die Luft.
Nun taucht mein Geist ins Bad
Und stärkt sich im Gebet,
Ein Engel Gottes geht
Stillsegnend durch die Stadt.
Für Jeden, der ihn sieht,
Hat er im Herzen Raum:
Dir gab er einen Traum,
Und mir gab er dies Lied.
12.
Jüngst sah ich den Wind,
Das himmlische Kind,
Als ich träumend im Walde gelegen,
Und hinter ihm schritt
Mit trippelndem Tritt
Sein Bruder, der Sommerregen.
In den Wipfeln da ging's
Nach rechts und nach links,
Als wiegte der Wind sich im Bettchen;
Und sein Brüderchen sang:
Di Binke di Bank,
Und schlüpfte von Blättchen zu Blättchen.
Weiss selbst nicht, wie's kam,
Gar zu wundersam
Es regnete, tropfte und rauschte,
Dass ich selber ein Kind,
Wie Regen und Wind,
Das Spielen der beiden belauschte.
Dann wurde es Nacht,
Und eh ich's gedacht,
Waren fort, die das Märchen mir schufen,
Ihr Mütterlein
Hatte sie fein
Hinauf in den Himmel gerufen!
13.
O du lieber, linder Sommerabend,
Bist so süss wie zarte Frauenhuld,
Wenn dein tiefgeheimer Zauber labend
Mich in wunderholde Träume lullt.
Bin ich singend über Land gezogen
Wohl den ganzen Tag im Sonnenschein
Und nun schreit ich durch den Thoresbogen
In die altersgraue Stadt hinein.
Von den holzgeschnitzten Giebelspitzen
Sich schon längst der letzte Schimmer stahl,
Nur die hohen Kirchenkreuze blitzen
Golden noch im späten Abendstrahl.
Kinder auf den Treppensteinen hocken,
Spielen Haschen oder Blindekuh,
Und dazwischen läuten fromm die Glocken
Von den Thürmen Feierabendruh.
Wer sich abgemüht in Tagesschwüle,
Ruht im Schoosse seiner Lieben aus;
Herzerquickend duftet ihm die Kühle,
Wie ein frischgepflückter Blumenstrauss.
Rollt kein Wagen mehr, es schlägt kein Hammer,
Denn der Werkeltag ist längst verrauscht;
Lämpchen knistert schon in stiller Kammer,
Drin der Nestling Mutters Märchen lauscht.
Immer stiller wird es auf den Gassen,
Immer heimlicher die Dämmrung winkt,
Bis das Giebeldach die silberblassen,
Mondgewebten Flimmerstrahlen trinkt.
Wo in marktumpflanzten Lindenbäumen
Funkenwürmchen hin und wieder fliegt,
Wandeln Liebende in süssen Träumen,
Hand in Hand und Arm in Arm geschmiegt.
Mit den alten, halbverwaschnen Runnen
Und dem steingehaunen Reckenbild
Steht am Rathhauseck der Rolandsbrunnen,
Der aus hundert Röhren tönend quillt.
Auf bemoostem Rande sitz ich nieder,
Und ich schaue in die Fluthenpracht,
Und ich lausche auf die Wiegenlieder,
Bis mein Herz zur guten Ruh gebracht.
Und da hör ich, wie auf leisen Sohlen
Blonde Engel durch die Gassen gehn,
Und ich blinzle ab und zu verstohlen,
Um die blonden Engel auch zu sehn.
O du lieber, linder Sommerabend,
Bist so süss wie zarte Frauenhuld,
Wenn dein tiefgeheimer Zauber labend
Mich in wunderholde Träume lullt!
14.
Nun pfeift der Herbstwind ums Gemäuer,
Und grau in grau verschwimmt die Luft,
Und um den Herd und um sein Feuer
Webt Winterduft.
Das ist die Zeit, wo sich die Seele
Stilleinsam auf sich selbst besinnt
Und wie im Lenz einst Philomele
Auf Lieder sinnt.
Willkommen drum zur guten Stunde,
O Muse, unter meinem Dach;
Ist auch dies Stübchen hier im Grunde
Kein Prunkgemach!
Vier Wände nur und was darinnen,
Ein Tisch, zwei Stühle und ein Schrein;
So sitzen wir vergnügt und sinnen
Beim Lampenschein.
Horch, draussen, welch ein grauses Wetter
Durchrast gespensterhaft die Nacht?
Mir däucht, so klingt das Horngeschmetter
Der wilden Jagd!
Der Regen peitscht in jähem Grimme
Ans Fenster, dass der Laden wankt,
Und durch die Luft heult eine Stimme
Und ächzt und bangt.
Ein Kreischen, wie von Wetterhähnen,
Umkreist der Kirche nahen Thurm,
Denn ihn bedräut mit giftgen Zähnen
Der Drache Sturm.
Von Menschen scheint die Stadt verlassen,
Kein Licht mehr, das nicht längst verblich,
Und wer hinabblickt auf die Gassen,
Bekreuzigt sich.
Fürwahr, ist da nicht unsre Zelle
Ein irdisch Stücklein Seligkeit?
Und predigt nicht des Lämpchens Helle
Gemüthlichkeit?
Und näher rücken wir zusammen
Und was ich frage, thust du kund;
Dein Auge spielt in blauen Flammen,
Es lacht dein Mund.
Aus Ost und Westen, Süd und Norden,
Von Steinen, Blumen und Gethier,
Warum und wie sie so geworden,
Erzählst du mir.
Und was einst vor so manchem Jährchen
Die Welt erlebt in Lust und Leid,
Und wenn ich bitte, auch ein Märchen
Aus alter Zeit.
Wie Siegfried einst die Maid Brunhilde
Durch seinen Kuss vom Schlaf erweckt,
Und wie sich hinter diesem Bilde
Ein Sinn versteckt.
Wie jährlich noch die Mutter Erde
Sich einspinnt in die Witternacht,
Bis sie im Lenz durch Gottes Werde
Aufs Neu erwacht.
Drum lass den Tod nur draussen dräuen,
Wir zwei sind gegen ihn gefeit;
Das Leben wird sich schon erneuen
Zu seiner Zeit.
Als Lenz wird es uns Veilchen bringen,
Und tändeln wird's als Blüthenfall,
Und Nachts im Flieder wird es singen
Als Nachtigall!
15.
Und wieder nun lässt aus dem Dunkeln
Die Weihnacht ihre Sterne funkeln!
Die Engel im Himmel hört man sich küssen
Und die ganze Welt riecht nach Pfeffernüssen ...
So heimlich war es die letzten Wochen,
Die Häuser nach Mehl und Honig rochen,
Die Dächer lagen dick verschneit
Und fern, noch fern schien die schöne Zeit.
Man dachte an sie kaum dann und wann.
Mutter teigte die Kuchen an
Und Vater, dem mehr der Lehnstuhl taugte,
Sass daneben und las und rauchte.
Da plötzlich, eh man sich's versah,
Mit einem Mal war sie wieder da.
Mitten im Zimmer steht nun der Baum!
Man reibt sich die Augen und glaubt es kaum ...
Die Ketten schaukeln, die Lichter wehn,
Herrgott, was giebt's da nicht alles zu sehn!
Die kleinen Kügelchen und hier
Die niedlichen Krönchen aus Goldpapier!
Und an all den grünen, glitzernden Schnürchen
All die unzähligen, kleinen Figürchen:
Mohren, Schlittschuhläufer und Schwälbchen,
Elephanten und kleine Kälbchen,
Schornsteinfeger und trommelnde Hasen,
Dicke Kerle mit rothen Nasen,
Reiche Hunde und arme Schlucker
Und Alles, Alles aus purem Zucker!
Ein alter Herr mit weissen Bäffchen
Hängt grade unter einem Aeffchen.
Und hier gar schält sich aus seinem Ei
Ein kleiner, geflügelter Nackedei.
Und oben, oben erst in der Krone!!
Da hängt eine wirkliche, gelbe Kanone
Und ein Husarenleutnant mit silbernen Tressen –
Ich glaube wahrhaftig, man kann ihn essen!
In den offenen Mäulerchen ihre Finger,
Stehn um den Tisch die kleinen Dinger,
Und um die Wette mit den Kerzen
Puppern vor Freuden ihre Herzen.
Ihre grossen, blauen Augen leuchten,
Indess die unsern sich leise feuchten.
Wir sind ja leider schon längst »erwachsen«,
Uns dreht sich die Welt um
andre
Achsen
Und zwar zumeist um unser Büreau.
Ach, nicht wie früher mehr macht uns froh
Aus Zinkblech eine Eisenbahn,
Ein kleines Schweinchen aus Marzipan.
Eine Blechtrompete gefiel uns einst sehr,
Der Reichstag interessirt uns heut mehr;
Auch sind wir verliebt in die Regeldetri
Und spielen natürlich auch Lotterie.
Uns quälen tausend Siebensachen.
Mit einem Wort, um es kurz zu machen,
Wir sind grosse, verständige, vernünftige Leute!
Nur eben heute nicht, heute, heute!
Ueber uns kommt es wie ein Traum,
Ist nicht die Welt heut ein einziger Baum,
An dem Millionen Kerzen schaukeln?
Alte Erinnerungen gaukeln
Aus fernen Zeiten an uns vorüber
Und jede klagt: Hinüber, hinüber!
Und ein altes Lied fällt uns wieder ein:
O selig, o selig, ein Kind noch zu sein!
16.
Apage, blonder Satan, lass mich los!
Ich weiss, dies ist das Haus »Zu den drei Nymphen«,
Doch setze dich nicht gleich mir auf den Schooss
Und kokettire nicht mit deinen Strümpfen!
Dein Wort ist wie ein tönendes Geschell,
Du wirst dies junge Herz mir nicht beschwatzen;
Du bist ja doch nur eine Biermamsell
Und feil und falsch wie alle diese Katzen.
Durch dein Gelächter zischt die rothe Lust,
Die Goldgier grub sich tief in deine Züge
Und luftgepolstert thront auf deiner Brust
Die gummifabricirte Doppellüge.
Was dir an Locken bummelt um die Stirn,
Ist mühsam nur gestutzt mit Papilloten,
Und dein vertrates kleines Weibsgehirn
Ist bis zum Platzen vollgepfropft mit Zoten.
Du machst die Augen zu und schnalzt: Wie schön!
Und nippst beim Nachbargast vom Blut der Reben
Und denkst dabei nur an das Lustgestöhn,
Als du dich gestern Nacht ihm preisgegeben.
Dein Element ist recht die Völlerei,
Das Austernfressen und Champagnersaufen...
Wie? Teufel! schlägt die Stutzuhr dort schon Zwei?
Da, nimm mein Portemonnaie und – lass mich laufen!
17.
Mein Herz schlägt laut, mein Gewissen schreit.
Ein blutiger Frevel ist diese Zeit!
Am hölzernen Kreuz verröchelt der Gott,
Kindern und Thoren ein seichter Spott;
Verlöscht ist am Himmel das letzte Roth,
Ueber die Welt hin schreitet der Tod,
Und trunken durch die Gewitternacht klingt
Das sündige Lied, das die Nachtigall singt!
Die Menschheit weint um ihr Paradies,
Draus sie ihr eigener Dämon verstiess,
Und heimlich zischt ihr die rothe Wuth
Ihre Parole zu: Gold und Blut!
Gold und Blut, Blut und Gold!
Hei wie das klappert, hei wie das rollt!
Und wüst dazwischen kräht der Hahn:
Volksohnmacht und Cäsarenwahn!
Und immer dunkler wird die Nacht,
Die Liebe schläft ein und der Hass erwacht
Und immer üppiger dehnt sich die Lust
Und immer angstvoller schwillt die Brust;
Kein Stern, der blau durch die Wolken bricht,
Kein Lied, das süss von Erlösung spricht –
Mein Herz schlägt laut, mein Gewissen schreit:
Ein blutiger Frevel ist diese Zeit!
18.
Vom Thurm her klangen die Osterglocken
Ueber des Kirchhofs trauernde Gruft,
Und gleich verwehten Blütenflocken.
Verschwamm ihr Klang in der Morgenluft.
Mich aber riefen sie in die Weite
Und liessen mich nicht im dumpfen Haus,
Und unter der Osterlieder Geleite
Zog ich die Strassen zum Thore hinaus.
Weit hinter mir im Morgendämmer
Sich das Gemäuer der Stadt verlor,
Und selbst das Pochen der Eisenhämmer
Traf nur gedämpft noch an mein Ohr.
Doch dehnte sich immer weiter und weiter
Vor meinen Blicken der sonnige Gau,
Und jauchzend auf tönender Himmelsleiter
Schwang sich die Lerche ins Aetherblau.
Da stand ich denn nun am Waldesrande
Mit meinen Gedanken so ganz allein
Und sah tief unter mir die Lande
Liegen im flimmernden Sonnenschein.
Und als dann, den letzten Zweifel zu rauben,
Ein Schäfer noch blies auf seiner Schalmei,
Da wollte ich es selbst nicht glauben,
Dass Tod die Lösung des Räthsels sei
Da schien mir alles verweht und vergangen,
Was ich betrauerte winterlang;
Und alle Saiten des Herzens klangen
Zusammen im Auferstehungsgesang.
O, solche Seelenklänge dringen
Weit höher noch in die Himmel empor,
Als je auf seinen Flatterschwingen
Ein Vogel sich in der Luft verlor!
Ja, Fest der Ostern, nun warst du gezogen
Auch endlich in diese verödete Brust;
Und dies Herz, das so oft schon das Leben betrogen,
Erzitterte wieder von süsser Lust
Und schlägt nun der hohen Feier entgegen,
Die über die Erde zu giessen verheisst
Den herrlichsten aller himmlischen Segen,
Den welterlösenden, heiligen Geist.
Der heilige Geist ist die ewige Liebe,
Die Gott in die Herzen der Menschen gesenkt,
Und die mit jedem Ostertriebe
Von neuem sich zum Lichte drängt.
Sie schwebt herab vom Himmelssaale
Zu Jedem, der an sie noch glaubt–
O neige, neige die goldene Schaale
Auch hier auf dieses Beterhaupt!
19.
Nun muss sich wieder alles wenden,
Ich fühl's an meines Herzens Schlag,
Und schöner wird's an allen Enden
Und lieblicher mit jedem Tag.
Die Liebe schnürt ihr rothes Mieder,
Der Armut schmeckt ihr trocknes Brod
Und süss klingt's nächtlich aus dem Flieder:
Im Frühling lächelt selbst der Tod!
20.
Noch stellt der Wald sich taub und todt,
Noch blühen die Primeln nicht,
Doch schlägt mein Herz schon so roth, so roth,
Und meine Seele jauchzt: Licht!
Ja Licht, ja Licht, bis das Eis zerstiebt
Und die Welt in Blüthen versinkt
Und mein rothrothes Herzblut verliebt, verliebt
Die Sonne, die Sonne trinkt!
21.
Endlich durchfährt nun mit Sang und Klang
Der Frühling wieder die harrende Welt;
Und wo er sich zeigt, da singt es,
Und wo er nur wandert, da klingt es
Jauchzend zum Himmelszelt.
Und wen nur der Frühling zum Feste sich lud,
Der mag nun nimmermehr traurig sein;
Doch mich hat er
nicht
geladen,
Ich kann ja die Seele nicht baden
In dem goldigen Sonnenschein!
Ich kann ja nicht steigen zu schwindelnden Höhn,
Wo das Adlerweib brütet im luftigen Horst!
Ich kann ja nicht liegen und lauschen,
Wie die Wälder so einsam rauschen
Und die Amseln pfeifen im Forst!
Vor dem schwärzlichen, städtischen Bogenthor,
Da schauert der lustige Frühling zurück –
Ach, zwischen den Giebeln und Mauern
Muss ich nun einsam vertrauern
Meinen Jugendtraum und mein Glück!
O du Stadt und du kleinliches Krämervolk,
Wie bin ich doch euer so übersatt!
Tagtäglich dieselbe Reise,
Tagtäglich dasselbe Gleise,
Tagtäglich dasselbe Rad!
Und dazu noch dies Weh, o dies innerste Weh,
Das die Brust mir zerreisst und die Sinne zerwühlt!
O sende nur
einen
Tropfen
Auf dieses Herz und sein Klopfen,
Der die lechzende Seele mir kühlt!– –
Wo das Meer erbraust dumpfdonnernden Schlags
Und die weisslichen Möven flattern und schrein
Und die dunkelnden Meereswellen
Sich bäumen und fluthend schwellen
Zum Leuchtthurm am Klippenstein:
Da möcht ich wohl stehn, ha du wilde Lust!
Wenn die rasenden Fittige schüttelt der Sturm,
Wenn die schnellenden Wogen rollen
Und die gellenden Donner grollen
Und das Feuer verlischt auf dem Thurm!
Und macht dann des Sturmwinds Orgelmusik
Dich, du wildaufschlagendes Herz, nicht gesund:
Dann kommt, o ihr Wogen, ihr kühlen,
Von dem Fels mich hinunter zu spülen
In den gähnenden Meeresschlund!
22.
Nun stimmt sie wieder mir den Psalter
Die liedervolle Maienzeit
Und gaukelnd schwebt um mich der Falter,
Das Sinnbild der Unsterblichkeit.
Drum lebt mir wohl, ihr Pergamente
Der winterlichen Hirntortur,
Mich lockt ins Reich der Elemente
Die neuerstandne Lenznatur.
Umspielt von silberbleichem Lichte,
Ein Grabfeld nach verlorner Schlacht,
Ein Todtentanz ist die Geschichte,
Ein Todtentanz um Mitternacht.
Es bleibt der Ruhm, wie er auch glänze,
Ein Blendwerk nur, ein eitler Schein;
Mehr gilt als tausend welke Kränze
Mir dieses Lebens goldnes Sein!
23.
Schenk ein, liebe Sonne, dein Licht, dein Licht,
Ich will es trinken wie Wein,
Und wenn mich mein Herz dann zu packen kriegt,
Dann werden wir beide betrunken sein!
Dann dreht die Welt sich rund um uns rum
Und die Nachtigall singt wie ein Buch:
Wie ist doch der Hansel so dumm, so dumm,
Und die Grethel so klug, so klug!
24.
Willst du denn immer noch nicht ruhn?
Hast du noch immer so viel zu thun?
Häng deine Harfe, mein Herz, an die Weiden,
Lerne dich endlich doch, endlich bescheiden!
Immer noch fühl ich dich flammen und glühn,
Wenn dich im Frühling die Rosen umblühn;
Immer noch sehnst du dich, süss wie vor Jahren,
Wild nach dem Glück mit den goldenen Haaren,
Schmeichelst es Liebling und Lorelei,
Ach, und noch immer fliegt es vorbei!
Lass doch dein Schlagen, lass doch, mein Herz,
Sieh, diese Welt ist ein grausamer Scherz,
Ueberall gähnt es dich an: Verzichte!
Immer und immer die alte Geschichte!
25.
Still, still, Kind, still! es war ein Traum.
Die Wellen grün und weiss der Schaum.
Er rollt durch den Sonnenschein, blitzt und zerstiebt –
Es war ein Traum, dass es Rosen giebt!
Es war ein Traum, dass ein deutscher Wald
Hoch über dir grün seine Wipfel geballt,
Und dass dort, von Menschen wie du gesehn,
Berge, Thäler und Städte stehn!
Schon seit Wochen sahst du kein Streifchen Land,
Hinter dir liegt, was du Welt genannt.
Nun giebt's kein Leid mehr und keine Lust,
Nun schlägt kein Herz mehr in deiner Brust!
Das Segel blitzt, die Welle schäumt,
Es war ein Traum, wie ein Kind ihn träumt;
Der Schornstein raucht, die Möwe flieht,
Nichts, nichts, so weit dein Auge sieht,
Nur:
Himmel und Wasser!
26.
Gründunkel wehn die Pinien,
Von Fern her blaut die See –
Schau nicht so ernst in die schöne Welt,
Wie die Griechin Antigone!
Dein Goldhaar flackert wie Feuer,
Micht packt ein wild Gelüst:
Denk lieber, du seist Cleopatra,
Die ihren Cäsar küsst!
Befiel, und der Erdball zerblättert,
So wahr ich sein Herrscher bin,
Und zitternd vor deine
Füsse kniet Die ewige Roma hin!
Die Völker bauen dir Tempel
Von Susa bis Carchedoon –
Du aber, als Aphrodite, setzt
Dich, lächelnd, auf meinen Thron!
27.
Wozu dies Fältchen heut, mein Süsschen,
Dies Fältchen unter deinem Hut?
Meinst du, das Scharren mit den Füsschen
Thut deinen Stiefelsöhlchen gut?
Dein rothes Sonnenschirmchen zittert,
Dein Händchen fiebert brennend heiss,
Gesteh's nur ein, du bist erbittert
Und denkst, sein Herz ist kalt wie Eis.
O nein! Sein Herz hat tausend Fühler
Und schlägt genau so warm wie deins;
Nur denkt sein Kopf ein wenig kühler
Und kennt genau das Einmaleins.
Ich wollte wohl, dass ich es wüsste,
Wie rosenroth dein kleiner Zeh,
Wie milchweiss deine kleinen Brüste
Und wie diskret dein Negligee.
Nach Indien würd ich mit dir fliehen,
In Heinrich Heine'schem Geschmack,
Und wenn du willst, auch vor dir knieen,
Ein neuer Don Quixote im Frack.
Doch dir Bonbons und Ringe kaufen?
Den Casus, Kind, nehm ich dir krumm.
Das Beste, wär's, du lässt mich laufen
Und siehst dich – anderweitig um!
28.
Mille de Fleurs und Bonbonnièren,
Atlasschleifen und Bouquets,
Jeden Tag drei Dutzend Briefe,
Ungerechnet die Billets,
Jeden Tag ein goldnes Armband,
Ein gesticktes Etui –
Für die »Wunden« unsrer »Herzen«
Die vorzüglichste Charpie!
Kind, sag selbst: wozu dies Alles,
Dies Geliebel per Distance?
Heut, im neunzehnten Jahrhundert,
Ist das längst nicht mehr Usance!
Heut, im neunzehnten Jahrhundert,
Kratzt
der Mensch sich, wenn's ihn juckt;
Werther's Leiden sind pläsirlich,
Aber nur, wenn sie gedruckt.
Deine Schwüre pack in Watte
Und verschliess sie in Dein Spind,
Sie verwehn sonst wie die Fäden,
Die der Sommerabend spinnt!
Deine Thränen aber, Goldkind,
Lass getrost dem Krokodil
Und vor allen Dingen, bitte,
Deine Mutter aus dem Spiel!
Täglich fährt sie ihre Nerven
Bleich spazieren durch den Park,
Und der Hut an ihrem Schleier
Kostet sicher sechzig Mark.
Doch die Liebe schlägt sich barfuss,
Wie ein Bettler, durch die Welt,
Und ich fürchte, dieser Dame
Ist sie noch nicht vorgestellt!
Deine Mutter, Kindchen, kennt nur
Ein Idol: die Prüderei,
Und noch mehr als Dich verzieht sie
Ihren grünen Papagei.
Deine Mutter, Kindchen, hat mich
Sozusagen auf dem Strich,
Nochmal ihr die Hand zu küssen,
Dafür, Herz, bedank ich mich! ...
»Reiss« auch nicht, um's mir zu »schenken«,
Dir das »Herz« aus Deiner »Brust«,
Küsse will ich, nichts als Küsse,
Roth wie Rosen im August!
Küsse will ich, nichts als Küsse,
Alles and're gilt mir gleich –
Morgen Abend, Punkt halb Sieben,
Treff ich Dich am Goldfischteich!«
29.
Nein, nein! Im Ernst, mein Herz! Dein Marquis Posa
Hat bitter unrecht. Dieses Leben ist
Durchaus nicht schön.
Denn Stunden schickt es dir auf deinen Hals,
In denen du dich wüthend drüber ärgerst,
Dass Con-Fu-Tse, der Bhudda der Chinesen,
Kein Droschkenkutscherssohn aus Zwickau war.
Auch will es dir durchaus nicht in den Kopf,
Dass die Pastoren weisse Bäffchen tragen.
Warum nicht pfeffer- oder ferkelfarbne?
Pflanz dir dies Eine zolltief in den Schädel
Und lass ihm Zeit, zu wachsen, und ich wette,
Dein ganzer Kerl platzt prasselnd wie ein Frosch,
Den man zum Schluss auf einem Jahrmarkt abbrennt,
In fünfmalhunderttausend kleine Stücke.
Dann bist du futsch, und deinem Publikum,
Das sein Entree nur ungern gratis zahlt,
Bleibt nichts als eine Nase voll Gestank.
Zuletzt verpufft auch der, die Bande brüllt,
Schimpft, pfeift, krakehlt und prügelt sich
Und johlt dann schliesslich knüppeldick besoffen
Durch Vollmondschein und Fliederduft nach Hause.
Dort liegt das dann wie ein gestochnes Kalb
Idyllisch da in seinem Himmelbett
Und schnarcht gemüthlich sich die Sterne runter.
Nein, nein! Es ist nur Eins: entsetzlich albern.
Nichts weiter.
30.
Wohl jauchz ich, wenn der Tag sein Werk bestellt,
Und helf ihm mit, die alte Zeit zerhämmern,
Doch soll noch manchmal mich umdämmern
Die alte, goldne Heidenwelt!
Denn stets beleidigt meine Phantasie
Ein Marmorchristus mit verrenkten Knochen,
Doch oft hat mir ins Herz gesprochen
Ein Jupiter Otricoli!
O schöne Zeit, als am Hymettoshang
Ein heilig Volk sein heilig Feuer schürte,
Als Phidias seinen Meissel führte
Und Pindar seine Hymnen sang!
Ihr Wallfahrtsweltort hiess Olympia
Und nicht von Holz war'n ihre Rosenkränze,
Wenn sie die priesterlichen Tänze
Sich seelenvoll verschlingen sah!
Die Erde, nicht der Himmel, war ihr Traum,
Erst später lernte sie das dumme Knieen;
Sie spann nicht graue Theorieen,
Ihr Leben war ein grüner Baum.
Doch das ist lange, o schon lange her,
Die Opferschalen fielen und zerklirrten,
Und heut tönt nur das Lied der Hirten
Noch nächtlich übers Mittelmeer.
Das Volk des Perikles gab sich den Rest,
Doch wächst und blüht der Stammbaum des Eumäus –
Heut ist die Weltstadt am Pyräus
Ein elendes Barackennest!
Zwar ist der Himmel noch wie ehmals blau,
Der Urwald harft noch und das Weltmeer psaltert,
Doch ach, die Menschheit hat gealtert
Und pinselt nur noch grau in grau!
Der Schönheit goldner Springquell ist versiegt,
Fürwahr, wir leben in der Zeit des Spottes,
Da selbst die heilge Mutter Gottes
Auf Pflaumenbäume kriecht!
Drum zupft den Dichter nicht an seinem Kranz
Und titulirt ihn nicht gleich einen Narren,
Denkt er umqualmt mal von Cigarren
Der Götterwelt Altgriechenlands.
31.
Wie lang ist's her? Erst sieben Jahre!
Und doch klingt's schon: Es war einmal!
Der Wiege näher als der Bahre,
Stieg ich tagtäglich ins Pennal.
Ich war ein träumerischer Junge,
Las Cicero und Wilhelm Hauff
Und trug das Herz auf meiner Zunge
Und spiesste Schmetterlinge auf.
Auch lief ich, Katzengold zu suchen,
Oft Tage lang im Wald umher
Und schwärmte unter hohen Buchen
Von einstger Nimmerwiederkehr.
Betäubend dufteten die Kressen,
Grüngolden floss das Licht herein;
Es war ein seliges Vergessen,
Vergessen und Vergessensein!
Der Lenzwind liess die Aeste knarren,
Vom Dorf herüber klang die Uhr,
Ich lag begraben unter Farren
Und stammelte: Natur! Natur!
In alten Büchern steht geschrieben,
Du bist ein Weib, ein schönes Weib;
Ich bin ein Mensch und muss dich lieben,
Denn diese Erde ist dein Leib!
Weh, jenem bleichen Nazarener!
Er stiess dich kalt von deinem Thron!
Ich aber bin so gut wie jener
Der Gottheit eingeborner Sohn!
Ich will nicht mönchisch dich zergeisseln –
Her, deinen Freudenthränenwein!
Ich will dein Bild in Feuer meisseln
Und Vollmensch wie ein Grieche sein!
Doch du, um die in ewgem Schwunge
Die Welt sich dreht, o Poesie,
O, lege Gold auf meine Zunge
Und in mein Herz giess Melodie!
In ewge Lieder lass mich weben,
Was du so süss in mir erhellt,
Und wie so köstlich doch das Leben
Und wie so wunderschön die Welt!
Noch gährt's von Blinden und von Tauben
Und mehr als ein Herz ward zum Sfein,
Ich aber lehre sie wieder glauben,
Ich will der neue Johannes sein!
In deine Wunder will ich wiegen
Die Sehnsucht ihres kranken Seins,
In deine Arme will ich sie schmiegen,
Denn ich, du, sie ... o, wir alle sind Eins!
So lag ich träumend einst im Walde,
Wenn tiefblau rings der Himmel hing,
Bis draussen hinter grüner Halde
Die Sonne blutroth unterging.
Dann schritt ich heimwärts, und mit Singen
Begrüsst ich meines Vaters Haus
Und schaute, wenn die Sterne gingen,
Noch lange in die Nacht hinaus.
Und jetzt? – Die heimatlichen Thäler,
Die seine Jugend grün umrauscht,
Hat längst der lyrische Pennäler
Für eine Weltstadt eingetauscht.
Er sieht mit Schauder, wie das Laster
Sich dort juwelenfunkelnd bläht,
Das Elend aber tritt das Pflaster
Von Morgens früh bis Abends spät!
Er hört, wie nachts in den Fabriken
Der Proletar nach Freiheit schreit,
Indess ein Volk von Domestiken
Dem nackten Recht ins Antlitz speit!
Er fühlt, wie wilde, wilde Flammen
Ihm heiss und roth das Hirn durchlohn,
Und beisst die Zähne fest zusammen
Und murmelt: Hohn, Hohn, dreimal Hohn!
Er sieht, er hört, er fühlt den Jammer
Und wandelt tags von Haus zu Haus
Und grollt dann nachts in seiner Kammer
Sein Herz in wilde Lieder aus.
Er hat es längst, schon längst vergessen,
Wie
wohl
im Lenz die Sonne thut,
Und wie's im Wald, umblüht von Kressen,
Sich einst so schön, so schön geruht!
Nur manchmal, manchmal noch durchziehen
Sein Herz, das nach Erlösung schreit,
Die grünen Waldhornmelodieen
Der längst verrauschten Kinderzeit.
Dann stöhnt er auf, und seine Hände
Presst er verzweifelt vors Gesicht
Und rings die weissgetünchten Wände
Erzittern, wenn er schluchzend spricht:
O Poesie, du Heiligschöne,
Von Thränen ist mein Herz durchnässt,
Weil du den treusten deiner Söhne
In Nacht und Noth verkümmern lässt.
Ich war ein Kind und sprach: O, schütte
Dein Füllhorn golden in mein Lied
Und lass mich knien in einer Hütte,
Auf die der Stern der Liebe sieht.
Ja, lass auf einem weissen Zelter
Mich fliegen in den Sonnenschein,
Lass aus des Lebens Freudenkelter
Mein Herzblut sprühn als Liederwein!
Du schwebtest segnend durch die Lüfte,
Ich hab dir selig nachgeblickt,
Und Lenzgoldlicht und Blüthendüfte
Hast du mir lächelnd zugenickt.
Und doch, und doch! Du hast gelogen!
Dein Lächeln war ein schönes Gift!
Du hast mich um mich selbst betrogen!
Dein Herz ist schwarz wie deine Schrift!
Du gabst mir einen wilden Rappen,
Umschnürtest meine Brust mit Erz
Und unter Thränen in mein Wappen
Hast du gestickt ein blutend Herz!
32.
Nacht.
Der Ahorn vor meinem Fenster rauscht,
Von seinen Blättern funkelt der Thau ins Gras
Und mein Herz
Schlägt.
Nacht, Nacht, Nacht.
Ein Hund bellt – – ein Zweig knickt – – still!
Still!!
Still!!!
. . . . . . .
Du?
Du??
Ah, deine Hand! Wie kalt, wie kalt!
Und – deine Augen: gebrochen! – –
Gebrochen!!
. . . . . . .
Nein! Nein!! Du darfst es nicht sehn,
Dass die Lippen mir zucken,
Und auch die Thräne nicht,
Die ich kindisch um dich vergiesse – –
Du armes Weib!
Also nachts?
Nachts nur noch wagst du dich,
Schüchtern, aus deinem Sarg?
Aus deinem Sarg?
Um dich auf Zehen zu mir zu schleichen?
Armes Weib!
Todt, todt, todt ...
Verblüht die Kränze,
Die du gewunden,
Verweht die Lieder,
Die du gesungen,
Und in deinen Haaren,
Die so golden geflattert,
Klebt nun die
Erde!
Todt, todt, todt ...
Und deine Flügel, deine armen Flügel!
Unbarmherzig heruntergeschnitten
Von den schimmernden Schultern – ah, weine nicht!
Weine
nicht!
Hier! Hier!! Zu mir sollst du dich setzen,
Nächtlich, allnächtlich,
Bis der Morgen graut,
Bis die Sonne scheint,
Und die Welt,
Die kluge Welt,
Wieder plump über dein Grab rollt – –
Horch!
Der Ahorn vor meinem Fenster rauscht,
Der Thau tropft
Und mein Herz
Schlägt!
Nacht, Nacht, Nacht ...
33.
In himmelblauer Ferne,
Da liegt und lacht ein Paradies,
Da singen die Sirenen,
Da trocknen alle Thränen,
Da wohnt das Glück.
In himmelblauer Ferne ....
Präludium
Kräht der Hahn auf dem Mist,
Aendert sich das Wetter, oder es bleibt, wie es ist.
Alte Bauernregel
Dieses lachende Präludium,
Lachend sei es dedicirt
Euch, ihr wohlverbohrten Ritter
Vom romantisch blauen Strumpfband
Und vom klassischen Kothurn.
Euch und allen andern windgen,
Hyperschlauen Kritifatzkis,
Die, zum Zeichen, dass sie's lasen,
In dies saubre Exemplar
Eselsohren falzen werden.
Bitte sich nicht zu geniren,
Dass ich dies mein kleines Epos
Nicht gleich, zunft- und zopfgerecht,
Philologisch präludirte:
»Nenne mir den Mann, o Muse!«
Armer klassischer College!
Streu, wie unser Grossohm Hiob
Asche Dir auf deine Platte,
Denn die Welt hat sich gedreht
Und mit Wolfgang Goethe starb
Längst der Letzte der Olympier.
Andre Zeiten, andre Lieder,
Andre Lieder, andre Menschen,
Und von Wien bis nach Paris
Fährt man heutzutag per Blitzzug
Noch nicht lumpge siebzehn Stunden.
Zwar ein Dichter, der wie ich
Schon von jeher kein Talent,
Und, getreu der goldnen Fahne,
Die mir roth zu Häupten flattert,
Zukunftsroth und gleichheitspredgend,
Warn ich meine Concurrenten
Vor der unsoliden Firma
Der Homer und Compagnie.
Ja, mein Herz, ich muss Dich seufzend,
Seufzend, wenn ich daran denke,
Dass auch ich ein Versfaiseur nur,
Oeffentlich hier denunciren:
Dein Credit beginnt zu wanken,
Deine Curse stehen schlecht,
Und dein Renommee ward schartig
Wie ein schäbiger Cylinder.
Ach, es ist nur gar zu wahr,
Dein ambrosisch grüner Lorbeer
Fing mit Harold – Byron schon
Ganz bedenklich an zu welken,
Und in meinen Augen bist Du
Nur ein ganz profaner Mensch
Und als solcher wiederum
Nur der erste aller blinden
Bänkelsänger Griechenlands.
Ja, mein Hirn ist ein Rebell,
Und wie alle diese Leute,
Die auf Thron und Altar pfeifen,
Bläht es frech sich auf und pfeift auch
Auf das schulstaubtrockne Dogma
Klassischer Autorität
Immer noch durch unsre Köpfe
Taumeln schwarz bechapeauclacquet
Sich die Götter des Olymp,
Und wenn Rothschild mein Cousin wär,
Liessen heute noch die »Times«
Einen Aufruf los zur Gründung
Eines internationalen
Antimuseistenclubs.
Hätte ein gewisser Herwegh,
Der ein grosser Demokrat
Und ein grössrer Dichter war,
Ihn nicht meuchlings schon verausgabt,
Hier an dieser schönen Stelle
Bräch ich aus in den Naturlaut:
»Raum, ihr Herrn, dem Flügelschlag
Einer freien Seele!«
Poesien für Pennäler
Sind bereits genug gedrechselt;
Siehe hier das Gros der Werke
Unsrer deutschen Dioskuren –
Nomina odiosa sunt!
Aber vollends lasst mich schweigen
Von den lächerlichen Grössen
Ihres lächerlichen Nachtrabs!
Graf von Platen war ihr Mogul,
Und die griechische Schablone
Rüpelte jahrzehntelang
Ihre längstversteinten Formen
Ueber jeden deutschen Quark.
O, ich hasse dies Gezücht
Phrasenschwammiger Banausen,
Das nach jedem Wort sich einen
Idealen Kloss ins Maul pfropft!
Aber ach, mein braves Deutschland
War ja leider das beliebte
Eldorado der Philister
Schon seit anno Tacitus!
Seit der alte Herr von Hutten,
Von der Meute seiner braven
Zeitgenössischen Philister
Wie ein Hirsch ins Holz gehetzt,
Auf der Ufenau verreckt ist,
Hat nur ein Mensch hier in Deutschland
Tabak, Bier und Kohl verdaut,
Der, bis in den Tod sich selbst treu,
Ein lebendiger Protest war
Gegen jedes lächerliche,
Knöcherne Schablonenthum.
Fern vom Rhein, wo er sein erstes
Kinderhöschenpaar zerrissen,
Fern in Frankreich liegt sein Grab,
Und von Immergrün umwoben
Schaut es hoch her vom Montmartre
Auf die Weltstadt an der Seine.
O, ich weiss, wie einst die Mitwelt
Vipernzüngig ihn begeifert;
Kann doch selber heutzutag noch
Ihm kein Dunkelmann vergessen,
Dass sein rothes Dichterherz nicht
Pauvre wie ein pauvres Talglicht,
Sondern gross und welterleuchtend,
Golden wie die Sonne brannte.
Ach, die Lösung dieses Räthsels,
Das durchaus kein Phänomen,
Lässt sich leicht in Worte fassen:
Heinrich Heine war kein Stockfisch,
Heinrich Heine war ein Mensch!
Schellenfroh aus seinen Nestern,
Drin es lichtscheu sich verkrochen,
Schreckte er das nachtverliebte
Fledermausgezücht der Vorzeit,
Und sein blutender Messias
War das dreimal heilge Recht!
Ja, Hosianna! rief er jubelnd,
Seine Hymnen präludirten
Den Befreiungskrieg der Menschheit,
Und in seinem Herzen schliefen
Schon des neuen Weltprogramms
Goldne Zukunftsparagraphen.
Zwar sein armer Körper war
Abgemergelt wie ein Schatten,
Aber seine goldne Seele
Strotzte nur so von Gesundheit.
Fern im lachenden Paris,
Eingepfercht in ihre graue,
Muffige Matratzengruft,
Rang sie singend wie ein Schwan
Jahrelang mit ihrem Tode,
Denn die Weltlust war ihr Spielzeug
Und ihr Liebling war das Meer.
Doch das Schwimmbassin des Nereus
War von jeher schon ein äusserst
Komplizirter Mechanismus.
Neben Perlen züchtet es
Auch noch ganz gemeine Schlangen.
Längst versoffne Seemannsprime
Wälzt es gleichfalls tief im Bauch rum,
Und die Traumwelt der Atlantis
Hart, bedeckt von Gold und Seetang,
Ihrer künftgen Auferstehung.
Um den Wendekreis des Krebses
Wälzt der Teifun vor sich her
Chinas räuberische Dschunken,
Und am Strand von Norderney
Baden Deutschlands Aphroditen
Ihre semmelblonden Glieder.
Ja, ein Künstler ist der Weltgeist
Und das Meer sein Meisterwerk!
Silbergrau durch seine rothen,
Brennenden Corallenwälder
Tummelt sich der flinke Stör,
Und versunkne Städte läuten
Oft aus seinen blauen Fluthen
Ihre träumerischen Glocken
Märchenhaft ins Abendroth.
Doch zur Zeit der Aequinoctien
Wird es hungrig wie ein Wärwolf,
Und die jungen Fischerfrauen
Schrein dann nächtlich oft im Traum auf.
Mit dem Herzen eines Dichters,
Der sein Lebtag nicht nur Thee soff,
Sondern manchmal auch frivol
Veritablen Rum hineingoss,
Ist es ähnlich meist bestellt.
Heine war ein solcher Dichter;
Und wenn dann und wann sein Magen,
Statt des oben schon erwähnten
Obligaten »Thees mit Rum«,
»Rum mit Thee« verconsumirte:
Nun, wer will ihm das verdenken?
Spucken mögen auf sein Grab
Dreimal alle alten Jungfern:
Heilig war ihm seine Liebe,
Heilig war ihm auch sein Hass!
Sein Geschlecht war ein erlauchtes,
Und die Blüthen seines Stammbaums
Sind die Sterne ihre Völker.
Aristophanes, der Grieche,
War sein vielgeliebter Ahnherr,
Miguel de Saavedra
Und der Doctor Rabelais
Waren gleichfalls seine Ahnen.
Doch wozu, o Publikum,
Geb ich heut, wo Dahn und Ebers
Siegreich mit mir concurriren,
Dir ein Privatissimum
In der Kunst der Langenweile?
Ach, die Werke jener Männer
Kennst Du kaum dem Namen nach,
Denn ein einzger Pattitriller
Gilt Dir mehr als tausend Mozarts.
Strickstrumpfflüchtig rettete
Vor dem Schreckregime der Trikots
Die Vernunft aus dem Theater
Sich ins Land der Botokuden,
Denn das neunzehnte Jahrhundert
Applaudirt wie ein Cretin
Nur Ballets und Operetten.
Wer wird heut auch, wo der Golddurst
Wie ein Moloch sich gerirt,
Hamlet oder Faust studiren?
Lieber schluckt man Casanovas
Elegante Sauerein!
Ja, ein Lüstling ist der Zeitgeist,
Ein gealterter Roué,
Und in jedem neuen Buch,
Das ihm eine Kernnatur
Zornig lachend an den Kopf wirft,
Wittert er versteckte Zoten.
Seine alternde Maitresse,
Die Geborene von Welt,
Thut es selbstverständlich dito.
Jeden kantigen Charakter,
Der es lästerlich verschmäht
Honig ihr ums Maul zu schmieren,
Wühlt sie skeptisch um und um,
Wie's mit einem Stückchen Erde
Wohl nach Würmern thut ein Maulwurf.
Grosser Zeitgenosse Emile,
Dich auch, Dich hat sie verlästert,
Und der Shakespeare des Romans
Ward zum Dichter der Kloake.
Doch was thut's? Wenn auch die alten
Weiber beiderlei Geschlechts
Prüde sich vor Dir bekreuzgen,
Dein Genie reckt seine Glieder,
Seine giftgeschwollnen Stichler
Fallen von ihm wie die Fliegen
Und sein Haupt ragt in die Wolken!
Zola, Jbsen, Leo Tolstoi,
Eine Welt liegt in den Worten,
Eine, die noch nicht verfault,
Eine, die noch kerngesund ist!
Klammert euch, ihr lieben Leutchen,
Klammert euch nur an die Schürze
Einer längst verlotterten,
Abgetakelten Aesthetik:
Unsre Welt ist nicht mehr klassisch,
Unsre Welt ist nicht romantisch,
Unsre Welt ist nur modern!
Und der Mensch, der sie mit tausend,
Abertausend Eisenarmen
Erdverlangend wild umschnürt hält,
Ist er gleichfalls nicht modern?
Glaubt er wirklich noch an eure
Abgedroschnen Ammenmärchen
Und dass schwarz soviel wie weiss
Und dass zwei mal zwei gleich fünf ist?
Macht euch auf, ihr Neunmalweisen,
Schleicht euch nächtlich durch die Gassen,
Pilgert tags durch die Fabriken
Und den Denkern schaut ins Hirn!
Thut's und wagt es dann zu läugnen,
Dass der Mensch sich, den die Vorzeit
Wie ein Thier ins Joch geknutet,
Endlich sehnt, ein Mensch zu werden!
Ausgetreten hat der Träumer
Endlich seine Kinderschuhe,
Und vor seinen trunknen Blicken
Wiegt sich lachend wie ein Eiland,
Das das Weltmeer grün umschaukelt,
Seine märchenhafte Zukunft.
Durch die Wälder Kaliforniens
Schnüffelt wie ein Riesenwurm
Feuerschnaubend sich sein Dampfthier,
Und ums Cap der guten Hoffnung
Segeln seine Panzerschiffe.
Seine Telegraphendrähte
Ueberbrücken wie ein Wasser
Delhi's grüne Palmenwipfel,
Und durchs ewige Eis des Nordpols
Blitzen weisslich die Gebeine
Seiner neusten Märtyrer.
Tausend goldne Sacramente,
Die Kleinodien seiner Kindheit,
Sind zersprungen wie ein Glas,
Und die alte, taube Nusswand
Einer abgelebten Kunstform
Sollte frech sie überdauern?
Deklamirt nur, ihr Poeten,
Eure lyrischen Tiraden,
Eure wortverbohrte Nichtswelt,
Mit euch selber geht sie unter!
Doch das thut nichts. Eine neue
Taucht schon lächelnd aus den Wassern,
Und die Wasser gehen schwanger
Noch mit hunderttausend andern.
Hätte dies mein kleines Carmen
Nicht so wohlgeschliffne Krallen,
Die so unbarmherzig spitz sind,
Ich verbräche sans façon
Folgende Apostrophe:
»Du, mein Lied, um das mein Herz
Lieblich klang wie eine Glocke,
Schwing Dich auf, mein goldner Liebling,
Schwing Dich auf wie eine Taube,
Bis die Wasser sich verlaufen!
Melancholisch um mein Haupt
Schwingt die urweltschwangre Sintflut
Ihre dunklen Rabenflügel,
Und durchs Schleusenmeer des Himmels
Brüllt noch immer das alte Chaos!
Ach, und doch! Durch mein Gehirn
Huscht es wie von goldnen Lichtern,
Und die eingelullte Sehnsucht
Nach den hängenden Gärten der Sonne
Wachte weinend wieder auf!
Hat mein Herzschlag mich betrogen?
Tauchen die ersten grünen Zacken
Jener heissersehnten Neuwelt,
Tauchen sie lächelnd endlich auf?
Eine Welt für einen Oelzweig!
Drum, mein Lied, um das mein Herz
Lieblich klang wie eine Glocke,
Schwing Dich auf, mein goldner Liebling,
Schwing Dich auf wie eine Taube,
Bis die Wasser sich verlaufen!«
Doch dergleichen wohlfrisirte
Taschenspielerstückchen sind mir
Gottseidank zu abgedroschen,
Und mein urwaldstruppig Lied
Ist nichts wenger als ein Täubchen!
Nein! Die föhnumbrüllten Trümmer
Eurer längst verkrachten Welt
Liess es sonnenfeuertrunken
Meertief unter sich versinken
Und verlor sich in den Himmel.
Flügelstolz, ein kleiner Kondor,
Schwebt's nun über seiner lieben,
Jungen Sonnenaufgangswelt,
Und zum Aerger aller griechisch
Radebrechenden Philister
Schmettert's dort wie eine Lerche
Uebermütig seinen Triller:
»Zola, Jbsen, Leo Tolstoi,
Eine Welt liegt in den Worten,
Eine, die noch nicht verfault,
Eine, die noch kerngesund ist!«
So! Bis hierher und nicht weiter!
Lachend rief ich's, und die Feder
Stiess ich tief ins Tintenfass.
Fern am Biertisch harrte schon
Das Trifolium meiner Freunde,
Und im Duftkreis einer braunen
Sobetitelten Havannah
Lässt sich's ja, wie jeder selbst weiss,
Ganz vortrefflich Hütten baun!
Selbstverständlich gab mein Opus,
Das ich lachend ihnen vortrug,
Stoff zu einer Diskussion.
Längst verrostete Gewaffen
Aus dem Rüstzeug der Aesthetik
Wurden wieder blank geputzt,
Und die köstlichsten Sophismen
Bissen wie die jungen Hechte
Sich vergnügt in ihren Schwanz.
Doch was half's! Am Ende gaben
Sie sich kleinlaut mir gefangen,
Und die schnurgerade Klassik
Fiel nicht minder glänzend durch
Als die winklige Romantik.
Nur zu meiner neuen Welt,
Zu dem neuen Evangelium,
Das aus Frankreich her und Russland
Unsrer Kunst gepredigt wird,
Konnten sie sich nicht bekehren,
Und das Kleeblatt opponirte
Gegen die Verherrlichung
Zola's, Jbsen's, Leo Tolstoi's.
»Wenn Du ihre Welt so lieb hast,«
Replicirten die drei Käuze,
»Nun, so tritt sie doch mit Füssen!
»Aus der Vogelperspektive
Sieht ein Düngerhaufen schliesslich
Aehnlich wie ein Weizenfeld aus.
Willst Du ihre goldnen Früchte,
Die wie Pomeranzen lachen,
Dir nicht einmal näher ansehn?
Ach, am Ende sind sie giftig,
Giftig wie die ganze Welt,
Die sie farbig überschaukeln?
Geh, Du bist ein Jünger Plato's,
So ein Wolkenkukuksheimer,
Und scharwenzelst um sie her,
Wie ein blöder Schmetterling,
Der um eine Rose tändelt!
Ergel, wenn Du wirklich auf Dein
Neues Evangelium« schwörst,
»Nun dann brocke Deine Verse
Nicht in seine Prosasuppe.
Schlängle klug mit dem Notizbuch,
Wie ein jüdischer Reporter,
Dich durchs Gassenmeer der Grossstadt
Und edire Jahr für Jahr,
Ein gedruckter Photograph,
Realistische Romane.
Reime, Rhythmen und was sonst noch
Dich an Versen so entzückt,
Jene knappe Condensiertheit,
Die in Einem goldnen Lichtblitz
Tausend bunte Farben aufsaugt,
Musst Du dann als neuer Heiland
Selbstverständlich brüsk verläugnen.
Englands Hamlet, Deutschlands Faust
Und Altgriechenlands Prometheus –
Lächerlich, dass diese Leute
Verse, nichts als Verse schwabbeln!
Destillire Dir doch einmal
Die famose Quintessenz
Henrik Ibsenscher Kritik,
Der im Namen Deiner Gottheit,
Als ihr wohlbestallter Priester,
Schillers Jambendramen köpfte:
Blödsinn, nichts als höhrer Blödsinn!
Deine formverliebte Seele
Hat sich eben schon aus tausend
Goldgeformten Henkelkrügen
Gar zu heidnisch schön besoffen!
Hungre sie asketisch aus!
Verse thun's heut freilich nicht:
Prosa, Freundchen, platte Prosa!«
Ach, wie wohlfeil war euch Braven
Dieser gutgemeinte Spott!
Harmlos wie die jungen Bären
Lebt ihr euer Leben hin;
Auf die Quadratur des Cirkels
Habt ihr als verständge Leute
Philosophisch schon verzichtet,
Und ein schief getretner Stiefel
Bringt euch eher aus dem Häuschen,
Als das närrische Problem:
Dreht die Achse dieser Welt
Sich nach rechtshin oder linkshin?
Anders, wenn ein Homo sapiens
Nicht, wie ihr, nur Steuern zahlt,
Sondern, wie z.B. ich,
Nebenbei auch noch Poet ist.
Werden doch in seiner Brust
Feindlich stets zwei Seelen wohnen,
Und vielleicht just, wenn die eine
Strümpfe stopft und Hosen flickt,
Reimt die andere ihr erstes,
Tiefgefühltes Liebeslied.
Zwar mein Kopf hat sich schon längst
Radikal emanzipirt;
Doch in meinem Herzen blühn noch
Alle Blumen der Romantik!
Kriechen soll ich, Freunde, kriechen,
Kriechen wie ein fader Wurm?
Schaut nur, wie die alten Wälder
Ihre grünen Häupter schütteln,
Und wie über sie die Sterne
Kreuzweis ihre Lichter werfen:
Ach, sie intoniren alle
Ein homerisches Gelächter!
Wem die Sonne dieser Gottwelt
Niemals bis ins Herz geschienen,
Mag sich in den Staub verlieben,
Doch wer Flügel hat, der fliege!
Weiss nicht, ob ich nicht noch einmal
Später, wenn ich alt und grau bin,
Mich ins Prosajoch bequeme.
Ach, die Zeit ist gar zu flüchtig,
Und wenn erst das Podagra
Uns moquant an Arm und Bein zwickt,
Macht die Jugend schmählich Pleite,
Und die goldnen Ideale
Drehen schnippisch uns den Rücken.
Doch einstweilen dedicir ich
Dieses lachende Präludium
Euch, ihr wohlverbohrten Ritter
Vom romantisch blauen Strumpfband
Und vom klassischen Kothurn!
Γνωϑι σαυτον
Da steh ich nun, ich armer Thor,
Und bin so klug, als wie zuvor!
Faust
Mitternacht war's.
Auf den glitschrigen Asphalt
Plätscherte der Novemberregen
Und, windgepeitscht, flackerte rothgelb
Durch den Nebeldunst das Licht der Laternen.
Nur hie und da noch humpelte schwerfällig
Durch die dunklen Gassen der träumenden Weltstadt
Ein schläfriger Droschkengaul
Und vor der Hausthür, hart unter meinem Fenster,
Stand, wie immer um diese Stunde,
So auch heute, mein Stubennachbar,
Der neugebackene Referendar,
Und deklamirte höchst gefühlvoll,
Mit seinem Stöckchen die Luft durchfuchtelnd
Und das Schlüsselloch immer vergeblich suchend,
Den Monolog der Schillerschen Jungfrau.
Von drüben über die Strasse her
Blitzten die Spiegelscheiben des Wiener Cafés,
Und hinter den zierlichen Marmortischchen,
Auf die rothen Sammetpolster
Coquettirend hingegossen,
Bot sich den alten und jungen Roués
Schamlos feil die geschminkte Sünde,
Theelöffelklappernd!
Ach, und draussen fuhr pflichtgetreu
Ein bärtiger Schutzmann ein kleines Mädchen an,
Das seine Händchen, vor Kälte zitternd,
In sein zerrissenes Schürzchen gerollt hielt
Und bitterlich weinend
Zündhölzchen ausbot!!
Mitternacht war's.
In Büchern vergraben
Sass ich am Schreibtisch und schrieb.
Zu meiner Linken, dem Herzen am nächsten,
Gähnte lauernd der lahme Papierkorb
Und rechts, neben Byron und Victor Hugo,
Dampfte die Wasserpfeife.
Vom Ofen her, warm und gemüthlich,
Zog durch das Zimmer ein brauner Kaffeeduft
Und an den weissen Kalk der Decke
Malte die Lampe ihr zitterndes Goldlicht.
Alles still – mäuschenstill!
Nur die Schwarzwälder Wanduhr nickte ihr Tiktak
Und eilig kratzte meine Feder
Ueber das gelbliche Manuscript.
Rhythmisch reihte sich Vers an Vers an
Und schneller rollte mein Blut
Von Strophe zu Strophe,
Ungestüm wie ein Katarakt,
Der sich durch die Gewitternacht
Wild übers Wehr stürzt;
Denn um mich webte,
Gestaltlos und dunkel,
Ein faustisches Etwas
Und blies mir ins Ohr
Wort auf Wort.
Und neue Gedanken, nie gedachte,
Wuchsen gigantisch aus meinem Gehirn auf
In nie erforschte Zeiten und Zonen
Tauchten sie wahrheitssuchend hinab,
Wie die farbigen Taucher ins indische Meer
Perlenfischend.
Mit Erden und Sonnen spielten sie Fangball
Und Völkern und Königen raubten sie
Hohnlachend die goldenen Kronen,
Die die kalte Berechnung
Einer herzverkrüppelten Selbstsucht
Der armen, blutiggegeisselten Menschheit,
Der göttlichen Dulderin, schlangenklug
Als Fetische neben den Brotkorb gehangen,
Jahrhundertelang!
Und die also Entthronten,
Aus ihrer wahnwitzigen Selbstherrlichkeit
Jählings aufgeschreckt, bäumten sich auf
Und aus den Kehlen
Der Wehgefolterten, Qualverzerrten,
Rang sich, schauerlich gurgelnd,
Der wilde Angstruf:
»Das jüngste Gericht«
Millionenfach!
Auf der rauchenden Brandstatt
Verkohlter, sündiger Paläste
Schlang sich fluchend
Um seinen pestgeschwollenen Leichnam
Der letzte Bettler den letzten Purpur,
Blutgefärbt;
Und von dem braunen,
Gluthgeborstenen Stein von Golgatha
Warf sich vernichtungstoll
Kopfüber hinab
Ins bodenlose, gähnende Nichts
Das wurmzerfressene, hölzerne Kreuz,
Dornenumwunden.
Und niemand mehr kannte den Rabbi von Nazareth!
Der Mond verdunkelt sich,
Durch den schwarzen Abgrund des Raums,
Hin und her wie ein Windlicht,
Flackerte entseelt der Polarstern
Und durch den wehenden Schweif der Kometen
Blitzten farbig die Meteore.
Sündfluth und Weltbrand brachen zugleich herein
Und Nacht und Licht, Ormudz und Ahriman,
Kämpften noch einmal
Mit alter Kraft den alten Kampf
Um die endliche, ewige Herrschaft.
Aber die Menschheit, die ringende Menschheit,
Athmete auf – zum ersten Mal!
Denn auch sie, ja auch sie, rüstete endlich
Den letzten, grossen, den heiligen Krieg,
Den sie schon Jahrtausende lang
So heiss ersehnt hatte!
Oben, hoch oben,
Auf den lichten, sagenumwobenen,
Heiligen Bergen,
Das Haupt gen Westen,
Knieten ihre Führer,
Die Weisen des Abendlandes,
Und rangen qualvoll
In heissen, brünstigen Gebeten,
Wie weiland Israel in der Wüste,
Oben, hoch oben!
Und unten, tief unten,
Durch die dunklen, wipfelverschatteten,
Grünen Thäler
Wälzte sich stromgleich die heilige Phalanx
Der gottentflammten, ölgesalbten,
Todgeweihten Streiter,
Stumm und erwartungsbleich,
Eine neue Völkerwandrung.
Ihr blutrothes Banner,
Umblitzt von tausend nackten Schwertern,
Spiegelte die aufgehende Sonne wieder,
Noch einmal küsste sich
Mutter und Kind, Vater und Sohn
Und feierlich fluthete durch alle Himmel
Ihr heiliger Hymnus:
Excelsior!
Herzerschütternd, seelenergreifend,
Unten, tief unten!
Aber droben im siebenten Himmel
Thronte noch immer auf seinem goldnen,
Bluttriefenden Stuhl
Der gealterte Judengott, kalt wie ein Steinbild,
Und all der Jammer, der unsägliche Jammer,
Der aus dem armen, wehgemarterten
Herzen der Menschheit, äonenlang
Blut gesaugt wie ein Vampyr:
O, der war spurlos an ihm vorübergegangen,
Denn der alte Mann war kindisch geworden
Und liess sich selbstgefällig
Von seinen sogenannten Engeln
– Kleinen, abgeschnittenen Kinderköpfchen
Mit Flügeln hinter den Ohren! –
Lügengeschwollene Phrasen drehn,
Bis er, hohl wie ein kleiner, menschlicher Geck,
Heimlich mit dem Spiegel coquettirte
Und sich schliesslich einbildete:
Er wäre wirklich allgütig!
Ach, und er ahnte nicht,
Wie sein kahlglatziger Generalstab,
Die allmählig
Aus Erdenpriestern zu Himmelspfaffen
Avancirten Nachfolger Petri,
Feiste Silengesichter,
Hinter seinem Rücken
Schadenfroh sich ins Fäustchen lachten
Und wie ungezogene Schulbuben
Ihm Nasen drehten und Männchen machten!
Und so war denn nun der einst so allmächtige
Schöpfer des Himmels und der Erde
Ein närrischer Popanz geworden,
Eine lächerliche, nichtswürdige Karrikatur
Auf den altmexikanischen
Vitzliputzli!
O, es war fürchterlich!
Unten auf Erden,
Aufgewühlt bis in die innersten Tiefen ihrer Seele,
Die ringende Menschheit, eine tragische Heldin,
Die endlich nach jahrmyriadenlangem,
Wildem Ringen
Von ihrem eigenen, dunklen Sein
Den geheimnissvollen Isisschleier heben sollte,
Und hier oben im Himmel
Ein fühlloser Selbstling, dem der Weihrauch
Eines kleinen Häufleins
Alter, verrückter Betschwestern
Das Hirn umnebelt hatte!
Aber die Liebe, die ewige Liebe,
Die Allerbarmerin,
Sah es und weinte laut auf
Und an ihr grosses, feuriges Sonnenherz
Presste sie wild ihre schöne, süsse Tochter,
Das Mitleid,
Und beide traten, hochaufathmend,
Vor den Thron des Alten,
Der so alt war, dass er sich selbst nicht mehr kannte,
Und die Mutter sprach:
»Soll Dich denn nichts
Aus Deinem wüsten, hässlichen Halbschlaf
Aufrütteln, Du alter Mann?
Hat Dich die einstige siebentägige Schöpfungsarbeit
Denn wirklich schon erschlafft?
Und willst Du nun ewig
Auf Deinem Faulbett thatlos herumlungern?
Geh in Dich, Alter, geh in Dich und lass Dir
Das brünstige, äonenaltrige,
Nie erschlaffte Ringen der Menschheit,
Deines verstossenen Stiefkindes,
Nacht, Licht und Wahrheit
Das Roth der Scham ins Gesicht treiben!
O, schau hinab!
Dort unten auf deiner altgewordenen Erde
Ringt nun die Herrliche
Im letzten Kampfe, im Todeskampfe;
Und glaube mir, Vater, sie verröchelt
Und Millionen Weltmeere
Voll bitterer, blutiger Thränen
Sind umsonst geweint,
Wenn Du ihr nicht hilfst!
Doch Du
wirst
ihr helfen!
Denn einmal schon
Warst Du taub für mein Flehn
Und liessest es zu,
Dass ein thörichtes Volk von Pharisäern
Den bleichen Zimmermann aus Nazareth,
Deinen eigenen Sohn! ans Kreuz nagelte
Ich aber sass, Dich heimlich verfluchend,
Nachts auf dem Oelberg,
In meinen Thränen spiegelten sich,
Wehmütig zitternd,
Die tausend Sterne der syrischen Mondnacht
Und die frommen Dichter des Evangeliums
Nannten mich später: Maria Magdalena!
Nein, Vater, nein!
Du darfst es nicht wagen,
Du wirst es nicht wagen,
Mir wieder zu trotzen
Und so nicht nur
meinen
Fluch,
Nein, auch den der Menschheit,
Einer ganzen Welt,
Dir aufs Haupt zu lasten,
Kalt und gefühllos!
Und so wirf ihn denn von Dir
Den bunten, lächerlichen Flitterkram,
Mit dem Jahrmarktsnarren und Brotkorbschurken
Dich schlau behängt:
Sei wieder Du
Und schleudre noch einmal
Aus der herrlichen Fülle Deiner Allmacht
Durch Deine sieben mal siebenzig Himmel
Dein erstes, grosses,
Heiliges Schöpfungswort!«
So sprach die Liebe, die ewige Liebe,
Die Allerbarmerin,
Und warf sich nieder in den Staub des Himmels
Vor die Füsse ihres grossen Vaters
Und das Mitleid, ihre schöne, süsse Tochter,
Faltete flehend ihre zarten, weissen Hände
Und stammelte schluchzend: Erbarmen, Erbarmen!
Da fuhr's wie ein Blitz durch das blutlose Steinbild
Und die frömmelnd gefaltete Riesenfaust,
Die einst in nebelgrauer Vorzeit
Die Hand des Prometheus gelenkt
Und aus Thon Menschen geformt,
Ballte sich wieder und schlug
An die immer noch weltenschwangere Stirn
Und der alte, zornige Jude
Wurde weich wie ein Kind!
Denn er fühlte, wie sein Herz,
Tief in pochender Brust,
Wieder wonnig zu schlagen anhub
Und eine wilde, verzehrende Sehnsucht
Fiel ihn an,
Eine Sehnsucht nach jener alten, schönen Zeit,
Als er selber noch jung war
Und die Welt, die träumende Welt,
In das bläuliche Dämmerlicht der Urzeit
Süss hineinduftete,
Zitternd und thaufrisch,
Wie eine jungerblühte, rothe Maienrose!
Und zornentbrannt
Riss er die weihrauchduftende Schellenkappe,
Die der hirnvernagelte Aberwitz
Der letzten dunklen Jahrhunderte
Ihm frech übers Ohr gestülpt,
Aus seinen silberfluthenden Locken
Und warf sie nieder und trat sie mit Füssen!
Die blauen Kinderaugen
Der ängstlich den Raum durchflatternden Engel
Verglasten und brachen;
Die himmlische Parasitengarde
Der Heiligen und Kirchenväter
Flüchtete watschelnd,
Laut aufheulend und sich bekreuzigend,
Von Wolke zu Wolke;
Ein Fusstritt schleuderte Petrus,
Den feist gewordenen Himmelspförtner,
Auf die Erde hinab, ins todte Meer
Und millionenzüngig, wonnetriefend,
Von Stern zu Stern, von Welt zu Welt,
Rollte wieder das alte, uralte,
Heilige Evangelium:
Gott ist Gott!
Er aber legte lächelnd der Liebe,
Der ewigen Liebe,
Segnend die Hand aufs Haupt
Und aus dem wehenden,
Schwarz verkohlten Lügenschutt
Längst gewogener, wüster Jahrhunderte,
Umflattert von den letzten, phantastischen Fetzen
Seines eingestürzten, christlichen Thronhimmels,
Zuckte sein Wort, roth wie ein Blitz:
Es werde Licht!
Weinend tauschte tiefunten auf Erden
Beim ersten Aufblitz des ewigen Frühlichts
Die versöhnte Menschheit
Herz an Herz
Den ersten heiligen Bruderkuss
Und lächelnd entrang sich dem dunklen Chaos,
Von ihrer eigenen, wonnigen Schönheit
Süss erschreckt, eine neue Welt,
Die Welt der Verheissung!
. ....
O wie das Herz mir schlug!
In zorndurchloderten, wilden Rhythmen,
Kraftvoll gegliedert,
Standen sie da meine feurigen Strophen,
Glorreich und todverachtend,
Wie weiland das Häuflein der dreihundert Sparter
In den Schluchten der Thermopylen.
Und ich las es noch einmal,
Was ich niedergeschrieben mit meinem Herzblut!
Und wieder dann dacht ich, lautauf grollend,
Wie noch immer
Auf dieser ruhlos wandernden Erde
Das Elend, unser ältestes Hausthier,
Augenrollend und zähnefletschend,
Um Paläste und Hütten schleicht,
Tag und Nacht!
Und wie die Menschheit, dies arme Findelkind,
Das die Mutter nicht kennt und den Vater verflucht,
Trotz Zerduscht und Buddha, Christus und Muhamed,
Noch so weit vom Ziel,
Noch so weit, o so weit!
Müssen nicht immer noch tausend Fäuste,
Harte, schwielenbedeckte Fäuste,
Sich vom Munde das Brot abdarben,
Das schwarze Brot,
Um einem einzigen dummfaulen Tagedieb
Den gefrässigen Schmeerbauch zu mästen,
»Standesgemäss«
Mit Krebshirn und Nachtigallzungen?
Zwingt nicht das Gold,
Dieser herzloseste aller Teufel,
Die Schönheit, die arme, rührende Schönheit,
Noch immer in das dumpfe,
Seuchenverpestete Lustbett der Sünde?
Leckt nicht das Volk,
Die gezähmte, schweifwedelnde Bestie,
Noch immer die bluttriefende Hand
Ihres gekrönten Peinigers?
Und muss sich die Wahrheit, die bleiche Dulderin,
Nicht immer noch
Aus dem hölzernen Betstuhl der Kirche
Querhin über den pfennigfeilschenden Markt
Durch Seitengässchen und Hinterpförtchen
Nachts in das lampenerhellte Stübchen
Der Dichter und Denker flüchten,
Flüchten vor dem lauernden Schlangenblick
Der kahlgeschorenen, glattrasirten
Priester der Liebe?
Und doch! Und doch!
Durchblättre das grosse, heilige Buch der Geschichte,
Und du speist dir selbst in dein Lügengesicht,
Wenn du, Schwächling, die Lästrung wagst:
Alles ist eitel! Die Welt dreht sich rückwärts!
Zwar die Bronceschwerter der Urzeit
Sind nur die Ahnen ihrer Enkel gewesen,
Der schlanken, stählernen Klingen der Neuzeit,
Denn Ares, der Kriegsgott,
Schüttelt sein schlangenlockiges Haupt
Heut noch so wild wie zur Zeit des Homer.
Doch wo sperrt noch heut
Der assyrische Moloch der heidnischen Vorzeit
Seinen feuerspeienden Rachen
Hungrig nach Menschenfleisch auf?
Wer schnürt wohl heut noch ein triefäugiges Weib,
Blos weil es triefäugig ist,
An den mittelalterlichen Brandpfahl?
Und hat nicht erst gestern,
Drüben über dem grossen Weltmeer,
Der schwarze Mann die Kette zerbrochen,
Die ihm jahrtausendelang um den Knöchel geklirrt?
Und haben ihm seine weissen Brüder
Nicht treulich geholfen?
Ist es von jenem ausgehöhlten Baumstamm,
Der einst vor grauen Jahren
Längs der felsigen Küste Phöniciens
Ueber das Mittelmeer schwamm,
Bis zum Great Eastern,
Dem eisengeschuppten Riesendelphin,
Denn nicht mehr als ein Schritt?
Sind die sonnigen, griechischen Märchen
Des Blinden von Chios etwa göttlicher,
Als das dunkle, deutsche Mysterium
Vom Doctor Faust?
Und haben die Weisen der neuen Zeit,
Keppler und Humboldt, Newton und Darwin,
Der Welt denn nicht tiefer ins Herz geschaut,
Als der griechische Aristoteles,
Oder sein Schüler, der römische Plinius?
So sass ich und sann ich.
Wild schlug mein Puls,
Meine Wangen glühten
Und heiss wie im Fieber
Pochten und hämmerten meine Schläfen.
Mein Hirn war der Aetna
Und seine Gedanken die Cyclopen!
An den weissen Kalk der Decke
Malte noch immer die grüne Lampe
Kreisrund ihr zitterndes Goldlicht,
Und die alte Schwarzwälder Wanduhr
Tickte ihr Tiktak, wie vordem.
Draussen in der dunklen, stillen Strasse
Warf der Regen
Seine letzten, schweren Tropfen
Plätschernd aufs Trottoir,
Um die ausgedrehten Laternen
Hatte der Nebel sich dichter gelagert
Und durch den feinen, weissen Schleier
Glotzte das stiller gewordne Café
Mit seinen grossen Fensteraugen
Phantastisch herüber,
Ein Rembrandtsches Helldunkel.
Ich aber achtet' es nicht
Und sprang auf vom Schreibtisch
Und durchmass, verschränkten Arms,
Mit grossen, schweren Schritten,
Hastig das Zimmer.
Der blonde Kopf der sixtinischen Göttin
Schaute aus seinem wurmstichigen Rahmen
Verwundert auf mich herab
Und lächelnd schüttelte
Auf seinem gelblichen Postament
Das Miniaturbild der Venus von Milo
Sein schönes, gipsverkittetes Haupt.
Ich aber stellte mich fest
Vor das wackelnde Bücherbrett hin
Und lehnte den Kopf an das weisse Thürgerüst
Und fühlte, wie mir das Herz bis hoch an den Hals schlug,
Und sprach:
»Nicht bleich und neidvoll
Schau ich Nachgeborner empor
Zu euch, ihr unsterblichen Kinder des Lichts,
Die ihr den Staub der Erbärmlichkeit
Verächtlich von den Füssen geschüttelt
Und auf Alpengipfel entrückt,
Von Wettern umblitzt
Und umrauscht von den Flügen der jungen Adler,
Aus euern grossen, goldenen Herzen
Jene erhabenen Werke geschöpft,
Die Millionen und Abermillionen
Lachen und Weinen, Lieben und Hoffen gelehrt;
Jene Werke, die nun – nach Jahrhunderten! –
In Bücher gedruckt und in Leder gebunden
Von jenen weissen, tannenen Brettern
Eure grossen, goldgedruckten,
Dreimal heiligen Namen
Mir mystisch ins Herz blitzen!
Ob ihr im Dämmergrau der Geschichte,
Getaucht in die weichen,
Bläulichen Schatten des Himalaya,
An den Ufern des heiligen Ganges,
Vedenentziffernd,
Unter den Palmen Indiens gewandelt;
Ob ihr, die Herzen von Hymnen geschwellt,
Auf die Nachtigallen von Hellas gelauscht
Und sinnend Veilchen gepflückt am Illyssos;
Ob ihr, umweht von dem Odem des Weltgeists,
Brütend durch euer Hirn gewälzt:
Himmel und Hölle,
Sein oder Nichtsein,
Mahom und Faust –
Am italischen Arno,
Am englischen Avon,
An der deutschen Ilm;
Stolz sprech ich's aus: Ich beneid euch nicht!
Rauscht nicht noch immer das blaue Weltmeer,
Länderumrollend und inselgebärend,
Seinen alten, heiligen Psalm?
Träumt nicht noch immer der grüne Urwald,
Föhndurchharft und sternübersät,
Von den Wundern des ersten Schöpfungstages?
Und schlägt denn das grosse Herz der Menschheit
Heute nicht feuriger denn je?
Ist der gewaltige Tempelbau,
Zu dem einst der Schüler des Wiswamitra
Und der Sohn der Jungfrau Maria
Den Grund gelegt,
Denn schon vollendet?
Muss sich die Armuth, die ehrliche Armuth,
Nicht immer noch bücken,
Wenn ihr der Hochmuth, der reiche Hochmuth,
Mit der Peitsche über den Rücken knallt?
Lechzen nicht um mich noch tausend und abertausend
Dürstende Seelen hungernder Völker
Nach Licht und Freiheit?
Und braucht denn die Wahrheit, die ewige Wahrheit,
Nicht immer noch Zeugen,
Zeugen, die gesteinigt bluten
Und brechenden Herzens noch triumphiren können?
Und so heb ich denn hier,
Vor euch, ihr unsterblichen,
Heiligen Märtyrer,
Hoch meine Hand empor
Und gelobe feierlich:
Die Armen zu trösten,
Die Schwachen zu stärken,
Die Gefangenen zu lösen,
Die Geschlagenen zu rächen,
Die Wahrheit zu lieben,
Die Lüge zu hassen
Und meiner Kunst
Ein Priester zu sein
Mein Leben lang –
Und alles das:
Aus ganzem Herzen,
Aus ganzer Seele
Und aus ganzem Gemüthe!
Und ob sich mein Pfad auch durch Wüsten windet
Und unter dornenumkrochnem Gestein
Giftige Schlangen nach meiner Ferse züngeln,
Indess die Versuchung, die alte, graue Sünderin,
Mir dreifach ins Ohr raunt:
»Thor, der du bist! Denk nicht an Andre!
Denk an dich selber und schlage dich seitwärts!
Besser als Nachts auf freiem Feld,
Steingebettet und windbedeckt,
Ruht es sich unter dem schirmenden Dach
Der ragenden Burg, der hallenden Kirche
Und des schimmernden Palasts,«
Mein Weg sei gradaus!
Kein Gold soll mich blenden,
Kein Kreuz mich verdummen,
Kein Schwert mich erschrecken!
Ja!
Ein will ich stehn
Für Licht und Wahrheit,
Recht und Freiheit,
Opferfreudig und unentwegt,
Mit Herz und mit Hand, in Wort und in That!
Und will nur
einmal eine
Fiber meines Herzens
Untreu werden, untreu sich selbst,
Dann sei die Lippe verflucht, die mich küsst,
Das Herz, das mich lieb hat, breche in Stücke,
Und die Hand, die schurkisch den Schwur gebrochen,
Recke dereinst sich um Mitternacht
Aus meinem Grab ins Mondlicht empor
Und melde so stumm dem verstörten Wandrer:
»Hier ruht der Verfluchte!
Bebend rollten die dumpfen Worte von meinen Lippen,
Auf meinen Lidern lag es wie Blei
Und ich schleppte mich
Schwindelnden Kopfs an den Schreibtisch
Und warf mich dort
Erschöpft auf den Stuhl.
Da – plötzlich – legte sich riesenschwer
Auf meine müde, zitternde Schulter
Eine grosse, knochige Faust
Und vor mir stand,
Bleich und düster,
Eine markige, hochgegliederte Mannsgestalt
Und sah mich mit grossen, schwarzen Augen,
Die abgrundtief unter der hohen, weissen Stirn
Wie feurige Kohlen glühten,
Durchbohrend an.
Von den faltigen, malerischen Gewändern
Längst verschollner Jahrhunderte
Phantastisch behangen,
Schien er mir eins jener dunklen,
Räthselhaften Wesen,
Die, wie das Volk sich heimlich ins Ohr raunt,
Schon im Urbeginn der Zeiten
Mit ihrem Schöpfer vermessen gehadert;
Die beim flackernden Blutlicht menschlicher Brandfackeln
Die Grabkammern der ägyptischen Pyramiden
Zaubrisch mit Hieroglyphen bedeckt,
Und die fluchgepeitscht,
Ueberdauernd die gewaltigen Geschicke
Aller Völker und aller Zeiten,
Noch leben und athmen werden,
Wenn der letzte Mensch,
Müde des Seins und des goldenen Lichts,
Schon jahrhundertelang ins Grab gestiegen
Und die dunkle, todtenstarre Erde
Ihre wüste, ausgebrannte Schlacke
Eiskalt durchs Nichts wälzt.
Und schaudernd sah ich,
Wie das wachsbleiche Antlitz des mystischen Fremdlings,
Wechselnden Mienenspiels,
Mich grauenvoll anstarrte,
Bald wie Christus, bald wie Mephisto
Und bald – o Gott! – wie mein eignes Spiegelbild!
Da gerann mir das Blut in den Adern zu Eis
Und an die wilder pochende Stirn
Tastete meine Hand wie im Fieber
Und zitternd frug ich:
»Was willst du?? Wer bist du??«
»Was willst du? Wer bist du?
Windiges Püpplein!« lachte der Schreckliche,
»Ist da das Küchlein kaum aus dem Ei geschlüpft
Und klatscht schon verwegen
Mit seinen ärmlichen,
Schalenumschlotterten Federchen,
Flügelstolz, wie der alte,
Braungesprenkelte Weih,
Der über ihm hoch in blauer Luft
Beutelüsterne Kreise zieht!
Wer bist du!! Was willst du!!
Thor, der so fragt!
Beherbergt dein winziges Menschengehirnchen
Etwa noch mehr solcher ungezogenen,
Täppischen Schulbubenwitze?
Schleudre erst von dir, weit, weit von dir,
Dein florumflattertes, schellenumklingeltes,
Kleinliches Selbst;
Entziffre Nachts unterm Sternenhimmel
Das grosse Räthselbuch der Natur;
Begreife mit deinem Zwergverstand,
Wie die Blume blüht und die Sonne scheint;
Frage dich selber, woher und wohin;
Und hat sich dein Fürwitz,
Dein kleiner, menschlicher Fürwitz,
Dann noch nicht erschöpft:
Dann fasse dir – wenn du es
kannst
–
Noch einmal ein Herz,
Dann tritt noch einmal hier vor mich hin
Und frage noch einmal:
Was willst du? Wer bist du?
Und ich werde dir – wenn du es
willst
–
Das Urbild der Wahrheit zeigen,
Schleierlos, wie ein nacktes Weib,
Und auch du wirst dann sein wie der alte Gott,
Der einst in sein herrliches Paradies
– Dem Teufel zu Liebe! –
Eigenhändig einen Apfelbaum pflanzte,
Und wissen, was böse, doch nicht, was gut ist!!
Doch à propos ich werde pathetisch!
Und graue Haare und Gelbschnabelphrasen
Sind immer komisch!
Verflucht!
Ich glaube, dein Monolog,
Den du dir erst
– Dort am Thürgerüst! –
»Nicht bleich und neidvoll«
Vordeklamirtest,
Ist Schuld an dem Unsinn, den ich geschwatzt!
Doch setzen wir uns!
Nicht wahr, du erlaubst doch?«
Sprach's und liess sich, ironisch lächelnd,
Mir gegenüber in den alten,
Grossgeblümten Lehnstuhl fallen,
Der sich, der hohen Ehre bewusst,
Bedenklich nach vorn bog und Knickknack! sagte,
Legte phlegmatisch ein Bein übers andre,
Nieste, rief: Prosit!
Zupfte sich etwas am Kragen zurecht
Und fuhr dann in seiner Rede fort:
»Mensch und Poet,
Sieh mal nach, was die Uhr ist!
Was, eine goldne?
Meine war silbern nur
Und blieb mir leider schon treulos stehn,
Als Cäsar über den Rubikon ging.
Dreiviertel zwei?
Dann hab ich noch Zeit!
Der nächste Schnellzug nach Buxtehude
Geht ja bekanntlich erst 7 Uhr 50!
Doch wenn ich nicht irre, riecht's hier nach Kaffee!
Wie wär's denn, mein Freund,
Wenn du mir, deinem Gast,
Einen Löffel voll anbötest?
Seit Muhameds Hedschra
War ich in Mokka nur zwei- oder dreimal
Und – ländlich, schändlich! –
Seit Sir Francis Drake trink ich nur Schnaps!
Ausnahmen mach ich nur manchmal in China,
Wo ich mich zopfgerecht
Mandarin titulire
Und Thee wie Wasser saufe,
Und – last not least, wie wir Engländer sagen –
Mein Freundchen, bei dir!
Und warum denn auch nicht?
Variatio delectat!
Für Zucker dank ich!
Milch nur ein wenig!
So, das genügt! –
Variatio delectat!
O du mein Cicero,
Göttlichster unter den Göttlichen!
Deine Nase war krumm,
Aber das Gold, das Gold deiner Rede
Blitzte und floss
– Um ein verbrauchtes Bild
Gelegentlich wieder aufzuputzen –
Von deinen Lippen wie Honigseim!
Wie? Du lächelst?
Wurm, der du bist!
Du kennst ihn ja nur
Aus der Unter-Sekunda her,
Als du noch weisheitochsend die Bänke drücktest
Und schon nach dem ersten,
Weltberühmten: »Quousque tandem«
Trotz Eselsbrücken und Präparation
Schmählich stecken bliebst!
Ich aber habe mit ihm,
Einst als mein Bart, mein langer Judenbart,
Noch nicht ganz so grau war wie heute,
In den hängenden Gärten
Seines Tusculums
Bei einem Henkelkruge
Goldnen Falerners
Brüderschaft getrunken!
Durch die zitternden Pinien brach silbern das Mondlicht,
Fern von den Bergen her, triefend von Wohllaut,
Tönte das Lied der römischen Hirten
Und aus dem bläulichen Dunkel der Grotten
Leuchteten weiss und verführerisch
Die nackten Glieder gemietheter Nymphen.
Wir aber sprachen, falernerseelig,
Ueber die platosche Philosophie
Und schimpften weidlich auf Catilina,
Den Carbonari!
Und zwar in den schönsten, classischen Formen
Und gebrauchten nie ut mit dem Indicativ
Und verstummten erst lange nach Mitternacht,
Wohlig eingewiegt von weissen,
Schwellenden Frauenarmen!
Ja, Homo Homunculus,
Das waren noch Zeiten!
Zeiten, von denen sich,
Frei nach Shakespeare,
Eure tintentrunkene Schulweisheit
Heut nichts mehr träumen lässt!
Doch Scherz bei Seite!
Nicht um ein Stündlein mit dir zu verplaudern,
Malträtir ich hier deinen Lehnstuhl!
Dein Schutzgeist, ein kleiner, niedlicher Blondkopf,
Hat oft meiner Grossmutter,
Der alten Hekate,
An dunklen Winterabenden,
Wenn wir gemüthlich ums Höllenfeuer hockten
Und Sünder wie Bratäpfel schmorten,
Lange Geschichten von dir erzählt:
Wie du schon in der Wiege,
Als kleiner Schreihals,
Dich in den schwierigsten Rhythmen geübt
Und später als fünfzehnjähriger Dandy
Krampfhaft höhere Töchter besungen
Und pralineenaschend hyperplatonisch
Für Zuckerwasser und Mondschein geschwärmt,
Bis du nun endlich – mit 20 Jahren! –
Eine Reimfabrik etablirt
Und selbstzufrieden mit goldnen Lettern
Ueber die Thür gemalt:
Weltverbesserungsoffizin!
Natürlich brüllte die ganze Gesellschaft
Dann dreimal: Hurrah!
Der »Chor der Verdammten« erging sich johlend
In den polizeiwidrigsten Verbalinjurien
Und Beelzebub gar
Biss sich vor Lachen in seinen Schwanz!
Ich aber dachte an Karl Moor
Und sprach mit Schiller, deinem Collegen:
Dem Mann kann geholfen werden!
Denn seit man auf Erden hier
Neben die Kirchen,
Kasernen und Zellengefängnisse
Auch Irrenhäuser,
Sparkassen und Volksküchen baut,
Folg ich der Mode und mache in Mitleid
Und so sitz ich denn nun
Hier in deinem Museo
Und predige also:
Mensch!
Kind dieses »aufgeklärten« Jahrhunderts!
Bist du denn wirklich naiv genug
Und glaubst, wie ein Kindlein,
Die Ritzen des Weltbaus
Mit Versleim verstopfen zu können?
Gibst du dich wirklich dem Köhlerwahn hin,
Und bildest dir ein,
Dein schädelgeborener Mikrokosmos
Würde den fadenscheinigen Groschenseelen
Deiner lieben, unsterblichen Mitwürmer
Auch nur einen Pfifferling werth sein?
Ich aber sage dir:
Und wenn Camoens, der Portugiese,
Noch einmal lebte
Und noch einmal seine Lusiaden sänge,
Die Welt stiefs ihn noch einmal kalt ins Spital
Und noch einmal müsste der »Stern von Lisboa«
Auf faulem Stroh elend verrecken,
Angespien wie ein toller Hund!!
Glaube mir, Freund!
Die Menschheit,
Diese concentrirte Bestie,
Die mit der Zeit
Gelehriger noch als ihr äffischer Urahn,
Der erste Pavian,
Scepter und Kronen apportiren gelernt,
Hat immer nur hündisch
Ihrem
Bändiger
die Hand geleckt Und kothbespritzt
Sich behaglich ihrer Verdauung gefreut,
Indess die grossen, herrlichen Dulder
– Ihre Wohlthäter! –
Weltverlassen am Kreuz verblutet,
Oder im Kerker elend verschmachtet!
Denk an Christus, denk an Columbus!
Auch ich war einst jung,
Auch mir ging der Kopf oft
Schwärmerisch mit dem Herzen durch;
Und wenn ich dann singend und lustberauscht
Durch den Frühlingsgarten der Schöpfung gewandelt,
Dann hab ich beseligt geglaubt wie du
An die goldene Zeit und den ewigen Frieden,
An das verheissene Eldorado!
Doch der Schleier zerriss,
Und unter dem Lenzgrün der sündigen Erde,
Neben die Schuppenthiere der Urwelt
Grauenvoll hingelagert,
Sah ich die höhnisch grinsenden Schädel
Ganzer Geschlechter,
Die vor mir gelebt und gelitten wie ich,
Würmerdurchkrochen!
Und über die Gräber
Wälzte sich wüst
Durch den lachenden Sonnenschein
Ein grässlicher Pestknäul
Von Noth und Sünde,
Gold und Blut,
Schlangenumzischt!
Und die liebliche Freundin meiner Seele,
»Die edle Trösterin, Treiberin Hoffnung,«
Weinte sterbend
Ihre letzten Thränen!
Und so stand ich denn nun,
Zweifelnd, verzweifelt,
Auf diesem wüsten,
Entsetzlichen Trümmerball,
An dem einst ein Gott
Sieben Tage,
Sieben lange, verlorene Tage,
Nutzlos herumgemurkst,
Und lauschte begierig den weisen Sprüchen
Der alten indischen Evangelisten.
Und sie raunten mir zu:
»Was lebst du noch, Thor?
Tauch dich hinab,
Tief hinab
In das selige Urnichts!
Millionen Sonnen
Sind
schon verblutet
Und aber Millionen noch
Werden
verbluten
Und
du
?
Fliehst
den Tod?
Dies elende Sein
Ist des Seins ja nicht werth!
Was lebst du noch, Thor?
Tauch dich hinab,
Tief hinab
In das selige Urnichts!«
Ich aber habe, Prometheus zum Trotz,
Gerungen wie Faust und gelitten wie Hiob,
Bis ich mich endlich, blutenden Herzens,
In das eherne Schicksal gefügt.
Doch glaube mir, Freund,
Hamlet hat Unrecht:
Der Rest ist nicht Schweigen,
Der Rest ist Verachtung!
Und so wandl' ich denn nun,
Wie mein Bruder, der ewige Jude,
Auf dieser »besten aller Welten«
Ruhlos umher, ein lebendiger Leichnam,
Und denke mit Salomo: Alles ist eitel!
Nur manchmal noch, manchmal,
Wenn sich die Sonne purpurn ins Meer taucht,
Oder der Frühling hoch auf die Berge steigt,
Oder »auf ewig« im ersten Kuss
Zwei Herzen sich finden,
Zwei arme, thörichte,
Wankelmüthige Menschenherzen:
Klingt's durch die Weihnachtsglocken der Kindheit
Mir süss wie die Stimme meiner Mutter,
Meiner schönen, todten Mutter,
Und ich denke zurück an die alte Zeit,
Als ich im Volk noch des Menschen Sohn hiess!
Damals war ja mein Herz,
Mein armes Herz,
Noch kein todtes Uhrwerk;
Lieblich grünten die Thäler von Hebron,
Mir zu Füssen rauschte der Jordan
Und blutroth blühte die Rose von Saron!
Ich liebte, liebte und wurde geliebt
Und freudig trug ich die »frohe Botschaft«,
Die goldne Legende,
Unter die Fischer am See Genezareth.
Doch Teufel! was red ich!
Nickt denn nicht grinsend von meinem Käppi
Die fuchsrothe Hahnenfeder Mephistos?
Und bin ich nicht oft mit Marte Schwertlein
Schäkernd im Mondschein,
Hart an der Stadtmauer,
Arm in Arm durchs »Wurzgärtlin« gestelzt?
Indess mein Blutsfreund, der junge Magister,
Unterm blühenden Rosengebüsch
Seinem blonden, schnippischen »Grasaffen«
Zärtlich die Cour schnitt? –
Mensch!
Stier mich nicht an!
Glaubst du, ich kram hier im Fieberwahn
Tollhausentsprungene Märchen dir aus?
Seh ich denn aus, wie ein Charlatan?
Sieh mich doch recht an!
Hat dich nicht schliesslich alles getäuscht
Und bin ich nicht du?
Und dennoch verkriecht sich dein furchtsames Ich
Scheu in sich selbst?
Graut dir vor mir?
Papperlapapp! Ich heisse nicht Heinrich!
Schlag ein neutraleres Thema vor
Und ich rede so dumm, wie der ehrlichste Spitzbub!
Ah voilà – dein Manuscript!
Mal her das Geschreibsel!
Was? Verse?
Schon wieder mal Verse?
Natürlich! Für Prosa
Hält sich der gnädige Herr ja zu schade!
Schlag da der Teufel drein!
Gut, dass mein Schwager, der alte Weltgeist,
Dich nicht zum Hausarzt hat!
Hättest ihm längst schon mit deinen verfluchten
Lyrischen Universaltinkturen
Homöopathisch den Magen verdorben!
Kenne die Verse!
Habe dir oft, wenn du Nachts bei der Lampe
Brütend am Federhalter gekaut,
Ueber die Schulter gekuckt.
Zwar, Recht muss Recht bleiben:
Die allerfadesten, die ich gelesen,
Sind's grade nicht –
Elise Polko gibt schlechtre heraus!
Zum mindesten scheinen sie
Fein ciselirt und bunt wie Perlmutter!
Und doch! Ben Akiba hat wieder mal Recht:
Alles schon dagewesen!
Du aber dünkst dich das Urgenie selbst,
Wirfst lukullisch
Mit neuen Reimen und alten Gedanken
Wie mit Aepfelschalen umher,
»Dichtest und denkst«,
Schreibst dann dein Machwerk
In ein kleines, schwindsüchtiges Heftlein
Säuberlich ein
Und nennst es pomphaft:
Buch der Zeit! –
Eins gegen Hundert!
Ich wette, auch du, Freund, denkst nun bereits,
Materiell wie alle Poeten:
Süss, o süss schmeckt der erste Kuss,
Aber noch süsser, weit, weit süsser
Schmeckt das erste, heissersehnte
Goldig klimpernde Honorar!
Hoffentlich, Mensch, »Krone der Schöpfung«,
Hat dir dein Gönner, Ben Machol,
Noch nichts drauf gepumpt?
Wäre doch schad um sein koscheres Geld!
Oder hast du schon
– So unter der Hand –
Nach einer Villa dich umgesehn?
Im Winter Berlin, im Frühjahr Florenz,
Im Herbst Paris, und im Sommer Ostende!
Famoses Leben das!
Pyramidal!! Fasanenhaft!!!
Und Lorbeeren?
Ganze Viehwagen voll!
Nicht wahr, mon cher, ich hab es errathen?
Nicht? Na, denn nicht!
Nur nicht die Miene gekränkter Unschuld!
Bist doch kein Mädel, das nur geküsst sein will!
Und sagt nicht ein altes Volkslied schon:
Ein braver Kerl und ein braver Knuff,
Die passen halt immer zusammen?
Item,
Wie Doctor Martin sagt,
Schiessen wir endlich den Vogel ab!
Mensch!
Zeitgenosse von Emile Zola!
Weltverbessrer par excellence!
Bist du denn ganz und gar vernagelt
Und siehst du nicht ein, wie das Publikum,
Das Massenpublikum deiner Zeit,
Hundertmal lieber
Wiener Schnitzel als Verse verdaut?
Wer liest denn heut welche?
Junge Mädchen am Einsegnungstage,
Oder, wenn's hoch kommt, verliebte Primaner
Und – was das Schlimmste! –
Wer macht denn heut welche?
Lässt dich dein sterblicher Galgenhumor
Nicht schmählich im Stich,
Dann mustre doch einmal
Das elende Phrasendreschergezücht
Der Kathederpoeten und Sonntagsdichter!
Alles nur Blaustrümpfe, männliche Blaustrümpfe!
Ach, und kein einziger ehrlicher Kerl,
So ein Kerl, was man Kerl nennt!
Hinc illæ lacrimæ!
Du aber streichst dir, tief in Gedanken,
Schon martialisch den Schnurrbart in spe
Und regierst die Feder, als wär sie ein Wurfspeer,
Und rufst wie Hutten: Ich hab's gewagt!
Lass doch, mein Freundchen; lass doch, wozu denn?
Wozu denn dich opfern, opfern für nichts?
Wozu denn verhungern wie Doktor Tanner?
Macht heut bei Licht besehn keinen Effekt mehr!
Die goldne Zeit des heilgen Antonius
Ist gottlob vorüber!
Wärst du noch Jungfer, ich proponirte dir:
Geh in ein Kloster!
So aber rath ich dir dringend und ernsthaft:
Werde Professor in Königsberg
Und schreibe die Memoiren Odhins!
Selbstverständlich in Stabreimprosa!
Pump dir das Schreibrohr
Des Herrn Mirza von Schaffy
Und schlage das Tamtam und predige Weisheit!
Kauf dir ein Landgut und handle mit Possen!
Meinethalb auch mit alten Hosen!
Und wenn dir das Geld fehlt,
Kauf dir den Toussaint und übersetze
Englische Gouvernantenromane!
Thu, was du willst!
Giess dir ins Wasserglas Cognac hinein
Und verkünde befrackt »populär« vom Katheder
Wie der erste Mensch und der letzte Papu
Sich so verteufelt ähnlich gesehn!
Fasle das Blaue vom Himmel herunter!
Tanz auf dem Seil! Schneide Gesichter!
Werde Schuster!
Werde Weinreisender!
Leg dich auf Flohdressur
Und fertige Patente,
Fertige Zöpfe und falsche Waden!
Mache Reklame, Guano und Caviar!
Mach, was du Lust hast,
Nur keine Verse!
Dixi, Poetlein!
Dixi! Dixi!
Also sprach er, der grobe Poltron,
Der »Schwager des Weltgeists«,
Der »Enkel der Hekate«,
Und frug noch einmal, ob es schon Zeit sei,
Und drückte mir dann,
Au revoir! wie er lächelnd meinte,
Die tintenbeklexten Poetenfinger
So echt deutsch und hausknetsch,
Dass ich lautauf wie ein wunder,
Homerischer Held
Ω μοι εγω schrie und –
Erwachte! .....
Natürlich!!!
Vor mir,
Auf dem wachsüberzogenen Schreibtisch,
Lagen die Bücher und Manuscripte
Wüst durcheinander,
Das »Goldlicht der Lampe« wär längst erloschen
Und statt des »braunen Kaffeedufts«
Zog sich stickig der Brenzelgeruch
Des schwarzverkohlten Dochts durch das Zimmer.
Sonst aber stand, lag und hing
Alles noch an seinem alten,
Gewohnten Platz.
Hüben die gelbsüchtge Venus von Gyps,
Drüben der Raphaelische Kupferstich,
Links der Papierkorb und rechts die Wasserpfeife!
Nur draussen hatte sich unterdess
Das Bild geändert.
Weiss und kalt
Stahl sich durchs Fenster das Morgenlicht,
Linkshin hatte das Wiener Café
Schamhaft seine Spiegelscheiben verhängt
Und über den Asphalt wälzte sich dumpf
Das wiedererwachte Geräusch der Strasse.
War das dieselbe Welt?
Die Welt von gestern?
Und sollten die Bilder,
Die tollen Bilder der letzten Nacht,
Nur Traumbilder gewesen sein,
Traumbilder einer »erhitzten Phantasie?«
Doch still! es klopft und lächelnd tritt
Mein Stubennachbar zu mir herein,
Der neugebackene Referendar,
Sagt: »Moi'n!« und lässt sich dann,
Leger wie immer,
In meinen alten,
Wackligen Lehnstuhl fallen,
Dreht sich zärtlich seinen blonden,
Wohlgekräuselten Henri Quatre
Und näselt dann los:
Hoffentlich stör ich hier nicht?
Wollte Sie nur im Vorbeigehn fragen:
Haben Sie heute Vormittag Zeit?
Hat da ein ehmalger Leibfuchs von mir
Gestern den Doktor gemacht,
Utriusque natürlich!
Fidele Kneipe gewesen, saufidel!
Natürlich etwas spät nach Hause geklettert...
Famoser Frühschoppen heut!
Erlanger Bier! Patentes Gesöff!
Kommen doch mit? –
Nicht?!
Ei verfault!
Na dann sei'n Sie mal –
Donnerwetter! Wie sagt man doch schon?
Grosskohtz! Richtig!
Grosskohtz und bleichrödern mir
So Stück zehn, zwanzig Mark!
Wissen doch!
Kurz vor dem Ersten,
Momentane Verlegenheit,
Handschuh bezahlt,
Na, und so weiter!
Kennen den Krempel ja!
In circa acht Tagen
Schickt mir der Alte wieder Moos.
Bis dahin, schlage vor: Theilen!
Natürlich, nur Bismark zum Aerger!
He? Famoser Witz das?
Nicht wahr, Herr College?
Doch à propos, ich sag da »College«!
Ist doch gestattet?
Nicht wahr?
Machen doch
auch
Verse?
Paysage intime
Ma pauvre Muse, hélas qu'as-tu donc ce matin?
Charles Baudelaire
Sternklar über seinem Filz
Wölbte sich der Winterhimmel
Und, die Dächer dick verschneit,
Lag das schlummernde Berlin.
Leider war die Gaslaterne,
Die ihr gelblich ins Gesicht schien,
Nicht mehr hell genug dazu.
Erst als kichernd sie im Hausflur
Sich mit seinen Schwefelhölzchen
Ihren Wachsstock angezündet,
Sah er, dass sein Schmetterling
Schon zu unverschämt lädirt war.
Sich nach rückwärts concentriren?
Nein, die Hausthür war schon zu!
Pech! Pfui Deibel! Und verdriesslich,
Kritisch jede Stufe prüfend,
Tappte er ihr langsam nach.
Fern vom Hinterhaus her johlte
Ein verspäteter Geburtstag,
Und das Flakerlicht des Kerzchens,
Das sich vor ihm aus dem Dunkeln,
Wie ein Irrlicht abhob, streifte
Ab und zu ein Porzellanschild
Baltrutsch, las er auf dem einen,
Baltrutsch, Knopf-Arbeiter. – Endlich!
Gut, dass wenigstens ihr Zimmer,
Dessen Thür erst frisch geölt schien,
Eingermassen wohnlich war.
Feuerroth im Ofen glühte
Grad das letzte Schäuflein Kohlen,
Und ein sauberes Rouleau
Schob sich schneeweiss vor das Fenster.
An die grüngestreifte Wand
War ein Christusbild genagelt.
In das aufgedeckte Bett,
Das davorstand, dämmerte
Mattblau eine kleine Ampel,
Und das obligate Sopha
Stand ihm grade gegenüber.
Auch die Marmortoilette
Fehlte selbstverständlich nicht.
Zwei bis drei zerbrochne Stühle
Blätterten daneben cynisch
Ihre Memoiren auf.
Freilich, wie diverse Lieder,
Memoiren ohne Worte.
»Nun? Was schenkst du mir denn Schatz?«
Und die vollen nackten Arme
Frech um seinen Hals geringelt,
Presste ihn die weisse Bestie
Fest an ihre blossen Brüste.
Doch, da kürzlich erst der Erste
Ihm das Portemonnaie gefüllt,
Wurden sie bald handelseins.
Während er sich noch bemühte,
Sich die Stiefel auszuziehn,
Lachte auch sein Kaufobjekt,
Nackt wie Eva, schon vom Bett her.
Fünf Minuten später noch,
Und das indiscrete Lämpchen
Flackert, leuchtet und verlischt.
Dunkelheit! Vom Ofenrost her,
Leis hinzitternd über die Dielen,
Nur ein magrer, rother Lichtstreif,
Und ins faltige Rouleau
Malt sich fernher von der Strasse
Fahl das Licht der Gaslaternen.
Dunkelheit! Nur ab und zu
Bricht ein heftig schweres Athmen
Hastig durch die tiefe Stille,
Und dazwischen rauscht's und knittert's
Durch die Luft wie frisches Bettzeug.
Dunkelheit! Im Hause gingen
Schon zum fünften Mal die Uhren,
Und das Zimmer fing sich an
Leise grau in grau zu malen.
»Bleib doch noch!« »Nein, lass, ich muss gehn!«
Und aus ihrem Arm sich windend,
Tappte er nach seinen Kleidern
Und begann sich anzuziehn.
Ihren bleichen, runden Kopf
Matt auf ihren Arm gestützt,
Sah sie ihm mechanisch zu.
»Kommst du wieder?« Gottseidank!
Jetzt nur noch den Rock und –
»Kommst du wieder?« – jetzt: »Adieu!«
Unten, auf dem Hausflur, kam ihm
Eine Zeitungsfrau entgegen.
Donnerwetter! Schon so spät?
Und den Kragen seines Mantels
Hoch bis unters Kinn geknöpft,
Trat er fröstelnd vor die Thür.
Schmutzig lag vor ihm die Strasse,
Schmutzig wie ein altes Schnupftuch,
Und vom grauverhangnen Himmel
Rieselte ein feiner Nebel.
»Brrr!« Und vor sich selbst aus Ekel
Spie er mitten in die Gosse.
Berliner Schnitzel
Ich bin ein armer Reiter,
Auch beisst und schlägt mein Gaul,
Ich bin ein grober Streiter
Und führ ein grobes Maul.
Gottfried Keller
Initiale
Die deutsche Sprache war einst in alter Zeit
Ein blondes Vollweib, das durch die Wälder strich;
Doch heut ist längst ihr schlotternder Busen
Platt wie ein Plättbrett!
Das gute Frauchen hat zu viel Thee geschluckt
Und leidet nun an Husten und Heiserkeit;
Ich aber frage, wann wird sie wieder
Saugrob wie Luther?
Programm
Kein rückwärts schauender Prophet,
Geblendet durch unfassliche Idole,
Modern sei der Poet,
Modern vom Scheitel bis zur Sohle!
Die deutsche Dichtkunst
Die deutsche Dichtkunst schrieb notorisch
Sich selber den Uriasbrief,
Seit das Gefühl ihr obligatorisch
Und der Verstand nur facultativ.
Suum Cuique
Ich weiss, ich bin euch zu polemisch;
Doch die Dichteritis ist heut epidemisch.
Und kann ich ihr nicht das Maul verriegeln,
So will ich ihr doch den Hintern striegeln!
Die Simpeldichter
Die Simpeldichter hör ich ewig flennen,
Sie tuten alle in dasselbe Horn
Und nie packt sie der dreimal heilge Zorn,
Weil sie das Elend nur aus Büchern kennen.
Chorus der Lyriker
O Mainacht, Mond und Mandoline!
Wer schwärmte früher für Lassalle?
Heut gellt der Pfiff der Dampfmaschine
Ins Hohelied der Nachtigall!
Man schimpft uns »ewge Sekundaner«,
Doch falsch ist ihre Strategie:
Wir sind die letzten Mohikaner
Der deutschen Stimmungspoesie.
Wir klopfen an die leere Tonne
Und rufen: Wein her, rothen Wein!
Auch uns erfreut das Licht der Sonne,
Nur darf es nicht elektrisch sein.
Lasst uns die Henkelkrüge schwingen:
Ju Evoë, Anakreon!
Was geht die Zeit uns an? Wir singen
Vom Mammuth und vom Mastodon!
Donner und Doria!
Das ist so heute der Herren Manier:
Man setzt sich ans Schreibpult wie an ein Klavier;
Vor sich drei Bogen gelbes Concept
Und kommt sich vor wie ein alter Adept.
Dann taucht man ins schwarze Gallelement
Sein Selbstberäucherungsinstrument;
Träumt sich nach Memphis, Korinth und Walhall
Und gebiert einen mächtigen Phrasenschwall.
Daneben spuckt man nach Recht und Pflicht
Der neuen Zeit in ihr Prosagesicht;
Und hat man sich dick mit Gefühlen beschwert,
Wird drüber der Thränenkübel geleert.
Dann druckt es der Drucker auf fein Velin,
Der Buchbinder bindet's in Maroquin
Und schliesslich schimpft's die Kritik: »Poesie« –
Blasphemie!!!
An unsre Modedichter
Noch ehe die Zukunft euch richtet,
Verfallt ihr der ewigen Nacht
Weil ihr zu viel gedichtet
Und weil ihr zu wenig gedacht!
Traurig aber wahr
Die deutsche Muse – hört's, ihr Patrioten! –
Warf ihre Flinte lachend längst ins Korn;
Mit Heinrich Heine riss sie freche Zoten
Und rülpst nun Verse à la Klappenhorn.
Theorie
Was mir im Hirn als Wissen glüht,
Gilt noch nicht eine dieser Strophen.
Der Tiefsinn, den die Rose blüht,
Verlacht den Schweiss der Philosophen.
Recept
Nicht wahr, du bist ein grosses Thier?
So sprich, was ist zum Dichten nütze?
Eine Perryfeder, ein Bogen Papier,
Ein Tintfass – und ein Schädel voll Grütze!
Stossgebet!
Eins ist Noth, ach Herr, dies Eine
Lehre mich vollbringen hier,
Und mein Schutzpatron, der Heine,
Schärfe meine Klingen mir;
Gürt mein Herz mit Siegfriedsleder,
Giess ins Hirn mir tausend Lichter
Und befiehl in meine Feder
Unsre sogenannten Dichter;
Dichter, deren ganzer Codex
Essen, Trinken, Trinken, Essen,
Dichter, die sich in den Podex
Hämorrhoiden eingesessen!
Grüss Gott, ihr Folianten,
Hurrah in den Tod!
Spielt auf, Musikanten,
Das Eine thut Noth!
Offener Brief
Lasst euch begraben, ihr Philologen,
Bei mir habt ihr den Kürzern gezogen!
Drei winzige Jährchen erst ist es her,
Da habt ihr geflucht die Kreuz und Quer:
Der Kerl, der hat zu lange Ohren,
An dem ist Hopfen und Malz verloren!
Und heute? Donner und Doria!
Grenzt das nicht schamlos an einen Eclat!
Zwar, was er weiss, ist nur autodidaktisch,
Aber das Faktum ist eben faktisch:
Er capirte die deutsche Poesie
Auch ohne die griechischen Verba auf mi!
An Neunundneunzig von Hundert
Ihr schwatzt befrackt hoch vom Katheder
Von alter und von neuer Kunst,
Von Fleischgenuss und Sinnenbrunst,
Und gerbt nur Leder, altes Leder!
Ihr lasst um jede Attitüde
Ein weissgewaschnes Hemdchen wehn,
Denn um die Schönheit nackt zu sehn,
Sind eure Seelen viel zu prüde!
Als Wegzehrung
Gott weiss, du bist ein braver Junge,
Noch neune solcher machen zehn,
Dein Herz ist rein wie deine Zunge
Und schwerlich wirst du untergehn.
Du wogst noch niemals eine Lanze
Und singst von Liebe nur und Lenz –
So geh denn hin, mein Freund, und tanze
Den Eiertanz der Convenienz!
Bibelbiereifrig!
Hier Genie und dort Talent!
Jeder Mensch hat sein Pläsirchen –
So ein armer Recensent
Ist das ärmste aller Thierchen.
Wenn es pfaucht und wenn es zischt,
Lass es, lass es sich nur schinden,
Denn dem Ochsen, der da drischt,
Sollst du nicht das Maul verbinden!
An meine Freunde
Noch immer, ihr Freunde, florirt der Leim,
An dem die Dummen sich leimen;
Die Dichter reimen und reimen
Und noch immer erscheint das »Dichterheim«!
Drum schaart euch zusammen nun Mann an Mann
Und wetzt eure Schwerter und sagt mir an:
Wann werden wir endlich zu Boden treten
Das lyrische Kruppzeug der Afterpoeten?
Das kommt davon!
Mit achtzehn Jahren schrieb er Verse
Und frug die Welt nach ihrem Preis,
Tragödien schmierte er diverse
Und Epen vollends dutzendweis.
Doch jede Schuld auf Erden rächt sich!
Schon Goethe war's, den das verdross.
Heut ist er circa fünfundsechzig
Und – Kritiker der Tante Voss!
An mich selbst
Lass die Rosen ihren Duft
Amseln streun und Finken,
Dürsten sollst du nach der Luft,
Draus die Adler trinken!
Blut ist Blut nur wenn es rollt,
Glück lässt sich erhaschen,
Wolkenblau und Sonnengold
Pfropft man nicht in Flaschen!
An die Conventionellen
Ihr habt genug mein armes Hirn gebüttelt,
Ich käu nicht wieder wie das liebe Vieh;
Längst hab ich von den Schuhen ihn geschüttelt,
Den grauen Schulstaub eurer Poesie!
Ich hab mich umgesehn in meinem Volke
Und meiner Zeit bis tief ins Herz geschaut
Und nächtlich ist aus dunkler Wetterwolke
Ein heilig Feuer in mein Lied gethaut.
Nun ruf ich zu des Himmels goldnen Kronen:
Dreimal verflucht sei jegliche Dressur!
Zum Teufel eure kindischen Schablonen!
Ich bin ein Mensch, ich bin ein Stück Natur!
En passant
Was soll uns heut lyrisches Mondscheingewimmer?
So seid doch endlich still davon!
Ihr ändert's ja doch nicht, die Zeit ist noch immer
Die alte Hure von Babylon!
Das Eisen der Kraft hat sie spielend zerbrochen,
Sie schnitzt sich Heroen aus jedem Wicht
Und saugt uns das Mark aus unsern Knochen
Mit ihrem weissen Sirenengesicht.
Die Flammen der Freiheit sind lange vergluthet,
Die Herzen schlagen, die Herzen schrein –
Eh der neue Messias sich verblutet,
O heilige Sintfluth, brich herein!
An die Autoritätsklauber
Schon immer hat uns der Magen gebellt,
Auch ohne den modischen Materialismus,
So alt wie diese alte Welt
Ist ergo auch Zolas Zolaismus.
Drum poltert nur, poltert: Bezuckerter Mist!
Er fürchtet nicht eure kritischen Besen,
Ist doch der erste »Naturalist«
Schon der alte Vater Homer gewesen!
An gewisse Quidams
Ich weiss, ihr wünscht mir die Pest an den Hals,
Ihr geberdet euch täglich entzückter;
Drum flucht nur, er ist uns nichts weiter, als
Ein verrückt gewordner Verrückter!
Doch verlästert mich nicht. Denn dann seid ihr verratzt
Und der Teufel kommt gleich, euch zu holen,
Denn ich habe noch nie eine Jungfer beschwatzt
Und silberne Löffel gestohlen!
Die achte Todsünde
Ein Dichter darf mit seinen Sachen,
Uns wüthend, darf uns rasend machen,
Wir stecken's schliesslich ruhig ein,
Wer wird denn immer: »Kreuzigt!« schrein?
Nur Eins wird man ihm nie verknusen,
Und gäb's statt neun selbst neunzig Musen:
Wenn er in Reimen wässrig thränt,
Indess sein armer Leser gähnt.
Drum, wer uns langweilt oder ledert,
Verdient, dass man ihn theert und federt!
Pro Domo
Weh, unser Zeitgeist liegt noch in den Windeln:
Die Juden schachern und die Pfaffen schwindeln!
Den Freund erschiesst man im Duell
Und sucht die Liebe im Bordell.
Die deutsche Sprache wird gefälscht,
Gekauder- und salongewälscht
Und wässrig thront auf dem Parnass
Die aurea mediocritas.
Drum schimpft nur weidlich: »Pamphletist«,
Ich bin nur Stimmungspessimist!
Dito
Ich bin mein eigner Kritikus,
Drum spart euch eure klugen Reden,
Sagt doch ein alter Pfiffikus:
Nicht jede Formel passt auf Jeden.
Mir hätt es so, mir so behagt,
Schon gut, schon gut, ihr lieben Leute;
Ihr wisst ja, was das Sprichwort sagt,
Der Jäger pfeift, es bellt die Meute!
Doch dass ihr auch der Weisheit Schluss,
Der Wahrheit Wahrheit mögt erfahren,
Sagt jener selbe Pfiffikus:
Die Thorheit wächst oft mit den Jahren!
Selbstporträt
Nur Wenigen bin ich sympathisch,
Denn ach, mein Blut rollt demokratisch
Und meine Flagge wallt und weht:
Ich bin nur ein Tendenzpoet!
Auf Reime bin ich wie versessen,
Drum lob ich plötzlich die Tscherkessen
Und wüst durch mein Gehirn scherwenzen
Verrückt gewordene Sentenzen.
Mein Blut rollt schwarz, mein Herz schlägt matt,
Mein Hirn hat noch nicht ausgegoren,
Denn meine gute Mutter hat
Mich hundert Jahr zu früh geboren!
An mehrere Kritiker
Ja, diese Welt starrt voller Klippen,
Ein Jeder sehe, wie er's treibt;
Denn glattrasirt wie eure Lippen,
Sind auch die Worte, die ihr schreibt!
Auch seid ihr durch und durch »aesthetisch«
Und fast so prüde wie John Bull,
Und so beweist ihr arithmetisch,
Dass mein Talent so gut wie Null.
O, wühlt nur um mit euern Poten,
Den alten Philologenjux –
Die Nachtigall singt nicht nach Noten,
Sie singt, wie ihr der Schnabel wuchs!
Leider!
Die Welt ist heute verteufelt praktisch,
Verteufelt praktisch mit Mann und Maus,
Und selbst die neun Musen sehen didaktisch
Wie englische Gouvernanten aus!
Die Rosen verblühn und der Wein versauert,
Und Keiner lacht, wenn die Sonne scheint,
Denn die Jugend ist skeptisch verschopenhauert,
Und das Alter leider schon längst versteint.
Uns stürzt in tausend dunkle Miséren
Das alte, verfluchte Warum und Wie,
Und keiner, keiner kann sie entbehren
Die Bettelpfennge der Philosophie!
Verschiedenen Collegen
Ihr armen Dichter, die ihr »Philomele«
In jedem Lenz noch rythmisch angeschwärmt,
O, wenn ihr wüsstet, wie sich meine Seele
Um ihre gottverlassnen Schwestern härmt!
Dreht ihr auch noch so ernsthaft eure Phrase,
Der Teufel setzt sie lustig in Musik,
Denn eine ungeheuer lange Nase
Hat seine Grossmama, die Frau Kritik.
Dreierlei
Ich bin ein Dichter und kein Papagei
Und lieb es drum, in unsre Zeit zu schauen,
Und doch missfällt an ihr mir dreierlei,
Und dieses Factum kann ich schwer verdauen:
Die jungen Damen werden nie mehr »blind«,
Die jungen Herrn sind meistens eitle Schöpse
Und – last not least – die echten Thränen sind
Noch seltner heute als die echten Möpse!
Das beste Wappen
Das beste Wappen auf der Welt,
Das ist: Ein Pflug im Ackerfeld.
Stimmt!
Das Einmaleins und das Abc
Ist nichts als die Weisheit im Negligee.
Einem Kritiker
Das grösste Maul und das kleinste Hirn
Wohnen meist unter derselben Stirn.
Collega Collegæ
Dein Lied ist ein schreiendes Transparent,
Dahinter dein Hirn wie ein Talglicht brennt.
Kritiksucht
Wenn die Kritiksucht unsre Kunst,
En masse schablonenhaft verhunzt,
Fällt mir der Vers ein, der famose:
Du stinkst, sprach einst das Schwein zur Rose.
An meine Kritiker
Noch niemals hab ich mich geduckt,
So oft ihr auch gegen mich aufgemuckt;
Das macht, ihr seid total entnervt:
Ihr donnert, eh ihr Blitze werft!
Einem »Freunde«
Nur selten hab ich mich ereifert,
Wenn du mich hinterrücks begeifert;
Dein Grund ist jedenfalls sehr triftig,
Auch kleine Kröten sind ja giftig!
Einem Pseudonym
Zwar deine Reime sind nur selten weibliche,
Doch was sie meinen ist das Ewig-Leibliche;
Lass ab, du lockst uns doch nicht in den Sumpf,
Durch deine Phrasen lugt der blaue Strumpf!
Einem abgeblitzten Collegen
Von Kritikern ein ganzes Rudel
Sprang dir wie Wölfe bissig ins Genick;
Und schön begossen wie ein Pudel,
Senkst du nun schamhaft vor der Welt den Blick.
O dieses alberne Gelichter!
Wann endlich wird es endlich sich denn klar:
Noch niemals gab es einen Dichter,
Der dümmer noch als seine Verse war!
Unser Wortschatz
Die Philologen, die sich stritten,
Rechneten Wort für Wort zurück
Und sahn: der Schatz des grossen Britten,
Umfasste fünfzehntausend Stück!
Doch heut im neunzehnten Jahrhundert
Die Dinger wie der Wind verwehn:
Ein Droschkenkutscher braucht fünfhundert,
Ein lyrischer Dichter nur circa zehn!
Einem Fortschrittsleugner
Dein Hypothesenungeheuer
Hat mich noch niemals recht erbaut.
Der Weltgeist ist ein Wiederkäuer,
Der ewig frisst und nie verdaut?
Still, still, mein Lieber; also spricht
Nur Einer, den der Haber sticht,
Denn könnt' ich, hoch im Himmel hausend,
Nur um ein lumpiges Zehnjahrtausend
Dein Hirn nach rückwärtshin verrenken,
Du würdest anders drüber denken!
Schon gut!
Schon gut! Du weisst schon, wie ich's meine.
Lügen haben kurze Beine.
Wahrheiten aber – Mensch sei helle! –
Beträchtlich breite Hinterkastelle.
Et altera pars!
Schon Joseph Viktor von Scheffel sagt: Lass
Von Klassen-, Rassen- und Massenhass!
Doch bitte, zähme auch deine Triebe
In Klassen-, Rassen- und Massenliebe!
Sansara
Das Nichts, das nie und nirgendwo,
Suchst du vergeblich zu beweisen;
Es ist und bleibt nun einmal so:
Du grübelst und die Sterne kreisen!
Abfertigung
Wohl machst du mir für mein Talent
Ein ungeheures Compliment,
Doch schone, Freundchen, deine Lunge,
Denn wo das Herz spricht, schweigt die Zunge.
Trotzalledem!
Die sieben Farben und die sieben Töne,
Der Welt Gestaltung und der Menschheit Treiben,
Das Ewigwahre und das Ewigschöne
Wird ewigwahr und ewigschön verbleiben.
Urewig
Urewig ist des grossen Welterhalters Güte,
Urewig wechselt Herbstblattfall und Frühlingsblüthe,
Urewig rollt der Klangstrom lyrischer Gedichte,
Denn jedes Herz hat seine eigne Weltgeschichte.
Es bleibt sich gleich!
Es bleibt sich gleich!
Ob du ein sogenannter Glückspilz bist,
Der bunte Wäsche trägt, Coupons abschneidet
Und nur Havannahs zu fünf Mark das Stück raucht,
Ob du am Rand der staubigen Chausee
Blödsinnig niederkniest und Steine klopfst,
Es bleibt sich gleich! Nur deine Brille thut's.
Der hohle Zahn, der dem Idioten weh thut,
Schmerzt auch den besten Mathematiker.
Und die Carriere, die der Leutnant X macht,
Ist grad so glänzend und verführerisch,
Wie die von seinem Putzer Y;
Am Ende kommt der Todtengräber Z,
Macht: Papperlapapp, genehmigt sich ein Nordlicht
Und pfeift auf Beide ...
Der Ruhm?
Der Ruhm?
Ein Ding, das unter sogenannten Brüdern
Fast so reel wie eine Seifenblase?
Geh, lass dir deine Nase putzen, Junge!
Ein Rollmops, den die Mitwelt mit mir theilt,
Wird mir unendlich schmeichelhafter sein,
Als tausend stilgerechte Mausoleen.
Die enthusiastisch mir die Nachwelt baut.
Auch ist es Lüge, dass die Liebe sich
Mitunter auf ein Rosenblatt verirrt.
Auf dieses Monstrum hab ich Jagd gemacht
Wie ein Professor, der Botanik liest,
Vom Brocken bis zum Popokatepetl.
Doch, was die Dichter mir auch vorgefaselt,
Ich fand sie all mein Lebtag nur im Kuhdreck!
Sei ein Philister!
Sei ein Philister, der sich stillvergnügt
Die Marseillaise auf den Bierbauch trommelt,
Doch beiss dir deine Finger ab, mein Junge,
Wenn du Talent zu einem Herrgott hast!
Auch sieh dich vor, dass du um Mitternacht,
Wenn dir der Vollmond schneeweis ins Gesicht scheint,
Nicht einmal unversehns pathetisch wirst,
Mit dem Revolver vor den Spiegel tappst,
Ihn deinem Doppelgänger vor die Brust setzt
Und theatralisch à la Hamlet fragst,
Wozu denn eigentlich der ganze Schwindel?
Frag lieber, wenn du's durchaus nöthig hast,
Warum den Blocksberg keine Flöhe beissen,
Wie oft sich Robespierre wohl rasiren liess,
Was zalmi dupi deutsch heisst, kurz etc.!
Das Beste freilich, doch – wozu noch reden?
Addire nichts und nichts, und du thust das,
Was Gott thut, als er diese Welt erschuf.
»Adam Mensch«
Ob eine Wurst, die nachts im Rauchfang hängt
Sich noch Gedanken über einen Stern macht,
Der golden über Ihrem Zipfel brennt?
In dies Problem sich wie ein Maulwurf grübelnd,
Bepinselte er seine Nase sich
Vor seinem Spiegel kunstvoll mit Zinober,
Schrie Kikriki, frass siebzehn saure Gurken,
Soff dann diverse Kübel Buttermilch
Und starb zuletzt als – Sultan von Marokko.
Einem »Tondichter«
Du bist, ein Jeder nimmt drauf Gift,
Das Theekind aller alten Vetteln
Und auch, was deine Kunst betrifft,
Gerecht in allen Modesätteln.
Uns fascinirt nicht nur dein Name,
Du spielst wahrhaftig mit Talent –
Zumal dein Lieblingsinstrument,
Das goldne Kalbfell der Reclame!
Richard Wagner als »Dichter«
Das urigste Poetastergenie,
Das unser Jahrhundert geboren;
Schon beim Anhören seiner Hotthüpoesie
Verlängern sich unsre Ohren!
Der deutschen Sprache spie dreist ins Gesicht
Seines Stabreims Eiapopeia –
Ein demokratischer Krebs, der Verse verbricht:
Wigala Wagala Weia!
An Gottfried Keller
Die Weisheit lieh dir ihre Huld,
Die Schönheit steht in deiner Schuld.
Durch deine Verse blitzt und rollt
Goethe'sches Gold!
Ich möchte dich bis in den Himmel heben,
Doch ach, du glaubst ja nicht an ihn,
Denn nur die Erde trägt dir Reben,
Rothe Rosen und weissen Jasmin.
Du bist mir auf hundert von Meilen entrückt,
Doch hab ich dir oft schon die Hand gedrückt
Und jauchz dir nun zu durch Nebel und Dunst
Das alte Sprüchlein: Gott grüss die Kunst!
An die Wölfflinge
Noch immer währt die Aventiurenplage –
Allwöchentlich ein Buch von zwanzig Bogen!
Wir aber thun stets unsre alte Frage:
Habt ihr euch immer noch nicht ausgelogen?
Seht, eure Herzen wickelt ihr in Watte
Und malt drauf zierlich: Vorsicht! Porzellan!
Und ist auch manches »Vater, Mensch und Gatte«,
Sein Lumpenpack ist jedenfalls im Thran.
O, werft ins Feuer euer Flickenkleid,
Am nächsten Stein zertrümmert euern Psalter,
Den uns »Modernen« liegt die Bronzezeit
Wahrhaftig näher als das Mittelalter!
An Albert Träger
Du überschwemmst das ganze Land
Als Mutterliederfabrikant
Und bist, soviel du auch geschrieben,
Immer ein kleines Kind geblieben.
An Max Kretzer
Du bist das wahre Urgenie
Der Hintertreppenpoesie;
Damit sie wirkt, versetzst du deine Schrift
Mit Brausepulver und mit Rattengift!
An Joseph Victor von Scheffel
Du schwankst als Urbild hin und her
Eines süffelnden Philosophen,
Im Magen liegen uns centnerschwer
Deine vorsintfluthlichen Strophen.
Jahrzehntelang lagen sie uns zur Last,
Deine altdeutsch jodelnden Leute,
Doch dass du den Ekkhart geschrieben hast,
Das danken wir dir noch heute!
Felix Dahn
Lyrisch hat er geasathort
Schon als ein Jüngling mit lockigen Haaren;
Achtung, in seinem Schädel rumort
Ledern die Weisheit von tausend Jahren!
Aber, verbrach er auch manchen Quark,
Unser Volk wird ihn ewig lieben,
Hat er doch einst, die Knochen voll Mark,
Herrlich den »Kampf um Rom« beschrieben!
Einem Gartenlaubendichter
Ach, lieber Emil, hab Erbarmen,
Pust aus dein kleines Dreierlicht!
Denn die schwarzweissrothen Gelegenheitscarmen
Haben wir endlich dick gekriegt.
Du bist und bleibst ein blosser Reimer,
Kein echter Sohn des Vater Rhein,
Und schenkst deinen Lesern, statt Rüdesheimer,
Nur versificirten Dreimännerwein.
An Rudolf Baumbach
Mondschein, Zuckerwasser und Flieder
Waren dir schon von je zuwider;
Besser blinkender Sonnenschein,
Rauschende Tannen und alter Wein!
Ja, das ist deine ganze Devise,
Du unter Zwergen der einzige Riese!
Bist uns so plötzlich hereingeschneit,
Du und die alte Zigeunerzeit!
Zwar unsre Sphinx wirst du schwerlich errathen,
Aber ein Wort von dir gilt uns Dukaten;
Und deine Weltweisheit lacht uns ins Herz,
Wie ein Shakespearscher Falstaffscherz:
Pfeif auf die Weisen, pfeif auf die Thoren,
Schlage die Welt dir forsch um die Ohren
Habe das Herz auf dem rechten Fleck,
Alles andre – ist ein Dreck!
An Adolf Friedrich von Schack
O Gott, wie ledern respective blechern
Ist doch der Quark von all den Versverbrechern,
Die heut mit selbstgefälligem Behagen
Das Tretrad schwingen und das Tamtam schlagen!
Nur du schwingst nicht das Weihrauchfass der Mode
Und beugst vor deinem Publikum das Knie,
Du weihst dich als begeisterter Rhapsode
Dem Hohenpriesterdienst der Poesie!
Die Zeit ist eisern, eisern ihr Beruf,
O, dass sie endlich ihres Sohns gedächte,
Des Sohns, der ihr die »Weihgesänge« schuf,
Sie und des Orients wundervolle »Nächte«!
Seit mir die Muse lächelnd zugenickt,
Hab ich mit Staunen zu dir aufgeblickt
Und winde dir nun in dein Kranzgeflecht:
»Ich danke dir!« Das kommende Geschlecht.
An Friedrich Rückert
Du warst im Leben Unterthan und Christ,
Und mehr als einmal auch ein Erzphilister,
Drum trauern, dass du schon gestorben bist,
Noch heute alle Unterrichtsminister.
Denn lebtest du noch, dich ernannten sie,
Ich schwör's bei allen abgehaunen Zöpfen,
Zum Mandarin der deutschen Poesie,
Zum Mandarin mit dreizehn Knöpfen!
Unsre Zeit
Ja, unsre Zeit ist eine Dirne,
Die sich als »Mistress« produzirt,
Mit Simpelfransen vor der Stirne
Und schauderhaft decolletirt.
Sie raubt uns alle Illusionen,
Sie turnt Trapez und paukt Klavier
Und macht aus Fensterglas Kanonen
Und Kronjuwelen aus Papier!
Ein »garstig« Lied!
Ein garstig Lied, pfui ein politisch Lied!
So schrieb einst der Geheimrath, Herr von Goethe,
Und wenn mein Grips nicht um die Ecke sieht,
Tanzt auch die Welt noch heut nach dieser Flöte.
Ich aber denke, heilige Dressur!
Und folgre daraus dieses Eine nur:
Dass Prügel für gewisse Kreise
Auch heut noch eine Lieblingsspeise!
Einstweilen!
Die alte Welt ist ein altes Haus
Und furchtbar ungemüthlich,
Der Nordwind pustet die Lichter aus –
Ich wollte, wir lägen mehr südlich!
Ich wollte .... Puh Teufel, wie das zieht!
Der Hagel prallt an die Scheiben,
Drum singt nur einstweilen das tröstliche Lied:
Es kann ja nicht immer so bleiben!
Drei Dinge
Drei Dinge haben hier im Leben Macht:
Der Neid, die Hoffahrt und die Niedertracht;
Doch, wenn sie dich auch noch so schön bespucken,
Am Ende wirst du sie zu Boden ducken!
Verloren aber bist du auf der Welt,
Wenn sich die Dummheit dir entgegenstellt:
Sie setzt Spinoza hinter Löbel Pintus
Und hat die Weisheit aller Zeiten intus!
Sie lacht wie ein Kretin dir ins Gesicht
Und lästert alles, nur sich selber nicht;
Und nichts bleibt übrig dir vor diesem Viehchen
Als sacht dich in dich selber zu verkriechen!
Nicht »antiker Form sich nähernd«
In München schneit's, und das Volk schreit nach Brod.
Gaslichtverbreitung.
Der Aetna raucht und Fürst Bismarck ist todt.
Nein, diese Zeitung!
Wozu durch alle diese Ritzen
Sein Blut ins Nichts vertropfen?
Gemüthlich hinterm Ofen sitzen
Und seine Pfeife stopfen!
Die Sonne scheint, und die Welt ist rund.
Grün wehn die Cypressen.
Ein Schnabus lässt sich trinken und
Ein Rollmops essen.
Ultima ratio
Wozu sich an den Galgen baumeln,
Aus einem Nichts ins andre taumeln?
Ein jeder Pastor macht's dir klar:
Gott ist gewesen, eh er war.
Doch zeit- und ursachloses Sein
Begreift kein Mensch, versteht kein Schwein.
Drum schliesslich lehrt uns unser Idol:
Zeuge Kinder und baue Kohl!
Für Schnillern etc.!
Immer noch laufen sie uns in die Quer,
Faust, Hamlet, Hiob und Ahasver.
Aber ich finde, nachgerade
Wird die Gesellschaft ein wenig fade.
Zu viel Schminke, zu viel Theater,
Zu viel Klimbim und zu viel Kater.
Da lob ich mir Reuter und Wilhelm Busch.
Für Schnillern etc. ein ander Mal Tusch!
An den's gerichtet ist!
Du bist ein Held, wie der König Saul,
Und hätt ich bei Hofe Credit,
Ich gäbe dir für dein grosses Maul
Den Orden Pour le mérite!
Und doch; vergeblich dein Ringen nach Ruhm,
Zum Nebel verbleicht dein Glanz
Vor dem Sigl'schen Mauldreckschleuderthum
Des »Bairischen Vaterlands.«
Amerika
Oft frag ich lachend mich, weswegen
Mit Lanzen, Schwertern, Spiessen, Keulen
Dies todesfrohe Kämpfen gegen
Concessionirte Eiterbeulen?
Wie lang noch, und das Dunkel frisst
Europas letzte Gaslaternen,
Denn das Panier der Zukunft ist
Das Streifenbanner mit den dreizehn Sternen.
In memoriam!
Alte Burschenherrlichkeit,
Weh, man hat dich längst begraben,
Denn nur noch an Soll und Haben
Denkt die Menschheit dieser Zeit!
Ihre Räder wühlen Schaum,
Funken sprühen ihre Essen;
Ach, und längst hat sie vergessen
Ihrer Jugend goldnen Traum!
Ausgebrannt ist jede Brust,
Die Altäre stehn verlassen,
Horch, und draussen auf den Gassen
Predigt die entmenschte Lust!
Um das Haupt des Helicon
Schwirren tausend irre Fragen
Und den Zeitgeist hört man klagen
An den Wassern von Babylon!
Lehrfreiheit
Pst! Pst! sonst wackeln die Kronen,
Ihr Herrn Professoren, seid still!
Schon lauschen euch vierzig Millionen,
Wahrhaftig, ihr schreit zu schrill.
So lispeln sie heute von »Oben«
Und drohn auch mitunter: Ei! Ei!
Und die fettigen Spiessbürger loben
Die brave Polizei.
Sie üben sich tapfer im Beten
Und bilden der Dummheit Spalier,
Nur wir, eine Handvoll Poeten,
Umjubeln ein ander Panier!
Die Wissenschaft ist nicht zünftig,
Sie ist wie das Licht allgemein!
Dies Wörtlein soll heut und auch künftig
Unser Ceterum censeo sein.
An gewisse »Naturforscher«
Das Licht wird leuchten, weil es leuchten muss,
Drum knurrt nur immer: Ignorabimus!
Transcendental ist nichts in der Natur,
Transcendental ist eure Dummheit nur!
Freilich!
Dass sich die Gegensätze stets berühren,
Ist manchmal auch noch heute zu verspüren,
Denn diese Zeit der Culs und der Pomaden
Ist auch die goldne Zeit der Hiobsiaden.
Schauderhaft
Uns lehrt das Christenthum en gros:
Hier Erdenkloss, dort Himmelspächter!
Doch unsrer Weisheit A und O
Ist ein unsterbliches Gelächter!
Einem Pietisten
Dein Heil, versuch es anderwärts,
Wenn frömmelnd dich der Teufel laust;
Mein Katechismus ist mein Herz
Und meine Bibel ist der Faust!
Schliesslich!
Jawohl, das Ding ist ärgerlich!
Das Volk hat lange, graue Ohren,
Und seine Treiber nennen sich
Rabbiner, Pfarrer und Pastoren.
Verhasst ist mir der Schwindelbau
Der jesuitelnden Sophisten,
Und überleg ich's mir genau,
Hab ich Talent zum Atheisten.
Tagtäglich schürt in mir den Spott
Das fade Weihrauchduftgeträufel,
Denn schliesslich ist der liebe Gott
Doch nur ein dummer Antiteufel!
Schwarz in Schwarz
Beim Dulderherzen des Don Quixote,
Jetzt streich ich's dick mit Rothstift an:
Der bibelgeborne Christengott
Ist nie und nimmermehr mein Mann!
Die Schöpfung war einst sein erster Witz
Und dieser Witz war herzlich schlecht,
Denn oft schon traf es mich wie ein Blitz:
Die Despotie hat leider Recht!
Ein Volk, das heut nicht auf Prügel hört,
Und eine Unschuld beim Ballett,
Ein solches Erz-Phänomen gehört
Ins Naturalienkabinett!
Ad notam
Ganz recht! Ganz recht! Kein Mensch muss müssen!
Ich weiss, mein Herz, ein Wort zum Küssen!
Nur Eins muss man, dies schärf' dir ein,
Kein allzugrosses Rindsvieh sein!
Stossseufzer
Verfluchtes Epigonenthum,
Aegypter- und Teutonenthum,
Dass dich der Teufel brate!
Schon längst sind wir fascikelsatt,
Grinst doch durch jedes Titelblatt
Das Dante'sche: »Lasciate!«
Einem Orthodoxen
Famos steht dir dein bunter Kittel,
Doch was beschmierst du ihn mit Dreck?
Die Religion ist nur ein Mittel
Und du – erniedrigst sie zum Zweck!
Variatio delectat
Himmel, das halte ein Andrer aus!
Die Welt ist wirklich ein Narrenhaus.
Ewig sich selbst bleibt ihr uralter Schwindel,
Manchmal nur wechselt sie schlau seine Windel;
Den Teufel verlacht sie und wirft sich ins Knie
Vor der Mutter Gottes von Medici!
Al fresko
Die Menschheit flucht in ihr ewiges Licht,
Stündlich dräut ihr das Weltgericht
Und sie schaudert bleich, im Herzen den Tod,
Ins blutig verlodernde Abendroth.
Die Zeit ist morsch wie ein Todtenbein.
So ist es gewesen und so wird's sein:
Roth vom Weltbaum taumelt das Laub,
Völker und Kronen zerfallen zu Staub
Und über das christliche JNRJ-Schild
Hintaumelt ein nacktes Venusbild.
»Die letzten Zehn«
Was heulst du wie die römische Sibylle
In unsre altarkadische Idylle
Dein dreimal disharmonisches: »Mehr Licht!«?
Schon immer war das Wappenthier der Dichter
Ein Bandwurm und ein Nürenberger Trichter,
Die Garde stirbt, doch sie ergiebt sich nicht!
Wenn du durchaus nur säen willst, dann säe!
Wir gönnen dir von Herzen deine Mühn.
Doch wer wird krächzen wie die Nebelkrähe,
So lange lenzroth noch die Rosen blühn?
Wir rühren wacker unsern alten Kleister
Im himmelblauen Regenbogenton,
Sagt doch der Jupiter von Weimar schon:
In der Beschränktheit zeigt sich erst der Meister!
Καϑ όλην την γην
Belustigt euch nur in grandiosen Metaphern
Ueber die Papus und Zulukaffern,
Die liebe Fetischdienerei
Legt auch bei uns ihr faules Ei!
Immer noch brennen in unsern Herzen
Blutig die Aschermittwochskerzen
Und nächtlich durchwittern die stille Luft
Orgelhymnen und Weihrauchduft!
Wie's gemacht wird!
Und als sich der Pfaff einen Juden briet,
Da schrieen die Junker Hurrah
Und sangen das alte hochherrliche Lied:
Hepphepp Juvivallerala!
Doch das Volk stand auf und schrie Zeter und Mord,
Hie Hecker und Robert Blum!
Da erfand man schleunigst das Kautschukwort:
Praktisches Christenthum!
Hm!
Da meinen Einige vermessen,
Das Leben habe keinen Zweck;
Man sieht's, sie haben nie gegessen
Fasanenstiz und Schnepfendreck.
Geisterduo
Der Zeitgeist brennt wie trocknes Stroh
Und singt: In dulci jubilo!
Der Weltgeist brummt dazu im Bass:
O vanitatum vanitas!
Russisch!
Sei doch kein Tropf, mein süsses Söhnchen!
Steck ein das lumpige Milliönchen!
Du kennst ja die Moral der Zeit:
Der Himmel ist hoch und der Czar ist weit!
Pfui Deibel!
Ihr wisst, ich bin kein »von« Verehrer,
Ich bin des Zeitgeists Strassenkehrer;
Doch protzgere Kerle sah ich noch nie,
Als die Schlotbarone der Plutokratie!
Selbstredend!
Mein Gott, wozu die Grillenplage?
Noch blüht ja unsre haute volée!
Noch heilt der Zeit gewaltge Frage
Ein Titel und ein Portemonnaie.
Noch wachsen täglich unsre Zöpfe,
Der »Glaube« ist des Pudels Kern,
Das Militär putzt seine Knöpfe
Und das Antike wird modern.
Noch scharr'n vor meinem Cab vier Pferde,
Zu Fuss zu gehn ist ja gemein –
»O wunderschön ist Gottes Erde
Und werth, darauf vergnügt zu sein!«
Für kleine Kinder
Der alte Flötenspieler Pan,
Der lehrte mich das Dichten:
Ein Volk und ein Stückchen Marzipan
Bestehn aus zweierlei Schichten.
Die eine schlürft Austern und baut sich Kohl
Und macht in Vaterlandstreue
Und fühlt sich kannibalisch wohl
Wie Goethes fünfhundert Säue.
Die andere spielt tagtäglich Va banque
Und kleidet sich in Lappen
Und führt ihr ganzes Lebenlang
Einen Hungerknochen im Wappen!
Auf der Strasse
Er küsste den Laternenpfahl
Und hielt ihn fest umschlungen,
Und um ihn freute der Skandal
Ein Rudel Strassenjungen.
Erst seinen Wochenlohn verschnapst
In räuchriger Spelunke
Und dann verkatert und verflapst
Und voll wie eine Unke!
Rothangepinselten Gesichts,
Ein Don Juan der Posse
So bettelte der Taugenichts
Sich schliesslich in die Gosse.
Da fiel mir ein ein bittrer Scherz,
Das Wort, das euch bekannt ist:
Der Wein erfreut des Menschen Herz –
Zumal wenn er gebrannt ist!
Ausgepfiffen!
Das Leben ist eine Komödie
Und geht oft über den Spass
Und gleicht dann jener Tragödie,
In der Einer den Andern frass.
Und wenn wir's auch nicht wollen,
Wir kommen doch alle drin vor
Und spielen die nöthigen Rollen
Vom Jean bis zum Heldentenor.
Und wer mit seiner Visage
Am besten zu gaunern gelernt,
Erhält die nobelste Gage
Und wird auch mitunter besternt.
Ich studirte mir manche Falte
Und trat vor das volle Haus,
Doch blieb ich immer der Alte –
Drum pfiff mich das Publikum aus!
Strophen!
Vita nostra brevis est;
War der Vorzeit weise Lehre –
Doch man hasst das Miserere,
Heut ist sie schon längst verwest!
Rollt die Zeit, rollt auch das Blut,
Heute leben wir wie morgen;
Unsre Teufel heissen Sorgen,
Unsre Götter Geld und Gut!
Jede Blüthe wird umkreist,
Jede Blume wird gebrochen,
Und nach Monden schon und Wochen
Weiss man was Blasirtheit heisst!
Stahl und Eisen, Blut und Dampf,
Rollen, donnern, sieden, zischen,
Und ein Wehruf gellt dazwischen:
Dieses Leben ist ein Kampf!
Fidele Bande
Puh, dies Erdlein stinkt nach Mist,
Und die Füchse bellen,
Wenn's im Himmel Festtag ist,
Essen wir Forellen!
Barthel schleckert, ob der Most
Heuer gut gerathen,
Lorenz muss auf seinem Rost,
Leberwürste braten.
Margarethe kocht den Brei,
Küchlein bäckt Sabine,
Salomo spielt die Schalmei,
David Violine.
Petrus muss tranchiren,
Joseph legt den Braten vor,
Und der Engel schnippisch Corps
Thut uns invitiren!
Drei Altdeutsche
1.
Den Jungfern fehlt es nie an Knaben,
Die mehr Goldgulden als Flöhe haben.
2.
Junge Weiber und alte Weine
Machen den Männern krumme Beine.
3.
Lieber ein Strohsack und zu Zwein,
Als ein Daunenbett und allein!
Drei Andre
1.
Kein Buch vermag so weise zu sein,
Ein Narr falzt Eselsohren hinein.
2.
Hat wer wo Geld und küsst kein Mädel,
Der Kerl hat Bohnenstroh im Schädel.
3.
Schwarzes Brod und weisse Zähne
Und wenn ich todt bin, eine Thräne!
In der Sonnengasse
In der Sonnengasse zu St. Goar,
Da kämmt sich die Resi ihr schwarzes Haar,
Sie lacht in den Spiegel verstohlenen Blicks,
Silbern über ihrem Bett hängt ein Cruzifix,
Ihr Pantöffelchen klappert, ihr Schnürleib kracht:
Heute Nacht!! Heute Nacht!!
In der Sonnengasse zu St. Goar,
Da wohnt ihr schrägüber ein junger Scholar,
Der pfropft sich in den Schädel lauter dummes Zeug,
Schwarz auf seinem Pult liegt der Pentateuch,
Da streift ihn die Sonne und sein Leder kracht:
Heute Nacht!! Heute Nacht!!
Nicht wahr?
Die Völker sind wie grosse Kinder
Und ihre Könige sind's nicht minder,
Lachen und weinen im selben Nu,
Spielen mitunter auch Blindekuh
Und ihre Fibel
Benennt sich Bibel!
Kusch dich!
Willst du wohl fort mit deinen Pfötchen
Von meinem lieben Kaviarbrödchen?
Für dich den Schweiss, für mich das Gold!
Der liebe Gott hat's so gewollt.
Drum begnüge dich, Kerl, denn sonst bist du ein Flaps,
Mit Kartoffeln und Schnaps!
Weltzeitungs-Inserat
Gesucht wird für sofort ein tüchtger Mäher.
Adressen sub Bureau zum grossen Pan.
Denn dreigekrönt sitzt noch ein Pharisäer
Auf seinem Sündenstuhl im Vatikan.
Εσσεται ήμαρ᾽
O Glaube, Liebe, Hoffnung, heilige Dreiheit,
Wir dienen dir und du belohnst uns nie,
Denn auch noch heut ist unsre deutsche Freiheit
Nur eine schwarzrothgoldne Phantasie!
Reimspiel
Was ist das beste Futter, sprich,
Für hungernde Nationen?
»Halt's Maul, Hallunk, was kümmert's Dich?«
Der Reim lacht: Blaue Bohnen!
An die Opportunisten
Die sieben Weisen waren eure Väter,
Doch euer Ohm ist Judas, der Verräther,
Denn wie der Wind weht, macht ihr tapfer Front,
Und euer Bauch ist euer Horizont.
An unser Volk!
Das Herz entflammt, das rothe Banner schwingend,
Den nackten Flammberg in der nackten Hand,
So wandern wir, von deiner Zukunft singend,
Der Freiheit Söhne, durch das Land.
Nicht deine Götter wollen wir erschlagen,
Die fallen, wenn sie morsch, von selber um;
Doch deine Seele soll sich blutig fragen
An unserm Aufruhrwort: Warum?
Warum du hungerst und warum du dürstest,
Warum du schweisstriefst und warum du frierst,
Warum du hündisch deine Peinger fürstest,
Warum du frömmelnd dich verthierst!
Weh, dreimal Wehe, wenn am Tag der Jden
Der Kelch des Zorns dann blutig überschäumt
Und jener goldne Traum von einem ewgen Frieden
Umsonst geträumt!
Anti-Hiob
Schon Heine meinte: die Menge thut's,
Und im Frühling blühten die Quitten –
Der alte Mann aus dem Lande Uz
Hat nicht umsonst gelitten.
Erst gestern hat man ihn aufgestellt
Als modischen Dalai Lama,
Und schluchzend liest nun die ganze Welt
Sein primitives Drama.
In seinem Namen als Schutzpatron
Seziren sich tragisch die Reimer –
O du katzengräulicher Buddhaton,
Kenne die Pappenheimer!
Schlagt todt die Sonne, wenn sie glüht,
Mit pessimistischen Knüppeln!
So lange noch eine Rose blüht,
Lass ich mir mein Herz nicht verkrüppeln!
Der Dichter
Was Hermelin und Diademe!
Ich bin kein Dichter und kein Hund!
Ich bin ein freier Mann und nehme
Kein Feigenblatt vor meinen Mund.
Ich seh die Welt im Dunkeln tappen,
Ich weise golden ihr ein Ziel,
Und erst am letzten morschen Wappen
Zerschmettre ich jubelnd mein Saitenspiel!
Videant consules!
Die Zeit der Juden, Römer und der Kelten
Kam, Gottseidank, schon längst aus der Balance!
Wie unsre Welt die beste aller Welten,
Ist unsre Zeit, die Zeit par excellence.
Wohl hör ich's, doch mit jedem meiner Lieder
Heb ich den düstern Kehrreim auf den Thron:
Die Zeiten der Cäsaren kehren wieder
Und ihre Beile schärft die Reaktion!
Chaos
Das ist der Fluch, der diese Zeit durchzittert,
Der uns das Leben und den Tod verbittert:
Wir legen ewig neu das Fundament
Und niemals greift der Bau ins Firmament!
Wir hören blutend, wie die Völker wimmern,
Und helfen selber ihre Kreuze zimmern!
Wir flehen brünstig um das Weltgenie
Und sind noch viehisch, viehisch wie das Vieh!
Wir speien auf das Kreuz der Kathedrale
Und dichten nur noch Zukunftsideale!
Wir thun die Skepsis feig in Acht und Bann
Und schliesslich – glaubt man selber nicht daran!
Das ist der Fluch, der diese Zeit durchzittert,
Der uns das Leben und den Tod verbittert!
Dieses Buch
Oft habe ich über den Blättern hier
Verbrütet manche Nacht
Und oft auch, ganz allein mit mir,
Lautauf geweint und gelacht!
Auch wob ich manchen derben Fluch
Recht kernverliebt hinein –
Es soll ja kein Erbauungsbuch
Für christliche Jungfern sein!
Es ist ein Buch, das Leben und Tod
Tief in sein Sphinxherz schliesst;
Es ist ein Buch, das zukunftsroth
Der Welt die Leviten liest!
So schüttle denn, schüttle dein blankes Erz,
Wo immer nur, unterjocht,
Ein Herz, ein rothes Männerherz,
Wild an die Rippen pocht!
Das Volk an die Fürsten
Einmal schon verhalf ich euch zum Siege,
Denkt, o denkt an die Befreiungskriege!
Und auch heut noch muss ich, wie befohlen,
Die Kastanien aus dem Feuer holen.
Einmal auch schon hab ich, selbst verschuldet,
Euern königlichen Dank erduldet:
Erst mir lächelnd ins Gesicht geheuchelt,
Dann mich hinterrücks ins Knie gemeuchelt!
Glaubt mir, auch die Liebe weiss zu hassen;
Eure Sonnen werden einst verblassen!
Sink ich heute auch verblutend nieder:
Bei Philippi sehen wir uns wieder!
An die »obern Zehntausend«
Und wieder rollt nun sterbend ein Jahrhundert
Dem Abgrund zu, drin uns die Zeit verschlingt,
Und ihr seid immer noch nicht abgeplundert,
Nicht hinter die Coulissen abgehinkt?
Wollt euch nicht länger freventlich vermessen,
Denn euer Lebensnerv ist abgestumpft,
Denn eure Kronen sind von Rost zerfressen
Und eure Stammbaumwälder sind versumpft!
Ein neu Geschlecht, schon wetzt es seine Schwerter,
Schon webt die Sonne ihm den Glorienschein,
Und glaubt: Es wird kein veilchenblauer Werther,
Es wird ein blutiger Messias sein!
Chanson
Noch immer baumelt der alte Zopf,
Der alten Welt im Genick,
Noch immer schmort ihr kein Huhn im Topf,
Drum: Vive la République!
Drum: Vive la République, blique, blique,
Das Herz schlägt uns im Bauch,
Das Knutenthum haben wir dick, dick, dick,
Und Kartoffel und Häring auch!
Noch ein Stossseufzer
O hiess es endlich doch: All right!
Die Welt ist blass, blass wie Louise,
Das Grundgesetz der neuen Zeit
Sei drum das Buch von Adam Riese.
Denn wenn die Völker nicht mehr fackeln
Und über ihm die Throne wackeln,
Dann lupft der Weltwitz sein Visir
Und donnert: Zwei mal zwei macht vier!
Sanft ruhe seine Asche!
Hier ruht der Hofpoet Hans Hänschen,
Gottlob, dass endlich er verreckt!
Er hat sich nie ein Lorbeerkränzchen,
Doch oft ein Piepmätzchen erleckt.
Das Höchste war für dieses Püppchen
Ein Allerhöchstes Bettelsüppchen.
Er schwitzte dafür zum Erbarmen
Alljährlich ein Geburtstagscarmen;
Drin hiess er die Quadrate rund –
Zugleich ein Dichter und ein Hund!
Tres faciunt Collegium
Weh, ein Morast ist unsre Zeit!
Drin machen sich ekelerregend breit
Kröte, Basilisk und Unke;
Und wöchentlich schon – juchheideldidum –
Predgen vor ihrem Publikum
Herr Most, Herr Stöcker und Herr Majunke!
Ganz recht!
Ganz recht! Zum Beispiel die Kultur!
Das heisst, nun ja, ich meine nur!
Denn schliesslich, wie sie sich auch stellt,
Bleibt doch das Endziel ihrer Reife
Die Ueberschwemmung dieser Welt
Mit Branntwein, Christenthum und Seife!
Fragezeichen
Der Peter spricht zum Bruder Paul:
Der Zeitgeist ist ein alter Sünder
Und stopfen können ihm sein Maul
Nur Krupp'sche Vierundzwanzigpfünder!
Doch Paul kann Peter nicht besehn,
Weil er sein Lebtag nur gelungert
Und meint, als wäre nichts geschehn:
Du Peter, hast du mal gehungert?
Auf alle Fälle
Der grosse Kanzler Otto spricht,
Ob's wahr, je nun, das weiss ich nicht:
Der vielgesuchte Stein der Weisen
Ist ein Gemisch aus Blut und Eisen!
Zwar Standrecht giebt's und Festungswälle,
Doch Eins bleibt wahr auf alle Fälle:
Und ob der Kanzler zehnmal spricht,
Ein braver Kerl, der forcht sich nicht!
Frommer Wunsch
Immer noch halten die uralten Fragen
Nächtlich an unserm Lager Wacht,
Denn das griechische Herz hat vergeblich geschlagen
Und der griechische Geist hat umsonst gedacht.
Die p.p. weltvernagelnden Bretter
Versperren die Aussicht uns weit und breit –
O, schlüge doch endlich ein heiliges Wetter
In diese verfaulte Hallunkenzeit!
Ein dunkles Blatt
Lisch aus, du Gluth auf meinem Herd!
In Nacht und Frost will ich verenden –
Oft scheint das Leben mir nicht werth,
Nur einen Vers dran zu verschwenden.
Ihr aber fragt mich nicht, warum!
Nicht Liebe mehr ist's, die ich suche:
Ich weiss, die Welt dreht sich rundum,
Auch wenn ich lachend sie verfluche!
Ein altes Wort
Weh, dass ich nie vergessen kann
Das Wort im gestrigen Geschmack:
Der Reichthum grunzt die Armuth an,
Wie eine Sau den Bettelsack!
Ein für alle Mal!
Verhasst sind mir bis in den Tod
Popogescheitelte Manieren –
Doch zehn Mal lieber schwarzweissroth,
Als mit dem Mob fraternisiren!
Tafelspruch
Blondes Bier und blondes Brod
Machen dem Junggesellen die Backen roth,
Blondes Geld und blonde Zöpfe
Aber verdrehen ihnen die Köpfe.
Zum Dessert
Nicht jeder, der hinkt,
Hat heut eine Chaise;
Nicht alles, was stinkt,
Ist Limburger Käse.
Meine Freunde
Der eine irrt mit Pinsel und Pallette
Als Maler jetzt in Minnesota rum,
Ist stets verliebt, schreibt englische Billette
Und pfeift als Motto lustig: Homo sum!
Der andre wieder weihte sein Genie
Der urmodernen Eisenindustrie
Und harmonirt als rother Jakobiner
Aufs prächtigste mit seinem Mediziner!
Das ist kein staubgenährter Dutzendgeist,
Das ist ein Mensch, wie man ihn gerne leidet,
Und manchmal, wenn er trockne Witze reisst,
Ein Kerl, um den man selber sich beneidet!
Doch hat zum Lächeln bitterwenig Zeit
Die eselsgraue Rechtsgelehrsamkeit,
Ochst Justinian und hilft mir Verse klügeln
Und wird wohl nächstens ihren Lehrer prügeln.
Bescheidner schon ist jener Chemikus,
Der, schwarz bepinselt mit Retortenruss,
Die üblen Folgen geistiger Diät
Nur im historischen Roman entlädt.
Doch unbekümmert um die ganze Blase,
In einem Nichts die einzige Oase,
Denkt still die Gottgelahrtheit nur: Pfui Deibel!
Und schreibt ein Büchlein über – E. von Geibel!
Kater
Hinterm Ofen hängt verstummt
Meine sogenannte Leier,
Und mein armer Schädel brummt
Wie nach einer Kirchweihfeier;
Wie nach einer Kirchweihfeier
Mir mein armer Schädel brummt
Und auf ewig scheint verstummt
Meine sogenannte Leier!
Die Kritik als Epilog
Dies schrieb ein Antihofpoet,
Halb Kakerlake, halb Prophet.
Er sang zu wenig mir piano
Und roch verteufelt nach Guano.
Zwar mancher wird ihm Beifall hageln,
Doch darf's mir nicht das Hirn vernageln,
Denn seht, sein ganzer Singsang hinkte:
Er appellirte an die hässlichen Instinkte!
Phantasus
Ihm mit Staunen blickt ich nach;
Doch, wenn mir die Kraft gebrach,
Um ihm nachzuringen,
Dacht' ich bang: genug! genug!
Brechen müssen bei dem Flug
Endlich seine Schwingen.
Und es kam, wie ich gedacht:
Um sein frühes Grab bei Nacht
Flattert die Phaläne;
Wo so oft er bei mir sass,
Blieb ich einsam, und ins Glas
Rieselt eine Thräne.
Adolf Friedrich Graf von Schack
Have anima candida!
Armer Freund!
Nicht hinter jedem Tempelvorhang verbirgt sich eine nackte Venus: dein Herz war mehr als gross, dein Herz war rein!
O, dass jetzt der Todtenwurm um dein leuchtendes Lockenhaupt sein widriges Netz spinnt!
Du starbst!
Doch du starbst im Frühling und über dein frisch geschaufeltes Grab hin klagte die Nachtigall der Rose ihre ewige Sehnsucht ....
Nein, der Frühling ist kein Kind!
Die frommen Maler, die ihm zärtliche Schmetterlingsflügel an die Schultern logen, haben ihn nie auf seinem feuerschnaubenden Sturmross Nachts durch die Lüfte taumeln gesehn! Hat er nicht oft schon, droben im Bergwald, trotzige Wettertannen entwurzelt? Und schleudert der Thau, der vom Mantel ihm tropft, nicht Felsblöcke zu Thal? Felsblöcke, so gross wie Kirchthürme?
Nein, der Frühling ist kein Kind!
Ein Gigant ist der Frühling und seine Thaten sind Legion!
Aber seine grösste war's doch, dass er dir das Herz brach! Denn ich weiss, du bist sein Liebling gewesen.
Doch ich klage nicht!
Was solltest du auch hier auf dieser närrischen Kugel?
Das goldene Elend deiner Mitwürmer machte dich melancholisch und wenn ein Hammer auf seinen Ambos sauste, fuhr's dir durchs Herz wie ein Stich, denn die Zeit des dritten Testaments ist noch fern.
Armer Freund!
Wäre deine Seele, deine unsterbliche Seele, nicht von Krystall gewesen, sie wäre nicht zersprungen. Sie wäre nicht zersprungen und du selbst wärst jetzt glücklich. Glücklich, wie wir brutalen Kieselsteinseelen es eben sein können.
Doch ich
will
nicht glücklich sein! Ich
will
nicht wie ein Thier sein und das Schwein zum Schwager haben! Ich pfeife auf ihre spiessbürgerliche Verdauungsmoral!
Mein stilles Leben wird fortab ein Kampf sein. Und mein Lied ein Racheschrei. Ein wilder, blutrünstiger Aufschrei um dich und deine todten Hoffnungen, die hingemordeten Kinder deines Herzens!
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
O, wie dunkel es ist!
Lang, lang ist dem Schlaflosen die Nacht und Träume umgaukeln nur Kinder und Thoren!
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
Wann, o ihr Brüder, wird uns das Frühroth, das ewige Frühroth, Erlösung ins Herz blitzen? Liegen wir knirschend und staubbesät nicht schmählich am Boden? Knirschend und staubbesät, wie gefesselte Titanen?
Doch verzagen lasst uns nicht inmitten dieser blöden Bestien und falschen Schlangen! Wenn der Gebetriemen reisst, thut der Fluch seine Pflicht. Löwen weinen nicht, Löwen brüllen! Und der Weg zur Wahrheit führt durch den Kerker!
Drum schaart euch zusammen, ihr Söhne des Ormuzd, lasst eure Banner sich mit Herzblut bespritzen und taucht sie golden ins Licht der Zukunft!
Tod der Lüge!
Mich aber lasst euern Winkelried sein, denn der Tod ist mein Freund und ich habe mehr zu rechten und zu richten als ihr!
Seht ihr sie dort heranschleichen, die Enkel der Ahriman, die Priester des Moloch – vipernzüngig und katzenäugig? Wacht auf, ihr Götter in goldner Hochburg, denn euer Mord ist ihre Parole und ihr Feldgeschrei der Verrath! Ihre Waffen sind nicht assyrische Sichelwagen und indische Elephanten. Ihre Waffen sind vergiftete Pfeile und nur Wenige beseelt der Muth des Nahkampfs.
Erst, wenn ihr Speerwald die Brust mir durchbohrt, wird mir wohl sein!
Und so brech ich denn los: Tod der Lüge!
Den Stahl in der Faust und im Herzen – eine Thräne.
Armer Freund!
1.
Ihr Dach stiess fast bis an die Sterne,
Vom Hof her stampfte die Fabrik,
Es war die richtge Miethskaserne
Mit Flur- und Leiermannsmusik!
Im Keller nistete die Ratte,
Parterre gab's Branntwein, Grogk und Bier,
Und bis ins fünfte Stockwerk hatte
Das Vorstadtelend sein Quartier.
Dort sass er nachts vor seinem Lichte
– Duck nieder, nieder, wilder Hohn! –
Und fieberte und schrieb Gedichte,
Ein Träumer, ein verlorner Sohn!
Sein Stübchen konnte grade fassen
Ein Tischchen und ein schmales Bett;
Er war so arm und so verlassen,
Wie jener Gott aus Nazareth!
Doch pfiff auch dreist die feile Dirne,
Die Welt, ihn aus: Er ist verrückt!
Ihm hatte leuchtend auf die Stirne
Der Genius seinen Kuss gedrückt.
Und wenn vom holden Wahnsinn trunken,
Er zitternd Vers an Vers gereiht,
Dann schien auf ewig ihm versunken
Die Welt und ihre Nüchternheit.
In Fetzen hing ihm seine Blouse,
Sein Nachbar lieh ihm trocknes Brod,
Er aber stammelte: O Muse!
Und wusste nichts von seiner Noth.
Er sass nur still vor seinem Lichte,
Allnächtlich, wenn der Tag entflohn,
Und fieberte und schrieb Gedichte,
Ein Träumer, ein verlorner Sohn!
2.
Durch eine unverdiente Gnade
Die Sinne wunderbar erhellt,
So wandl' ich sinnend diese Pfade,
Mein Reich ist nicht von dieser Welt.
Kein Erdenweib, vor dem ich kniete,
Nein, schöner ist mein Herz entbrannt:
Mich liebt die Göttin Aphrodite,
Die Königin von Griechenland!
Die goldne Traumwelt der Hellenen,
In mir ward sie zur Melodie;
Die ewge Schönheit ist mein Sehnen,
Mein Flügelross die Phantasie.
Kein Sänger drum, vor dem ich kniete,
Mein Lied, es blitzt wie ein Demant:
Mich liebt die Göttin Aphrodite,
Die Königin von Griechenland!
Seit unvordenklichen Aeonen
War sie's schon, die das Scepter schwang,
Und dienstbar sind ihr die Nationen
Vom Aufgang bis zum Niedergang.
Kein König drum, vor dem ich kniete,
Denn purpurn wallt auch
mein
Gewand:
Mich liebt die Göttin Aphrodite,
Die Königin von Griechenland!
Der Jnder nennt die Gottheit Brahma,
Doch ach, schon anders der Buddhist;
Ich bin mein eigner Dalai Lama,
Ich bin mein eigner Jesus Christ!
Kein Tempel drum, in dem ich kniete,
Die ganze Welt ist mir ein Tand:
Mich liebt die Göttin Aphrodite,
Die Königin von Griechenland!
3.
Die Nacht verrinnt, der Morgen dämmert,
Vom Hof her poltert die Fabrik
Und walkt und stampft und pocht und hämmert,
Ein hirnzermarterndes Gequik!
Die Nacht verrinnt, der Traumgott ruht nun,
Die Welt geht wieder ihren Lauf,
Zum Himmel spritzt der Tag sein Blut nun,
Die Nacht verrinnt und seufzend thut nun
Das Elend seine Augen auf!
Die Schläfen zittern mir und zucken,
Denk ich, o Volk, an deine Noth,
Wie du dich winden musst und ducken,
Dich ducken um ein Stückchen Brod!
Du wälzst verthiert dich in der Gosse
Und baust dir selbst dein Blutgerüst,
Indess in goldener Karosse,
Vor seinem sandsteingelben Schlosse
Der Dandy seine Dirne küsst!
Die Ritter von der engen Taille,
Das sind die schlimmsten aus dem Corps,
Sie schimpfen hündisch dich Kanaille!
Und haun dich schamlos übers Ohr.
Was kümmert sie's, wenn Millionen
Verreckt sind hinterm Hungerzaun?
Noch giebt's ja lachende Dublonen,
Kasernen, Kirchen und Kanonen
Und – köstlich mundet ein Kapaun!
O sprich, wie lang noch soll es dauern,
Das alte Reich der Barbarei!
Noch stützen tausend dunkle Mauern
Die feste Burg der Tyrannei.
Doch ach, dein Herz ward zur Ruine,
Du lächelst nur und nickst dazu!
Denn auch der Mensch wird zur Maschine,
Wenn er mit hungerbleicher Miene
Das alte Tretrad schwingt wie du!
4.
An seiner Kettenkugel schleppe,
Wen nie sein Sclaventhum verdross,
Doch mich trägt wiehernd durch die Steppe
Arabiens weissgestirntes Ross.
Ein grüner Turban schmückt das Haupt mir,
Von Seide knittert mein Gewand,
Und jeder Muselmensch hier glaubt mir,
Ich wär der Fürst von Samarkand!
Das Land, das ewig norddurchwehte,
Ich sprach mich grollend von ihm los,
Ein Perser bin ich nun und bete
Allah il Allah, Gott ist gross.
Ein grüner Turban schmückt das Haupt mir,
Von Seide knittert mein Gewand,
Und jeder Muselmensch hier glaubt mir,
Ich wär der Fürst von Samarkand!
Im Schatten einer Tamariske
Winkt gastlich mir ein weisses Zelt
Und drin die schönste Odaliske,
Die allerschönste von der Welt.
Ein grüner Turban schmückt das Haupt mir,
Von Seide knittert mein Gewand,
Und jeder Muselmensch hier glaubt mir,
Ich wär der Fürst von Samarkand!
Beim Nektar der verbotnen Rebe
Fällt mir wohl manch ein Skolion ein,
Doch da ich Lieder eben lebe,
Lass ich sie ungesungen sein.
Ein grüner Turban schmückt das Haupt mir,
Von Seide knittert mein Gewand,
Und jeder Muselmensch hier glaubt mir,
Ich wär der Fürst von Samarkand!
5.
Und wieder hat das Rad der Stunde
Sich zwölfmal um sich selbst gedreht,
Und wieder fühlst du deine Wunde
Und ächzst und stöhnst wie Philoktet!
Denn dir, auch dir rollt's durch die Adern
Und durchs Gehirn wie heisses Blei;
Gigantisch thürmst du deine Quadern,
Mit Gott im Himmel willst du hadern
Und deine Seele ringt im Schrei!
Dein Herz steht wie die Welt in Blüthe,
Gehüllt in silbergrauen Dunst,
Und mächtig fühlst du's im Gemüthe:
Du bist ein Priester deiner Kunst!
Des Lebens goldne Kronen winken,
Die Rosen stehen weiss und roth;
Du fühlst sie duften, siehst sie blinken,
Doch scheu musst du vorüberhinken,
Denn ach, dir fehlt dein täglich Brod!
Beneidenswerth in Forst und Fluren
Das Schwein um seine Eichelmast!
Die ärmste aller Kreaturen
Ist doch ein dichtender Phantast!
Der Bettler dort an seiner Krücke,
Er ist nicht halb so arm wie du ...
Dir brach dein Himmel wüst in Stücke,
Er aber träumt von seinem Glücke –
O Gott, nur zu, nur immer zu!
Du Licht, das mir ins Hirn gelodert,
Wozu die alte Litanei?
Ist doch so viel hier schon vermodert,
O, wärst auch du, auch du vorbei!
Dann wär der alte, blinde Lärmer
Ein dunkelbraunes Klümpchen Lehm;
Dann wär die Welt um einen Schwärmer,
Um einen Hirnverrückten ärmer
Und rollte weiter, wie vordem!
6.
Ein Königreich für eine Leier!
Zwar eine Krone trug ich nie,
Doch ihren bunten Majaschleier
Wand mir um's Haupt die Poesie.
Die dunkle Nacht, die mich geboren,
Hat sie als Sternbild süss erhellt;
Sie sprach: Sei du der Thor der Thoren,
Denn
dein
Herz ist das Herz der Welt!
Wer träumt so straflos unter Palmen,
Wie wir, mein Liebling, ich und du?
Der Urwald rauscht mir seine Psalmen,
Das Weltmeer seine Hymnen zu.
Ich höre Nachts, wenn fern im Fernen
Ein Schakal in das Mondlicht bellt,
Und spiele Fangball mit den Sternen,
Denn
mein
Herz ist das Herz der Welt!
Als Tod mit Stundenglas und Hippe
Schlich ich um manchen morschen Thurm,
Der Aar gehört in meine Sippe
Und Bruder nenn ich jeden Wurm!
Selbst jene Sonne, die seit Newton
Sich rhytmisch um sich selber schnellt,
Mit meinem Hirn muss sie verbluten,
Denn
mein
Herz ist das Herz der Welt!
Von Capland, Mexiko bis Medien,
Gefunden ist der Weisheit Stein!
Von allen Bergen will ich's pred'gen,
In alle Herzen will ich's schrein!
Und ist das All auch nur ein Plunder,
Der lachend einst in nichts zerfällt:
Ich bin das Wunder aller Wunder,
Denn
mein
Herz ist das Herz der Welt!
7.
Die Nacht liegt in den letzten Zügen,
Der Regen tropft, der Nebel spinnt ...
O, dass die Märchen immer lügen,
Die Märchen, die die Jugend sinnt!
Wie lieblich hat sich einst getrunken
Der Hoffnung goldner Feuerwein!
Und jetzt? Erbarmungslos versunken
In dieses Elend der Spelunken –
O Sonnenschein! O Sonnenschein!
Nur einmal, einmal noch im Traume
Lasst mich hinaus, o Gott, hinaus!
Denn süss rauscht's nachts im Lindenbaume
Vor meines Vaters Försterhaus.
Der Mond lugt golden um den Giebel,
Der Vater träumt von Mars-la-Tour,
Lieb Mütterchen studirt die Bibel,
Ihr Nestling colorirt die Fibel
Und leise, leise tickt die Uhr!
O goldne Lenznacht der Jasminen,
O wär ich niemals dir entrückt!
Das ewge Rädern der Maschinen
Hat mir das Hirn zerpflückt, zerstückt!
Einst schlich ich aus dem Haus der Väter
Nachts in die Welt mich wie ein Dieb,
Und heut – drei kurze Jährchen später! –
Wie ein geschlagner Missethäter,
Schluchz ich: Vergieb, o Gott, vergieb!
Wozu dein armes Hirn zerwühlen?
Du grübelst und die Weltlust lacht!
Denn von Gedanken, von Gefühlen,
Hat noch kein Mensch sich satt gemacht!
Ja, Recht hat, o du süsse Mutter,
Dein Spruch, vor dem's mir stets gegraust:
Was soll uns Shakespeare, Kant und Luther?
Dem Elend dünkt ein Stückchen Butter
Erhabner als der ganze Faust!
8.
O, lasst mir meine Himmelsleiter!
Und fragt mich nicht: Woher – wohin?
Nur weiter, weiter, immer weiter ...
Ihr wisst ja doch nicht, wer ich bin!
Ich bin ein Adler und ich fliege,
Die Ewigkeit ist mein Gewand,
Das Herz der Welt ist meine Wiege,
Die Menschheit ist mein Vaterland!
Noch grub kein leuchtender Gedanke
Sich tief in eines Denkers Stirn,
Der nicht schon, stolz auf seine Schranke,
Gelodert hier durch dies Gehirn!
Ich bin ein Adler und ich fliege,
Die Ewigkeit ist mein Gewand,
Das Herz der Welt ist meine Wiege,
Die Menschheit ist mein Vaterland!
Die Länder mein und mein die Meere,
So weit die Sonne sie bescheint,
Und
ich
bin's, dem die Bajadere
Im Tanz noch blutge Thränen weint.
Ich bin ein Adler und ich fliege,
Die Ewigkeit ist mein Gewand,
Das Herz der Welt ist meine Wiege,
Die Menschheit ist mein Vaterland!
Wohl frass die Zeit mit ihren Zähnen
Schon manchen goldnen Heilgenschein,
Ich aber schüttle meine Mähnen
Und war und bin und werde sein.
Ich bin ein Adler und ich fliege,
Die Ewigkeit ist mein Gewand,
Das Herz der Welt ist meine Wiege,
Die Menschheit ist mein Vaterland!
9.
Der Mond blitzt durch die Fensterscherben
Ums dunkle Dachwerk pfeift der Wind,
Und Nachbars Lieschen liegt im Sterben
Und ihre Mutter weint sich blind.
Das Haar gebleicht von tausend Sorgen,
Im dünnen Kleidchen von Kattun,
Erwartet sehnlich sie den Morgen,
Der Apotheker will nicht borgen,
Der Doktor hat »zu viel zu thun«!
Der Märznacht goldne Sterne scheinen,
Ihr Himmel deckt uns alle zu:
Hör auf, du Mütterchen, mit Weinen,
Dein Kind ist besser dran, als du!
Es braucht nicht nähend mehr zu sputen
Sich spät bis in die Nacht hinein,
Und wenn die Lüfte sie umfluthen
Und roth die Rosen wieder bluten,
Spielt um sein Grab der Sonnenschein!
Die Noth im löchrigen Gewande
Zertritt die Perle der Moral;
Das Loos der Armuth ist die Schande,
Das Loos der Schande das Spital!
Ja, jede Grossstadt ist ein Zwinger,
Der roth von Blut und Thränen dampft;
Drum hütet euch, ihr armen Dinger,
Denn diese Welt hat schmutzge Finger –
Weh, wem sie sie ins Herzfleisch krampft!
Da horch! ein langgezognes Stöhnen
Und jetzt ein wilder, geller Schrei!
Was thut's? Man muss sich dran gewöhnen!
Hier hiess es wieder mal: Vorbei!
Schon übermorgen karrt der Racker
Das arme Mädchen vor die Stadt,
Und niemand kennt den Todtenacker,
Darauf beim öden Sterngeflacker
Ein Herz sein Glück gefunden hat!
10.
Ich schwamm auf purpurner Galeere
Durchs dunkelblaue Griechenmeer,
Da auf der Insel der Cythere
Traf ich den Juden Ahasver.
Und weiter fuhren die Gefährten,
Er aber ward mein Weggenoss
Und sprach: Nun zeig ich dir die Gärten,
Die Gärten des Okeanos!
Die Welt, ich habe sie durchmessen,
Doch farblos schien mir Luft und Land;
Nur ein Bild hab ich nie vergessen,
Nur
eins
ist werth, dass es entstand:
Das ist die Zukunft der Verklärten,
Das ist des Meergotts grünes Schloss,
Das sind die wunderbaren Gärten,
Die Gärten des Okeanos!
Ich weiss, du bist ein deutscher Dichter,
Und ewig ruhlos bist du auch,
Wir sind zwei ähnliche Gesichter
Und um uns weht der gleiche Hauch.
Doch komm, der Kummer, den wir nährten,
Wankt wie ein thönerner Koloss,
Wenn wir uns tummeln durch die Gärten,
Die Gärten des Okeanos!
Er sprach's, wir thaten's und die Jahre
Sie rollten tönend drüber her,
Doch immer ist mir's noch, ich fahre
Durchs dunkelblaue Griechenmeer.
O, dass die Götter mir gewährten,
Dereinst, wenn sich mein Leben schloss,
Ein selig Ende in den Gärten,
Den Gärten des Okeanos!
11.
Nun hat der Morgen seine Thore
Phantastisch wieder aufgethan,
Und seine goldne Tricolore
Weht hoch aus jedem Wolkenkahn.
Nur hier in diesen dumpfen Mauern
Zum Fluch wird er dem Proletar,
In allen Ecken seh ich lauern,
In allen Winkeln seh ich kauern,
Dämonen, die die Nacht gebar!
Mein letztes Licht ist längst erloschen
Und fahl durchs Fenster lugt die Noth,
Denn dies hier ist der letzte Groschen
Und dies das letzte Stückchen Brod!
Verlacht, verludert und verloren,
Das alte: Weder Glück noch Stern!
Fürwahr, ich bin der Thor der Thoren!
O Mutter, wär ich nie geboren!
O schöne Zeit, wie liegst du fern!
Auf wilder, meerverschlagner Planke,
Ein Schiffer bin ich, der versinkt;
Mein letzter Stern ist ein Gedanke,
Der leuchtend mir vom Himmel blinkt.
Ein fernes Eiland seh ich ragen,
Doch wirft die Fluth mich stets zurück;
O, will's denn immer noch nicht tagen?
Noch gilt's zu wetten und zu wagen,
Denn jenes Eiland wiegt mein Glück!
Schon thut mir, wie wenn Glocken klingen,
Die Zukunft ihre Wunder kund –
Ein Stammeln nur ist jetzt mein Singen,
Ein Stammeln wie aus Kindermund!
Du Schöpfer aller Harmonieen,
O, gieb mir Luft, o gieb mir Licht!
Im Staube sieh mich vor Dir knieen,
Denn eine Welt von Melodieen
Geht unter, wenn dies Herz zerbricht!
12.
Schlag zu, mein Herz, die Flocken treiben
Nicht wie im Winter mehr ums Dach!
Der Frühling pocht an meine Scheiben
Und tausend Wunder werden wach!
Das Licht führt seine goldnen Funken
Tagtäglich wieder nun ins Feld,
Und mir im Herzen jubelt's trunken:
O Gott, wie schön ist Deine Welt!
Wie lieblich nur durchs offne Fenster
Der Maiwind mir die Schläfen kühlt!
Lebt wohl, ihr grübelnden Gespenster,
Die winterlang mein Hirn durchwühlt!
Als wär ich gestern erst genesen
Das Herz ist mir so süss erhellt –
So wohl ist mir noch nie gewesen:
O Gott, wie schön ist Deine Welt!
Hervor, hervor aus deiner Hülle,
Du liebes Bildchen meiner Fee!
O, dieser Locken goldne Fülle!
O, dieses Busens weisser Schnee!
Und wölbt sich über deiner Krone
Auch purpurroth ein Throngezelt,
Dein Herz schlägt doch dem Liedersohne –
O Gott, wie schön ist Deine Welt!
Doch still, mein Herz, was soll dein Pochen?
O Tod, du kommst zur rechten Zeit!
Das Schwert der Trübsal liegt zerbrochen ...
Sei mir gegrüsst, o Ewigkeit!
Beim Frühling hab ich tausendkehlig
Ein Lerchengrablied mir bestellt:
So sterb ich jubelnd, sterb ich selig –
O Gott, wie schön war Deine Welt!
13.
Und als der Morgen um die Dächer
Sein silbergraues Zwielicht spann,
Da war der arme, bleiche Schächer
Ein stummer und ein stiller Mann.
In seines Mantels grauen Falten,
So lag er da, kalt und entstellt –
Führwahr, er hatte Recht behalten,
Sein Reich war nicht von dieser Welt!
Ein goldnes Sonnenstäubchen tippte
Ihm auf die Stirn von ungefähr
Und seine lieben Manuscripte
Verschloss der Armencommissär.
Sein Freund, der Doctor, aber zierte
Brutal sich durch das Kämmerlein
Und schneuzte sich und constatirte
Verhungert! auf dem Todtenschein.
Drei Frühlingstage später karrten
Ihn Armenklepper vor das Thor!
Ich sah's noch, wie sie ihn verscharrten –
Die Sonne lachte, doch mich fror!
Mich fror, und meine Hände suchten
Umsonst zu würgen meinen Schmerz
Und meine bleichen Lippen fluchten ...
O Gott, mein Herz, mein armes Herz!
So stand ich und vermaledeite
Die Welt bis in ihr Nichts hinab;
Der goldne Frühling aber schneite
Ihm lächelnd Rosen übers Grab.
Schon nahten unsichtbaren Zuges
Die grossen Geister alter Zeit,
Und drüber schwebte leisen Fluges
Der Genius der Unsterblichkeit!
Ein Abschied
Ich sah nach jedem Giebeldach,
Mir war's, als riefen sie mir nach:
Fahr wohl, Gesell, fahr wohl!
Und mit dem Abschied war's vorbei,
Nun ist mir Alles einerlei,
Wohin ich wandern soll!
Otto Roquette
Sein Freund, der Thürmer, war noch wach,
Wie Silber gleisste das Rathhausdach,
Und drüber stand der Mond.
Er wusste kaum, wie schwer er litt,
Doch schlug ihm das Herz bei jedem Schritt,
Und das Ränzel drückte ihn.
Die Gasse war so lang, so lang,
Und dazu noch die Stimme, die über ihm sang:
Wann's Mailüfterl weht!
Jetzt bog sich ein Fliederstrauch über den Zaun,
Und die Mutter Gottes, aus Stein gehaun,
Stand weiss vor dem Domportal.
Hier stand er eine Weile still
Und hörte, wie eine Dohle schrill
Hoch oben ums Thurmkreuz pfiff.
Dann löschte links in dem kleinen Haus
Der Löwenwirth seine Lichter aus,
Und die Domuhr schlug langsam zehn.
Die Brunnen rauschten wie im Traum,
Die Nachtigall schlug im Lindenbaum,
Und Alles war wie sonst!
Da riss er die Rose sich aus dem Rock
Und stiess sie ins Pflaster mit seinem Stock,
Dass die Funken stoben, und ging.
Das Lämpchen flackerte roth überm Thor,
Und der Wald, in den sich sein Weg verlor,
Stand schwarz im Mondlicht da ...
Erst droben auf dem Heiligenstein
Fiel ihm noch einmal Alles ein,
Als der Weg um die Buche bog.
Die Blätter rauschten, er stand und stand
Und sah hinunter unverwandt,
Wo die Dächer funkelten!
Dort stand der Garten und dort das Haus,
Und jetzt war das aus, und jetzt war das aus,
Und – die Dächer funkelten!
Sein Herz schlug wild, sein Herz schlug nicht fromm:
Wann i komm, wann i komm, wann i wiederkomm!
Doch er kam nie wieder.
Zum Ausgang
O bleicher Tod, o wolle mir nicht nahn,
Eh ich für mein Geschlecht etwas gethan,
Ich bete auf zu meinem Gott und Herrn:
Für eine schöne Sache stürb ich gern.
Fürs Recht der Menschheit und der neuen Zeit,
Wie wär es schön, zu fallen in dem Streit;
Bei dem gebrochnen Erz der Tyrannei,
Wie stürb es sich im Felde froh und frei!
O, läg ich dann wie heut in selger Pein
Auf einem grünen Bühl im Abendschein
Und dürfte sprechen, auf der Brust die Hand:
Du kennst dein Kind, mein schönes Vaterland!
Alfred Meissner
Ein Stück von meinem Selbst ist dieses Buch
Und roth von meinem Herzblut jedes Lied;
Mit ihm stell ich mich kühn in Reih und Glied –
Der Dichtkunst Segen ward in mir zum Fluch!
Doch sei's, ich trag's. Nicht wär ich ein Poet,
Wollt ich mich anders geben, als ich bin;
Auch liegt ein Wort, ein altes, mir im Sinn:
Oft hilft ein Fluch uns mehr als ein Gebet!
Und wahrlich, diese Zeit gleicht jener nicht,
Die uns das Alterthum als goldne pries,
Denn jeder Lüge lacht ein Paradies
Und jeder Wahrheit droht ein Hochgericht!
Schon küsst die Welt ein bleiches Abendroth,
Die alte Griechensonne des Homer
Hat sich ertränkt ins teifundunkle Meer,
Und seine Sense schärft der schwarze Tod.
Kein Stern, der farbig durch die Wolken bricht,
Kein Traum, der kühlend um die Schläfen weht,
Kein Lied, das Wunder thut wie ein Gebet,
Kein Herz, das heimlich mit sich selber spricht!
Doch tappt sich hüstelnd durch die dunkle Nacht
Ein böses Ding und pocht an deine Thür
Und zischt wie eine Viper: »Komm herfür,
Ich bin das Herz, womit die Sünde lacht!
Ich weiss, auch du bist nur ein Kind der Zeit,
Das mit der Welt und mit sich selber grollt:
Ich aber wate bis ans Knie in Gold
Und höre, wie dein Herz nach Wollust schreit.
Komm mit, in meinem Lusthaus wohnt das Glück:
Du trittst hinein, und singend drehn um dich
Vielhundert weisse Dirnenleiber sich
Und schlank wirft sie mein Spiegel dir zurück.
In dunkler Nische küsst es sich so schön!
Und folgst du, süsser Junge, mir, dann klingt,
Wenn einst dein Herzschlag müde wird und hinkt,
Dein Todesröcheln noch wie Lustgestöhn!«
So bläst es frech dir nachts durchs Schlüsselloch,
Der Regen rinnt, ums Dachwerk heult der Sturm,
Dir aber war's, als ob ein feister Wurm
Dir todtkalt übers warme Herz hin kroch.
Und zornig springst du auf und schlägst dir Licht
Und prallst zurück, geekelt und enfsetzt,
Denn vor dir steht, triefäugig und zerfetzt,
Ein altes Weib und grinst dir ins Gesicht.
Dann schreist du auf, denn dumpf hast du gefühlt,
Wie dir ein Etwas kalt die Kehle presst:
»Heb dich hinweg von mir, du bist die Pest!
Du bist die Pest, die sich in Leichen wühlt!«
Sie aber höhnt: »Pardon, Herr Optimist!
Das ist die Frau von meinem Schwiegersohn!
Nein, ich bin mehr, ich bin die Corruption!
Die Corruption, die dich lebendig frisst!
Was hat man doch nicht alles schon verdaut!
Recht! Wahrheit! Ehre! Freiheit und so fort!
Doch ist
gesetzlich
mein Metier, der Mord,
Denn jeder König nennt mich »süsse Braut«!
Doch bist du klug, dann geize nach Applaus
Und gieb's nicht weiter, was ich dir entdeckt,
Sonst wirst du sans façon ins Loch gesteckt
Und deine liebe Mitwelt lacht dich aus.
Im härenen Gewand seh ich dich stehn,
Dein Wappen ist ein weisses Todtenbein –
Du Thor, willst du denn
einzig
Büsser sein,
Indess die Andern sich im Taumel drehn?
Zerbrich den Fetisch, den du selbst geschnitzt!
Die Welt ist eine grosse Illusion,
Drum küsse lachend dich auf ihren Thron,
Auf dem das Glück, die goldne Metze, sitzt!
Das bunte Traumbild deiner Phantasie,
Ich will ihm Fleisch und Blut und Leben leihn,
Nur stammle einmal: Mutter, ich bin dein!
Und wirf dich betend vor mir auf dein Knie!«
So wälzt von deiner Brust sie Stein um Stein,
Sie schnitzt sich Pfeile und sie weiss, sie trifft,
Und immer tiefer tropft sie dir ihr Gift
Durchs offne Ohr ins offne Herz hinein.
Du aber stehst und brütest vor dich hin
Und fühlst, wie dir das Blut zu Eis gefriert,
Und ehe noch der Hahn kräht, triumphirt
Die dreimal zischelnde Versucherin.
Vergessen hast du nun den alten Schwur,
Den deine Jugend einst zum Himmel that,
Durch deine Adern wühlt der Selbstverrath
Und dir im Herzen thront die Unnatur.
Todt ist es, todt! Dein Bauch ist dein Idol
Und dein Gewissen wie dein Goldgeld rund,
Du liegst im Staub und wedelst wie ein Hund
Und Lüge, Lüge lacht dein Weltsymbol.
Du streichst dein Kinn und zupfst an deinem Bart
Und siehst im Spiegel lächelnd dein Gesicht
Und räusperst dich und merkst es selber nicht,
Dass jeder Zoll an dir zum Schurken ward.
Du bist ein Schuft, den nicht sein Handwerk reut,
Ein Schuft, der's »gut« meint mit der »bösen« Welt,
Ein Schuft, der sich für furchtbar ehrlich hält,
Und so wie du, sind's Millionen heut!!
Ihr lebt ja alle, alle nur vom Schein
Und heult und winselt: Recht hat nur die Macht!
Und Euch soll dieses Buch ein Anker sein,
Ein Hoffnungsanker, der den Sturm verlacht?!
Ich Thor! dass ich, gerührt vom Schrei der Noth,
Mein warmes Herzblut in mein Lied verspritzt!
Dass ich nicht donnerte, dass ich geblitzt!
Dass ich euch Kampf bot, Kampf bis in den Tod!
Nun wird dies Buch, verlästert und verkannt,
Von Herz zu Herz um Liebe betteln gehn,
Vor vielen Thüren wird es trauernd stehn,
Nur hie und da drückt's eine Freundeshand.
Und doch, was fasl' ich da? Ihr habt ja Recht!
Es ist zu wenig à la mode-Kost,
Es ist kein nachgemachter Talmimost,
Und seine Thränen sind mitunter echt!
Ich weiss, dass heut Begeistrung schnell verdampft,
Vielleicht ist's schon mit diesem Ding vorbei,
Ist's doch kein alter Mythologenbrei,
Scenifizirt und in Musik gestampft!
Und doch: wenn diese Blätter auch verwehn,
Die Frühlingsthatkraft, die sie werden liess,
Die Gottidee, die sie erstarken hiess,
Sie kann und darf und wird nicht untergehn!
Schon wirft sie leuchtend durch den Zeitengraus
Fern in die Zukunft ihren Feuerschein –
Ihr will ich jubelnd mich zum Priester weihn,
Ihr giess ich trunken dieses Opfer aus!