I. Tulifäntchen Fliegentöter 1. Der letzte Tulifant 1. Der letzte Tulifant O Vergänglichkeit, du Sieg'rin Aller Sieger, alte Göttin! Angetan mit grauem Leibrock, Eppich um die Brust geknotet, Eine Krone, falb von Moose Auf dem weißen Haupt, so sitzst du Unter Trümmern regenmürbe, Auf zerbrochner Säule Sturze, Bei verblichnen Liebespfändern, Bei dem Putz verwelkter Schönen, Unter ausgetrunknen Flaschen, Ach, und unter armen Beuteln, Die von Golde strotzten, jetzo Leer in deinem Dienste ruhn! Einst im Fantenreiche blühte Das Geschlecht der Tulifanten. Reiches Kornland, zwanzig Schlösser, Schöne Wiesen, manch ein Geldsack Waren sein, jedoch wo blieb es? Mäus' verwüsteten das Kornland, Und der Strom verschlang die Wiesen, Raben trugen aus den Säcken All das blanke Geld zu Neste, Doch die Gläub'ger kauften spöttlich, Was gelassen Mäus' und Raben. Seht ihr dort am stillen Hügel, Erlengrün und bachbenetzet, Jenes Mäuerlein, zwei Schuh hoch, Drin die feuchtverstockte Holztür? Seht ihr jenen langen, hagern Mann im Mantel, braun wie Zimmet, Wie er feierlich durchs Feld schleicht? Nun, die Mau'r verschließt, die Türe Öffnet den Kartoffelkeller, Dieser Keller der Kartoffeln Ist das letzte von dem Erbe Der berühmten Tulifanten, Blieb allein von zwanzig Schlössern, Weil kein Gläubiger ihn brauchen Konnte, denen sonst doch brauchbar Alles zwischen Erd' und Himmel. Jetzo kam der braune Wandrer Zu der Mauer, drauf sich setzend Schaut' er ernst ins Gold der Sonne. Nahm darauf aus seinem Mantel Den Quartanten, sah die Farben Der Geschlechter an des Landes. Aber als der Abend dunkelt', Schlug er zu das Buch und rufte: »O wie hat mich Gott gesegnet, Mich und meine edle Tulpe! Wie mir im Gefühle wohl ist Richt'ger Ahnen, im Besitze Meines teuren Eigentumes! Ach nur einen Wunsch, nur einen Ließ der Himmel unerfüllet, Diesen klag' ich hier den Lüften: Daß mir würd' ein Sohn, ein edler, Namens Erbe, Erbes Erbe! Alt bin ich! Bald kommt die Stunde, Wo der ferne Lehngevetter Pflanzen wird auf diese Mauer, Ach, sein Wappenschild, das fremde! Denk' ich daran, dann erscheinst du O Vergänglichkeit, du Sieg'rin Aller Sieger, greise Göttin, Riesig mir, gespensterhaft!« Tulifant stieg, solches sagend, Wehmutsvoll von seinem Erbe, Und er kehrte langsam, seufzend Heim zur vielgeliebten Tulpe. 2. Die Hoffnung des Hauses 2. Die Hoffnung des Hauses Welch ein Rennen, welch ein Kramen In dem Zimmer Tulifantens! In Geschlechtsregistern sucht er Namen, voll und hoch erklingend: Roderich, Fadrique, Perez, Luis, Jose, Pedro, Sancho, Juan, Toribio, Quadradillos, Tönen ihm noch nicht genugsam. Endlich hat er ihn gefunden, Einen Namen, majestätisch: »Christoph heiß' er! Wie Sankt Christoph Einst das Heil der Welt getragen, Wird das Heil des Hauses dieser Tragen auf den beiden Schultern.« Jetzt dem Diener ruft er: »Gines!« Gines kommt gewackelt: »Sennor?« »Steck ein Küchlein an den Bratspieß, Kauf ein Krüglein guten Schmalbiers, Such uns einen Korb voll Schötlein, Iß dich selber satt in Weißbrot!« Zweifelnd steht der treue Gines, Zuckt die Achseln, sagt mit Schwermut: »Herr, vergebt, es ist ja Fasttag Heute nach der Zeiten Ordnung. Gestern war der Tag des Fleisches, Heute leben wir im Geiste. Ach, bedenkt, bedenkt das Morgen, Essen heute wir das Küchlein, Trinken heute wir das Schmalbier, Pflück' ich heut Euch ab die Schötlein, Zehr' ich selber auf das Weißbrot!« Spricht der Herr: »Gines verrichte, Was ich dir befahl, nicht zaudre! 's ist ein Festtag, nicht ein Fasttag. Wenn der Himmel sie begnadigt, Soll'n die Menschen fröhlich sein.« Zweifelnd stand noch immer Gines, Da, die Hüft' umbauscht vom Reifrock Aus gestreiftem gelbem Atlas, Der gesehn drei Menschenalter, Trat zur Tür hinein voll Würde Die erhabne Donna Tulpe. Und Don Tulifant entgegen Gehend der Genossin, küßt' ihr Ernst die Hand, die Wange küßt' er, Und er sprach zu ihr bedeutsam: »Immer wart Ihr, o Gemahlin, Meiner Gegenwart Beglückung, Nun schafft Ihr der Zukunft Segen. O wie fühl' ich mich verschuldet Tief für alles, was Ihr gabet, Gebt und mir noch geben werdet!« Zweifelnd stand nicht länger Gines, Rannt' hinaus und rief mit Jubel: »Gerne fahr' ich nun ins Grab ein, Denn ich seh' des alten Hauses Junge Hoffnung winken glanzreich!« Pflückte tänzelnd drauf die Schötlein, Kochte sie und briet das Küchlein, Kaufte, halb im Taumel, Schmalbier Für den letzten Groschen, trug dann Seinen Herren auf die Mahlzeit, Aß sich selber satt in Weißbrot, Zechte tapfer dazu Wasser, Und sank auf das Stroh, betrunken. 3. Tulifäntchens Geburt 3. Tulifäntchens Geburt Dämmrung im verhangnen Zimmer, Grüne Dämmrung um das Ehbett! Leise weinet Donna Tulpe, Seufzend schaut Don Tulifant. Was liegt in des Vaters Schoße? Ist's ein neugebornes Wiesel? Ist es ein Alraunenmännlein? Ist's ein Püppchen zart von Seide? 's ist kein Püppchen, kein Alräunchen, 's ist kein neugebornes Wiesel, 's ist das neugeborne Knäblein, Fingerlang und fingerdick. »O was soll mir dieser Segen, Dieser Wicht, das Zwergenknirpslein? Nimmer baut des Hauses Ehre So ein kurzes Endchen Schande, Nimmer kann zu Lehen tragen Dieser Wurm das Vatererbe. Fallet ein, ihr Kellermauern, Eh' ihr fremdes Wappen zeigt!« Leise weinet Donna Tulpe, Seufzend schaut Don Tulifant. »Ach, nun kann ich nicht ihn Christoph Taufen lassen, wie ich wollte, Denn er ist Diminutivum Eines Menschen, und die Knaben Würden, herzlos ihn verkleinernd, Ihn nur rufen: Kleiner Töffel!« Leise weinet Donna Tulpe, Seufzend schaut Don Tulifant. Siehe, durch die Dämmrung Lichtglanz Und im Glanze welch ein Wesen! Auf des Regenbogens Brücke Steigt ins Zimmer, lieblich lächelnd, Große Flügel, blaupunktierte, Goldenschillrige bewegend, Steigt zum Bett ein zartes Weiblein. Und zu den erschrocknen Eltern Sprach das goldbeschwingte Wunder: »Fürchtet nichts, ihr Guten, blickt mich Mutig an! Ich bin der Schutzgeist Eures Hauses, Fee Libelle, Auch die Letzte des Geschlechtes, Das in allen Elementen Einst so herrscherhaft gewaltet, Aber im Verlauf der Tage Bis zu mir ist eingeschrumpfet. An dem Keller, eurem Erbe, Fließt das Wässerchen, darüber Grünt der Erle voller Zweigschmuck. In der Erle wohn' ich. Hofhalt Führ' ich mit den dünngeleibten Dort den bunten Wasserjungfern. Würd'ger Don, du hast beständig Diesen Feienbaum geschonet, Und die Donna hat, was taub war An den Ästen, abgeschnitten, Fee Libell' ist drum euch dankbar. Weine nicht, o Donna Tulpe, Seufze nicht, Don Tulifant, Denn ein Sohn ward euch geboren, Der des Hauses Stern und Blume, Euch zum Troste wisset das!« »Ach, wie soll«, sprach Donna Tulpe, »Hohes Wesen, das geschehn wohl? Ist doch jene Blum', der Hausstern, Gar zu kurz und klein geraten!« Darauf sprach das goldne Wunder, Fee Libelle, Flügel schwingend: »Jetzo ist die Zeit der Kleinen! Große Taten kleiner Leute Will die Welt, noch einmal sag' ich, Freut euch dieses winz'gen Helden!« Sprach's, und stieg mit Füßen zierlich Auf des Regenbogens Brücke Durch das Fenster in die Lüfte. Regenbogen troff in Flocken, Purpurn, gelben, violblauen Auseinander, Lichtglanz graute, Wieder webt' im Zimmer Dämmrung. Zweifelnd blinzelten die Eltern, Und sie rieben sich die Augen. Da tät auf sein rosig Mündlein Tulifäntchen, so im Schoß lag Alten Tulifants, und zirpte Ganz vernehmlich wie ein Heimchen: »Eltern, ja, ich will's vollenden, Bin des Hauses Stern und Blume!« Schwörend hub er auf das Händlein, Und sah tapfer aus den Augen. Wunder über Wunder machten So bestürzt den Don, die Donna, Daß sie lange schwiegen zitternd. Endlich hat der Don begonnen: »Dieses läßt sich nicht begreifen, Aber glauben wir, o Donna, An des Hauses Blum' und Stern!« 4. Vater und Sohn 4. Vater und Sohn Mein Vater, mich verzehren Der Tatenhunger und der Durst nach Ehren! Jüngling bereits an Jahren, Bin ich ein Kind in dem, was ich erfahren. Ehrwürd'ger Wappen Schilder Sehn mahnend nieder, großer Ahnen Bilder Befragen mich voll Hoheit: Wie lange bleibst du hier im Stand der Roheit? Laß mich, mein Vater, ziehen Hin, wo die Blumen heil'gen Ruhmes blühen! Mein Söhnlein, ach, du Kleiner, Du Daumesdicker, Fingerlanger, Feiner, Wo wüchse doch das Blümchen Wohl in der Welt, mein Kind, von deinem Rühmchen? Willst du vielleicht in Schachten Der Erde tief mit Zwergen liefern Schlachten? Die Kran'che helfen wehren Von der Pygmäen hartbedrängten Heeren? Willst zu den Liliputtern Du wandern gehn, dein Schwert dort abzufuttern? Du bist mein Vater, Vater! Quell meines Lebens, meiner Tage Rater! Drum darf ich nicht gesunden In deinem Blut, von solcher Worte Wunden! Ein andrer, o Erzeuger, Der würde wohl ein kalter blasser Schweiger, Wollt' er mit Schimpf und Faxen Verspotten mich, weil ich nicht lang gewachsen. Seit wann denn hat die Elle Den wahren Wert zu schätzen, Amt und Stelle? Nicht in den großen Gliedern, Im großen Herzen steckt der Mut dem Biedern! Dies Wort voll Kraft und Ruhe Setzt, Sohn, zu deiner Länge viele Schuhe. Du widerlegtest bündig Mein Argument; Erzeugter, du bist mündig! So gib mir, Vater, Waffen! Ich will dir, die du tragen kannst, verschaffen. 5. Tulifäntchens Auszug 5. Tulifäntchens Auszug O du freud'ges Waffenblitzen! Edle Waffen, rechte Waffen! Tulifant, der Vater, sitzet Bei dem Licht in seiner Kammer, Schafft das Schwert dem tapfern Söhnlein. Eine Federmesserklinge, Stark und scharf und spitz und stahlblank Hält er in den Händen, schmelzet Siegellack, und macht den Griff dran Von dem Siegellack in Kreuzform. Welch ein Prachtgewehr, unscheltbar! Federklinge mit dem Lackgriff! Ritterrüstung! Panzerrüstung! Gute Rüstung, tücht'ge Rüstung! Donna Tulpe sucht in Zähren, Frommen Zähren, Mutterzähren, Einen Silberling, durchlöchert. Fäden zieht sie, seidne Fäden Durch die Löcher, schlingt die Knoten. Ei, welch mächtig Silberschildlein, Mit den Riemen, seidenfadig! Donna Tulpe geht im Baumhof Zur Kastanie, liest die Frucht auf, Schnitzet aus der braunen Hülle Armesschienen, Beinesschienen, Und den Küraß, den gewalt'gen. Eine halbe hohle Nußschal' Holt sie aus der Vorratskammer, Macht daraus dem Sohn das Helmdach. Aus der Türe tritt der Vater, Führet seinen Sohn und saget: »Nun beweiset, edle Donna, Mut, gleich der spartan'schen Mutter! Denn es geht zum Scheiden jetzo, Doch es geht in hohe Tatbahn.« »Kehre mit ihm oder auf ihm!« Spricht die Mutter, reicht dem Sohne Den betränten Silberlingsschild. »Decke dich der Panzer treulich!« Spricht die Mutter, wappnet sorgsam Ihren Sohn mit der Kastanie. »Sei dir stets der Helm ein Schutzdach!« Spricht die Mutter, setzt aufs Haupt ihm Ihre halbe hohle Nußschal'. Spricht der Vater: »Kniee, Junkherr!« Nieder kniet Don Tulifäntchen, Und der Vater gibt ihm Schwertschlag Dreimal mit der Federklinge: »Führ' dies Schwert zum Heil der Waisen, Führ's zum Hort der Witwen, Jungfraun, Führ's zum Trutz der schnöden Unbill!« Freudig sprang der neue Ritter Auf vom Boden, rief: »Mein Vater, Laßt mir bringen nun mein Schlachtroß, Unsern Schimmel, den bewährten, Den loyalen Zuckladoro, Denn ich reite gleich auf Taten.« Gines brachte, der getreue, Jetzt den alten, guten Schimmel, Den loyalen Zuckladoro. »Wollt Ihr, Ritter, fraunhaft querwärts Sitzen, oder männlich schrittlings? Fast zu kurz sind Eure Beinlein Für des Rückenteils Beschreitung.« Sprach der Held, Don Tulifäntchen: »Nicht will schrittlings, nicht will querwärts Ich auf diesem Schimmel reiten. Nein, ich setze mich ins Ohr ihm, Und gebiet' ihm, wie er gehn soll.« Drauf versetzt der treue Gines: »Pferde dulden nichts im Ohre, Kitzeln wird es unsern Schimmel, Und hinaus Euch schütteln wird er.« Sprach der Held, Don Tulifäntchen: »Dulden wird mich Zuckladoro. Kitzel ist ein Wort des Pöbels, Dieser Schimmel ist ein Schimmel, Welcher durch Vernunft besieget Der Natur gemeine Regung.« Alles dies verstand der Schimmel, Und er bog das Knie. Der Held nun Schwang von Haar zu Haar sich aufwärts, Bis er kam zum Rand des Ohres. Drinnen setzt' er sich zurechte Auf dem Knorpel, auf dem festen, Grüßte mit dem Schwerte höflich Seine Eltern, grüßte huldvoll Auch den vielgetreuen Gines, Rief: »Ihr höret von mir Großes, Oder nichts mehr! Trab, mein Schimmel!« Schimmel schnob und strich von dannen, Aus Vernunft hielt er das Ohr steif, Daß der Held gesichert sitze. Staunend sahn die guten Eltern Nach dem wunderbaren Sohne. Sahn noch lange seiner Augen Tatendeutungsvolles Leuchten Unterm Helm von Haselnußschal' Aus dem Ohr des wackern Schimmels. 6. Erste Rast 6. Erste Rast Nieten sind in jedem Lostopf, Taube Nüss' auf jedem Nußbaum, Und Windeier legt ein jedes Noch so tät'ge Huhn mitunter. So hat diese Heldensage Auch die taube Nuß, die Niete, Und das Blatt, gleich einem Windei. Tulifäntchen ritt in Hasten In dem Ohr des wackern Schimmels Über Heiden, Felder, Halden Ohne Taten, ohne Wunder. Sonne schien, und Lüfte spielten, Sangen Vögel, muntre, kleine, Schimmel nahm als wahrer Weiser, Stillesteh'nd, am Weg mitunter Gras und Kraut ein derbes Maulvoll, Eh' die Gottesgabe faulte. Äußerst böse, daß sich nirgends Zeigt' ein Tatumstand von Würde, War der Held, Don Tulifäntchen. Doch als er sich satt gezürnet, Und als nichts dabei herauskam, Wurd' er müde, gähnte, schlief bald. Der loyale Zuckladoro Merkte kaum des Helden Schnarchen Auf dem Knorpel seines Ohres, Als er sprach: »Wir schlummern gleichfalls.« Ließ sich nieder leise, sächtlich, Seine Augen schloß er beide, Auch im Schlafe steif erhielt er Aus Vernunft das Ohr, auf daß nicht Haltlos in den Sand der Heide Fiel die Hoffnung des Gedichtes. Aber wachend überschienen Alle Sterne Roß und Heide, Mit dem Licht, dem kalten, weißen. 7. Das Land der Weiber 7. Das Land der Weiber Immer noch schlief Tulifäntchen, Als schon auf den Feuerrädern Helios' goldner Wagen rollte, Wach schon lang war Zuckladoro. Schimmel, nach dem Schläfer horchend, Sprach bei sich: »Hier gilt nicht zaudern, Rasch von dannen, in die Weite! Schlummernd soll mein Herre vorwärts, Gleich so manchem Tatentäter.« Sprach's, und hob sich auf die Füße, Rannte durch die Welt im schrägen Windelweichen Schaukelpaßgang. Tulifäntchen träumt' indessen Von den Drachen, Riesen, Ogern, Hieb auf gift'ge Ungeheuer, Fing den Phönix ein, den Vogel, Wohnt' in Bergkristallengrotten, Liebend mit der Nixe kost' er. Doch ein lärmend Rufen kreischte Jetzt ins Ohr des Schimmels, weckend Drang es in des Helden Öhrchen. Rings um ihn erscholl es: »Haltet, Haltet auf das Pferd, das led'ge, Auf den Schimmel, den verloffnen!« Aus dem Ohre höchst gereizet Sprang der Held Don Tulifäntchen, Glitt von Haar zu Haar hinunter. Feu'r vom Wirbel bis zur Zehe, Trotzig rief er: »Wer da waget Zu behaupten, daß ein led'ger Schimmel sei an diesem Platze, Der verfechte die Behauptung! Ich beweis' auf Tod und Leben, Daß ein Schimmel mit dem Reiter Ist zur Stelle; hier der Reiter!« Aber als er um sich blickte, Sah er nichts als Weiber, Schürzen Sah sein Aug', so weit es reichte. Und er stand vor einer großen Stadt, und vor dem großen Stadttor, Überm Tore prangt' ein mächt'ges Wappen, und im Wappen stolzte Eine Kunkel als das Hauptschild. Frug der Held, Don Tulifäntchen: »Wo bin ich, und wes das Land hier?« Und die Nächste, zu ihm tretend, Eine kräftige Brünette, Sprach: »Du bist im Land der Weiber, Vor der Stadt der Weiber stehst du.« Sinnend fragte Tulifäntchen: »Leben hier denn keine Männer, Wie gebräuchlich allerorten?« Sprach die kräftige Brünette: »Keine Männer sind geduldet, Oder nur im Sklavenkittel, Unterm Schatten jener Kunkel. Groß ist unser Reich; die Grenzen Schlossen sich noch nicht, des Landes. Täglich mehren die Provinzen Sich durch wachsende Erob'rung. Frauen führen die Geschäfte Hier des Orts. In Ehr' und Staatsamt Siehst du Frauen nur; die Kön'gin Grandiose herrscht ob allen.« Frug der Held, Don Tulifäntchen: »Doch wie kam es, daß das Mannsvolk Euch gewichen ist? Das sag mir!« Sprach die kräftige Brünette: »Unsre Männer hießen girrend Uns der Schöpfung Meisterstücke, Engel, ird'sche, ohne Flügel, Lagen stets zu unsern Füßen, Nannten sich der Schönheit Knechte. Dies geschah so lang, bis daß wir Einstens sprachen: 'Nun, so wollen, Da wir Engel sind, wir künftig Wohnen in der Herrschaft Himmel, Und der Schöpfung Meisterstücke Soll'n nicht ferner euch, den niedern Rohen Dutzendfabrikaten Kochen Supp' und Fleisch, Gemüse.' Griffen drauf zu unsern Waffen, Zu den Spindeln, zu den Nadeln, Schlugen unsre Männer, schwächlich Waren sie vom Knien geworden, Trieben sie nach fernen Zonen, Und so haben wir die Herrschaft. Doch nicht länger frag, o Fremdling, Führen muß ich zum Palast dich, Da du gleichfalls bist ein Mannsbild.« »Nur noch eines fragen laß mich«, Sprach Don Tulifäntchen, »sag mir, Wie erhält wohl euer Staat sich Ohne Männer für die Folge?« Sprach die kräftige Brünette: »Dafür auch ist schon gesorget. Denn Provinzen, neuerobert, Grenzen an des Paradieses Langverschollnen grünen Garten. Dort wächst eine Art von Bäumen, So die teuren Schwestern alle Ohne jenen Spruch des Fluches Hätt' der Mühe überhoben, Die seitdem herkömmlich worden. Denn es reifen an den Ästen Dicht und voll die schönsten Kinder. Dieser Baumfleck ist Regale. Welche nun der Weiber wünschet Mutterfreuden zu genießen, Diese löset von der Herrsch'rin Auf gestempeltem Papiere Einen Kinderschein, und darf dann So viel Früchtchen, als sie liebet, Dort sich von den Zweigen schütteln. Siehe, Jüngling, so erneut sich Ohne Männer, ohne Kindsnot Unser Staat allein durch Baumobst. Aber jetzt frag mich nicht weiter, Folge mir zur Kön'gin spornstracks.« Tulifäntchen blickte glühend Um sich, rief: »Bin ich denn wehrlos?« Dann die Hand zur Stirn geführet, Faßte sich der Held und sagte: »Weißen Händen gern ergibt sich Jeder Paladin von Ehre.« Sprach's mit adliger Gebärde, Neigend zierlich Haupt und Schwertlein. Und voran schritt die Brünette, Hinterdrein schritt Tulifäntchen, Schimmel folgte, jetzo schüttelnd Voll Bedenklichkeit das Ohr schwer. Also schritt der Zug palastwärts Durch die weiberangefüllten Straßen, durch die Straßen, voll von Kindern aus dem Pflanzenreiche. 8. Die Brummfliege 8. Die Brummfliege Fürstenzürnen, böses Zürnen! Königsgrimm, o schlimm Verhängnis! Herrlich glänzt das Schloß, das güldne, Von der Säulen Wald umkränzet, Mit den Toren, blau, von Jaspis. Aber das Entsetzen blicket Tulifäntchen bleich entgegen In dem Schloß, aus jedem Antlitz. Auf nun rauschen ihm die Flügel Zu den innersten Gemächern, Und er steht im Marmorsaale Unter weiblichen Ministern, Reichs-Kron-Würdeträgerinnen, Adjutantinnen der Garde. Und Brünette ging zurücke, Tulifäntchen war alleine Unter den besternten Weibern. Alle schaun, von Angst geschüttelt, Nach dem roten Damastvorhang, Welcher deckt den Grund des Saales, Aber die Premierminist'rin Lauschet durch des Zeuges Falte. Tulifäntchen naht sich zierlich Der Minist'rin, spricht in Züchten: »Damen seh' ich voll Bedrängnis, Wollet Exzellenz gebieten Über Eures Ritters Kräfte! Was trübt Eurer Augen Sternglanz, Daß sie, Sonnen des Gesichtes, Nur durch Nebel düster brennend, Künden finstern Tag der Seele?« »Ritter«, sagte die Minist'rin, »Wisse, dieses ist die Stunde, Wo die nie genug gelobte Große Kön'gin Grandiose Denkt ans Glück der Untertanen.« »Nicht versteh' ich Eure Rede«, Sprach der Held, Don Tulifäntchen. »Siehe!« sagte die Minist'rin; Hob den Vorhang auf, da schaut' er Im gewölbten Kabinette Hehr die Kön'gin Grandiose, Angetan mit Hermelinvlies, Auf dem Haupt die goldne Krone, Goldnen Zepter in der Rechten, In der Linken den Reichsapfel, Ganz genau wie Karo-Dame. Sinnend saß sie, tiefes Denken Hatte sie durchaus umwoben. Der bemeldete Reichsapfel War gefüllt mit Spaniole, Und sie schnupfte draus voll Inbrunst. »Warum bebt Ihr, wenn der Kön'gin Landesmütterliche Liebe Sich zum Heil des Volkes abmüht?« Frug der Held Don Tulifäntchen. Trüb versetzte die Minist'rin: »Fremdling du im Land der Frauen, Wisse, daß die große Kön'gin Nie so leicht ist aufzuregen, Als wenn sie sich ganz vertieft hat In die edelsten Gedanken. Darum faßt uns stets ein Bangen, Denkt sie an das Glück des Landes, Denn dann fließen ihre Tränen Einem schönen Ideale, Wie es könnte sein, und nicht ist. Greift das Leben dann, das rohe, Ins Konzert der Seele, stört sie Nur ein Sonnenstäubchen, das nicht Nach dem höchsten Willen kräuselt, Fährt sie furchtbar auf, und meistens Läßt sie, um sich herzustellen Zum Regentengleichgewichte, Ihrer Nächsten köpfen ein'ge.« Ernst erwog in seiner Seele Dies der Held. Urplötzlich aber Sah er dringende Gefahren Für die schutzvertrauten Frauen, Für das Volk von Micromona, Denn so hieß die Stadt, die große. Zu dem offnen Fenster sausend Schoß herein der Fliegen eine, Die uns Brummer oder Schmeißer Nennet die Naturbeschreibung. Erst vom weiten flog die Wüste In unangemeßner Weise Um die Krone, um den Zepter, Um den Vlies, und um die goldne Spaniol-Reichsapfeldose. Doch der kugelrunden Augen Freches Demagogenleuchten Zeigte deutlich, daß sie strebet', Auf die Nase sich der Kön'gin Hochverrät'risch hinzupflanzen. Da empfiehlt sich Tulifäntchen Hergebrachterweis' im stillen Der Geliebten, die noch nicht ihm Ward beschieden, zieht vom Leder, Zieh'nd am Lackgriff, schwingt und wetzet Vaters guten Federflamberg. Flüstert: »Edle Damen, gramschwer, Betet für des Jünglings Heil nun! Eine Tathandlung verrichtet Seine Faust zu Eurem Frommen. Doch wenn ihn sein Stern dem Tod weiht, Geb' ein simpler Stein Bescheid nur Von dem Namen, dem Geschlechte. Tulifäntchen heißt der Jüngling, Tulifantens Sohn; er rühmt sich Reinen Bluts und edler Eltern.« Sprach's; und sprang mit gleichen Füßen In das Kabinett der Kön'gin. Leise, wie ein Mückchen, schritt er Über die gebohnten Dielen. Kön'gin Grandiose hörte Nicht des Paladines Schreiten, Sondern dachte tiefgerühret, Eine große Trän' im Auge, An das Glück der Untertanen. 9. Brummers Tod 9. Brummers Tod Fürstenzürnen, böses Zürnen! Königsgrimm, o schlimm Verhängnis! Brummer brummt und summt und surret Um die Nase der Gesalbten, Und schon schwillt, man sieht es deutlich, Auf der Stirn der Landesmutter Mählich an die Kollerader. In dem großen Augenblicke Sammelt Tulifäntchen schleunig Alle Geister seiner Klugheit, Nimmt behend aus seinem Täschlein Ein erspartes Stückchen Zucker, Hält es lockend in die Luft hin. Kaum erschaut der grimm'ge Brummer Das geliebte, stetsersehnte, Nie genug geleckte Süße, Als er durch die Luft, geschwungnen Kreises naht dem werten Zucker. Aber Tulifäntchen mutig, Sichern Blicks im Feldherrnauge, Zielet mit dem Schwert, und eben Wie das Ungeheu'r sich heftig Niederstürzen will zum Zucker, Stößt er ihm mit festem Stoße Durch den Magen grad' das Schwert nun, Daß die Spitze hinten vordrang. Opfer seiner Leidenschaften Haucht' der Wütrich in den Hades Seine Seele, lasterschmutzig; Und der Held trug die gespießte Leiche zu den Weibern, Jubel Hallt' im Marmorsaal, vom Kusse Der Erfreuten ward der Junkherr Fast zu Tode dort gedrücket. Aber jetzt erschien die Kön'gin, Die Reichsapfeldosenträg'rin, Und geruhte, sich zu äußern: »Unsre Stunde war sehr fruchtbar. Künftig wird, behufs Ersparung Überflüss'ger Dinte, niemals Übers i der Punkt gesetzet. Dies erdachten Wir zum Heile Treuer Untertanen gnädigst. Das Gesetz emporzuhalten, Werden Wir sofort ernennen Hundertzwanzig Kommissarien Mit auskömmlichen Diäten. Eine Flieg' umflog, so dünkt' Uns, Unserer Person, der heil'gen, Allerhöchste Riechorgane. Schon erschraken Wir im Geiste Selbst vor Unsrem künft'gen Zorne, Wenn das Untier sollte wagen, Sei's durch Krabblung oder Kitzlung, Sei's durch Rennen, Rüsselfühlen, Unsre Nas' und Ruh' zu schäd'gen. Denn Wir sind, Wir wissen's, schrecklich, Stört man Unsre weichen Stunden. Doch auf einmal stille ward es, Und wir sannen weiter friedlich. Hat jemand vielleicht durch kluge Tücht'ge Tat die Flieg' entscheuchet, Nenn' er frei sich, denn bekannt ist's, Daß Wir kein Verdienst im Staate Lassen ohne Band im Knopfloch.« Sprach jetzt die Premierminist'rin: »Dieser tugendhafte Degen, Kön'gin, ist der Held des Tages.« Knickste, hob auf ihren Fächer Tulifäntchen, präsentierte Ihrer Königin den Helden. Und das Knie bog Tulifäntchen, Und der Fliege Leichnam hielt er Hoch empor am Schwert, dem guten. »Mögen deines Namens Feinde All', wie dieser Brummer, enden!« Sprach er mit gesetztem Mute. Doch die Kön'gin sagt' in milder Würd'ger, königlicher Haltung: »Fremder Ritter, du erwarbest Großes Recht auf Unsem Dank dir. Wir erkennen's, Wir beweisen's. Leb' im Staat von Micromona, Ausnahmsweis', ein Mann, und dennoch Hochgeehrt! Der Hof vernehme: Wer dem Paladine wohltut, Reicht der Königin die Wohltat. Mit des Reiches höchstem Orden Seid Ihr, Held, hiemit bestallet, Mit dem Orden vom Pantoffel!« Unbeschreiblich war die Wirkung, Welche diese Wort' erzeugten. Tulifäntchen war gerühret, Grandiose war desgleichen Sehr gerührt von ihrer Güte. Alle Kammerdamen weinten, Laut aufschluchzte die Minist'rin, Schimmel draußen schwamm in Zähren. Drauf zur Tafel ging man, speiset' Mit erhöhtem Appetite. Abends war die Stadt beleuchtet, Und in rotem, grünem Feuer Brannte transparent an hundert Orten: »Vivat!« und: »Es lebe Tulifäntchen Fliegentöter!« So ward groß der Held im Kleinen An dem Hof von Micromona, Welches liegt im Reich der Weiber.