II. Die Mauer von Brambambra 1. Der Königin Leid 1. Der Königin Leid Schon viele Wochen habet Ihr, Kön'gin, mich mit Eurer Gunst gelabet! Ihr schuft mein Glück, ich wohne Im Sonnenschein des Heils an Eurem Throne. Jedoch mein Herz verzehret Sich in der Ruh, weil Taten es begehret! Es will mein Jugendfeuer Zu neuem Ruhm auf frische Abenteuer! Die Welt ist voll des Schlechten, Entlaßt mich, Majestät! Pflicht ist's, zu fechten! So willst auch du mich meiden, Du teurer Held, so edel und bescheiden? In dir fand ich den werten, Vertrauten Freund, den ach! so lang entbehrten. Des Heldentums Verhängnis Trifft nun auch mich, des Scheidewegs Bedrängnis! Mich ruft hinweg die Tugend, Doch Dank hält in der Fessel meine Jugend. Wie soll aus Doppelketten Sein Selbst der Sohn Don Tulifantens retten? Daß sich ein Mittel fände, So Pflicht und Gegenpflicht gelind verbände! Mir künden Eure Mienen Geheimen Gram, drum sprecht: kann ich Euch dienen? Willst du, daß ich dich stürze In sichre Schmach? Du deut'st auf meine Kürze! O schmerzliche Verletzung! Nein, durch Vertraun beweis' ich meine Schätzung. Mit dem Gemahl, dem lieben, Den ich nachher aus Stadt und Land getrieben, Genoß ich wenig Glücke, Charaktervoll war ich, und er voll Tücke. Ich litt durch ihn unendlich, Doch kam ich in die Wochen unabwendlich Jedwedes Jahr. Erkläre, Vermagst du es, das Rätsel mir, das schwere, Daß wir, die schlimmsten Gatten, In sechszehn Jahren sechszehn Kinder hatten? Die Parze spann vom Rocken Rasch ihren Flachs, sie starben an den Pocken. Vermittelst der Vakzine Erhielt ich nur Prinzessin Balsamine. Die Tochter, seit der Kindheit War stets ein Muster lernender Geschwindheit, Sie stand mit achtzehn Lenzen Beinah an jedes Wissens letzten Grenzen, Trieb dreizehn tote Sprachen, Und las am liebsten philosoph'sche Sachen. Anatomie ins kleinste Verstand sie, spaltete Begriffe auf das feinste! Wo ist sie denn zu schauen? Geraubt, entführt, in eines Riesen Klauen! Entführt? Ein Ries'? Ich bebe ... Doch nein! Es lebt die Tapferkeit, ich lebe! Der Riese, wehe! wehe! Hat seinen Horst in meines Reiches Nähe Auf hohem Schloß, die Mauer Von Eisen ließ sie machen der Erbauer. Und hinter diesen Wänden Von Eisen hält mit seinen plumpen Händen Das Untier fest die Tochter, Sie ist bei ihm, seht, Teurer, das vermocht' er! Von böser Lust getrieben? Dergleichen hat sie niemals mir geschrieben. Schickt sie dir denn Billette? Allwöchentlich. Sie rühmt die Etikette In jenes Riesen Wohnung, Mir zum Erstaunen preist sie seine Schonung. Warum sie dann verhaften? Aus reiner Liebe zu den Wissenschaften. Wie meist die Riesen pflegen, Hat dieser in der Jugend obgelegen Dem Spiele bloß, dem Trunke, Und niemals glomm in ihm des Geistes Funke. Auf einmal aber haben, Als er ins Alter trat der klugen Schwaben, Sich neue Wünsche, denket! In seine breite, rauhe Brust gesenket. Denn weil er sah, wie jeder Jetzt braucht den Mund und besser noch die Feder, Entschloß er sich – das Grauen – Den Geist, der lang gebrachet, anzubauen. Sogleich verschrieb er Maîtres In Sprachen, Wissenschaften und belles lettres, Wovon jedoch nicht einer Den Riesen klüger machte oder feiner. Stets blieb ein Ignorante Der späte Bildung dürstende Gigante. Die Lehrer mußten tragen Die Schuld, er hat sie sämtlich totgeschlagen! Drauf hört' er von dem Rufe Der Tochter, daß sie klomm zur höchsten Stufe In der Minerva Tempel, Als der Gelehrsamkeit hellstrahlendes Exempel. Und alsobald im Herzen Sprach er: » Sie ist's! Sie zündet mit die Kerzen!« Als über Konjekturen Sie einst nun sann auf unsern Wiesenfluren, Sprang aus der Büsche Dicke Der räuberische Riese, voll von Tücke, Geschwinde, wie der Wind her, Seit diesem Tage, Freund, hab' ich kein Kind mehr! Leb wohl! Wohin? Noch fragen? Du kennest mich! Nichts mehr hab' ich zu sagen. Du wolltest ... Wollen? Wollen? Gibt's hier ein andres Wort, als: Müssen, Sollen? Ach, fürchte ... Nur die Schande Fürcht' ich! Was fürchtet sonst ein Mann von Stande? Mir ist der Tag erschienen Der Tat, des Ruhms! Ich rette Balsaminen! 2. Ritter Fis von Quinten 2. Ritter Fis von Quinten Welche Triller, welche Läufe, Dringen aus dem Busch, dem grünen? Klingt es doch wie Sterbeklaglaut! Aber singt man, wenn man abfährt? Tulifäntchen kam getrabet, Sprang behend vom Ohr des Schimmels, In das Dickicht, ohne Bangen, Abenteuerdurstgequälet, Schritt der Held, Don Tulifäntchen. Blut'ge Steine! Roter Rasen! Einen Jüngling, bleich zum Tode, Trug das rote Bett von Rasen. Tulifäntchen flog zum Wunden, Sprang auf seine Brust mitleidig, Neigte sich zum Ohr des Blut'gen, Und er wisperte ins Ohr ihm: »Sprich, wer bist du? Wer erschlug dich? Kann ich helfen? Kann ich noch dir Was erzeigen? Liebes, Gutes?« Sprach's. Da griff der Todeswunde, Welcher war ein Mann des Sanges, Mollakkord' auf der Gitarre, Die er hielt in seinem Arme, Präludierte, sang. Er sang es Mit dem reinsten, schönsten Vortrag: »Nicht kannst du mir helfen, Kleiner, Liebes, Gutes nicht erzeigen. Mich ereilt der Tod inmitten Meiner harmonieenschwangern, Sang- und klangdurchrauschten Tage; Sieh das Blut in meinem Schopfe, Fühl im Schädel dieses Loch!« Sprach der Held, Don Tulifäntchen: »Nenne deinen Mörder, Jüngling, Denn ein Rächer jeder Unbill, Steht, ich bin's, auf deinem Busen. Fielst du nicht in gleich-gerechtem Ritterkampf von Hieb und Stoße, Schlug dich ein Verräter meuchlings, Räch' ich dich. Bei meiner Ehre Sei's geschworen, wisse solches!« Sang der blut'ge Gitarriste: »Solfeggierend zog durchs Land ich, Da vernahm ich, daß Prinzessin Balsamine sei forcierter Maître eines dummen Riesen. Wisse nun, daß ich der Kön'gin Mich zum Dank verpflichtet fühlte. Als ich unversehns gekommen Jüngst ins Land, ins Reich der Weiber, Schenkte sie das Leben mir In Betrachtung des Tenores, Den mir die Natur verliehn. Drum den notgedrungnen Unter- richt (die Arie heischt die Unter- brechung, wie gar oft, des Wortes) Jene Zwangslehrstunden, sag' ich, Aufzuheben, schwoll das Herz mir. Nicht mit Schwert noch Spieß bewehrt' ich Meine kunstgeweihten Hände; Nein, der Macht der Töne traut' ich. Ein Konzert wollt' ich im Schlosse Jenes Riesen geben, hoffte, Im Gewühl der Menschen leichtlich Zu entführen die Prinzessin. Als ich angelangt vorm Schloßtor, Saß der Riese Schlagadodro (Dieses ist des Untiers Name) Auf der Zinne seiner Mauer, Wie er pflegt zu tun nach Tische, Gähnte, blinzte mit den Augen. Ich sang ihn mit meiner größten Arie an, und bat um Einlaß, Nannt' ihn alles Schönen Fördrer, Nannt' ihn geistreich und gemütvoll. Doch der Riese rief mit rohem Spott: 'Ich hatte mytholog'sche Stunde just bei der Prinzessin, Und vernahm von jenen Wundern, Welch' in alten finstern Zeiten Deiner holden Kunst gelungen. Hat sie Steine aus dem Bett nicht Nach der Töne Klang gezogen? Dies Mirakel wiederhole Heut sich in der jüngsten Sonne!' Sprach's; und eh' ich konnte ducken, Hat das Ungeheu'r den größten Stein gerissen aus dem Turme, Hat ihn mir aufs Haupt geschleudert, Daß die Stirn zerbarste klaffend. Hieher schleppt' ich mich im Blute. So, als Opfer halber Bildung, Mißverstandener Antike, Fiel der Ritter Fis von Quinten, Fiel der Ritter vom Tenore.« Sprach der Held, Don Tulifäntchen: »Warum singst du stets, mein Guter, Singst noch in der Todesstunde?« Sang der Ritter Fis von Quinten: »Weil ich nichts versteh', als dieses. Schon als Knab' im weißen Jäckchen Merkt' ich, was der Welt behaget, Danach hab' ich mich geschicket.« Sprach der Held, Don Tulifäntchen: »Ist es wahr, was mir ein düstrer Spötter zugeraunet jüngstens? 'Unsre Welt verlangt mitnichten', Sagt' er, 'mehr nach Geist und Größe, Sinn und Tiefe, Tatenmarke, Denn sie gähnt in der Tragödie, Denn sie gähnt im kühnen Lustspiel, Denn sie gähnt bei dem Gedichte, Und bei dem Gespräche gähnt sie, Gähnet über Männer, gähnet Über Helden, Gott und Himmel. Diese alte Gähnevettel', Sprach der düstre Mann voll Ingrimm, 'Hält nur noch die Augen auf, Wenn die wollustmüden Nerven Eine Opernarie kraut.' Wunder Ritter, ist dem also?« Sang der Ritter vom Tenore: »Diesem ist so, ja, gottlob! Darum lernt' ich, was jetzt not tut, Lernte singen, nichts als singen, Sang mich in den Arm der Frauen, Sang mich in der Großen Palast, Sang mich in der Kön'ge Prachtsaal. Wo ein Wen'ges von gesundem Menschenwitze wollte keimen, Sang ich nieder diesen Erzfeind Aller Sänger, nieder siegreich. Sprechen hab' ich ganz vergessen, Und beinah das Denken gleichfalls. So ward ich zum reinen Tone, Ward zum wandelnden Akkorde.« Schmetternd schlug ein runder Triller Aus dem Mund des Gitarristen Gleich dem Blitz in blaue Lüfte, Wurde schwächer dann und bebte Aus im Bock, dem sogenannten. Dieser erste Fehler kündet An des Sängers letzte Stunde, Nieder sinkt das Haupt, gebrochen Starr'n die Augen, fälschlich trillernd Stirbt der Ritter Fis von Quinten, Stirbt der Ritter vom Tenor. Tulifäntchen saß beweget Auf der Brust des Toten, weinte: »Rächen will ich Fis von Quinten, Retten will ich Balsaminen!« Kam ein Bauer, seufzt' und klagte: »Niedertritt mein Korn der Riese, Ach, wer hilft, wer hilft mir Armen?« Sprach der Held, Don Tulifäntchen: »Ich will diesem Bauer helfen, Ich will rächen Fis von Quinten, Ich will retten Balsaminen.« Kam ein Schäfer, seufzt' und klagte: »Ach, der Riese stahl das Schaf mir! Ach, wer schützt, wer schützt mich Armen?« Sprach der Held, Don Tulifäntchen: »Ich will diesen Schäfer schützen, Ich will jenem Bauer helfen, Ich will rächen Fis von Quinten, Ich will retten Balsaminen.« Kam der Apfelbaum gewackelt: »Riese frißt all meine Äpfel, Ach, wer schirmt die Zweig' am Stamme?« Sprach der Held, Don Tulifäntchen: »Ich will deine Zweige schirmen, Diesen Schäfer will ich schützen, Jenem Bauer will ich helfen, Ich will rächen Fis von Quinten, Ich will retten Balsaminen.« Kam die Luft heran und klagte: »Mich zerreißt der Ries' mit Schnarchen, Ach, wer heilet mich, die Arme?« Sprach der Held, Don Tulifäntchen: »Heilen will ich Luft mit Blute, Schirmen Apfelbaumes Zweige, Diesen Schäfer will ich schützen, Jenem Bauer will ich helfen, Rächen will ich Fis von Quinten, Und erretten Balsaminen.« Sank die Sonn' herab und klagte: »Mir wird übel von dem Riesen, Wer bringt ihn mir aus den Augen?« Sprach der Held, Don Tulifäntchen: »Süßer, goldner Quell des Tages, Ich will bergen ihn im Grabe!« Auf vom Leichnam sprang begeistert Unser liebenswürd'ges Heldchen. Bauer betet, Schäfer betet Für den Paladin, den kleinen, Apfelbaum wirft ihn mit Blüten, Luft, gleich einer Siegesfahne, Wehet vor ihm her gewaltig, Sonne sieht ihm günstig lächelnd Nach auf seinen großen Bahnen. Schlaf in Frieden, Fis von Quinten, Hoff Erlösung, Balsamine! Zittre, zittre, Schlagadodro! 3. Die Riesenwirtschaft 3. Die Riesenwirtschaft Schlagadodro! Schlagadodro! Ungeschlacht hieß dein Herr Vater, Tramplagonde die Frau Mutter, Doch du selbst heißt Schlagadodro! O bedeutungsvolle Wahrheit Jenes tiefen Spruchs aus Osten: »Was das Hänschen nicht gelernet, Wird der Hans wohl wissen schwerlich!" Folgt mir jetzo zu dem Haushalt Meines alten Riesenschülers Schlagadodro, Schlagadodro! Nur mir nach! Der Weg ist schlüpfrig, Felsenauf, durch Waldgerinnicht Winden sich die Pfade rieselnd. Hütet das Gesicht vor Nesseln! Nehmt in acht die Hand vor Dornen, Vor dem Pfriemkraut, vor den Brombeer'n! Fürchtet nichts! Euch führt der Dichter, Und ihn führt die freud'ge Muse; Nur den Fels noch! So, da sind wir Auf der Blöße, hoch im Dickicht. Seht, da steht das Schloß Brambambra! Gelt, das ist ein Riesenlustschloß? Kost't dreihunderttausend Taler! Vater sel'ger Schlagadodros Kauft' es einst. Nun aber ratet, Ratet klug, von wem er's kaufte? Von dem alten Tulifanten, Welcher damals Gelder brauchte. Ha Verhängnis! Tulifäntchen! Geht nur näher zu der Mauer Ohne Scheu! Noch speist der Riese. Seht, sie ist durchaus von Gußstahl. Schlagadodro holt' aus England Sich den Meister, der sie baute Mit geheimnisvoller Kunsthand. Nirgends seht ihr eine Schraube, Nirgends eines Stücks Verbindung, Frisch und ganz steht diese Mauer, Wie ein Kind aus Mutterleibe, Und doch wurden viele tausend Eisenplatten ineinander Eingefüget; wer entdecket Dieses Werks verstecktes Wunder? Scheuern läßt der Riese samstags Seine Mohren diese Mauer, Sie mit Schmirgel reinlich putzen, Daß sie glänzt, ein blauer Spiegel, Weit vom Berg in alle Landschaft. Denn er hält auf sie unendlich, Und sie ist sein Glück, sein Abgott. Schlaft um aller Götter willen Nicht, ihr Teuren, wenn die Mauer Vorkommt, schlaft bei andern Stellen! Glaubt, sie ist vom höchsten Einfluß Auf das weitere Verläufnis Dieses großen Heldenliedes! Rasch hinweg, da naht der Riese! Nach dem Essen wird studieret, Rasch nur hinter jenen Vorsprung! Muse, bleibe du auf Posten, Sag uns treulich, was du schautest! Schlagadodro blickt verdrießlich Wie der alte Hund bei Lichtwer, Der zum Lernen war so kopflos. Unter jedem Arme trägt er Sein Getränk in einem Oxhoft. Setzt sich zwischen seine Fässer Auf der Mauer Kante, baumelt Mit den Beinen, sagt verdrießlich: »Sonne sticht auch gar zu stark hier, Und dabei soll man studieren! Ein verfluchtes durst'ges Wetter!« Führt mit Anstand zu den Lippen Eins der beiden Oxhoftfässer, Trinkt gelinde aus dem Spundloch, Trinkt, verschluckt sich nicht im mind'sten, Trinkt das Oxhoft bis zur Neige, Wirft die Tonne von der Mauer, Trinkt die zweite, wirft sie 'nunter, Leer bis auf die Nagelprobe. Seine Augen wurden wacker. Sprach: »Nun soll'n die Wissenschaften Auch getrieben werden endlich. Immer Schlingen, Schlucken, Schlemmen Ist, bei Gott dem Herrn, fast viehisch. Denn im Leibe sitzt der Magen, Und im Kopfe sitzt die Seele. Brot und Fleisch verlangt der Magen, Kenntnisse verlangt die Seele. Ist der Magen satt vom Essen, Muß die Seele auch was haben, Das ist Ordnung, also will es Die Gerechtigkeit, die erste Aller Tugenden; die Seele Ist just'ment so gut, wie du bist, Musje Magen. – Damit Punktum!« Sprach's; holt' aus der Tasch' ein Büchlein, Buttmanns Griechische Grammatik. Denn er stand beim Griech'schen grade, »Das Ebräische soll folgen«, Sagte die Prinzeß, »im Herbste.« Lernte: »Tüpto, Tüpteis, Tüptei, Tüptomen, zuletzt Tüptusi«, Daß der Wald von dem Gebrüll scholl, Und die Erd' in Ängsten bebte. Während so der arme Riese Griechisch lernte mit Beeifrung, Und den Takt schlug mit den Beinen, Standen hinter ihm die Mohren, Seine tägliche Bedienung, Wedelnd mit den Straußenwedeln; Knull, der Obermohr, und fünfzig Kohlpechschwarze Untermohren; Einundfünfzig Stück im ganzen. »Knull, jetzt kann ich's, überhöre!« Rief voll Freuden Schlagadodro Nach dreistündiger Bemühung. Knull nahm's Buch hin, überhörte; Schlagadodro kratzt' im Haupte, Blickt' hinunter, blickt' gen Himmel, Schwang und schlenkerte die Finger, Konnte nicht ein Sterbenswörtchen, Weinte, daß das Griech'sche nimmer Woll' in seinen Kopf, den harten. Weinte zwanzig Eimer Tränen Aus den Augen, vierzigzöllig, Von der Mauer von Brambambra Nieder auf den sel'gen Buttmann. Dieses waren deine Leiden, Schlagadodro! Schlagadodro! Ungeschlacht hieß dein Herr Vater, Tramplagonde die Frau Mutter, Doch du selbst heißt Schlagadodro. 4. Die Prinzessin und der Rinderbraten 4. Die Prinzessin und der Rinderbraten Süße Minne! Rätselnacht! Labyrinth der Liebeswege! In dem roten Atlasdiwan Saß Prinzessin Balsamine An dem wohlbesetzten Teetisch, Trank den Tee als wie zu Hause, Trank ihn aus gemalter Tasse, Sie trank ihren Tee mit Sahne. Ihr zu Füßen saß der Riese, Trank desgleichen Tee, doch trank er Seinen Tee mit Branntwein, schaudernd Trank er diesen Trank hinabwärts, Denn er schmeckt' ihm stets wie Spülicht. Und ein herber Kummer zehrte An der edlen schönen Seele, Seine Nerven litten sichtlich. Feurig sagte Balsamine, Die lavendelduft'ge Fürstin: »Teure Mutter, daß du wüßtest, Wie es deinem Kind so wohl geht! Hätt' ich damals ahnen können, Als du mich entführtest, guter, Von der Welt verkannter Riese, Daß ich solchen geist'gen Umgang, Solche Sympathie der Seelen, Alle die Berührungspunkte Finden würd' auf Schloß Brambambra?« Sprach's und rief mit genialem Augenzwinkern, zärtlichblitzend: »Süße Minne! Rätselnacht! Labyrinth der Liebeswege!« Ärgerlich rief Schlagadodro, Ungeschlachtens Sohn und Erbe: »Hört, Prinzessin, menagiert Euch! Dieses Blicken, Blinzen, Blitzen Zeigt mir, was die Glocke schlug hier. Ihr habt, Hoheit, leider Gottes Sündlich Euch in mich verguckt. Lasset solche Narrenspossen! Nehmt Vernunft an, bitt' ich herzlich.« Drauf versetzte Balsamine, Die lavendelduft'ge Fürstin: »Das Genie hat kein Geschlecht! Ich bin genial! Was kümmert Mich der niedern Schwestern Zierspuk? Titan du, ich Titanide! Und ich suchte mir den andern, Und du liebtest eine andre? Kühn und frei, wie mir's geziemet, Sprech' ich: In der Zeit der Kleinen Hat mich, Riese, deine Größe, Deine echte Urnatur, Hat mich, Demant, deine Roheit, Deine ungeschliffne Einfalt Höchst energisch angesprochen!« Ärgerlich rief Schlagadodro, Ungeschlachtens Sohn und Erbe: »Ein gesittet Frauenzimmer Muß von Energie nichts wissen! Sind mir das nicht Modefloskeln! Liebet mich in Gottes Namen, Nur macht keine Prätensionen, Ich versag' Euch jede Hoffnung. Den Romanenkram, den hass' ich, Meine Ruh' ist, was ich liebe, Und ich halt' auf gute Sitten In dem Schlosse von Brambambra. Ihr seid Maître, damit basta! Dieses ist das Wort, das rohe, Eures ungeschliffnen Demants.« Drauf erhob sich Balsamine, Die lavendelduft'ge Fürstin, Und sprach hochbegeistert also: »Saft und Kraft in jedem Zuge! Schlafe wohl, du herz'ger Räuber, Gott beschirme deine Unschuld, Wie er mich so kindlich anblickt! Gute Nacht, rechtschaffne Seele!« Hüllte sich in ihre Schleier, Ging zu der gewölbten Kammer, Lehnt' ihr hohes Haupt ans Fenster, Blickt' emporwärts zu den Sternen, Schwatzte mit dem Großen Bären, Bis sie endlich einschlief drüber, Von Genie, Gefühl ermüdet. Ärgerlich rief Schlagadodro, Ungeschlachtens Sohn und Erbe: »Müssen mir noch solche Sachen Gar begegnen in dem Kursus? Hol' der Henker mein verdammtes Schwaches, zartes Herz von Butter! Die Vernunft sagt: Schlag die Närrin Tot, wie du bis jetzo totschlugst Jeden, der dir schuf Beschwernis. Alles Ding auf Erden schwindet Nach vollendeter Bestimmung, So ist's recht, das will die Ordnung. Der Prinzessin Erdenzweck war, Mich zu bilden. Aber jetzo Hat sie diesen Zweck erfüllet, Denn ich weiß die schwere Menge. Deklinieren kann ich, lernte Griechisch, kam bereits bis Tüpto. Asien, Afrika, Europa Und Amerika, und unten Da im Stillen Meer das viele Gänseklein von Inselsuiten, Sind die fünf Weltteil'; es lebet Ein allmächt'ger Gott im Himmel, Sterben wir, ist die Geschichte Nicht so mir nichts, dir nichts aus; Nein, dann kommt das ew'ge Leben, Und der Mensch hat freien Willen. Wenn ich frage: Wem? dann setz' ich Mir , und frag' ich: Wen? dann ziemt es Mich zu sagen; und die Erde Gleicht 'ner alten Pomeranze. – Wozu noch mit mehrerm Wissen Meinen Leib aufblasen? frag' ich. Wozu lebt noch die Prinzessin, Da, lass' ich die Törin leben, Sie nicht fahren läßt die Liebe, Allerhand mir in den Kopf setzt, Was mir raubet meinen Frieden, Inkommodität verursacht, Trouble bringt in meine Hausruh, Träume bringt in meinen Schlummer, Und mir störet die Verdauung, Welch' im Leben ist der Hauptpunkt? Doch das Herz spricht: Schlag sie nicht tot! Töten, was uns liebt, ist schwerlich Zu entschuldigen, man prügelt Schon nicht gern, die uns verehren. Auch das Herz hat seine Rechte, Und ein ewiges Gesetz ruft: Schone Menschenblut! – Wie harmlos Lebt' ich, als ich noch nichts wußte Von dem ewigen Gesetze! Damals, kann ich sagen, schlug ich Tot im reinsten Seelenfrieden. Du hast aus dem Paradiese Mich getrieben, o Kulturstand! Fluch dem Baume der Erkenntnis!« Sprach's, und setzte sich zum Essen. Einen fetten Ochsen trugen Vierzehn Mohren auf, am Spieße War er delikat gebraten. Schlagadodro kaute, wurde Nur der einen Keule mächtig. Melancholisch rief er: »Schlinget, Mohren, ihr des Ochsen Reste! Mir im Munde quillt der Bissen.« Stöhnend ging der biedre Riese Mit den angegriffnen Nerven Drauf spazieren in dem Mondschein. Pflückt' am Bach ein blaues Blümchen, Führt' es zu den Lippen zärtlich, Sprach: »Vergiß mein nicht, du Holde! Ja, ich muß dich schlagen tot. Einen tiefen Blick heut abend Hab' ich in mein Herz geworfen. Nie hat ein gebratner Ochse Mir bis heute widerstanden, Nicht, als starb mein teurer Vater, Nicht, als starb die würd'ge Mutter, Die verklärte Tramplagunde. Heute widerstand der Ochs mir! Suchst du noch nach andern Zeichen, Unglücksel'ger Schlagadodro? Ja, du liebst, und sie muß sterben, Denn die Tugend ist mein Stolz, Keuschheit meine Passion, Jeder hat ja Steckenpferde. Ich will nicht bei den verdorbnen Liederlichen Hünen zählen, Die in allen Sagen spuken. Nein, ich will auf meinem Sarg Einst die Inschrift: 'Hier, o Wandrer Ruht der jungfräuliche Riese!' – Arme Balsamine! Wärst du Nie was andres mir gewesen, Als ein frommer, stiller Maître! Wunderbar, daß ich doch alle Meine Lehrer muß ermorden! O, das Schicksal ist wahrhaftig Eine Nuß, die aufzuknacken, Kein Verstand besitzt die Zähne. Still! Vom Grübeln wird man mager, Sei ein Mann, und schone deiner! Alle Menschen sind ja sterblich, 's ist ein Übergang! Das bißchen Tod ist kaum der Rede würdig. Sie hat's gut, sie geht zur Ruhe, Ich bleib' hier im Tal der Schmerzen, Ihr wird wohl! – Na, mir wird besser. Noch drei Tage soll sie leben, Sterben an dem vierten Tage!« Süße Minne! Rätselnacht! Labyrinth der Liebeswege! 5. Die Fee im Walde 5. Die Fee im Walde Traurig unter grünen Buchen, Auf dem Stiel von einem Farnkraut Saß der Held, Don Tulifäntchen. Nachgedankenvoll daneben Stand der Schimmel, der loyale, Stand der treue Zuckladoro. Über Tulifäntchens Gramhaupt Hing sein ritterlich Gewaffen An der Binse schwankem Ästlein, Hing der starke Silberlingsschild, Hing das blanke Federklingschwert, Müßig, angegelbt vom Roste. In den Sand schrieb Tulifäntchen Mit dem Fuße Zeichen, trübe, Und der Schimmel hing die Ohren. Beiden schwoll der tapfre Busen Von herzkränkender Empfindung. Aber, was verdroß den Helden? Was hat ihm den Mut verdüstert? Weißt du es, so sag es, Muse. Doch sie schüttelt eigensinnig Ihr ambrosisch Haupt, so spricht sie: »Wenn der Dichter sich verfahren, Und der Wagen steckt im Moore, Soll'n wir Götter Vorspann geben. Nein, mein Freund, nun hilf dir selber, Frag den Helden, was ihn schmerzet? Schaff den Rat, du schufst die Sorge, Mir gilt's gleich, wenn Tulifäntchen Ewig sitzen bleibt im Walde, Und am schwanken Binsenaste Schwertlein, Schildelein verrostet.« Eigensinn'ge Göttin, böse! Ja, ich helf', ich helf' mir selber. – Alte, die du dort das Reisig Suchst im Wald mit Mühe, keichend, Alte, komm, sei du die Muse, Führe du das Epos weiter! Trippelnd trat die Alte, hüstelnd Zu dem Helden, dem betrübten, Setzte sich aufs Bündel Reisig, Das sie las im Wald und sagte: »Held, warum so hypochondrisch? Ward dir deine Liebste untreu? Sprang dein Schild? Zerbrach das Schwertlein? Lahmt dein unvergleichlich Kampfroß?« Sprach der Held, Don Tulifäntchen: »Schimmel geht noch Schaukelpaßgang, Schwert und Schild hängt heil am Aste, Keine Liebste ward mir untreu, Denn mir fehlt der Schatz bis jetzo, Doch verstimmt und höchst verdrießlich Ist der Sohn Don Tulifants.« Ihm versetzte drauf die Alte Hüstelnd auf dem Bündel Reisig: »Jene drei erwähnten Dinge, Waffenschaden, Damenuntreu, Spat am Schlachtroß, sind die einz'gen, Die mit Recht in Trübsal dürfen Stürzen einen tapfern Degen.« Schüttelnd drauf sein kleines Häuptlein, Sprach der Held, Don Tulifäntchen – (Schimmel, der ihm alles nachmacht, Hat gleichfalls den Kopf geschüttelt) – »Noch ein viertes Ding wohl gibt es, Schwerer als die drei, das schwerste Für ein adliges Gemüte. Kennst du überseh'ne Helden? Ich bin so ein Überseh'ner! Eine Welt in meinem Busen, Eine Welt von kühnem Tatdrang, Werd' ich ganz und gar verachtet! Schon drei Tage lagr' ich stillwild Vor dem Schlosse von Brambambra, Schon drei Tage klopf' ich trutzvoll An die eh'rne Flügelpforte, Schon drei Tage fordr' ich schlachtheiß Meinen Gegner Schlagadodro Mir herab auf Schwerteskampfstreich; Doch mein Lagern, doch mein Klopfen, Doch mein wildes, zorn'ges Fordern Ist vergebens, nicht bemerkt er's. Seine Augen übersehn mich, Seine großen Ohren hören Nicht mein Dringen, Zürnen, Schelten. Vor dem Baum, dem Bauer, Schäfer, Vor der Luft und vor der Sonne Werd' ich, wehe mir! zum Spotte. Ungerächt bleibt Fis von Quinten, Ungerettet Balsamine, Wie besteh' ich vor der Kön'gin? Meine Bahn ist aus. Der Stern fiel Meines Glückes in den Abgrund! Wär' ich ein'ge Ellen länger! Ich verfluche meine Kleinheit.« Sprach's, und in dem Auge glänzt' ihm Schwer und heiß die helle Zähre. Und die Alte nahm ihn sänftlich Auf den Schoß, strich ihm die Wangen, Strich die weichen, blonden Haare. Schimmel sank auf beide Kniee, Wollte seinen Herren trösten, Leckte mit der Zung', der breiten, Über Kopf und Brust und Beine, Hätt' ihn fast dabei verschlungen. Und es sprach die Alte hüstelnd, Sitzend auf dem Bündel Reisig: »Sohn, beruh'ge dich! Beruh'ge Dein geliebtes Herz, sei heiter! Sieh, ich sage dir: Zur Stunde Fällt von deiner Faust Brambambra, Und dem Riesen und den funfzig Mohren bringt der Sturz den Garaus.« Sprach der Held, Don Tulifäntchen: »Willst du meiner spotten, Mutter? Kannst du machen lang die Kürze?« Darauf sprach die Alte hüstelnd, Sitzend auf dem Bündel Reisig: »Nicht will deiner spotten, Sohn, ich, Nicht verlängr' ich deine Kürze. Horche zu. Ein groß Geheimnis Künd' ich dir; faß meine Worte.« Tulifäntchen sah ins Aug' ihr, Welches glüht' in Purpurfeuer, Seltsam, geisterhaft, doch traulich. Zucklador', der ganz getreue, Hielt sein Ohr an ihre Lippen. Achtsam lauschten Held und Schimmel. Also drauf begann die Alte, Sitzend auf dem Bündel Reisig: »Dir bekannt ist, daß der Riese Seine vielgeliebte Mauer Fert'gen ließ von einem Künstler, Der aus England kam. Nun, dieser Gentleman war seines Volkes, Des maschinengrübeltiefen, Tiefster Grübelmaschinist. Mühlen, Spritz- Gieß- Wasserwerke, Kettenbrücken, Eisenbahnen, Tunnel, Säg- Dresch- Klopfgetriebe Taten seinem Geist nicht G'nüge. Höher, immer höher stieg er An dem Himmel der Erfindung, Und aus richtigem Erwägen, Welch Unheil ein Weib oft stiftet, So aus Fleisch und Bein gebaut ward, Wieviel Ärger das Gesinde Zeugt, das Mensch ist, gleich der Herrschaft, Hatt' er einen Dampfbedienten Sich gemacht, und eine Dampffrau, Die ihm förmlich angetraut war. Dampfbedienter, Dampfgemahlin Taten ganz dieselben Dienste, Wie zwei Menschen simpeln Schlages. Sieh, so hoch stieg die Mechanik In Alt-England! Nun hör weiter! Jener Gentleman sprach denkend Zu der dampfmaschinenschwangern Hebel-räderträcht'gen Seele: ,Warum Nägel, warum Schrauben? Warum Krampen, Kitt und Mörtel, Baut man eine Mau'r von Eisen? Mit so kümmerlichen Mitteln Halfen sich die blinden Alten; Das Jahrhundert will Ersparnis Aller überflüss'gen Kräfte'. Und er tat, wie er gesprochen, Auf der Höhe von Brambambra. Setzte Platt' an Platte trocken Ohne Kitt, bloß in die Falzen, Mied die Nägel, mied die Schrauben, Mied die kümmerlichen Mittel, Womit sonst man Sachen festmacht. Einen einz'gen dünnen Stift stieß Ins Scharnier ein, in dem Schwerpunkt Jener Gentleman. Der Stift hält, Dieser einz'ge Stift, das merke, Hält die ganze Riesenmauer.« Auf vom Schoß der Alten glühend Sprang der Held, Don Tulifäntchen, Schimmel auch sprang auf ganz kühnlich, Und schlug aus vor Freude, was er Nicht getan seit langen Zeiten. »Wo sitzt dieser Stift? Das sag mir«, Rief der Held, Don Tulifäntchen. Ihm versetzte drauf die Alte: »In dem Löchlein links der Pforte, Sitzet dieser Stift der Stifte. Ganz umsonst hätt' einem Manne Von gewöhnlicher Statur ich Solche Heimlichkeit verraten. Denn das Loch ist just so groß nur, Daß ein Held von deiner Länge Kriechen kann in seine Öffnung. Dieses ist die Zeit der Kleinen, Sag' ich, wie an deiner Wiege Ich's gesaget deinen Eltern.« Und vor den erstaunten Augen Tulifäntchens, Zuckladoros Wirkte sich ein Wunder, freud'ger, Als die dürren von Alt-England. In der Alten Angesichte Glätteten sich alle Runzeln, Weiß und Rot und süße Fülle Keimt' und reift' auf welken Wangen, An den Schultern sproßten Flügel Goldenschillernd, blaubepunktet, Das Gewand fiel ab vom Leibe, Samt dem Strick, der es gefestet, Und in nackter Götterschönheit Stand die zarte Fee Libelle, Regenbogenglanzumwoben! Nieder in den Staub der Held sank, Doch die Fee sprach mild, wie Flöten: »Fürchte nichts, o mein Erkorner! Auf! In diesen Armen trag' ich Durch die Luft dich nach Brambambra.« Tulifäntchen griff betäubet Nach dem Schild, dem guten Schwertlein; In die Arme nahm, die seidnen, Fee Libell' ihn, drückt' ihn zärtlich An die Brust, die sammetweiche, Gleich der Mutter, die das Kind herzt. Stieß am Platz den zarten Fuß auf, Wie der Rudrer stößt vom Land ab, Hob sich in die Lüfte, spreitet' Aus die Flügel, goldenschillernd, Flog, den Helden lind im Arme, Felsenauf durch Klipp' und Dickicht. Aber, wo ihr Fuß getreten, Sproßten duftreich Hyazinthen, Und ein Streif von rotem Lichte Zog sich, wo die Fee geflogen, Nach der göttlichen Erscheinung. Schimmel stand verdutzet, schnobernd, Roch die Blumen an, der Zweifler. Sprang dann, ein bekehrter Heide, Felsenauf, dem roten Glanz nach, Nach dem Helden, der begünstigt Schwebt' empor in Geisterarmen. 6. Schlagadodros Tugend und Fall 6. Schlagadodros Tugend und Fall Balsamine! Schlagadodro! Macht der Schönheit! Kraft der Tugend! Auf der Mauer saß der Riese, Mit den Beinen düster baumelnd, Tief im Herzen schwarzen Vorsatz, Traurigkeit im finstern Auge Über seine strenge Tugend, Die ihn morden hieß, den Guten. Und er sprach zu seinen Mohren: »Grabet eine Gruft, sechs Schuh tief, Unterm Ringe dieser Mauer! Meine Liebste schlag' ich heute Tot, und werf' hinab die Leiche.« Knull, der Obermohr, die andern Kohlpechschwarzen Untermohren Neigten sich und gingen eiligst, Schaufelten das Grab sechs Schuh tief An der Mauer von Brambambra. Kam die Zofe Violette, Sprach mit ihrem schnipp'schen Munde: »Meine gnädigste Prinzessin Läßt Euch fragen, langer Recke, Weshalb Ihr seit dreien Tagen Gänzlich sie vermieden habet? Seit drei Tagen sitzt Ihr, baumelnd Mit den Beinen, auf der Mauer, Kommt nicht mehr zum Tee, zum Essen; Die Prinzessin heischt Erklärung Wegen dieser großen Grobheit.« Es versetzte Schlagadodro, Ungeschlachtens Sohn und Erbe: »Ich vermeide Tee und Essen, Sitze baumelnd auf der Mauer, Meine Unschuld vor Verführung In der Einsamkeit zu schützen.« Maulend ging hinweg das Zöfchen, Zu der Mohren Schaufelchore Rief hinab der Tugend-Riese: »Grabt ein zweites Loch, ihr Schwarzen, Dran soll auch die Kammerkatze!« Unten auf der Felsenplatte Aus dem Arm der holden Schütz'rin Sprang der Held, Don Tulifäntchen. Schlug's Visier auf, tapferkühnlich, Von dem Helm von Haselnußschal'. Sprach zur goldbeschwingten Fee: »Göttin, was beginn' ich jetzo?« Drauf versetzte Fee Libelle Mit den goldenblauen Flügeln: »Dieses sage dein Gemüt dir. Deine Tat sei deines Herzens Eingebornes Kind, Geliebter.« Sprach der Held, Don Tulifäntchen: »Mir gebeut das Herz, das edle, Erst noch einmal Schlagadodro Herzufordern mir zum Schwertkampf, Ehrlich, auf den freien Streitplan. Denn die List gebraucht der Wackre Nur, wenn offne Schlacht versagt ist.« Ihm die Augen küssend, sprach Fee Libelle: »Handle also! Du bist immerdar derselbe.« Und hinauf rief Tulifäntchen Zu dem tugendhaften Riesen: »Komm herab, du Kornverderber! Komm herab, du Schafverschlinger! Komm herab, du Äpfelfresser! Luftzerreißer! Sonnenfeind! Komm herab, du Mörder Quintens! Komm herab, Prinzessinräuber! Vor sein Schwert zum letzten Male Lud der Sohn Don Tulifantens Nieder deinen langen Leib!« Oben sagte Schlagadodro, Ungeschlachtens Sohn und Erbe: »Wie das Heimchen unten zirpet! Unglückseligste Prinzessin, Dieses Heimchen singt dein Grablied.« Rief der Held, Don Tulifäntchen: »Nicht einmal mir Antwort gibt Dieser schändlichste der Riesen! Ha, so büße deinen Hochmut!« Rief's, und ging, und kroch ins Löchlein Links der Pforte. Fee Libelle Schwebte nah' im Sonnengolde, Schimmel trabte ausgelassen, Wie verrückt, rings um die Mauer. Balsamine! Schlagadodro! Macht der Schönheit! Kraft der Tugend! Kam die Zofe Violette, Sprach zum Riesen, schnipp'schen Mundes: »Meine gnädigste Prinzessin Will mit Euch Französisch treiben, Sie erwartet Euch im Diwan.« Riese, Riese, laß die Tugend! Unter dir miniert das Schicksal. Geh zur genialen Schönheit, Zur lavendelduft'gen Fürstin! Es erseufzte Schlagadodro, Ungeschlachtens Sohn und Erbe, So ganz überaus erschrecklich, Daß die Zofe Violette Ward vom Luftzug umgeworfen. Darauf sprach er: »Dieser Seufzer War der Menschheit Überbleibsel, Jetzo fühl' ich mich als Halbgott. Sage deiner Herrin, eilends Soll sie sich zu mir verfügen! Du kommst auch mit, schnipp'scher Grasaff'! Damit holla, punktum, basta!« Zitternd raffte sich das Zöfchen Auf und ging. Der biedre Riese War allein mit seiner Größe. Sprach: »Zwei Dinge kenn' ich einzig, Die mir einzuflößen Ehrfurcht Sind imstande. Nämlich erstens, Mein Charakter. Darauf zweitens, Diese Mauer. Beide passen Wie gegossen aufeinander, Ganz massiv sind alle beide, Für die Ewigkeit gegründet. Bagatellen sind dagegen Höll' und Himmel. Wohl das beste Wär's, ich gäb' den ganzen Kram auf, Religion und Gott und Teufel, Glaubte künftig an mich selbst nur, Und an meine eh'rne Mauer! Doch wie ist mir denn? Was wackelt Also seltsam unterm Kreuzbein?« Und es bebt' und wippt' und wiegte Und es schwankt' und schwappt' und schwaumelt' Und es kreischt', es riß, zerspliß, Ritz an Ritz, die Mauer rings! Und es stöhnt' und schrie und jaulte Zeternd Schlagadodro, brüllend Sank er in zerborstne Klüfte. Und es schwand und starb sein Laut hin Ins Getöse, das wild aufdrang Aus dem neugebornen Chaos. Schollernd, knallend, krachend, platzend Rutschten nieder die gelösten Eisenstücke, Eisenbalken Quetschten sich dazwischen gellend! Türme nickten, stürzten drüber, Diese Balken überwuchtend, Und sie brachen! Und hinunter Stürzten Balken, Stücke, Türme, Die zerrissen in dem Absturz! Wirrsal, Strudel, Stumpfen, Qualmschutt, Donnertosende Zerstörung, Fiel die große Riesenmauer, Fiel die Mauer von Brambambra! – Aber unter Donnersturz-Graus Stand der Held, Don Tulifäntchen, Festgelehnt aufs Schwert, das gute, In den Lärmen blickend freudig Aus den unbewegten Wimpern, Wohlbeschützt. – Ob seinem Haupte Flatterte die Fee beschirmend, Ausgespannt die beiden Flügel, Wie ein Dach; so wahrte gütig Die Unsterbliche den Helden. Platten, Stein' und Balken glitten Federn gleich, vom Wind verhauchet, Links und rechts vom Haupt des Helden Nieder auf den Boden harmlos. Wohl dem Manne, dem die Götter Schützen das geliebte Leben! Lange stand er so. Der Qualm zog Um die wilde Trümmerstätte Schwer, erstickend, deckendichte, Lang', die Aussicht ihm verbergend. Als der Himmel wieder blaute, Sprach der Held, Don Tulifäntchen: »Göttliche, wenn dir's genehm ist, Laß uns schaun des Tages Opfer!« Ihm versetzte Fee Libelle, Faltend ihre goldnen Flügel: »Das geschehe, wie du's wünschest.« Und sie faßt' ihn bei der Locke, Schritt voran, voll freud'gen Trotzes Folgt' ihr nach der kleine Kampfherr, Und so gingen Held und Fee Über Trümmer durch das Schlachtfeld. 7. Die Toten 7. Die Toten Erst gelangten sie zum Platze, Wo der Riese lag, der Biedre, Sechs Feldlängen Wegs bedeckt' er, Ihm zerbrochen war das Kreuzbein, Und er jappte noch ein kleines. Tuend auf den Mund, den großen, Sprach der Riese Schlagadodro: »Fremdlinge! Wofern ihr Scheu tragt Vor der Sterbenden Geboten, Setzt mir einen Stein, und schreibet Drauf: 'Hier ruhet aus ein Riese, Dem die Tugend ward Verhängnis. Hätt' er nicht auf seiner Mauer Voll Enthaltsamkeit gesessen, Nein, dafür mit seiner Liebsten Ein französisch Buch gelesen, Brach er nimmer sich das Kreuzbein. Dieses lehrt: Auch in der Tugend Halte Maß! Beweine, Wandrer, Unsern jungfräulichen Riesen! Ungeschlacht hieß sein Herr Vater, Tramplagonde die Frau Mutter, Doch er selbst hieß Schlagadodro.'« Sprach der Held, Don Tulifäntchen: »Was du bittest, scheint mir billig. Rüsten werd' ich dir das Grabmal Nach den Worten deines Mundes.« Und der Riese starb beruhigt, Sicher seines Keuschheitsnachruhms. Weiter gingen Held und Fee Über Trümmer durch das Schlachtfeld. Rings um zwei gegrabne Gräber Lagen funfzig schwarze Mohren, Alle tot und schon erkaltet. Sprach der Held, Don Tulifäntchen: »Göttliche, sieh dieses Wunder! Alle funfzig schwarze Mohren Brachen gleichfalls ab das Kreuzbein, Also zählen wir bis jetzo Einundfünzig Brüch' am Kreuzbein, Gleiche Wunden, gleicher Bruch wie Bei dem Herrn, so bei den Sklaven!« Ihm versetzte Fee Libelle, Flügelschwingend, rosiglächelnd: »Auf dem Schlosse von Brambambra Galt ein unbedingt Gehorchen, Was der Herr sich abgebrochen Brachen aus Respekt die Sklaven Gleichfalls ab, im Tod noch Knechte.« Frug der Held, Don Tulifäntchen: »Göttliche, wo blieb der letzte Einundfünfzigste der Mohren?« Ihm versetzte Fee Libelle: »Dieser war kein echter Schwarzer, Hatte sich nur angeschwärzet, Um in Dienst bei diesem Riesen Zu gelangen. Seines Zeichens War er ein Professor Deutschlands, Welcher liest die Nibelungen Auf dem neugeschnitzten Lehrstuhl. Zu des Lieds Verständnis braucht' er Blick und Einsicht in die Tiefen Einer ungeschlachten Wirtschaft, Darum ward er hier Bedienter. Heute morgen leis' entschlüpft' er, Denn sein Studium war vollendet.« Weiter schritten Held und Fee Über Trümmer durch das Schlachtfeld. Unter zwei geborstnen Balken, Fanden sie, beströmt von Blute, Einen Mann in grünem Biber, Lang und hager, das Gesicht glich, Länglich, dem Gedankenstriche. Neben ihm stand ein betrübter Diener in Livree, ein Frau'nbild, Beide jammernd nach dem Takte. »Wes die Leiche? Wer die beiden?« Frug der Held, Don Tulifäntchen. »Dieser ist der Mann aus England«, Sagte Fee Libelle lächelnd, »Der maschinengrübeltiefe, Der Erbauer dieses Werkes. Er kam her auf seinen Reisen, Wollte nachsehn an der Mauer, Ob noch alles wohl im Stand sei? Da erschlug ihn seine Mauer. Was wohl nicht geschehen, hätt' er Mehr als einen Stift verwendet, Kitt gebraucht und Nägel, Schrauben, Nach der dunklen Alten Weise. Dieses lehrt: Auch in Mechanik Halte Maß, wie in der Tugend! Träger aber sind des Leides Dampfbedienter, Dampfgemahlin.« Wundernd schaute die Gebilde An der Held, Don Tulifäntchen. Menschen schienen sie vollständig Von gewohntem Fleisch und Beine, Nur am Hinterkopf bemerkt' er Eine Röhre, klein von Eisen, Aus der Röhre stieg ein Rauch auf, Zeichen ihrer innern Gluten, Angefacht von Kohlenfeuer. Schalkhaft drehte Fee Libelle Einen Hahn, den beide trugen An dem linken kleinen Finger. Zischend, gischend schoß ein Dunst vor, Wurde schwächer, beide schnappten Plötzlich ab in einem »Ach!« Nicht vollendend ihre Klage; Blieben stehen, fühllos, starr, Wurden kalt wie Eis, so schloß sich Dieser Dampfmaschinen Gram. Weiter schritten Held und Fee Über Trümmer durch das Schlachtfeld. Ach, da lag am stillen Platze, Unter Tränenweiden, falben, Ach, da lag ein teurer Toter, Ach, da lag mit blut'gem Haupte Zucklador', der treue Schimmel! Jammernd sah ihn Tulifäntchen, Warf sich auf des Gaules Leichnam, Und so tönt' er aus sein Wehe: »Ach, mein Roß, mein liebes Rößlein! Ach, mein vielgetreuer Schimmel! Ach, du Herz von meinem Herzen! Ach, du Seele meines Lebens! O wie ist mein Sieg verarmet! Ach, nun hab' ich keinen Freund mehr Auf der Erde! Ach, mein Rößlein, Ach, mein Schimmel, lieb und brav!« Und gerührt sprach Fee Libelle: »Hätt' ich doch auch diesen schirmen Können mit den Götterflügeln! Doch wer denkt, wer denkt an alles?« Tulifäntchen lag und klagte, Fee Libelle sagte tröstend: »Nun erheb dich, Held! Das Schicksal Fordert Zoll selbst von den Göttern. Aphroditen ward Adonis Von des Ebers Zahn zerfleischet, Große Taten kauft nur Blut, Und der Liebsten blasse Leiche. Mauerstürzer, Riesensieger, Auf! Erheb dich! Pflanz dein Schwertlein In den Schloßhof deines Erbes, Denn die Burg war deiner Väter. Führ zur Mutter die Prinzessin, Welche liegt, vom Knall betäubet, In den Schlingen tiefer Ohnmacht!« Ernst erhob vom toten Rosse Sich der Paladin, und sagte: »Folgen wir denn unsrem Stern! Die Ruinen, jener Tote Sagen uns: wie auch der Lorbeer Festlich unsre junge Schläfe Heut umgrünet, gleich dem Pfande Eines ewiglichen Glückes, Daß wir gleichfalls können werden Die Ruine von uns selber, Und daß wir durch keinen Sieg Sieger werden des gemeinen Loses aller Staubgebornen.« Sprach's. Durch Trümmer in den Schloßhof Ging die goldbeschwingte Fee, Ging der Held, Don Tulifäntchen.