Aus Berlins Vorzeit (Eine persische Erzählung.) Ich hab's gewagt mit Sinnen Und trag' deß noch kein' Reu. Hutten. 1. In Ispahan Das war zu Ispahan. Da hatten die Schloßgärten sich aufgethan Seit fünfhundert Jahren zum erstenmal wieder, Und fluthend wogt es auf und nieder In den Laubgängen und Gewinden, Unter Blumengehängen und Gebinden, Und es war ein Drängen und ein Winden Und ein Wallen und ein Wandeln Zwischen Granatbüschen und Mandeln, An Jasmin vorbei, an Tulpen und Anemonen, Unter den herrlichen, hohen Platanenkronen. In prangenden Festkleidern sah man da Aus ganz Persien von fern und nah, Von Ost und West, von Nord und Süd, Wie ein Zug Bienen zum Korb einzieht, Eine Menge Menschen ziehen heran Aus Teheran Und Ispahan, Aus Kaschan, Kerman und Hamadan, Von der Wüste aus Jeschd Und vom Meer aus Rescht, Aus Tabbas Und Schiras, Aus Asdrabad Und Harunabad, Und vom Nachbarreiche aus Bagdad, Der altberühmten Khalifenstadt. Es war das hohe Fest des Naurus, und hieran Knüpft sich ein uralter Brauch in Iran. Vor undenklichen Zeiten von Dschemschid gegründet, Ist es ein Fest, das da verkündet Den Neujahrsangang Und Frühlingsanfang Und Wintersausgang Mit Einklang und Ausklang; Wo Jung und Alt jubeln und sich freuen An dem Abschied des Alten und Gruß des Neuen, Wo alle Welt, so Groß wie Klein, Froh ist, der alten Qual los zu sein, Und an allen Ecken und allen Enden Mit Händedrücken, Geschenkespenden Der neuen Zeit, die nun will kommen, Entgegenruft: willkommen! willkommen! Es hat aber heuer Ein Umschwung, gewaltig und ungeheuer, Für Persien bewirkt eine Doppelfeier. Das war die Wiedererregung Des alten Reichs und die Rückverlegung Der Hauptstadt des Landes aus Teheran Nach Ispahan, Nach Persiens gartengeschmücktem Schoße, Wo einst residirte Schah Abbas der Große. Darum war überreicher Jubel heute Und Schaugepränge und Festgeläute In allen Straßen Ispahans, in allen Alleen Und auf allen Plätzen vor den Moscheen; Aber in den Gärten des Schah, im Palastgebäude, Da war der Gipfelpunkt der Freude. Vor allen Gärten Ispahans wie Türkise, Glänzten die Gärten der acht Paradiese, Und darinnen lag umgeben ganz Von Festesschmuck, in Märchenglanz Der Kaiserpalast, der erinnerungheilige, Mit Namen genannt der vierzigsäulige. Vor seinem Eingang staute sich enge Der Strom der geladenen Volkesmenge, Und sie schritten zu Hauf Die Marmorstufen hinauf, Wo die löwengetragenen Säulen stehen, Dahinter in der Halle die Springbrunnen gehen, Die murmelnd und plätschernd Kühlung wehen. Ueber den Marmorboden zogen hier Die Schaaren durch die Bogenthür Und sammelten sich alsdann zumal In dem spiegelumglänzten Säulensaal. Mit Bildern bedeckt sind all seine Wände, Und wohin sich auch immer das Auge wende, Es schauet der Herrlichkeiten kein Ende. Worauf beim Eintritt Jeder zuerst hinblickte, Das war der reich ausgeschmückte, Perlengezierte Thron vom Schah. Auf einer Estrade stand er da, Und von seinen sammetnen Sitzen Sah man die Edelsteine blitzen. Aber wie nun im Saale der Männer Schaar Zur Rechten vom Throne gelagert war, Siehe da rauschten herauf an dem Marmorgeländer Genüber zur Linken seid'ne Gewänder, Und es begann sich dort zu entfalten Eine Fülle von duftigen Frauengestalten. Ueber die Gesichter und schlanken Glieder Fielen Turbanshawls und Schleier nieder, Aus deren Oeffnungen die dunkeln Augen funkeln, Die herniederblitzten in den Saal als Späher, Und den Männern schlugen die Herzen höher. Ein Trompetenstoß erklang, darauf erschienen Mit stolzen, vollgewicht'gen Mienen Die Minister des Schah, die Würdenträger, Des Reiches Lasten- und Bürdenträger. Sie gehn feierlich die Estrade hinauf Und stellen sich neben dem Throne auf. Einer aber aus ihrer Mitten, Der Minister der Künste und schönen Sitten, Unter zweimaligem Trompetenrufen Trat hervor vor des Thrones Stufen Und verkündete mit Händewinken, Darauf es stille ward zur Rechten und Linken: Den Bewohnern Persiens von fern und nah Entbietet des Reiches Herr, der Schah Durch meinen Mund Gruß und Gnade zuvor Und diese Mahnung in euer Ohr: Ein Märchenerzähler ist heimgekehrt, Der dem Schah ist lieb und werth Und den er hochhält und verehrt, Der in seinem Munde hat aller Vögel Schall Und die tausendstimmige Nachtigall, Der in seiner Sprache Wunder birgt, Und mit Worten Wunder wirkt, Seine Verse sind wie Zuckerrohr, Und Blüthenduft steigt aus ihnen empor. Zu des Neujahrsfestes Krönung, Zu des heutigen Tages Glanz und Verschönung Soll klingen seines Liedes Tönung. Da ist es aber der Wunsch des Schah, Daß nicht geschieht, was sonst geschah, Worüber ein jeder Verständige klagt, Daß, wenn der Erzähler was Schönes sagt, Gleich unter den Hörern ein Beifall begann Und ein Klatschen, das sich höret an Wie das Kesselschmieden in Kaschan. Also ist es sein Wille, Daß Jeder lausche fein stille, Daß man nach diesem Ferman thue Und den Erzähler anhör' in Ruhe. Und das läßt der Schah den Männern einmal Sagen und den Frauen zweimal. – Drauf trat er zurück der Sittenminister, Und rings herum erhob sich ein Geflüster. Wieder ein Trompetenstoß erklang, Und jetzt erschien mit bescheidenem Gang Den verkündet hatte der Lobgesang. Und all die schönen Augen der Frauen, Die dunkelbraunen und blauen, Die guckten auf ihn mit Neugiergrauen, Und war doch gar nichts Besonderes an ihm zu schauen; War nur bekannt im Land Als einer, der es gewandt verstand, Zum Ohrenschmaus und Genuß der Seelen Gute Märchen gut zu erzählen. – Und er sah sich um und ergötzte sich An dem Staunen rings und setzte sich Auf den Teppich nieder gegenüber dem Throne Zwischen dem Männersitz und dem Frauenbalkone. Alsbald erscholl eine wunderbare Jubelklingende Trompetenfanfare, Und da Trat herein des Landes Gebieter der Schah, Strahlend in der Diamanten Licht, Mit ernstem, bleichem Angesicht, Und der schwarze Bart, der es umgab, Fiel ihm bis auf die Brust herab, Wo das goldbrokatene Gewand Festhielt ein funkelnder Diamant. Mit Neigen und mit Grüßen An die glänzende Versammlung zu seinen Füßen Ließ er nieder sich auf den Thron und nahm Vom Pfeifenträger, der zu ihm kam, Den Tschibuk und raucht ihn lobesam, Dann lehnt er sich zu behaglicher Ruh Und nickte dem Erzähler zu. Und der erhob sich, Durchblickte die Versammlung frohbewußt, Legte die Arme über die Brust Und neigte sein Haupt und verbeugte sich fünfmal, Vor dem Schah einmal Vor den Frauen zweimal, Vor den Männern einmal Und wiederum vor dem Schah einmal. Dann ließ er sich wieder Auf den Teppich nieder, Noch ein wenig sann er, Und so begann er: Hochmächtiger Schah! Es sei dir das Neujahr Ein Lust- und Freujahr, Ein Glückausstreujahr Und niemals ein Reujahr! Sei du der Armen Hirt und Hort, Der Hungrigen Wirth und der Zufluchtsort Der im neuen persischen Reich Unterdrückten, Durch Elend Gebeugten, im Unrecht Gebückten. Wo dein Name wird genannt, Sei die Geldgier unbekannt, Daß durch Gerechtigkeit gesegnet sei Und alle Zeit schwell' und gedeih' Die Wohlfahrt des Landes wie eines Stromes Lauf, Und an seinen Ufern blühe auf Die wunderbare Blume des Schönen, Die immerdar den Wohlstand muß krönen. Hochmächtiger Schah! Wie seiner Zeit Saadi, der Held, Durchzog ich weit und breit die Welt, Und ward mir auch nur der tausendste Theil Von seiner Erkenntniß dabei zu Theil, So zähl' ich es mir zum Ruhm und zum Heil. Nun kam ich zurück, bin hierher entboten, Und du hast mir zum heutigen Fest geboten, Dir zu berichten von einer Stadt, Die deine hohe Bewunderung hat. Mit Namen ist sie genannt Berlin, Und beginnt die Augen auf sich zu ziehn Der Welt und zu strahlen in hellstem Lichte Durch ihre Gegenwarts- und Zukunftsgeschichte. Nun war ich dort, und mein Wort betheuert, Daß sie nach einem Ziele steuert, Das groß und erhaben einst wird kund Ueber die Städte vom Erdenrund. Aber auch aus ihrem Innern Weiß ich an Manches mich zu erinnern, Was als groß und selten Und einzig in seiner Art zu gelten Vor andern wohl sich darf getrauen, Und manche schöne Perle der Frauen Und Naturwunder auch sind dort zu schauen, Wenn man beim Regen mit einmal im Strome steht, Oder wenn der Sand-Samum durch die Straßen weht, Der den Bewohnern über alles geht. – Bei diesen aber herrscht vor allen Dingen, Von denen ich heute dir will singen, Eine Begeisterung und Voreingenommenheit Für ihrer Stadt Vollkommenheit, Die oft nicht anders als kindlich ist Und für den Fremden empfindlich ist. Wen sah die Welt so klug als Abdul Saadi? Aber wenn heut Saadi leibhaftigermaßen Wieder wandelte durch unsere Straßen, Und du wolltest kühn mit stolzem Wagen Ueber ihn einen Berliner fragen, Wird er dir achselzuckend sagen: Das ist der Saadi? So sieht er aus? Den haben wir klüger bei uns zu Haus. – Wenn aber ein Esel auf ihrer Straße fällt, Gleich haben sich hundert dazu gesellt, Aus fern und nah, Die stehen da Gedrängt wie die Fruchtbeeren bei den Hollundern Und fangen an, ihn zu bewundern. – Aber frisch ist das Volk, voll Saft und Mark Und von innen heraus gesund und stark Und unverzagt wie im Winter die Meisen, Und arbeitsam wie die Ameisen, Und wer bei ihnen längere Zeit nur blieb, Ich versichere dir, der gewinnt sie lieb. Du triffst bis heute dort keinen Dichter, Aber der Wissenschaft leuchtende Lichter Und Sprachengelehrsamkeit, darin du Findest den Buschmann und den Hindu, Den Altägypter und die Indianerrotten, Den Eskimo und den Hottentotten. Nun willst du, daß ich ein Märchen erzähle Aus dieser Stadt mein Stücklein wähle, Um Zeugniß zu geben Von ihrem Thun und Treiben und Leben, Von ihrer Verwaltung und Lenkungsart Und Geistesgestaltung und Denkungsart, Und dies Märchen, mit bunten Bildern gefüllt, Soll sein der Wahrheit Spiegelbild. Hochmächtiger Schah! Die Wahrheit zu sagen ungeschminkt, Ist ein Wagstück, worin selten Belohnung winkt, Wer aber die Wahrheit offenbart Aus der Gegenwart, Der muß versehen mit Waffen sein aller Art, Zu bestehen den Kampf, der seiner harrt, Muß gepanzert sein bei sich aufs best' Und hieb- und stich- und kugelfest. Weil aber solch Kampf ist mißlich, Mehr verdrießlich, Als sehr ersprießlich, Hab' ich es vorgezogen heut In Hoffnung deiner Gewogenheit, Zu erzählen in Unbefangenheit Ein Stück aus Berlins Vergangenheit, Zu dichten und zu berichten ein Märlein, Das dort geschah vor etwa vierhundert Jährlein. – Nun merket allauf und spitzet die Oehrlein.