Calidor (Ein Fragment) Jung Calidor durchquert im Boot den See. Sein Geist ist wach, ist voll vom schönen Weh, In das der Abend sich so liebend kleidet, Weil er nur ungern von der Erde scheidet. Noch zögert rings ein letztes warmes Licht. Zum blauen Himmel hebt er das Gesicht Und lächelt lang hinauf in klare Runde, Bis er im Herzen fühlt die Sehnsuchtswunde; Da wendet er den Blick zum sanften Bogen Der Uferböschung und ins Blätterwogen Der Bäume, die sich schattend niederneigen Und sich im See die zarten Blüten zeigen. Sein froh begeistert Auge folgt dem Schwung Der flinken Schwalbe durch die Dämmerung, Wie sie so launisch auf und nieder schwebt, Bald tief zum Wasser stößt, bald hoch sich hebt, Jetzt mit der Brust die kühle Nässe streift, Jetzt unsichtbar in blauen Höhen schweift. Nun hebt sich seines Bootes scharfer Kiel Und gleitet leicht durch krauses Wellenspiel Hinein in breites Wasserlilienbeet: Wie weiß ein jeder Blütenbecher steht Und Tau erhoffend auf zum Himmel schaut. Ganz nahe hier liegt voll von Busch und Kraut Ein Inselchen: von dort genießt man gut, Wie schön der See in seinem Ufer ruht, Das sich zum Fuß der blauen Berge dehnt; Doch keiner, der mit warmem Herzen sehnt Und klaren Auges sieht, was die Natur An Schönheit zeigt auf beider Ufer Flur, Geht leicht vorbei; sie grüßte Calidor Heut sanfter noch als alle Zeit zuvor. Seitwärts die Wipfel, reich in Gold gekleidet, – Die frohe Sonne schenkt es, eh sie scheidet – Draus ab und zu der Eichelhäher schießt Und bunte Schönheit in die goldne gießt. Ein alter Turm mit sturmzerstörten Mauern, Zu stolz, um einstige Größe zu betrauern; Schwarz wacht beim grauen Grab die starre Fichte Und wirft zu Boden ihre harten Früchte. Das Fischerkirchlein, dicht vom Epheulaube Umkränzt bis hoch zum Kreuz; die weiße Taube, Die auf dem Fenster glättet ihr Gefieder, So licht, als käme sie vom Himmel nieder. Grünbuschige Inseln legen linden Schatten Quer übern See. Durchs Zwielicht lugen Matten Mit breiten Ampferblättern und Ranunkeln, Mit wilder Katzen glühem Augenfunkeln, Mit zarten silberigen Birkenbäumen, Mit hohen Gräsern, die all dies umsäumen. Und Abendtau erquickte alles Schöne, Als Calidor beglückt die Silbertöne Einer Trompete hörte. Ach, es nahen Viel Freuden ihm! Des Wächters Augen sahen Durchs Tal herauf der Schimmel Mähnen wehen; Bald wird er seine liebsten Freunde sehen! Er stößt sein Boot voran mit heitrem Sinn, Nun streicht er einsam übers Wasser hin, Blind für den Schwan und taub für Philomele – So sehr voraus eilt drängend seine Seele. Nun wendet er mit kräftigem Ruderstoß In letzte Bucht, und düster ist und groß Das Schloß, noch fern, vor seinem Blick erschienen. Fast schneller, als die eifrigste der Bienen Zwei Pfirsiche umsummen kann, erreichten Des leichten Bootes Rippen jene feuchten Marmornen Stufen, die ins Wasser führen. Und aufwärts eilt er, dann durch Flügeltüren, Durch eichene Hallen und durch Corridore. Köstliche Töne! Nie klang seinem Ohre Und seinem Herz ein Vogellied so traut, Als jetzt der Rossehufe Klapperlaut. Zwei edle Hengste und ein Zelterpaar Ward er beim Eintritt in den Hof gewahr: In lockern Zügeln warfen sie die Nacken Zurseite, während sie auf Prachtschabracken Glückliche Bürden trugen durch das Tor. Welch sanften Kuß und Druck gab Calidor Den Händen jeder Dame! Wie entzückt Umspannt er feine Knöchel! Süß entrückt War seine Seele, während Flüstergrüße Ihn zögern ließen, ihre zarten Füße Herab zu lassen auf die harte Erde. Wie süß dies Schmiegen, als sie sich vom Pferde Hin über seinen Nacken sinken ließen! Und ob da leise Sehnsuchtstränen fließen, Oder ob ihre Locken Tau gefangen: Er fühlte eine Feuchte auf den Wangen – Und segnete mit Lippen, die erbeben, Mit Augen, die sich leuchtend aufwärts heben, All diese Wonne, die so weich und warm Und innig sich geschmiegt in seinen Arm. Auf seiner Schulter hing die Grübchenhand Schön wie ein Wunder aus dem Feenland, Wie weiße Cassiablüte, die der Regen Der Sommernacht erfrischt – o reicher Segen! Er koste sie mit seiner frohen Wange, Als ob er alle Seligkeit empfange, Da schlug Sir Clerimonds freundliches Grüßen Ans Ohr ihm. Sanft zog er aus ihrer süßen Knechtschaft den Arm, den neuer Dienst begehrt, Voll Dank, daß ihm so viele Lust bescheert, Indes er an die Stirne eine Hand Herzinnig preßte, die ein Gott gesandt, Bedrängten gut zu helfen: eine Hand, Die aus den kalten Klippen dieser Welt Jung Calidor erheben wird zum Held. Zwischen den Pagen und den Fackeln stand Bei seinem Roß ein Ritter, elegant Und stolz gewachsen; seine Federn wären Im Wind so hoch wie wilde Eschenbeeren Oder wie Hermes' Flügelkappe ragt. Und sicher hätte nie ein Mensch gewagt Den Panzer, den er trug und der so fein Geflochten war, für Stahl zu halten, nein, Man hielt ihn eher für ein Prunkgewand, In dem wohl gar ein hoher Engel stand, Der sich verkappt den Gästen zugesellt. »Sir Gondibert, der weit berühmte Held,« So stellte Clerimont ihn munter vor. Der junge Krieger kam zu Calidor Anmutigen Schritts voll Herzlichkeit heran Und bot gepanzert eine Hand ihm an, Bereit zu grüßen den erglühten Knaben; Der schaut, als dürfe er die Augen laben An hohem Wunder. Während er voll Glück Die Damen führte, sah er oft zurück, Im Licht der Lampen, die vom Dach der Halle Herniederhingen und die Wehrmetalle In überirdischem Glanz erstrahlen machten, Die ritterlichen Brauen zu betrachten, Die unter feingeschwungenem Visier Sich wölbten über Augen von Saphir. Bald sitzen sie in angenehmem Raum. Die Damen mit den Lippen süß wie Traum Begrüßten all die grünen Ranken schon, Die rund um Fenster klimmen und Balkon, Um ihre purpursternigen Blütenlocken Zu zeigen und die zarten Bernsteinglocken. Sir Gondibert tat ab sein stählern Kleid, Und er genießt nun voll Behaglichkeit Den leichten Mantel über Brust und Rücken. Und während Clerimond mit milden Blicken Sich umschaut, brennt jung Calidor danach, Von Rittertat zu hören: wie man Schmach Zurückwies, wie man stark mit tapfrer Hand Von werter Fraue Schrecken abgewandt; Und übervoll hiervon gab jeder Hand Der Damen er so warmen Kuß und blickte So feurig drein, daß es sie halb entzückte Und halb erstaunte, bis sich herzbewegt Ein Lächeln über ihre Mienen legt, So süß wie sonnenselig Himmelsblauen Hoch über zauberhafte Inselauen. Sanft kamen Lüfte aus des Waldes Herzen, Sanft bliesen seitwärts sie das Licht der Kerzen, Klar war der Sang der Nachtigallenkehle, Lieblich der Duft der Lindenblütenseele, Verlockend wild der ferne Hörnerklang, Reizend der Mond auf seinem stillen Gang. Süß auch die Unterhaltung dieser Freunde Wie guter Geister fröhliche Gemeinde, Wie sanftes Summen, das wir rundum hören, Wenn Hesperus erscheint mit Sternenchören. Süß sei ihr Schlaf – – –