Das große Schillerfest 1859 Schnee und Regen floß hernieder Auf novemberbraunen Bergen, Trostlos rangen alle Wipfel Mit den schweren grauen Wolken. Von den Büschen troff es klagend, Jeder Dorn war eine Traufe, Die hinab von Dorn zu Dornen Unaufhörlich floß und weinte. Aus den dunklen Forsten wankte Irren Schritts ein Weib hervor, Zart gebaut, in dünnem Kleide, Aber fruchtbeschwerten Leibes. Zitternd und mit starren Fingern Las sie nasses Laub und Reisig; Mühsam sich zur Erde bückend, Raffte sie ein zaghaft Büschel. Und der Brombeer wirre Schlingen Hingen sich an ihre Füße, Daß sie strauchelt', und das Weinen Hing an ihren Augenwimpern. Kam ein zweites Weib gegangen, Groß und stark und guter Hoffnung; Schwere Hölzer auf dem Haupte, Schritt sie aufrecht her und trotzig. Und sie rief mit lautem Lachen: »Ei, Gevattrin! wie zu sehen, Sind wir beide gleich gesegnet? Nun wahrhaftig muß ich lachen!« Doch die andre fing urplötzlich Bitterlich laut an zu weinen, Und die regenschwere Schürze Drückt' sie schluchzend an die Augen. »Wieder soll ich nun gebären!« Sprach sie, kummerschwer sich fassend, »Und ich habe nicht, wovon ich Mir ein warmes Süppchen koche! Meinen Gatten und Ernährer Hab ich traurig jüngst verloren, Als er einen Stamm geschlagen, Der ihn fallend wieder schlug. Und ich weiß nicht, wie das endet; Leben soll zu Leben kommen, Und das drängt sich und das mehrt sich, Und das Herz ist krank zum Tode! Wie ein Tier auf wilder Heide Schein ich mir, das ohne Gott, Ohne Gott und ohne Sterne Hungernd irrt und sich vermehrt.« – »Hei, was ficht dich an, du Blöde?« Rief die andre, heller lachend; »Lustig baun wir unsre Wölbung In das weite Reich hinaus! Fäuste geb ich meinen Kindern Und gesunde weiße Zähne! Sieh, das jüngste hat mir neulich Hier den Ohrlapp durchgebissen! Meinen Mann hab ich vertrieben, Weil er faul war und den Kindern Alles Brot, das ich erworben, Vor den Mäulern wegstibitzte!« – »Du bist stark und du bist frech!« Sagte wiederum die andre; »Ich bin zag, und das Gewissen Liegt mir leider in der Art!« Also standen beide Weiber Hohen Leibs sich gegenüber, Und je lauter jene lachte, Desto traur'ger wurde diese. Und es kam der Nordlandswind Mächtig rauschend über die Berge, Und die Tränen der Bedrängten Trocknete sein scharfes Wehen. In der Höhe schwamm im Blauen Einesmals die Spätherbstsonne, Daß in hellem Golde flammten Wie ein Morgenrot die Wälder. In der Tiefe trieben wogend Aufgejagt die zerrissenen Nebel, Vor dem wehenden Riesenhauche Stürmten sie verscheucht davon. Doch ein prächtiges Festgeläute Überklang das mächt'ge Rauschen, Und im Glanze der blitzenden Sonne Lag im Tal eine strahlende Stadt. Lang hinwallende Bürgerzüge Sah man schimmernd sich drin bewegen, Ihnen wehte die fliegende Seide Reich gebildeter Banner voran. Herrlich wogte der Wind aus Norden, Und die Glocken erschollen mit Macht; Da ertönten auch starke Posaunen, Helle Trompeten mit schwellender Pracht. Und die singende Menschenstimme Deutlich man dazwischen vernahm, Seltsam, neu und herzerschütternd Wie der seliggewordene Gram. »Freude, schöner Götterfunken!« Hallte herüber der klingende Sturm; War kein Kirchenlied und kein Kriegslied, Doch die Glocken schallten vom Turm. Horchend standen die armen Frauen, Und die Lacherin wurde still; Und sie sprach: »Wer doch nur wüßte, Was das alles bedeuten will? Einer rief, den zu Tale laufen Ich mit hastigen Schritten sah, Daß die schönere und die größere, Ja die bessere Zeit sei nah! Aber komm, du zage Klagende, Was es immer bedeuten mag, Feiern wir in meiner Hütte Diesen unbekannten Tag! Bringe die weinenden, deine Kleinen, Zu den meinigen schnell zur Stell; Wir entfachen ein lustiges Feuer, Schaffen die Welt uns warm und hell! Neuen Most hab ich im Hause, Nüsse für die junge Brut; Und beim frohen Mütterschmause Fassen wir einen guten Mut!« So genossen sie unwissend Jenes Tages Silberblick; Mit am warmen Feuer ruhte Still ein künftiges Geschick. Seine unsichtbaren Hüter Lehnten am Standartenschaft In den goldnen Wappenröcken: Das Gewissen und die Kraft.