Adolph Freiherr von Knigge Der Roman meines Lebens in Briefen herausgegeben 1. Theil Widmung Widmung Dem ... gebohrnen, Allerweisesten und allerhuldreichsten Herrn, Herrn ... Ihro Türkisch-Kaiserlichen Majestädt und der hohen Ottomanischen Pforte wohlbestallten Groß-Vezir, meinem gnädigsten Herrn, widmet dieses Büchlein in tiefster Unterthänigkeit, der Verfasser. ... gebohrner ... Hochgebiethender Herr Groß-Vezir! Ew. Excellenz werden in hohen Gnaden verzeyhen, daß ein armer christlicher Schriftsteller es wagt, diese wenigen Bogen zu Ew. Excellenz Füssen zu legen. Wer, im ganzen türkischen Reiche, wagt es (seitdem Ew. Excellenz zu der hohen Würde eines Groß-Vezirs sind erhoben worden), zu leugnen, daß Höchstdieselben ein feiner Beurtheiler der schönen Künste, und der in- und ausländischen Literatur, ein Beförderer aller Wissenschaften und Kenntnisse, feiner Menschenkenner, großer General, Staatsmann, Gelehrter – mit Einem Worte, Alles sind, was mit Höchstdero hohen Würde immer verknüpft ist, und Sie, zu Ihrer und Ihres großmächtigsten Herrn (dem Gott ein langes ruhiges Leben, sanften Schlaf und viel Freude in seinem Serail verleyhen wolle) Ehre nöthig haben? Sollten es Ew. Excellenz daher ungnädig aufnehmen können, wenn ein fremder Schriftsteller bemüht wäre, diesen Ruhm Höchstdero erhabenen Talente, auch auswärts auszubreiten, indem er Ihnen ein geringes Zeichen seiner tiefen Ehrerbiethung dadurch zu geben sucht, daß er Ew. Excellenz ein Werk zueignet, welches ihm manche saure Stunde gekostet hat, als er es schrieb, und noch mehr, als er die Materialien dazu in dem Laufe seines unruhigen Lebens samlete? Ew. Excellenz sind zwar sehr über alles Lob erhaben, und aus der kleinen einsamen Hütte, in welcher ich lebe, Ihren Ruhm erschallen zu hören, wird Ihnen freylich eine Sache von sehr geringer Wichtigkeit seyn. Allein, vielleicht um desto unpartheyischer muß Ihnen dies Lob vorkommen. Ew. Excellenz haben nach Ihrer Weisheit gewiß bemerkt, wie wenig man oft Ursache hat, auf die Posaunen des Gerüchts zu rechnen, welche sich ein Minister unter dem Haufen derer, die ihn fürchten, oder auf seine Hülfe hoffen, erkauft. Ich, der ich nicht erkauft bin, keinen Minister fürchte, und auf nichts hoffe, ich kann also um desto aufrichtiger diese Zueignungsschrift meinem Werke vorsetzen. Zu mehrerer Sicherheit aber habe ich Raum für Höchstdero hohen Nahmen gelassen, damit, wenn indessen ein unglückliches Strick Sie ans Ende Ihrer ehrenvollen Laufbahn führen sollte, dieser Brief sich auch für Ew. Excellenz Nachfolger paßte. Auch ist kein Jahr noch Tag angezeigt worden, so daß meine Zueignungsschrift sich für jeden Groß-Vezir schickt, dessen Bescheidenheit ihn überzeugt, daß er das Lob verdient, welches ich Ew. Excellenz zolle. In Erwartung einer gnädigen Aufnahme meiner Freyheit, ersterbe ich in tiefster Ehrerbiethung, Ew. Excellenz, Meines gnädigsten Herrn, unterthänigster Knecht, D.B.A.R.V.S. An einige Leser An einige Leser. Fürchten Sie nichts, meine Herrn und Damen! Ich werde Sie hier nicht in einer Gestalt auftreten lassen, der man entgegen rufen könnte: »Das sind sie!« Haben Sie mir gleich manche trübe Stunde gemacht; hat Ihre Bosheit gleich mannigfaltigen Verdruß über mein Haupt gezogen; hätten mich Einige von Ihnen gleich gern muthwillig verkannt, gedrückt, verfolgt; – den Menschen verfolgt, der nicht Einen seiner Brüder mit Vorsatz je gekränkt hat, der, bey tausendfältigen Schwachheiten und Fehlern, gewiß ein liebe- und friedenvolles Herz in seinem Busen trägt, der Ihnen nie hinderlich in Ihren Entwürfen war, dessen Weg ja ganz im stillen, einsamen Thale fortgeht, ohne irgend jemandes Straaße zu durchschneiden! – so bin ich doch der Mann nicht, welcher sich rächen, und Sie öffentlich preis geben könnte. Auch würde mir das nicht gelingen. Was eigentlich Spott und Hohn heißt, dazu ist mein Witz so wenig abgerichtet, daß ich gern gegen jeden, der mich auf diese Art herausforderte, die Segel streichen würde. Ich überlasse der Zeit und dem Schicksale, welches früh oder spät (das ist heilig gewiß!) jeden Bösewicht entlarvt, und jedem Redlichen Gerechtigkeit verschafft, Ihnen den Lohn Ihrer Handlungen zu geben. Mein Glück ist in meinem Herzen. In häuslichem Frieden lebe ich still, ruhig, heiter, arbeite an mir selbst, um klüger und besser zu werden, und geniesse das Glück der Freundschaft und Achtung derer, die mich nicht miskennen, und mich, mit allen meinen Schwachheiten, ertragen. Die Arbeit, dieses Buch zu schreiben, soll mir meine Erholungsstunden versüßen, und diese würde ich sehr schlecht angewendet glauben, wenn ich sie mit Verfertigung elender Pasquillen verschwendete. Einige Blicke auf meine vergangene Tage zurück, in welchen ich vieles erlebt, vieles gesehen, viel gelitten habe, manches durch die Bosheit Anderer, manches durch eigene Unvorsichtigkeit, werden mich zwar in den Stand setzen, Ihnen hie und da getreue Bilder von nicht ganz uninteressanten Scenen vor Augen zu legen, also werde ich nicht nöthig haben, Begebenheiten zu erdichten; aber wo ich es nöthig finde, werde ich doch, um sie unkenntlich zu machen, entweder mehrere zusammenschmelzen, oder den Schauplatz verrücken. Und so sollen auch die Schilderungen von Höfen und Personen nicht von einzelnen Originalen copiert, sondern bald hier bald dort ein Stück abgezeichnet werden, wie es sich gerade an die Stelle passen wird, denn, wie ich schon gesagt habe, obgleich ich von keinem Hofe noch Gönner abhänge; so beleidige ich doch nicht gern jemand. Es ist daher meine Schuld nicht, wenn einer sein oder eines Andern Bild hier zu finden glaubt. Ich verachte vornehme und geringe Schurken, aber ich entsage allen Ansprüchen, auf den Plan sie zu bessern. Wahre Begebenheiten also, welche ich theils selbst erlebt, theils in der Nähe oder von Weitem beobachtet habe, Character-Züge von verschiedenen Gattungen Menschen, und hie und da eigene Gedanken über allerley wichtige und unwichtige Dinge, sollen hier in einer Art von Verbindung erscheinen. Das Ganze kann man hernach etwa einen Roman nennen – oder wie Sie wollen! Wenn nur etwas darinn steht, das dem bessern Theile des Publicums gefällt, bey dessen Lesung ein guter Mensch sich eine heitere Stunde machen, und woraus irgend jemand, in seiner Lage, einen practischen Vortheil ziehen kann. Inhalt des ersten Theils Inhalt des ersten Theils. Erster Brief, von dem Freyherrn von Leidthal in Urfstädt an den Herrn Meyer, Hofmeister eines jungen Herrn von Hobenau, den er an Kindes Statt angenommen hat, in Göttingen. Misvergnügen über ihre Trennung. Anmerkungen über die verschiedenen Arten, wie die Menschen periodenweise diese Welt ansehen. Der Hauptmann von Weckel hat ihn besucht. Lob dieses muntern Mannes. Nachricht von Herrn und Madam Becker, die kürzlich in die Stadt gezogen sind, und die niemand kennt. Ueber die Neugierde in kleinen Städten. Er bittet Herrn Meyer um Mittheilung seiner Lebensgeschichte. Zweyter Brief. Antwort des Herrn Meyer. Nachricht von ihrer zurückgelegten Reise und Einrichtung in Göttingen. Geschichte des unglücklichen Commerzienraths Müller, den sie unterwegens angetroffen und mit nach Göttingen genommen haben. Ueber die Art, wie vornehme Leute reisen. Sie wollen, weil die Collegia noch nicht angehen, nach Cassell, woselbst Müller Dienste sucht. Dritter Brief, von dem jungen Hohenau an Leidthal. Beschreibung von Cassell. Lob der Stadt, der Gegenden und des Fürsten. Ueber die Lage von Münden. Ueber falsche Zierathe und verdorbenen Geschmack. Vierter Brief, von Meyer. Ueber den ausländischen Ton in Deutschland. Ueber Religions-Gespräche. Er empfiehlt den armen Müller zu Leidthals Hülfe. Verspricht seine Lebensbeschreibung. Fünfter Brief, von Hohenaus Bedienten Christoph Birnbaum an die Haushälterinn Anna Sievers in Urfstädt. Beschreibung von Cassell und Göttingen. Versicherungen treuer Liebe und Beständigkeit. Hohenau hat Bekanntschaft mit dem jungen Herrn von Hundefeld gemacht, dessen Bedienter Haber heißt. Sechster Brief, von Leidthal. Ueber Vorsichtigkeit an fremden Oertern. Ueber den Handel in Münden. Ueber Fürsten-Charactere und Erziehung. Ueber den Styl unsres Jahrhunderts. Ueber Müllers Character. Er will ihn zu sich nehmen. Von der Wohlthätigkeit. Er verspricht auch seine Lebensgeschichte aufzusetzen. Ueber das Studieren auf Universitäten. Von der Freymaurerey etwas. Siebenter Brief, von Madam Müller, gebohrne von Blüm, an ihren Mann. Nachricht von ihren Kindern. Sophie, welche Madam Bovis Kinder erzieht, hat einen Brief verlohren, der vermuthlich ein an sie gerichteter Liebesbrief ist. Fritz wird ein guter Kaufmann. Ludwig scheint zu Ausschweifungen geneigt, lernt aber fleißig. Die beyden jüngsten sind gesund. Klagen über ihre Situation. Achter Brief. Liebesbrief des jungen von Hörde an Sophien, aus Hamburg. Neunter Brief. Müllers Antwort an seine Frau. Trost. Nachricht von Leidthals Anerbiethen. Er ist im Begriff, hinzureisen. Zehnter Brief, von Müller an den Banquier von der Hörde. Nachricht von dem geheimen Verständnisse ihrer Kinder. Er überläßt das Uebrige seinem Wohlgefallen. Eilfter Brief, von Meyer an Leidthal. Müller nimt den Brief mit. Die Geschichte seines Lebens, bis zu dem Zeitpunct, als ihn Leidthal zu sich nahm. Einige kleine Umstände von Göttingen. Sie wollen Weinachten zu Hundefelds Vater auf das Land. Zwölfter Brief, von Weckel an Hohenau. Muntre Beschreibung von kleinen Höfen, die nicht genannt sind, und welche Weckel bey seinem letzten Urlaub gesehen hat. Er wird bald an den Rhein hinauf reisen, und alsdann über Göttingen gehen. Dreyzehnter Brief. Von der Hörde antwortet Müllern in stolzem Tone, und ohne Gefühl. Vierzehnter Brief, von der zärtlichen Jungfer Anna Sievers an ihren Geliebten. Enthält auch einige Anecdoten aus der Nachbarschaft und von Herrn und Madam Becker. Fünfzehnter Brief, von Hohenau an Weckel. Ueber göttingische Bekanntschaften. Studenten-Characters. Er reiset in wenig Tagen auf Hundefelds Gut, der auch eine hübsche Schwester haben soll. Sechzehnter Brief. Leidthal meldet Müllers Ankunft, und dankt Meyern für seine Lebensgeschichte, erzählt dafür einen Theil seines Lebens, und verspricht die Fortsetzung. Diesen Brief überbringt Weckel. Siebenzehnter Brief. Hohenau ist durch Weckels Anwesenheit abgehalten worden, eher zu schreiben. Erzählung von seinem Aufenthalte bey Hundefelds Verwandten. Gemälde von Landjunkers. Weckel ist itzt nach Hanau, und kömmt erst im Aprill wieder. Achtzehnter Brief. Müllers Nachricht an seine Frau, von seiner Ankunft, Aufnahme und Zufriedenheit in Urfstädt. Etwas von Sophiens Liebe. Neunzehnter Brief, von Weckel an Hohenau. Beschreibung von Hanau, Darmstadt, Manheim, Carlsruhe, Straßburg. Zwanzigster Brief, von Leidthal. Fortsetzung seiner Lebensbeschreibung. Ein und zwanzigster Brief, von Madam Müller an ihren Mann, in großer Bestürzung. Nachricht von Sophiens Flucht. Zwey und zwanzigster Brief, von Meyer an Leidthal. Sie wollen Ostern aufs Eichsfeld. Geschichte eines gefangenen Mönchs. Es scheint, als wenn Hohenau verliebt ist, weil er Ritterstreiche machen will. Vermuthlich ist Hundefelds Schwester der Gegenstand. Drey und zwanzigster Brief, von Leidthal an Meyer. Geschichte von Hohenaus Vater. Vielleicht ist der derselbe gefangene Mönch. 1. Brief Erster Brief. An den Herrn Meyer, Hofmeister des Herrn von Hohenau, in Göttingen. Urfstädt den 2ten October 1769. Mein lieber Freund! Glauben Sie mir auf mein Wort, daß es meiner Philosophie herzlich schwer wird, mir unsre Trennung als ein nothwendiges Uebel vorzustellen. Ihr angenehmer, freundschaftlicher Umgang war meinem Herzen so theuer geworden, ich war so sehr daran gewöhnt, jeden Gedanken, jede Empfindung meiner Seele, mit Ihnen zu theilen, endlich hatte ich mir auch die Sorge für die Bildung meines Pflegesohns zu einem so süßen Geschäfte gemacht, daß ich es Ihnen gern bekenne, wie hart es mir vorkömmt, auf einmal mich aller dieser Glückseligkeiten beraubt zu sehen. Aber es hat so seyn müssen. Das ist eine von den leidigen Tröstungen, die auf jede unangenehme Begebenheit in diesem Leben passen, und im Grunde doch keiner einzigen die Bitterkeit benehmen! Da sitze ich nun hier einsam auf dem Lande, nicht ohne Geschäfte, das ist wahr (denn wenn mich diese nicht gefesselt hätten, Sie und mein Carl hätten gewiß nicht allein reisen sollen), aber doch voll zärtlicher Sehnsucht nach Ihnen beyden, und voll Besorgniß, wie es Ihnen in der neuen Welt, in welche Sie Ihren Zögling führen, gehen mögte. Das weiß Gott, daß ich nicht einen Augenblick darüber unruhig bin, ob er in Ihren Händen gut aufgehoben seyn mögte. Den Mann, dem ich meinen Carl anvertrauet habe, kenne ich zu gut, um nicht die feste Zuversicht zu haben, daß er, wie ein Vater, für sein Glück sorgen, und ihn zu allem Guten leiten wird. Aber auch ohne Betracht auf das, was ich durch Ihre Abwesenheit leide, drängen sich viel ernsthafte Vorstellungen, über den ersten Schritt, den mein Pflegesohn in die größere Welt thut, in meine Seele. Mich dünkt, es giebt drey wichtige Hauptperioden im Leben, durch welche der wohlerzogene, feine, denkende und fühlende Mann wandert, und nach welchen sich das Interesse bestimmt, welches er an demjenigen, was ihm in diesem Leben begegnet, und an den Menschen, mit denen er in Verbindung kömmt, nehmen muß. Oder, um deutlicher zu reden, fast jeder Sterblicher, dem Madam Fortuna nicht schon in der Wiege einen falschen Streich spielt (denn wenn das ist; so fällt freylich die erste Periode beynahe ganz weg), fast jeder Sterblicher, sage ich, sieht nach und nach alles, was ihn in dieser Welt umgiebt, aus drey verschiedenen Gesichtspuncten an. Als ein blühender Jüngling tritt er in die Welt. Gesundheit, Vorzüge der Gestalt, die durch Jugend erhöhet werden, ein frohes weiches Herz, gute Laune, Befreyung von Nahrungs- und andern häuslichen Sorgen, Geschmack an schönen Künsten, unverdorbenes Gefühl für die Schätze der Natur, Neuheit aller Gegenstände, die sich seinen Augen darstellen; von der andern Seite aber, Unwichtigkeit seiner Person, welche alsdann selten irgend einem ernsthaften Herrn im Wege steht, Nachsicht weiser Leute gegen seine jugendliche Schwachheiten, der Antheil, den das schöne Geschlecht an ihm nimt, seine Gefälligkeit gegen jedermann, und sein Mangel an Beobachtungsgeist, der ihn verhindert, die Verderbnisse wahrzunehmen; das alles, oder ein großer Theil dieser herrlichen Dinge, spricht für ihn, und schwellt sein unerfahrnes Herz auf. Alles lächelt ihn an. Die Welt ist so schön; Er findet so viel gute Menschen, welche ihm Liebe und Freundschaft beweisen; Er kann nicht begreifen, wie mürrische Grauköpfe so klagen können. – Schade, daß diese Bezauberung nicht ewig dauert! Aber er wird älter, kömmt bald in allerley große und kleine Verbindungen; Hier vertrauet er sich unwürdigen Freunden, und wird oft und mannigfaltig betrogen, dort untergräbt unglückliche Liebe die Ruhe seiner Seele; Oder er ist in andre üble Hände gerathen, der Misbrauch seiner cörperlichen Kräfte, seiner Freyheit und seiner Thätigkeit, hat seine Gesundheit geschwächt, und ihn welk gemacht. Dies erweckt böse Launen; nun trägt er nicht mehr so viel zu den Annehmlichkeiten des Umgangs bey; Oder er hat übel mit seinem Vermögen gewirthschaftet, Nahrungssorgen drücken ihn, seine Kinder machen ihm Verdruß; Oder er ist klüger, angesehener, reicher, als andre Menschen, und muß durch deren Neid viel leiden, wird verkannt, gedrückt, verfolgt; Oder er ist in irgend ein sclavisches Dienst-Joch gespannt, hat nicht Zeit noch Gelegenheit, sein Gemüth durch den Umgang mit den Musen zu erheitern; Oder er hat so viel Schönes gesehen, daß sein Geschmack eckel geworden ist; Er hat aller Orten Ideale von Vollkommenheit gesucht, und sie nirgends gefunden. – Die Empfindungen, welche durch solche Schicksale, deren jeder in der Welt lebende Mensch einige zu ertragen hat, erregt werden, machen ihn, mehr oder weniger, unzufrieden, feindselig, mistrauisch gegen alles, was ihn umgiebt, und das ist die zweyte Periode. Wohl dem, der nicht darinn stehen bleibt, der nicht mit Gift gegen das gute Menschengeschlecht, mit Wiederwillen gegen die schöne Welt, seine Laufbahn endigt! Der gutgeartete Mensch kömmt aber von diesem Grolle bald zurück. So, wie er nach und nach kühler wird, kommen ihm die wiedrigen Vorfälle, welche ihm aufstoßen, nicht mehr so entsetzlich vor. Er fühlt sogar, wenn gleich er es nicht immer bekennt, daß er sich das Ungemach mehrentheils selbst, durch Unvorsichtigkeit in seiner Aufführung, zugezogen hat. Die Menschen betrachtet er nun auch näher, und findet, daß ihre Handlungen von Leidenschaften regiert werden, die schwächer, eben so heftig, oder heftiger, als die seinigen sind; Er merkt, daß es dem Einen an Erziehung, dem Andern an Gesundheit, dem Dritten an zufälligen Gütern, dem Vierten an Gelegenheit fehlt, um edel zu handeln; daß dieser ein Schurke geworden ist, blos weil man ihn so lange gekniffen, gedrückt, betrogen, bis man ihn feindselig gemacht, und dahin gebracht hat, das Rauhe auswendig zu kehren. – Kurz! er fängt an, mit der ganzen Welt Frieden zu schliessen, faßt den Vorsatz, so viel Gutes zu thun, als er kann, auf keine Wunder zu rechnen, sondern alles von der Hand des Schicksals so anzunehmen, wie es die Reyhe der Begebenheiten mit sich bringt, und so die letzte Periode seines Lebens in Liebe und Ruhe zu beschließen. Sie sehen also, mein lieber Freund! daß, nach meinen Grundsätzen, unsre Kunst darauf beruht, die erste Periode zu verlängern, und die zweyte abzukürzen, und das ist es, wornach wir Beyde itzt unsre Bemühungen einrichten müssen, um meinem Carl, bey seinem Eintritte in die Welt, den Weg, den er, wie jeder Andre, wandern muß, so sanft als möglich zu machen. Im übrigen müssen wir es dem Schicksale überlassen, die feinern Nüancen in seine Begebenheiten zu weben. Einen ganz gemeinen Gang wird er schwerlich gehen, denn seine Composition ist feiner, als mir oft lieb gewesen ist. Doch Sie, mein Freund! haben Gelegenheit und Klugheit genug, seiner Thätigkeit unvermerkt die Richtung zu geben, die sie haben soll, und die Gegenstände zu entfernen, welche wildes Feuer in ihm anfachen könnten. Auf Sie baue ich fest, und wenn ich hier zu lange über Dinge geplaudert habe, die Ihnen nicht fremd sind; so ist das wahrlich nicht geschehen, Sie zu unterichten, sondern weil mein Herz mich drängt, mit Ihnen zu reden, und dies Herz itzt von einem Gegenstande voll ist, der unsre ganze Aufmerksamkeit verdient. Sie werden Sich wundern, wenn Sie schon so bald einen langen Brief von mir bekommen, ehe Sie mir einmal haben Ihre Ankunft melden können. Allein, übereilen Sie Sich deswegen doch nur nicht, mir eben so weitläuftig zu antworten. Ich weiß, wie unruhig die ersten Tage in einem neuen Wohnorte sind, und wenn ich nur höre, daß Ihr Leutchens wohl seyd; so will ich gern noch ein bisgen Geduld haben. Sie waren kaum gestern fort, als der Hauptmann von Weckel aus der Stadt zu mir kam. Er war mir willkommner, als jemals, und hat mir mit seiner fröhligen Laune ein Paar trübe Stunden verjagt. Weckel hat mir auch erzählt, daß seit einigen Wochen ein unbekannter Mann mit einer hübschen Frau dorthin gezogen ist, der die Aufmerksamkeit des neugierigen Publicums sehr beschäftigt, weil er mit niemand umgeht, mit Gemächlichkeit lebt, hübsch gekleidet ist, zuweilen Briefe unter andrem Nahmen erhält – und kurz, weil man nicht weiß, wer er ist, und man in einer kleinen Stadt doch gern alles wissen mag. Ich verdenke es jedem vernünftigen Manne, der die Einsamkeit sucht, wenn er sie in einem kleinen Städtgen zu finden glaubt. Je größer der Zirkel ist, in welchem man lebt, desto unbemerkter wird der Punct, welchen man darinn macht. Es ist eine recht ärgerliche Sache, daß man in solchen Lumpen-Städtgens einem ruhigen Menschen nicht erlauben kann, in der Stille seinen Weg fortzuwandeln. Ich mußte mich einmal ein Paar Monathe an einem Orte, gewisser Ursachen wegen, die eine große Epoke in der Historie meines Lebens machen, und die ich Ihnen gelegentlich erzählen will, unter fremden Nahmen, aufhalten. Meine Nachbarn konnten nicht ruhig schlafen, bis sie die ganze Stadt aufgewiegelt hatten, Nachforschungen über meine Person anzustellen. Endlich kam es an den Tag, daß ich ein gewisser böser Zeitungsschreiber sey, der eben damals, wegen seiner pöbelhaften Ausdrücke gegen einen mächtigen Fürsten, hatte flüchtig werden müssen. Es fehlte wenig, daß ich nicht wäre in große Verdrießlichkeiten gerathen. Das Einzige, was mich rettete, war, daß ich nicht einmal wußte, daß eine solche Zeitung in der Welt war, und daß man den Pasquillanten irgendwo erwischt hatte. Ich frage nie jemand um seine Geschichte, liegt mir aber daran, zu wissen, was für ein Mann er ist; so beurtheile ich ihn nach seinen itzigen Handlungen. Einen Beweis davon habe ich Ihnen wohl gegeben, dem ich die Aufsicht über den jungen Hohenau aufgetragen habe, ohne daß ich einmal recht weiß, wo Sie gebohren sind, wer Ihr Vater war, und dergleichen. Allein, Sie müssen mir doch noch einst Ihre Geschichte erzählen. Es müssen Ihnen manche sonderbare Schicksale begegnet seyn, ehe ein so herzlich guter, menschenfreundlicher Mann aus Ihnen geworden ist. Ob ich den dritten Bogen anfange? Nein! das will ich nicht, es mag damit genug seyn. Ich umarme Sie und meinen Carl in Gedanken, und bin ewig, Ihr treuer Freund, Leidthal. 2. Brief Zweyter Brief. An den Freyherrn von Leidthal, in Urfstädt. Sie haben mir erlaubt, verehrungswürdigster Gönner! Ihnen ohne alle Titulaturen, so gerade weg aus dem Herzen zu schreiben; also fange ich diesen Brief auch um eine Hand breit näher am Rande des Papiers an, als ich es billig an einen Herrn von Ihrem Stande thun sollte. Zuerst eine kurze Nachricht von unserer Reise! Erfüllt von Traurigkeit über die Trennung von unserem lieben Wohlthäter, reiseten wir ein Paar Posten, ohne beynahe ein Wort mit einander zu reden. Mein junger Ritter hätte gern laut geweint, aber er dachte, das sey nicht anständig. Er that also lieber, als wenn er schliefe, indeß seine Thränen heimlich aus den halb zugedrückten Augen rollten. Ich schlief nicht, aber ich weinte auch nicht. Sie werden desfalls nicht glauben, mein gnädiger Herr! daß ich weniger gerührt war. Allein in dem Laufe meines Lebens habe ich schon so manche harte Trennung von Menschen, die ich innigst liebte und verehrte, überwinden müssen, daß itzt der Kummer nicht mehr so schnell und so heftig auf mein Nerven-System würkt. Nicht, daß ich unempfindlicher geworden wäre, aber ich habe gelernt mehr auf die Gütigkeit des Geschicks rechnen, welches mich immer wieder zu edlen Freunden zurückgeführt, oder mich andre hat finden lassen. Und diesmal ist ja nur von einer zeitigen Trennung die Rede, wenn ich anders durch Achtsamkeit auf meinen Zögling, durch Eifer und Treue, mir das Glück erwerbe, wieder zu Ihnen zurückkehren zu dürfen. Unterdessen hoffe ich hier schon ein Paar gute Seelen zu finden, mit denen ich von meinem theuren Wohlthäter reden, und mir dadurch meine Entfernung von Ihnen erträglich machen kann. Man trifft noch aller Orten gefühlvolle redliche Menschen an, wenn man sie nur ernstlich, und mit duldendem Geiste, sucht – Das ist wahr, solche findet man nicht oft wieder, die einen verlassenen Unbekannten, der keine andre Empfehlung als das ofne Gesicht eines ehrlichen Mannes hat, in ihr Haus aufnehmen, wie Sie es mir gethan haben – Doch, Sie legen mir ja immer Stillschweigen auf, wenn ich mein von Verbindlichkeiten schweres Herz gegen Sie ergießen will – Also zu unserer Reisebeschreibung zurück! Als wir zum zweytenmal die Pferde wechselten, stieg der Herr von Hohenau aus. Er hatte sich ein bisgen gefaßt, und ich schlug ihm vor, da doch die Wege nicht die besten sind, ein wenig zu Fuße zu gehen. Wir schlenderten also voraus, und ich sah mit Freuden, wie sich sein Gesicht nach und nach aufheiterte. Die herrliche Morgen-Sonne gab der wilden Gegend eine so sanfte Majestät, daß wir Gelegenheit hatten, mehr als einmal gegen die gefühllosen vornehmen Herrn zu eifern, die sich in einen zugeschlossenen Kasten werfen, Laufzettul an alle Post-Aemter schicken, und so durch Thal, Flur und Wald hinrollen, die schönsten Gegenstände, welche die Natur dem empfindenden Beobachter dargestellt hat, zu beyden Seiten liegen lassen, und so lange vor der Langenweile fliehen, bis sie von derselben in einer großen Stadt eingeholt werden. So reisen die mehrsten Menschen! Man wundere sich daher gar nicht, wenn ein Mann, der auch sein ganzes Leben hindurch von einem Hofe zum andern kutschirt ist, dennoch wenig wahrhafte Selenkenntniß hat. Die Leute, welche man in denen Circuln antrifft, sehen sich alle so ähnlich, haben alle so einen gleichen Conventions-Character angenommen, daß man sehr bewafnete Augen haben muß, um, durch diese Oberfläche hindurch, etwas von natürlichem Inhalte wahrzunehmen. Wenn ich zu wählen hätte; so mögte ich noch lieber ein Buch über das Menschengeschlecht von jemand, der dasselbe nur in seiner Studierstube beobachtet hat, als von einem solchen gereiseten Herrn geschrieben, lesen. Wir hielten uns oft unterwegens auf, denn die Kutsche konnte uns doch in den schlechten Wegen nicht so geschwind folgen. Als wir nun nahe bey Burgstädt kamen, sahen wir im Walde einen hübschen wohlgekleideten Mann am Wege sitzen. Er schien in Gedan ken versenkt. Sein Blick war auf einen kleinen Bach gerichtet, aber nicht, als wenn dessen sanftes Rieseln Ruhe und Heiterkeit in sein Herz wiegte, nein! er sah starr hinein, als wenn er gern gewollt hätte, daß seine kummervollen Tage so geschwind wie das Wasser fortrauschen mögten – Armer Mann! – Als wir ihm näher kamen, warf er nur einen flüchtigen Blick auf uns hin, nahm dann eine etwas gleichgültigere Miene an, und machte sich fertig, uns zu danken, wenn wir ihn etwa grüßen würden. Da wir aber bey ihn kamen, rief er mir sehr freundlich entgegen: »Irre ich mich nicht? Sind Sie es, lieber Herr Meyer? Wie treffen wir uns denn hier an?« Kurz! es war der gute unglückliche Commerzienrath Müller, von welchem ich Ihnen, mein gnädiger Herr! vielleicht schon einmal geredet habe, oder habe ich das nicht; so will ich Ihnen hier einen kurzen Auszug seiner Geschichte liefern. Der Mann hatte von der Natur viel äussere Annehmlichkeiten, und von seinen Eltern eine gute feine Erziehung erhalten. Das sind ein Paar schöne Vorzüge, aber sie können einen jungen thätigen Mann auch in manche verwirrte Lage bringen, und so gieng es dem armen Müller. Seine Glücksumstände waren nicht die besten, desfalls mußte er seine Talente und Kenntnisse den Diensten andrer Menschen widmen, weil er aber frey, thätig und edel erzogen worden war; so war die Abhängigkeit von schlechteren Leuten oft ein harter Punct für ihn. Er wurde Secretair, Hofmeister, und dann wieder Secretair – aber es wollte nirgends recht glücken. Die Liebe spielte ihm auch böse Streiche, und so hatte er denn mannigfaltige Schicksale, welche mehrentheils die Bosheit, der Neid, und die tumme Ernsthaftigkeit, allein auf seine eigene Schultern zurückwälzte. »Daran ist der Mann selbst Schuld,« hieß es immer; »warum handelt er nicht so, wie andre Leute?« – Großer Gott! als wenn alles in dieselbe Form paßte! Dank, ewiger Dank, der weisen Gottheit, die eine so herrliche Verschiedenheit in die Temperamente der Menschenkinder gewebt hat! Was für ein ödes, kaltes Wesen würde in den menschlichen Dingen herrschen, wenn wir Alle so sehr auf Einen Ton gestimmt wären, daß das Ganze nur wie eine Drehorgel, in Ewigkeit fort, nach derselben Weise abgespielt würde! Bruderliebe, Toleranz! man declamirt so viel über euch, aber wie selten werdet Ihr wahrhaftig ausgeübt! Ja, wenn immer Kopf und Herz zugleich an einem Bändgen zu leiten wären; so wäre das Ding herrlich. Wie gern würde mancher ganz anders, ganz gemein weg handeln! Er würde gewiß ruhiger seyn. Aber er kann nicht. Dort reißt ihn eine unbändige Leidenschaft fort, hier zupft ihn eine andre. Und ist er denn mitten im Laufe, auf einmal wirft ihm ein gelassener weiser Schurke, mit wohlüberlegtem Vorsatze, einen großen Stein in den Weg. Nehmt es ihm nun übel, wenn er in der Angst, um diesem auszuweichen, zur Seite irgend einem schleichenden Fußgänger auf die Schulter springt! – Nicht wahr, mein gütiger Wohlthäter! ich schreibe, wie ein Buch? – Zürnen Sie nur nicht! Wir wollen gleich zu unserm guten Müller zurück. Nach langem Umherschweifen fand er endlich in Amsterdam eine hübsche reiche Witwe, welcher er, sie ihm, gefiel. Er heyrathete sie, und die ersten Jahre flogen in Wonne und Lustbarkeit dahin. Madam liebte die großen Gesellschaften, Monsieur die schönen Künste. Ein Capitälchen nach dem andern gieng den Weg durch die Finger der Spieler und Modehändler, oder wurde zu Gastereyen, Bällen, Concerten, verschwendet. Als man nun sah, daß dies die Aussichten für fünf Kinder, welche nach und nach ankamen, sehr trübe machte, wollte Herr Müller, der sich indessen von irgend einem der unzähligen deutschen Monarchen einen Commerzienraths-Titel gekauft hatte, mit dem Reste der Vermögens noch wuchern. Er trat mit Kaufleuten in Verbindung, verstand aber die kleinen Vortheile des Handels nicht, und wurde betrogen. Seine Frau hatte auch nicht gelernt sich in die Umstände schicken. An Reichthum gewöhnt, sorgenlos, ohne Kinder, hatte sie nie geglaubt, den Mangel kennen zu lernen, den sie nun in einem Circul von drey Knaben und zwey Töchtern von allen Seiten drohen sah. Sie konnte sich durchaus nicht herabstimmen, machte ihrem armen Manne Vorwürfe, der selbst am mehrsten litt, und alle häusliche Glückseligkeit floh. Seine angelegten Capitale giengen durch muthwillige oder zufällige Bankerotte verlohren. Es wurden Schulden gemacht – Endlich entwich jeder Schatten von Freude und Ruhe; Hofnung, Glück, Ruf, Ehre, alles gieng fort. Er mußte des Nachts aus Amsterdam, mit einer sehr kleinen Summe, entweichen, woselbst er in den Händen seiner Familie nichts, als das unsicherste Capital, ich meine die Ansprüche auf die Wohlthätigkeit guter Freunde, zurücklassen konnte, und also reisete er weg, um in Deutschland sich und den Seinigen irgend eine Aussicht zu eröfnen. Hier zog er dann von einem Hofe zum andern, fand jede zwey, drey Meilen einen unumschränkten Herrn, dem er irgend ein nützliches Project vorlegte, wollte bald das Cameralwesen auf andern Fuß setzen, bald Schulen verbessern, und dergleichen mehr. Weil er aber ein redlicher Mann ist; so war in seinen Planen gewöhnlich das öffentliche Beste obenan gesetzt, womit denn einigen von den unumschränkten Potentaten wenig gedient war. Sie wollten ihre Privateinkünfte vermehrt haben, um ihre Leidenschaften mehr befriedigen, ihrem übertriebenen Hange zur Pracht und Wollust bequemer genugthun zu können. Ein Mann, der blos Misbräuche abschaffen wollte, war ihnen gar nichts werth, und denen Geheimen Räthen ein gefährlicher Aufseher. Ihro Excellenzen lobten indessen seine Einsichten, samleten aus seinen Aufsätzen die besten Kenntnisse, um sie in ihren Vorrathscammern einige Zeit zu beherbergen, und dann als eigenes Fabrik-Gut zu verkaufen. »Sie bedauerten, daß itzt der Etat mit Leuten übersetzt sey; Vor der Hand könne man ihm also nichts versprechen. Es sey ihre Art nicht, mehr Hofnung zu machen, als sie erfüllen könnten; Das Publicum glaube wohl, daß sie viel bey dem Herrn auszurichten vermögten, aber der Fürst sey seit einiger Zeit so gesinnt, daß er niemand mehr um Rath fragte, sonst könne er fest auf ihre Freundschaft rechnen, und wenn sich in der Folge eine Gelegenheit zeigte; so wolle man ihm gewiß sogleich einen Wink geben. Doch dies alles sey im Vertrauen gesprochen.« Uebrigens gab man ihm Empfehlungs-Briefe an einen benachbarten Hof mit, schrieb aber einen Posttag voraus, um den dortigen Minister zu warnen, auf seiner Hut zu seyn. An einem andern Hofe dachte er gewiß durchzudringen, wenn er ein Lotto daselbst zu etabliren sich erböthe. Dort waren aber zwey Favoriten, die sich beständig entgegen arbeiteten. Er wendete sich an beyde, und richtete daher nichts aus. Unterdessen schmolz sein kleiner Geld-Vorrath, die Familie wurde von Kummer niedergedrückt, und wenn hin und wieder, indem eine neue Unterhandlung im Werke war, ein schwacher Hofnungs-Strahl sie erheiterte; so war das nur, um nachher, wenn auch dies mislung, sie desto tiefer zu beugen. In diesem traurigen Zustande ist mein Freund noch immer, und itzt war er im Begriff, zu Fuß nach Cassell zu gehen, und dort sein Glück zu versuchen. Sein Character hat nun, durch diese vielfältigen Zwängungen, eine große Biegsamkeit erhalten. Jahre und Schicksale haben seine Lebhaftigkeit sehr herabgestimmt. An der Unsicherheit seiner Plane gewöhnt, hat er gelernt, nicht mehr von jeder fehlgeschlagenen Hofnung gänzlich zu Boden geworfen zu werden, und die natürliche Thätigkeit, die ihn, in minder unglücklichen Umständen, oft zu gefährlichen Schritten verleitete, giebt ihm jetzt eine unüberwindliche Beständigkeit, kein Mittel unversucht, sich durch keine Schwierigkeiten hindern zu lassen, alles in Bewegung zu setzen, um sich eine Aussicht zu eröfnen, sich und den Seinigen ein Stückgen Brod zu erringen. Er ist so nachgebend geworden, daß er stundenlang das leere Gewäsche eines hirnlosen Hofmanns, die wichtige Miene eines Mäcenaten, die Selbstgenügsamkeit eines gereiseten Herrn, vornehmen und reichen Unsinn, Minister-Blicke, Kenner-Sprüche, Fürsten-Plattitüden, und alle Arten von Persiflage anhören kann, ohne sich zu rühren – Wo man nicht bessern könnte, meint er, da müsse man schweigen und dulden, besonders wenn man durch ein freyes Wort sein und seiner Familie Glück tödtete – Dabey hat er bemerkt, daß man nie in dieser Welt klagen darf, wenn man Freunde haben will, und daß uns jeder flieht, sobald er Kummer auf unserer Stirne liest; der eine Theil der Menschen aus Verzärtlung und Schwäche, um sich gegen die beunruhigenden Eindrücke des sanften Mitleidens zu wafnen, der andere aus Geld- und Menschlichkeits-Geiz, um nicht zu Hülfe gerufen zu werden. Deswegen weiß er stets den Jammer seines Herzens hinter einer heiteren Miene zu verstecken, und hört nicht auf, ein angenehmer Gesellschafter zu seyn – Wie manche Thräne mag indessen sein einsames Lager benetzen! – Er reiset, wie er sagt, nur deswegen zu Fuße, weil ihm das mehr Vergnügen macht, und wir hatten in der That Mühe, ihn zu bewegen, einen Platz in unsrem Wagen anzunehmen. Mit ihm sind wir nun hier in Göttingen angekommen, wo ich nebst dem Herrn von Hohenau gleich eine gute Wohnung fand, in welcher wir uns auch, wie das bey Studenten-Haushaltungen nicht schwer fällt, in wenig Stunden eingerichtet haben. Diesen Brief schrieb ich stückweise unterwegens, deswegen ist er so verwirrt und unordentlich gerathen. Göttingen den 5ten October. Nun haben wir einige Besuche abgestattet, und alles in Ordnung gebracht, was dazu gehört, gelehrte Leute zu werden. Indessen gehen die Collegia noch in vierzehn Tagen nicht an. Werden Sie es uns verzeyhen, mein theuerster Herr! daß wir uns daher geschwind entschlossen haben, den Herrn Müller nach Cassell zu begleiten? Weil wir doch hier nichts versäumen, und ich aus viel Ursachen nicht eben wünschte, daß der Herr von Hohenau, ehe er in Thätigkeit kommt, viel Bekanntschaften von andren jungen Leuten machte; so habe ich dies für den bequemsten Zeitpunct gehalten, ihm, Ihrem Befehl gemäß, eine der schönsten Städte von Deutschland zu zeigen. Nachmittags 4 Uhr. Eben bekomme ich Ihren gnädigen Brief. O, mein bester Wohlthäter! wie innig hat mich dies neue Zeichen Ihrer Güte erfreuet! – Allein itzt antworte ich nicht darauf. Ich will das Paquet schliessen; Die Einlage 1 ist von dem lieben Pflege-Sohne. Morgen reisen wir fort, und von Cassell aus werde ich die Ehre haben, meinem gnädigen Herrn die Versicherungen der treuesten Ehrerbiethung zu wiederholen, mit welcher ich stets seyn werde, Ihr unterthäniger Diener, Meyer. Fußnoten 1 Diese und noch ein Paar Briefe, die Herr Meyer schrieb, sind weggeblieben, so wie man überhaupt eine große Anzahl unbedeutender Briefe zurückgenommen hat. 3. Brief Dritter Brief. An den Freyherrn von Leidthal, in Urfstädt. Cassell den 10ten October 1769. Theuerster, bester Pflegevater! Ich schreibe Ihnen diese Zeilen aus einer Stadt, ach! aus einer Stadt, die so schön ist, daß ich wohl schwerlich viel lernen würde, wenn ich, statt in Göttingen zu studieren, unter der Menge von Zerstreuungen, hier arbeiten sollte. Alles athmet nur Freude hier. Herrliche Gebäude, Palläste, bezaubernde Gärten, Music, Malerey, Schauspielkunst, das alles scheint hier zu Hause zu seyn. Und Soldaten, die wie Kinder Einer schönen Familie aussehen, und deren äusseres Ansehn das Gepräge von Wohlstand, Zucht und Fröhligkeit hat – Lachen Sie nicht, theuerster Vater! weil ich armer Junge, der noch wenig gesehen hat, alles hier so schön finde! Aber ich denke doch auch, Cassell hat würklich viel aufzuweisen, welches man in wenig Städten Deutschlands vereinigt antrift. Wir haben, so viel es die Zeit verstattete, alles Merkwürdige gesehen, aber man wird gar nicht fertig damit. Den sechsten früh reiseten wir aus Göttingen, und hielten uns, auf des Herrn Müllers Anrathen, in Münden ein Paar Stunden auf, weil in der That dieses Städtgen eine so allerliebste romantische Lage hat, daß ich mich wundern muß, warum so wenig freye Menschen aus Liebhaberey dahin ziehen. Da, wo sich die Fulda und Werra vereinigen, der kleine Hafen voll Fahrzeuge; einzelne Gartenhäuser, die hie und da zerstreuet liegen; und dann zu beyden Seiten die majestädtischen Berge und Wälder; die große Straße, welche mitten durch die Stadt läuft; Diese würklich großen Gegenstände müssen nothwendig auf ein malerisches Auge (ich sollte wohl sagen auf ein romantisches Herz, welches Sie mir zuweilen Schuld geben) würken. Allein es scheint nicht, als wenn die Einwohner sich hierum bekümmern. Man wird aber gewöhnlich undankbar gegen eine schöne Gegend, wenn man sie täglich sieht, obgleich ich das nicht loben kann, doch mag davon unser beständiger Hang nach Neuheit der Grund seyn. Kurz! ich mögte in Münden wohnen – Aber noch nicht, sondern erst dann, wenn mich einst, wie Sie mir das immer vorher prophezeyet haben, einmal ein unruhiges leidendes Herz aus der großen Welt heraustreiben wird, zur Abkühlung, zur Versöhnung mit der wohlthätigen Natur – Doch mögte es wohl noch etwas Weile bis dahin haben – Etwas weniger lebhaft als gewöhnlich fanden wir Cassell, weil der Hof, eine kleine Stunde von da, auf dem Lustschlosse Weissenstein war. Als wir hörten, daß dort Commödie seyn würde; so fuhren wir gleich hin. Wir kamen noch zu rechter Zeit an, um ein französisches Lustspiel und eine Operette zu sehen. Beydes wurde, so viel ich davon verstehe, gut gegeben. In den Messen und zur Zeit des Carnavals hat man auch in Cassel große italienische und französische Oper, große heroische und andre Ballets, Mascaraden – mit einem Worte alles, was nur Vergnügen erwecken kann. Wir blieben die Nacht in dem Gasthofe auf dem Weissenstein, und erstiegen dann früh Morgens den prächtigen Carlsberg, ein Werk, welches, in dem größten Styl gebauet, das Ansehen hat, als wenn Riesen diese künstlich aufeinander gekitteten Felsenstücke aufgethürmt hätten. Es war ein Schweizer mit uns in Gesellschaft, der, um etwas zu sagen, das schweizerisch klingen sollte, ausrief: »Mein Gott! wozu nützt das alles? Es ist doch nur eine Wasserkunst zum Vergnügen, und kostet so ungeheure Summen. Wahrlich! die unten gelegenen schmutzigen Bauerhütten sind mir zehnmal lieber.« Das Ding kann etwas wahres enthalten, aber nach dieser Lehre wäre ein Nachttopf viel besser als ein Punschnapf. Und wie viel Menschen haben nicht bey dieser herculischen Arbeit ihren Unterhalt gefunden! Doch was bedarf ich Ihnen zu beschreiben, was Sie schon oft ehemals gesehen haben? Alle Anlagen des Landgrafen Carls scheinen mir groß und edel, aber sie sind noch nicht vollendet. Da indessen der jetzige Herr Geschmack und Kenntnisse hat, und mit Nutzen gereiset ist; so darf man hoffen, daß bey der weiteren Ausführung dieser Plane nichts Spielendes, Unwürdiges oder Kleinliches mit unterlaufen wird, welches sonst das Gefühl dieser Dinge schwächen könnte. Der Landgraf ist von seinen Unterthanen geliebt. Bey allen äusserlichen Vorzügen, Kenntnissen aller Art, Geschmack an schönen Künsten und feinem Witze, der jede Seite eines Dinges schnell und richtig zu fassen weiß, besitzt er ein gefühlvolles Herz. Er läßt auch den ärgsten Verbrecher keine harte, und überhaupt selten jemand irgend eine Todesart leiden. Er verzeyhet gern, wenn er beleidigt ist, und rächt sich nicht. Er hat eine Seele für die Freundschaft, und läßt sich von seinen Freunden leiten. Er liebt den Soldaten-Stand, aber weit entfernt, die kleinen Details desselben als eine hauptsächliche, eines Fürsten würdige Beschäftigung anzusehen, ist er nur in sofern Soldat, als er es dem Genie seines Landes angemessen findet, und hat die Wissenschaften vollkommen inne, welche zum Großen des Dienstes gehören. Das ist das Urtheil, welches uns jemand, der sehr unpartheyisch ist, und doch den Landgrafen gewiß kennt, von ihm fällte. Viel Menschen werden wohl anders von ihm urtheilen, denn wenn ein großer Herr nicht jeden befriedigen kann; so giebt mancher Unzufriedener die unächtesten Farben zu seinem Gemälde her, und also mag wohl nichts unsicherer als der Ruf eines Fürsten seyn, so daß man nur gar zu oft, wenn man den Mann in der Nähe beobachtet, sein Urtheil wird zurücknehmen müssen. Schwachheiten mag er vermuthlich auch haben, weil er ein Mensch ist. Wie könnte sich aber Hessen je einen besseren Herrn wünschen, wenn er alle diese guten Eigenschaften besitzt? Es wird beständig in Cassell viel gebauet, um die Stadt zu verschönern, und bey dem allen ist doch das Schloß nichts weniger als hübsch. Man muß sogar eine kleine Windeltreppe hinaufkriechen, um in die Zimmer des Fürsten zu kommen, welches, im Vorbeygehen zu sagen, bey Hofe eine gefährliche Sache ist. Denn da man schon behauptet, daß die Wände der Vorzimmer Ohren haben, wie vorsichtig muß da nicht ein Hofmann mit seinen Intriguen zu Werke gehen, wenn auch die Treppen wie ein Ohr gebauet sind, wo man ganz unten hören kann, was unter dem Dache leise gesprochen wird? Uebrigens macht es dem Fürsten, denke ich, Ehre, daß er früher an Verschönerung der Stadt, zum Vergnügen andrer Menschen, als an sein eignes Haus gedacht hat. Hier in Cassell ist alles nach französischem Schnitte. Die Hälfte der Einwohner ist auch wohl von dieser Nation, und der Ton in allen Gesellschaften und am Hofe also gestimmt. Der Hof ist glänzend und zahlreich, und wer daran dient, wird gut, und Mancher sehr reichlich bezahlt. Das Orangerie-Schloß und der große Park sind ein herrliches Werk; doppelt schön, weil man immer Menschen, zu Fuße, zu Pferde, und in Kutschen daselbst sieht. Denn was ist ein Garten, der nicht jedem offen steht, und kann wohl ein angenehmerer Anblick für einen Menschen seyn, als der Anblick von Menschen? Wilhelmsthal, ein Lustschloß nicht weit von hier, welches des jetzigen Landgrafen Herr Vater gebauet hat, so prächtig und artig es auch gebauet und verziert ist, gefällt mir, seiner Lage nach, und überhaupt gar nicht. Hier haben wir aber ferner Bibliothek, Cabinet, Bildergallerie und so viel Dinge gesehen, daß ich lange darüber reden könnte, wenn ich Ihnen eine Reisebeschreibung liefern wollte, und wenn Sie nicht, mein theuerster Pflegevater! in Ihrem Leben so viel Schönes gesehen hätten, daß Ihnen dergleichen gar nicht fremd seyn kann. Weil Sie mir erlaubt haben, über alles, was ich sehen würde, mein Jünglings-Urtheil geradezu zu fällen; so muß ich noch etwas von den inwendigen Verzierungen des Schlosses sagen. Es hat mich nemlich gefreuet, wahrzunehmen, daß in allen Meubles desselben ein edler, einfacher Geschmack herrscht. Dabey fiel mir denn ein, daß ich mich immer ärgere, wenn ich sehe, daß wir in unserm Zeitalter so viel Verzierungen haben, die gar nichts bedeuten. Ist nicht schon alles, was den Nahmen Cartouschen führt, ein Unding? Indem ich nun dies schreibe, sehe ich im Zimmer dieses Gasthofs umher. Da finde ich denn eine papierne Tapete, wo Ranken von Blumen, die nie in der Natur gewesen sind, sich mit einem Streife von Gitterwerke durchkreutzen, zwischendurch in den viereckten Feldern aber ist immer ein Stück von einem verfallenen Gebäude, ruhend auf einer Muschel, und ein Papagey, der eben so groß als das Gebäude ist. Nun spotte man einmal über chinesische Malereyen! Die Stühle stehen, ohne allen Nutzen, auf krummen Beinen, welches eine Idee von Krüppeley giebt. Auf dem Tische liegt ein hessischer Addreß-Calender, an welchem der Rücken des französischen Bandes auch eine Menge vergoldeter, nichts vorstellender Schnörkel enthält. Es ist wahr, daß man anfängt die gothischen Verzierungen abzuschaffen, aber man trift, dünkt mich, noch immer nicht den geraden Weg der Natur und Schönheit. Daß man, zum Beyspiel, etwas, das den Kopf eines großen Nagels vorstellen soll, mit einer Rose verziert, lasse ich gelten, daß man aber hin und wieder Widderköpfe, die man in den Metopen der dorischen Friese an den alten Tempeln und an Opfergefäßen und Sarcophagen sehr schicklich angebracht gefunden hat, jetzt an Consol-Tischen und Theemaschinen schnitzt, das ist lächerlich und ekelhaft. Unterdessen scheint mir diese Sache nicht so unwichtig zu seyn, als man sie gewöhnlich ansieht, und ich bin überzeugt, daß jemand, der von Jugend auf nichts als richtige, bedeutende, zweckmäßige, wahrhafte Gegenstände um sich her sieht, auch richtiger, treffender und genauer denken lernt. Unsre Kleidertracht ist, leider! auch eins von den traurigen Stücken, die unsre Barbarey auf die Nachwelt verewigen werden. Wie sehr könnte man sich aber irren, wenn man in einigen Jahrhunderten, nach unsren Münzen und Kunstwerken unsre Kleidungen beurtheilen wollte! Ein fleissiger Conrector mögte alsdann über eine braunschweigische Pistolette ein schönes Werk von den Panzern des achtzehnten Jahrhunderts schreiben. Das Gemälde eines geharnischten Landjunkers und eines Gelehrten, der einen Mantel, den er nie trägt, um seinen Bauch geschlagen hat; des Landgrafen Carls Bildsäule, welche die französischen Colonisten demselben haben errichten lassen, und an welcher über ein griechisches Gewand her der dänische Elephanten-Orden hängt; das alles beleidigt Augen, welche den Sinn für Wahrheit und ächte Natur haben. Herr Meyer will seinen Brief hinter den Meinigen schreiben, also muß ich ihm wohl Platz lassen, so gern ich auch noch ein Stündgen lang meine Weisheit ausplauderte. Indessen küßt Ihnen, bester Vater! in Gedanken ehrerbiethig die Hände Ihr gehorsamster Pflegesohn, Carl von Hohenau. 4. Brief Vierter Brief. An den Freyherrn von Leidthal, in Urfstädt. Cassell den 11ten October 1769. Ich erstaune, verehrungswürdigster Gönner! über des Herrn von Hohenau allgewaltige Beredsamkeit, wünschte aber herzlich, er hätte seine Abhandlung etwas mehr in die Kürze gezogen, damit ich nicht hier so klein, wie ein Magister, schreiben müßte, um nicht noch einen Bogen anzulegen. Im Grunde gefällt mir indessen, was er gesagt hat, recht gut, obgleich ich dem jungen Herrn das nicht merken lassen darf, denn wozu wäre ich denn sein Hofmeister, wenn ich nicht an allem etwas zu tadeln fände, was er nur unternimt? Diesen Nachmittag reisen wir zurück nach Göttingen. Wie uns aber die ernsthaften Collegia schmecken werden, nachdem wir uns hier so sehr an den schönen Künsten gelabt haben, das ist eine andre Frage. Unser junger Held ist ganz von Cassell eingenommen. Nun! ganz Unrecht hat er auch wohl nicht, obgleich seine Sinne leichter bezaubert werden, als die meinigen. Bekanntschaften haben wir hier wenig gemacht. Während eines so kurzen Aufenthalts sich bey Gelehrten aufzudringen, dabey kömmt nicht viel mehr heraus, als daß man ihnen ein Paar kostbare Stunden stiehlt; unter den Officiers hingegen haben wir sehr feine, sitsame, wackre und bescheidene Leute angetroffen, wovon wir wohl Einige, wenn wir öfterer hierher kommen, näher kennen zu lernen suchen werden. Die Bibliothek hat wenig sehr Merkwürdiges. Der Landgraf hat aber eine schöne Privat-Büchersammlung, die er nicht blos hingestellt hat, sondern auch liest, welches ihm wohl mehr Ehre macht, als wenn er jährlich für eine große Summe einige Ellen Bücher zu der öffentlichen Bibliothek kaufen liesse, damit, an gewissen Tagen, die Fremden die schönen Bände angaffen könnten. Was der Herr von Hohenau von dem hier herrschenden französischen Tone schreibt, ist sehr wahr. Mich hat das aber nicht gefreuet. Ueberhaupt ist es ein großes Elend, daß itzt der Deutsche sich wenig um einen eigenthümlichen, festen Character bekümmert. An einem Orte, wo etwa eine englische Prinzessinn ist, muß alles geengländert seyn, und drey Meilen von da findet man wieder ein kleines Volk von Halbfranzosen. Wenn werden wir einmal anfangen einen eigenen Weg zu gehen? Die allgemein in Deutschland nachgeamte feine politische und galante französische Lebensart, der Ton von falschen Artigkeiten und von verbindlichen Dingen, welche man sich vom Morgen bis zum Abend herplappert, macht uns zu elenden Puppen, und verdrängt alles Gefühl von Eigenheit aus unsren zusammengeflickten Conventions-Charactern. Ein Mann, der feinen Weltton hat, muß gerade eben so seyn und handeln, als ein anderer von der Art. Wer daher viel in der großen Welt lebt, wird beynahe immer schon voraus sagen können, was Dieser oder Jener auf dies oder das antworten wird. Und die feinen Züge des Gesichts, in denen sich das Bild der Seele und die kleinen unmerklichen Ebben und Fluthen der Leidenschaften, welche dem Umgange ein so herrliches Interesse geben, abdrücken, das sanfte Lächeln, die zärtliche Unruhe, die Sehnsucht, die edle Schamröthe, und der Abdruck von tausend andern seligen Empfindungen, überkleistern unsre Damen mit einer rothen Farbe, die ihnen das Ansehn einer am hitzigen Fieber leidenden Person giebt – Doch was hilfts, darüber zu reden? allein das alles ist eine höchst jämmerliche Barbarey. Man hatte mir gesagt, daß man in Cassell sehr frey über Religion denke. Das kann wahr seyn; was mich aber gefreuet hat, ist gewesen, daß man wenigstens nicht frey darüber redet. Der Mann, welcher öffentlich über Dinge spottet, worauf andre Menschen ihre Ruhe bauen, ist ein schlechter Kerl, wäre er auch der Erste im Staate. Ueberhaupt, denke ich, soll man über Religion nie, weder im Guten noch Bösen, in Gesellschaften reden. Zu einer flüchtigen Unterredung ist das keine Materie; überlasse man doch einem Jeden, für sich in der Stille, an der Ruhe seiner Seele zu arbeiten! Der arme Müller weiß noch nicht recht, wie er das Ding hier angreifen soll. Könnten Sie, mein theuerster Wohlthäter! nicht etwas für ihn thun? Mein junger Freund wollte Sie schon darum bitten, aber er hat den Muth dazu nicht. Er sagt, man müsse nicht immer auf Ihre Wohlthätigkeit losstürmen. Doch, kenne ich Sie denn nicht, verehrungswürdiger Herr? Wie sollte ich mich scheuen, Ihnen eine Aussicht zu zeigen, den Würkungskreis Ihrer großmüthigen Seele zu erweitern? Mein Papier geht zu Ende, in ein Paar Stunden wollen wir fort, und gegen Abend sind wir in Göttingen, denn die Wege sind ziemlich, und werden bald vortreflich werden. Auch durch Hessen wird, wie ich höre, der Landgraf, der so viel für das gemeine Beste thut, alle Landstraßen bauen lassen, welches sehr nöthig seyn mag. Habe ich doch kaum noch so viel Platz, den Nahmen zu schreiben, Ihres unterthänig treuen Dieners, Meyer. N.S. Ich habe würklich schon angefangen, einige Hauptscenen aus meinem Leben aufzuzeichnen. Wenn das Ganze fertig ist, werde ich so frey seyn, es Ihnen zu schicken. – Aber Toleranz! Toleranz! 5. Brief Fünfter Brief. An die ehr- und tugendsame Jungfer, Anna Maria Sievers, Haushälterinn in Diensten von Ihro Gnaden, den Herrn Baron von Leidthal, in Urfstädt. Göttingen den 20ten October 1769. Meine hertzlich liebe und werthe Jungfer! In der Hofnung, daß diese wenigen Sie werden in guten Gesundheits-Umständen antreffen, kann ich nicht unterlassen, an Sie zu schreiben, wie ich versprochen habe, wiewohl dieses spät, welches zu excusiren bitte, Ursach dessen, weil wir in Cassell gewest seyn. Ach! meine liebe Jungfer! was ist das vor eine charmant e Stadt, und für ein excellent Leben in dem Cassell! Und alles ist so lustig da. Was müssen die Herrn nicht alle vor Geld haben! Auch seyn sehr artige und freundliche Frauenspersonen da, und wenn einer des Abends spazieren geht; so sieht man Damens, die so hübsch angezogen seyn, als die Frau Pfarren in Urfstädt, und noch hübscher, die einen doch grüßen, und gar nicht stolz seyn, aber das habe ich nun erfahren, daß eine gar böse conduite gefunden werden soll in dem Cassell, doch ist keine so hübsch, als meine liebe Herzens-Jungfer Sievers. Und wann mir auch mein Herze bricht, Vergeße ich doch Ihrer, meine allerliebste Jungfer Sievers! nicht. Ich habe auch ein Paar Kummedien gesehen, aber das hat mir, die Wahrheit zu sagen, nicht gefallen wollen. Da war Eine, die sollte ganz unschuldig thun, und liebäugelte doch immer nach einem Officier, von den großen schönen Ofciers, die der Herr Landgraf sich hält. Was sie sagten, das verstand ich eigentlich nicht, obgleich ich ein bisgen französch kann. Sie plappern das gar zu geschwind weg, weil sie es auswendig wissen, und gern bald fertig seyn wollen. Aber alle Augenblick fieng einer mitten im Sprechen an zu singen, das konnte ich auch nicht begreifen warum. Göttingen ist gar nicht schön, aber die Herrn Pursche seyn doch sehr lustig. Spazieren gehen kann man gar nicht, denn es ist hier kein Garten. Wenn mein Herr sich im Sommer wird wollen eine Verlustirung machen; so wird er müssen ausreiten auf ein Dorf, und da ist auch kein gut plaisir. Die Herrn Professors sollen nicht sehr lustig in Gesellschaft seyn, und haben alte Frauen. Es ist gewaltig theuer hier, und die Juden wird man gar nicht los. Sie betrügen die Herrn Studenten gar abscheulig, aber das darf jedermann hier thun, besonders der eine Gumprecht das ist ein rechter Schelm. Mein Herr und Herr Meyer die gehen nicht viel aus, ausser in die Collegi, und dann, so wohnt in unserm Hause ein junger Herr von Hundefeld, mit dem gehen sie viel um, und sein Bedienter, der Musjö Haber, der ist mein sehr guter Freund. Adje, meine herzliebe Jungfer! Ich schreibe heute keinen weitläuftigen Brief, weil ich meines Herrn seine neue Stiefel in Glänz-Wachs setzen muß; so kann ich Ihr heute keinen längeren zufügen. Doch verbleibe ich stets im Herzen, Im Glück und Unglück, Noth und Schmerzen, Meiner allerliebsten Jungfer Sievers Ihr treu ergebenster Freund Christoph Birnbaum. 6. Brief Sechster Brief. An den Herrn von Hohenau, in Göttingen. Urfstädt den 8ten November 1769. Mein lieber Hohenau! Du wirst ein Paar Zeilen von mir bey Deiner Zurückkunft in Göttingen gefunden haben, und eben erhalte ich auch des Herrn Meyers kleinen Brief, 1 darinn er mir den Anfang Eures Fleißes meldet. Ich habe aber nicht ehr als itzt Muße gehabt, auf jeden Punct in Deinem und Deines lieben Mentors Briefen zu antworten. Wir wollen nun einen Vertrag zusammen machen: Ihr sollt mir immer nur gemeinschaftlich Einen Brief schreiben, und so will auch ich, wenn ich zuviel Geschäfte habe, Deinen Freund, den Hauptmann von Weckel, für mich antworten lassen. Ich wundre mich gar nicht, daß Dir Cassell so sehr gefallen hat. Ich habe dort auch manche fröhlige Stunde gehabt, und kenne den Landgrafen, denn ich habe viel an seinem Hofe und sonst mit ihm in Hamburg und Braunschweig gelebt. Einige Deiner Anmerkungen über diese Stadt haben mir sehr gefallen; laß mich nur eine kleine Erinnerung dabey machen, die Dir indessen nicht neu seyn wird. Hüte Dich nemlich, an einem fremden Orte gar zu genau nach kleinen Umständen zu kundschaften, welche die Regierungsart, Hof- und Stadt-Annecdoten u.d. gl. angehen. Man kann dadurch oft in große Verlegenheit kommen. Ueberhaupt rede davon, von Krieg und Frieden, vom Wetter, von Verwandtschaften, von Vorzügen Deines Vaterlandes u.s.f. so wenig, als möglich. Man erfährt von diesen Dingen, wenn man auf die rechte Art reiset, und sich unter allerley Gattungen von Menschen mischt, doch immer genug, und oft am mehrsten, wenn man am wenigsten das Ansehn hat, etwas davon wissen zu wollen. Es giebt ja der müssigen Geschöpfe so viel, die ein lebendiges Register solcher Nachrichten sind, und nur gar zu gern einen Reisenden davon unterhalten. Es würde dem Landgrafen von Hessen ein großer Schatz seyn, wenn Dein romantisches Münden ihm zugehörte, weil dadurch seine Schiffahrt uneingeschränkter würde. Vielleicht könnte Hannover sich auch wohl dabey befinden, wenn es einen Tausch gegen das schöne Schaumburgische zu Stande brächte. Doch gäbe es wohl Mittel, wodurch der Landgraf die Handlung der Mündenschen Schiffer und Kaufleute ziemlich lahm legen könnte. Da ich aber nicht davor bezahlt werde, denen deutschen Fürsten Projecte zu machen, und Du itzt den Commerzienrath Müller nach Cassell gebracht hast; so überlasse ich diesem die Ehre, einen solchen Plan anzugeben. Des Landgrafen Character mußt Du aus dem Munde eines Mannes haben schildern gehört, der ihn gewiß nicht miskannt hat. Uebrigens, mein liebes Kind! wünsche ich, daß Du Dich nie von denen mögest hinreissen lassen, die, wie es jetzt sehr Mode ist, so gern Fürsten lästern. Du weißt nicht, mein Sohn, wie verkehrt diese Art Menschenkinder erzogen wird, und wie billig es also ist, Geduld mit ihnen zu haben. Die offenbaren Schmeicheleyen sind eben nicht das, was sie am mehrsten verderbt, denn gegen die Würkungen, welche dadurch verursacht werden, kann ein kluger Hofmeister noch einen jungen Prinzen mit edlem Stolze und Grundsätzen wafnen. Allein die kleinen unmerklichen Eindrücke, welche sein Character durch den stillschweigenden Beyfall bekömmt, welchen, dem Anschein nach, niemand seinen Handlungen versagt, diese machen ihn von Jugend auf unempfindlich gegen das muthmaßliche Urtheil derer, mit denen er lebt. Wenn ein gewöhnlicher Mensch, wäre er auch noch so reich, auffallende Fehler des Verstandes oder Herzens von sich blicken läßt; so merkt er, trotz aller Eigenliebe, bald, daß er, in denen Verhältnissen, worinn er kömmt, schädliche Folgen davon ertragen muß. Man flieht ihn, oder weicht ihm wenigstens aus, wenn er stolz, unverträglich, langweilig, eigensinnig, oder sonst nicht zur Gesellschaft ge macht ist. Ein Mann aber, der einst Länder und Völker regieren soll, kömmt selten, von seiner Kindheit an, in einen Circul von Leuten, die gar nie abhängig von ihm werden. Diejenige, die um ihn versammlet sind, ertragen ihn, um sich den heranwachsenden Potentaten nicht früh zum Feinde zu machen. Die jüngeren Brüder, bey denen dies weniger der Fall ist, sind deshalb gewöhnlich erträglicher, als die regierenden Herrn. Wenn ich mir nun überhaupt vorstelle, wie sehr unser Character durch das Schicksal umgeformt werden muß; wie wir Andre durch die mancherley eigene Erfahrungen, wiedrige Begebenheiten und Bekanntschaft mit dem verschiedenen menschlichen Elende, nach und nach besser werden; wie wenig von diesem allen ein Fürst erlebt; wie schwer es also ist, einen Prinzen mit der Menschheit bekannt zu machen; wie sehr ferner die Wahl ihrer Hofmeister oft in den Händen der Cabale ist – kurz, wie schlecht mehrentheils die Großen der Erde erzogen werden; so muß man sich billig wundern, daß es noch leidliche Geschöpfe unter ihnen giebt, und doch habe ich in der That in funfzig Jahren zwey oder drey angetroffen, welche verdient hätten – keine Prinzen zu seyn – Ich sage: verdient hätten, keine Prinzen zu seyn; denn welcher unter allen Ständen scheint wohl weniger bestimmt, das süße Glück des Lebens zu schmecken? Man sagt: »Fürsten können Vielen helfen, Viele glücklich machen.« Allein, dagegen macht auch jedermann Ansprüche auf ihre Wohlthaten, und doch können sie nicht jeden befriedigen, müssen so Manchen ohne Trost von sich lassen. Das Glück der Freundschaft und die häuslichen und geselligen Freuden schmecken sie auch nur selten, unvollkommen oder gar nicht. Weil sich aber jedermann ihnen von der besten Seite zeigt, und weil sie immer nur in großen Circuln leben, wo äusserlich sich alle Menschen gleich sehen; so werden sie weder mit den feinen Nüancen der Charactere, noch mit den kleinen interessanten Begebenheiten, welche die guten lieben Menschen aneinander ketten, recht bekannt. Deswegen sind sie auch gewöhnlich, aus Mangel an wahrhafter Seelen-Kenntniß, zu leichtgläubig oder zu mistrauisch. Von allen Wissenschaften wird ihnen eine kleine Idee beygebracht, aber von keiner können sie mehr als die Oberfläche berühren, weil man ihnen zu vielerley eintrichtern will, und weil Mangel an Zeit und häufige Zerstreuungen sie verhindern, sich auf etwas Einzelnes mit Ernst zu legen, deswegen wissen sie auch hernach schwerlich geschickte und fähige Leute zu beurtheilen, und der glänzendeste Gelehrte ist ihnen der gründlichste. Von der andren Seite denke Dir einmal ein armes gutes Fürsten-Mädgen! wie elend ist nicht deren Schicksal! Im Zwange des Ceremoniels erzogen, bewacht, mit Langerweile unterhalten, für alle Eindrücke der Liebe bewahrt, wird sie hernach mit einem Menschen gepaart, den sie zuweilen nie in ihrem Leben gesehen hat, der, nebst seinen Favoriten und einem alten Drachen von Fräulein Oberhofmeisterinn, eine Sclavinn aus ihr macht; der, wenn er ein Paar Kinder mit ihr gezeugt hat, sie verachtet, sich einer feilen Dirne in die Arme wirft, und nach seinem Tode die arme Fürstinn der kalten, oft unedlen Begegnung des Tronsfolgers aussetzt, dessen Herz dann gewöhnlich gerade soviel von kindlicher Liebe fühlt, als der äussere Anstand erfordert. Du siehst also, mein Freund! wie sehr dieser Stand Mitleiden und Nachsicht verdient, und wie dankbar man dem Schicksale seyn muß, wenn es uns gute Fürsten giebt, und deren giebt es doch noch in unsrem lieben Vaterlande. Es ist sehr wahr, was Sie, mein lieber Meyer! über den verschiedenen Ton, über die verschiedenen Grade der Cultur, und über die verschiedenen Sitten der kleinen deutschen Völker sagen. Einem Fremden muß das besonders sehr auffallen. Aber dies wird wohl immer ein pium desiderium bleiben, solange unsre Regierungsformen so mannigfaltig, und unsre Verhältnisse mit auswärtigen Höfen so ungleich bleiben. Im Grunde denke ich doch, auch der Deutsche hat immer so etwas Characteristisches, selbst wenn er nachahmt, das den Geschmack des Bodens behält. Und glauben Sie ja nicht, daß wir die einzigen Affen andrer Nationen sind, und daß nur in unsrem Vaterlande keine Einheit von Nationalgeist herrscht! Franzosen und Engländer, welche einander beständig hassen, ahmen sich unaufhörlich nach, und in beyden Reichen haben die Einwohner mancher Provinzen oft mit ihren nächsten Nachbarn beynahe nichts Aehnliches, als die Sprache. Daß aber in unsren Kunstwerken nicht derselbe einzige Styl herrscht, ist eben daher leicht zu begreifen. Allein, oft ist in der That der Contrast über alle Maße groß. Wer sollte, z.B., glauben, daß Halladat und Musarion in Einem Zeitalter geschrieben wäre? Ein Buch, welches das Gepräge der einfachsten, unbeflecktesten Sitten trägt, und eins, das die feinste Corruption voraussetzt! Ein Bürgerhaus in Nürnberg und eins in Potsdam, wie abstechend! Nun etwas von dem armen Müller! Seine Geschichte hat mich gleich anfangs interessirt, wie ich Ihnen das schon gesagt habe, und sein durch traurige Erfahrungen geformter Character, wie Sie ihn da beschreiben, hat etwas Herzergreifendes für mich. Freylich ist es nicht gut, über sein Ungemach laut zu klagen, aber nicht nur, weil man alsdann selten Freunde hat, sondern überhaupt um sein Selbst willen. Es ist nöthig, sich daran zu gewöhnen, alles, was uns in dieser Welt begegnen kann, mit fröhligem Muthe zu ertragen. Man wird nicht zwey Tage auf dieser Erde, ohne unangenehme Vorfälle, hinbringen können, und das ist auch natürlich, denn diese Abwechselung hat ihren Grund in der Kette der menschlichen Handlungen, welche von Wünschen und Leidenschaften regiert werden. Wenn man nun sehr empfindlich ist, wie etwa Du, mein lieber Hohenau! so sieht man denn gern die geringsten Ungemächlichkeiten, wenn nicht alles nach unsrem Kopfe geht, als ein großes Unglück an. Hast Du Dich aber einmal daran gewöhnt, dem Schicksale Macht über Dich zu geben; so hast Du zuletzt keine heitre Stunde mehr, und wirst leicht dahin kommen, auch die, welche mit Dir leben, Dein Misvergnügen fühlen zu lassen, welches doch höchst unbillig ist. Ueberhaupt ist wenig Unglück in der Welt, für welches wir nicht aus uns selbst die Arzeney schöpfen könnten. Ein gewisser Grad von Leiden ist auch gut, um die gesunden Zwischenstunden desto seliger zu fühlen – Aber alles Ungemach des Lebens ist leicht für einen Weisen, und noch leichter für einen Narren. Das ist indessen auch richtig, daß es wenig Menschen giebt, die nicht, auf irgend eine feine oder grobe Art, einen Schritt zurückträten, wenn sie uns in Bedrängniß sehen. Vielleicht wirst Du in Deinem Leben nicht einen Einzigen antreffen, dem Du sicher Dein ganzes Herz eröfnen dürftest. Auch die Beständigkeit in Ueberwindung der Hindernisse ist mir ein schöner Zug in Müllers Character. Ohne diesen edlen Eigensinn bringt man es überhaupt nie zu etwas Großen. Ich könnte Dir böse darüber seyn, mein lieber Sohn! daß Du nicht das Zutrauen zu mir hast, mich um Hülfe für den armen Mann anzusprechen. So lange man selbst helfen kann, muß man freylich keine Anweisungen auf andrer Leute Wohlthätigkeit geben. Aber wenn das wegfällt, warum will man dann einem Menschen, der dienen kann und mag, die Freude misgönnen, dem Nothleidenden die Hand zu reichen? Da ich nicht gern eine Gelegenheit vorbeylasse, Dir die süße Pflicht der Wohlthätigkeit zu empfehlen; so laß mich hier noch ein Paar Worte darüber sagen! Gieb jedem Armen ohne Unterschied. Also schlage keinem, der Dich um etwas anspricht, eine kleine Gabe ab, so lange Du etwas hast. Bestelle auch nie bey Deinen Bedienten, daß sie sagen sollen, Du seyest nicht zu Hause. Das thun nur hartherzige und falsche Menschen. Deine Thür sey jedem offen. Kömmt ein zudringlicher, langweiliger Mensch; so giebt es schon Mittel, seiner bald los zu werden, und am Ende ist das Unglück nicht groß. Man kann aus jedem Gespräche lernen, und bey dem tümmsten Vortrage gute Gedanken haben. Das ist aber nicht wahr, daß einer so viel Geschäfte hätte, daß er nicht ein Paar Minuten abbrechen könnte, um das Anliegen eines Menschen zu hören. Kömmt nun auf diese Art ein Bittender zu Dir, der um ein Paar Gulden flehet, oder um eine andre Wohlthat, und Du kannst sie ihm nicht geben, ohne einen Würdigern zu kränken, oder Du hast selbst nicht soviel zu entbehren; so laß Dich doch nicht durch falsche Schaam bewegen, eine leere Ausflucht zu suchen. Sage geradezu: »Ich kann nicht, aber drey Groschen kann ich geben; hier sind sie, mit gutem Herzen!« und glaube mir, die Redlichkeit Deines Verfahrens wird ihn rühren, und sich selbst belohnen. Diene jedem, wo Du kannst. Wird es mit Undank, mit Spott, belohnt; desto uneigennütziger, desto edler, ist die Handlung. Denn wenn man Dank einerndtet; so hat unsre Eitelkeit schon den Lohn dahin, und da kann ja jeder hingeben, wo es Früchte bringt. Ist der Mann ein Bösewicht; desto schlimmer für ihn, er ist um desto unglücklicher, um desto mehr ein Gegenstand des Mitleids. Vergiß nie, daß es besser ist, hundertmal betrogen werden, als einmal da den Armen im Elende seufzen lassen, wo man Trost in ein gekränktes Herz giessen könnte. Nun! und kann man endlich gar nicht helfen, mein Sohn! o! so weine eine Thräne des Jammers mit dem Unglücklichen, und oft wird ihm diese brüderliche Gabe, mehr als Säcke Goldes, werth seyn. Auch ist es zuweilen mehr Verdienst, dem Freunde sein mitleidiges Herz, als seinen Geldbeutel, zu öfnen. Nach dieser kleinen Ausschweifung will ich mich erklären, was ich, in meinen Umständen, für den Herrn Müller thun kann. Wenn einer von seinen Söhnen über vierzehn Jahr alt ist, so mag er mir denselben schicken; ich will für seinen Unterricht und dafür sorgen, ihn, nach seiner Neigung, irgend eine Lebensart ergreifen zu lassen. Sollte aber Müller mehr für seine eigene Person verlegen seyn, wie ich das vermuthe, wenn er etwa in Cassell nichts ausrichtete, weil er alsdann gar nichts vor sich sähe, und hingegen für seine Familie noch wohl in Amsterdam Unterstützung hoffen dürfte; so mag er selbst kommen! Da wollen wir dann sehen, wie wir einig werden, damit er mir nicht zuviel Verbindlichkeit habe, und ich nicht ganz ohne Eigennutz handle. Mehr kann ich aber itzt nicht thun. Also nur Eine Person, verstehen Sie mich! entweder den Vater oder einen Sohn. Darüber erwarte ich nun Antwort, um eine Einrichtung zu machen, damit er auch nicht nöthig habe, zu Fuße zu kommen. Ich sehe mit Ungeduld Ihrer Lebensbeschreibung entgegen, mein lieber Meyer! und um Ihnen zu zeigen, wie dankbar ich für dies Geschenk seyn werde; so will ich Ihnen auch die Hauptbegebenheiten aus meinem unruhigen Leben aufschreiben, und stückweise schicken. Sie mögen dann den schwärmerischen jungen Menschen, den Sie bey Sich haben, soviel davon lesen lassen, als zu seinem Frieden und Nutzen dient, und das Uebrige in einem feinen guten Herzen bewahren. Längst schon habe ich diese Arbeit unternehmen wollen, nur hat es mir an Aufmunterung gefehlt. Ich werde gewiß keinen Vorhang vor irgend eine Scene ziehen. Anders handelt man im zwanzigsten, anders im funfzigsten Jahre, und wer sich schämt, zu bekennen, daß er oft Unrecht gehabt hat, ist noch weit von der Besserung entfernt. Erwarten Sie keine Antwort auf die Nachricht von der Einrichtung Ihrer Studien. Sie wissen meinen ganzen Erziehungsplan für den jungen Hohenau. Gelehrt wird man nie auf Universitäten; Er soll dort nur Metode lernen, selbst arbeiten und einsammlen zu können; Er soll aus den Beyspielen der Menge junger Leute von verschiedenen Nationen, Erziehungen, Anlagen, Richtungen, Temperamenten u.s.f. lernen Aufmerksamkeit auf sich selbst haben; Er soll lernen mit Freyheit, Geld und Zeit wirthschaften; Er soll lernen sich unter Leuten Achtung verdienen, die mit ihm in keiner andren Verbindung stehen, und daher keine Ursache haben, ihm zu schmeicheln. Da ich ferner weiß, daß in Göttingen eine sehr gute, ächte Freymaurer-Loge ist; so ersuche ich Sie, Sich bey derselben zu melden, um beyderseits aufgenommen zu werden. Sie werden, hoffe ich, dagegen nichts einzuwenden haben; Sie sind ein zu gescheuter Mann, um gegen eine Sache eingenommen zu seyn, welche Sie nicht kennen, und womit sich so viel kluge und gute Männer beschäftigen. Meine Ursachen aber, warum ich wünsche, daß Sie und unser Pflegesohn aufgenommen werden mögen, kann ich Ihnen itzt nicht sagen. Sie werden sie einst, wenn sie erst längere Zeit mit der Freymaurerey bekannt seyn werden, selbst mit inniger Freude fühlen, und dann kann ich Ihnen vielleicht Aussichten eröfnen, wovon Ihr Herz itzt nicht einmal die Ahndung hat. Vor der Hand thun Sie nur diesen ersten Schritt auf mein Wort. Sie werden keine abschlägige Antwort bekommen, ich habe Sie schon schriftlich empfohlen. Es versteht sich, daß ich die kleinen Ausgaben, die in allen ächten Logen dieselben sind, für Sie Beyde entrichten werde. Nun will ich diesen langen Brief schliessen. Lebt recht wohl, Ihr guten Leute! und vergeßt nicht Euren treuen Freund Leidthal. Fußnoten 1 Diese Stücke sind nicht in der Sammlung. 7. Brief Siebenter Brief. An den Herrn Commerzienrath Rath Müller, in Cassell. Amsterdam den 10ten November 1769. Ich bekam gestern, mein lieber Mann! Deinen Brief und die Nachricht von Deiner weiteren Reise. Du kannst leicht denken, wie sehr mich jede Erzählung von einem neuen mislungenen Plane beunruhigt, da unsre und der armen Kinder Hofnung Tag und Nacht auf Deine Ausrichtungen ruht. Gott gebe Dir gute Aussichten in Cassell. Ich denke, wenn Du es nur recht anfängst; so müßte es doch irgendwo gelingen. Nur kann ich nicht begreifen, wie Du es noch mit den Reisekosten und der Zehrung machst. Die Ringe und die goldene Uhr werden nun auch wohl fort seyn, die ich Dir in den guten Zeiten schenkte, wie ich noch für nichts zu sorgen hatte, und fröhlige Tage erlebte. Ja! die Zeiten sind aus, und ich schäme mich, vor die Thür zu gehen, daß die Leute, die mich im Wohlstande gesehen haben, nicht meiner spotten. Doch, ich will von diesen verdrießlichen Dingen schweigen, und Dir von unsren Kindern Nachricht geben. Der Aelteste wird Dir wohl geschrieben haben. Sein Patron ist sehr von ihm zufrieden. Ach ja! Fritz soll sich wohl durchhelfen, wenn er einmal nur auch, wie sein Vater, eine Frau mit etwas Gelde heyrathen könnte, und die ein eigenes großes Haus hätte! Er würde ja alsdann wohl aus unsrem Beyspiele lernen, besser Rath halten mit dem Seinigen. Es liegt alles daran, daß man den Handel versteht, sonst muß es freylich schief gehen, doch, den lernt er ja, wo er jetzt ist. An Ludwig werden wir wohl nicht so viel Freude erleben, der läuft den ganzen Tag herum, und geht in alle Commödien. Wo der Junge das Geld herkriegt, das weiß der Himmel. Mein Bruder lobt ihn indessen doch, und sagt, daß seine Lehrer von ihm zufrieden wären, was nehmlich das Studieren betrift, denn um seine Aufführung kann sich mein Bruder nicht bekümmern, aber er fährt fort, alles für ihn zu bezahlen, obgleich meine Schwägerinn ihm immer Vorwürfe darüber macht. Sophie kömmt zuweilen, wenn sie abkommen kann, zu mir. Sie klagt über nichts, und ihre Herrschaft hat ja auch allgemeines Lob, aber sie ist seit einiger Zeit so niedergeschlagen und traurig, daß ich gar nicht weiß, was dem albernen Mädgen fehlt. Gestern hat sie aus Versehen einen Brief hier verlohren, den ich Dir schicke, weil ich gar nicht daraus klug werden kann. Gott verzeyhe mir meine Sünde! das ist ein Brief, den ein Mensch geschrieben haben muß, der toll ist. Ich hoffe doch nimmermehr, daß sich schon jemand in das Kind verliebt hat. Ihr will ich noch nichts darüber sagen, bis Du mir Deine Meinung geschrieben hast. Die beyden Jüngsten wachsen heran, und mir wird angst ums Herz, wenn ich sie ansehe. Von den Freymaurer-Logen und von dem Herrn Grafen von Haxstädt bekomme ich noch immer das Geld richtig geschickt. Du großer Gott! wovon wollte ich auch sonst mit den armen Kindern leben? Das fühlst Du so nicht, weil Du immer herumreisest, aber ich empfinde es genug. Es kömmt auch kein Mensch mehr zu mir. Das ist mir nun recht lieb, ich mag mich vor niemand mehr sehen lassen. Ich werde wohl aufhören müssen; Angenehmes kann ich ohnehin nichts schreiben. Der liebe Gott gebe uns bald besseres Glück! Ich bin ewig Deine treue Frau, Christine Müller. 8. Brief Achter Brief. (in dem vorhergehenden eingeschlossen.) Hamburg den 1sten November 1769. Abends 11 Uhr. Meine ewig theure Sophie! Warum kann ich nicht mit diesem Briefe zu Dir hinfliegen, Dich an mein treues Herz drücken, und Dir sagen, wie viel dies arme Herz seit unserer Trennung leidet! Ach Sophie! Es ist erstaunlich hart, von dem besten Mädgen getrennt zu werden – Und wenn werde ich Dich wiedersehen? Mein Oncle rechnet darauf, mich wenigstens ein Paar Jahre bey sich zu haben – Aber, Gott weiß, ich kann das nicht. Wenn ich so einsam auf meinem Zimmerchen sitze, und nach Deinem Bilde, das immer vor meinen Augen schwebt, voll süßer Schwärmerey, die Arme ausstrecken will, und dann der Gedanke, daß die Freundinn meiner Seele fern von mir ist, mit seiner ganzen Last auf mich zurückfällt; o! dann bin ich oft im Begriff, fortzulaufen, mit dem ersten Schiffe zurück nach Amsterdam zu fahren, mich meinem Vater zu Füßen zu werfen, und ihn um seine Einwilligung zu bitten. Sophie! himlische Sophie! ich kann nicht länger ohne Dich leben. Meine unschuldige, treue, heilige Liebe zu Dir ist ein Theil meines Wesens geworden. Wo Du nicht bist, da ist mir alles geschmacklos und leer. Mein Oncle bemüht sich vergebens, mich aufzumuntern. Hamburg könnte mir gefallen, aber ohne Dich ist mir's eine Einöde. Mein erster Gedanke in einem fremden Hause ist, zu wissen, nach welcher Gegend hin Amsterdam liegt, und wenn ich ein Mädgen sehe; so frage ich mich selbst, ob sie nicht Einen Zug, nicht einen einzigen lieben Zug, von Dir hat. Der Mond scheint so schön durch mein Fenster. Ich will es öfnen – Ach! vielleicht stehst Du itzt auch da, und siehst dem tröstenden Freunde aller Bedrängten in sein liebevolles, sanftes Gesicht – Indem ich vom Stuhl aufgestanden war, und meine nassen Blicke auf den kleinen Garten heftete, der unter meinem Fenster liegt (denn ich wohne im Hinterhause); sahe ich quer über ein Kätzgen zu ihrem Freunde schleichen – Glückliches Kätzgen! – Sophie! lache nicht über mich! Liebe, Liebe schallt unaufhörlich in jeder meiner Nerven. Alles, was ich sehe, giebt dieser schönen Leidenschaft Nahrung. Gute Nacht! Den 2ten November Morgens 7 Uhr. Ich stehe eben auf, und mein erster Gedanke ist, mit meiner Freundinn zu plaudern. Noch immer habe ich Nacht und Tag den Kern von der eingemachten Kirsche im Munde, den Du mir aus Scherz gabst, als ich, zwey Tage vor meiner Abreise, bey Deinen Hausleuten speisete. Es ist innige Wonne für mein Herz, daß nur Gott allein das Geheimniß unserer schuldlosen Liebe weiß – Erinnerst Du Dich noch, meine Sophie! wo wir uns zum erstenmal sahen? Als Du mit Deiner Mutter in Mastricht warst, da besuchte ich Euch im Gasthofe. Ich war erst vierzehn Jahr alt, und bey dem Secretair Agtstädt in Pension – Es sind nun acht Jahre – Weißt Du es noch? Wir waren in einer grünen Eckstube. Deine Mutter verließ uns auf kurze Zeit, um mit einem Geschäftsmanne zu reden; ich blieb allein bey Dir. Ach! bestes Mädgen! Von dem Augenblicke an pochte mein Herz lauter. Wenn Du Deine lieben sanften Augen auf mich heftetest; so konnte ich nicht Ein zusammenhängendes Wort hervorbringen – O Sophie! Du mußt mein werden, Du bist ewig mein. Der Himmel schuf uns für einander. Wie oft hat uns, bey den kleinsten Begebenheiten, die Aehnlichkeit unserer Gefühle überrascht! Welche unerklärbare Sympathie war stets in unsren Temperamenten, in unserm ganzen Wesen! Nur, wie auf feinem Papiere jede Zeichnung weicher, heller, reiner aussieht, als auf gröberem; so herrscht auch in Deinem feineren Gewebe mehr Milde, als in meinem männlichen Character. Aber seitdem ich Dich liebe, hat ewiger Friede mit allem, was mich umgiebt, in meiner Seele Platz genommen; Ich tödte keinen Wurm, keine Fliege. Der Gedanke, daß eine Creatur über mich seufzen könnte, kann mir Thränen auspressen. Auch dünkt mich, als betrachteten die guten Geschöpfe mich als ihren Freund; Ich kann mitten unter sie treten, keine Taube, kein Vögelchen fliegt vor mir weg, und wenn ein armer Hund seinen Herrn sucht; so bin ich der Erste, an den er sich wendet. Nie habe ich so den hohen Werth der Musik gefühlt, als itzt. Wenn mein schweres Herz, in trüben Augenblicken, sich nach Dir sehnt, und rund umher einen Freund sucht, mit dem ich wenigstens von meiner Sophie reden könnte, und den nicht findet, in dessen Schoos ich meine Klagen ausschütten dürfte; dann ist das treue Clavier mein süßestes Labsal. Als ich Abschied von Dir nahm, da senktest Du Dein liebes Haupt auf meine Schulter. Es war Puder aus Deinen Haaren auf mein braunes Kleid gekommen. Gestern nun hat mein unempfindlicher Kerl von Bedienten all den lieben Puder abgebürstet; Ich hätte vergehen mögen, als ich sah, daß es geschehen war. Ich muß schliessen. Mein Oncle läßt mich rufen, und in ein Paar Stunden geht die Post ab. Vielleicht bekomme ich morgen ein Briefgen von Dir. Du weißt doch noch, wohin Du die Briefe addressiren sollst, und zwar mußt Du dabey setzen: »Am Jungfern-Stie ge bey dem Herrn Prinzhausen abzugeben, und daselbst bis zur Abholung liegen zu lassen.« Was für Nachricht hast Du von Deinem unglücklichen Vater? Ich armer Junge! daß ich nicht Herr über mein elendes Vermögen bin! – Doch, was hilft das Schwätzen? – Lebe wohl, mein Engel! meine süße theure Sophie! Ich bin ewig Dein treuester Gustav. 9. Brief Neunter Brief. An Madam Müller, gebohrne van Blüm, in Amsterdam. Cassell den 26ten November 1769. Meine liebe Frau! Es thut mir in der Seele leid, daß Dir das Fehlschlagen meiner Plane so viel Kummer macht. An Mühe laß ich es wahrhaftig nicht mangeln, und glaube auch, es nicht unrecht anzugreifen. Dabey lasse ich mich durch keine Schwierigkeiten abschrecken, reise fast immer zu Fuß, spare, wo ich kann, und leide, wo ich muß. Aber das Glück begünstigt meine Unternehmungen nicht. Gott weiß am besten, in welchem Gemüthszustande ich oft bin, und freylich trägt ein solcher Brief, wie Du mir ihn geschrieben hast, nicht dazu bey, mich ruhiger zu machen. Unterdessen hat eben, als ich schon wiederum voraus sahe, daß ich hier keinen Unterhalt finden würde, das Schicksal mir einen Wohlthäter zugeführt. Es hat nemlich der Baron Leidthal zu Urfstädt im ... durch Freunde von mir eine vortheilhafte Idee bekommen. Da er nun reich und allein auf dem Lande ist; so hat er mir den Vorschlag thun lassen, ihm auf seinen Gütern Gesellschaft zu leisten. Er will sich also meiner annehmen, ich soll gleich zu ihm kommen, und alsdann will er mir die näheren Bedingungen eröfnen. Obgleich ich nun daselbst vorerst wohl schwerlich mehr als eine Versorgung für meine eigene Person vor mir sehe, für die Meinigen aber noch nichts; so habe ich doch kein Bedenken tragen können, dies grosmüthige Anerbiethen mir zu Nutze zu machen, denn ich bekenne Dir's gern, daß mein Geld nun gänzlich verzehrt ist. Man wird mir aber Pferde und Reisegeld schicken. Sobald ich angekommen seyn, und erst die genaueren Umstände werde erfahren haben, will ich Dir ausführlich Nachricht von Allem geben; Ich reise in wenig Tagen. Darauf kannst Du fest bauen, meine liebe Frau! daß Dein und unsrer Kinder Glück mir mehr als meine eigene Ruhe am Herzen liegt. Sieh also nur vorerst zu, wie Du noch eine Zeitlang nebst den beyden Kleinen von der Hülfe, die Euch gute Menschen reichen, lebest. Das aber, mein Kind! sollte Dich itzt wohl am wenigsten rühren, was eitle Menschen darüber reden können, daß Du nicht mehr mit Glanz unter ihnen herumfährst. Das einzige wahre Glück liegt doch wohl in der Rechtschaffenheit, in der Ruhe des Herzens, und beruht nicht auf Vorurtheile. Die Uhr habe ich nicht verkauft. Ich hatte hier die Freude, einen alten Bekannten zu finden, den Cammerdiener des würdigen vortreflichen Fürsten von Weilburg, der in Mastricht Gouverneur ist. Er reiset zurück nach Holland, und ihm habe ich diese Uhr mitgegeben. Er wird sie Dir überschicken, und Du magst hernach davon, nach Deinem Gefallen und nach der Lage der Umstände, Gebrauch machen, bis ich auf andre Art Rath schaffe. Was den Brief betrifft, den Sophie verlohren hat; so hat das weiter nichts auf sich. Die Hand war leicht zu erkennen. Sage ihr aber nur gar nichts darüber, denn ich habe alle desfalls nöthigen Schritte gethan. 1 Auch wegen Ludwigs Aufführung habe ich mich an einen verständigen Freund gewendet. 2 Umarme Du meine Kinder in meinem Nahmen, und erziehe sie zu guten, fühlbaren Menschen. Sobald ich kann, will ich Dir meine sichre Addresse schicken. Lebe wohl, meine liebe Frau! und vergiß nicht, daß ich ewig seyn werde, Dein treuer Mann, Heinrich Müller. Fußnoten 1 Wie der folgende Brief bezeugt. 2 Dieser Brief findet sich nicht. 10. Brief Zehnter Brief. An den Herrn von der Hörde, berühmten Banquier in Amsterdam. Cassell den 26ten November 1769. Hochgeehrtester Herr! Die Ursache, warum ich Ihnen mit diesem Briefe beschwerlich falle, ist gleich wichtig für Sie und mich, also entschuldige ich die Freyheit nicht, welche ich mir nehme. Es ist nemlich, durch einen Zufall, ein Brief, welchen meine älteste Tochter (der, wie Sie wissen werden, Herr und Madam Bovi die Erziehung ihrer Kinder anvertrauet haben) von Ihrem Herrn Sohn aus Hamburg bekommen hat, in meine Hände gefallen. Dieser Brief nun ist in Ausdrücken geschrieben, welche klar genug beweisen, daß beyde junge Leute eine Leidenschaft für einander gefaßt haben, die ihnen, wie ich fürchte, einen Theil ihres Lebens verbittern wird. Sie wissen, mein Herr! daß unsre Kinder, in meinen glücklichen Tagen, früh mit einander bekannt geworden, und so zusammen aufgewachsen sind. Unsre beyderseitigen Geschäfte haben uns verhindert, genauer auf ihre kleine Schritte Achtung zu geben, und das Zutrauen, welches wir sicher auf sie setzen dürfen, kann uns auch Bürge dafür seyn, daß nur die unschuldigste Liebe diese jungen Leute vereinigt hat. Allein wir haben auch Beyde Ursache, den unglücklichen Folgen dieser heftigen Leidenschaft vorzubeugen. Unter andern Umständen würde mir eine Verbindung mit Ihrem Hause, durch einen so wackren jungen Menschen, als Ihr Herr Sohn ist, Ehre und Glück seyn – Aber Sie kennen itzt die Lage, darinn ich bin, daß ich nemlich gar kein Vermögen mehr besitze, und darauf werden Sie doch, wenn Sie über kurz oder lang Ihr Kind versorgen wollten, vermuthlich Rücksicht nehmen. Deswegen nun halte ich es vor Pflicht, Ihnen diese Entdeckung mitzutheilen, damit wir gemeinschaftliche Maaßregeln dagegen nehmen können. An meine Tochter habe ich heute auf eine Art geschrieben, welche ich für die einzige würksame halte, um ihren Verstand gegen die Verirrungen ihres Herzens zu Hülfe zu rufen, ohne das Uebel ärger zu machen. 1 Was Sie in Ansehung Ihres Herrn Sohns thun wollen, muß ich Ihrer Klugheit überlassen, und glaube also, nicht nöthig zu haben, Ihnen noch in Erwegung zu bringen, daß diese ganze Sache wohl mit Verschwiegenheit, Sanftmuth, und überhaupt mit nicht gemeiner Vorsichtigkeit wird geführt werden müssen. Das alles werden Sie Sich selbst am besten sagen können, da Sie Ihren Herrn Sohn lieben, und die Lebhaftigkeit seines Temperaments kennen. Also bedarf ich nichts mehr hinzuzufügen, als die Versicherung der vollkommensten Hochachtung, mit welcher ich zu verharren die Ehre habe, Ihr ergebenster Diener, Heinrich Müller. Fußnoten 1 Dieser Brief ist nicht hier. 11. Brief Eilfter Brief. An den Freyherrn von Leidthal, in Urfstädt. Göttingen den 1sten December 1769. Gestern, mein theuerster Wohlthäter! ist Herr Müller hier angekommen. Die Pferde für ihn waren schon da, und haben uns Ihren gnädigen Brief und das Paquet mit dem Reisegelde für den armen Commerzienrath, 1 der ganz verstummte, als er die wahrhaftig großmüthigen Proben Ihrer Freygebigkeit sah, richtig überbracht. Er wird Ihnen am besten von unserm Befinden mündlich Nachricht geben können, und da er morgen abreiset; so will ich diese Zeit nur anwenden, meine kurze Lebensgeschichte, wie Sie es befohlen haben, hier für Sie abzuschreiben. Mein Vater war Verwalter auf den Gütern des Grafen von ... im ... Weil nun sein Herr ihn sehr liebte, und ich, als ein lebhafter Knabe, demselben auch wohlgefiel; so erlaubte der alte Graf meinem Vater, mich mit denen jungen Herrn einerley Unterweisung auf dem Schlosse geniessen zu lassen. Also wurde ich mit denselben zugleich in Sprachen, Wissenschaften und Leibesübungen unterichtet, stand mit ihnen unter einem Hofmeister, speisete mit der gräflichen Familie an Tafel, und wurde, mit einem Worte, vollkommen so erzogen, als wenn mich das Schicksal zu einem höheren Stande bestimmt hätte. Ich darf es ohne Eitelkeit sagen, daß ich in allen Kenntnissen geschwindere Schritte machte, als die beyden Söhne meines Herrn, aber zugleich muß ich es auch, dem alten Grafen zum Ruhm, bekennen, daß er nicht, wie so viel andre Väter, die Thorheit besaß, neidisch und verdrießlich auf mich hinzublicken, wenn er bemerkte, daß es mir, mehr als seinen Kindern, gelang, mir fremder Leute Zuneigung und Beyfall zu erwerben. Anders verhielt es sich mit den jungen Leuten. Der älteste war zwar von einer guten, milden Gemüthsart, und ausser daß er sich etwas auf seine hohe Geburth zu gut that (woran seine Mutter allein Schuld war); so hatte er doch einen Grund von Rechtschaffenheit, und Gefühl für Freundschaft, so daß wir immer ganz einig lebten. Der jüngste hingegen war stolz, eitel, heimtückisch, falsch, und weil er selbst Genie, aber nicht Fleiß genug besaß, dies Genie zu nützen; so konnte er nicht ertragen, daß ein Knabe, der nur aus Barmherzigkeit mit ihm einerley Erziehung genoß, eine vortheilhaftere Rolle als er spielte. Er machte mir desfalls tausendfältigen Verdruß, verläumdete mich, wo er konnte, und da er der Mutter Liebling war; so blieben seine jugendlichen Bosheiten fast immer ohngeahndet, und bekamen Zeit, sich in seiner Seele, durch Verjährung, festzusetzen. Mein Vater starb, als ich sechzehn Jahr alt war. Er hinterließ gar kein Vermögen, und da auch meine Mutter nicht mehr lebte; so wurde ich jetzt, mehr als jemals, abhängig von unserer Herrschaft. Der alte Graf setzte seine Wohlthaten großmüthig gegen mich fort, und als wir drey junge Leute das Alter und die Fähigkeiten erlangt hatten, auf Universitäten zu gehen, schickte er uns im Jahr 1756 nach Leipzig, indem er mir, der ich schon über achtzehn, und also ein Paar Jahr älter als seine Söhne war, eine Art von Aufsicht über dieselben gab. Wir Alle wurden aber einem Kaufmanne empfohlen, der uns in sein Haus nehmen, und ein wachsames Auge auf unsre Schritte haben sollte. Im ersten Jahre gieng es so ziemlich gut mit uns. Obgleich der jüngste Graf mir viel Proben seiner schlechten Denkungsart gab; so hatte er doch seine Ursachen, mich nicht ganz von sich zu stoßen. Da er nemlich dort in eine ganz neue Welt kam, wo niemand sich um seine Ahnen bekümmerte, seine persönlichen Eigenschaften ihm aber wenig Freunde erwarben, wodurch also sein Stolz beleidigt und er bestimmt wurde, beynahe allen Umgang zu fliehen; so war ich sein einziger Trost zu Hause, denn der ältere Bruder suchte, aus Geschmack an Wissenschaften sowohl als aus Eitelkeit, den Umgang mit Gelehrten, die es oft gern sehen, wenn jemand sie aufsucht, gegen den sie ihre Kenntnisse auskramen, und den Ton von Untericht annehmen dürfen. Indessen wurde der jüngere des eingezogenen Lebens müde. Es wohnte in unserm Hause ein Verwandter des Kaufmanns, der auch da studieren sollte, sich aber dem zügellosesten Leben und allen Ausschweifungen ergeben hatte. Wir konnten es nicht gänzlich vermeiden, denselben zuweilen bey seinem Vetter, oder sonst im Hause, zu sehen und zu sprechen. Er machte bald einen Entwurf auf das Vermögen der jungen Herrn, weil er aber bey dem ältesten wenig Lust wahrnahm, sich mit ihm in Verbindung zu geben; so nahm er den jüngsten auf das Korn. Er urtheilte nach kleinen Zügen, daß derselbe nicht eben aus wahrer Neigung viel bey mir wäre, und weil er überhaupt merkte, daß ich ihm im Wege seyn würde; so ließ er sein erstes Augenmerk seyn, uns zu entzweyen, und das konnte ihm nicht schwer fallen. Er drängte sich ein paarmal bey unsren Spaziergängen herzu, bath uns, ihn mitzunehmen, erboth sich, uns Gegenden zu zeigen, die wir noch nicht kennen würden, und führte uns dann in nahe vor den Thoren gelegene Wirthshäuser, unter dem Vorwande, eine Erfrischung zu nehmen. Dort fanden wir gewöhnlich einen ganzen Haufen seiner treuen Gefährten, die Alle meinem jungen Grafen ausserordentlich schmeichelten, welche Arzeney bey diesem sichtbar würkte. Er plagte mich nachher oft, mit ihm an dieselben Oerter zu gehen. Meine Vorstellungen dagegen halfen nichts, als daß er endlich anfieng, seine eigene Wege zu wandeln, und mich nicht mehr mitzunehmen, welches ich denn freylich nicht verhindern konnte, weil ich nicht sein Hofmeister war, und unser Kaufmann ihn sehr gut aufgehoben glaubte, wenn er in des lieben Cousins Gesellschaft war. Obgleich nun in den Häusern, in welche sie zusammen giengen, stark gespielt wurde, und fast immer sich liederliche Frauenzimmer fanden; so war doch der junge Graf zu flüchtig, sich ernstlich dem Spiele, und noch ein bisgen zu neu in der Welt, zu furchtsam, zu schamhaft und zu sitsam erzogen, um sich den Ausschweifungen mit dem andren Geschlechte so bald auf eine grobe Art zu ergeben. Seines Lehrmeisters Absichten giengen auch weiter. Unser Hauswirth hatte eine Tochter, die eben nicht dafür bekannt war, lange grausam zu seyn. Mit dieser vereinigte sich der Herr Vetter, und sie entwarfen zusammen einen gemeinschaftlichen Plan, dessen Grundlage auf unsre Ducaten gebauet werden sollte. Der junge Graf war so wenig erfahren in Weiber-List, daß er dieser Schlinge nicht ausweichen konnte. Er fand sehr bald die Demoiselle liebenswürdig, war, ganze Tage hindurch, nur in ihrem Zimmer, versäumte Collegia, gab ihr kostbare Geschenke, lieh seinem braven Freunde Geld, solange er selbst welches hatte, und machte Schulden. Meine Vorstellungen gegen diese Lebensart erbitterten ihn aufs Aeusserste. Ich suchte mit dem ältesten Bruder gemeinschaftliche Sache zu machen, allein dieser hatte zu wenig Thätigkeit, zu wenig Verstand, und ließ sich von seinem jüngsten Bruder stets überschreyen, es schien mir also nichts sicherers übrig zu bleiben, als mich an den alten Grafen zu wenden, und ihm alles zu melden, doch begreifen Sie leicht, warum ich, in meiner Situation, diesen Schritt nicht so gern unternahm. Was ich indessen hauptsächlich fürchtete, war, daß der junge Mensch sich eine schriftliche Heyraths-Versicherung mögte ablocken lassen. Um nun, bey diesen Umständen, einen Mittelweg zu wählen, nahm ich mir vor, geradezu mit dem Vater des Mädgens zu reden. Allein, wie sehr wunderte ich mich, als ich diesen alten Wucherer (der nur darauf zu warten schien, seine Tochter auf diese Art los zu werden,) ganz gegen mich eingenommen fand! Mit Einem Worte! nachdem ich drittehalb Jahre eine so unangenehme Rolle als möglich hatte spielen müssen, brach alles gegen mich aus. Der junge Graf, dessen Gläubiger unruhig wurden, wandte sich an seine Eltern, und forderte Geld. Man machte mir Vorwürfe wegen unsrer Wirthschaft. Meine Vertheydigung, welche eine ausführliche Erzählung der ganzen Aufführung des jungen Grafen enthielt, würkte nichts. Die Mutter nahm sich des Söhnchens an. Alle Schuld fiel auf mich. Ja, der Bube hatte die Frechheit, seine Eltern glauben zu machen, ich sey verliebt in seine Schöne, ich habe ihm so viel Geld verzehrt, und da der alte Kaufmann auch mein Feind war, der älteste Graf aber nicht Muth hatte, sich meiner anzunehmen; so war das Ende vom Liede, daß ich allein leiden mußte, und mein Wohlthäter gänzlich seine Hand von mir abzog, um mich meinem Schicksal zu überlassen. Mich vor gänzlichem Mangel zu schützen, both er mir zwar eine kleine verächtliche Pension an, die ich aber zu stolz war anzunehmen. Des jungen Grafen Schulden wurden bezahlt; Er machte neue, ja endlich heyrathete er (wie ich nachher erfahren habe), noch als Student, das Frauenzimmer – Doch, ich verlasse die Geschichte dieser Familie, um zu der meinigen zurückzukehren. Ich mußte also nun, ohne Aussichten zu haben, Mittel suchen, irgendwo meinen Unterhalt zu finden. Als ich in diesen Umständen mich befand, war ich kaum ein und zwanzig Jahre alt. Mein ganzes Vermögen bestand in einem kleinen Beutel, darinn Pathen-Geschenke und etwas erübrigtes Geld war, welches zusammen eine Summe von vierzehn Louisd'ors ausmachte. Uebrigens war ich ganz gut mit Kleidern und andren Dingen von einigem Werthe versehen, als Degen, Uhr und Schnallen, die ich etwa im Nothfalle hätte zu Gelde machen können. Leipzig war mir so wiedrig geworden, daß ich glaubte, nicht genug eilen zu können, um es zu verlassen, zumal mich viel Leute mit Verachtung ansahen, und ich theils zu stolz, theils zu delicat dachte, die wahren Umstände meines Schicksals jedem zu erzählen, oft nicht einmal meinen besten Freunden. Ich hatte deren in Leipzig gewiß, der aber, den ich am mehrsten liebte, war itzt in Halle. Zu diesen beschloß ich zu reisen, und daselbst Briefe, welche mir äusserst wichtig waren, zu erwarten. Ehe ich Ihnen aber sagen kann, von welcher Art diese Briefe seyn sollten, muß ich wieder einige Schritte in meiner Geschichte zurückgehen. Ich war mit einem jungen Frauenzimmer aufgewachsen, welche die Tochter eines Beamten in unsrer Gegend war. Die vortheilhaften Umstände, unter denen ich in des Grafen Hause erzogen wurde, und die Zufriedenheit meiner Lehrer mit meinem Fleisse, zogen die Aufmerksamkeit der Eltern der jungen Wilhelmine auf mich. Sie glaubten voraus zu sehen, daß ich gewiß einst durch meines Wohlthäters Vorsprache eine gute Bedienung erhalten und in den Stand kommen würde, eine Frau anständig zu ernähren. Deswegen sahen sie es mit Vergnügen, wenn wir Kinder so gern mit einander leben und spielen mogten. Ihre Scherze über unsre Eintracht trugen auch nicht wenig dazu bey, in unsren jungen Herzen das Feuer einer Liebe anzufachen, welche, so wie wir heranwuchsen, stets heftiger und ernsthafter wurde, und als wir die Natur dieser Leidenschaft zu kennen anfiengen, gestanden wir uns unsre gegenseitige Neigung und schwuren uns eine ewige Treue – Denen Eltern konnte das kein Geheimniß seyn, aber sie schwiegen dazu – Verzeyhen Sie, mein theuerster Herr! wenn ich hier einen Augenblick abbreche, um Ihnen ein Paar Züge aus dem Bilde dieses lieben Mädgens zu entwerfen. Wilhelmine war zwey Jahr jünger als ich – Wenn man seine eigene Geliebte beschreibt; so scheint das Lob, welches man ihr giebt, freylich leicht verdächtig, allein, ich will hier nur das sagen, worüber auf fünf Meilen im Umkreise jeder, der sie kannte (von männlichem Geschlechte wenigstens), dieselbe Sprache führte – Wilhelmine war nicht eben regelmäßig schön, aber ihre Phisionomie hatte etwas so interessantes, so mildes, so seelenvolles, daß sie Aufmerksamkeit erregen mußte, wohin sie auch kam. Ihr Haar war kastanienbraun, ihre Augen blau, sanft und liebevoll, ihre Haut zart und weiß. Sie war schlank und schön gewachsen, nicht groß, das Gesicht mehr länglich als rund. Die Lebhaftigkeit ihres Witzes, die Feinheit ihres Verstandes, und die originelleste Laune, mit welcher sie eine große Gesellschaft von Menschen, die sich gar nicht zusammen paßten, auf Einen Ton stimmen konnte, haben vielleicht wenig ihres Gleichen. Die ältesten Männer vergaßen an ihrer Seite Krieg, Politik und Podagra, und Kinder drängten sich an ihren Schoos, und liebkoseten sie. Bey aller dieser Fröhligkeit aber hatte sie doch in ihrem Herzen einen Hang zur Melancholey, Schwärmerey mögte ich es lieber nennen, oder Drang der Seele, zu lieben. Von einem solchen Mädgen nun, dessen Vollkommenheiten und Talente sich mit jedem Jahre entwickelten, und so vieler Menschen Aufmerksamkeit auf sich zogen, allein geliebt zu werden, das war mir ein Gedanke, der meiner Seele Federkraft gab, mich mit dem Bestreben, ihrer würdig zu werden, und mit der seligsten Wonne, über die hinreissende Sympathie unsrer Gemüther, erfüllte. Hätte ich jemals fürchten können, daß ein grausames Schicksal mir dieses Glück rauben würde! – Doch, zur Sache! Als ich nach Leipzig reisen mußte, gieng ich noch den Abend vorher in ihr Haus, küßte ihren Eltern mit innigster Rührung die Hände, sagte ihnen, wie fest mein Vorsatz sey, mich so zu betragen, daß sie sich nicht sollten schämen dürfen, mich ihren Sohn zu nennen, ein Titel, den sie mir immer schon im Scherz gegeben hatten, und der Harmonie in meinen Ohren war. Ich drückte meine Wilhelmine, in ihrer Gegenwart, an mein Herz, wir erneuerten, als wir allein waren, die Schwüre ewiger, treuer Liebe, dann trennten wir uns – In der ersteren Zeit gieng unser Briefwechsel auch sehr ordentlich, als aber wenig Monathe nachher der Krieg ganz Sachsen überschwemmte, mußte ich oft lange Zeit zubringen, ohne etwas von meiner Geliebten zu hören, und ohne zu wissen, ob sie meine Briefe bekommen hätte. Nach und nach gewöhnte ich mich aber an diese Unannehmlichkeit, wie man sich am Ende an alles gewöhnt. Da ich ihr nun, bey unserm seltenen Briefwechsel, immer genug von meiner Liebe zu schreiben hatte, und ich ihr zärtliches Herz kannte; so wollte ich meinen Verdruß mit dem jungen Grafen nie zum Inhalte meiner Briefe machen, bis endlich das ganze Ungewitter über mich ausbrach, da meldete ich ihr denn jeden Umstand meines Schicksals, und bath sie, bey ihren Eltern mich zu vertheydigen, wenn dieselben sich etwa auch hätten gegen mich einnehmen lassen. Das Herz meiner Wilhelmine war noch das einzige Gut, das mir übrig zu bleiben schien, meine einzige Hofnung, mein einziger Trost, und als ein junger Mensch war ich unerfahren genug, zu träumen, es würden ihre Eltern nicht nur meine Unschuld einsehen, sondern mich auch in meinem Unglücke nicht verlassen, noch, da meine Wissenschaften mir doch einst eine gute Bedienung versprechen konnten, und sie des elenden Geldes genug hatten, zwey Leute trennen wollen, die sich so zärtlich liebten, und für einander gebohren zu seyn schienen. Allein, wie sehr hatte ich mich getäuscht! Die Verläumdungen des jungen Grafen waren auch bey ihnen so würksam gewesen, daß, als der Sohn eines reichen Kaufmanns um Wilhelminen anhielt, und ihre Eltern nun voraus sahen, daß ich bald gar nichts mehr von der gräflichen Familie zu hoffen haben würde, sie beständig in ihre Tochter drangen, dem reichen jungen Manne die Hand zu geben. Anfangs verwarf sie zwar standhaft ihre Vorschläge; wie aber die falsche Nachricht, die der junge Graf von mir ausgesprengt hatte, als wenn ich in Leipzig eine andre Geliebte hätte, und alle die bösen Gerüchte ihr zu Ohren kamen; wie ich auch immer seltener schrieb, woran zum Theil der Krieg, zum Theil meines Verläumders Bosheit, der meine Briefe auffieng, Schuld war; wie endlich der Reichthum sie auch vielleicht blenden mogte; da gab sie nach, und heyrathete meinen Nebenbuhler. Von diesem allen ahndete mich aber nichts, und ich wartete von einer Woche zur andern mit Ungeduld auf Briefe von ihr. Ich war kaum in Halle angekommen, als ich in die Arme meines Freundes flog – Aber ach! ich fand ihn auf dem Sterbebette. Ein hitziges Fieber hatte in wenig Tagen den blühendesten Jüngling an die Pforten des Todes geführt, er lebte nur noch zwey Tage mit mir. Ich kam nicht von seiner Seite, bethete mit ihm, theilte seine Leiden, und sprach ihm Muth und Geduld ein, wenn das geängstete Herz, von der Last der Schmerzen niedergedrückt, vergebens gegen das Gesetz der Natur emporkämpfen wollte. Als endlich jedes Werkzeug stockte, und die Seele umsonst sich bestrebte, noch einmal die Kräfte der zerrütteten Maschine in Bewegung zu setzen, lag er da mit gebrochenen Augen. Sein letztes Gefühl war die Harmonie, die uns aneinander kettete. Er drückte mir schwach und sprachlos die Hand – ich fieng seinen letzten Seufzer auf – und er verschied – Lassen Sie mich einen Vorhang vor diese Scene ziehn! Bester Herr! was ich da empfand, wie betäubt ich herumirrte, keine Thräne zur Erleichterung vergiessen, nicht Einer lieben Creatur meinen Jammer klagen konnte – ach! und doch kannte ich mein Unglück nicht ganz – Ich entschloß mich nun kurz, gerade zu meiner Wilhelmine zu reisen, und machte mich zu Fuß auf den Weg dahin. Mein Herz war so gepreßt, mein Schicksal in Leipzig, der Verlust des zärtlichsten Freundes, vielleicht auch eine dunkle Ahndung dessen, was auf mich wartete, das alles drückte mich tief zu Boden. Meine einzige Hofnung war indessen, an der Seite meiner Geliebten Trost in meine geängstete Seele zu sammlen. Es war an einem schönen Abend im Monath Junius des Jahrs 1759, als ich in ihrem Dorfe ankam. Ich eilte zum Amthause hin, fragte nach dem Amtmann, nach der Frau, nach Wilhelminen – sie waren Alle ausgefahren. Wenigstens wollte ich den Platz segnen, wo sie zu sitzen pflegte, den Ort betreten, wo sie wandelte – ich war immer wie der Sohn des Hauses gewesen – also flog ich auf ihr Zimmer. Die Magd, welche mich begleitete, sah wohl verlegen aus, aber das hatte ich nicht bemerkt. Ich trat in Wilhelminens Stube, und der erste Gegenstand, der sich meinen Augen zeigte, war ein Portrait, das über dem Clavier hieng. Mein Herz fieng an heftiger zu pochen, denn das Bild stellte einen geputzten reichen Jüngling vor. »Wer soll denn das seyn?« fragte ich die Magd. »Ey!« sagte sie »das ist ja unserer Mamsel ihr Bräutigam!« – Sinnlos, wie vom Blitz getroffen, stand ich nun da einen Augenblick, dann rafte ich mich zusammen, stürzte mich, ohne ein Wort zu sagen, wieder die Treppe hinunter, aus dem Hause, aus dem Dorfe, und ohne zu wissen wohin ich gerieth, kam ich in ein nahes Wäldgen, in welchem ich oft Hand in Hand mit dem besten Mädgen spazieren gegangen war. Hier erwachte ich zuerst aus meiner Betäubung, fühlte nun die ganze Gewalt meines Jammers, warf mich zur Erde, und weinte bitterlich. So hatte ich die Nacht zugebracht, als ich früh des Morgens in der Nähe Trommeln und kriegerisches Lerm hörte. Dies erweckte sogleich den Gedanken in mir, Soldat zu werden, und wo möglich den Tod zu finden, den ich nun als die einzige wünschenswerthe Wohlthat ansah. Ich gieng dem Schalle entgegen, und sah bald, daß es ein Corps Russen war. Man führte mich zum General, es war der Fürst ... Ich bath ihn in französischer Sprache um Dienste. Sein Adjudant verhörte mich, man forschte genau nach meinen Umständen, und als ich einen Theil meiner Geschichte erzählt hatte, schien der Adjudant, der ein Deutscher und von sanftem Character war, sehr von mir eingenommen. Ich wurde um meine Kenntnisse befragt, und der Schluß fiel endlich dahin aus, daß ich zwar Uniform tragen, aber zum Schreiben in des Fürsten Geschäften gebraucht werden sollte. Man stellte mich an, ich bekam anfangs nur gewöhnliche Dinge zu arbeiten, so wie ich aber mehr Zutrauen gewann, vertrauete man mir wichtigere Sachen. Ich wurde sogar mit geheimen Depeschen als Courier nach St. Petersburg geschickt, und blieb in dem Posten als Secretair des Fürsten bis zum Frieden. Alsdann nahm er mich mit in sein Land. Dies Glück hatte ich eigentlich dem Adjudanten zu danken, welcher überhaupt, mehr als sein Herr, der commandierende General war. Die Menge der Geschäfte, worinn ich während des Kriegs gewesen war, hatten unterdessen nach und nach meinen Schmerz über die vergangenen Schicksale gemildert, und von Wilhelminen habe ich nie wieder etwas gehört, mich auch nicht weiter erkundigen mögen, weil es mir unnützen Kummer machen würde, wenn ich erführe, daß es ihr nicht wohl gienge, und weil ich überhaupt nicht gern eine alte Wunde aufreissen mögte. Der Fürst, dem ich nun diente, hatte eine liebenswürdige Gemahlinn, das beste Weib auf der Welt, ganz geschaffen das Glück eines Privatmanns zu machen, und häusliche Freuden zu geniessen, nur hatte das Schicksal ihr das unrechte Loos zugetheilt, denn ihr Herr war einer von denen begränzten Köpfen, mit eißkaltem Herzen, derer, zum Unglück der Völker, leider! so viele auf Fürsten-Stühlen sitzen. Von Jugend auf gewöhnt, in Allem Recht zu haben und durchzugreifen; mit dem Gedanken genährt, daß die Menschen, welche ihm die Vorsicht zur Aufsicht anvertrauet hat, nur, als sein Eigenthum, für ihn geschaffen sind; fremd mit dem Gefühle für das wahrhafte Glück des Lebens, war er mit der Fürstinn aus Privat-Interesse verbunden worden, ohne sie zu kennen. Da sie aber schön war, und er Temperament hatte; so hatte er die ersteren Jahre in sofern glücklich mit ihr gelebt, daß er nicht auf andre Art ausgeschweift, und ausser dem Umgange mit ihr kein grösseres Vergnügen gefunden hatte, als sich mit den kleinen Details des Soldatenlebens zu beschäftigen. Dies war auch in der That das Einzige, wovon er einige Kenntnisse hatte, denn übrigens war er nie gereiset, war nicht tief in Wissenschaften gedrungen, und setzte deswegen den Werth eines Menschen blos in der Geschicklichkeit, die er im kleinen Militair-Dienste hatte. Die Lebensart in ... war also ziemlich einförmig geblieben, und auch der Aufwand an dem kleinen Hofe nicht groß, denn alles gieng durch die Hände eines Mannes, der mit dem Fürsten aufgewachsen war, seine schwachen Seiten kannte, ihn leitete, wohin er wollte, und die Sachen in guter Ordnung hielt. So waren sechs Jahre verflossen. Unterdessen fieng die Fürstinn an kränklich zu werden, und ihr Gemahl, der sich nur mit ihrem Cörper vermählt hatte, empfand hierüber eine Langeweile, welche der Herr Favorite zerstreuen zu müssen glaubte, indem er befürchtete, sein gnädigster Herr mögte etwa, wenn er nichts bessers, in den Stunden, welche ihm vom Exercieren übrig blieben, zu thun wüßte, auf den unseligen Einfall gerathen, sich um Regierungsgeschäfte zu bekümmern, und allerley Fürstenstreiche zu machen. Um also seine leere Stunden auszufüllen, verschrieb man Schauspieler und Schauspielerinnen. Man sorgte dafür, daß unter diesen ein recht hübsches Mädgen war. Ein feiler niederträchtiger Cammerdiener mußte dem Fürsten oft von derselben reden – Mit einem Worte! man gesellte ihm eine Maitresse zu, und als er einmal Geschmack an diesem unschuldigen Vergnügen gefunden hatte, wurde bald jedes Jahr ein Kebsweib verabschiedet, und ein anderes angenommen. Die Finanzen litten dabey eben nicht, denn man zog die Summen, welche dieser fürstliche Aufwand erforderte, denen Dienern von ihrem Gehalte ab, welchen man zu groß fand. Hierdurch änderte sich aber der Ton am Hofe gänzlich. Statt daß hier ehemals, wenigstens äusserlich, Zucht und gute Sitte, zur Ehre und zum Glück der Herrschaft und des Landes, geherrscht hatten; so sprach itzt öffentlich jedermann von seinen Ausschweifungen. In der Stadt waren wenig vergnügte Ehen, und auf dem Schlosse war, bis auf den Küchenjungen, nicht Einer zu finden, der nicht geglaubt hätte, es gehöre zum guten Ton, eine Maitresse zu halten. Die arme Fürstinn verlohr, so wie man ihr nach und nach die Liebe ihres Herrn entzogen hatte, auch die Ehrerbiethung der Hofschranzen. Sie wurde sklavisch und schlecht behandelt; das liebe Weib grämte sich innigst, und fühlte ihr Unglück, ohne jedoch von den Ursachen dieser Veränderung unterrichtet zu seyn, denn niemand hatte die Bosheit oder den Muth, ihr etwas davon zu erzählen. In diesen Umständen waren die Sachen, während des Krieges, geblieben, da der Fürst mehrentheils die Winterquartiere, nebst seinem Adjudanten, in seiner Residenz zubrachte, und auf eben dem Fuße fand ich es auch noch, als ich mit ihm nach dem Frieden hinkam. Ich habe vorher gesagt, daß ich durch des Adjudanten Hülfe in des Fürsten Dienst gekommen, und daß derselbe ein wackrer vernünftiger Mann war. Er gewann auch würklich in meinen Augen, je mehr ich ihn kennen lernte, wir schlossen bald eine Freundschaft, und es entstand eine Vertraulichkeit unter uns, die das Einzige war, welches das mir so ganz ungewöhnte Hofleben erträglich machte, denn der Fürst hatte mir einen Titel gegeben, der mich in den Stand setzte, am Hofe erscheinen zu können. So klein nun das Höfgen war; so fehlte es doch nicht an Intriguen und Partheyen unter denen wenigen Leuten, aus welchen er bestand. Des Favoriten Anhang war indessen, wie man denken kann, der stärkste, und dieser sorgte dafür, daß jeder, der einige vorzügliche Eigenschaften hatte, die ihn auszeichnen konnten, durch irgend eine Cabale fortgeschafft wurde, damit er nicht einst ihm gefährlich werden mögte. Die Fürstinn spielte dabey die unangenehmste Rolle, denn mit ihr wagte niemand es zu halten, ausser einer jungen unerfahrnen Cammerfrau, welche ihre einzige Freundinn war. Den Adjudanten und mich schmerzte dieser Zustand des jungen Weibes. Wir sprachen oft davon, bemüheten uns, ihr wahre Ehrerbiethung und Zuneigung zu bezeugen, und ahndeten beyde nicht (so unerfahren waren wir in Hof-Intriguen!), daß das einst traurige Folgen für uns haben könnte, oder daß der Herr Favorit schon längst gern uns eine Schlinge gelegt hätte. Dieser schien im Gegentheil sich unserer äusserlich vorzüglich anzunehmen, und verschaffte uns auch alle Gelegenheit, uns bey der Fürstinn in Gunst zu setzen, weil er voraussah, was folgen würde. Unterdessen fieng ich an zu merken, daß meines Freundes und der Fürstinn Herzen mehr als bloße Achtung für einander empfanden, doch wagte ich es nicht, gegen ihn etwas davon zu äussern. Aber leider! entspann sich bald unter ihnen ein Roman, in welchem die Cammerfrau die Vertraute war, und eher erfuhr ich nichts von der Sache, bis einmal der Adjudant voll Verzweiflung in mein Zimmer kam, und mir entdeckte, daß eine Creatur des Günstlings ihn bey einer geheimen Zusammenkunft überrascht habe. Was war nun zu thun oder zu rathen? Der Favorit hatte itzt freylich die längst gewünschten Mittel in Händen, seinen Gegner zu stürzen, allein er war viel zu fein, um hier geradezu würksam zu werden. Er gebrauchte also allerley Mittel und Personen, die Sache noch verwirrter zu machen. Die arme Fürstinn wurde, selbst durch ihre unbesonnene Vertrauete, von den Ausschweifungen ihres Gemahls unterrichtet. Daraus entstand natürlich Unzufriedenheit und Verwirrung, auch glaubte sie nun weniger Schonung gebrauchen zu dürfen, wodurch sie sich ihren wachsamen Feinden gänzlich in die Hände lieferte. Um aber diese Dinge nie zu einer Ausklärung kommen zu lassen, suchte man uns unter einander zu entzweyen, und als man das erlangt hatte, wurde dem Fürsten eine andre gefährliche Geschichte von einer Unternehmung erzählt, welche wir vorgehabt hätten, und in dieselbe jedermann mit eingeflochten, den man gern fortschaffen wollte. Weil wir nun nicht einig waren, nicht wußten, was man dem Fürsten gesagt hatte, und einige von uns nicht reine Sache hatten; so konnten wir keine Maaßregeln ergreifen, dem Gewitter auszuweichen. Alles brach auf einmal aus. Die Cammerfrau wurde in ein Kloster gesteckt, der Officier des Nachts in seinem Bette gefangen genommen, und der Himmel weiß wohin gebracht, ich aber, der ich gar nichts mit der Sache zu schaffen gehabt hatte, wurde noch vorher, unter dem Vorwande eines Auftrags, nach Berlin geschickt, und fand dort einen Befehl, nie wieder zurückzukehren, noch mich zu vertheydigen. Da hatte also der Favorit freyes Feld, und noch dabey gewonnen, indem itzt der Fürstinn Parthey, wenn sie ja dergleichen wieder gehabt hätte, nie gegen ihn, weil er das Geheimniß des Romans wußte, hätte handeln dürfen. Ich war nunmehro wiederum aller Aussichten beraubt, unglücklich und angeklagt, ohne mich vertheydigen zu dürfen, nicht einmal gegen alle meine Freunde, um nicht unedel den Ruf eines Frauenzimmers blos zu geben. Ich schwieg daher lieber, ertrug ruhig alles, und lebte einige Wochen ganz still in Berlin, bis ich das Glück hatte, Sie, theuerster Wohlthäter! kennen zu lernen, der Sie mich, ohne einmal nach meiner Geschichte zu fragen, mit sich nach Urfstädt nahmen. Noch muß ich Ihnen sagen, daß, wie immer sonderbahre Begebenheiten mich treffen müssen, ich einmal ein kleines Capital in einer Lotterie gewonnen, und itzt in einer Handlung in Danzig stehen habe, wovon ich die Zinsen ziehe – Da ist die Erzählung der Hauptbegebenheiten meines Lebens! Mögte das Schicksal endlich ermüden, sein Spiel mit mir zu haben! Ich bin in der That des Herumtreibens satt, und sehne mich nach Ruhe. Bey Ihnen, lieber Herr! werde ich diese Ruhe finden. Wenn die Erfüllung meiner Wünsche meinem Eifer entspricht; so bringe ich Ihnen nach einigen Jahren unsern jungen Zögling, durch Fleiß und Erfahrung zum Manne gebildet, in Ihr Haus zurück, und dann räumen Sie mir ein Cämmerchen in einem Ihrer Landhäuser ein, um den Rest meines Lebens in Bewundrung der Natur und Ergebenheit gegen den edlen Mann, der so viel Gutes um sich her schafft, hinzubringen. Herr Müller wird Ihnen die genaueren Umstände von uns mündlich sagen können, deswegen will ich diesen Brief nicht ohne Noth verlängern. Wir laufen fleissig, mit unsern Büchern unter dem Arm, aus einem Collegium ins andre, hören viel Gutes, aber auch viel sagen, das uns nie zu nichts nützen wird, da es nur erzählt wird, weil der Lehrer sich gewöhnt hat, es alle halbe Jahre vorzubringen, oder um seine Gelehrsamkeit zu zeigen, und hören viel nicht anführen, welches nöthiger für uns seyn würde – Doch, es ist nicht mein Beruf, Universitäten zu reformiren, und wenn ich das müßte; würde ich auch in der That Unrecht haben, bey Göttingen anzufangen. Nur noch eine Bitte! Der junge Herr von Hundefeld hat uns ersucht, das Weinachtsfest auf dem Lande bey seinem Vater mit ihm zuzubringen. Ich halte es für ganz nützlich, den Herrn von Hohenau, nachdem ich ihm Cassell gezeigt habe, auch einmal wieder ländliche Scenen sehen zu lassen. Also bitte ich gehorsamst um Ihre gnädige Erlaubniß zu dieser kleinen Reise. Geld haben wir. Man redet so viel von der Theurung in Göttingen, und man hat Unrecht. Wer anfangs schlecht mit seinem Wechsel Rath geschafft hat, muß freylich, wenn er hernach auf Credit lebt, sich hier jeden Betrug gefallen lassen, und wo ist das nicht? Aber ein ordentlicher Wirth kann ziemlich wohlfeil leben. Wir werden sicher bis Ostern auskommen. Ich verharre ehrerbiethigst, Bester, theuerster Herr, Ihr gehorsamst verbundener Diener, Meyer. Fußnoten 1 Es wird kaum nöthig seyn, hier noch zu erinnern, daß man einige Briefe, worinn dies verabredet worden, auch aus der Sammlung weggelassen hat. 12. Brief Zwölfter Brief. An den Herrn von Hohenau, in Göttingen. Urfstädt den 6ten December 1769. Ich schreibe Ihnen, mein guter lieber Freund! als ein Abgeordneter des Herrn von Leidthals, der durch Geschäfte verhindert wird, Ihnen selbst zu sagen, daß wir Ihnen noch Alle in Gnaden gewogen sind, und daß ich seit acht Tagen hier bin, um Ihrem Pflegevater etwas vorzuschwätzen, das ihn aufheitert. Dabey kömmt mir aber der Herr Müller, den Sie uns geschickt haben, sehr zu Hülfe. Der Mann gefällt mir gut, wenn er nur den verwünschten Commerzienraths-Titel nicht hätte! Ich will ihm aber einen andern verschaffen, denn Sie müssen bedenken, daß ich in genauer Verbindung mit viel deutschen Höfen stehe. Ich bin gereiset, das wissen Sie, und bin noch immer die Beschreibung dieses Ritterzugs schuldig, die ich Ihnen versprochen habe. Weil ich nun nichts Bessers zu schreiben weiß, und Sie ein junger Herr sind, der sich gern aus den Erfahrungen eines so alten, weltklugen Manns, als ich bin, wird belehren wollen; so sollen Sie heute hören, was mir auf meiner großen Reise an einigen mächtigen deutschen Höfen begegnet ist, wie folget, und beyliegender Aufsatz zeigt, den ich für Sie gemacht habe. Ich nahm den 1sten September dieses Jahrs Urlaub von meinem Chef, und reisete unter tausend Seegenswünschen mit der ordinairen Post bis auf die nächste Station vor ... Daselbst nahm ich, nebst meinem Bedienten, einen kleinen Courier-Wagen, und kam des Abends im Gasthofe an, brachte die Nacht angenehm in Gesellschaft von unzähligen Wanzen und Flöhen hin, und ließ mich den folgenden Tag bey Hofe melden. Der Miethlakay, den ich annahm, sah aus, wie ein englischer Pferdeknecht. Er schien herzliches Mitleiden mit mir zu haben, weil ich mich französisch hatte frisiren lassen, denn seitdem der Herzog von Glocester hier durchgereiset war, hatte Hof und Stadt die Haare oben abgeschnitten, und sich auf allerley Art geengländert. Er meinte, ich würde mit dieser Frisur wenig Glück machen. Der Hof-Fourier kam, und bath mich zur Tafel. Indessen sah ich viel müssige Hof-Cavaliers mein Haus vorbeyreiten, Alle auf gestutzten Pferden, Alle englisch gekleidet, und keiner ritt langsam, obgleich Manchem darunter elend zu Muthe seyn mogte. Ich fuhr an den Hof. Der Fürst war auf einige Tage auf ein Lustschloß gegangen, mithin war die Prinzeßinn mit ihrem Hofstaate allein da. Ich setzte kaum den Fuß in das Vorzimmer; so lachten schon Alle heimlich über mich. Nun! das mag ich wohl leiden. Ich habe so oft über andre Menschen gelacht, daß ich es schon vertragen kann, wenn man etwas an mir comisch findet, aber das Ding muß sich bey näherer Bekanntschaft verliehren – Allein hier war das nicht der Fall. Sobald die Fürstinn herauskam, und ich ihr präsentirt wurde, biß sie sich auf die Lippen, um nicht laut herauszuplatzen. Anfangs brachte mich das nicht aus meiner Ruhe, aber nach und nach setzte es mich doch in eine große Verlegenheit. Hätte ich englisch reden können, und mein Haar abgeschnitten; so wäre alles gut gewesen – O! wie fluchte ich auf mein unglückliches Gestirn! Tummer Tropf! Kein Wort englisch und ein hohes Touppée! – Zwey Tage hielt ich diese Scenen aus, und ich leugne es nicht, daß ich eine klägliche Rolle spielte – Auch zu einer Wist-Partie war ich ungeschickt! Endlich brach meine Geduld. So gieng ich dann einmal bescheiden nach der Tafel zu dem Hofmarschall, und bath ihn, mir zu sagen: »ob, wenn der Fürst wiederkäme, die Hof-Etikette dieselbe bleiben würde.« Er verstand mich nicht. »Ich meine,« sagte ich, »ob es hier allgemein eingeführt ist, einem Fremden gerade ins Gesicht zu lachen? Die Gewohnheiten an den Höfen sind sehr unterschieden. Da hat man Oerter, wo man gegen einen Fremden auf alle Art gefällig und nachsichtig ist. Das ist Vorurtheil! Warum soll ich nicht eben so wohl einen Reisenden, der die Haare anders frisiert hat, als bey uns üblich ist, aushöhnen? Sie wissen, mein Schatz! daß Candide einst eines Fürsten Favorit wurde, der die Gewohnheit hatte, jedem, dem er gut wollte, einen Tritt in den Hintern oder hundert Fußsohlen-Preller zu geben. Nun habe ich nur fragen wollen, ob die hiesige Etikette fortdauern wird, wenn der Herr wiederkömmt, oder ob Sie das nur so unter Sich treiben? Im ersten Falle reise ich heute fort, um an andern Oertern selbst lachen zu können; im andern Falle aber will ich Ihnen Ihre Späße so nachsehen, und noch morgen die Ankunft des Fürsten erwarten.« Der Hofmarschall wechselte mit Entschuldigungen, Leugnen, Ereiferungen und allerley ab, allein, da er mich entschlossen fand, ihn festzuhalten, und er an mir den unerschrockenen und spottenden Ton nicht gewöhnt war; endigte er endlich mit viel Bitten um Verzeyhung, und warf die Schuld auf eine Hofdame, welche das Lachen nicht halten könne, und den ganzen Hof damit anstecke. »Ha! nun weiß ich ja, an wem ich mich zu halten habe,« sagte ich, – »Sie werden doch nicht – Ganz gewiß werde ich die Hofdame um die Ursache des beständigen Lachens fragen, und ihr auch sagen, daß Sie mich an dieselbe gewiesen haben« – Der Hofmarschall wollte einreden, aber ich war fort, ohne weiter etwas zu erwarten. Nun gieng ich zu der Hofdame. Ich wurde ein paarmal abgewiesen, endlich kam ich vor. Sie war etwa sechs und dreyssig Jahr alt, hatte manche Classe durchgelaufen, war einmal mit Vortheil cocket gewesen, aber itzt, leider! auf ihrem Rückwege, und da die Rosen ihrer Wangen verblüht, und die Lilien vertrocknet waren; so war dies durch Farbe ersetzt, wodurch sie gern irgend einen jungen unerfahrnen reichen Mann gereizt hätte, sie von dem mühseligen Hofleben zu erlösen, und seinen Haushalt mit diesem überfirnisten Meuble zu zieren, um sich dann das Opfer, welches sie ihm gemacht haben würde, Zeitlebens vorwerfen, und vielleicht durch den Kutscher sich zum Hahnrey machen zu lassen. Als ich zu ihr in die Stube trat, lachte sie nicht, sondern schien im Gegentheil verwirrt. Es war nur ein altes Fräulein aus der Stadt bey ihr. Diese aber mußte uns hernach eine Pantomime spielen, welche Geld werth war. Denn so oft die Hofdame mir etwas Witziges sagte, mußte ihr das Fräulein Beyfall zulächeln, aber Ein Blick von mir zwang sie auch wieder, mir entgegen zu grinzen, wenn ich meinen Ausfall that. Hier ist ohngefehr unser Gespräch! Ich. »Gnädiges Fräulein! ich komme hierher, weil mich der Herr Hofmarschall zu Ihnen geschickt hat, um mit Ihnen über ein gewisses Hof-Ceremoniel einig zu werden, dem ich mich habe unterwerfen müssen, welches mir aber ein bisgen schwer zu ertragen gewesen ist, und von dem nur Sie mich befreyen können, weil Sie allein, wie dieser ehrliche Mann mir gesagt hat, dasselbe eingeführt haben. Sie haben sich nemlich die Freude gemacht, jede meiner Bewegungen mit lautem Lachen zu bewillkommen. Ich hielt dies anfangs für eine allgemeine Etikette. Da man mich aber belehrt hat, daß nur Sie gewöhnt sind, die Fremden auf diese ganz eigene Art zu bewillkommen; so wende ich mich an Sie, um zu bitten, Sie mögen, wäre es auch nur um Ihrer selbst willen, diese Art mit mir umzugehen ein bisgen verändern.« Die Hofdame: »Ich weiß nicht, mein Herr! Was Sie und Ihr Herr Hofmarschall wollen« – Ich. »Stöhren Sie mich nicht, und lassen mir den Hofmarschall in Ruhe! Das ist ein creutzbraves Männchen. Er hat Recht, wenn er das Lächerliche, welches mir hier begegnet ist, nicht gern auf Unkosten des ganzen Hofs auswärts mag erzählt haben. Sie haben Sich diese Paar Tage hindurch so gegen mich betragen, daß Sie Sich nicht wundern müßten, wenn ich Ihnen hier sehr unangenehme Dinge sagte. Aber ich will einen leichteren Weg wählen. Hier bin ich! Sehen Sie mich an, und lachen Sie Sich hier auf Ihrem Zimmer, wo Ihnen eine jede Unanständigkeit erlaubt ist, satt über mich. Ich kann Ihnen sogar mein Portrait, zu Ergötzung in Nebenstunden, hier lassen. Aber keine Miene wieder zum Lachen über mich! Sie glauben nicht, was für ein verwegener Mensch ich bin.« Die Hofdame. »Das sehe ich, daß Sie das sind, und noch nie bin ich also angeredet worden. Wenn Sie es aber denn durchaus wissen wollen; nun ja! Es ist wahr, daß ich die unartige Gewohnheit habe, wenn etwas Ungewöhnliches mich an einem Fremden frappiert, mich des Lachens nicht erwehren zu können. Einer Dame sollte man indessen, wenn man Verstand hat« – Ich. »Mein gutes Fräulein! Als ich funfzehn Jahr alt war, hatte auch ich unzählige böse Gewohnheiten von der Art. Aber, zum Henker! Wir sind, denke ich, Beyde sehr über die funfzehn hinaus.« Die Hofdame. »Es ist also lange her, daß Sie funfzehn Jahre alt waren?« Ich. »Sie sehen, daß ich kein Roth auflege, mithin kann ich niemand betrügen; ich bin sieben und zwanzig Jahr alt.« Die Hofdame. »Das ist erschrecklich alt!« Ich. »O! für einen Chapeaux nicht – Aber für eine Dame – Gott bewahre!« In diesem Tone gieng die Unterredung fort. Endlich fieng sie an aus Bosheit zu weinen. Nun hatte ich sie genug gedemüthigt, also stimmte ich herab, schmeichelte ihr auf eine höchst gezwungene Art, bath um Frieden, und gieng fort. Diese Unterredung hatte die erwünschte Würkung, und man lachte nicht mehr. Ich machte der Hofdame von dem Augenblicke an die Cour. Sie ließ sich nichts von der Scene merken, obgleich das alte Fräulein sie, aus christlicher Liebe, in der Stadt an zehn oder zwölf ihrer Freundinnen erzählt hatte. Ich war auf dem angenehmsten Fuße, die folgenden Tage hindurch, an dem Hofe, war immer äusserst munter, erwartete den Fürsten, der mir sehr gnädig begegnete, und reisete, ohne Ein Haar abzuschneiden, weiter nach ... Wahrhaftig! ich hätte auch müssen für jeden kleinen Hof eine eigene Perücke haben, denn hier war alles französisch, und beym ersten Anblicke gefiel ich allgemein, weil ich ein hohes Touppée trug. Aber welch ein Hof! Der Chef desselben stotterte so entsetzlich, daß er nicht Ein Wort hervorbringen konnte. Der Mann war blos zu der Stelle durch einen Favoriten ausersehen worden, um das Unangenehme davon zu verantworten, und ihm die Ehre des Guten, das vorgieng, zu lassen. Der Mann konnte ihm nie gefährlich werden, und des Favoriten Verdienste stachen gegen denselben sehr hervor. Solche Leute muß man ansetzen! Auch bestand fast der ganze Hof aus solchen lächerlichen Geschöpfen. Der Oberstallmeister war ein süßes Kerlchen, das Verse machte, ein schöner Geist, der bald an mir seinen Bewunderer fand. Der Oberschenk war ein Polyhistor, Freygeist, Blumenliebhaber, und machte pappene Kästgen für die kleinen Prinzen. Er bath mich des Morgens zu sich, um mir seine Bibliothek zu zeigen – Hat man jemals eine solche Sammlung von unpassenden Büchern gesehen? Voltairens dictionaire philosophique; alle Deductionen aus dem vorigen Kriege; das ökonomische Wörterbuch; Musarion; Martii liber de magia, u.s.f. Der Oberhofmeister an diesem ganz französierten Hofe, sprach kein Wort französisch. Die Hofdamen waren ungeschliffene, tumme Dorf-Dirnen. Die Gespräche an der Tafel waren die allerlangweiligsten, und obgleich der Fürst gar keine ausländische Literatur hatte, und sogar selbst äusserst jämmerlich französisch redete; so wurde doch sehr oft auf die deutsche Sprache, auf unsre Literatur und unser National-Theater geschimpft. Dennoch kannte man nicht einmal unsre classischen Schriftsteller, und ich fand des Prinzen Büchersammlung, die er mir durch einen dicken unwissenden Bibliothekar zeigen ließ, ohngefehr in denselben Umständen, wie die des Oberschenken. Alles ekelte mich hier, doch erwartete ich einen Cour-Tag, da dann die Damen aus der Stadt an den Hof kamen. – Aber nichts als alte Weiber! Eine davon, des Hofmarschalls Frau, die itzt entsetzlich kupfrig war, aber im vorigen Kriege denen französischen Officieren sehr gefallen hatte, war die angesehenste, weil sie des Günstlings Maitresse war, und mit ihm alles regierte, manchen redlichen Mann fortschaffte, der ihr nicht schmeichelte, und ihre erztumme Creaturen beförderte. Das alles und unzählige andre Geschichtgen wurden mir in den ersten Tagen sub rosa erzählt, und eine solche allgemeine Gährung und Klatscherey, als hier herrschte, habe ich nirgendswo gefunden. Ich beurlaubte mich nach einem fünftägigen Aufenthalte, und kam den 13ten September, Mittags um zwölf Uhr, bey erwünschtem Wohlseyn in ... an. Im Gasthofe, wo ich abtrat, speiseten viel Officiere, die alle barbarisch aussahen, und auf mich, als ihren neu angekommenen Kriegscameraden mit einer Art Mitleiden herabsahen, wovon ich nachher die Ursache erfuhr. Ich hatte nemlich keine Uniform an; eine Sache, die in ihrem Dienste ein unerhörtes Verbrechen war. Den ganzen Mittag redeten sie nur von Dienst-Sachen, geriethen sehr oft in Streit mit einander, und wurden nicht selten grob. Dabey bemerkte ich aber, daß Einige nur bis zum zweyten Gange sitzen blieben, Andre hingegen sich hinsetzten, als der Braten kam. Als ich den Wirth hernach um die Ursache fragte, antwortete er mir: »Ach! die Herrn speisen nur halb.« Weil sie nemlich von ihrem Herrn schlecht bezahlt würden; so accordierten sie nur auf die Hälfte einer Mahlzeit. Mein Unwille über die ungesitteten Leute verwandelte sich bey dieser Nachricht in Mitleiden. »Ist es erlaubt,« sagte ich zu mir selbst, »daß ein Fürst, der nie Krieg zu befürchten hat, aus bloßer elender Eitelkeit oder aus Spielwerk, eine Menge armer Leute, durch Ehrgeiz oder andre Mittel, anlockt, seine Uniform zu tragen, sie dadurch unfähig macht, auf andre redliche Art sich zu ernähren, und sie dann darben läßt? O! ihr kleinen Tyrannen!« Ich gieng nach Tische in der Stadt spazieren, und fand, daß alles in derselben ärmlich und nahrungsleer aussah. Des Abends fuhren indessen viel Kutschen, wovon die Vergoldung aber zum Theil sehr matt aussah, weil sie schon manchen Herrn mogten gehabt haben, in das Schloß. Nach der Menge von Officieren zu urtheilen, die ich hie und da erblickte, hätte der Fürst eine große Armee haben müssen, allein man versicherte mich das Gegentheil, obgleich er noch immer, nach Verhältniß des armen Ländgens, zu viel hielt. Doch traf ich Haufen Soldaten in allen Gassen an, so daß ich mich des possierlichen Gedankens nicht erwehren konnte, man liesse täglich ein Commando von ihnen aufziehen, das durch die Straßen spazieren müßte, um die Fremden dadurch zu blenden. Den folgenden Tag gieng ich an den Hof, wo alles vollkommen in eben dem Geschmacke war. Da sahe man ein ganzes Heer von nicht bezahlten Hofleuten, denen die Noth auf jedem Rock-Knopfe saß, nebst einigen Jünglingen, dergleichen, durch Eitelkeit geblendet, um etwa ein Schüsselchen zu tragen, viele an solchen Höfen sich Dienste geben lassen, wo sie alten Männern, welche ihr Vermögen längst im Dienste zugesetzt haben, vorgerückt, und dann, wenn auch sie in Schulden bis über die Ohren stecken, und um Gehalt bitten, in Gnaden entlassen werden, um andern Ankömmlingen Platz zu machen. Das nennt man an einigen Oertern: junge Leute bilden, sie den Dienst lehren. 1 Auch war ein Gesandter von einem Hofe da, den man sich erbethen hatte, obgleich man nie das geringste Geschäfte mit demselben haben konnte. Dieser Gesandte lachte in seinem Herzen des ganzen Werks, und schrieb darüber die lustigsten Briefe an seinen Herrn. Indessen gefiel mir der Kerl mit seinen Ordens-Bändern auch gar nicht. Er hatte so etwas unnachahmlich Bedeutendes in seiner Gesticulation, wenn er sprach, und dabey einen Augenschnitt und Blick, der mir höchst zuwieder war. Auch erfuhr ich, er sey würklich ein schlechter, stolzer Kerl, habe an einem andern Hofe viel Cabale gemacht, und bekleide diese Stelle nur seines Vermögens wegen. Seine Frau war artig genug, doch hatte sie sich etwas von dem gezierten vornehmen Wesen angewöhnt, welches sie, die zu einer guten Hausfrau geschaffen schien, recht übel kleidete. Die erste Dame in der Stadt war ein langes, hageres, unangenehmes Weib, mit einer großen Warze auf der Nase. Weil ihr Mann der Einzige von der Dienerschaft, der Vermögen für sich hatte, und auch in der That ein rechtschaffener, vernünftiger Mann war, folglich dem Hofe auf alle Art Ehre machte; so zog man die Frau sehr vor. Dies hatte aber eine so unleidliche Creatur aus ihr gemacht, daß man nicht wußte, ob man über sie lachen oder sich ärgern sollte. Ohne die geringste Erziehung zu haben, wollte sie in Allem den Ton angeben, Sprachen reden, die sie nicht verstand, sich in Geschäfte mischen, Leute in den Dienst bringen, und das Ansehen haben, in großem Briefwechsel zu stehen, da doch ihre Cammerjungfer sogar ihre Liebesbriefe für sie schreiben mußte. Denn sie war nicht ohne Forderungen von der Seite, sondern hielt sich immer einen jungen Officier, der den Freund vom Hause machte. So häßlich und alt sie nun war; so kleidete sie sich doch wie das jüngste Mädgen, war aber sehr zu Vapeurs geneigt, fürchtete jedes Thier, fuhr bey jedem Geräusche zusammen, und war, mit Einem Worte, eine Närrinn. Eine andre von denen Stadt-Damen, eine Witwe, war durch schlechte Wirthschaft in große Schulden gerathen. Sie war hübsch, und da ihr sinkendes Vermögen ihr nicht mehr erlaubte, viel an Putz zu wenden, die Hälfte ihrer Garderobe auch gewöhnlich versetzt war, und die Schuldleute oft mit Verhaft droheten; so erfand sie allerley Finanz-Operationen, hielt sich reiche Liebhaber, unter Juden und Christen, die eine Zeitlang von ihr gerupft wurden, betrog im Spiele, und bezahlte nicht, wenn sie verlohr. Kein Fremder kam an den Hof, den sie nicht, wenn er ein bisgen Geld hatte, an sich lockte – Doch, ich kann Ihnen ohne Aerger nicht mehrere von den Originalen beschreiben, die ich an diesem Hofe antraf. Auch wurde ich hier bald fertig, und gieng nach ... Ich fand diesen Hof auf einen gelehrten Ton gestimmt. Jedermann sprach von Wissenschaften, Literatur und Künsten, und die Hofleute affectirten, immer zerstreuet und beschäftigt zu seyn. Die Hauptrolle aber spielte ein französischer Chevalier, der indessen, wie man mir sagte, einst Comödiant gewesen seyn soll. Diesen Aventurier hatte der erste Minister verschrieben, ein Mann, welcher für einen großen Geist und Weltweisen gelten wollte, dessen Haus eine Academie war, wo beständig ein Haufen windvoller Köpfe die Vorkammer ausfüllten, und einen jeden witzigen Einfall des Mäcenaten auffiengen. Dieser Minister machte sich eine Ehre daraus, öffentlich den Freygeist zu spielen, welches denn freylich bewies, daß er ein eben so schlechter Staatsmann als Mensch war. Er war in der Jugend Officier in französischen Diensten gewesen, hatte gelesen, und von allem etwas aufgeschnapt, und durch Geschwätz sein Glück ge macht. Itzt sprach er wenig, aber was er vorbrachte waren Sentenzen. Gerade an dem Tage, da ich ankam, wollte Abends der Hof ein französisches Trauerspiel aufführen, deswegen nun eilte ich, mich vorstellen zu lassen, um dies mit anzusehen. Es war Zaire, von Voltaire. Der Fürst, ein äusserst kalter Mensch, machte, wie sich versteht, den jeune amoreux, die ärgste Cockette in der Stadt, eine Hofdame, die mit Serenissimo sehr vertrauet war, spielte seine Zaire, und den Orosman machte der Chevalier, der eine ganz feine Stimme hatte. Das Ganze war in seiner Art würklich sehenswerth. Ich fand noch andre Fremde am Hofe, an welche ich mich bald schloß, weil sie mir ausnehmend gefielen, und weil sie, so wie ich, Beruf zu haben schienen, die lächerlichen Sachen von einer lächerlichen Seite anzusehen. Diese Fremde waren nemlich: erstlich, ein fremder Gesandter, der mit seiner Frau hier durchreisete. Diesem Manne blickte feiner Verstand und Redlichkeit aus den Augen, nur schien er kränklich, sie aber war ein schönes, herrliches Weib, voll Seele, Talent und Gefühl. Dann war noch mit ihnen dort ein Mann, der an Höfen grau geworden ist, itzt aber auf seinen Gütern sich selbst lebt, oft die nachbarschaftlichen Fürsten besucht, von ihnen sehr geehrt wird, ihnen die Wahrheit sagt, und dann wieder zu Hause der Natur im Stillen nachforscht. Der Mann hat eine ungezwungene, immer gleiche Heiterkeit, welche mich überzeugt, daß er sich von den Fesseln der Leidenschaften losgemacht hat. Wir saßen neben einander hinter der Gesandtinn, und seine wahrhaftig witzige Einfälle liessen uns bey der Vorstellung des Trauerspiels gewiß keine Thränen vergiessen, wenn dies auch sonst möglich gewesen wäre. In der Stadt machte ich wenig Bekanntschaften. Ein Pärchen nahm ich indessen auf das Korn, welches mir sehr übel gefiel. Mann und Frau waren gleich gedreht, gleich weibisch, gleich gezwungen. Die Frau sprach immer ganz leise, und zierte sich gewaltig; Der Mann trug ihr stets ein seidenes Mäntelchen nach, damit sie sich vor jedes Lüftgen schützen könnte; Man roch ihren beyderseitigen Puder auf zwanzig Schritte; Uebrigens sagte man mir, er besorge allein den Haushalt und die Küche, sey überhaupt sehr geschickt, und könne, unter andern, über hundert Karten-Kunststücke. Und, denken Sie nur! auch dieser Mann war einst Gesandter eines großen Hofs gewesen, lebte itzt hier vor sein Geld, und wurde deswegen sehr vorgezogen. Doch, ich schliesse meine Erzählung. Schon den 21ten September reisete ich wieder fort, weil ich Nachricht erhielt, daß meine Mutter unpäßlich sey, und kam ich den 23ten bey ihr an. Hier haben Sie, mein lieber Hohenau! einen Auszug aus meinem Reise-Journale! Denken Sie indessen ja nicht, daß ich nur das Lächerliche aufschreibe, wenn gleich ich, um Sie zu belustigen, Ihnen heute blos solche Bilder vor Augen lege! Nein, mein guter Mann! Ihr Freund, der gern über Thorheiten und Laster spottet, fühlt doch gewiß eben so lebhaft den ganzen Werth der Tugend und Schönheit, und ich habe auch auf dieser kleinen Reise viel schätzbare Menschen kennen gelernt, mit denen ich Sie gelegentlich bekannt machen will, und die bey mir in einem eigenen Buche verewigt stehen. Nun muß ich Ihnen noch sagen, daß ich bald das Vergnügen zu haben hoffe, Sie in Göttingen zu umarmen. Das kann etwa gegen den 10ten Januar künftiges Jahrs geschehen. Ich habe einen Oncle nicht weit von Hanau, den ich nothwendig sprechen muß. Zudem bin ich noch nie in diese Gegend von Deutschland gekommen, die man mir doch als ein Paradies beschrieben hat. Lange darf ich zwar nicht ausbleiben, denn ich werde nicht auf lange Zeit Urlaub bekommen, doch hoffe ich bis Straßburg hinauf zu gehen, und wenigstens ein Paar Tage bey Ihnen zuzubringen, und Ihnen die Versicherungen der treuesten Ergebenheit wiederholen zu können, mit welcher ich stets seyn werde, Ihr treuer Diener, Franz von Weckel. Fußnoten 1 Es wird nicht unnütz seyn, dem Leser hier ins Gedächtniß zurückzurufen, daß die etwas boshaften Schilderungen, welche der Herr von Weckel hier von Höfen macht, zwar damals alle nach der Natur copiert, aber vor mehr als eilf Jahren geschrieben sind. Alle diese Höfe sind nachher, unter den vortreflichen Nachfolgern der damaligen Herrn, gänzlich auf einen andern Fuß gekommen, und wir können stolz darauf seyn, daß diese Gemälde itzt auf keinen deutschen Hof mehr passen. 13. Brief Dreyzehnter Brief. An den Herrn Commerzienrath Müller, in Cassell. Amsterdam den 20ten December 1769. Hochedler Herr! Ich danke Denenselben für Dero gütigen Avis in Betreff meines Sohns. Nun glaube zwar nicht, daß derselbe sich so weit vergessen wird, obwohlen er sehr flüchtig und noch gar nicht solide ist, daß er sich in ein dergleichen, auf nichts Reelles abzielendes Engagement, ohne meinen Consens, sollte einlassen, maaßen er leichtlich vermuthen kann, daß bey Ew. Edlen bekannten unglücklichen Umständen ich nimmermehr eine solche Partie würde billigen können; dennoch aber will ich alle Präcaution gebrauchen, um ihn von den thörigten Ausschweifungen, zu welchen er etwa durch Dero Jungfer Tochter könnte verleitet werden, abzuhalten. Wiederhole also nochmals meinen höflichen Dank, bedaure, daß Dero jetzige Situation nicht so ist, wie von Herzen wünschte, und verharre, Ew. Edlen dienstwilliger Diener, David von der Hörde. P.S. Ich habe kürzlich durch jemand, der auch fallirt hat, eine ansehnliche Summe eingebüßt. 14. Brief Vierzehnter Brief. Dieser Brief gelange an den Mosje Christoph Birnbaum, in Diensten bey dem jungen gnädigen Herrn, in Göttingen. 1 Urfstädt den 18ten December 1769. Gott zum Gruß! Mein allerliebster Mosje Birnbaum! Ich kann nicht unterlassen an Ihn zu schreiben, und Ihm herzlich zu danken vor das Schreiben, so Er an mich hat gelangen lassen. Ach du lieber Himmel! was wollte ich auch anfangen, wenn Er die Treue thäte brechen, und mich unglückliches Mädgen sitzen lassen. Ich traue fest auf Sein Versprechen, welches Ihm muß bewußt seyn, wie oft Er mir's gethan hat, und dabey geflucht und geschworen. Auch halte ich fest auf meine Ehre, und bin nicht wie wohl Andre sind, als die Haushälterinn auf dem Amte, die neue, mit der großen Haube. Das weiß doch jedermann, in welchen Lüsten die mit dem Informator lebt, mit dem Mosje Kranz. Aber ich denke immer, was geschrieben steht: Ich verachte das, was hinter mir ist, und strecke mich nach dem, was fornen ist, denn mit solchen gottlosen Leuten hat es doch niemals ein gutes Ende, wie man auch gesehen hat an dem Sohn von dem Herrn Reitmeier, der die Liesebeth hat sitzen lassen, und nun soll er in die weite Welt nach Frankfurt und Paris gegangen seyn, und sich zu den Freymaurern halten. Da ist denn auch in der Stadt ein Pärchen angekommen. Er schreibt sich Herr Becker, und die er bey sich hat, ist ein hübsches Mensch, aber ich glaube nimmermehr, daß es seine Frau ist. Sie soll auch immer weinen, wenn sie allein ist, und hat doch gewiß schöne Kleider und Sachen. Nun! was ich noch sagen wollte, mein herzallerliebster Schatz! denn das Schreiben wird mir etwas sauer, behalte Er mich lieb, und hüte Er sich vor bösen Wegen. Wenn Er nur erst wieder hierher kömmt! Das sollte ein Leben werden, die ich allstets bin Seine bis in den Tod getreue Anna Sievers. Fußnoten 1 Man hat mit Vorsatz die fehlerhafte Schreibart, darinn dieser Brief geschrieben war, nicht beybehalten. 15. Brief Funfzehnter Brief. An den Herrn Hauptmann von Weckel. Göttingen den 29ten December 1769. Empfangen Sie, theuerster Freund! meinen aufrichtigen Dank für Ihren allerliebsten, muntern Brief, und für die Erzählung Ihrer Reise-Begebenheiten. Wir haben Beyde, Herr Meyer und ich, gar herzlich bey Lesung derselben gelacht. Es ist wahr, daß Sie eine ganz eigene Art haben, die Sachen in ein comisches Licht zu setzen, und ich leugne nicht, daß ich es für ein großes Unglück halte, Ihnen den geringsten Anlaß zu geben, etwas von der Art an einem zu bemerken. Dennoch sind Sie ein gütiger, nachsichtsvoller Freund, und ich bin doppelt stolz auf Ihre Freundschaft, wenn ich bedenke, wie fein Sie jede Thorheit, jedes Gebrechen fühlen. Könnte ich Ihnen nur auch etwas Interessantes schreiben! Vielleicht habe ich indessen bald Gelegenheit dazu, denn wir reisen morgen mit dem jungen Hundefeld zu seinen Eltern auf das Land. Dort könnte ich wohl Materialien zu einem Pendant gegen ihr Hof-Gemälde, in der Nachbarschaft, bey Landjunkern, Beamten und Predigern, aufsammlen, wenn ich nur die Geschicklichkeit hätte, es hernach so gut, wie Sie, zu Papier zu bringen! Doch, das werde ich ja nicht nöthig haben, denn ich kann es Ihnen bald mündlich erzählen, und die angenehme Hofnung, welche Sie mir machen, in einigen Wochen zu uns nach Göttingen zu kommen, erfüllt mich mit der lebhaftesten Freude. Wie kurz werden die Paar Tage unter den angenehmsten Gesprächen hinfliehen! Wir erwarten Sie mit ofnen Armen. Hundefeld verspricht mir viel ländliches Vergnügen. Sein Vater soll ein braver Mann seyn, und seine Schwester, wie man sagt, ein allerliebstes junges Mädgen. Er selbst, der Bruder, ist ein sanfter Junge, voll Adel, Güte und Talent. Er liebt Musik, so sehr als ich, und spielt das Clavier recht hübsch. Er ist fast mein einziger Umgang, und wohnt mit uns in demselben Hause. Unterdessen lernt man doch auch auf einer Universität eine gar große Verschiedenheit von Characteren kennen. Zwar sind da noch mehrentheils nur halb gebildete Menschen, aber die verschiedenen Anlagen und Neigungen, die sich hier ganz zwanglos entwickeln, geben doch zu mancher lehrreichen Bemerkung Anlaß. Gegen uns über wohnt unter andern ein junger Herr von Reyherberg, der, nebst einer kleinen munteren Gesellschaft, seine ganze Beschäftigung daraus macht, lustige, doch im Grunde eben nicht schädliche Streiche auszuführen, Philister und Juden zum Besten zu haben, und überhaupt witzige Späße zu ersinnen. Nun ist es wahr, daß man sich nicht genug über den Reichthum ihrer Ideen verwundern kann. Was könnten diese Menschen nicht, mit ihrer Thätigkeit und Erfindungskraft, die itzt eine gänzlich zwecklose Richtung bekommen, in der Welt ausrichten? Gestern waren ihrer sechs oder acht mit Extrapost zu einem Beamten gefahren, der ein erztummer Kerl und so ehrgeizig ist, gern vornehme Gäste zu bewirthen. Einer von ihnen gab sich also für einen fremden Prinzen aus, und die Andern hatten, in geborgten Kleidern und Livreen, die Rollen von den Personen seiner Suite zu spielen. Sie hatten ihre Commödie so vortreflich studiert, daß der Beamte gar keinen Verdacht bekam, sondern sie auf's Prächtigste tractirte. Ein andermal lernten sie ein Chor auswendig, welches die Schüler des Morgens auf der Straße zu singen pflegen. Sie sungen dies mitten in der Nacht vor den Häusern ab, wodurch die Leute, voll Schrecken, aufgeweckt wurden, und den Morgen verschlafen zu haben glaubten. Einer von ihnen hat eine kleine Handbuchdruckerey. Da drucken sie denn allerley Nachrichten, und locken dadurch oft eine Menge Menschen in ein entlegenes Wirthshaus, um entweder einen angekündigten Zwitter, einen weissen Bären, oder so etwas zu sehen. Wenn ein Fremder in einem Gasthofe einkehrt; so schleichen sie sich, indeß er etwa unten am Wirthstische speiset, oder sonst, auf sein Zimmer, und nähen ihm sein Nachtkamisol um eine Handbreit ein, da dann der Fremde, wenn er es anziehen will, mit Schrecken wahrzunehmen glaubt, daß sein ganzer Leib geschwollen sey, und dergleichen Scherze mehr, die oft mit einem Witze ersonnen sind, der zu bessern Vorwürfen genützt werden könnte. Herr Meyer ruft mich ab. Auch will ich Sie nicht länger mit Schilderungen aus dem Studenten-Leben aufhalten, die Sie sehr wenig interessiren werden. Leben Sie herzlich wohl, lieber Freund! und vergessen Sie nicht Ihren treu gehorsamsten Diener Carl von Hohenau. 16. Brief Sechzehnter Brief. An den Herrn Meyer, in Göttingen. Urfstädt den 4ten Januar 1770. Mein lieber Freund! Sie werden, wenn Sie diesen Brief erhalten, von Ihrer kleinen Reise zurückgekommen, und wieder in Göttingen seyn. Der Herr von Weckel ist der Ueberbringer desselben; ich hoffe, daß er Sie gesund und zufrieden antreffen wird. Es würde mir lieb seyn, wenn mein Carl die Erzählung von dem, was ihm auf dem Landgute des Herrn von Hundefeld merkwürdig vorgekommen ist, welche er seinem Freunde versprochen hat, auch mir mittheilte. Ich mag gern sehen, auf welche Art der junge Mensch beobachtet, und was vorzüglich seine Aufmerksamkeit gewinnt. Für Ihre Lebensgeschichte, mein redlicher, aufrichtiger Freund! welche mir unser guter Müller überbracht hat, bin ich Ihnen sehr verbunden. Wenn das Schicksal nicht auf ganz ausserordentliche Art meine Plane vereitelt; so sollen Sie nicht Gelegenheit finden, von der andern Hälfte Ihrer Laufbahn ein solches Gemälde zu machen. Armer Mann! was haben Sie bis itzt gelitten! Und das in so wenig Jahren! Wir wollen uns nie trennen, sondern künftighin Hand in Hand die kleinen unvermeidlichen Abwechselungen, die uns, bey der kurzen Reise durch dies Leben, aufstoßen werden, mit heiteren Stirnen ruhig erwarten, und sie vorüber gehen lassen. Weil ich Ihnen nun auch den Roman meines Lebens versprochen habe; so will ich Ihnen denselben stückweise zuschicken. Hier haben Sie die erste Hälfte davon! Sie werden finden, daß ich meine jugendlichen Verirrungen sehr ungeschminkt Ihnen vor Augen lege, welches Ihnen, wie ich hoffe, eine Probe des uneingeschränkten Zutrauens, und der unbegrenzten Hochachtung geben wird, mit welcher ich stets seyn werde, Ihr Ihnen ganz ergebener Leidthal. * * * Mein Vater versäumte nichts bey meiner ersten Erziehung. Er selbst war ein sehr guter, geschickter und vernünftiger Mann, und das Schicksal hatte ihn in Vermögens-Umstände gesetzt, die ihm alle Mittel darbothen, für die Ausbauung meiner natürlichen Talente zu sorgen. Wir wohnten des Winters in der Stadt, und im Sommer auf den Gütern, wohin mein Vater alsdann meine Lehrer mit sich nahm, so daß ich in Wissenschaften und Künsten einen ununterbrochenen Privat-Unterricht genoß. Nicht weit von uns wohnte des jungen Hohenaus Großvater, ein alter würdiger Officier, dessen Glücks-Umstände aber nicht glänzend waren. Er hatte einen einzigen Sohn, den Vater meines Carls, der mit mir von gleichem Alter, und ein vielversprechender Knabe war. Weil nun mein Vater mit Recht glaubte, daß Nacheiferung bey jeder Bemühung einen stärkeren Antrieb gäbe; so bath er den alten Obristen von Hohenau, ihm die Erziehung seines Sohns anzuvertrauen. Dies wurde ihm leicht zugestanden; Der junge Mensch kam also in unser Haus, und als der alte Obrist bald nachher starb, ohne einiges Vermögen zu hinterlassen; so wurde mein Gespiele so lange als ein Bruder mit mir auferzogen, bis mein Vater starb, da dann meine Vormünder dem jungen Hohenau eine Officiers-Stelle kauften, welche Trennung uns sehr schmerzhaft war, die wir ein festes Freundschafts-Band geschlossen hatten, welches auch bis in unsre männliche Jahre festhielt, wie Sie demnächst erfahren werden. Als mein Vater starb, war ich nicht völlig funfzehn Jahr alt. Meine Vormünder vertraueten mich also der Aufsicht eines würdigen alten Manns an, der schon viel junge Leute gebildet, und selbst Kinder hatte. Bey diesem wurde ich in Pension gethan, und brachte daselbst beynahe fünf Jahre zu, in welchen ich meine Studien fleissig fortsetzte. Wenn hier etwas an meiner Erziehung versehen wurde; so war es, daß man mich auf einmal zu einem gelehrten Greise machen wollte, daß man einen lebhaften Jüngling, in diesen Jahren der Fröhligkeit, nur beständig mit Wissenschaften vollpfropfte, und daß man mich zu wenig mit öffentlichen Lustbarkeiten und allerley Vergnügungen bekannt machte, wovon ich doch in meines Vaters Hause, der sehr prächtig lebte, schon den Vorschmack genossen hatte. Da kam es dann, daß ich freylich aus Ehrgeiz und Eitelkeit sehr viel lernte, daß mir aber auch die Freuden der großen Welt so ganz fremd wurden, daß, als man mich im Jahr 1737 mit einem Hofmeister nach Leipzig schickte, ich in allerley Ausschweifungen verfiel. In der Pension war ich wie in einem Kloster gewesen, und mein itziger Hofmeister war im Gegensatze ein Mann, der mir zuviel Freyheit ließ, weil es ihm nur darum zu thun war, sich auf meine Unkosten gute Tage zu machen. Wir giengen zwar ordentlich in unsere Collegia, aber jeder Augenblick, den wir für uns hatten, wurde den Lustbarkeiten gewidmet, und da es mir nicht an Gelde fehlte, und wir muntere Leute waren; so wurden wir in den ersten Häusern mit ofnen Armen aufgenommen. Mein Führer war auch ein Liebhaber von Schauspielen, ein schöner Geist, der für das deutsche Theater, welches freylich zu der Zeit noch sehr zurück war, arbeitete, indem er allerley Stücke übersetzte, auch Prologen und Epilogen machte. Damals befand sich eine Gesellschaft Schauspieler in Sachsen, deren Vorstellungen wir nicht nur immer beywohnten, sondern mit denen wir auch, durch meines Hofmeisters Schöngeisterey, bald in Verbindung kamen. Eine junge Schauspielerinn, die in allen Künsten der feinen und groben Coketterie ausgelernt hatte, spielte dabey die ersten Liebhaberinnen. Wir sahen sie oft; Ich war ein junger feuriger Mensch, in der Blüte meiner Jahre, noch wenig mit dem weiblichen Character bekannt, und fähig, jedem Eindrucke mein Herz zu leihen, und so war es denn nicht schwer zu begreifen, warum ich ihren Künsten nicht wiederstehen konnte, und eine heftige Leidenschaft zu diesem Mädchen faßte, wobey mein Führer beyde Augen zudrückte. Zu Geschenken, kleinen vertraueten Gastmalen und Partien, über welche ich meine Studien versäumte, giengen große Summen aus meinem Geldbeutel. Meine Vormünder schöpften Argwohn, erkundigten sich nach unserer Aufführung, und konnten es kaum glauben, als sie hörten, daß ich mich allerley Ausschweifungen überliesse, und daß ein so fleissiger, solider junger Mensch in so kurzer Zeit, und unter den Augen eines Hofmeisters, sich so habe verändern können – Das alles hatte ein Mädgen gethan. Nach genauerer Untersuchung schickten sie mir um Ostern 1739 einen sicheren Mann, liessen mich schleunig von Leipzig abholen, dankten meinen Gesellschafter ab, und liessen mich nach Jena führen, woselbst ich einen andern Hofmeister, einen steifen, pedantischen Magister, bekam. Dies war wieder nicht das rechte Mittel, mich zu bessern. Der rauhe Ton in Jena und der Umgang mit einem Pedanten waren einem Menschen von meiner Erziehung und meinem Temperamente so unerträglich, daß ich zwar aus Verzweiflung fleissig studierte, aber nur den Zeitpunct erwartete, da ich die Fesseln abschütteln könnte. Ich ließ mich daher im Jahre 1740 mündig erklären, gieng von Jena fort, reisete an einige deutsche Höfe umher, und nahm das Jahr darauf in ... Kriegs- und Hof-Dienste. Hier hatte ich eine Menge kleiner Liebeshändel, und wurde in unzählige Hof-Cabalen verwickelt, mit deren genauer Erzählung ich Sie nicht ermüden will. Doch, die Hauptsache: Die Herzoginn war, wie bekannt, ein schönes, aber wollüstiges, stolzes, geiziges und ränkevolles Weib. Ihrem alten Gemahl, der alle nur mögliche Gefällig keit für sie hatte, begegnete sie mit der ausgezeichnetesten Verachtung. Statt sich ein wenig nach seiner Gemüthsverfassung zu richten, suchte sie sich unter ganz jungen Leuten einen Anhang zu machen. Mit diesen schwärmte sie umher, gab kleine Bälle, und machte allerley Partien, wobey nicht selten die Anständigkeit bey Seite gesetzt wurde, und dem alten Herzog die Stirne juckte. Nun! da ich jung war, und alle Arten von Vergnügungen liebte; so läßt sich's begreifen, daß ich mich lieber zu diesem Haufen munterer Leute, als zu der Partie des Fürsten hielt. Auch hatte dieser im Grunde keine Partie, denn alle diejenigen Leute, welche er, aus dem Staube hervor, zu reichen, angesehenen Männern gemacht hatte, zeigten ihm, durch ihre Aufführung, nicht die geringste Dankbarkeit. Sie trotzten ihm, glaubten sich ihm nothwendig gemacht zu haben, betrogen ihn, wo sie konnten, bereicherten sich, kauften Güter ausser dem Lande, um einst der Rache des Erbprinzen nicht in die Hände zu fallen, der arme schwache Herr erzog indessen immer wieder neue junge Leute, hofte endlich einmal einen dankbaren Freund zu finden, und wurde jedesmal getäuscht. Es waren wohl an dem Hofe ein Paar redliche Minister, aber diese hatten nicht Muth zu reden. Der Eine, welcher sehr religiös war, seufzete nur im Stillen über das Unglück, und der Andere hatte nicht viel Vermögen noch Gehalt, deswegen durfte er es mit der Rotte der Günstlinge, welche immer zum gemeinschaftlichen Betrug sich die Hände reichten, nicht verderben, damit man ihn nicht ums Brod brächte. Ich darf wohl sagen, daß ich, durch meine Lebhaftigkeit, munteren Witz und einige Talente, ein Jahr hindurch die erste Rolle bey dem lustigen Hofe der Herzoginn spielte. Darum glaubte nun endlich der arme furchtsame Herzog, der dies merkte, mich gewinnen und auf seine Seite ziehen zu müssen. In meinem Herzen fand er auch leicht die Disposition, ihm gefällig zu seyn, denn ich hatte gewiß Redlichkeit genug, zu fühlen, wie unedel es sey, den mit Füßen zu treten, dessen Brod man ißt, und zudem wurde ich's, gewisser Umstände wegen, sehr überdrüssig, mit der ausgelassenen Bande seiner Gemahlinn herumzuziehen. Es fand sich an dem Hofe eine Dame, eine Französinn, die, aller Ränke voll, bey Ihrer gnädigen Frau eine Rolle zu spielen anfieng, die mir von jeher zuwieder gewesen ist. Sie führte derselben nemlich einen jungen Garde-Officier zu, und unsere Bälle fiengen bald an den holländischen Spiel-Häusern gleich zu sehen. Man verlohr sich paarweise, und kam dann, mit geschwollenen Köpfen und in Unordnung gerathenen Frisuren, einzeln, durch verschiedene Thüren wieder, welches mir sehr übel gefiel. Also brach ich kurz ab, und suchte nun auf alle Art meinem mir mit Güte zuvorkommenden Herrn mich gefällig zu machen. Sobald die Herzoginn merkte, daß ich ihre Partie verlassen hatte, warf sie einen tödlichen Haß auf mich, und machte mir, wo sie konnte, Verdruß. Von der andern Seite, sobald ich das gewahr wurde, und ich mich in der Gunst ihres Gemahls fest glaubte, trieb mich auch Stolz und Lebhaftigkeit, nichts zu unterlassen, ihr jedes Uebel zu erwiedern. Ich machte sogar, als ein junger unerfahrner Mensch, den kühnen Plan, meinem guten Herrn seine Würde wiederzugeben, ihm die Augen über das Spiel zu öfnen, welches die Bande schlechter Menschen mit ihm trieb, und den ganzen Hof von dem elenden Gesindel zu säubern. Armer Jüngling! welche Keckheit, gegen alte ausstudierte Hofleute zu Felde zu ziehen! Das muß ich bekennen, daß ich mich in der That in kurzem furchtbar machte, aber um desto heimlicher baueten sie ihre Minen, schmeichelten mir äusserlich, und legten mir dabey die feinsten Schlingen. Einer unter ihnen, für welchen der Herzog sehr viel Liebe hatte, war ein durchtriebener schlechter Kerl, und lebte mit der küpplerischen Hofdame in der schändlichsten Verbindung. Diesen Abschaum des weiblichen Geschlechts aber wollte der Fürst, um sich Luft zu machen, heimlich in ein Kloster stecken. Mir gab er den Auftrag, dies zu bewerkstelligen, und ich übernahm ihn, nach einiger Weigerung. Allein, der schwache Mann vertrauete den Plan bald wieder der bösen Rotte, alles wurde hintertrieben, und die Sache blieb auf mich hängen. Als sie mich nun so thätig gegen sich sahen, vereinigten sich alle Parteyen, meinen Sturz zu befördern. Sie setzten unerhörte Maschinen in Bewegung, denen ich zwar durch List und Muth auswich, allein, da sie künstlich genug waren, mir nach und nach die Mittel abzuschneiden, den Herrn oft allein zu sprechen, und er selbst furchtsam und schwach war; so merkte ich wohl, daß ich, mit aller Thätigkeit Gutes zu würken, am Ende nichts ausgerichtet hatte, als den ganzen Hof gegen mich aufzuhetzen, und noch dazu für einen ränkevollen Menschen zu gelten. Ich blieb noch eine Zeitlang da, verhielt mich duldend, und nahm endlich, nach vierjährigem Dienste, meinen Abschied. Meine Gesundheit war durch Unruhe und unordentliches Leben sehr zerrüttet worden; also beschloß ich zu reisen, um mich zu erholen. Ich schrieb aber an meinen alten Freund Hohenau, er mögte mich begleiten. Dieser hatte indessen auch manches Schicksal gelitten, wovon ich Sie gelegentlich unterichten will. Sein liebes Weib war eben gestorben; ich bath ihn daher, mit mir zu reisen, um sich zu zerstreuen. Wir reiseten ein Jahr lang umher, wurden aber in Italien auf die unglücklichste Art von einander getrennt (wie Sie einmal hören werden, 1 wenn ich Ihnen seine Geschichte erzähle), worauf ich, des Lebens in der Welt müde, mismüthig, betrogen, mit mir selbst nicht in Frieden, von der Herzoginn aller Orten verfolgt, beschloß, mich eine Zeitlang unter fremden Nahmen versteckt zu halten, 2 theils um meinen mir entrissenen Freund aufzusuchen, theils um indessen von meinen Feinden vergessen zu werden. Allein, dies stille, unbemerkte Leben war noch nicht für mein unruhiges Herz, und alle Mühe, meinen verlohrnen Freund aufzuspüren, war auch vergebens. Da ich nun mit dem würdigen Minister von ... Bekanntschaft in Wien gemacht hatte; so schlug mich dieser dem Herzoge von ... zum Hofmeister bey seinem Prinzen vor, obgleich ich noch nicht acht und zwanzig Jahr alt war, und oft selbst eines Mentors bedurft hätte. Der rechtschaffene Minister bewog mich indessen, diese Stelle im Jahr 1745 anzunehmen, versprach mit Rath mir beyzustehen, und ich, um allem Verdrusse fernerhin auszuweichen, unterichtete ihn gänzlich von meinen bisherigen Schicksalen. Der Herzog war ein gutgearteter Mann, dem es nicht ganz an Vernunft fehlte, der aber Ruhe und Freude liebte, und aus Bequemlichkeit nicht fest in seinen Entschlüssen, also leicht umzulenken war. Er ließ sichs gefallen, daß ich den Prinzen erziehen sollte, und lächelte freundlich Beyfall zu allem, was ich ihm von meinem Plane, wie ich es mit der Erziehung anfangen würde, vortrug. Der Knabe hingegen war ein böser, tückischer Bube. Ich fand gleich anfangs so viel Wiederstand bey meinen Bemühungen, und hatte soviel Verdruß, daß es mich bald reuete, die Stelle angenommen zu haben. Die Herzoginn hatte auch eine thörigte Affenliebe zu ihrem ungezogenen Prinzen, und deswegen waren mir die Hände gebunden, daß ich nie durchgreifen konnte, also kein Ansehn hatte. Es regierten aber drey Minister an dem Hofe. Der Eine, der mich in den Dienst gebracht hatte, lobte mich ohne Unterlaß gegen seinen Herrn, aus Enthusiasmus, auf eine zu übertriebene Art; Der Andre, der dieses Mannes Feind war, haßte mich, weil er mich als desselben Creatur ansah, und wenn er auch nicht offenbar schlechte Dinge auf mich bringen konnte (obgleich ich noch immer glaube, daß meine auswärtigen Feinde ihn auch dazu gestimmt hatten); so verfehlte er doch nicht, wenn der Fürst mit Vortheil von mir redete, durch ein bedeutendes Lächeln dem schwachen Herrn Verdacht zu erwecken; Und der dritte Minister, der ein Tölpel war, gab immer einem jeden Recht, hielt sich zu dem herrschenden Glauben, und unternahm nie das Geringste, weder zum Guten noch Bösen. So kam es denn, daß der Herzog bald sehr laulich gegen mich wurde, denn schwache Prinzen, denen man von Jugend auf gezeigt hat, wie oft sie betrogen werden, werden allzeit, wenn sie nicht Lust haben, die Sache genauer zu untersuchen, lieber den Unschuldigen verdammen, als sich des Unterdrückten annehmen. Also hatte ich auch hier mannigfaltigen Verdruß, worunter der nicht der kleinste war, daß ich Wiederstand und Mistrauen bey allem fand, was ich unternahm, und daß der Prinz so unerzogen blieb, als er vor meiner Zeit gewesen war. Was noch mehr dazu beytrug, mir mein Leben bitter zu machen, war, daß mir die Liebe einen unglücklichen Streich spielte. Ein herrliches sanftes Mädgen, die Tochter eines Generals, erweckte zuerst in meinem, in der großen Welt verwilderten Herzen, eine schuldlose, reine, aber so heftige Liebe, daß meine ganze Seele an ihr hieng. Jeder ihrer Blicke war mir süße Wonne; ich sah nur sie, fand nur an ihrer Seite Glück und Seligkeit, und ich bekenne es gern, als ich erst merkte, daß ich meiner Bestimmung bey dem fürstlichen Buben nicht würde genugthun können, versäumte ich gänzlich meinen Dienst, und brachte die mehrsten meiner Stunden in dem Hause meiner Geliebten hin. Ich beschloß auch, bey ihrem Vater bald um sie anzuhalten, und meinen Abschied zu fordern, als die Blattern das liebe Mädgen ins Grab streckten. – Noch ist ihr Bild in meinem Herzen, und was ich für sie empfand, habe ich nie wieder für ein weibliches Geschöpf empfunden. Denn glauben Sie, mein lieder Freund! es giebt so manche Arten von Liebe und Freundschaft. Oft wird durch einen guten Menschen ein sympathetisches Gefühl rege gemacht, wenn eine oder mehr Saiten in uns gleich gestimmt sind, aber den ganzen Accord, die vollkommenste Harmonie in allen Tönen in unserer Seele, durch ein anderes liebes Geschöpf in Bewegung gesetzt zu sehen, das Glück hat man nur einmal in diesem Leben – Nun war mir freylich der Hof doppelt verhaßt und öde. Es kam aber unterdessen der König von ... dahin. Er sah mich, ich gefiel ihm, und da er bald die Verfassung durchschauete, in welcher ich in ... lebte, und er mich besser gebrauchen zu können glaubte, ließ er mir seine Dienste anbiethen, welche Gelegenheit, mich von da zu entfernen, ich sogleich ergriff. Er machte mich zum geheimen Legations-Rath und Cammerherrn, und nahm mich mit sich nach ... Es wurden mir hier Geschäfte aufgetragen, in welchen ich unter der Direction des ersten Ministers, Baron ... arbeiten mußte. Der Mann war ein herrlicher Kopf, und besaß vorzüglich die Kunst, da es ihm an erster Anführung und Cultur gefehlt hatte, die Kenntnisse anderer Menschen so zu nützen, daß alles durch ihn zu geschehen schien. Ich merkte vermöge meiner Erfahrungen aber auch bald, daß man sich durchaus in seinen Schutz begeben, und keine eigene Rolle zu spielen versuchen müsse, um nicht von ihm fortgeschafft zu werden. Ueberhaupt muß man, um am Hofe groß zu werden, anfangs sich sehr klein stellen, alsdann, und sonst nie, hebt jeder den unschädlichen Zwerg in die Höhe. Ich wog desfalls jedes Wort ab, sprach nur durch den Minister, und wenn der König mich um Geschäfte befragte; so redete ich nichts, als wozu ich vorher von jenem Auftrag hatte. Derselbe brauchte mich nun dazu, Dinge, welche ihm, nicht aber mir, gefährlich oder verantwortlich hätten werden können, unserem Herrn, auf eine feine Art, in den Kopf zu setzen. Es versteht sich, daß das keine schlechte Dinge waren, denn sonst würde ich nie die Hände dazu gereicht haben. Wenn der König diese Ideen hernach dem Baron ... sagte; so stellte sich dieser, als wenn ihm das ganz neu sey, willigte darinn, und wenn die Sache unversehens nicht gut ausfiel; so hatte nicht er, sondern der Herr selbst, den Einfall gehabt. Uebrigens munterte ich, durch gute Laune und Witz (die sich wieder bey mir einstellten, nachdem ich in eine angenehmere Lage gekommen war, und mein Schmerz über den Verlust meiner Geliebten, wie alle menschliche Dinge, nachließ) den ganzen Hof auf, und weil alle Fürsten belustigt seyn mögen, und der ihnen der wichtigste Mann ist, der am kräftigsten die Langeweile von ihrem Hofe verjagt; so fieng ich bald an, mich dem Könige, ohne daß dies mein Plan gewesen war, sehr unentbehrlich zu machen. Dies merkte der schlaue Minister, fand auch oft, zu seiner Verwunderung, daß ich die schwersten Sachen, welche er mir aufgetragen hatte, bey unserm Herrn durchsetzen konnte – »Halt!« dachte er, »hier muß vorgebauet werden.« Zu dem Endzwecke verdoppelte er seine Freundschafts-Versicherungen gegen mich. Dabey bekam ich aber nach und nach die unangenehmsten Aufträge, und wurde bey tausendfachen Lobsprüchen, so sehr mit Arbeit überhäuft, daß mein Kopf nie frey war, folglich meine muntere Laune auch sehr abnahm. Als der Minister dies auf den gehörigen Grad gebracht zu haben glaubte, nemlich so weit, daß den König (um welchen man indessen andre fröhlige, unterhaltende Leute versammlet hatte) nun nicht mehr so beständig nach meiner Gesellschaft verlangte, obgleich er mich immerfort hochschätzte; so war itzt die rechte Zeit, ihm folgenden Vortrag zu machen: »Ihro Majestät bedürften eines klugen Mannes zu dem Gesandschaftsposten nach ... Der Cammerherr Leidthal sey der tüchtigste Mann hierzu, und er verdiene diese Ehre als Belohnung für seinen wahrhaften Dienst-Eifer. Man müsse ihn dabey gut bezahlen, und ihm den Titel als Geheimen Rath geben. Man könne sich auf niemand so sicher verlassen, als auf ihn« u.s.f. Ohne Anstand willigte der König, welcher mich zu belohnen meinte, in diesen Vorschlag, und da auch ich denselben ganz gern annahm; so gelung es dem Minister, seinen vermeintlichen Nebenbuhler zu entfernen, und ich gieng 1749 in meinem ein und dreyssigsten Jahre als Gesandter nach ... Was mir nun da begegnet ist, sollen Sie nächstens erfahren. Fußnoten 1 Man sehe den drey und zwanzigsten Brief. 2 Man erinnere sich, was im ersten Briefe Seite 29 steht. 17. Brief Siebenzehnter Brief. An den Freyherrn von Leidthal, in Urfstädt. Göttingen den 16ten Januar 1770. Mein bester Vater! Verzeyhen Sie, daß ich Ihnen so spät schriftlich meine Ehrerbiethung bezeuge. Wenige Tage nach unserer Zurückkunft von der angenehmsten Reise meines Lebens kam der Herr von Weckel bey uns an, und erst vor drey Tagen ist er weiter nach Hanau gereiset. Seine Gegenwart aber hat mich am Schreiben verhindert, besonders da ich gern zugleich ein kleines Tagebuch meiner Reise, wie Sie es befohlen haben, beyfügen wollte, zu dessen Entwerfung ich nicht eher Muße gefunden habe. Wir wurden, als wir den 31ten voriges Monaths auf Hundefelds Gut ankamen, von den alten Eltern und der Schwester meines Freundes, die ein gar sanftes, liebenswürdiges Frauenzimmer ist, sehr freundlich empfangen. Sie ist die Güte selbst, und verbindet mit so viel äussern Annehmlichkeiten das beste, gefühlvollste Herz, und so viel Talent – Kurz! ich erinnere mich nicht, je ein Frauenzimmer gesehen zu haben, welche geschwinder meine Hochachtung gewonnen hätte. Dem Vater bin ich um seiner Kinder willen gut; er mag auch ein ganz redlicher Mann seyn, aber er ist äusserst langweilig. In seiner Jugend hat er als Capitain bey den Hessen gedient, ist in Schottland gegen den unglücklichen Prinzen Stuart, und in den brabantischen Kriegen mitgewesen, hat aber nachher seinen Abschied genommen, und da er seit der Zeit nichts Neues um sich her gesehen hat, als ein Paar Amtmänner, den Pfarrer des Dorfs, und andre noch rohere Landjunker, er auch nie etwas anders als eine Chronik und die Bibel gelesen hat; so ist es nun so leer in seinem Kopfe, daß er nur alte Histörchen aus seinen Jugend-Jahren zu erzählen weiß. Diese wiederholt er beständig, ohne es zu merken, biethet sie jedem Fremden, fängt, wenn er fertig ist, von forn wieder an, schimpft zuweilen auf die Landesregierung, und lobt die vergangenen Zeiten. Die Mutter ist eine kleine, hagere, gute, redliche Landfrau, die sich selbst der Haushaltung fleissig annimt, jeden Morgen und Abend in geistlichen Büchern die Seite liest, bey welcher sie gestern stehengeblieben ist, und sich übrigens wenig um die Welt und deren Lüste bekümmert. Beyde alten Leute sind sehr gastfrey, geben gern den Armen, und wenn sie Besuch von Freunden haben, weinen sie jedesmal, bey der Ankunft und Abreise. Immer dünkt es mich indessen ein Wunder, wie meines Freundes Schwester sich so ganz selbst an diesem Orte hat bilden können, denn sie ist würklich ein sehr feines Frauenzimmer. Wir speiseten den Abend im Garten. Den folgenden Tag, als den ersten des Jahrs, giengen wir früh in die Kirche, nachdem wir um Mitternacht von den Bier-Fidlern des Dorfs durch die jämmerlichste Musik, von welcher man hätte die Strangurie bekommen mögen, waren aufgeweckt worden. Doch, das muß ich sagen, daß ich alles Mittelmässige hasse, und wenn ich keine gute Musik hören kann; so spiele man mir lieber nur recht elend, damit von keiner Vergleichung die Rede seyn könne. Meine schwachen Nerven leiden nicht so gewaltig bey solchen Dorf-Musicanten, als wenn vier Dilettanti nach ihrer Art mir ein herrliches Quadro verhudeln. Der Prediger des Orts ist ein wohlgemästeter Diener der Kirche, der bey einer Flasche guten Weins die zehn Gebothe alle und die Haustafel gern aus dem Gedächtnisse verliehrt. Er spricht mit Entzücken von den lateinischen Autoribus, unter denen er den Terentium vorzüglich auszeichnet, in welchem ihm unter andern die muntern Scherzreden des Davus sehr gefallen. Nachdem er uns mit einer langen, sehr extemporirten Neujahrs-Predigt Langeweile gemacht hatte, wiederholte er, bey einem Mittags-Besuche, seine treugemeinten Wünsche für die beständige Prosperität des hochadelichen Hauses, und blieb zum Essen, wobey er nicht faul war, auch oft mit zwey Fingern das Weinglas in die Höhe hob, indem er ausrief: »Ey! Ihro Gnaden, Herr Hauptmann! das ist ein deliciöser Wein! Das ist ein rechtes Vinum für meine stomachalischen Umstände!« Es kamen auch den Tag noch andre Besuche. Der Amtmann, welcher sehr durch die Nase redete, steckte voll geheimer Nachrichten, die Regierung betreffend, die ihm sein Freund, der Cammersecretair, im Vertrauen geschrieben hatte. Die Frau Amtmannin war ein kleiner Knirps vom Weibe mit hellen schwarzen Augen, behangen mit einer Menge altmodig gefaßter Granaten und anderer falschen Steine. Die Frau Pfarrern hatte einen langen zimtfarbenen seidenen Schlafrock mit großen bunten Blumen an, und verneigte sich bey jedem Worte nach der linken Seite hin, nahm auch nichts von Speise und Trank zu sich, ohne gewaltig dazu genöthigt zu werden. Es kam auch der Chirurgus aus der benachbarten Stadt, mit einer blauen manschesternen Weste, woran nur ein Knopf zugeknöpft war, Wickel-Strümpfen und grauem Rocke. Er roch gräßlich nach Pflaster, und schimpfte unaufhörlich auf den Doctor Frischmuth, der nicht leiden wolle, daß er practisiere. Wie viel mag nicht das arme Fräulein von Hundefeld leiden, wenn sie mit diesen Menschen täglich umgehen muß! Mir machten diese Carricaturen unterdessen einige lustige Augenblicke. Den 2ten Januar besuchten wir, eine Meile von da, einen Amtshauptmann, der, weil er im Kriege als Geissel mit nach Straßburg war geschleppt worden, nichts als französisch sprechen zu müssen glaubte. Sein Gastmal war auch ganz ausländisch eingerichtet, und nach Tische wurde Likeur hergegeben, der aber freylich nur aus einem guten doppelten Kümmel bestand. Den 3ten brachten wir auch auswärts zu; die alten Leute blieben zu Hause; nur die Geschwister Hundefeld, Herr Meyer und ich machten uns auf den Weg. Wir speiseten bey einem Forstmeister, der eine vortrefliche Frau hat, die einzige beste Freundinn des Fräuleins von Hundefeld. Er selbst verdient nicht, eine so gute kluge Frau zu besitzen, denn er ist nur ein mächtiger Jäger vor dem Herrn, und sonst nichts. So einen mittelmäßigen Kopf er aber auch hat; so hält er sich doch für einen sehr feinen Mann, der sogar den ganzen Hof zu übersehen glaubt, weil er einst Jagt-Page gewesen ist. Er ist geizig, mistrauisch, pflegmatisch, und hat nicht die geringste Gefälligkeit für sein armes Weib, verzieht seine Kinder, vereitelt alle Mühe seiner Gattinn, diese jungen Geschöpfe zu bessern Menschen zu bilden, und weil er selbst weder Gefühl noch Cultur hat; so leidet er nicht gern, daß seine Frau ihrem Herzen folgt, und ihren Verstand durch Lectur nährt. Die folgenden Tage blieben wir zu Hause, bekamen zuweilen Besuche aus der Nachbarschaft, giengen des Abends, bey freundlichem Mondenscheine, in Pelze gehüllt, in dem kunstlosen Garten auf und ab, und fuhren den 7ten zu einem Landjunker an der Grenze des Eichsfeldes. Der Mann ist ein Verwandter meines Freundes, aber ein höchst unerträglicher Mensch, der von nichts als Jagt und Haushaltung redet, bis in sein dreyssigstes Jahr als Fähndrich in Hannöverischen Diensten gestanden, sich dann der edlen Langeweile gänzlich gewidmet, und sich auf sein Gut hingepflanzt hat, wo er nichts mehr würkt, als was jeder Bauer besser würken kann. Ich schätze gewiß den Stand eines redlichen, fleissigen, wohlthätigen Landmanns sehr hoch. Er ist vielleicht der zweckmäßigste und glücklichste auf der Welt, vielleicht auch derjenige, der die feinsten Kenntnisse erfordert. Aber man muß, was man ist, ganz seyn, und ein Mann, dem das Schicksal einen höheren Stand, mehr Vermögen und mehr Gelegenheit gegeben hat, sich aufzuklären, soll sich nicht darauf einschränken, mechanisch, wie ein Taglöhner, sein Feld zu bauen, sein Land zu düngen, ohne zu wissen, woher es kömmt, daß der Mist düngt, nicht immer nach großväterlichem Brauch so fortarbeiten, noch den Mond angaffen, ohne zu überlegen was für ein Ding das etwa seyn mögte – Nein! ein solches Geschöpf ist mir zum Eckel – Der Mann, von dem ich rede, hat aber eine stille, wackre Frau. Sie hatte, scheint es, nichts im Vermögen, und mußte sich desfalls entschliessen, mit diesem Halbbauer ihr Leben hinzubringen. Man erzählte uns hier eine traurige Geschichte von einem gefangenen Mönch auf dem Eichsfelde, die ich seit dieser Zeit nicht aus dem Gedächtnisse habe drängen können. Herr Meyer wird Ihnen, bester Vater! mehr davon sagen, 1 denn ich eile zum Schlusse, weil ich itzt sehr beschäftigt bin, das Versäumte in meinen Collegien nachzuholen. Wir reiseten den 10ten wieder ab, und, ich darf es bekennen, nicht ohne Wehmuth von meiner Seite. Ich muß sagen, daß ich die Abend- und Morgenstunden, wenn wir allein mit meinem Freunde und seiner Schwester waren, so angenehm hingebracht habe, daß ich mich nie erinnere so innigst heiter, und wenn ich auch zuweilen durch Musik (denn wir spielten täglich ein wenig, und das Fräulein singt allerliebst) oder durch Erzählung irgend einer rührenden Scene der Armuth oder andres Leidens traurig geworden war, daß mir doch je in meinem Leben mehr wohl, oder daß ich je gefühlvoller und besser gewesen wäre. Da Sie mir erlaubt und selbst befohlen haben, Ihnen offenherzig den Zustand meines Herzens zu entdecken; so werden Sie mir diese kleine Ausschweifung leicht verzeyhen. Es ist doch wahrhaftig eine selige Wonne, mit Menschen von sympathetischem Gefühle zu leben, mit denen man die Freuden eines weichen Herzens theilen darf und kann. Ich küsse Ihnen, bester, würdigster Pflegevater! tausendmal mit kindlicher Ehrerbiethung die Hände, als Ihr unterthänig gehorsamer Carl von Hohenau. Fußnoten 1 Man sehe den zwey und zwanzigsten Brief. 18. Brief Achtzehnter Brief. An Madam Müller, gebohrne van Blüm, in Amsterdam. Urfstädt den 4ten Februar 1770. Meine liebe Frau! Ich habe mit Vorsatz so lange gewartet, und nicht eher an Dich geschrieben, bis ich Dir zugleich genauere Nachricht von meinem neuen Etablissement und meinen künftigen Aussichten geben könnte. Der Freyherr von Leidthal, der ein sehr reicher und vortreflicher Mann ist, hat mich unter solchen Bedingungen bey sich aufgenommen, welche mich auf alle Art beschämen. Obgleich er keineswegs eines Menschen, wie ich bin, zu bedürfen scheint; so bezeugte er mir doch, um den Titel eines Wohlthäters von sich abzulehnen, gleich bey meiner Ankunft, die Freude, die er habe, in mir einen Mann zu finden, dem er seine Geschäfte sicher anvertrauen könne. Nun trägt er mir Dinge auf, die leicht ohne mich geschehen könnten, und hat mir dafür einen Gehalt angewiesen, der wahrhaftig mein Verdienst weit übersteigt. Das Schicksal hat mir an diesem würdigen Menschenfreunde einen Wohlthäter gegeben, in dessen Hause ich die Bitterkeit meines Kummers weniger schmecke. Dieser vortrefliche Mann hat den größten Theil seines Lebens an Höfen hingebracht, woselbst er wichtige und große Rollen gespielt hat. Bey einem kränklichen Cörper voll Geist, einem Kopfe voll Gelehrsamkeit, und einem Herzen voll Liebe und Güte, ist er der angenehmste sanfteste Mensch, den ich kenne. In seinem Hause herrscht Ordnung, Reinlichkeit, einfache, solide Pracht, und stille Heiterkeit. Nicht Ein unzufriedenes Geschöpf um ihn her. Seine Unterthanen bethen den wohltätigen guten Herrn an. Er hat sehr beträchtliche Güter, wovon wohl den größten Theil einst der Herr von Hohenau erben wird. Er führt Briefwechsel in der ganzen Welt, ist der Verlassenen Schutz und Rath – Mit Einem Worte! ein vollkommner Mann. Einfältige Leute, die ihn oft großmüthig handeln sehen, und nicht begreifen können, woher er das Vermögen dazu nimt, haben zuweilen von ihm gesagt, er besitze den Stein der Weisen. Wenn das möglich ist; so verdient niemand mehr als er, ihn zu haben, und wenn derselbe im Frieden der Seele und in Vervollkommung seiner selbst beruht; so hat er ihn gewiß schon. Da er indessen fast nur die einzige Leidenschaft hat, gern wohlzuthun; so kann er leicht mehr würken, als solche Menschen begreifen können, die unzählige Leidenschaften zu befriedigen haben. Gleich in den ersten Tagen meines hiesigen Aufenthalts hat mir der Baron eine Summe Geldes aufgedrungen, wovon ich Dir, meine liebe Frau, hier vorerst die Hälfte schicke, und Dich bitte, Dich zu beruhigen. Ich werde nun so glücklich seyn, uns von Zeit zu Zeit aus der Noth helfen zu können, und der Himmel wird schon weiter sorgen. Schon redet der Freyherr von Leidthal davon, einen unserer Söhne kommen zu lassen. Sey daher gutes Muths! Es wird alles wohl gehen. Nur versäume indessen nichts bey der Erziehung der Kinder. Das Schicksal meiner Sophie liegt mir vorzüglich am Herzen. Ich fürchte, der alte von Hörde hat Maaßregeln genommen, die das Uebel größer machen werden. Man hat mir nemlich geschrieben, er habe seinem Sohne, auf die unedelste Art, seine Liebe zu Sophien verwiesen, und ihm verbothen, fernerhin an sie zu denken; der Sohn habe Vorstellungen gemacht, und da endlich beyde erbittert worden wären; habe der Sohn gedroht, einen Schritt zu thun, der es den Vater sollte reuen machen, daß er sich mit Strenge seiner unschuldigen Liebe wiedersetzt habe. Wende alles bey Sophien an, meine liebe Frau! sie zu bewegen, daß sie selbst an den jungen Menschen schreibe, und ihn bitte, eine unglückliche Leidenschaft der kindlichen Pflicht aufzuopfern; Aber verfahre sanftmüthig mit ihr, sonst steigt unser Unglück gewiß noch höher. Ich schreibe selbst an das arme Mädgen. Nun lebe wohl, mein Kind! und sey versichert, daß Du und die uns der Himmel gegeben hat, mir stets am Herzen liegen, der ich ewig seyn werde Dein treuer Müller. 19. Brief Neunzehnter Brief. An den Herrn von Hohenau, in Göttingen. Münden den 13ten Januar 1770, Mittags 12 Uhr. Ich will Ihnen, mein lieber Freund! aus jedem Orte, wo ich mich aufhalten werde, ein Paar Zeilen schreiben. So bin ich denn hier angekommen, aber wie, das wissen die Götter, denn man hat mich auf den schönen Wegen in meiner Kutsche so zerstoßen, daß man meine Rippen, ohne sie zu klopfen, als Corteletten um Spinat legen könnte – Aber ich werde zu Tisch gerufen – Um 1 Uhr. Ich habe in Gesellschaft einiger hannöverischen Officiere gespeiset. Diesen Leuten blickt Wohlstand und gute Bezahlung aus den Augen, auch sind sie Alle, schon vom Fähndrich an, dick und fett. Mein Wagen steht angespannt vor der Thür; Leben Sie wohl! Cassell, Abends 10 Uhr. Ich werde mich diesmal hier gar nicht aufhalten, vielleicht aber auf meiner Rückreise. Diesen Nachmittag, als ich ankam, schickte ich zu meinen alten Freund, den Ritmeister von C ... Er hat mich besucht, und geht eben itzt fort. Morgen früh reise ich weiter. Wabern den 14ten. Ich kann Ihnen itzt wahrhaftig nichts Neues sagen, als daß hier ein sehr kleines Lustschloß des Landgrafen und eine Falken-Jagt ist, und daß mich in diesem rauen Lande entsetzlich friert. Jesberg – Holzdorf – Marburg, Abends 11 Uhr. Endlich bin ich so weit, und mich verlangt nach Ruhe. Man trägt mir eine kleine Abendmalzeit auf. Wollen Sie mein Gast seyn? Auf der Gasse ist noch alles lustig, und die wenigen Studenten, die hier sind, machen Lerm genug für ihr Geld. Wäre es möglich, Marburg, Rinteln und Giessen in Eins zu schmelzen, was könnte daraus nicht werden? Wahrhaftig eine närrische Stadt ist diese! Es giebt hier Straßen, in welche man mit geraden Schritten aus den Boden-Fenstern treten kann. Dennoch wird hier viel in Schlitten gefahren – Klink! klink! da ist schon wieder einer! – Doch, ich bin schläfrig; gute Nacht! Giessen den 15ten, Mittags. Schon wieder eine hessische Universität! und wieder ein ganz anderer Schnitt von Studenten! Nauheim, Nachmittags. Ah! Nun fängt schon eine heitrere Gegend an. Dieser Ort gefällt mir sehr, und man findet hier eines von den beträchtlichsten Salzwerken in Deutschland, von der Anlage des würdigen Ministers Waitz in Cassell. Ohnfern Nauheim liegt das kleine Städtgen Friedberg, eine kleine Hauptstadt eines kleinen freyen deutschen ritterschaftlichen Staats. Hanau, im Gasthofe zum Riesen, den 19ten Januar 1770. Da bin ich seit einigen Tagen in diesem wahrhaftig niedlichen Städtgen! Ich bin den 16ten zum erstenmal an den Hof gegangen, und wenn ich je einen Hof gesehen habe, wo mir alles so wohl gefallen hat, so war es dieser. So viel ungezwungene Höflichkeit gegen Fremde; so ein guter nicht geschraubter Ton; so eine gute, gnädige Herrschaft; so viel Häuslichkeit und Einigkeit! Man glaubt ein wohlgeordnetes Privathaus zu sehen, und doch fehlt es gewiß in keinem Stücke am Anständigen. Die Frau Landgräfinn Mutter hat einen eigenen Hofstaat, und an diesem ist jeder verständige gute Mann willkommen. Sie kennt ihre Menschen, und weiß diejenigen auszuzeichnen, die wahre Vorzüge des Verstandes und Herzens haben. Sie finden in Hanau eine Seltenheit, nemlich eine Kirche, in welcher in holländischer Sprache gepredigt wird. Nebenan ist eine französische Kirche, und die Hälfte der Stadt ist von fremden Colonisten bewohnt, die sehr beträchtliche Fabriken und Manufacturen angelegt haben. Es ist unglaublich, welcher ausgebreitete Handel aus dieser kleinen Stadt sich in ganz Europa verbreitet. Wollen-Manufacturen, seidene Zeuge und Gold-Arbeiten sind die Hauptartikel desselben. Die Gegend um Hanau ist allerliebst. Philippsruhe am Mayn hat eine romantische Lage. Rund um die Stadt her sind schöne Alleen gepflanzt – Kurz! ich bliebe wohl vier Wochen hier, wenn ich nicht andere Plane hätte. So aber werde ich nicht eher als auf dem Rückwege zu meinen Oheim gehen, und nur geradesweges in das Elsaß rennen. Morgen beurlaube ich mich hier. Darmstadt den 22ten. Ich wünschte, daß der Herr Landgraf der Schaarwache verböthe, nicht immer um Mitternacht zu trommeln und zu pfeifen, damit nicht ein armer unschuldiger Fremder aus dem besten Schlafe mit Schrecken aufgeweckt würde. Wüst und todt ist diese Stadt; Wollen Sie aber darinn eine Seltenheit sehen; so lassen Sie Sich das Exer cier-Haus zeigen welches freylich, in künstlicher Bauart, vielleicht das Einzige in seiner Art ist. Einen Schatz hat Darmstadt, und der ist seine Fürstinn, eine der vortreflichsten und klügsten Frauen ihres Standes. Der Landgraf ist selten da. Der fürstlichen Familie habe ich meine Cour gemacht, nun reise ich weiter. Denken Sie an! Als ich vorgestern in Frankfurt einen Augenblick mich im rothen Hause aufhielt, traf ich den niederträchtigen italienischen Grafen B ... an. Er trägt itzt weltliche Kleider, und sucht einen Hof, wo er ein wenig Uneinigkeit und Teufeley stiften könnte. Er spielt noch immer mit seinen zwey großen Ringen und Schnupftabaks-Dosen, und ist kürzlich wieder irgendwo fortgejagt worden, als seine Geschichte mit der Vergiftung ruchtbar wurde. Manheim den 23ten. Ein kluger Herr, ein glänzender Hof, und eine prächtige heitre Stadt, in welcher schöne Künste und alle Arten von Wissenschaften blühen! Sie sehen, mein Lieber! daß ich Ihnen nur sehr kurz und abgebrochen schreibe. Allein, da ich mich an jedem Orte nur wenig Tage aufhalte, und doch gern alle Seltenheiten und Merkwürdigkeiten sehen mag; so bleibt mir nicht viel Zeit zum Schreiben übrig. Unterdessen zeichne ich mir alles punctweise in der Kürze auf, und einst sollen Sie eine weitläuftige Beschreibung davon lesen, wenn Sie wollen. Glauben Sie ja nur, daß mir auch auf dieser Reise manches lächerliche Original aufstößt, und daß ich gewiß schon so viel Bilder gesammlet habe, womit ich bis zu einer andern Reise mein Gedächtniß tapezieren kann. Aber ich behalte alles in petto. Carlsruhe den 27sten. Eine Stadt, in der Form wie ein Rad gebauet, ist eine ganz artige Sache für den curiösen Liebhaber. Aus dem Schloßthurme sieht man in alle Querstraßen der Stadt, und von der andern Seite in mehr als dreyssig Alleen. Schade, daß man wenig Menschen sieht! Ich bin auch hier am Hofe gewesen, der aus Leuten besteht, deren Auswahl einem der weisesten Fürsten Deutschlands Ehre macht. Aber, wie gesagt, die Stadt ist mir zu öde. Rastatt, um 1 Uhr Nachmittag. Aber dies ist wahrhaftig ein heiterer schöner Ort, und es ist mir unbegreiflich, warum der Markgraf sich nicht hier aufhält. Straßburg den 3ten Februar. Als ich im Raben abtrat, traf ich einen Freund, den Herrn von Z ... an, der im Begriff war, nach Paris zu reisen. Ich entschloß mich kurz, ihn bis Nancy (oder, wie das hiesige Zwitter-Geschlecht von Halbdeutschen sagt: Nanzig) zu begleiten, woher ich eben zurückkomme. Lüneville und Nancy sind schöne Städte, aber seit des Königs Stanislaus Tode äusserst leer. Hier habe ich zwey Schauspiele besucht, die gleich schlecht waren. Uebermorgen reise ich zurück, und zwar durch die herrliche Bergstraße über Heidelberg. Schade, daß die Jahrszeit eine Decke über so viel mannigfaltige Schönheiten der Natur gebreitet hat! Sobald ich bey meinem Oncle in Ruhe bin, will ich Ihnen weitläuftiger schreiben, und Ihnen sagen, wie oft ich mir Ihre angenehme Gesellschaft gewünscht habe, und wie sehr ich mich darauf freue, Ihnen in sechs Wochen mündlich wiederholen zu können, daß ich stets seyn werde Ihr treuester Freund, von Weckel. 20. Brief Zwanzigster Brief. An den Herrn Meyer, in Göttigen. Urfstädt den 21ten Februar 1770. Zuerst, lieber Meyer! bitte ich Sie, unserm Carl in meinem Nahmen für seinen angenehmen Brief herzlich zu danken, und es bey ihm zu entschuldigen, daß ich noch nicht darauf antworte. Es soll nächstens geschehen; Und nun eile ich, Ihnen den andern Theil meiner Lebensgeschichte mitzutheilen. * * * Ich habe neulich behauptet, 1 daß man nur einmal in seinem Leben mit ganzer Seele lieben könne, so wie man nur einmal in seinem Leben einen ganz mit uns harmonierenden Freund finden würde, aber ich habe nicht gesagt, daß man überhaupt nur einmal lieben könne – Das wäre sehr unglücklich! Nein! das süße, sympathetische Gefühl verschwisterter Seelen, die einzige reine Wonne des Lebens, kettet so manchesmal, mit den sanftesten Banden, die besseren Menschen zusammen, wenn auch oft nachher, erst dann bemerkte, oft gar nie deutlich entwickelte, kleine Verschiedenheiten in der Form und Composition die Herzen hindern, sich in allen Puncten zu berühren – Es giebt keine Sprache für gewisse Dinge, aber wer sie fühlen kann, versteht sie ungefagt – Oft kann in einer großen Gesellschaft ein einziger, kleiner, unbedeutend scheinender Zug eines Menschen die tiefsten Eindrücke auf mich machen. Ohne die Person näher zu kennen, interessiere ich mich nun für alles, was sie sagt und thut. Wir sprechen wenig, vielleicht gar nichts zusammen, aber uns Beyden würde es nicht einfallen, miteinander von gewöhnlichen Dingen zu reden; Es müßte eine Unterredung seyn, wobey das Herz warm wird, und wir wissen voraus, daß wir uns verstehen würden; Und doch würden wir von zwanzig Personen, die um uns herumgehen, nicht mit einem Einzigen dies Gespräch anfangen wollen. Nun scheiden wir fremd auseinander. Wir sehen uns von ohngefehr einige Tage hernach in einem dritten Hause – Meine Augen suchen die bewußte Person, sie ist da, aber zerstreuet oder nicht aufgeräumt, und macht mir eine etwas kalte Verbeugung – Ich, der ich nicht in der geringsten äusseren Verbindung mit ihr stand, sie am wenigsten von allen Anwesenden kenne, fühle mich beleidigt, weil sie mich nicht unter dem Schwarm ausgezeichnet hat. Darüber werde ich misvergnügt – Sie empfindet augenblicklich, was die Ursache davon ist, und glaubt die Sache verbessern zu müssen. – Die Versöhnung ist bald gemacht, nur Worte können darüber unter uns nicht gewechselt werden; Wir kennen äusserlich uns zu wenig dazu, aber unsre Seelen haben mit einer Freymüthigkeit, mit einem Zutrauen geredet, dazu jahrelange Bekanntschaften nicht hinreichen, und gewisse Delicatessen es nicht erlauben würden, das laut zu sagen. Diese kleinen Bindungen in dem Gewebe unserer feinen Empfindungen sind in dem weiblichen Character vorzüglich schön geknüpft, und ich kann es bekennen, daß ich meine seligsten Freuden in dem Umgange mit diesem Geschlechte genossen habe – – Hohn sey dem, der darüber lachen könnte, daß ich funfzigjähriger Mann noch ein so warmes Herz und einen so leicht in Bewegung zu setzenden Nervenbau habe! – Auch bin ich ziemlich kühl geworden, und mein Herz geht nicht mehr so oft mit meinem Verstande davon. Aber, ach Gott! als ich ein Jüngling war, da brannte dies Herz so heiß! Wie manche Qual, wie manche süße Freude habe ich da in dem Gedränge meiner Gefühle gefunden! Oft sehnte sich meine Seele sympathetisch nach einer verschwisterten Creatur, ließ sich dann so gern durch eine kleine Harmonie verleiten, glaubte gefunden zu haben – und wurde getäuscht – Allein, es reuet mich nicht – Auch in der Liebe war ich also oft unglücklich, und liebte immer wieder – Doch, wohin gerathe ich? Geschwind zu meiner Geschichte! An dem Hofe, wohin ich als Gesandter geschickt wurde, war eine Prinzessinn, ein so liebes, gutes Geschöpf, daß es fast hart vom Schicksal gewesen war, sie in dem unglücklichsten aller Stände gebohren werden zu lassen. Als ich meine erste Audienz bey Hofe hatte, und jedermann mir einige leere Worte sagte, wobey man nichts denken konnte, fragte mich die Prinzessinn um persönliche Umstände, z.B. »ob ich verheyrathet sey, Kinder habe,« u.d. gl. Dies lenkte das Gespräch auf häusliche Freuden, und jedes Wort, das sie darüber sagte, bezauberte mich. Meinem Range gemäß saß ich fast täglich an der Tafel und beym Spiele neben ihr. Wir sprachen oft von Liebe und Freundschaft, und ich merkte bald, wie sehr ihr Herz zu beyden geschaffen war, fühlte bald, wie stark das meinige zu ihr hingezogen wurde. Sie war, gegen ihre Neigung, mit dem Prinzen von ... verlobt worden – Ich konnte den Gedanken nicht ertragen – Bald, wenn nur der Nahme dieses Hofes genannt wurde, umwölkte sich meine Stirn – Sie merkte das, und suchte jedesmal ein anderes Gespräch einzulenken. Es war vom Miniatur-Mahlen die Rede, und daß noch niemand sie recht getroffen habe – Ich erboth mich, den Versuch zu machen – Man ließ mich daher stundenlang bey ihr allein – Ich merkte, daß ich mit jedem Tage mehr von meiner Ruhe verlohr. Als das Bild fertig war, sollte sie es ihrem Bräutigam schicken – Sie wiedersetzte sich, und verlangte es zu behalten – Ich war im Himmel – Wir fühlten Beyde, daß unsre Seelen ein festes Band geknüpft hatten, und wir wichen Beyde der Gelegenheit aus, unserm Verstande Rechenschaft davon zu geben. Endlich gieng ich einst über eine Gallerie, die nach dem Schloß-Garten führte – Sie begegnete mir bey dem Ausgange, und hielt ein Buch in der Hand – Vermuthlich hatte sie eine rührende Stelle gelesen, denn durch die Dämmerung sah ich in ihren Augen Thränen blinken – Es war des Abends zwischen sechs und sieben Uhr, kurz vor der Appartements-Zeit – Die Gallerie fieng an schon halb dunkel zu werden, denn es war ein Tag im September, und noch war keine Laterne im Schlosse angesteckt – Sie fragte mich freundlich: »wohin ich wollte?« und sah sich um, als ob sie sehen mögte, ob uns auch niemand hörte – Das Herz fieng an mir heftig zu pochen – ich antwortete ganz verkehrt: »es sey meine Absicht, in das Vorzimmer zu gehen.« – »Dann sind Sie ja ganz unrecht, mein lieber Leidthal!« sagte sie, »Sie haben gewiß an etwas anders gedacht, weil Sie Sich in dem alten traurigen Schlosse haben verirren können.« Dabey legte sie ihre kleine weisse Hand auf den Aufschlag meines Rocks, und wollte mich zurechtweisen – Ich stotterte noch ein Paar Worte – Endlich, Gott weiß, woher ich den Muth nahm, ergriff ich ihre Hand, und küßte dieselbe mit einer Empfindung, die sie nur zu sehr verstand – »Gott!« sagte sie, »wir machen uns unglücklich« – Meine Lebensgeister waren aber zu heftig in Bewegung gesetzt – Ich konnte mich nicht bemeistern, warf mich auf die Knie vor ihr hin, und wagte das Geständniß meiner Liebe – Schon las ich in ihren Blicken meine Antwort – reden konnte sie nicht, aber ihre Hand zog sie nicht weg, die ich fest an meine Lippen drückte, als aus einer angrenzenden Garderobe ein Cammermädgen, quer über die Gallerie, gegangen kam, und bey dem Anblicke dieser Scene einen lauten Schrey ausstieß – Ich sprang auf – Wir flohen Beyde, in der größten Verwirrung auseinander – aber, was war nun zu thun? Das Natürlichste schien, die Cammerfrau gewinnen zu müssen, dann konnte der Zufall eher gute als schlimme Folgen für unsere Liebe haben – Aber was für eine Liebe? Und was für Folgen konnten wir davon erwarten? – Doch, wer philosophierte je, wenn er verliebt war? Die Cammerfrau wurde mit einiger Mühe gewonnen, erkauft, und ich durfte nun ungestraft meine Prinzessinn lieben, und es ihr unbehorcht sagen. Allein, die Sache nahm eine andre Wendung. Man redet in allem Betracht wahr, wenn man behauptet, daß diese mächtige Leidenschaft blind macht. Wenn man mit dem geliebten Gegenstande einig ist; so beschäftigen uns die kleinen süßen Gefälligkeiten der Zärtlichkeit so sehr, daß man (ganz anders aber ist es bey einem auf Laster und Ausschweifungen gegründeten geheimen Verständnisse), daß man, sage ich, gewöhnlich sehr wenig Achtsamkeit auf sich hat, sich durch jeden Blick verräth, und doch glaubt, die Sache äusserst heimlich anzufangen, da indessen keine Miene dem schlauen Forscher den Zustand unserer Seele unaufgedeckt läßt. Wer mit der Liebe bekannt ist, dem wird es nie entwischen, wenn ein zärtliches Paar in einer Gesellschaft sich mit den Augen aller Orten sucht, und doch so gern gleichgültig und kalt gegen einander scheinen mögte. Er wird bald bemerken, daß bey den geringsten Dingen, die Beziehung auf Liebe und Hofnung haben können, zugleich zwey fliegende Blicke sich begegnen, und, schnell wieder aufgefangen, vor dem Verräther fliehen. Nun war der Obermarschall des Hofs ein feiner Kopf, der das menschliche Herz kannte, und den langjährige Erfahrung, und Bekanntschaft mit den großen und kleinen Triebrädern der leidenschaftlichen Maschine gelehrt hatten, tiefe Blicke in die Seele zu thun. Dieser entdeckte bald unseren Gemüthszustand. Zwar war er zu klug, sich etwas merken zu lassen; er wußte, daß dies das Uebel ärger machen würde; aber jeder seiner Schritte trat dem Fortgange unsres Verständnisses in den Weg. Die vertrauete Cammerfrau war längst mit dem Burggrafen eines fürstlichen Lustschlosses versprochen gewesen. Oeconomische Hindernisse hatten die Vollziehung der Heyrath aufgehalten. Auf einmal bekam dieser Mann einen besseren Dienst, und holte seine Braut ab. Der Prinzessinn wurde eine alte Dame zur Gesellschaft, als Oberhofmeisterinn gegeben, welche dieselbe nicht einen Augenblick allein ließ. Man fand auch die Zimmer, welche sie bewohnte, zu feucht, und sie bezog andre, die leichter konnten beobachtet werden. Meine Prinzessinn aber merkte bald die Absicht bey diesen Veränderungen, und es gelung ihr zuweilen, beym Spiele mir ein Zettelchen zuzustecken, in welchem sie mir Nachricht davon gab. Wer ein bisgen mit der Liebe bekannt ist, weiß, daß Schwierigkeiten das Feuer der Leidenschaft immer stärker anfachen. Hier mischte sich vielleicht noch die kleine Eitelkeit mit hinein, einen so feinen und strengen Aufseher täuschen zu können – Kurz! ich war kühner als jemals, und wagte alles daran, meine Geliebte zuweilen sprechen oder ihr schreiben zu können. Unzählige Mittel wendete ich zu diesem Zwecke an. In der Kirche, z.B., hatte ich meinen Platz neben den Herrschaften. Nun sung ich, wenn die Prinzessinn zu meiner Seite stand, statt des vorgeschriebenen Liedes, alles was ich ihr zu sagen hatte, mezza voce, nach der Melodie des Liedes ab. Bey der Tafel heftete ich mit einer Stecknadel ein Billet an meine Serviette – Die Prinzessinn mußte die ihrige fallen lassen – Ich bückte mich ehrerbiethig, dieselbe aufzunehmen – Darüber fiel auch meine Serviette unter den Tisch; Nun tauschte ich sie um, und der Brief war in ihren Händen. Hatte ich Gelegenheit, ihr einen Augenblick etwas heimlich zu sagen; so machte ich, um nicht beobachtet zu werden, stets eine falsche Pantomime dazu, z.B., als wenn ich von Malerey u.d. gl. spräche, fuhr mit den Händen herum, bald hoch, bald niedrig, und sagte hin und wieder ein Wort laut, das gar nicht zur Sache gehörte. So gieng das noch einige Monathe fort, als ich endlich aus dem Schlummer erwachte, und anfieng über die Rolle, welche ich spielte, meinem Verstande Rechenschaft zu geben. Eine Liebe ohne Hofnung, ohne Zweck, die, wenn sie unterhalten, nur noch mehr dazu beytragen würde, der armen Prinzessinn ihr künftiges Leben freudenleer und traurig zu machen, schien mir nun, bey etwas kühlerer Ueberlegung, nicht mehr Meiner würdig – »Ich will mich losreissen, auf einmal losreissen« sagte ich, »und das einzige Mittel dazu ist die Entfernung« – Also schrieb ich an meinen Hof, und bath, man mögte mich zurückrufen. Der Minister, welcher mich ausdrücklich entfernt hatte, um allein zu herrschen, wollte meinem Gesuche keinen Vorschub geben. Ermüdet endlich, mich von der Bosheit der Menschen und meinen eigenen Leidenschaften immer in einem Wirbel umhertreiben zu lassen, beschloß ich, ganz ausser Dienste zu gehen. Ich erlangte mit Mühe meine Entlassung – Man both mir eine Pension an, welche ich ausschlug, und schenkte mir ein Ordensband, welches ich selten trage. Ich verließ ... und bald darauf auch ... auf immer – Ich sage Ihnen nichts vom letzten Abschiede – Solche Scenen beschreibt man nicht – Mein erster Gedanke war, auf meine Güter zu gehen, und ich folgte demselben. Da athmete ich die heitre Landluft ein, forschte der Natur nach, und fühlte, wie mit jedem Tage mehr Ruhe sich in mein krankes Herz senkte. Aber das schien mir nicht hinreichend. Ich wollte auch versuchen, mir für den Rest meines Lebens eine stille, häusliche Glückseligkeit zu bereiten. Mein Herz war durch so manche Empfindnisse verwöhnt worden, aber doch noch für das Glück der Freundschaft, für eheliche Treue, und für die Gefühle eines Vaterherzens sehr warm. »Wenn ich doch,« seufzte ich oft, »in der Ehe das Glück finden könnte, wonach ich so lange ringe!« Auch habe ich es immer für bürgerliche Pflicht gehalten, daß ein Mann, der Vermögen, Redlichkeit und Kenntnisse genug besitzt, um ein guter Hausvater zu seyn, sich diesem Stande nicht entziehe, sondern alles dazu beytrage, sein Band mit an das große Rad der Geselligkeit zu knüpfen, und einst dem Staate wieder gute Menschen zu liefern; Also sah ich mich nach einer Frau um. Aber ich fühlte wohl, daß ich kein Herz mehr ganz zu verschenken hatte, und daß ich also, bey der Wahl einer Frau, eine Person suchen müßte, die zwar ein gutes Herz hätte, aber nicht so fein, so lebhaft fühlte, daß sie sich unglücklich schätzte, wenn ich sie nicht mit derjenigen Wärme lieben würde, welche mein armes Herz bis itzt so sehr zernagt und erschöpft hatte – Ja, als hierüber erst ein System bey mir festgeworden war; so setzte ich mir sogar in den Kopf, es sey vielleicht in der Ehe besser, weniger heftig zu lieben, und dagegen sich ein dauerhaftes Glück auf ruhige, gegenseitige Hochachtung und Freundschaft zu bauen. Ich warf meine Augen auf das Fräulein von Bergheim, hielt um ihre Hand an, und verheyrathete mich mit ihr. Ihnen, als einem Freunde, darf ich es bekennen, daß die immer gleiche Kälte, welche durch das ganze Wesen dieser Frau gegossen war, gegen das gewaltige Feuer meines Temperaments einen solchen Contrast machte, und mich so niederbeugte, daß ich in der ersten Zeit wenig frohe Stunden hatte, und daß mich meine unglückliche Lebhaftigkeit, in unruhigen Augenblicken, zuweilen misleitete, ihrem sonst wahrhaftig reinen und guten Character nicht die Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen, die er verdiente – Wenn sie so in jede Flamme Wasser goß; so zerriß das meine ganze Seele – Und doch war es sehr gut, daß ich auf diese Art herabgestimmt wurde. Auch sah ich dies in ruhigen Stunden ein, und wir lebten in der stillsten Eintracht, die mit jedem Jahre würde zugenommen haben, wenn mir sie der Tod nicht entrissen hätte. Sie starb ohne mir Kinder zu hinterlassen – und seit dieser Zeit lebe ich, und werde den Rest meiner Tage so verleben, wie Sie mich in Urfstädt gefunden haben. Entfernt von allem, was meine heitere Seelen-Ruhe stören könnte, ist es mir endlich gelungen, den Frieden zu finden, der allein uns den Uebergang in jene kummerfreye Ewigkeit leicht machen kann. Das Ziel meiner Arbeiten ist, die Wohlfarth meiner Brüder zu befördern, mich selbst und die Natur kennen zu lernen, und mich dem Schöpfer zu nähern. Habe ich das Glück, in dieser Beschäftigung fortzurücken, mich der Vollkommenheit zu nähern, das Gefühl der Würde der Menschheit in mir immer lebhafter zu machen, kann ich dadurch endlich die Verirrungen meiner Jugend auslöschen; so soll es mich nicht reuen, in der Welt viel traurige Erfahrungen gemacht zu haben. Nun, mein Freund! wissen Sie den größten Theil meiner Schicksale. Kleinere Umstände will ich Ihnen ein andermal erzählen. Heute kann ich nichts mehr schreiben. Wenn Sie nur dies Geschmiere lesen können! – Leben Sie indessen wohl! – Leidthal. Fußnoten 1 Im sechzehnten Briefe. 21. Brief Ein und zwanzigster Brief. An den Herrn Commerzienrath Müller, in Urfstädt. Amsterdam den 1ten Merz 1770. In der größten Angst und Unruhe meines Herzens schreibe ich Dir, mein lieber Mann, um Dir eine traurige Nachricht von unserer ungecathenen Tochter zu geben. – Sie ist fort, mit ihrem Bösewicht von Verführer auf und davon gegangen, und macht mir in meinem Unglücke noch das Herzeleid, daß ich mich vor jedermann schämen muß, ein solches liederliches Geschöpf auf die Welt gesetzt zu haben – Aber nun siehst Du, was Deine Nachsicht und Gelindigkeit für Früchte bringt. Als ich merkte, daß die guten Worte und Deine Briefe bey ihr nicht helfen wollten, und der alte Hörde (der stolze, schlechte Kerl!) mir einmal über das andre sagen ließ: »sein Sohn sey wie toll nach dem Mädgen, ich sollte machen, daß sie von ihm abliesse,« da ließ ich Sophien kommen, und redete ihr hart zu. Nun gab es ein Gewinsele und Geheule: »Ja, sie könne nicht dafür, sie sey selbst unglücklich genug dadurch« u.s.f. »Nun, wenn du nicht dafür kannst, verliebte Närrin!« sagte ich, »so schreibe mir gleich hier auf der Stelle an den Kerl, daß er sich nicht unterstehen solle, dir wieder mit seinen Briefen vor die Augen zu kommen, damit deine Eltern nicht ferner um deinetwillen sich müssen beschimpfen lassen.« Stelle Dir vor! das Mädgen wollte den Brief nicht schreiben. »Das wäre zu hart,« sagte sie. Darauf lief ich denn zu Madam Bovi, und sagte ihr von allem Bescheid. Nun scheint es haben sie dem Mädgen scharf zugesetzt, und sie mag wohl an den Taugenichts geschrieben, und sich beklagt haben – Da kömmt der Pursche vor einigen Tagen hierher, wirft sich dem Vater zu Füßen, wie ein Commödiant, droht endlich gar fortzugehen, als sich der Alte nicht will erweichen lassen, und gestern Nachmittag bittet Sophie Madam Bovi um Erlaubniß, zu mir zu gehen. Statt dessen aber packt sie sich mit ihrem Kerl in ein Schiff, und geht fort, wie Du aus beyliegendem Briefe 1 sehen wirst, den sie zurückgelassen hat. Nun sitze ich da, und muß mich in der Seele schämen vor allen Menschen – Ich bitte Dich um Gotteswillen, mein lieber Mann! rathe mir, sage nur, was wir thun sollen. Ich bin ganz von Sinnen, und warte mit Schmerzen auf Deine Antwort. Christine Müller. Fußnoten 1 Dieser findet sich nicht. 22. Brief Zwei und zwanzigster Brief. An den Freyherrn von Leidthal, in Urfstädt. Göttingen den 3ten Merz 1770. Ich kann Ihnen, mein gnädiger Herr! nicht lebhaft genug die Empfindungen der Dankbarkeit ausdrücken, die Ihr gütiges Zutrauen, bey Lesung der so offenherzigen Erzählung Ihrer Lebensumstände, in mir erregt hat. Wenn ein Mann, wie Sie sind, der in so manchem Betracht das beste Schicksal verdient, so viel hat leiden müssen, wie darf denn ich mich beklagen? Ruhe, Freude, Glück und Gesundheit mache indessen den langen Rest Ihres wohlthätigen Lebens sanft und heiter, und dann müsse die Erinnerung überstandener Leiden Ihnen wie ein verscheuchter Traum vorkommen – Olim meminisse iuuabit – Wir haben uns, Ihrem Befehle zu gehorchen, bey der hiesigen Freymaurer-Loge gemeldet, und man hat uns baldige Antwort versprochen. Ich versichre Sie, daß ich immer eine hohe Meinung von dieser Gesellschaft gehabt habe, und daß die Meinung weder durch die Menge der unnützen Schriften, noch durch die schlechte Wahl ihrer Mitglieder, noch durch die unedlen Spaltungen unter ihnen, woran man freylich wenigstens das Publicum nicht sollte Theil nehmen lassen, weil eine solche Verfolgung doch unter Brüdern (und das sind ja alle Maurer) unanständig ist, daß, sage ich, meine gute Meinung von dem Inneren des Ordens dennoch dadurch nicht ist geschwächt worden. Die darüber geschriebenen Bücher sehe ich nemlich als das Werk junger, forschender Anfänger, oder lügenhafter Betrüger an, die gern mit Kenntnissen prangen mögten, die sie nicht haben. Ein kluger Freymaurer sollte, denke ich, nie über den Orden schreiben. Die Werke und Würkungen desselben müßten sich im Stillen, ohne Worte, ohne Posaune, ausbreiten. Zudem ist wohl die Erkenntniß und der Besitz der größten maurerischen Schätze nur in den Händen einiger Wenigen. Diese können vermuthlich Menschen aller Art zu verschiedenen Triebfedern in der großen Maschine brauchen. Sie lassen wahrscheinlicherweise die Sekten sich untereinander über Dinge zanken, die gar nicht wesentlich sind, so wie man den Kindern den schlechten Hausrath in den Vorhof hinausreicht, und sie damit spielen läßt, weil sie das Gute, womit sie nicht umzugehen wissen, nur verderben würden. Indeß nun diese Unwissenden auf ihre höheren Grade sich viel zu gut thun, Grade, die kaum einen Schatten von versteckter Wahrheit enthalten mögen; so leben vielleicht die weisen, unbekannten Obern unbemerkt, nicht einmal unter dem Nahmen von Maurern versteckt, in stiller Ruhe, und sehen in dem großen Spiegel, wie weit das Werk vorrückt, und warum es in diesem oder jenem Zeitalter nicht weiter hat fortrücken können – Das sind Gedanken eines Layen. Urtheilen Sie aber nun, bester Herr, ob ich gern den Schritt thue, zu welchem Sie mir die Mittel erleichtert haben! Ostern rückt heran, und da Sie, theuerster Wohlthäter! uns erlaubt haben, in jeden Ferien eine kleine Reise zu machen; so werden wir diesmal das Eichsfeld besuchen. Man hat uns auf einige Merkwürdigkeiten, die wir daselbst sehen würden, neugierig gemacht. Eine Geschichte, die man uns erzählte, hat uns auch vorzüglich interessirt. Es soll nemlich in einem Kloster auf dem Eichsfelde ein armer Mönch schon seit mehr als zehn Jahren gefangen sitzen, dessen Verbrechen niemand weiß, der aber ausserordentliche Talente haben soll, aber so enge eingesperrt ist, daß alle Mühe, ihn zu sprechen, vergebens seyn würde. Er sitzt in einem hohen Thurm, und hat schon oft Fremden Zeichen gegeben, als wenn er ihr Mitleid und ihre Hülfe anrufen wollte. Den Herrn von Hohenau hat diese Erzählung so in Bewegung gesetzt, daß ich ihm anmerke, wie sehr ihn der Gedanke beschäftigt, diesen Unglücklichen, wenn es möglich wäre, zu erretten. Ich habe dabey aber eine Bemerkung über unsern jungen Mann gemacht. Es kömmt mir nemlich vor, als wenn er seit unserer letzten Reise viel heftiger, empfindsamer, leichter zu erschüttern, und zu großen Handlungen und Ritterdiensten aufgelegter geworden ist. Er hat nicht mehr die immer gleiche unbefangene gute Laune, die den inneren Frieden verkündigt. Kurz! ich glaube, daß er verliebt ist, und das Fräulein von Hundefeld wird wohl der glückliche Gegenstand seyn. Ist es gut, oder schlimm, daß dies neue Ressort bey ihm in Bewegung gekommen ist? Darüber darf ich mir unterthänig Ihre Meinung und zugleich Verhaltungsbefehle ausbitten, wie ich mich dabey aufführen soll. Ich wollte nicht gern für mich allein etwas versäumen. Wir erwarten den Herrn von Weckel auf seiner Rückreise; doch will ich diesen Brief nicht bis zu seiner Ankunft liegen lassen, sondern ihn mit der Post fortschicken. Ich habe nichts hinzuzufügen, als daß ich ehrerbiethigst verharre, Meines theuren Herrn gehorsamst ergebener Diener, Meyer. 23. Brief Drey und zwanzigster Brief. An den Herrn Meyer. Urfstädt den 20ten Merz 1770. Wenn Carl verliebt ist; so ist das ein Schicksal, welches ihn doch, früh oder spät, müßte betroffen haben – Ich würde meine Hand von ihm abziehen, wenn er nie verliebt werden könnte – Hoffentlich wird Ihnen das auch die Mühe bey der Bildung seines weichen Herzens sehr erleichtern; das Bild eines tugendhaften Mädgens wird über seine Unschuld wachen; die edelste der Leidenschaften wird seine Seele allen sanften Eindrücken öfnen – Und für die Folgen seyen Sie unbesorgt! Dafür wird der Himmel sorgen, der nie, ohne unsere eigene Schuld, durch gute Gefühle unser Unglück bauet – Ich antworte Ihnen nichts auf den Punct der Freymaurerey. Sehen Sie selbst zu, ob Ihre vorgefaßten Begriffe etwa, nach Ihrer Aufnahme, auf das passen, was Sie werden erfahren haben. Aber nun von einer mir äusserst am Herzen liegenden Sache! Ihre Erzählung von dem Mönch hat bey mir die Erinnerung erneuert, daß ich Ihnen noch die Geschichte von Hohenaus Vater schuldig bin – Mögte meine Ahndung eintreffen! – Hören Sie nur! Als Carls Vater Officier in ... war, wurde er in dem Hause eines Edelmanns bekannt, der eine schöne Tochter hatte, welche aber, aus eigennützigen Bewegungsgründen der Familie, für das Kloster-Leben bestimmt wurde. Hohenau liebte das Mädgen, und sie ihn, allein, da er keinen Reichthum zu ihrer Eltern Füße legen konnte; so war alle seine Mühe, ihre Einkleidung zu hintertreiben, vergebens. Sie weyhete also ihrem Gott ein Herz voll irdischer Liebe, und alle Religions-Uebungen waren kraftlos, diese unglückliche Leidenschaft auszulöschen. Endlich, nachdem sie lange geheime Zusammenkünfte mit meinem Freunde unterhalten hatte, wurden sie einig, miteinander zu entfliehen. Er entführte sie aus dem Kloster, ließ sich mit ihr trauen, nahm seinen Abschied, und lebte unerkannt, klein und eingezogen, aber in häuslichem Frieden glücklich, in einer Bauerhütte mit ihr – Ich allein wußte den Ort seines Aufenthalts – Nach Jahres Frist brachte sie meinen Carl zur Welt, aber seine Geburth kostete sie das Leben – Wir vertraueten darauf den lieben Knaben einer ehrlichen Frau in Urfstädt an, und ich bewog meinen armen Freund, mit mir auf Reisen zu gehen, wie ich Ihnen erzählt habe. Hohenau glaubte itzt vor jeder Nachstellung der Geistlichkeit sicher zu seyn, indeß diese alle seine Schritte genau beobachten ließ. Als wir nun den 22ten Februar 1744 nahe bey Florenz, des Abends durch ein Wäldgen fuhren, wurde unsre Kutsche von einem Haufen vermummter Männer, die wir für Banditen hielten, angegriffen. Wir wehrten uns, so viel wir konnten – Ich schoß nach Einem, der auch hinstürzte – Endlich aber wurden wir übermannt; die Leute banden mir, meinem Bedienten und dem Kutscher Hände und Füsse, nahmen uns nichts, rissen aber meinen Freund mit Gewalt fort, hefteten ihn auf ein Pferd, und jagten mit ihm davon, nachdem sie vier theils Todte, theils Verwundete (unter den Todten war auch mein anderer Bedienter) auf die Seite geschafft, und mir einen Brief in die Tasche gesteckt hatten – So lag ich denn wehrlos, die ganze Nacht durch, bis gegen Morgen andre Reisende mich in dem Zustande antrafen, und mich nebst meinen Gefährten befreyeten. Darauf erbrach ich den Brief, und fand ohngefehr folgenden Inhalt: »Mein Herr! Ihr Freund hat in Deutschland ein Kind der Kirche geraubt und verführt. Um dies Verbrechen zu bestrafen, hat man ihn aufgesucht, und endlich entdeckt, daß er mit Ihnen in diesen Ländern reiset. Itzt ist er in der Gewalt seiner Rächer, und Sie werden ihn nie wiedersehen. Wenn Sie nun, wie man das von Ihrer Klugheit erwarten kann, ruhig sind und schweigen; so dürfen Sie für Ihre Person fernerhin unbesorgt seyn. Reisen Sie glücklich, und hüten sich künftig vor der Gemeinschaft mit Menschen, auf welchen der Fluch der Kirche ruht!« Sie können Sich leicht vorstellen, wie sehr dieser Brief mich erschreckte, doch hielt er mich nicht ab, ins Geheim die mühsamsten Nachforschungen anzustellen – Alles war aber vergebens, nur erfuhr ich durch einen gewissen Gesandten, daß man meinen Freund nach Deutschland geführt habe. Allein auch hier spürte ich umsonst, und bekam keine nähere Nachricht, ausser daß man wahrscheinlich vermuthete, er sey nach Maynz abgeliefert worden. Vor ohngefehr sechs Jahren bekam ich wiederum einen Brief von unbekannter Hand, darinn schrieb man mir: »Man hat Ihren Freund, mit dem Sie einst in Italien gereiset sind, während seiner zwanzigjährigen Gefangenschaft, sehr viel gelinder behandelt, als er, vermöge seines Verbrechens, verdient hätte. Seine wiederholten Versuche aber, der heiligen Gerechtigkeit zu entwischen, haben uns endlich gezwungen, ihn in engere Verwahrung zu bringen. Man warnet Sie nochmals, weil einiger Verdacht da ist, daß Sie mit demselben einen geheimen Briefwechsel unterhalten haben, Sie mögen ja überlegen, was Sie thun. Es kann Sie Ihre Sicherheit, und Ihren Freund das Leben kosten« – Dieser Brief kam auch aus der Gegend von Maynz – Nun urtheilen Sie selbst, ob die Geschichte eines gefangenen Mönchs (es ist doch nicht gewiß, daß er gerade ein Mönch ist), der in einem, unter maynzischer Hoheit stehenden Kloster sitzt, nicht einen Schatten von Hofnung, daß ich Hohenaus unglücklichen Aufenthalt entdeckt hätte, in mir rege machen muß – Gott! wenn er es wäre! – Wie wäre aber dann das Ding anzufangen? – Doch, ich will nicht vor der Zeit mich mit Planen täuschen – Wenden Sie nur alles an, mein Lieber! Um genauer von den Umständen unterrichtet zu werden – Aber freylich mit Vorsichtigkeit – Und nicht Ein Wort von der Sache gegen meinen Carl! das versteht sich. Leben Sie wohl, mein Freund! Ich bin ewig der Ihrige, Leidthal. Ende des ersten Theils. Nacherinnerung an die Leser Nacherinnerung an die Leser. Wem es bey einem Roman blos auf gehäufte Begebenheiten ankommt, dem wird der erste Theil dieses Büchelchens nicht genuggethan haben. Ich habe Sie erst müssen mit denjenigen Personen bekannt machen, denen der junge Hohenau, dessen Schritte ich künftighin verfolgen werde, seine Bildung und Richtung zu danken hat, ehe ich weiter fortrücken konnte. Geschichtgen zu ersinnen, ist auch übrigens eine sehr kleine Kunst, aber ich denke: es ist einem forschenden Manne angenehmer zu beobachten, warum der Mensch so und nicht anders gewandelt ist, als blos hinter ihn her, eilig durch die ganze Welt zu laufen, ohne zurückzusehen. Noch belieben Sie zu bedenken, daß alles, was ich Ihnen hier erzählt habe, wahre Begebenheiten sind. Also bin ich ausser Schuld, wenn das Schicksal dieselben nicht interessant geung verwebt hat – Freylich hätte ich sie alsdenn nicht erzählen müssen – Doch davon will ich Ihnen, mein Herr! auch den Grund sagen: Ich denke nemlich, eine wahre Geschichte sey immer mehr werth als eine erdichtete, und da die mehrsten unserer deutschen Romane uns Bilder liefern, welche nur für eine gewisse Classe von Menschen interessant sind, als für Gelehrte, empfindsame Mädgen, Studenten u.s.f. Scenen aus der großen Welt hingegen uns sehr darinn mangeln; so wollte ich deren hier einige ausstellen. Sind dieselben aber schlecht gemalt; so nehmen Ew. Excellenz und Gnaden doch vorerst damit vorlieb, bis Sie bessere, von grösseren Künstlern, erhalten. 2. Theil An die Leser An die Leser. Die Zufriedenheit mit welcher der billigdenkende, ich darf wohl sagen der größte Theil des Publicums den ersten Theil dieses Buchs, ohngeachtet seiner vielfältigen Fehler, aufgenommen hat, ermunterte mich, sogleich Hand an die Fortsetzung zu legen, welche ich Ihnen hier zu überreichen die Ehre habe. Unterdessen darf ich nicht verschweigen, daß einige kleine Menschenkinderchen hämisch genug, die Originale zu denen darinn geschilderten Charactern unter ihren Bekannten, ja sogar in ihren eigenen werthen Personen zu finden, und unklug genug gewesen sind, dies laut zu sagen. Ich mag nicht untersuchen, ob blos Tücke, um dem vermeintlichen Verfasser Feinde zu erwecken, ob das Bewußtseyn eine solche Rache von Seiten dieses Verfassers verdient zu haben, oder endlich ob nur die innere Selbsterkenntniß sie hierbey leitete – Genug! ich, der ich dies schreibe, bin dadurch wenig beunruhigt worden, und der Beyfall redlicher, kluger und angesehener Menschen, die ohne Leidenschaft dies Werkgen beurtheilt haben, hat mich so kühn gemacht der Vollendung desselben entgegen zu arbeiten, und auf jenes Geschrey wenig zu achten. Der sicherste Beweis, daß bey diesen unbefugten Auslegungen böser Willen herrscht, ist, daß wenn Personen in einem solchen Buche von einer vortheilhaften Seite geschildert werden, kein Mensch sich auf Originale besinnen kann, die denen Bildern gleichsähen – Das ist wahrlich traurig, und man mögte jetzt scheu werden, Thorheiten und Laster zu malen, wenn man sieht, daß man kaum eine Carricatur hinklecksen kann, ohne daß sich sogleich ein Narr oder eine Närrinn finden, die es für ihr Portrait erkennen – Doch wer wird sich um alles bekümmern? Wer kann aus der Luft Charactere zu einem Roman nehmen? – Aber das darf ich frey sagen: Wer in dem Verfasser dieses Buchs (ohne Absehn auf dessen schriftstellerischen Werth oder Unwerth) den redlichen, für die Tugend vielleicht nur zu eifrigen Mann verkennt, den Mann, der höchstens über den Bösewicht laut lacht, aber nur lacht, auch dann nur lacht, wenn er bis in die Seele tief gedrückt, beleidigt und gekränkt worden ist, nur lacht, und in demselben Augenblicke seinen letzten Bissen mit dem Schurken, der ihn verfolgt, theilen würde – Wer diesen Mann in mir verkennt – ey nun! der ist es, den ich habe schildern wollen. Uebrigens hat es mir manchen lustigen, und manchen verdrüßlichen Augenblick gemacht, wenn Freunde mir schrieben, diese oder jener habe die Eigenliebe gehabt, sich in meinem Buche getroffen zu finden – Menschen, an die ich wahrlich das ganze Jahr hin durch nicht Einmal denke, und von denen sich so herzlich wenig sagen läßt, daß das Publicum und mein Verleger sich sehr beklagen würden, wenn ich diese unbedeutenden Geschöpfe ihnen darstellte. Diese Leute thun sich selbst den größten Schaden. Wem würde es, ohne ihre Erinnerung, einfallen, daß einige Züge in manchen Bildern aus ihren Physionomien zu erläutern wären? Es giebt so viel ähnliche Originale! Das aber würde mir weh thun, wenn auch gute Menschen glauben könnten, ich hätte Züge von ihnen entlehnt, um ihre Schwachheiten zur Schau auszustellen. Dazu bin ich gewiß nicht fähig, und wo ein Uebelgesinnter dergleichen Anspielungen findet, da hat er sie aus seiner, nicht aus meiner Phantasie geschöpft, welche wohl je zuweilen dem Boshaften einen Spiegel vorhalten, aber nie den Redlichen kränken mögte. Inzwischen fühle ich doch, daß die Besorgniß neue Mißverständnisse zu verursachen meine Lebhaftigkeit, bey Verfertigung dieses zweyten Theils, etwas herabgestimmt hat, weswegen ich fürchte, daß derselbe, obgleich an Begebenheiten reicher, doch weniger interessant für Menschenkenner seyn wird – Aber haben Sie nur Geduld! Ich denke, es wird in diesem Jahre noch so manche Thorheit zu meinen Ohren kommen, daß ich es ohnmöglich werde unterlassen können, im dritten Theile ein bisgen darüber zu lachen. Und wenn ich gar nichts finden kann, das meine närrische Laune in Bewegung setzte; so werde ich über mich selbst lachen, über mich, der ich so unbeschreiblich viel Narrheiten an mir wahrnehme, deren einige ich auch schon hie und da im ersten Theile geschildert habe, daß es Ihnen Allen eine herzliche Lust machen soll. Noch etwas, meine Damen und Herrn! Es haben Einige von Ihnen so laut über dies Büchelgen gelästert, daß ich Ursache habe zu vermuthen, Sie haben die kleine Teufeley im Sinne gehabt, entweder meine Freunde gegen mich aufzubringen, oder gar einige Grossen der Erde aufmerksam auf den freyen, sorglosen Mann zu machen, der zuweilen gewagt hat zu sagen, daß nicht alle vornehme Menschen gute Menschen sind. Und da muß ich Ihnen denn gestehen, daß Sie Ihre Zwecke verfehlen werden, denn erstlich kennen Sie mich sicherlich nicht, und ich bin ein so unbedeutendes Geschöpf, daß ich mich weder vor den Verfolgungen, noch Wohlthaten der Erdengötter zu fürchten habe. Ich wünsche mir jedes Redlichen Achtung, aber keines Menschen Gnade, und lache herzlich des Thoren, dem es einfallen könnte, mir auf Gottes Erdboden seinen Schutz zu schenken oder zu entziehen. Auch verlange ich nicht in irgend einer Vorkammer als ein artiger, noch in irgend einem Cabinette als ein brauchbarer Mann genannt zu werden, noch daß man sagen mögte: »es ist Schade um den Menschen! Aus dem hätte etwas werden können.« – Sparen Sie Ihre Mühe, und sorgen Sie lieber für Sich und die werthen Ihrigen. Aus mir wird nun einmal nie ein solches Geschöpf, das Ihnen gefallen könnte. Auch giebt es noch Grosse in dieser guten Welt, die gern Wahrheit hören. Meine Freunde aber, auf deren Liebe und Achtung ich stolz bin, kennen mein Herz, und wissen, was Gutes und Böses an mir ist – Also Frieden! – Erlauben Sie mir immer ein wenig mit unter zu lachen! Was hindert Sie mitzulachen? – Es verstellt Sie wahrhaftig, meine schönen Damen und Herrn! wenn Sie so hämische Mienen schneiden – Und nun noch einmal, im ganzen Ernst! Ich zeichne Menschen, wie sie auf der Welt sind; der Bösewicht mag sich getroffen finden oder nicht, und der redliche Mann thut sich und mir Unrecht, wenn er irgend etwas von der Art auf sich zieht. Genug für heute! Ich empfehle mich Ihrer ferneren Gnade, und bitte demüthigst dies Büchelchen fleißig zu kaufen, sonst finde ich keinen Verleger zu den folgenden zwanzig Theilen. Inhalt des zweyten Theils Inhalt des zweyten Theils. Erster Brief. Von Weckel an Hohenau. Er will den Abschied nehmen, und bey seinem Oheim wohnen. Itzt reiset er mit ihm. Politik. Ein Rezensent. Marjonetten. Eine Mascarade. Wirthshausmahlzeit. Höfe. Ein englischer Garten. Medisance. Gastmahl. Musik. Zweyter Brief. Von Hohenau an Weckel. Antwort. Sein Gemüthszustand. Gedanken seines Freundes über die Kunst den Menschen aus kleinen Handlungen kennen zu lernen. Die Signaturen der geschaffnen Dinge sind durch die ganze Natur dieselben. Aphorismen. Er hofft ihn bald in Göttingen zu sehen. Dritter Brief. Von Leidthal an Meyer. Er soll sich ja recht genau nach dem Mönch erkundigen. Daß man nicht über kluger Leute Handlungen urtheilen soll. Nachricht von seinem gefährlichen Processe mit dem Herrn von Wallitz. Birnbaum soll Acciseinnehmer werden. Freymaurerey. Vierter Brief. Von Meyer an Leidthal. Im Begriff zu reisen. Antwort. Ueber Verschwiegenheit. Fünfter Brief. Von dem Herrn Bröck an Müller. Er überschickt ihm einen Brief, den er von dem jungen von der Hörde erhalten. Ermahnt ihn seiner Tochter zu helfen. Nachrichten von Madam Müller und dem Sohne Ludwig. Sechster Brief, (in dem vorigen eingeschlossen) Von dem jungen von der Hörde an Bröck. Klagen über sein und Sophiens Schicksal. Nachricht von seiner Reise. Ein Geistlicher trauet sie. Monsieur de la Saltière führt sie in ein schlechtes Haus. Sie kommen ins Gefängniß. Werden erlöset. Reisen weiter. Werden beraubt. Rechtersdorf. Eine wohlthätige Familie. Sie verlassen den Ort. Zigeuner. Kommen nach Waldorf. Corruption des Landvolks. Bild des Unglücks. Le pais de Coccagne. Siebenter Brief. Von Meyer an Leidthal. Weckel nimt den Brief mit. Sie haben den Gefangenen gesprochen, es ist Hohenaus Vater. Bild seines Zustandes. Ihm muß bald durch Vorsprache geholfen werden, sonst stirbt er vorher. Ueber Instinct. Hohenaus Liebe wird zu ernsthaft. Birnbaum reiset mit Weckel. Sie haben einen andern Bedienten. Achter Brief. Von Hohenau an Leidthal. Einige Nachrichten vom Eichsfelde. Ein munterer Greis. Tanzende Bauern. Niedersächsische Sprache. Deutscher Character. Neunter Brief. Von dem jungen von der Hörde an Bröck. Fortgesetzte Erzählung seiner Unglücksfälle, auf der Reise geschrieben. Der Prediger in Waldorf hat ihn fortgejagt. Ein Jude nimt ihn auf, hat aber selbst nicht viel. Nun entschließt er sich nach Frankfurt am Mayn zu reisen, und ist jetzt mit Sophien unterwegens. Zehnter Brief. Von Leidthal an Hohenau. Meyer soll nach Maynz, um des Mönchs Erlösung zu bewürken. Regeln wegen Hohenaus Liebe. Ueber Romanlesen und dergleichen. Müller ist nun nach Wetzlar. Leidthal läßt Müllers jüngste Söhne kommen, um sie erziehen zu lassen. Eilfter Brief. Von Müller an Leidthal. Er hat Sophien nebst ihrem Manne und seinen Sohn Ludwig in Eisenach angetroffen, als sie im Begriff waren nach Sachsen zu reisen, und Schauspieler zu werden. Dieser Brief ist aus Wetzlar geschrieben. Zwölfter Brief. Von Leidthal an Müller. Er schickt ihm einen Brief aus Amsterdam, den seine jüngsten Söhne, die in Urfstädt angekommen sind, mitgebracht haben. Empfiehlt ihm den Proceß. Dreyzehnter Brief. Von dem Herrn Lescow an Müller. Müllers Frau ist krank. Der älteste Sohn wird vermuthlich eine reiche Heyrath treffen. Mit der Aussöhnung scheint es gut zu gehn. Vierzehnter Brief. Von Meyer an Leidthal aus Maynz. Mit Befreyung des Mönchs geht alles gut. Dahingegen macht ihm Hohenaus Gemüthszustand Sorge. Er eilt zurück nach Göttingen, wo er Verhaltungsbefehle erwartet. Funfzehnter Brief. Von Weckel an Hohenau. Sie reisen noch umher. Herr und Frau von M ... Weiblicher Character. Familien-Portraitte. Ein kleiner Roman. Herr und Frau von Lylienfeld. Reisebeschreibung. Hof. Gemälde. Der Oncle hat ein Gut ohnweit Urfstädt gekauft, und wird da wohnen. Sechzehnter Brief. Von Leidthal an Meyer. Ueber Hohenaus Gemüthszustand. Erforschung und Leitung des Menschen. Wie sein Proceß geht. Wegen Befreyung des Gefangenen. Siebenzehnter Brief. Von Müller an Leidthal. Mit dem Processe geht es schlecht. Glück des redlichen Mannes. Die Aussöhnung mit dem alten von der Hörde ist richtig. Ludwig ist Schauspieler. Ueber diesen Stand. Schauspiele und Romane. Achtzehnter Brief, (in dem vorigen eingeschlossen) Von Lescow an Müller. Nachricht von der durch den Grafen von Haxstädt zu Stande gebrachten Aussöhnung mit dem alten von der Hörde, und von der fortdauernden Unpäßlichkeit der Frau Commerzienräthinn Müller. Neunzehnter Brief. Von Meyer an Leidthal. Er ist mit dem Erlösungsbefehle von Maynz zurückgekommen. Wie er den jungen Hohenau gefunden hat. Ueber Schwärmerey im Gegensatz von Enthusiasmus. Sie wollen nun sogleich aufs Eichsfeld. Zwanzigster Brief. Von Weckel an Hohenau. Er ist auf Birnbaums Hochzeit in Urfstädt gewesen. Leidthal schien niedergeschlagen. Eine Predigt. Gesellschaft von allerley Originalen. Ein Cammerjunker. Braut und Bräutigam beschrieben. Cäremonie. Fest. Ein Schulmeister. Herr und Madam Becker. Ueber die Ehe. Ein und zwanzigster Brief. Von Leidthal an Weckel. Er meldet ihm den Tod des alten Hohenau mit den Umständen, wie sie ihm Meyer berichtet hat. Nachricht von einem Manuscripte. Er bittet Weckeln, bald zu ihm zu kommen. Zwey und zwanzigster Brief. Von Hohenau an Leidthal. Voll Mismuth. Er mögte bald weit in die Welt gehn, bald gar aus der Welt hinaus. Studieren mag er nicht, aber heyrathen mögte er. Drey und zwanzigster Brief. Von Leidthal an Hohenau. Er hat väterliches Mitleiden mit ihm. Trost im Unglücke. Er soll bald möglichst nach Urfstädt kommen. Vier und zwanzigster Brief. Von Müller an Leidthal. Er bringt traurige Nachrichten mit. Wenn man nicht durch einen Vergleich vorbauet; so ist in acht Tagen der Proceß zu Leidthals Nachtheil entschieden. Müller wird den 20sten nach Urfstädt zurückreisen. Fünf und zwanzigster Brief. Von Weckel an Hohenau. Er soll nun nicht nach Urfstädt kommen, bis er von daher noch andre Briefe erhält. Er soll sich gefaßt machen, unangenehme Nachrichten zu vernehmen, und sich mit Muth wafnen; Vielleicht wird noch alles gut gehn. Sechs und zwanzigster Brief. Von Sophie an ihren Vater. Der Bruder hat Hochzeit gehalten. Die Mutter ist gestorben. Sieben und zwanzigster Brief. Von Müller an seinen ältesten Sohn. Der Verlust der Mutter soll ihn bewegen für seine Geschwister wie ein Vater zu sorgen. Leidthals trauriges Schicksal erzählt. Müller will ihn nicht verlassen, sondern auch nun sein wiedriges Geschick mit ihm theilen. Müllers jüngste Söhne sollen Handwerke lernen. Ein ehrlicher Handwerker ist dem Staate nützlicher als mancher Gelehrter. Acht und zwanzigster Brief. Von dem Fräulein Charlotte von Hundefeld an Hohenau. Die Eltern haben einen Brief von ihm an dieselbe erbrochen, und sind sehr aufgebracht über das geheime Verständniß, um so mehr, da die Nachricht von Leidthals verlohrnen Processe zu ihren Ohren gekommen ist. Sie haben ihrer Tochter den Briefwechsel untersagt, und gedrohet noch strengere Maaßregeln zu nehmen. Neun und zwanzigster Brief. Von Leidthal an Meyer. Sein Schicksal ist entschieden. Für seine Person ist er ruhig, nur schmerzt es ihn nicht mehr so viel für Andre thun zu können. Er schickt ihm eine Summe Geldes. Damit soll er nebst Hohenau nach ... reisen, wo Leidthal Beyden durch Empfehlung Dienste zu verschaffen hofft. Leidthal will nebst Müllern künftig in Hamburg wohnen. Dreyßigster Brief. Von Meyer an Leidthal. Hohenau ist fort, niemand weiß wohin, und hat die folgenden beyden Briefe zurückgelassen. Ein und dreyßigster Brief. Von dem Schulmeister Klingenberg an Hohenau. Meldet, daß das Fräulein von Hundefeld durch eine alte Tante eilig ist abgeholt worden. Zwey und dreyßigster Brief. Billet von Hohenau an Meyer, vor seiner Flucht geschrieben, und zurückgelassen. 1. Brief Erster Brief. An den Herrn von Hohenau in Göttingen. ... den 28sten Merz 1770. Des Menschen Wille, mein lieber Hohenau! ist ein wandelbares Ding. Unsre Handlungen hängen von so viel innern und äussern Umständen ab, daß man nie wagen sollte im Voraus zu sagen, was man den andern Tag thun will. Wenn auch der Tod keinen Querstrich durch die Rechnung macht; so leitet doch so oft das eigensinnige Schicksal unsre Schritte dahin, wohin wir anfangs gar nicht dachten, oder irgend eine unbezwingliche Leidenschaft läuft mit uns davon, und läßt den langweiligen Verstand da stehn und seine Anmerkungen darüber machen. Merkt Euch das, Ihr, die Ihr mit pharisäischer Selbstzufriedenheit die Handlungen Eurer Brüder gegen die Eurigen in Schatten stellt, und, weil Ihr auf Krücken geht, den raschen Jüngling lästert, der gern tanzt, gern hüpft, und vielleicht zuweilen einen Sprung zuviel macht. Merkt Euch das, und laßt jeden seine Schritte selbst verantworten! – Doch, in aller Welt! wie komme ich zu dieser Apostrophe? Ich habe Ihnen wahrlich etwas sehr einfaches zu sagen, worauf das alles nicht paßt. Keine Streiche des Schicksals, keine unbändige Leidenschaften haben mit Ihrem Knechte ihr Spiel gehabt. Nein! ich habe mich nur anders besonnen, will meinen Hofnungen einst Feldmarschall zu werden, worauf ich so fest gerechnet hatte, entsagen, und meinen Abschied nehmen. Mein Oncle, der ohne Kinder ist, und von dessen Güte ich einst vielleicht einen großen Zuwachs an zeitlichen Gütern zu erwarten habe, will gern, daß ich den Rest seines Lebens bey ihm zubringen soll. Ich habe also um meine Entlassung aus den ... Diensten gebethen, und werde nicht eher als etwa gegen den 26sten April bey Ihnen in Göttingen vorsprechen, und dann meine Sachen vollkommen so einrichten, daß ich meinem guten Oheim künftighin beständig Gesellschaft leisten kann. Itzt reisen wir zusammen herum, und auf diesen kleinen Reisen würkt so mancher lustiger Gegenstand auf mein Zwergfell, daß ich wohl darum zehn Jahr länger leben werde. Mein Reisegefärther ist denn auch nicht einer von den alten verdrüßlichen Oncles, die alle jungen Leute zu Greisen umbilden, die jede Freude fliehen, die immer bessern und reformiren wollen, nein! er ist ein kluger, fröhlicher Mann, lacht gern, wo sichs thun läßt, und verdirbt keine Gesellschaft. Wir reiseten, wie ich Ihnen neulich schrieb 1 , von Cöln ab, nach ..., und sodann zur Seite wieder in's ...sche, nach ..., wo wir Geschäfte haben, und auch itzt sind. Als wir unterwegens des Mittags in ... an dem Wirthstische speiseten, saß neben uns ein Herr, der sehr wichtig aussah, und ausserordentlich viel von den Verhältnissen der europäischen Mächte gegen einander zu wissen schien. Nun ist Politik gar nicht mein Fach. Ich begreife nicht, wie jemand, der oft zu faul oder zu ohnmächtig ist, in dem kleinen Circul um ihn her würksam zum Guten zu seyn, der nicht einmal die Mängel und Gefahren des Staats kennt, in welchem er lebt, wie der, bey einer Flasche Wein, sich darum bekümmern kann, was die hohen Potentaten mit einander vornehmen. Ich mische mich durchaus in keine Händel, worinn ich nicht thätig seyn kann. Also machte mir unser Tischgesellschafter auch viel Langeweile. Unterdessen hatte mein Oncle eine Art Zuneigung zu ihm gefaßt, und schlug ihm vor, weil er denselben Weg wie wir reisete, aber kein eigenes Fuhrwerk hatte, mit uns zu fahren, welches er gern annahm, und uns unterwegens ganz klar bewies, daß es nicht lange mehr Frieden zwischen Preussen und Oesterreich bleiben könnte. Wie der Mann geheissen hat, weiß ich nicht. Wir setzten ihn, als wir hier ankamen, vor einem von ihm bestimmten Häusgen ab, wo er ausstieg, und noch ehe wir weiter fuhren, war er vier Treppen hoch gelaufen, und schrie uns, aus einem kleinen Fensterchen neben dem Schornsteine, einen höflichen Dank heraus. Mein Oncle meinte, es müßte wohl ein Gelehrter, oder kein Gelehrter, sondern ein Rezensent seyn, weil er über alle Leute erhoben, aber doch so unbequem wohnte, und sich in Sachen mischte, wozu er keinen Beruf hätte. Gefragt hatten wir nun einmal nicht, und ich könnte auch um die ganze Welt mit jemand reisen, ohne nach seinem Namen zu fragen. Der Mensch allein intereßirt mich, seine äusseren Umstände bekümmern mich nur wenn ich ihm helfen kann, oder ihn einst wieder aufsuchen will. Neben dem Gasthofe, in welchem wir hier wohnen, war eine Marjonettenbude aufgeschlagen. Wir hatten den Tag nichts besseres zu thun, und giengen also hinein. Ich sehe solche Marjonettenspiele lieber als eine kaum mittelmäßige Schauspielergesellschaft. Dort weiß ich, wofür ich das Ding nehmen soll, hier steht mir alles am unrechten Platze. Unter jenen giebt es auch Genies, Virtuosi, bey diesen aber hält sich kein Mensch auf, dem die Natur irgend ein hervorstechendes Talent gegeben hat. Man sieht oft in solchen Puppenspielen die herrlichsten Copien, obgleich im Groben, al fresco gemalt, von Stücken aus der heutigen feinen Welt genommen, und wenn sie mehrentheils so ganz gewaltig verzeichnet sind; so werden sie dadurch nur um desto auffallender und interessanter. Wenig Menschen aber haben den wahren Sinn für das ächte Comische. Nicht immer macht die Feinheit, nicht immer die Sonderbarkeit des Gedankens, des Ausdrucks, oder der Situation das Object lächerlich. Der platteste Ausdruck, der schaalste Witz kann durch den Platz, dahin er fällt, durch einen ganz eigenen Contrast, etwas so comisches hineinbringen, daß man, trotz seiner Ueberlegung, über die Plattitüde lachen muß. Die Vorstellung dieses Tages war nicht so lustig anzusehen, sondern es war ein Trauerspiel, und hieß: »Der von seiner Maitresse, einer vornehmen und schönen, aber verbuhlten Gräfinn, mit Land und Leuten dem bösen Feinde in die Hände gelieferte Kaiser Jodocus.« Als wir hinein kamen, waren alle Bänke voll – man spielte zum erstenmal. Ein alter Officier vom Garnisonsregimente saß in der dritten Reihe, auf seinen Stock gelehnt, den er noch vor kurzem im Knopfe hängend getragen zu haben schien. Es war ihm viel daran gelegen, daß ihm in den fordersten Linien niemand die Aussicht nach dem Theater versperren sollte, und er both alles Ansehn auf, das ihm sein Stand in dieser hohen Versammlung geben konnte, um seinen Horizont frey zu machen. Zwey und ein halber Bierfidler machten das Orchester aus, und die Melodie der schönen Arie: »Adieu du falsche Welt« war die Ouvertüre – Der Prinzipal kam heraus, putzte die Lichter, und fraß die Lichtschnuppe – Der Vorhang gieng auf – und, nicht wahr? Sie schenken mir die Zergliederung des Stücks. Nur im Allgemeinen sage ich Ihnen, daß es die Geschichte eines Kaisers war, den ein verruchtes Weib dahin brachte, die heiligsten Pflichten eines Fürsten, eines Gatten, eines Vaters und Freundes mit Füssen zu treten; daß die Ausschweifungen dieses Tyrannen ihn zuerst gegen alle die seligen Freuden, die ein guter Landesherr mit reichem Maaße erndten kann, unempfindlich; daß ihn der Müßiggang wollüstig, die Wollust grausam und verschwenderisch, die Verschwendung geizig und ungerecht, die Ungerechtigkeit mistrauisch, und das Mistrauen wieder ungerecht machte. Nachdem die Maitresse ihren Sclaven also in einem Circul von den allerunglücklichsten Leidenschaften umhergetrieben, den ganzen Hof von ehrlichen Leuten gesäubert, mit ihren Creaturen besetzt, und zu einer Accademie der Bosheit, der Lüste und der Cabale gemacht hatte, woran aber immer Hanswurst keinen Theil nahm, weil er über alles lachte, und sich aus allem durch einen Spaß heraushalf; endigte sich das Stück damit, daß der böse Feind die ganze Gesellschaft holte, bis auf den Hanswurst nach, der auch den Satan durch Spott und Streiche überwältigte, woraus ich dann gelernt habe, daß man keine mächtigere Waffen gegen die Bosheit, als das Pritschholz hat – Und nun sagen Sie mir, ob die grobe Weisheit in diesem Stücke nicht mehr Nutzen stiften könnte, als die Schmeicheleyen, die oft in unsern schönen Lustspielen, Dramen, Prologen u.s.f. denen hohen Beschützern der Bühne an den Kopf geworfen werden? Wir brachten die folgenden Tage mit Geschäften hin, und machten dann eine kleine Spatzierfarth nach ... um zu Ende des Carnavals einer Mascarade beyzuwohnen, die vielleicht, an einem so kleinen Orte, und in allem Betrachte, die einzige in ihrer Art ist. Um Mittag kamen wir an. Im Wirthshause war ein Jude, der in seinem Mantelsacke allerley Kleidungen von Glanzleinewand und allerley in grossen Städten schon ein Carnaval durch gebrauchte, verschabte Masken zu vermiethen mitgebracht hatte. Eine ziemlich zahlreiche Gesellschaft, die auch hierher gekommen war, versah sich damit. Es waren Beamte, Officiere, Advocaten und Doctorn aus der Nachbarschaft mit ihren Weibern. Wir assen des Mittags mit ihnen im Gasthofe, und eher die Ballzeit heran kam, waren die Männer alle besoffen. Doch erst etwas von der Mahlzeit! Ich gieng vor Tische in die Küche, und fand die Wirthinn beschäftigt einen schönen Putting zusammen zu kneten. Sie hatte das Kind neben sich gesetzt – Es fand sich kein Tuch, worinn der Pudding gekocht werden konnte – wer aber Verstand hat hilft sich bald aus jeder Verlegenheit – des Kindes Windeltuch that diesen Dienst. Der Wirth kam zu uns in die Stube – Er suchte etwas auf dem bestaubten Himmel eines schmutzigen Bettes, und fand, was er suchte – nemlich eingetrocknete Citronenschaalen zum Ragout. Beym Herausgehen bemerkte ich, daß er einen kranken Finger hatte – Ich bedauerte diesen Unfall – Er meinte, es solle nun schon besser damit werden, nachdem er das Mittel gebraucht, das man ihm angerathen habe, den Finger eine Stunde lang in frischem Rindfleische zu halten. – Sie können denken, daß wir mit leerem Magen den Abend herankommen sahen. Das Brauhaus, wo die Mascarade seyn sollte, lag jenseits des Wassers. Die Brücke war durch das Grundeis fortgerissen, also mußten alle Masken eine Leiter hinunter steigen, sich übersetzen lassen, und an jenem Ufer wieder heraufklettern – Ein schöneres Schauspiel, als selbst die Farth der Schatten über den Stix gewähren kann! – Die ganze Entreprise der Mascarade hatte ein ältliches Fräulein, in Gemeinschaft mit dem Apotheker des Orts übernommen. Man bezahlte bey dem Eingange einen halben Gulden, wogegen man noch Thee und Blutwurst frey bekam. Es waren mehrentheils Charactermasken da; Grenadiere mit papiernen Mützen, Läufer und Küchenjungen. Der Stadtschreiber tanzte vor, und sang den Musicanten immer erst die Melodie. Ich wollte doch auch tanzen, und forderte also eine schöne Schäferinn auf. Während des Herumtummelns (denn es gieng sehr lebhaft zu) behielt ich auf einmal den einen Hemdermel meiner Schönen in der Hand – es waren also falsche Vorermeln, ohne Hemd – Dies war nicht das einzige Unglück, denn der ganze Tanz wurde bald durch einen Lerm unterbrochen. Zwey Masken ohrfeigten und prügelten sich mitten im Saale, weil der Abbee dem Juden ein Stück Wurst mit dem Ellbogen aus der Hand gestoßen hatte. Wir erwarteten nicht, daß der Streit geschlichtet, und ein neuer Tanz angefangen würde, zudem hatte man mir ein paarmal so jämmerlich auf meine Spatzierhölzer getreten, und mein Oncle konnte so viel Staub und Ausdünstungen nicht länger ertragen, also giengen wir fort. Vor der Thür fanden wir noch ein Pärchen, einen Türken mit einer Ursulinernonne, deren Lebensgeister von Brandtewein sehr erhitzt zu seyn schienen. Sie taumelten mit einander vor uns her – und wir eilten zurück in unser Wirthshaus, schliefen unruhig und unbequem, und reiseten den folgenden Morgen wieder hierher. Nach einem noch achttägigen Aufenthalte reiseten wir von hier den 3ten dieses Monats auf einige Tage zu einen alten Freund meines Oncles, den Herrn von ... in ..., und blieben beynahe drey Wochen in dasigen Gegenden. Er hat eine sehr gute und vernünftige Frau, die, ohne schön zu seyn, sehr viel Annehmlichkeit hat. Sie ist etwa dreyßig Jahr alt, groß, gut gewachsen und blond. Als sie sich verheyrathete, waren ihres Mannes Umstände nicht glänzend, und sie hatte gar kein Vermögen. Nach und nach verbesserte sich seine Lage durch Erbschaften, und er rückte in der Folge bis zu der ersten Hofbedienung hinauf, wozu nicht wenig die einnehmende und gefällige Sanftmuth seiner Frau, und ihre beyderseitige Rechtschaffenheit beytrug. Sie thut den Armen viel Gutes, dient jedem gern, dem sie helfen kann, mit Vorsprache und Wohlthaten, und nimt sich ihrer Verwandten, doch ohne unvernünftige Partheylichkeit, an. Unser Wirth führte uns an den Hof, der mir besser gefiel, als ich erwartet hatte. Es dienen hier sehr viel verdienstvolle Fremde; der Fürst ist ein vernünftiger Herr, etwas zurückhaltend, selbst ein wenig verlegen bey der ersten Bekanntschaft, aber vertraulich im genaueren Umgange; und die Fürstinn ist eine der schönsten Frauen, die ich je gesehen habe. Wir fuhren auch einige Meilen von da an den ... Hof, wo ich aber weniger Vergnügen fand. Unterwegens an der Strasse liegt ein Garten, der dem Herrn von Römhard gehört, den er selbst angelegt hat, und worauf er sich viel zu gut thut. Es ist aber ein kleiner Platz, und aus dieser elenden Handbreit Erdboden hat er ein ganzes Europa, Asia, Africa und America im Kleinen gemacht. Eine höchst groteske Mischung vom Antiken und Modernen, Ausländischen und Innländischen trotzt hier der weisen Vertheilung und Unterordnung dieser Gegenstände, welche der Schöpfer in der Welt, mittelbar oder unmittelbar, nach und nach entstehen zu lassen, und dem Bedürfnisse jedes Volks anzupassen gewußt hat. In einem alten ehrwürdigen Tempel finden Sie hier ein französisches wollüstiges Boudoir; neben einem chinesischen leichten Häusgen die Rudera eines schweren gothischen Gebäudes; über einen kleinen Graben, der nur nach heftigem Regen von faulem Wasser angefüllt seyn kann, eine ungeheure Brücke, über welche die ganze Armee des Cyrus, mit aller Bagage, hätte marschieren können; Bäche, die sich wie Kaffeepretzel schlängeln – Kurz! ein Gewirre von Objecten, wobey man sagen könnte: Spectatum admissi, risum teneatis amici – Wir blieben an diesem Orte nicht lange, und kehrten bald wieder zu unsern guten Freund zurück. Hier gieng die Zeit schnell vorüber. Wir besahen, was zu sehen war. Die Bibliothek des Prinzen hat nichts Vorzügliches, aber es ist eine brauchbare Sammlung, und der Rath, der die Aufsicht darüber hat, ist ein sehr redlicher, allgemein geachteter Mann. Ohne eben für ein großes Genie gelten zu wollen, hat er manche nützliche Kenntnisse, ein ausserordentlich gutes Gedächtniß, und ist also freylich eine ganz andre Art vom Bibliothekar, als der, von dem ich Ihnen einst geschrieben habe. 2 Man hatte mich vor einem Manne dort gewarnet, von welchem man sagte, er sey sehr medisant. Ich kann aber nicht sagen, daß ich ihn für so gefährlich gehalten habe. Zudem giebt es mancherley Arten Medisance. Daß jemand, der mehr Verstand als andre Leute, auch einen feineren Sinn für das Lächerliche hat, wundert mich gar nicht. Unterdessen billige ich den Spott, wo er nicht Nutzen bringen kann, gar nicht, und ärgere mich oft, wenn ich mich über den Fehler ertappe, über die Thorheiten andrer Leute laut zu lachen, doch geschieht dies gewiß immer mit fröhligen, ofnen, unbedachtsamen Herzen, ohne schädliche Absichten. Nie werden Sie finden, daß ich den redlichen Character eines Mannes, auch nur im mindesten, selbst da, wo ich zweifelhaft bin, zweydeutig zu machen suche, und von dem ärgsten Schurken, der mich um Ehre und Glück gebracht hätte, würde ich nie nachtheilig reden, wenn ich ihm ein würkliches Uebel dadurch zufügen könnte, wenn er unter mir wäre, wenn die Folge meines Spottes thätige Rache werden könnte, wie Sie das wohl aus dem Beyspiel meiner Aufführung gegen den A ... G ... abnehmen können. Aber den stolzen Bösewicht, der am Ruder sitzt, gute Menschen unter die Füsse tritt, und sich, umringt von seinen Sclaven, mit seinen Bubenstücken sicher glaubt, die fromme, angebethete Heuchlerinn, die prahlende Tummheit einmal in effigie aufzuhenken; diesem Volke zu zeigen, daß es auch Menschen giebt, die den Muth haben laut zu sagen, daß der edeldenkende, weisere Bettler an ihrem Platze zu seyn verdiente – Dieser Versuchung kann ich nicht immer wiederstehn. Freylich ist es darum nicht recht gethan. Aber ich kenne sehr viel frömmer scheinende Leute, die unendlich grösseren Schaden thun. Der Verläumder wird in öffentlichen Gesellschaften von jedermann, obgleich zuweilen mit teufelischem Hohnlächeln, alles Gute reden. Lassen Sie ihn aber die Gelegenheit finden, ein Paar Eheleute in der Stille zu entzweyen, oder durch ein hingeworfenes Wort bey dem Minister eine arme, schutzbedürftige Familie anzuschwärzen, und das vielleicht blos, weil man ihm die Tochter aus dem Hause nicht hat verkaufen wollen; dann ist er in seinem Fache – Doch, wohin gerathe ich? Mein Brief wird langweiliger, als ein Heft mancher Monatsschriften. Ich eile also zum Schluß. Wir sind seit einigen Tagen wieder hier, werden nun bald unsre Geschäfte geendigt haben, und dann zurück auf meines Oncles Gut gehn. den 30sten. Nur noch ein paar Worte! Da komme ich eben zu Hause, den Bauch voll Braten, Compoten, Kuchen, und die Ohren voll alter deutscher Arien, von fünf Demoisellen abgesungen – Gott segne ihre Stimmen! – Wir haben nemlich zum Abschiede bey dem Herrn Obristen gespeiset, der eine zahlreiche Familie hat. Seine lange hagere Frau hat mich so zum Essen genöthigt, daß ich würklich für einige Tage genug habe. Nach Tische sprach ich nur von ohngefehr von einem Claviere, das ich da hatte stehen gesehn, und nun gieng das Spielen und Singen los. Erst wollten die Mädgen nicht daran, und hernach konnten sie nicht wieder aufhören. Da hieß es: »ja das Mädgen hat eine ganz hübsche Stimme« – »Sing doch einmal das, von dem Vogel« – »Nein, Dortchen! mich laß Nummer Dreyzehn spielen, Du kannst es nicht recht« – Und dann geschrien – Alle zugleich – Die Nummern mußten durch, davor half nichts, ehe wir uns empfehlen durften. So eben kommen wir nun zu Hause, lassen einpacken, und reisen morgen früh fort. Leben Sie wohl, mein Lieber! und antworten bald Ihrem Freunde von Weckel. Fußnoten 1 Dieser Brief findet sich nicht. 2 Im zwölften Briefe des ersten Theils, S. 158. 2. Brief Zweyter Brief. An den Herrn Hauptmann von Weckel. Göttingen den 4ten Aprill 1770. Theuerster Freund! Ihre Briefe machen mir immer die fröhligsten Augenblicke. Wie gern mögte ich mir ihre muntre Laune wünschen! Ich fühle nur gar zu oft, was für ein langweiliger Gesellschafter ich bin, und ich werde es immer mehr. Glauben Sie mir, ich tauge nicht für die große Welt, doch werde ich mich wohl einst darinn herumtreiben müssen. Ueberhaupt, verzeyhen Sie mir's, beneide ich Ihr Schicksal. Ich trete erst itzt in meine Laufbahn, und wer weiß, was mir darinn bevorsteht? Sie, der Sie wenig älter als ich sind, sehen Sich schon im Genuß des Errungenen. Ruhe, Freyheit, Freude, Vermögen – Sie können itzt ein höchst zufriedenes Leben führen. Aber wollen Sie dann immer so ledig bleiben? Ich habe eine hohe Meinung von der Glückseligkeit der Ehe. An der Seite einer liebenswürdigen, mit uns sympathisirenden Frau, dächte ich, müßte jedes Ungemach des Lebens leicht zu ertragen seyn, und jede Freude doppelt schmackhaft werden. Könnte ich Ihnen nur für Ihren muntern Brief irgend etwas Interessantes von hieraus schreiben! Aber hier, von niemand als von Studenten umgeben, von meinen besten Freunden und denen Personen, mit denen ich gern leben mögte, getrennt, in ziemlich trockene Wissenschaften vertieft – Was kann mir da lustiges aufstossen? Eine sehr angenehme Bekanntschaft haben wir indessen gemacht, den Hofmeister eines Liefländers, und einen Mann voll Gefühl, Scharfsinn und Laune. Ich glaube Sie würden sehr gern mit ihm umgehen. Er ist aufmerksam auf die kleinsten Handlungen des Menschen, und wenn wir zuweilen so zusammen in der Crone speisen; sagt er mir im Voraus: »Sehen Sie nur! dieser Mensch wird gern die Birnen essen, die man beure & blanc nennt – denn sie sind wäßrig. Jener hingegen die St. Germain, weil sie kleine Steine haben, und etwas herbe sind – der Character eines Menschen, der ein wenig eigensinnig und rauh, aber doch nicht schlimm ist. Dort sitzt ein gewöhnlicher, einfacher, gesunder Mensch, ohne Fähigkeiten, der gleich nach dem schönsten großen rothen Apfel greifen würde. Trauen Sie dem nicht, der stets das Obst ißt, welches schon ein bisgen angegangen ist. Wer aber nur nimt, was gerade vor ihm liegt, kömmt am Besten durch die Welt. Das ist die glücklichste Art Menschen« u.s.f. Nach meines Freundes Theorie liesse sich ein ganzes Buch hierüber schreiben, worinn bewiesen würde, daß auch die geringsten, völlig unbedeutend scheinenden Handlungen eines Menschen, als die Wahl der Nahrungsmittel, Liebhaberey an gewissen Farben, das Auswählen einer gewissen Carte in Gedanken, und dergleichen, das Gepräge seines Characters haben. Und seitdem ich genauer auf diese Dinge achte, finde ich täglich mehr Wahrheit in seinen Sätzen. Das ist eine sehr alte Bemerkung, daß man die Handwerke, Stände und Temperamente ziemlich nach dem Gange unterscheiden kann. Ein Schneider geht ganz anders als ein Schmid, ein Doctor anders als ein Prediger, ein sehr thätiger Mann anders als ein Pflegmatiker, und ein Mann im Wohlleben wird sein Haupt höher tragen, als ein Unglücklicher, Armer, Gedrückter. Die Art, wie sich ein Mann kleidet, die Farben, die er vorzüglich liebt, können auch Licht auf seine Denkungsart werfen. (Bey Frauenzimmern ist dies wohl weniger treffend, weil sie gar zu sehr von der Mode tyrannisiert werden.) Nicht alle Stutzer sind auf gleiche Art Stutzer, achten Sie nur darauf. Daß dies Gefühl von Farben sehr allgemein unter den Menschen ist, können Sie daraus sehen, daß auch der allerunwissendste Schauspieldirector nicht leicht einen Tyrannen in einem rosenfarbnen Rocke wird auftreten lassen. Alle unsre bildlichen Ausdrücke bestätigen dies auch. Man sagt: »ein schwarzer Gedanken, eine finstere Stirne u.s.f.« Ich erinnere mich selbst von Ihnen gehört zu haben, daß Sie aus der Pantomime, deren sich ein Mensch bey der gewöhnlichen Unterredung bedient, Schlüsse auf seinen Geist machen. Walther Schandy glaubt, daß die Taufnamen Einfluß auf die Richtung haben, welche der Mensch bekömmt. Dies nun alles zusammen genommen; so ist denn doch noch immer zu überlegen: Erstlich, daß diese Bemerkungen im Stillen angestellt werden müssen. Dann wenn ich jemand geradezu frage: »was essen Sie gern« oder so etwas; so wird er gekünstelt antworten. Er wird sich gern auszeichnen wollen, oder überhaupt sich nicht ganz unbefangen erklären. Zweytens, daß wir die Charactere der Dinge noch oft sehr falsch beurtheilen, weil wir dies noch nicht zu einem Studium gemacht haben, z.B. ich sagte vorher, eine beure & blanc sey wäßrig; das war nicht der rechte Ausdruck. Sie hat Temperament, Saft, Weichheit, vielleicht etwas Talent, aber nicht Kraft, Geist, Seele. In einer Rainette kann die Signatur des Witzes stecken u.s.f. Drittens, daß man mehr Züge zusammennehmen muß, denn daß einer gern eine beure & gris ißt, macht ihn freylich allein noch nicht zum guten Men schen. Viertens, daß man zu verschiedenen Zeitpuncten beobachten muß; denn ich selbst habe Launen, wo ich, fast schäme ich mich es zu sagen, Artischocken mit Appetit essen, und einen grünen Rock mit gelben Knöpfen tragen könnte. Fünftens, daß es gewisse gleichgültige Speisen, Farben, Handlungen giebt, z.B. die puce Farbe, Milchspeisen, angewöhntes Zucken der Nerven im Gesichte, und andere solche Dinge, die entweder an sich nichts beweisen, oder von der Mode und Gewohnheit bestimmt werden. Uebrigens bleibt mir es ein sichrer Grundsatz, daß wenn man Monate lang die Menschen auf diese Art beobachtete, man mit ihren geheimsten Eigenschaften vertrauet werden würde, da hingegen in Haupt- und Staats-Actionen jedermann auf seiner Hut ist. Um mich nun hierinn zu üben; zeichne ich mir oft Portraits von Menschen nach meinem Ideale auf. So schreibe ich mir etwa den Character eines wollüstigen, schwachen, galanten, süßen, leeren Hofmanns also auf: Ich lasse ihn einen Rock tragen, der zwischen allen blassen Farben das Mittel hält, so daß man nicht recht weiß, ist es Rosenfarbe, Fleischfarbe, Pfirschblüthe, oder etwas anders. Er trinkt gewöhnlichen Wein nie ohne Wasser, auch nie Bier. Beure & blanc ist seine liebste Birne. Er wird gewiß nicht Conrad heissen. Er wird mit kleinen, sachten, nicht zu langsamen und nicht zu geschwinden Schritten gehn, die Arme nie weit von den Leib bringen, nie heftig declamiren, sich die Coeur-Dame in Gedanken wählen, wenn er sich eine denken soll, an einer Statue die Drapperie bewundern, und nach der Carnation nur hinschielen. Er wird sich mit Verachtung von holländischen Gemälden wegwenden, indeß der Mann, der feines Gefühl für das Comische hat, die Hogartschen Kupferstiche sehr lieben, ein junges Mädgen voll Temperament an einem marmornen Antinous (wenn kein lebendiger da ist) Vergnügen finden, der bizarre Mensch sich eine Pique-Sieben oder Neun, ein anständiger gerader Mann einen König, eine Zehn, Spatille oder dergleichen wählen, der Mann aber von Kraft, Geschmack, Seele, der in der ganzen Natur Essenzen sucht, nach starken und doch sanften Farben, Saft und balsamischen Sachen greifen, und einen Eckel vor Wassermelonen, Tulpen und Zuckerrauch haben wird. Einem Manne von Ihrer lebhaften Einbildungskraft wird dies nicht lächerlich vorkommen. Doch will ich etwas von Theorie hinzufügen. Die Signaturen der Dinge sind durch die ganze Natur dieselben, oder wenigstens gewöhnen wir uns an ähnliche Formen ähnliche Begriffe zu heften. Sympathie beruht auf übereinstimmende Organisation und Bildung. Wenn wir genau untersuchen wollten, woher man sich für manche Leute gleich interessiert, und einen Wiederwillen gegen andre hat; so würde mau finden, daß wir, eher wir von der Harmonie der innern Denkungsart überzeugt sind, schon nach der Uebereinstimmung der äussern Formen, das Urtheil gefällt haben. Ist es Ihnen nicht oft begegnet zu finden, daß Eheleute, die sich recht aus gegenseitiger Neigung gewählt haben, sich mehrentheils gleich sehen, oder mit der Zeit noch Aehnlichkeit bekommen? – Aber freylich nur eine feine, dem geübten Beobachter merkliche Aehnlichkeit – Haben Sie nie von der allgemeinen Phisionomie einer Religionssecte, eines Ordens reden gehört? Man sieht aber auch gern sein Bild in der leblosen Natur, und schaudert zurück vor Gegenständen, die mit uns contrastiren; denn da unsre Vorstellungen durch die Sinne kommen; so treffen alle unsre Gedanken auf gewisse einfache Begriffe zusammen. Der Sprachgebrauch, und die Art wie wir uns ausdrücken, wenn wir für etwas keine Worte finden künnen, bestätigt dies. »Das Ding ist mir zu rund« sagt man, wenn man einen Gedanken bey keinem Ende zu fassen weiß. »Die flache Jugendzeit« nennt ein Dichter eine unbedeutende Periode seines Lebens. Man gewöhne sich die Charactere der leblos scheinenden Dinge mit forschenden Augen anzusehen, und man wird finden, wie so alles das Zeichen seines Innern an seiner Stirne trägt, wie sehr diese Signaturen bey allem Geschafnen dieselben sind, und wie gern sich gleich und gleich in der Natur zusammen gesellt. Unter zehn Aepfeln Einer Gattung sind vielleicht nicht zwey, die einerley Phisionomie, das Zeichen desselben Temperaments, hätten. Denken Sie noch an das Fräulein in Ehrenburg, welches die Menschen mit Blumen verglich, und als jemand, dessen Witz oft langweilig und beleidigend war, sie bath, ihn doch auch mit einer Blume zu vergleichen, ihm sagte: er sey, wie eine Tuberose, von deren kräftigem Geruche man zuletzt Kopfwehe bekäme! Ich gebe diese hingeworfenen Gedanken für nichts anders, als für Auszüge aus meines Freundes Systeme aus, und wie alle neue Ideen gefallen; so bekenne ich gern, daß ich sehr viel Vergnügen in der Verfolgung dieser Winke gefunden habe. Ueberhaupt ist dieser Mann ein sehr genauer Beobachter des Menschen, glaubt, daß keine Handlung desselben gleichgültig sey, und daß, wenn man sich nur gewöhnte, auch in die geringsten dieser Handlungen Absicht und Ordnung zu legen, diese Rechtlichkeit zuletzt zu einer solchen Gewohnheit werden würde, daß sie auf unsre größten und wichtigsten Schritte Einfluß haben müßte. Es ist unbeschreiblich, sagt er, wie gern sich Seele und Cörper an eine einmal angenommene Ordnung binden. Man ist mehrentheils nur par habitude zum ordentlichen Menschen, zum Müßiggänger, oder zum Bösewicht geworden, und sogar zur Rechtschaffenheit kann sich der Mensch durch Uebung in der Tugend bringen. Es mischt sich dann in das Vergnügen, das die Erfüllung unserer Pflichten uns gewährt, ein gewisser Eigensinn sich immer gleich bleiben zu wollen, und die kleinste Uebertretung bringt das Gewissen in Aufruhr, wenn es nicht daran gewöhnt ist, oft mit seinem Rathe verabsäumt zu werden. Er hat eine Menge Aphorismen zu kleinen und großen Lebensregeln gesammlet, wovon ich Ihnen doch einige abschreiben will: »Wenn Du etwas fallen lässest; so hebe es augenblicklich wieder auf. Verschiebe es nicht; so wirst Du auch einst, wenn Du Deinen Freund aus dem Unglücke retten willst, nicht aus Faulheit oder Unentschlossenheit den günstigen Augenblick verstreichen lassen.« »Wenn Du in Gesellschaften von einem Menschen reden willst, der einen Naturfehler hat; so siehe Dich zuvor noch einmal um, ob nicht ein ähnlicher dabey ist. Es ist besser viel Dinge ungesagt lassen, als einmal einen Menschen, der es nicht verdient, beleidigen.« »Frage nie in Gesellschaften wie viel Uhr es ist.« »Mache Dich von gleichgültigen Gewohnheiten los. Thue nichts mechanisch. Es giebt Leute, die alle Thüren hinter sich zuziehen, die offenbleiben sollen, und andre, die alle Thüren offen lassen, die man verschlossen halten mögte.« »Kneipe niemand; Zerre keinen mit einer unwahren Nachricht; Erschrecke niemand; Verstecke nie Hüte, Handschuhe, oder dergleichen. Nöthige niemand zum Essen und Trinken.« »Rede keinen Bekannten an, der Dir im Dunkeln auf der Straße begegnet. Er könnte nicht gekannt seyn wollen.« »Wenn Du spatzieren gehest oder sonst, und ganz ohne wichtige Gedanken bist; so frage Dich um jedes Object: Warum ist es so und nicht anders? Warum ist dieser Eckstein rund behauen? Warum spuckt der Bauer dort bey seiner Arbeit in die Hände? Wie und wo wird dies Stück, dieses Instrument gemacht? Sollte es wohl weh thun, wenn mir ein Schaaf oder ein Schöps auf den Fuß träte? 1 – Glaube nur, solche platt scheinende Fragen klären unbeschreiblich auf.« »Vertraue Dich dem Manne nicht, der jedermanns allgemeiner Freund ist. Er wird nicht leicht irgend jemands besondrer Freund seyn; Und umgekehrt: man ist gewöhnlich nur alsdann allgemein geliebt, wenn uns niemand insbesondre liebt.« »Traue dem Manne nicht, der verächtlich vom weiblichen Character denkt.« »Traue dem Manne nicht, der keine Kinder liebt, und den die Kinder nicht leiden können.« »Was lange dauert, wird schlecht. Thue alles, was du thust, schnell. Eine Thorheit, aus Uebereilung gethan, stiftet mehrentheils weniger Schaden, als eine gute Handlung, aus zuviel Ueberlegung unterlassen. Daraus folgt nicht, daß man immer unbedachtsam handeln soll. Man kann würklich seinen Kopf so gewöhnen, daß er, auf die erste Anforderung, das beste hergiebt, was er hat. Die kalten Pedanten, die jeden Gedanken zehnmal im Kopfe herumdrehen, habe ich nie leiden können. Wenn es einmal auf eine augenblickliche Entschliessung ankömmt; so sitzen sie fest.« »Behaupte nie heftig einen theoretischen Satz in Gesellschaften. Wer eigensinnig ist, wird sich doch nicht überzeugen. Und warum soll denn auch eben jeder so denken wie Du?« »Hüte Dich vor dem Manne, der mit kaltem Blute, unnöthigerweise Thiere erwürgen und martern kann, der sich seines Viehes nicht erbarmt. Das Seufzen der Creatur dringt auch bis zu den Thron Deines Schöpfers.« »In jeder Sache sey der Erste oder der Letzte, wenn Du ein großer Mann werden willst.« »Wenn Du bey einem eigensinnigen Manne eine Sache durchsetzen mußt; so hüte Dich mit ihm über Kleinigkeiten zu zanken. Gieb ihm darinn immer nach, bis Du an die Hauptsache kommst, und dann sey unbeweglich. Ist es irgend möglich ihn zum Nachgeben zu bringen; so wird es geschehen, wenn er auf einmal diese an Dir nicht gewöhnte Festigkeit wahrnimt. Wer immer zankt, erhält nie recht.« »Bemoralisiere die Leute nicht! Bessere, reformiere nicht, wenn Du keinen Beruf dazu hast. Gefällt Dir der Mann nicht; so gehe fürbaß, und suche Dir einen Andern.« »Wer zu empfindlich ist, wird immer beleidigt, und zwar nicht nur, weil er alles übel nimmt, sondern auch, weil sich jeder alles gegen ihn erlaubt, und sich immer damit entschuldigt: der Mann nimt alles übel.« »Ertrage jeden Schwachen, und laß jedem sein Steckenpferd. Dies Leben ist so kurz – Träume und Wiederholungen von Träumen sind es, die uns hier Glück verschaffen können. Wehe dem Manne, der uns immer bey ofnen Augen erhalten will! Ich ehre die Steckenpferde, und reite gern mit meiner Rosinante nebenher, mögte gern jeden Biedermann beritten sehen, und verachte den Mann, der immer in fremder Equipage reiset.« »Man schläft noch einmal so ruhig, wenn man Frieden mit seinen Brüdern hat.« – Doch genug, mein bester Freund! Ich hoffe diese kleinen Auszüge sollen Ihnen keine Langeweile gemacht haben. Bessers weiß ich Ihnen nichts zu schreiben. Wir hoffen mit Verlangen auf das Vergnügen Sie hier zu umarmen. Herr Meyer empfiehlt sich Ihnen bestens, und ich bin ewig der Ihrige Carl von Hohenau. Fußnoten 1 Dies ist nicht im figürlichen Sinn genommen, und ich habe würklich einen Schäfer gesehen, der davon lahm geworden war. 3. Brief Dritter Brief. An den Herrn Hofmeister Meyer in Göttingen. Urfstädt den 30sten Merz 1770. Es liegt mir sehr am Herzen, mein lieber Freund! daß Sie doch ja nicht versäumen mögen, sich so genau als nur irgend möglich ist, nach den Umständen des Gefangenen im Kloster zu erkundigen, und ich schreibe Ihnen deswegen diesen Brief, den Sie, wie ich hoffe, noch vor Ihrer Abreise auf das Eichsfeld bekommen sollen, um Sie nochmals zu bitten, die äusserste Sorgfalt in Ihren Nachforschungen darüber anzuwenden. Es würde über den Rest meines Lebens Ruhe und Freude verbreiten, wenn ich meinen alten Freund wiederfinden, ihn aus seinem Unglücke erlösen, und meinem Carl seinen Vater wiederschenken könnte. Er war ein gar lieber, herrlicher Mensch, obgleich seine übertriebene Lebhaftigkeit ihn zu manchen Fehltritt verleitete, der die ernsthaften Herrn wieder ihn empörte, und ihm, während der Zeit, da er in ... diente, 1 manchen Feind auf den Hals zog. Die Schicksale, die mein armer Freund litt, könnten Stoff zu einem ganzen Roman hergeben. Nicht leicht ist jemand so sehr verkannt worden, als dieser edle junge Mann. Jedermann erlaubte sich über seine Handlungen zu raisonieren, und darunter waren oft Leute, die ihn gewiß nicht im Geringsten übersehen konnten. Man sollte nie über kluger Leute Handlungen urtheilen, denn das heißt ja offenbar gesagt, daß man sich noch klüger als sie dünkt. Wer kann dem Menschen ins Herz sehen? Wer weiß, mit welchen stürmischen Leidenschaften (die immer bey lebhaften Geistern stärker sind) er zu streiten, mit was für geistlichen Feinden er zu kämpfen hat, welche freylich aus einem Tummen an allen Ecken die Köpfe herausstecken, die der weisere Mann aber sorgfältig verbirgt, indem er lieber in der Stille leidet und ringt. Was man einem klugen Manne über Bezwingung dieser Leidenschaften sagen kann, hat er gewiß längst eingesehen, fühlt besser als ein Anderer, wie tief ihn seine Schwachheiten erniedrigen. Und dann, wie oft hat man nicht aus dem Manne selbst, durch schlechte Behandlung, gemacht, was er ohne das nie seyn würde. »Sagt Euch ins Ohr, oder laut: Behandelt den Mann so, und Ihr werdet erstaunen, was noch aus ihm werden kann und – wird. Er ist nicht so schlimm als er scheint. Sein Gesicht ist besser als seine Thaten. Zwar auch seine Thaten sind lesbar in seinem Gesichte – aber noch mehr als die, deutlicher noch, die große Kraft, die Empfindsamkeit, die Lenksamkeit des nie recht gelenkten Herzens – Dieselbe Kraft, die dies Laster hervorgebracht – gebt ihr eine andre Richtung; gebt ihr andre Gegenstände, und sie wird Wundertugenden verrichten.« 2 – Ich muß bekennen, daß ich noch immer gefunden habe, daß der kluge Mann der bessere Mann ist, und daß Tugend und Weisheit unzertrennlich sind. Der Einfältige kann kein feines Gefühl haben, und ohne Delicatesse ist alle Tugend keine Tugend. Wenn wir von einem Menschen sagen: er ist klug; schade, daß er seinen Verstand schlecht anwendet! so ist das nicht wahr. Der Mann kann listig gewesen seyn, aber klug war er nicht, oder er war kein Bösewicht, sondern ein Irrender, auf einem Wege, den jener vielleicht nicht einmal den Muth hat zu betreten. So glaubt ein dicker, pflegmatischer Holländer Recht zu haben auf Alexandern zu schimpfen, weil er nach der Oberherrschaft der Welt strebte. Der Kluge, wenn er in einen Fehler fällt, hilft sich bald heraus, denn er fühlt, daß er sich in seinen eigenen und andrer Rechtschaffenen Augen herabsetzt – Wenigstens fühlt er das in gewissen Augenblicken, die dann mehr werth sind, als das ganze Leben eines Tölpels. Der Tumme fühlt nichts, und fällt ohne Rettung. Aber man wird finden, daß der Weise sehr viel, der Thor aber selten Feinde hat, und das ist natürlich. Neid! Neid ist hier der unversönliche Ankläger. So gieng es denn auch dem armen Hohenau. Vielleicht haben wenig Menschen, vom Frühling ihres Lebens an, ein so hartes Schicksal gelitten, als er. O! wenn es mir doch gelünge, nach langjährigem Jammer, ihm noch zuletzt einige glückliche Jahre zu verschaffen, und an der Seite dieses ersten Freundes meiner Jugend mein Leben zu beschliessen! – Allein, wie schwach ist nicht dieser Strahl von Hofnung! Kann es nicht ohnzählige andre Gefangne in Klöstern geben? Nun muß ich Ihnen von einem sehr ernsthaften Handel Nachricht geben, der mir, die Wahrheit zu gestehen, einige Unruhe macht; doch hoffe ich, es soll nichts zu bedeuten haben. Urfstädt nebst den dazu gehörigen Dörfern hatte ehemals der Familie von Wallitz gehört, und war durch Tausch in meiner Voreltern Besitz gekommen. Es scheint man hatte nicht die Vorsicht gebraucht, genau nachzuforschen, ob noch jemand von dem Stamme sonst irgendwo vorhanden wäre, der diesen Contract nichtig machen, und an den Gütern etwas zu fordern haben könnte. Alles war aber still davon. Meine Verwandten nahmen daher die Güter in Besitz, jene bekamen theils Geld, theils an andern Oertern gelegene Grundstücke, und die Lehnsherrn willigten ein. Die Familie von Wallitz verkaufte sodann mit landesherrschaftlicher Einwilligung ihre eingetauschten Grundstücke wieder, darum sich die Meinigen weiter nicht bekümmerten, und wir blieben im ruhigen Besitze ihrer Güter. Endlich waren sogar die Wallitze, unserer Meinung nach, gänzlich ausgestorben, als plötzlich, noch vor Ablauf der in den Rechten bestimmten Zeit, im Jahr 1700 ein junger Mann von dieser Familie aus Ostindien ankam, seine Ansprüche auf diese ohne seine Beystimmung verkauften Güter gelten machen wollte, und deswegen meinen Vater belangte. Unterdessen dauerte es, wie gewöhnlich lange, ehe die Sache ins Klare gebracht wurde, Zwar legitimirte sich der junge Mensch halb und halb als den nächsten Erben, und hätte mein Vater einen Vergleich mit ihm geschlossen; so wäre ich wohl itzt aller Weitläuftigkeit überhoben. Allein eben die Langsamkeit der Gerichte, und die geringen Vermögensumstände des jungen Wallitz bewogen vermuthlich schlechte Rathgeber, meinen Vater davon abzuhalten. Der Gegner, der Officier war, konnte das Ende des Rechtshandels nicht abwarten, er reisete also zurück nach Ostindien, und ließ die Sache in den Händen eines Sachwalters, der sie nicht betrieb, und also blieb alles in Wetzlar liegen, niemand dachte weiter daran, und ich selbst hatte kaum im Vorbeygehen davon reden gehört. Auf einmal kömmt vor wenig Wochen der Sohn dieses Wallitz, ein Mann von etwa 50 Jahren, mit einem sehr großen Vermögen aus dem andern Welttheile zurück, erneuert seine Ansprüche, und hat nichts geringers im Sinne, als mich um den größten Theil des Meinigen zu bringen. Sobald ich hiervon Nachricht bekam, fuhr ich zu ihm in die Stadt. Ich sagte ihm über diesen Gegenstand, was ein redlicher Mann, der kein fremdes Gut besitzen, aber auch aus einer gerecht, für baares Geld erkauften Besitzung sich nicht mag verdrängen lassen, sagen kann, fand ihn aber von so rauen Sitten, und so übermüthig, daß ich gänzlich unbefriedigt nach Hause kehrte. Der Mann ist reich, und hat keine Kinder. Wie seine Beweise beschaffen sind, weiß ich nicht, aber immer kann es ein weitläuftiger Handel werden, und ich dächte, ein Mann der so lange umhergekreutzt ist, und so manche Gefahr zu Wasser und zu Lande ausgestanden hat, sollte sich nach Ruhe sehnen, und nicht einen unschuldigen, friedfertigen, zum Vergleich geneigten Menschen plagen. Sein hiesiger Advocat ist ein böser arglistiger Mann, der Curator über verschiedene in Concurs gerathene Güter ist, und die Sachen in einer solchen Verwirrung erhält, daß nie Hofnung zu Befreyung derselben erscheint. Auf diesen Gütern spielt er den Herrn, und zieht das beste daraus, indeß den armen Besitzern kaum der nothdürftige Unterhalt gereicht wird. Es ist grausam hart, daß in unsern Gegenden die Gerichte nicht wachsamer auf solche himmelschreyende Ungerechtigkeiten sind. Nun, dieser böse Mann ist der Anwald des Herrn von Wallitz, und macht vier Finger dicke Schriften, worinn nicht zu einem halben Bogen Sachen stehn. So wenig ich bis itzt Ursache habe zu fürchten, daß meines Gegners Forderungen gerecht sind; so habe ich doch eine gewisse Angst, die mir wenig Ruhe läßt. Ich habe so lange in Frieden gelebt, niemand gekränkt, und manchem mit meinem Ueberflusse dienen können – Es würde ein grausamer Schlag für mich seyn, wenn die Sache übel ausfallen sollte. Ich würde gar nicht Gelegenheit haben mich an meines Gegners Verwandten zu erholen; Sie sind alle theils verarmt, theils fortgegangen. Der letzte, der noch vor langen Jahren in diesen Gegenden wohnte, war ein sehr ausschweifender Mann. Er verführte, obgleich er selbst verheyrathet war, zwey unschuldige Schwestern, die hinterlassenen Töchter seines Bruders, deren er sich väterlich anzunehmen versprochen hatte, und als dies ruchtbar wurde, entwischte er, hinterließ die arme Frau und eine Menge unbezahlter Schulden, ertrank aber elendiglich im Rhein. Ich werde, um mehr Licht in diesem ganzen Processe zu bekommen, den ehrlichen Müller vielleicht bald nach Wetzlar reisen lassen müssen. Es wird mir dort gewiß nützliche Dienste leisten können, und unterdessen will ich mich nicht vor der Zeit ängstigen. Da die Accisschreibersstelle, welche ich hier zu vergeben habe, erledigt ist; so bitte ich Sie, mein Lieber! mir Ihren Bedienten Birnbaum zu schicken, dem ich diesen kleinen Dienst lange zugedacht habe. Er kann mit Weckel, wenn dieser durch Göttingen kömmt, reisen, und sich nachher mit seiner treuen Jungfer Sievers vermählen. Sie werden leicht einen andern Waffenträger finden. Die Nachricht, daß Sie und mein lieber Carl Freymäurer geworden sind, freuet mich unendlich. Nun muß ich Ihnen freundschaftlich rathen, den geraden Weg zu gehen, der Sie gewiß einst zu einem Ziele führen wird, wovon Sie itzt schwerlich die Spuren errathen. Lesen Sie zwar alles, was über den Orden gedruckt worden ist, aber glauben Sie niemals etwas davon. Wer über den Zweck desselben Bücher schreibt; kennt gewiß den Zweck nicht, sondern mögte nur gern ein mystisches Schild aushenken, das die Leute anstaunen sollen, worüber aber der kluge Profane nur, und das mit Recht, spottet, woraus der unterrichtete Maurer nichts lernen kann, und wodurch der unwissende nicht klüger wird. Zudem beweißt es nichts, wenn man etwas Artiges darüber sagt, und ein Ideal darstellt, dessen Würklichkeit niemand untersuchen kann. Was ich hier rede gilt auch von den allervernünftigsten Freymaurerschriften, denn vor dem platten, närrischen, unverständlichen Unsinn, der in manchen derselben herrscht, wird schon Ihre eigene Vernunft Sie zurückscheuchen. Die stille, weise Wahrheit redet durch Thaten, nicht durch Worte, was aber der gesunden Vernunft wiederspricht, kann nie etwas Großes seyn. Also gehen Sie den geraden Gang! Sie werden Sich schon einst selbst ein Licht aufstecken können, und dann bald genug einen Mann finden, der es Ihnen, wenn er merkt, daß es fest und grade steckt, anzünden wird. Ich brauche Sie aber nicht für falsche Propheten zu warnen. Sie sind zu gescheut, um diesen in die Hände zu fallen. Mit einem hellen Kopfe und reinem Herzen ist man sehr sicher gegen dieselben, an solche Leute wagen sie sich auch nie. Nun, das war einmal wieder ein langer Brief. Ich erwarte mit Ungeduld einen von Ihnen, und die Nachricht von Ihren Verrichtungen auf dem Eichsfelde, umarme unsern Pflegesohn in Gedanken, und bleibe Ihr treuer Leidthal. Fußnoten 1 Man sehe den 16ten Brief im ersten Theile, Seite 197. 2 Lavaters physionomische Fragmente IIter Theil, viertes Fragment. Zwar konnte diese Stelle im Jahr 1770 nicht angeführt werden. Es stand aber eine ähnliche da, wogegen man diese eingerückt hat. 4. Brief Vierter Brief. An den Freyherrn von Leidthal in Urfstädt. Göttingen den 4ten Aprill 1770. Nur einige Zeilen, mein theuerster Herr! zur Antwort auf Ihr gnädiges Schreiben, das ich so eben erhalte, indem wir im Begriff sind aufs Eichsfeld zu gehen. Die Nachricht von dem verdrießlichen Processe beunruhigt uns sehr. Der Himmel wolle diesen Sturm von unserm besten Wohlthäter abwenden! – Der Herr von Hohenau wird selbst einen kleinen Brief hier einlegen – Ich will keine Mühe sparen des Gefangenen Schicksal in's Klare zu bringen – Birnbaum küßt Ihnen ehrerbiethigst die Hände für seine Versorgung. Er hüpft und springt aus Freude – Ach, bester Herr! wie sehr sind Sie zu beneiden, der Sie so gern alle Menschen glücklich machten! und welch ein Mann muß der seyn, der einen solchen Menschenfreund verfolgen will! – Ihrem väterlichen Rathe in Ansehung der Freymaurerey will ich gewiß treulich folgen. Mir hat es immer übel gefallen, daß über diesen Gegenstand seit einiger Zeit so viel geredet und geschrieben wird. Ueberhaupt giebt es selten Menschen, die wahrhaftig schweigen können. Ich habe deren sehr wenige gefunden, und mich dünkt, man versäumt, bey der Erziehung der Kinder, das Einprägen und Erproben dieser, in der bürgerlichen Gesellschaft so nöthigen Tugend gänzlich. Ich müßte mich sehr irren, oder die Verschwiegenheit ist seit dreyßig Jahren weit rarer, obgleich die Aufrichtigkeit und Offenherzigkeit nicht allgemeiner geworden sind – Unsre Pferde stehen vor der Thür – Ich schliesse mit den Empfindungen der hochachtungsvollsten, unveränderlichsten Treue. Meyer. 5. Brief Fünfter Brief. An den Herrn Commerzienrath Müller in Urfstädt. Amsterdam den 26sten Merz 1770. Ew. Hochedelgebohren habe ich die Ehre einliegenden Brief meines Freundes, des jungen von der Hörde, an mich zu überreichen, einen Brief, der gewiß Ihr Vaterherz mit Mitleiden gegen den unglücklichen Zustand Ihrer armen Frau Tochter, und ihres guten, von allen seinen Freunden und Verwandten verlassenen Gatten, erfüllen wird. Wenn Sie helfen können, redlicher Mann, Ach! so thun Sie es doch ja! Es ist Ihre einzige Tochter, welche Sie immer so sehr geliebt haben. Ich weiß wohl, daß Ew. Hochedelgebohren itzige Lage Sie ausser Stand setzt das Schicksal dieser Flüchtlinge unmittelbar zu erleichtern. Aber Sie haben ja einen großmüthigen Freund an dem Herrn Grafen von Haxstädt, der gewiß keine Mühe sparen wird, die Hördische Familie, welche itzt äusserst aufgebracht und unversönlich scheint, zu besänftigen. Es thut mir leid, daß ich Denenselben bey dieser Gelegenheit nicht verschweigen darf, daß Ihre Frau Gemahlinn sich nicht die mindeste Mühe geben will, die Sache ins Gleiche zu bringen, daß sie nicht nur auf ihre Tochter in den härtesten Ausdrücken schmält, sondern auch in ihren Reden die von der Hörde gar nicht schont, welches denn natürlicherweise die Gemüther immer mehr erbittert, und den Handel schlimmer macht. In der Hofnung, daß Sie diese meine Bitte und aufrichtige Aeusserung nicht ungütig aufnehmen werden, habe ich die Ehre Sie zu versichern, daß ich mich blos deswegen geradezu an Sie wende, um Ihnen zu zeigen, wie groß mein Zutrauen zu Ihrem menschenfreundlichen Character, und wie ungeschminkt die Hochachtung ist, mit welcher ich stets verharren werde, Ew. Hochedelgebohren ergebenster Diener J. Julius Bröck. Nachschrift. Noch halte ich es für meine Pflicht Ihnen, wenn Sie nicht kürzlich Nachricht von Ihrem Herrn Sohn Ludwig haben, gehorsamst zu rathen, Sich ein wenig genau nach ihm zu erkundigen. Er ist im Begriff, ohne Ihrer Frau Gemahlinn Wissen, eine Lebensart zu ergreifen, von welcher ich nicht gewiß weiß, ob Sie den Schritt dazu billigen würden. 6. Brief Sechster Brief. (in dem vorhergehenden eingeschlossen.) An den jüngern Herrn Bröck in Amsterdam. Walldorf den 10ten Merz 1770. Bist du noch der Freund eines Unglücklichen, oder verlässest auch Du den, der vom Schicksal und allen Menschen verlassen ist? – Ach! wenn Du das könntest, wie würde es mich reuen, Dir den Triumpf zu geben, gegen Dich klagen zu müssen – Wenn Du fähig wärst, mit kaltem Blute diesen Brief wieder zusammen zu legen, und auszurufen: »So geht es, wenn man guten Rath verachtet, und ein aufbrausender Jüngling seinem Kopfe folgt« – Doch nein! Theuerster, ewig Geliebter! Verzeyhe mir, mein Elend machte mich einen Augenblick ungerecht. Du bist noch der einzige gute Mensch, den ich in dieser verdorbenen, grausamen, gefühllosen Welt angetroffen habe. Du wirst mir auch eine süße Thräne des Mitleids nicht versagen – Gott! das ist ja alles, warum ich Dich bitte, denn an Versöhnung mit meinem harten Vater darf ich nun nicht denken – So höre denn wie, von dem Augenblicke meiner Flucht an, Jammer auf Jammer gehäuft, Deinem armen, armen Freunde das hartnäckigste Schicksal auf jedem Fußtritte gefolgt ist – O! wie gern wollte ich leiden, Hunger, Durst, Armuth und Verachtung leiden! Aber der Anblick meiner himmlischen Sophie, ihre duldende Sanftmuth, der Gedanke, daß ich vielleicht auf den Rest ihres Lebens Mangel und Elend bereitet habe, erstickt mein Herz – Wie lange werde ich diese Last, die schwer auf meiner Seele liegt, ertragen können! – Ich dachte: »In dieser Welt, wo so mancher Unterdrückter, Verwahrlosete sein Brod im Schweiße seines Angesichts erwirbt, werde ja auch ich ein Winkelchen finden, wo ich, fern von denen, die mich nicht glücklich sehen wollen, an der Seite eines lieben Weibes, Ruhe, stille Freude, und mäßigen Unterhalt finde. Ich bin nicht ungeschickt, und wenn meine Talente mir kein Brod gewinnen können; so habe ich doch ein Paar gesunde Arme zur Arbeit. Sophie wird Weiberputz machen, wir werden leicht so viel verdienen, als die Mäßigkeit verlangt, und so unter einem Strohdache beneidenswürdig glücklich seyn.« Ich wagte es, versuchte es vorher noch einmal meinen Vater zu rühren – aber vergebens – Sophie warf sich mir in die Arme – Wir flohen – Der Wind schwellte die gespannten Segel – Wir sahen die schönsten Gegenden, vom jungen Frühling begrüßt, zur Seite liegen, und traten endlich, mit heiterer Stirne, in ... ans Land. So bald wir uns hier sicher glaubten war mein erster Gang, einen Geistlichen aufzusuchen, der uns auf ewig verbände. Es wurden uns unerhörte Schwierigkeiten gemacht, bis endlich einer sich (ich sage ungern dies Wort) erkaufen ließ, uns einzusegnen – Ach! hättest Du hier meine Sophie gesehen, wie sie, mit jungfräulicher Sittsamkeit und sanfter Freude da stand, und dem Schöpfer aus reinem Herzen Dank brachte, daß er unsre Wünsche erhört hätte! – Wir eilten darauf, uns nach einer kleinen Wohnung umzusehen – Ich hatte ohngefehr dreyßig Ducaten noch übrig, mit denen ich vorerst zu leben hofte, bis der Himmel uns einige Aussicht etwas zu erwerben zeigen würde. Es hatte die letzte Tagereise ein Franzose, Mr. de la Saltière, mit uns gemacht. Wir wurden nemlich im Wirthshause, wo wir die Nacht zubrachten, mit ihm bekannt. Als wir uns dort ein jeder ein besonderes Zimmer geben liessen, brachte er hierüber eine Art von Scherz vor, die mir freylich nicht gefiel, dennoch schien mir der Bösewicht gesittet, und für einen jungen Franzosen auch noch vernünftig genug, um ihm die Bitte, den kleinen Rest der Reise uns begleiten zu dürfen, nicht abzuschlagen. Wir hatten ihn des Morgens bey unserer Ankunft in einem Gasthofe verlassen, um einen Prediger aufzusuchen. Darüber war der halbe Tag verstrichen, und als wir endlich des Abends Arm in Arm aus des Predigers Hause kamen, begegneten wir ihm, Gott weiß, ob von ohngefehr, oder durch seine Veranstaltung, aber immer zu unsrem Unglücke, auf der Gasse. Der Prediger hatte mir Verschwiegenheit, in Ansehung der verrichteten Trauung anbefohlen, also sagte ich auch davon nichts. Er fragte mich aber, ob ich schon eine Wohnung hätte, und als ich dies verneinte, sagte er mir, es würde schwer halten, als ein unbekannter Fremder, die Erlaubniß zu bekommen, in einem Privathause zu miethen, indessen könnten wir uns einmal bey dem Gastwirthe erkundigen, und wolle er uns dahin begleiten. Diese Zudringlichkeit stand mir wohl nicht recht an, doch war nicht gut ein Vorwand zu nehmen, seine Höflichkeit abzulehnen. Wir giengen also in den Gasthof zurück. Der Wirth bekräftigte des Franzosen Aussage: »Aber, wie ist es möglich« rief ich aus, »daß man einem unverdächtigen Fremden die Erlaubniß verweigern kann, für sein Geld zu leben, wo er will?« – »Das ist nun einmal nicht anders« antwortete er, und betheuerte, daß er dies nicht um seines Vortheils willen sage, sondern ich könne mich darnach erkundigen bey wem ich wollte. Da ich nun niemand in der Stadt kannte, ich aber wohl einsahe, wie theuer ein beständiger Aufenthalt in diesem Gasthofe mir zu stehn kommen würde; so mußte ich es als eine wahre Gefälligkeit ansehn, daß mir Mr. de la Saltière in das Ohr raunte: »Er wisse allenfalls eine Wohnung für uns, bey einer guten alten Frau, die zwar einen Gasthof halte, und also das Recht habe, Fremde aufzunehmen, allein weil sie ziemlich bemittelt sey, und Ruhe liebte, nicht gern jedermann aufnähme; doch wolle er mit ihr reden. Er selbst logiere da, so oft er hierher komme, und die Frau sey äusserst billig.« Dieser Vorschlag schien mir so uneigennützig, daß ich ihn mit beyden Händen annahm, und er gieng augenblicklich fort, um alles richtig zu machen, nachdem er mir vorher eingeschärft hatte, diesem Wirthe nichts davon zu sagen. In weniger als einer Stunde kam der Niederträchtige wieder, und berichtete mir, wie er alles in Ordnung gebracht habe, wir könnten nur mit ihm kommen, und dort wegen des Preises bald einig werden. Wir giengen mit einander hin; Meinen Koffer ließ ich im Gasthofe stehen, morgen wollten wir ihn abholen lassen, bis dahin konnten wir uns schon behelfen. Unser Leiter brachte uns in eine abgelegene Gasse, und führte uns dann durch einen Hof in ein Hinterhaus – »Desto besser!« dachte ich »hier wohnen wir um so stiller und unbemerkter.« Die Wirthinn, eine große dicke Frau kam uns bey der Thür entgegen, gab uns vertraulich die Hand, und wies uns, zwey Treppen hoch, zwey von einander entlegene Zimmer an. Da ich nun dem Franzosen nicht hatte sagen wollen, daß Sophie itzt meine Frau wäre; so mußte ich diese Einrichtung mehr seiner Delicatesse, als einer andern Ursache zuschreiben. Ich stellte mich also vorerst darüber zufrieden, und dachte, wenn er, seiner Versicherung gemäß, in einigen Tagen weiter reisen würde, könnte ich noch immer eins von den Zimmern aufgeben, und mit meiner Sophie zusammen ziehen. Wir wurden daher bald über einen billigen Preis einig, fanden zwar Wohnung und Betten ein wenig unreinlich, waren aber doch getrost, auf einen Monath einen wohlfeilen und ruhigen Aufenthalt gefunden zu haben. Ich bath den Franzosen mit uns zu speisen, und nach einer leichten Mahlzeit trennten wir uns denn beym Schlafengehn, und giengen auf unsere Zimmer. Als ich im Bette lag, war würklich meine Seele ziemlich heiter, und wenn ein Seufzer aufstieg; so schickte ich ihn zurück, woher er gekommen war. Ich machte mir allerley, ach! leider zu schwärmerische Gemälde, von künftiger Glückseligkeit. Voll Zuversicht auf den Vater aller Creaturen, rief ich mit trostvollem Herzen aus: »Er wird des Armen nicht so ganz vergessen, und die Hofnung der Elenden wird nicht verlohren seyn ewiglich.« 1 So rollte ich nun damals manchen itzt gescheiterten Plan in meinem Kopfe umher, fand unzählige leichte Mittel für mich und die Meinigen Unterhalt zu gewinnen, und wollte mit diesen süßen Träumen eben einschlafen, als ich plötzlich von einem fürchterlichen Lerm, das aus dem Zimmer unter mir zu kommen schien, erweckt wurde. Es war zuerst ein Zank, und dann ein schreckliches Gepoltere, endlich ein Geschrey um Hülfe. Zugleich wurde mit Gewalt die Hausthür aufgebrochen – Man stürmte die Treppe herauf, ich aber sprang mit ängstlicher Eile von meinem Lager, und eilte zu Sophien – Nun denke Dir mein Entsetzen, als ich erfuhr, was ich Dir itzt erzählen will – Das Haus, in welches uns der Franzose geführt hatte, war nichts bessers, als ein Bordel, in welchem der Verruchte die Nächte in Wollüsten und bey Hazardspielen zuzubringen pflegte. Sein Plan war gewesen, meine liebe Frau dort zu verhandeln, zu verführen, mir mein bisgen Armuth abzunehmen, und sodann mich, der ich keinen Schutz haben würde, fortzuschaffen, vielleicht gar Werbern zu überliefern. Er sahe wohl, daß dieser teufelische Vorsatz mit einer großen Behutsamkeit müßte getrieben werden, und wollte uns also erst recht sicher machen. Wie es schien, so hatte die Obrigkeit, aus politischen Absichten, dieses Nest niemals zerstören wollen, so lange keine ausbrechende öffentliche Unruhen daher entstünden. Diese Nacht nun hatte sich wiederum eine Rotte solcher Bösewichter versammlet, um einen verführten jungen Menschen, den sie in ihr Garn gelockt hatten, bey Wein und unzüchtiger Liebe, im Spiele um Vermögen, Gesundheit und Ruhe zu bringen – Es war Streit entstanden – Die Gemüther waren erhitzt – Man hatte zu den Waffen gegriffen – Der betrogene Jüngling war das Schlachtopfer geworden, de la Saltière hatte ihn tödlich verwundet, war dann entwischt, und da der Lerm indessen Nachbarn und Wache herbeygerufen hatte; so sahen wir uns Alle in Verhaft genommen, ehe ich nur einmal den Zusammenhang dieser schwarzen Begebenheit erfahren konnte – Man trennte meine liebste Sophie von mir, sie wurde, mit den feilen Dirnen zusammen, auf die verächtlichste Art ins Gefängniß geführt, und ich kam, mit einer höllischen Bande halbbetrunkner Leute, in ein anderes – Laß mich schweigen von dem, was ich hier acht Tage lang, während welchem die Untersuchung dauerte, empfinden und leiden mußte. Ich will Dir nur sagen, daß ich mit genauer Noth, durch das Zeugniß des Gasthalters, bey dem mein Koffer stand, und die Bekräftigung der ehrlosen Wirthinn selbst, endlich nebst der Freundinn meiner Seele errettet wurde. Allein was half mir das? Ich durfte meinen Namen nicht nennen, durfte meine wahre Geschichte nicht vor Gericht erzählen, folglich mußte ich eine erdichtete unterschieben, wodurch es denn kam, daß meine Aussagen nicht mit Sophiens Bekenntniß übereinstimmten, und das war genug, um uns, als verdächtigen Personen, die Stadt zu verbiethen – Wir reiseten wehmüthig, beschimpft, und um zehn Ducaten ärmer, die ich für Gerichtsgebühren und Nahrungsmittel hatte bezahlen müssen, mit der Landkutsche weiter. »Und wohin nun, meine beste Sophie?« rief ich laut klagend aus – »Was mußt Du nicht um meinetwillen leiden! O Gott! ist denn kein guter Mensch mehr auf der Welt, der uns Unglückliche in seine Hütte aufnähme?« Das liebe Weib war getröster als ich. Sie fiel mir um den Hals: »Sind wir uns nicht genug?« sagte sie »Was bekümmert uns die Welt? Laß uns auf's Land gehen, unter unverdorbenen, glücklichen Bauern ein sorgenloses Leben führen – Diese Hände können arbeiten – Du bist gesund und stark – Es wird alles gut gehn – Wir werden jeden Morgen die Sonne heiter über uns aufsteigen sehen. Niemand wird uns verfolgen, beneiden. Hier ist Unschuld und wahre Freude« – Ich konnte ihr nur mit einem Strom von Thränen antworten – Es wurde festgesetzt, daß wir zehn Meilen von der Stadt in Rechtersdorf uns niederlassen wollten. Neue Träume der Phantasie wiegten uns ein. Wir fiengen an es als eine Wohlthat zu betrachten, daß ein Unglücksfall uns aus der lastervollen Stadt vertrieben hatte, und unsre Beruhigung stieg zu einer solchen Heiterkeit und Munterkeit empor, daß man uns für die glücklichsten Leute hätte halten sollen. »Gewiß wird noch einst jede Thräne abgewischt werden von unsern Augen. Wodurch hätten wir auch so viel Noth verdient? Sagt nicht Salomo: ich bin jung gewesen und bin alt geworden, aber ich habe noch nie gesehn den Gerechten verderben, noch seinen Saamen nach Brod gehen?« Hast Du wohl bemerkt, mein lieber Freund! wenn man recht traurig ist, und keine frohe Aussicht das Herz erleichtert, so steigt der Kummer auf den höchsten Gipfel, und dann bricht die Welle auf einmal – Man ist auf einige Zeit völlig ruhig – So grenzen die äussersten Ende der Leidenschaften ganz nahe an einander. Gott, der uns ein gefühlvolles Herz gab, wollte doch nicht, daß dies Herz uns eine Hölle auf Erden bauen sollte. Wenn unser Elend am größten ist; so erheitert auf einmal ein Strahl der Gottheit die finstre Seele – Ist es Hofnung, ist es das Bewußtseyn, daß wir nicht für diese Welt geschaffen sind, oder ist es blos eine physicalische Würkung, daß unsre feinen Nerven die höchste Anspannung nicht lange aushalten können? – Genug! diese Bemerkung muß jeder gemacht haben, dessen Herz je tödlich krank gewesen ist. Uns erweckte indessen das Ideal unsres künftigen ländlichen Aufenthalts zur Freude, und so fuhren wir sorgenlos, den ganzen Tag lang, mit der Post fort – Die Gegenden kamen uns so schön vor. O! wenn man fröhlig ist; so lächelt uns alles an, aber um den Elenden trauert die ganze Natur – Nur zu kurz war diese ruhige Periode! Unser Postwagen wurde noch in derselben Nacht, im Walde von Räubern angefallen – Es waren zwölf bewafnete Kerl, Unserer waren, nebst dem Postillon nur fünf, und darunter nur drey Männer – Sie droheten uns zu tödten sobald wir Lerm machen würden, brachen alle Koffer und Kasten auf, nahmen uns Uhren, und kurz alles weg – Mein bisgen Geld, etwas in Silbermünze abgerechnet, hatte ich in das Unterfutter genäht, und daher gerettet – So mußten wir ihnen denn ruhig zusehen, und sie mit ihrer Beute fortgehen lassen. Nun war freylich unser Jammer wieder auf's höchste gestiegen. Bey dem benachbarten Gerichte eine kostbare Untersuchung zu veranstalten, schien uns gefährlich – Wir waren froh das Leben, die wenigen Kleidungsstücke, welche wir an uns hatten, und sechzehn Ducaten gerettet zu haben – Dennoch muß ich hier wieder bekennen, daß der Muth meiner ewig theuren Sophie den meinigen bey weitem übertraf, mich in wenig Stunden gänzlich über das Verlohrne tröstete, und mich mit neuer Heiterkeit erfüllte. Wir beschlossen nun den kleinen Rest der Reise zu Fuß zu machen, und kamen gegen Abend in Rechtersdorf an. Von unserer Aufnahme dort hatten wir alle Ursache zufrieden zu seyn. Die guten Landleute schienen würklich bey der Erzählung unsers eben erlittenen Schicksals äusserst bewegt – Wir fanden bey dem Schulmeister eine kleine Wohnung, im Dorfe viel herzlich gute Menschen, und würden gern dort geblieben seyn, wenn alle übrigen Umstände uns eine vortheilhafte Lage hätten versprechen können. Aber uns war es um Lebensunterhalt zu thun. Unser kleiner Fond würde bald aufgezehrt worden seyn, und was würden wir dann gehabt haben? Nun folgten uns aber die Wiederwärtigkeiten, die uns auf jedem Schritte nacheilten, auch hier, und so zufrieden und ruhig wir auch übrigens hier würden gelebt haben; so zeigte sich doch nicht die geringste Aussicht etwas zu erwerben, weder durch Unterricht in Musik, durch Schreiberey, noch sonst. Es wohnt dort eine adeliche Familie auf ihrem Gute. Die Frau vom Hause ist überall, und das mit Recht, wegen ihrer Leutseeligkeit und edlen Menschenfreundlichkeit beliebt. Sie läßt keinen Armen, keinen Nothleidenden ungetröstet oder unerquickt von sich. Sie lebt wie eine Freundinn unter ihren Kindern, die ihr an Redlichkeit gleichen. Der Herr ist ein würdiger alter Officier, von deutschem treuem Character. Gastfreyheit und Aufrichtigkeit scheinen da zu Hause zu seyn; Aber eben diese schönen Eigenschaften machen, daß sie immer mit Domestiken aller Art und mit andern Leuten überladen sind, welche auf ihre Freygebigkeit Anspruch machen. Diese Anzahl noch durch uns zu vermehren, schien mir zu unedel, und ausserdem war doch in dem Dorfe nichts zu thun, denn zu gemeiner Landarbeit, so gern wir dies Mittel ergriffen hätten, würde uns niemand angenommen haben – Schon unsere Stadtkleidung, so gering sie war, machte da einen Anstoß. Dazu kam ein Umstand, der mich in Bestürzung setzte. Einer von denen jungen Herrn ist in holländischen Diensten. Er kam eben damals mit einem andern Officier dorthin, und als er uns zum erstenmal begegnete, schienen wir Alle gleich betroffen, denn wir hatten uns schon irgendwo gesehen. Diese Begebenheit aber machte den Entschluß bey uns fest, augenblicklich weiter zu reisen, und nach vielfältiger Erkundigung schien uns Waldorf, von woher ich Dir itzt schreibe, bequemer zu Ausführung eines Plans für unser künftiges Leben. Um aber hier besser fortzukommen, hielten wir es für nöthig, in einer noch weniger glänzenden Gestalt zu erscheinen. Also verwechselten wir unsre Kleider mit ganz schlechten, die wir einem Handwerksmanne abkauften, und giengen in der Stille von Rechtersdorf weg. Unterwegens stiessen wir in einem Walde auf eine Bande von Zigeunern, welcher Umstand meiner guten Sophie, beym ersten Anblicke, eine große Furcht einjagte, weil man gewöhnt ist, sich immer bey diesen Leuten eine Rotte von Spitzbuben zu denken. Sie saßen um ein Feuer herum, bey welchem Töpfe standen, in denen sie Igel und Hunde, mit allerley Wurzeln, Kartoffeln u.d. gl. die man ihnen geschenkt hatte, kochten. Diese Leute sind gewiß sehr merkwürdig, wegen ihrer Anhänglichkeit an die alten Sitten der herumziehenden Stämme. Sie haben Pferde, Esell, zuweilen auch Zelte bey sich, wandern so Heerdenweise umher, und wo sie geduldet werden stehlen sie nie. Diese Gesellschaft bestand etwa aus vierzehn Personen, deren Einige sich ausgezogen hatten, und ihre Kleider in einem Bache wuschen, so rauh auch den Tag das Wetter war. Wenn man bedenkt, wie wenig Bedürfnisse, und also wie wenig Leidenschaften sie zu befriedigen haben; wie mäßig ihre Nahrung, überhaupt wie nahe angrenzend ihre Lebensart an den natürlichen Zustand des Menschen ist; so sollte mancher, dem, durch die bürgerlichen Verhältnisse, durch Zwang und Interesse, das Glück seines Herzens gestört wird, diese sorgenfreyen Leute beneiden. Sobald ihnen Kinder gebohren werden, lassen sie solche gewöhnlich in dem nächsten Dorfe taufen. Viele von ihnen nehmen Kriegsdienste, kehren aber mehrentheils noch in ihren besten Jahren zu der ersten müßigen, ungezwängten Lebensart zurück. Es herrscht eine patriarchalische Verfassung unter ihnen. Sie sind zum Theil wohl gebildet, aber die Haut reiben sie sich mit Jagdfett, und lassen dies durch die Sonne oder das Feuer einbrennen, welches ihnen eine nicht häßliche Nußfarbe giebt. Ihre Zähne sind schneeweiß, und nie haben sie das Geringste von Ausschlag noch Ungeziefer an sich. Dies zu verhindern gehört mit unter ihre Künste, deren sie viel zu besitzen im Rufe stehen. Sie sollen unter andern vermittelst einer Kugel, die sie in das Feuer legen, mitten unter verbrennlichen Sachen ein Feuer anlegen können, dessen Flamme nicht weiter zündet. Sie behaupten, daß ihre Freunde aus Arabien ihnen dergleichen Kugeln schicken, doch will ich wohl glauben, daß dies, so wie ihre Wahrsagerkunst, nur Blendwerk ist, womit sie hie und da Geld erbetteln. Wären wir in einem ruhigern Gemüthszustande gewesen; so hätte ich mich gewiß länger bey diesen sonderbaren Menschen aufgehalten, und würde mich bemüht haben, vorzüglich ihre Sprache zu studieren, die mit der deutschen nicht die mindeste Aehnlichkeit hat. So aber trennten wir uns bald, und gaben ihnen ein kleines Reisegeld, wogegen sie uns, ohngebethen, Reichthum und Glück prophezeyeten – In der Verfassung, darinn wir leider! waren, fängt man gar zu gern jeden Hofnungsstrahl auf, und wir fanden uns so geneigt in ihre Kunst kein Mistrauen zu setzen, daß ich mich nicht schäme zu gestehen, daß wir durch ihre Vorhersagungen, mit neuer Zuversicht gestärkt, weiter giengen. Es war zwey Uhr Nachmittags als wir hier ankamen. Man sollte nicht glauben, wie groß der Einfluß ist, den ein redlicher Landedelmann und ein guter Prediger auf die Sitten ihrer Unterthanen, durch edles Beyspiel, haben können, wie viel auch von der Seite dieser Stand zum wahrhaften Glück eines Landes beytragen kann. In Rechtersdorf herrscht die edelste Einfalt der Sitten, hier hingegen die ausgelassenste, zügelloseste Lebensart. Zwar macht die Regierungsform auch viel Unterschied. Walldorf steht unter ... scher Hoheit. Alles muß die Musquette tragen, was nicht lahm ist, und die Soldaten bringen, wenn sie auf Urlaub gehen, die Corruption aus der Residenz mit hierher. Aber größtentheils fehlt es auch an einer guten Anführung. Der hiesige Prediger ist allgemein als ein heuchlerischer, schlechter Mann bekannt, und wenn gleich er des Sonntags von der christlichen Liebe predigt, und durch hundert Faustschläge auf die Kanzel Eindruck auf das Herz der Zuhörer machen will; so ist doch niemand unbarmherziger, intoleranter und rachgieriger als er. Er kreischt gegen Unmäßigkeit, und ist selten nüchtern, dabey soll er so scheinheilig, so eifrig für die Gottesfurcht thun können, daß er denjenigen unaufhörlich chicanirt, der nicht oft seine elenden Predigten gern hört, er müßte denn dafür bezahlt werden, durch die Finger zu sehen. Du kannst leicht denken, mein Theuerster! daß wir, bey diesen Umständen, noch immer für unser künftiges Schicksal zittern. Zwar ist hier eine große Pachtung, auf welcher ein ziemlich guter Mann wohnt, der uns eine reinliche Wohnung eingeräumt, und versprochen hat (weil wir uns für Leute ausgaben, denen Haus und Hof abgebrannt sey) uns allerley Art Arbeit, sowohl im Haushalte, als für das benachbarte Städtgen zu verschaffen – Wir werden sehen, wie er sein Wort hält – Ich täusche mich so gern, wenn ich nur irgend etwas vor mir sehe – Ach! wenn ich denn so meine kranke Seele mit einem Plane einschläfern kann; so bin ich so lange glücklich, bis irgend das Schicksal einen Prügel dazwischen wirft, und dann bebt jede Nerve an mir – Gott wird sich ja aber unserer endlich wieder annehmen – Das fühle ich wohl, daß ich Demüthigung verdient habe, und alles, was man mir darüber vorpredigen könnte, empfinde ich lebhaft genug – Die Moral ist eine schöne Sache, ein weites Hemd; Es paßt über jeden Leib, aber es wärmt nicht – Der Schritt ist doch nun einmal geschehen, und an der Seite meiner Sophie leide ich auch alles ohne Murren, wenn nur sie nicht mit leiden müßte. Ich merke täglich mehr, daß die unempfindlichen Leute die glücklichsten sind. Mit einem warmen Herzen bauet man in dieser Welt sein Elend. Da giebt es Menschen die, aus Unverstand oder Muthwillen, recht darauf ausgehen, jede Blase zu zertrümmern, die unsre geschäftige Phantasie, mit den schönsten Farben, wenn gleich nur aus Seife, geformt hatte, und doch können diese Luftgebäude allein uns dies Leben erträglich machen, denn auf dauerhafte Freuden hier zu rechnen, wäre Thorheit – Man sucht sich dann zuweilen ein Fleckgen, einen Stein zum Kopfküssen – Man schläfert sich, so gut man kann, ein – Nun täuscht uns ein angenehmer Traum – Der neben uns liegt, sieht unsre freudigen Blicke, unser sanftes Lächeln, weil er aber nicht schlummern kann oder will, nicht weiß, nicht wissen will, welch ein Glück träumen ist; so stößt er uns ungroßmüthig in die Seite. Wir fahren auf, fühlen nun doppelt, wie hart wir gelegen haben – Alles hier auf Erden sieht herrlicher von Weitem aus, als in der Nähe. Ich hatte mir einen so hohen Begriff von der Glückseligkeit des Landmanns gemacht – Jetzt sehe ich Scenen, an welche man im Wohlleben gar nicht denkt – Ein armer Bauer hat oft mit seiner zahlreichen Familie eine Woche lang nichts warmes zu geniessen. Wasser ist ihr Trank; Brod, wenn sie es haben, ihre Speise. Das bisgen Geld, das sie Alle mit saurem Schweisse verdient haben, holt der Gerichtsdiener, auf Abschlag der nie zu tilgenden Schuld, um es in die große Casse zu liefern, aus welcher Müßiggänger, Betrüger und Huren besoldet werden. Hat der Bauer kein Geld; so muß er den Rock vom Leibe geben – Seine Betten liegen auf dem platten Boden, und sind mit dürrem Laube gefüllt. Wenn ihm ein Kind gebohren wird, muß das nöthigste Stück des Hausraths für die Hälfte des Werths an den Juden verkauft werden, um dem unerbittlichen Prediger die Taufe zu bezahlen – Laß mich schweigen, das Herz blutet bey solchem Anblicke – Kommt aber heran, Fürstenkinder! und schauet – das sind die Trauerspiele, die Ihr ansehen solltet – Und so ist aller Orten Elend und Unglück reichlich gesäet, und nur der Schurke wälzt sich in sorgenlosen Freuden umher – Es giebt ein Land, wo man mit einer redlichen, freyen Denkungsart, mit einem weichen Herzen sein Glück macht; wo die Fürsten Menschen, und gute Menschen sind; wo wahrer Fleiß und wo Verdienste geschätzt werden; wo wir gleich zärtliche Freunde haben, wir mögen glücklich oder unglücklich seyn; wo die Liebe nicht unser Elend bauet; wo Reichthum keinen Unterschied unter den Menschen macht; wo man, mitten in den Zerstreuungen und dem Geräusche der Welt nicht vergißt, daß um uns her so mancher bekümmerter Redliche bittre Thränen weint; wo eigenes Gefühl von menschlicher Schwäche uns nachsichtig gegen die Fehler unserer Brüder macht; wo der falschen tückischen Ernsthaftigkeit die Larve abgerissen wird; wo Vorurtheil nicht Grundsatz, Aberglaube nicht Frömmigkeit heißt; wo die heilige Religion uns zu Erfüllung unsrer Pflichten führt, und uns Toleranz lehrt – In diesem Lande mögte ich wohnen – Es giebt ein solches Land – Meine Amme hat mir's oft erzählt – Es ist das Schlaraffen-Land – Ehe ich es nicht finde, wird mein Unstern wohl aller Orten über meinem Haupte schweben – Ach! verzeyhe, liebster, kostbarer Freund! Verzeyhe den innigst traurigen Ton, in welchem ich Dir schreibe – Wie kann ich aber anders? – Dieser Brief trägt das Gepräge eines geängsteten für die Zukunft zitternden Herzens – Entschuldige mich, und weihe mir zuweilen eine Thräne – Bald sollst Du mehr hören, von Deinem ewig treuen Gustav von der Hörde. Fußnoten 1 Psalm 9, Vers 19. 7. Brief Siebenter Brief. An den Freyherrn von Leidthal in Urfstädt. Göttingen den 30sten Aprill 1770. Ich habe Ihnen, mein gnädiger Herr! sehr wichtige Dinge zu sagen, oder vielmehr der Herr von Weckel, der Ueberbringer dieses Briefes, wird sie Ihnen besser mündlich erzählen können – Ihre Ahndung hat Sie nicht getäuscht; Er ist es, der arme Gefangene – Es ist Ihr alter Freund, Ihres lieben Pflegesohns Vater – Sie werden hören, wie viel Mühe es uns gekostet hat, ihn zu sprechen. Wir haben mit großer Gefahr, ertappt zu werden, die Gartenmauer des Klosters erstiegen; Das war aber das Geringste. Die Schwierigkeit den armen Herrn dazu vorzubereiten, diesen unerwarteten Besuch zu erhalten; mit ihm, wo möglich, durch Zeichen, vorher eine Stunde zu verabreden, wenn er allein seyn würde; dies und andre kleine Umstände machten mich für den Erfolg besorgt. Aber es gelang, freylich erst nach ein Paar mislungenen Versuchen; und ich stieg zu ihm hinauf. Doch welch' ein Anblick! – Das Gefängniß scheint, so viel ich, von der Leiter her durch das Fenster, bey dem Scheine eines matten Lämpgens, das vor ihm stand, erkennen konnte, äusserst klein und ungesund. Auch ist er sehr krank, und hebt sich nur mit genauer Noth von seinem harten Lager in die Höhe – Er wird bald ausgerungen haben – Nur zu wahrscheinlich fürchte ich, daß wenn ihm nicht schleunig geholfen wird, der Erretter aus allem Jammer, der Tod, zu Hülfe eilen mögte. Aber ihn durch Gewalt oder List zu befreyen, daran ist gar nicht zu denken. Folglich wird kein andres Mittel seyn, als bey dem Churfürsten für ihn zu bitten – Aber, wie gesagt, ich fürchte der Beystand kömmt zu spät. Aus guten Gründen stieg ich allein hinauf, und ließ den Herrn von Hohenau unten Wache halten – Der arme liebe Mann! der Anblick seines Zustandes; sein edles, kummervolles Gesicht; die halb verloschenen Augen; die Stirne, auf welche jeder jammervolle Tag einen neuen Zug zu dem Bilde seiner vieljährigen Leiden hinzugesetzt hatte – Das alles durchdrang mich so mit innigster Wehmuth, daß ich mich kaum auf der Leiter halten konnte – Er rief noch einmal alle seine Kräfte zusammen, als er hörte, von wem ich geschickt würde – und doch war es, als könnte er die Lebensgeister nicht mehr zur Freude sammlen – Großer Gott! – Der Herr von Weckel wird Ihnen, mein theuerster Herr! sagen, daß ich, sobald ich merkte, wer der Gefangene war, den Herrn von Hohenau abhielt, ihn zu sprechen. Auch dem Vater durfte ich nicht sagen, daß sein Sohn itzt da unten stünde; Er würde schwerlich die heftige Gemüthsbewegung, die ihm dies verursacht hätte, ausgehalten haben; denn schon die Versicherung, daß sein Carl noch lebe, und itzt in Göttingen sey, setzte seinen ganzen schwachen Nervenbau in augenscheinliche Bewegung – »Dort erst werde ich ihn wiedersehn« sagte er, und hob die Hände zum Himmel auf – Dann wollte er, beym schwachen Scheine seines Lichts, ein paar Zeilen schreiben, aber er konnte nicht, so zitterte er – Doch ich erzähle hier alles unordentlich, der Herr von Weckel aber wird jeden Umstand ausführlich berichten – Mein Herz ist ganz voll davon – O bester Herr! es ist keine Zeit zu verliehren – Bey dieser Gelegenheit habe ich genau auf den jungen Herrn von Hohenau Acht gegeben. Es ist so gewöhnlich in unsern Romanen und Schauspielen, daß ein Sohn sich sogleich für seinen unbekannten Vater intereßirt, indem die Stimme der Natur ihm sagt, daß er derjenige sey, der ihm das Leben gegeben habe. Dennoch konnte ich nie an solche Instincte glauben, und bin im Gegentheil überzeugt gewesen, daß die Liebe zwischen Blutsfreunden nur aus der Gewohnheit mit einander umzugehn, aus der Dankbarkeit und andern sittlichen Gefühlen, aus einigen Neben-Ideen, die uns von Jugend auf eingeprägt worden sind, und endlich vielleicht aus der Uebereinstimmung der Denkungsart und des Temperaments, welche natürlich von ähnlicher Organisation und ähnlicher Erziehung entstehen muß, zu erklären seyn würde. Dies scheint dadurch noch mehr bestättigt zu werden, daß das häusliche Band unter den Großen der Erde, die entfernter von einander gehalten werden, äusserst schwach ist. Hier nun bin ich wiederum in meinem Satze bestärkt worden; denn obgleich des Herrn von Hohenau sehr weiches, und itzt durch seine romantische Liebe, die anfängt mir zu misfallen, noch reizbarer gemachtes Herz, ein wahres und lebhaftes Mitleiden mit dem Schicksale des Gefangenen theilte; so bemerkte ich doch nicht die geringste Spur einer näheren Theilnehmung, oder einer Ahndung, daß der Mann sein Vater seyn könnte. Und indem ich von dieser Liebe meines Zöglings rede; so muß ich Ihnen, gnädiger Herr! bekennen, daß dieselbe mir zu ernsthaft wird. Wenn sein Herz, seine Sitten, durch diese Leidenschaft verfeinert und gebessert werden; so hat sie von der andern Seite auf seine Vernunft und seine Studien einen schädlichen Einfluß. In ernsthaften Wissenschaften, die Anstrengung und einen freyen Kopf erfordern, rückt er nicht weiter, weil er immer zerstreuet ist, und doch sind die Jahre da, wo er sich zu einem nützlichen Bürger formen muß. Dichtkunst, Musik hingegen, und alles was die Phantasie ergötzt, fesselt ihn, und wenn das so fort dauert; so wird er sich für eine Welt bilden, die jenseits des Mondes ist, und auf dieser Erde eine unglückliche Figur spielen. Vorgestern reisete die Familie von Hundefeld hier durch zu einer Verwandtinn. Sie ließen uns zu sich bitten, der Herr von Weckel gieng mit uns, und er wird Ihnen seine Bemerkungen bey dieser Gelegenheit mittheilen. Er wollte, nach seiner gewöhnlichen leichtfertigen Art, den Herrn von Hohenau ein wenig über seine Seladon-Rolle zum Besten haben, aber damit kam er ihm sehr ungelegen, und der junge Herr machte am Ende kein Geheimniß daraus zu bekennen: er liebe das Fräulein, und werde, wenn sich in dieser alten Welt jedermann seinem Glücke wiedersetzte, mit seiner Schönen fliehen nach America – oder Gott weiß wohin, und dort unter Wilden leben – Kurz! das Ding gefällt mir gar nicht, und ich fürchte, die jungen Leute sind, meiner Sorgfalt ohnerachtet, schon mit ihren Seufzern gegen einander herausgefahren; denn des Fräuleins Augen sahen mir sehr schmachtend aus, und beyde verstellten ihre Blicke, wie alle unschuldig Verliebten, auf eine so feine Art, daß jeder mittelmäßige Beobachter ihre Pantomimen hätte in Wörter übersetzen, und zu Papier bringen können. Birnbaum wird mit dem Herrn von Weckel reisen, und ist voll Freude über sein Glück. Wir sind es mit ihm, da wir einen andern treuen Menschen an seiner Stelle angenommen haben. Nun, mein theuerster Herr! erwarte ich mit Ungeduld einige Zeilen von Ihrer lieben Hand, sowohl um des armen Gefangenen willen, als auch, weil die Nachricht von Ihrem Processe mir manche unruhige Nacht macht. Ich verharre, mit der treuesten Ehrerbiethung, Ihr gehorsamst ergebenster Diener Meyer. 8. Brief Achter Brief. An den Herrn Baron von Leidthal in Urfstädt. Göttingen den 20sten Aprill 1770. Da Herr Meyer es übernommen hat, Ihnen, mein theuerster Pflegevater' ausführliche Nachricht von dem Zustande des armen Gefangenen auf dem Eichsfelde zu geben; so werde ich hiervon ganz schweigen, und nur meine Bitten mit den seinigen verbinden, doch diesem unglücklichen Manne, nach Ihrer gewöhnlichen Bereitwilligkeit Gutes zu würken, durch Vorbitte beyzustehn – O! wäre es nur möglich gewesen ihn mit Hülfe einiger Freunde aus seinem Kerker zu entführen! Hieran habe ich oft gedacht – Und welche herrliche Freude wäre es nicht, sich einer solchen That bewußt zu seyn! Aber bey kühlerem Blute sehe ich doch ein, daß dies ohnmöglich ist, und daß Ihre Hülfe allein uns Hofnung zur Erlösung gewähren kann. Uebrigens will ich einige kleine Umstände von unserm dortigen Aufenthalte nachholen. Die Gegenden haben mir hie und da ausserordentlich gefallen. Sie sind an manchen Oertern recht malerisch, recht romantisch. Aber doch mögte ich da nicht immer wohnen. Das ganze Eichsfeld ist vollgepropft von Edelleuten, die sich unaufhörlich besuchen und beschmausen, und darunter sind dann, wie unter allen großen Haufen, manche Menschen, mit denen ich eben nicht leben mögte. Zudem fange ich an, so jung ich bin, mich vor rauschenden Vergnügungen zu fürchten, und mich nach stillen häuslichen Freuden zu sehnen. Wir haben aber dort eine Familie angetroffen, die sich sehr von andern in der Nachbarschaft unterscheidet. Ein alter würdiger Vater lebt da mit erwachsenen Söhnen, auf einem so brüderlichen und zugleich launigten Fuß, daß man ihn nur an seinen grauen Haaren von den andern jungen Leuten unterscheidet. Der Mann ist so lebhaft und lustig, als ich noch je einen Greis gesehen habe. Ein gemeinschaftlicher Freund vom Hause ist ihr beständiger Gesellschafter, ein Mann, der ehemals Obrist in holländischen Diensten, sehr angesehn und vermögend war, aber nachdem er das Seinige mit fröhligem Herzen verzehrt, Andern mitgetheilt hatte, und ihm nun nichts mehr übrig blieb, von allen, die ihn hatten mit aufzehren helfen, verlassen wurde. Hier aber hat ihm die edle Gastfreyheit die Thür geöfnet, und wenn sich eine solche Gastfreundschaft belohnen läßt; so belohnt er sie durch seine unnachahmliche Kunst die ganze Gesellschaft munter und gramlos zu erhalten. Wir haben dort einem ländlichen Feste beygewohnt, und die Bauern tanzen gesehn. Es half auch nichts, wir mußten sogar selbst mittanzen, die Menuetten nach der Arie: » Sous le nom d'amitié « und die Lustigen nach: » ma commère quand je danse. « Oft habe ich diese guten Menschen beneidet, wie sie so aus inniger Freude herumspringen. Bey aller Armuth vergessen sie leicht jedes Ungemach, und öfnen ihr Herz Empfindungen, die wir, ach! kaum kennen. So tanzt keiner von unserm Stande! Früh gewöhnt sich das eitle Herz auf jedem kleinen Wege zu unschuldiger Lust Langeweile zu finden. Wünsche, nichts als Wünsche und gegen einander kämpfende Leidenschaften plagen den unruhigen Geist, und machen uns alles Vergnügen unschmackhaft, bis die Jahre kommen, da man wohl mit Sehnsucht sich nach den Augenblicken zurücksehnen mag, die wir Undankbaren ungenützt vorbeyeilen lassen. Aber wer kann sich anders stimmen? Und wenn man auch gern wollte; so stöhren andre Menschen unsre Ruhe. Indessen habe ich doch in diesen Gegenden schon mehr Zwang, mehr Niederdruck als bey uns bemerkt, und die gemeine Sprache klingt mir höchst wiederwärtig. Die rechte ächte niedersächsische Bauernsprache gefällt mir, und hat etwas unglaublich naives und treuherziges, so wie ich glaube, daß überhaupt in Niedersachsen das ächteste Deutsch geredet wird. Der Beweis ist klar, weil da auch die incultivirtesten Leute richtiger schreiben, als in Schwaben, Baiern, Oesterreich, Hessen, am Rhein, und selbst in Obersachsen. Sie werden nicht so oft, wenn sie unbekannte Namen, nur nach dem Klange schreiben sollen, das g mit dem k, das p mit b, st mit scht verwechseln, auch viel leichter die Mundart fremder Sprachen lernen. Dies letzte gilt aber überhaupt von den Deutschen, welche unter andern Vorzügen auch den haben, leicht eine jede Eigenheit eines Ausländers ihm abzulernen, und das ohnbeschadet ihrer Originalität, denn der Deutsche behält doch immer sein Gepräge. Selbst unsre Tänze (und Sie haben mir ja oft gesagt, daß man aus den Tänzen ziemlich auf den Character einer Nation schliessen kann) selbst unsre deutschen Tänze verkündigen, dünkt mich, Offenherzigkeit, Muth, Stärke, Treue, und frohen Sinn. Ihnen, mein bester Vater! danke ich es, daß ich früh aufmerksam auf die Menschen geworden bin, und gewiß soll dies immer mein wichtigstes Studium bleiben. Ich sehe eine Sammlung von Schmetterlingen, Versteinerungen oder so etwas, ohne Theilnehmung an. Das ist die äussere Form, und freylich vom Schöpfer mit unbeschreiblicher Kunst zubereitet, aber Eine neue Bemerkung über das Innre des Menschen, Ein edler Zug von einem großen Manne, Eine Linie in dem Gesichte, die Abdruck dessen ist, was in seiner Seele vorgeht, ist mir mehr als das vollständigste Musäum werth. Ich kann nicht einmal eine Landschaft leiden, auf welcher keine lebende Creatur gemalt steht; Mir kömmt eine Aussicht öde vor, wäre sie auch noch so abwechselnd, wo ich keine Menschen sehe. – Doch wohin gerathe ich? Indem ich Ihnen etwas von unserer Reise schreiben will, komme ich in ein ganz anders Feld. Würklich aber weiß ich auch von derselben nichts hinzuzufügen, das der Erzählung werth wäre. Wollte nur der Himmel unsre Wünsche zum Besten des armen Gefangenen erfüllen! Der Herr von Weckel, den ich noch immer sehr munter finde, obgleich zuweilen auf meine Kosten, wird Ihnen, theuerster Wohlthäter! sagen, wie oft mein Herz in Gedanken bey Ihnen ist. Ich küsse Ihnen ehrerbiethigst die Hände, und schicke die treuesten Wünsche für Ihr dauerhaftes Wohlseyn zum Himmel. Er gebe Ihnen die größte Glückseligkeit, deren eine gefühlvolle Seele in dieser Welt fähig ist: Es mangle Ihnen nie die Gelegenheit dem Elenden zu helfen, und den gebeugten Freund zu trösten. Ich verharre mit kindlichen Gesinnungen Ihr gehorsamster Sohn Carl von Hohenau. 9. Brief Neunter Brief. An den Herrn Bröck in Amsterdam. Fulda den 24sten May 1770. Laß mich meine Klagen in Deinen Schooß ausschütten, einziger Freund! und entziehe Dein Mitleid nicht dem Unglücklichen, dem Elend und Jammer auf jedem Fußtritte nachfolgt. Von aller Welt verlassen, unter gefühllosen Menschen herumirrend, ist der Busen eines Freundes der einzige Platz, wo mein Herz Ruhe findet. O! könnte ich mit meiner Sophie zugleich einschlummern, zu ewiger Ruhe einschlummern, und nicht wieder erwachen! – Wie gern wollten wir aus dieser Welt hinaus eilen, wo der Edle keine einzige frohe Stunde haben kann! – Wüßtest Du, was ich unterdessen gelitten habe, wie hundertfältig der kühne Schritt, den ich gethan habe, bestraft ist – ach! und zugleich an dem armen Weibe bestraft ist, das mit leiden muß, und nichts verschuldet hat – Für ihre treue Liebe, die dem Himmel selbst heilig seyn sollte – Kurz! wir sind unglücklicher als jemals, irren ohne Aussichten umher, und wer weiß, aus welchem Orte ich Dir das nächstemal einen Brief schicken werde? Diese Zeilen schreibe ich in einem Wirthshause; Neben mir ist meine Sophie, ermüdet von der Reise, eingeschlummert. Zur Seite steht eine Wiege, darinn ein kleines Kind der Wirthinn schläft – Glückliches, kummerloses Alter! Ich drückte vorher einen liebevollen Kuß wehmüthig auf die blühenden Wangen, die noch kein Verdruß, keine Aufwallung irgend einer unedlen Leidenschaft je bleich gemacht hat. Das junge Herz schlägt so ruhig, kein ängstlicher Traum drückt es – O! warum bleiben wir nicht immer so? In dem Alter, wo der ganze Reichthum des Spielzeugs, der Werth weniger Groschen, ein Wesen beneidenswürdig glücklich macht, das nachher oft mit Millionen keine Ruhe, keine Freude erkaufen kann – Der Mond scheint ins Fenster – der treueste Freund, der immer dasselbe Gesicht hat – Es kommen so viel Umstände hinzu, die mich heute in eine solche Stimmung setzen – Gerade heute ist mein Geburtstag – Vier und zwanzig Jahre des Jammer-Lebens sind dahin – Mein erster Laut war ein Schrey gegen das Schicksal. Der elende Knabe empörte sich schon gegen den Zwang, und hob die kurzen Arme, die sie ihm binden wollten, zum Himmel empor. Doch zurück zu der Erzählung meiner traurigen Begebenheiten! Schon hoffte ich in Waldorf einige Aussicht zu besserem Auskommen zu haben, als der heuchlerische Prediger des Orts einmal des Morgens den Pachter, unsern Wirth, zu sich rufen ließ, und ihm vorhielt, wie sehr er sich der obrigkeitlichen Ahndung und dem göttlichen Strafgerichte aussetzte, indem er Leute bey sich beherbergte, die niemand kennte, die vermuthlich gottlose, nicht einmal durch priesterliche Einsegnung verbundene Leute, sondern loses Volk, ohne Gottes- und Menschenfurcht, wären. Mit einem Worte! er verlangte von ihm, er sollte uns fortschaffen, oder er würde die Sache ernstlich treiben. Der Pachter klagte mir seine Verlegenheit, und ich beschloß selbst zu dem Pfarrer zu gehen. Ich that es, aber die Art wie er mich empfieng – Mit einem Geschenke hätte ich alles ausgerichtet – Allein theils hatte ich nicht viel zu entbehren, und dann bauete ich auch auf das natürliche Recht, das jeder redliche unschädliche Mensch haben muß, auf Gottes Erdboden zu leben, wo er will, sobald er niemand im Wege ist. Ich sagte ihm das, und verdarb dadurch meine Sache gänzlich. Er verschrie mich nun als einen wiederspenstigen, gefährlichen Landstreicher – Er predigte sogar wieder uns – Kurz! wir mußten fort, und unsre Zuflucht war das nahgelegene Städtgen, in welchem uns unser Wirth Arbeit auszuwürken versprochen hatte. Kaum hatten wir uns aber nach einer kleinen Wohnung umgesehn, als ich fand, daß auch hier der Bösewicht im Priesterkleide Verdacht gegen uns erregt hatte. Niemand wollte uns aufnehmen – Wer meinst Du, wer endlich die Barmherzigkeit an uns that, die ein Lehrer des Christenthums uns entziehen wollte? – Ein Jude – Dieser both uns eine Wohnung bey sich an. Wir bezogen ohne Bedenken ein Zimmerchen in seinem Hause, und dieser redliche Mann sparte keine Mühe, uns Mittel, Unterhalt zu finden, an die Hand zu geben. Aber es hielt nicht nur äusserst schwer die geringste Gelegenheit dazu zu finden, sondern der gute Israelite selbst war in so armseligen Umständen, und so vielfältig von Christen betrogen worden, denen er zuviel Credit gegeben hatte, daß ich wohl sahe, wie wenig er im Stande war, Andern zu helfen. Wir faßten also den letzten Entschluß, weil wir noch einen kleinen, Geldvorrath hatten, nach Frankfurt am Mayn zu reisen, um in dieser großen Stadt, wo so Mancher Brod findet, das Aeusserste zu versuchen, uns eine Aussicht zu eröfnen – Und da sind wir nun unterwegens – Wenn dies letzte mislingt, dann weiß ich keinen Rath – Der Gedanke zerreißt mein Innerstes – Wenn ich das liebe Weib ansehe, wie geduldig, wie so voll Zuversicht auf die weise Vorsicht sie alles leidet, dann blutet mein Herz, und es nagt mich, daß ich schwächer bin an Glauben, als sie – Zu hoffen, wo wahrscheinliche Hülfe nahe ist, das kann freylich jeder schwache Geist – – Aber itzt gilt es, die Last meines Kummers liegt schwer auf meinem Herzen – Ich angle vergebens nach kleinen Freuden; Alles trauert um mich. Der schöne Frühling, der jedem Pflänzgen, jeder Creatur, neues Leben, frische Kraft und Wonne einhaucht, bewegt mein Innerstes, stimmt die leidende Seele zu Klagen, und preßt mir Thränen aus – Wenn Du mich noch irgend liebst, Freund meines Herzens! – Wenn Du einer der bessern Menschen bist, die mit den Weinenden weinen können – o! so schreib mir doch nur ein paar trostvolle Zeilen, und schicke sie gerade nach Frankfurt. Ich will sie im Posthause abholen – G. von der Hörde. 10. Brief Zehnter Brief. An den Herrn von Hohenau in Göttingen. Urfstädt den 26sten May 1770. Da ich nun mit meinem Briefe an den Herrn Meyer fertig geworden bin, 1 und er Dir mein lieber Carl! vermuthlich daraus erzählen wird, wie sehr es mir am Herzen liegt, dem armen Gefangenen im Kloster beyzustehn; so will ich dies hier nicht wiederholen. Du magst mir es nicht übel nehmen, daß ich Dir Deinen Freund auf eine kurze Zeit raube. Aber ich meine, er wird, nach unser Aller Wunsch, die Sache in Mayn; am besten persönlich betreiben können, obzwar ich auch sogleich an einen sichern Freund, der gerade itzt in der Gegend ist, desfalls geschrieben habe. – Wenn nur die Hülfe nicht zu spät kömmt! – Ich wollte gern selbst hinreisen, aber seit vierzehn Tagen fesseln mich gichtische Flüsse an mein Bette. Nun, mein Sohn! ein Wort an Dein Herz gesprochen! Ich finde Deinen Gemüthszustand meiner und Deiner ganzen Aufmerksamkeit würdig. Verhehle mir es nicht – Du liebst – Das Ding wollte ich nun schon gelten lassen, und ich habe mich beynahe darüber gefreuet, als ich merkte, daß eine Leidenschaft sich Deiner Seele bemeistert hatte, die den Menschen wenigstens, wo nicht weiser, doch sanfter und besser zu machen pflegt. Nur die Wendung, die diese romantische Liebe Dir gegeben hat, misfällt mir. Ich weiß so gut als Einer, daß es nicht immer in unsrer Gewalt ist (wenigstens nicht in Deinen Jahren) Eindrücken von der Art zu wiederstehen, und ich bin sehr entfernt Dir Unempfindlichkeit einpredigen zu wollen. Man kann aber lieben, und doch dadurch nicht für die ganze übrige Welt verlohren seyn. Noch hat Deiner Liebe niemand nichts in den Weg gelegt. Allein sich eilig das Herz rauben lassen, und als Student auch sogleich Hochzeit machen wollen, um Hausvater zu werden, ehe man ein Mann ist; Sich der Gesellschaft entziehen, und blos von häuslichen Freuden reden, ehe man nur im mindesten die Welt kennt, die man fliehen will; Mitten in der Laufbahn nützlicher Kenntnisse, die, wenn sie auch nicht dazu hülfen, Brod zu erwerben, doch den Geist aufklären, schimpflich zurücktreten, bevor man einmal seine Kräfte versucht hat; Zurücktreten, thätigere Jünglinge den Preis ihrer Veredlung erringen lassen, und indessen an der Seite eines Mädgens tändeln? – Nein! das wird mein Carl nicht wollen! Zudem, wer sagt dann, daß vielleicht nicht einst Deine Wünsche erfüllt werden könnten? Aber itzt daran denken, wäre Thorheit; Und sich darüber härmen, sich für den elendesten Menschen unter der Sonne halten; wäre undankbar gegen das Schicksal. Wenn Du mich also noch etwas liebst; so hänge diesen schwärmerischen Gedanken nicht zu sehr nach, oder Du wirst Dich auf den Rest Deines Lebens unglücklich machen. Es geht nicht gleich alles so in der Welt, wie man es gern hätte. Dein gar zu lebhaftes Gefühl muß noch verzweifelt herabgestimmt werden. Das Ding geht nicht gut, wenn Du schon jetzt anfangen willst, unzufrieden zu seyn. Kömmt der herbe Frost zu früh; so welkt die junge Saat; Nach und nach wird der Boden gehärtet, lernt die Kälte ertragen; Die Erde zieht ihre Säfte in ihr Herz zurück, und giebt die Oberfläche den Streichen des Wetters preis. Das fühle ich wohl, daß Du zu viel Verstand hast, und zu weich bist, um so ganz sorgenlos durch dies Leben hin zu wandeln, wie der Dummkopf, der seinen Bissen ißt, und seinen Trunk trinkt, ohne sich darum zu bekümmern, ob eine Fliege darinn ersoffen ist. Er wird der lieben Welt nie müde, und geht nicht eher aus dieser großen Gesellschaft, bis sein Vater winkt, daß es Zeit ist; dann nimt er traurig Hut und Stock, nimt Abschied, und kein Mensch vermißt ihn, wenn er fort ist. Wer aber Gefühl und Verstand hat, dem wird es freylich nicht so gut. Beym Camin ist ihm zu heiß, beym Fenster zu kalt; Der stößt ihn; Dort tritt ihm einer auf den Fuß; In jener Ecke verlästert man seinen Freund; Hier zieht man ihn in ein Gespräch, wovon er gar nichts hören mag – Er sehnt sich manche lange Stunde durch nach dem Augenblicke, da er mit Ehren fortgehen kann; Und doch sitzt dort einer im Winkel, mir dem er gern noch ein Wörtgen geredet hätte – Aber wie kann er durch den Haufen? – Er schleicht sich endlich fort – Noch ein freundlicher Blick nach dem lieben Menschen im Winkel, und dann wird die Thür zugemacht – Dort tragen sie ihn hin – Wir wollen ihn gehn lassen – Es ist doch schade, daß ich ihn schon fortgeschickt habe, ich hätte noch viel schöne Sachen über ihn zu sagen – Das ist aber noch lange Dein Fall nicht. Ganz glücklich, nach unserm Ideal glücklich, in dieser Welt zu seyn, daran ist nun einmal nicht zu denken. Man lebt so in einem Traume fort; Eigener Kummer und fremdes Elend nagen unaufhörlich an unserer Ruhe. Aber es giebt doch Mittel sich still, ruhig und heiter durch dies Leben zu arbeiten. Selig ist, wer das mit Lächeln kann – Nicht der, dessen Fußsolen so hart sind, daß er keine Steine mehr fühlt, aber der, der darüber leicht hinweghüpt. Dazu gehört aber Fertigkeit und froher Sinn, und das hat nicht jeder. Durch Uebung bringt man es dahin – Freylich wenn der Steine zu viel kommen, und böse Menschen immer noch mehr in den Weg werfen, dann wird der Gang beschwerlich – Man fühlt zuletzt jedes Sandkörnchen – Aber dahin soll es, wie ich fest hoffe, mit Dir nie kommen. Sage mir, junger Mensch! Was in aller Welt ist Dir denn schon mislungen? – Wache nur über Dich, mein Sohn! Glaube mir es (und ich kann aus Erfahrung reden) man kann viel über sich erhalten, wenn man es nur ernstlich damit meint. Nicht, daß man den ganzen brennenden Schornstein mit moralischem Mist zuwürfe, und den Bettel inwendig ruhig brennen liesse, nein! sondern indem man andre edle Leidenschaften gegen die Liebe zu Hülfe ruft, und das Feuer nicht durch Müßiggang und Schwärmerey unterhält; keine Bücher liest, die uns Welten vormalen, die wir nie zu Gesicht bekommen werden; noch läppische Gedichte auf ein Blümchen und ein Bändgen, wodurch alle unsre männlichen Gefühle, wie Milchbrey zusammenkochen. Hüte Dich auch, selbst Verse zu machen, denn dadurch wird nur die Phantasie erhitzt. Ich weiß zwar wohl, daß das gerade der Zeitpunct ist, wo sie am besten gerathen. In der Jugend, wo die Einbildungskraft feurig, und das Herz warm ist, da ist die Zeit zu dichten, zu componieren – für den, der Talent dazu hat. Im männlichen Alter muß man Werke schreiben – wenn man im Frühlinge gut gesammlet hat. Im Alter aber muß man sich Muße nehmen, auf die lange Reihe verlebter Tage mit Prüfung zurück zu sehn. Opfre aber lieber Deiner Ruhe die Ehre auf, als Dichter gelobt zu werden. Verzeyhe mir, mein Lieber! diese Offenherzigkeit. Ich mögte Dich so gern glücklich wissen, und noch ist es Zeit, die Grundlage dazu zu legen. Müller ist nach Wetzlar abgereist, wo er meine Proceßsachen besorgen will. Seine beyden jüngsten Söhne lasse ich itzt herkommen; sie sind schon unterwegens, und wir wollen sie dem Gymnasium in ... anvertrauen; da hat sie der Vater in der Nähe. Nun lebe wohl, mein guter Carl! Dein Freund wird bald wieder zu Dir zurückkehren – Verabsäume seinen Rath nicht; Er ist ein kluger Mann, und liebt Dich beynahe so sehr, als Dein treuer Freund Leidthal. Fußnoten 1 Dieser ist nicht in der Sammlung. 11. Brief Eilfter Brief. An den Freyherrn von Leidthal in Urfstädt. Wetzlar den 4ten Junius 1770. Nicht leicht, mein gnädiger Herr! kann jemand auf einer so kurzen Reise so sonderbare Begebenheiten erleben, als mir auf der meinigen hierher begegnet sind – Ich habe zwey, von meinen Kindern gesprochen, und auf eine so unerwartete Art wiedergefunden, daß ich nicht recht wußte, ob mein väterliches Herz sich mehr über diese Zusammenkunft freuen, oder über den Zustand dieser Flüchtlinge betrüben sollte. Sie wissen den Schritt, den meine arme Sophie gethan hat. Sie war mit ihrem Geliebten heimlich fortgegangen, seine Frau geworden, und seit der Zeit hatte das Schicksal an diesen jungen Leuten den Kummer, den sie ihren Eltern durch ihre Flucht machten, durch so manche Wiederwärtigkeit gerächt, daß die genaue Erzählung davon meinen Zorn gänzlich in Mitleiden verwandeln mußte. Von einem Orte zum andern ziehend, und nirgends Ruhe findend, hatten sie sich endlich entschlossen, in Frankfurt bessres Glück aufzusuchen. Mein Sohn Ludwig war in genaue Bekanntschaft mit Schauspielern gerathen, die ihm einen solchen Enthusiasmus für ihre Kunst eingeflößt hatten, daß er sich (bey der Ueberzeugung, daß seine Armuth ihm in jeder andern Lebensart die Hofnung zu guten Aussichten versperren würde) entschloß, seine Talente, die in der That nicht gering sind, der Bühne zu widmen. Er wollte indessen doch nicht gern in seiner Vaterstadt (des Vorurtheils wegen, das nun einmal gegen diesen Stand herrscht) auf dem Theater erscheinen. Deswegen reisete er aus Holland über Cöln und Frankfurt, um nach Sachsen zu gehen, wo einem Künstler Achtung und Versorgung gewidmet werden, und wollte daselbst eine Stelle bey einem deutschen Theater suchen. Auf dieser Reise traf er Abends spät mit der Post in Gelnhausen ein, als eben die arme Sophie mit ihrem Manne, da sie von Fulda gekommen waren, im Posthause in der Thür standen – Die Magd kam mit der Lampe heraus, um den Fremden zu leuchten – Der Wagenmeister setzte das Leiterchen an, und Ludwig stieg unter den Reisenden zuletzt herab – Sophie hatte nur unaufmerksame Blicke auf die Ankömmlinge geworfen, als plötzlich der Eindruck einer ihrem liebsten Bruder ähnlichen Physionomie, ihr ganzes Blut nach dem Herzen jagte – Nur der, dem die Natur so viel menschenfreundliches Gefühl, als Ihnen, mein theuerster Herr! gegeben hat, kann sich eine Vorstellung von den Empfindungen machen, welche die drey jungen Leute durchströhmten, als sie sich nun erkannten, umarmten, und die Erzählungen ihrer Schicksale gegen einander auswechselten. Es war nicht mehr die Rede davon, sich zu trennen, sondern man machte neue Plane. Endlich vermogte Ludwigs Beredsamkeit meine Tochter und ihren Mann, alle Bedenklichkeiten aufzugeben, und auch den Entschluß zu fassen, auf dem Theater ihr Glück zu versuchen. So wurden diese drey romanhaften Köpfe auf einmal von Einem Avanturiergeist belebt, vergaßen alle vernünftigen Bedenklichteiten, vergaßen Kummer, Sorge für die späte Zukunft, vergaßen Eltern, Vaterland – Kurz! vergaßen alles, und fuhren nach einer fröhligen Mahlzeit und durchplauderten Nacht, auch nach Ueberrechnung ihrer Baarschaften, die sie itzt mehr als hinreichend fanden, zusammen der sächsischen Grenze zu. Ich kam den 29sten vorigen Monats nach Eisenach, hatte ein kleines Mittagsmahl für mich bestellt, wollte nach Tische weiter reisen, und gieng unterdessen auf dem großen hübschen Platze, vor dem Schlosse und der Hauptkirche auf und ab, als ich vor mir hin, ein Frauenzimmer mit zwey Jünglingen, unter fröhligen Gesprächen, spatzieren sah – Die Stimmen kamen mir bekannt vor, und ich blieb auch nicht lange im Zweifel; Denn kaum hatten sie mich in die Augen gefaßt, als die drey Romanhelden anfiengen da auf der Straße eine Scene und ein Theatergemälde anzulegen, welches lustiger itzt aussieht, da ich es erzähle, als damals, da mein Vaterherz auf diese Art bestürmt wurde – Meine Rolle war auch bald entschieden; ich machte aus vollem Herzen den zärtlichen Vater. Was war anders übrig? und was ist denn am Ende mehr dabey, dachte ich, habe ich sie doch wieder! Gott wird schon weiter sorgen – Ja! ich gestehe es, in diesem Gemüthszustande war ich so zufrieden von allem, daß ich beynahe als der vierte Narr mit ihnen gereist wäre – Und wer mich hier tadelt, mich zu leichtsinnig findet, der ist nie in einer solchen Lage gewesen, der weiß nicht, wie eigene Schicksale und erprobte Veränderlichkeit des eigensinnigen Glücks den Menschen tolerant machen können – Ludwig mag denn Schauspieler werden! Er versuche es, ob dieser Stand in der Nähe so viel Freuden gewährt, als er in der Ferne verspricht, und glückt es nicht; so ist noch immer Zeit weiter zu sorgen. Er ist flüchtig, aber seine Sitten sind gut, und sein Herz edel – Am Ende muß man aus der Noth eine Tugend machen; Ich weiß ihm nicht zu helfen. Allein meine Tochter und mein Schwiegersohn sollen diese Lebensart nicht ergreifen. Der Graf von Haxstädt, mein großmüthiger Freund, bemüht sich kräftigst den alten von der Hörde zu versöhnen, und sein letzter Brief gab mir Hofnung zu glücklichem Erfolge. Ach! wenn das der Himmel wollte – Und ich darf mit Zuversicht hoffen, daß es gelingen wird, sobald der Vater nur erfährt, daß man seinen Sohn wiedergefunden hat. Unterdessen habe ich ihnen ein paar Zimmerchen in Eisenach gemiethet, wo sie vorerst bleiben können. Sie hatten noch Geld, und Ihre Großmuth, mein gnädiger Herr! setzte mich in den Stand etwas hinzuzufügen. Diese mir so wichtigen Geschäfte haben meine Reise um anderthalb Tage verzögert, so daß ich erst eben ankomme, wegen welcher Versäumniß ich unterthänig um Verzeyhung bitten muß, weil ich dadurch abgehalten worden bin, bis itzt in Ihren Geschäften thätig zu seyn. Von morgen an bin ich ganz Ihren Aufträgen gewidmet; Der ich ehrerbiethigst verharre, Meines besten Herrn treuer Diener Müller. 12. Brief Zwölfter Brief. An den Herrn Commerzienrath Müller in Wetzlar. Urfstädt den 1sten Julius 1770. Ihre beyden Briefe 1 , mein guter Freund! habe ich richtig erhalten. Die Erzählung von der Zusammenkunft mit Ihren ältesten Kindern hat mich lebhaft gerührt. Mögten Sie Alle recht glücklich werden! Und das hoffe ich gewiß; denn wie ich höre so scheint auch alles sich zu einer Aussöhnung mit denen von der Hörde anzulassen. Diese Nachricht haben mir Ihre beyden jüngern allerliebsten Knaben, nebst beyliegendem Briefe 2 mitgebracht. Sie sind gestern angekommen und machen mir so viel Freude, daß ich sie bis zu Ihrer Rückkunft bey mir behalten werde. Wenn Sie Geld bedürfen; so sagen Sie es aufrichtig! Ihre erste Nachricht wegen des Processes 3 verspricht freylich nicht viel Gutes. Vielleicht klärt sich aber alles besser auf. Sparen Sie keine Mühe! Es hängt viel, sehr viel von diesem Processe ab; Ich werde Ihnen, so lange ich lebe, dankbar dafür seyn. Leidthal. Fußnoten 1 Der eine derselben findet sich nicht. 2 Dies ist der folgende dreyzehnte Brief, von eben dem Freunde geschrieben, dessen im ersten Theile, Seite 105 am Ende Erwähnung geschieht. 3 In dem fehlenden Briefe. 13. Brief Dreyzehnter Brief. (in dem vorigen eingeschlossen.) An des Herrn Commerzienraths Müller Hochedelgebohren. Amsterdam den 12ten Junius 1770. Werthgeschätzter Freund! Ew. Hochedelgebohren können fest versichert seyn, daß Denenselben ich stets mit gleicher Hochachtung und Freundschaft zugethan seyn werde, und daß mir also jede Versicherung von Dero fortdauernden Gewogenheit so viel Vergnügen gewährt, als ich gestern bey Erhaltung Dero verehrlichten Zuschrift empfunden habe. Denenselben habe heute gute und böse Nachrichten mitzutheilen. Dero Frau Liebste befinden sich würklich unpaß, und müssen das Bette hüten, wie solches Ew. Hochedelgebohren ältester Herr Sohn mit mehrerem melden wird. Dieser wackere junge Mann wird nun gewiß seine Fortüne machen, maaßen sein Patron, welcher gute Geschäfte macht, ihm sehr wohlwill, und, wie es heißt, ihm bald seine einzige Jungfer Tochter überlassen wird, welches eine sehr vortheilhafte Partie ist. Dero Herr Schwager Van Blüm stehen noch so ziemlich unter dem Pantoffel, und dürfen sich also der Sache mit der von der Hördischen Familie nicht, so wie sie wollen, annehmen. Allein man spricht doch davon, daß der alte Vater schon anfange, andre Seiten aufzuspannen, welches von ganzem Herzen wünscht, und in aufrichtiger Freundschaft erstirbt, Ew. Hochedelgebohren ergebenster dienstwilliger Jacob Heinrich Lescow. 14. Brief Vierzehnter Brief. An den Freyherrn von Leidthal in Urfstädt. Maynz den 26sten Julius 1770. Alles geht gut hier, mein bester Herr! Meine Ausrichtungen scheinen geschwinder eine glückliche Wendung zu nehmen, als ich voraus vermuthen durfte, und obgleich mir zuerst manche Leute viel in den Weg legten; so hoffe ich doch in wenig Tagen schon den churfürstlichen Befehl zu Erlösung unsres lieben Gefangenen in die Hände zu bekommen; Eher habe ich nicht schreiben wollen. Gottlob! daß der beste Fürst, der niemand gern in seinem Lande gekränkt sieht, dergleichen Mißbräuche der Gewalt nicht billigt. Durch die beyliegenden Abschriften meiner desfalls gehabten Verhandlungen 1 werden Sie, mein theuerster Herr! am besten von allem unterrichtet werden können – Kurz! der gute arme Herr hat seine Freyheit, sobald erwiesen werden wird, daß die von mir angeführten Umstände wahr sind, und die Untersuchung wird dem Geheimenrath von ... aufgetragen werden – Wenn nur nicht der Tod sich vorher ins Mittel schlägt! – Mein Herz ist getheilt unter Freude und Unruhe. Allerley Nachrichten, die ich von Göttingen bekommen, haben mich heftig erschreckt. Dem jungen Herrn von Hohenau hat die Liebe den Kopf mehr als jemals umgekehrt. Ein Brief, den mir derselbe geschrieben, sagt mir das schon deutlich genug, denn er klagt darinn über unempfindliche kalte Menschen; findet die ganze Welt verdorben, entfernt vom geraden Wege der Natur; findet es abscheulich, daß ein Mensch dem andern, des leidigen Gewinstes wegen, dienen solle. Warum kann man nicht, an der Seite eines treuen Weibes, im ersten patriarchalischen Zustande, sein Feld bauen, sich der wonnevollen Natur freuen, und fern von Städten so in Unschuld und Ruhe dahinwandeln? – So ist sein ganzer Brief, und zugleich habe ich durch einen Freund erfahren, daß er zwey Tage von Göttingen abwesend gewesen ist, die er vermuthlich auf Hundefelds Gut zugebracht, oder nur als ein klagender Schäfer, in den Fluhren umherirrend, nach dem Kirchthurm hin geseufzt hat, der die Ehre genießt täglich von seiner Schönen angesehn zu werden – Ich weiß mir nun wahrlich nicht zu helfen. Soll ich ihm itzt seinen Vater entdecken; so fürchte ich, daß so viel starke Gefühle seiner Seele überspannen und seinen Kopf verwirren. Rathen Sie mir, gnädiger Herr! Ich reise den 3ten August gewiß von hier ab, und hoffe sehnlichst in Göttingen einen Brief mit Verhaltungsbefehlen zu finden, der ich mit treuer Ergebenheit bin, Ihr unterthäniger Diener Meyer. Fußnoten 1 Diese finden sich nicht. 15. Brief Funfzehnter Brief. An den Herrn von Hohenau in Göttingen. ... den 1sten August 1770. Machen Sie Sich gefaßt, mein lieber Freund! einmal wieder einen langen Brief voll Reise-Annecdoten zu lesen! Ich streife wieder nebst meinem Oheim, der mich, wie Sie wissen, theils einer gewissen Verhandlung wegen, theils um mich abzuholen, hier besucht hat, auch schon zweymal in Urfstädt gewesen ist, im Lande umher, besuche Höfe, Städte, Dörfer, sammeln Portraitte, und denke einst ein kleines Werk über diese Reise in einigen Quartbänden auf Pränumeration herauszugeben, ein Werk, das gewiß sogleich aller Orten wird nachgedruckt werden. In meinem letzten Briefe vom vorigen Monathe 1 sagte ich Ihnen, daß wir in häuslichen Geschäften nebst Herrn und Frau von M ... nach ... reisen würden. Das thaten wir denn auch, und holten dieselben auf ihrem Gute ab. Der Major von M ... ist ein guter Mann, nur ein bisgen weibisch, weitläuftig, und unaufhörlich besorgt für seine werthe Gesundheit, ohngeachtet er (wie der blasse Cammerherr L ... zu sagen pflegt) recht eckelhaft gesund aussieht. Die Frau von M ... hingegen hat gerade die Eigenschaften, die Ihrem Manne fehlen, aber nichts von derjenigen Sanftmuth, die billig die Grundlage des weiblichen Characters seyn soll. Es sollte diese Sanftmuth bey Frauenzimmern nie, auch nicht durch ihre lebhaftesten Aufwallungen, verdrängt werden, denn sie ist das festeste Band häuslicher Glückseligkeit. Ueberhaupt wird das schöne Geschlecht mehr durch die gefälligen Tugenden, als durch die hohen, geziert. Das ist die Bestimmung desselben, und den weisen Absichten des Schöpfers gemäß. Viel sanftes Gefühl und ein feiner Verstand passen besser in ein so schönes, weiches und zierliches Gebäude, als ein Herz, das durch nichts erschüttert werden kann, ein tief nachgrübelnder, philosophischer, moralisch-systematischer Geist. Besser übertriebene Lebhaftigkeit (nur muß dieselbe das Gewand der Anmuth haben) als eine immer gleiche Gesetzheit und Ueberlegung bey allen Vorfällen des Lebens. Wenn man die Bestimmung des weiblichen Geschlechts bedenkt; so findet man Ursache genug ihm häusliche Tugenden vor allen andern zu empfehlen. Ich freue mich allemal, wenn ich eine Frau sehe, die beständig unter ihren Kindern leben, und jedes Jahr noch ein neues gebähren mögte. Die Natur hat es so gewollt, daß dies Geschlecht, um mit Freuden seine Bestimmung zu erfüllen, so viel Glück und Ruhm in seiner Fruchtbarkeit sucht, keine Schmerzen fürchtet, und mit starken Banden an seine Sprößlinge geknüpft ist. Nichts ist unangenehmer, als die Wartung eines Kindes im ersten Jahre. Ich habe mich dennoch oft verwundert, wie lebhafte Frauen sich ganze Tage damit beschäftigen, und so ein kleines unappetitliches Geschöpf tragen und pflegen können. Die Frau von M ... hat aber keine Kinder; Vielleicht trägt auch das viel zu der Rauhigkeit ihres Characters bey. Wir kamen des Abends an, und wurden nach einer artigen Mahlzeit in zwey große altfränksche Zimmer geführt. Es traf mich die Reihe in einem Bette zu schlafen, worinn der Graf von Gleichen mit seinen beyden Frauen und einigen Kindern würde Platz gehabt haben. Nachdem ich vermöge eines hohen Stuhls in dasselbe hinauf gestiegen, und nunmehro von weichen Federn bis zum Ersticken umgeben war; konnte ich sogleich nicht einschlafen; Ich hatte aber ein Nachtlicht brennen lassen, und beschauete so rund umher die Auszierungen des Zimmers. Die Bettvorhänge waren mit Holzschnitten gedruckt, und zu Ehren des Kaisers Leopold, hochseligen Andenkens, häufig mit seinem Brustbilde versehen, neben welchem die Fama ihre Posaune hören ließ, und die heiligen Engel so viel Loorbeerblätter ausbreiteten, daß man unzählige beufs à la mode damit hätte schmackhaft machen können. Im Zimmer hiengen auf einer wachstuchnen Tapete, auf welche Papagayen, Weintrauben und Klapprosen, eines um das andre gemalt waren, die Bilder der hohen Vorfahren der M ... schen Familie. Darüber machte ich denn meine Anmerkungen. Solche Familienstücke nemlich haben gewöhnlich ein trauriges Schicksal. Der Herr Gemahl läßt seine Frau im Brautschmucke malen, und hängt das Bild im vergoldeten Rahmen über seinen Schreibtisch. Wenn sie einige Jahre verheyrathet sind, wird das Portrait zu einem Zierrath des Besuchzimmers, mehr des Rahmens als des Gemäldes wegen gemacht. Der Sohn, der das Stück erbt, hält es in Ehren, und henkt es, nachdem er vorher den goldenen Rahmen um sein eigenes Bild gelegt hat, schwarz eingefaßt, über das Camin der Eßstube. In der folgenden Generation wandert das Bild unter die übrigen Familiengemälde, und nach funfzig Jahren muß es sehr glücklich zugehn, wenn nicht auf dem Hausrathsboden der kleine Junker nach dem wohlgeräucherten Portraitte mit dem Blaserohre schießt. Ueber diese Betrachtungen schlief ich allmählig ein, nachdem mir vorher die Eulen manches lange Lüllische Opern-Chor vorgeheult hatten. Den folgenden Tag blieben wir noch dort, und bekamen Besuch von Herrn und Frau von Lylienfeld, einem jungen kürzlich verheyratheten Paare. Die Frau von Lylienfeld ist die Tochter eines redlichen Geheimenraths, von bürgerlichem Stande, der aus zureichenden Gründen, die sich auf die allgemeine Verderbniß der Jugend in .... gründen, seine Kinder etwas strenger als andre Väter in der Zucht und Vermahnung zum Herrn gehalten hat. Daher zeichneten sich dieselben auch vor andern ihres Gleichen aus. Sie ist die Jüngste unter ihnen, und hat die längste Zeit unter der besondern väterlichen Gewalt gestanden. Diese und alle Ungemächlichkeiten, welche die ununterbrochene Gesellschaft eines alten Vaters einem Mädgen, die, in der Blüthe ihrer Jahre, auch zuweilen nach anderm Umgange seufzt, zu geben pflegt, hat sie auf eine Art ertragen, die ihrem Herzen und Verstande Ehre macht. So waren ihre ersten Frühlingstage verstrichen – Doch nicht ganz ungenützt. Die Liebe hatte auch die Thür von des Geheimenraths Bibliothek zu finden gewußt. Oft wenn unsere Demoiselle dem alten Vater eine Abhandlung über die Vergänglichkeit der menschlichen Dinge, über die Bekämpfung der drey geistlichen Feinde, oder eine Deduction des Königs von Preussen über seine Rechte auf Schlesien vorlas; saß der schelmische Cupido auf der Nachtmütze des Alten, und schoß seinen schärfsten Pfeil in des jungen Mädgens Herz. Ihr itziger Mann, der Hauptmann und ein redlicher wackrer Mensch ist, hatte Gelegenheit gefunden, sie zu sprechen, zu lieben, von ihr geliebt zu werden, und den Vater zu gewinnen, welcher der Heyrath nie hat ein Hinderniß in den Weg legen wollen. Aber ein grauer, mürrischer Oncle des Liebhabers, der bey alle tausend Schwern ...! fluchte und schwor, sein Neffe solle eine Adeliche heyrathen, hat des jungen Mannes Wünschen stets seinen Eigensinn entgegen gestellt. Endlich hat eine gewisse Erbschaft den Herr von Lylienfeld in den Stand gesetzt sich der Tyranney seines Oncles zu entziehen. Er hat die Demoiselle geheyrathet, darf zwar dem Oncle nicht vor Augen kommen, lebt aber sehr vergnügt, und wird vom Schwiegervater unterstützt. Tages darauf reiseten wir zusammen ab, und obgleich ich gesagt habe, daß die Frau von M ... nicht viel weibliches hat; so zeigte sie doch hier, daß sie nicht ganz aus der Art geschlagen war, denn ohngeachtet wir früh um sechs Uhr reisen wollten; so war sie doch erst um halb neun bereit. Der Herr von M ... war schon den Tag vorher fortgeritten, die Cammerjungfer nahm also den vierten Platz im Wagen ein, und als wir einstiegen fand sichs, daß man so viel Schachteln und Kästgen hineingestellt hatte, daß wir (die wir unsre Beine nicht wohl abschrauben und in die Tasche stecken konnten) für unsre Markknochen herzlich wenig Platz hatten. Ich nahm mir deswegen, weil ohnehin die Wege so schlecht sind, daß man nicht geschwind fahren kann, die Freyheit, zu Fuß voraus zu wandern. Klippen! nichts als Klippen, hohle Wege, Abgründe, so gieng es bis spät auf den Abend. Als nun bald der Weg anfieng gut zu werden, ich müde vom Gehen war, und wir itzt hätten anfangen können, geschwinder zu fahren, brach ein Rad. Wir banden, so gut wir konnten, einen Baum unter die Kutsche, und hofften auf diese Art, nachdem wir Alle ausgestiegen waren, und den Wagen nachschleifen liessen, die nächste Station zu erreichen; Allein es wollte nicht gehn, und war kein andres Mittel, als auszuspannen, und den Wagen liegen zu lassen, bis man vom nächsten Dorfe ein Rad würde geholt haben. Der Postillon ritt also fort; Ein Bedienter blieb mit der Cammerjungfer beym Wagen; der andre sollte voraus auf der folgenden Station Pferde bestellen, und wir folgten ihm indessen nach; Weil aber die Frau von M ... einen nähern Fußweg durch ein kleines Wäldchen zu wissen glaubte; so steuerten wir dahin. Es war ein trüber Abend, und wir fürchteten Regen, deswegen eilten wir die Station zu erreichen, verfehlten aber im Holze den Weg, und geriethen dadurch in keine geringe Verlegenheit, denn es tröpfelte schon. Indem wir nun immer geschwinder giengen, stiessen wir plötzlich auf fünf Männer, die wir für nichts geringers, als für eine Diebesbande hielten – Sie mogten indessen von uns wohl keine größere Idee haben – Es kam zu gegenseitigen Erklärungen, und man erkannte sich für ehrliche Leute. Allein die Männer versicherten uns, wir wären um anderthalb Stunden aus der Richtung gegangen; Einer von ihnen wies uns auf den rechten Weg. So kamen wir endlich an; naß bis auf die Haut, und sehr ermüdet. Nach und nach folgten denn auch Kutsche, Bedienten, frische Pferde, und alles – »Aber seht nur an, Ihr loses Volk! Da ist meine Haubenschachtel durch das Schütteln unter das Apothekerkästgen gekommen, und in Granatstücken gebrochen. Ihr gebt doch auf nichts Acht. Seht einmal wie die Haube nun aussieht!« – »Desto besser« dachte ich »Jetzt habe ich wenigstens für Ein Bein Platz.« Man stieg ein, und die Reise gieng bis zum Morgen glücklich fort. In H ... frühstückten wir. Hier ist eine schöne Gegend, Ebene, Wasser – Ich athmete freyer – »Herr Postmeister! um Vergebung, wer ist denn die hübsche junge Frau, da gegen uns über, im Fenster?« – »Eine junge Prediger-Wittwe« – Ich glaubte sie liebäugelte mit mir, aber, o Himmel! es galt einem andern Glücklichern, der in der Thür des Nachbarhauses stand – mich sah sie gar nicht. »Verzweifelt! Ich will mich henken lassen, Herr Wirth! wenn sich die beyden Leute nicht lieben« – »Sie müssen sich wohl darauf verstehen, mein Herr! Freylich, man spricht so davon – Aber in allen Ehren.« Weiter! In F ... aßen wir zu Mittag. Die Treppenstufen waren so hoch und schmal – man mußte sich an die Schienbeine stoßen – Ein gebackenes Eyer-Cataplasma, eine Fußbacsuppe, und dazu Bier, mit Ofenruß braun gemacht? »Nein das ist elend! Was hilft nun die Hausapothecke, gnädige Frau! Das Kästgen, das mir die Knöchel wund geschabt hat? Warum nicht lieber einen Flaschenkeller mitgenommen?« Nur fort! Da sind wir im ritterschaftlichen Gebiethe! Ah! la belle chose, que d'être Chevalier! – »Um Vergebung, mein Herr! wer sind Sie?« – »Ich bin der Reichs-Post-Reuter!« – »So? Gut, fahrt nur zu!« – So kamen wir denn endlich an Ort und Stelle, und fanden den Herrn von M ... schon da – Ich ließ jeden seine Geschäfte machen, und suchte mich indessen, so gut ich konnte, zu unterhalten. Die beyden benachbarten kleinen Höfe habe ich besucht. In ... war, während der Cour, Concert. Der erste Violinist spielte wahrlich recht brav, gebehrdete sich aber so abscheulich dabey, daß es mir Mitleiden erweckte. Ich gieng zu ihm, lobte sein Talent, und bedauerte nur, daß ihn das so sehr ermüdete. Er versicherte mich ganz ernstlich, daß kein Instrument ärger die Brust angreife, als die Violine. Bey Tafel sahe ich denselben Mann den Nachtisch auftragen, und erfuhr bald, daß er zugleich Conditor wäre. Meine Nachbarinn an der Tafel sagte mir, es sey sehr bequem für die Durchlauchtige Herrschaft, daß dieser Cammerdiener (denn diese Bedienung versah er auch) zugleich Conditor, Concertmeister und Canzellist sey – In Wahrheit, ein rechtes Cameleon! Unterdessen kann daraus manches qui pro quo entstehen. Wenn er zum Beispiel seines fürstlichen Herrn Haare frisiert, und statt der Pomade unglücklicherweise ein Stück Conditor-Klebewachs ergreift; Wenn er den Violinenbogen aus Versehen, statt mit Calsonium mit Marzipan reibt; so ist das eine böse Sache. Und doch ist das leicht möglich, wie auch daß er einmal aus Zerstreuung in der Canzelley über ein huldreiches Rescript Violino perincipale setzt – Wer kann sicher seyn, die Geschäfte von so viel wichtigen Bedienungen nicht zu vermengen? – Sonst hat mir dies Höfgen ganz wohl gefallen, auch habe ich verschiedene artige Leute dort angetroffen, und unter andern die Bekanntschaft eines Mannes gemacht, der in der That an dem größten Hofe eine gute Rolle spielen würde. Ich redete viel mit ihm über diese Lebensart, und er brachte sehr feine Anmerkungen über diesen Gegenstand vor. Sein Herr liebt ihn vorzüglich, und mich dünkt er besitzt gerade die rechte Art mit Fürsten umzugehn, alle Familiarität zu vermeiden, um sich nie Demüthigungen und üblen Launen auszusetzen, und sich bey seinem Sultan Achtung zu erwerben. Auch weiß er das Publicum immer in dem Wahne zu erhalten, daß er viel über den Fürsten vermag, und daß alle Mühe ihn zu stürzen vergebens seyn würde. Diesemnach wird er nie jemand geradezu versprechen, sich für ihn zu verwenden, theils aus angenommener Demuth, theils auch, weil es mislingen könnte. Geht hingegen eine Sache gut; so weiß er es zu machen, daß man sich immer ins Ohr sagt: »Das hat gewiß der ... gethan.« Dergleichen, keinem Menschen zum Nachtheil gereichende Feinheiten, halte ich bey einem Manne, der einmal in der Laufbahn ist, für sehr erlaubt, verzeyhlich und sogar nothwendig, um nicht aus dem Sattel geworfen zu werden. Dabey bemerkte ich, daß er alle Gelegenheit vermied, mit den übrigen Hofleuten ins Geheim zu reden; er antwortete immer laut, wenn man ihn leise um etwas fragte. Ein Zug gefiel mir hauptsächlich wohl an ihm. Es kam ein Fremder hin, dem eine Dame ein Empfehlungsschreiben mitgegeben hatte, wenigstens hatte sie es ihm unter dem Namen aufgedrungen. Als er aber den Brief dem Hofmarschall übergab, fand sichs, wie ich aus verschiedenen Reden schliessen konnte, daß der Uberbringer mit den schwärzesten Farben in diesem Briefe abgeschildert war. »Es muß ein schlechtes Weib seyn« sagte der Hofmarschall »die fähig ist, einen Menschen so zu hintergehn; und von jemand, der sich nicht scheuet eine solche Niederträchtigkeit zu begehn, verlästert werden, ist schon allein Empfehlung für den Fremden« – Er begegnete ihm also mit Achtung und viel Höflichkeit. Zwey Hofdamen sind an dem Hofe. Die Eine ist ein junges, hübsches, sanftes Mädgen, voll Seele. Sie scheint aber für diese unglückliche Lebensart nicht gemacht, ist zu offenherzig, hat zu viel Character, mit einem Worte, ist zu gut für den Hof. Die andre ist bitter häßlich, hat aber recht den Ton von Persiflage, spricht beständig, sagt nichts, ist vorsichtig, weiß ihre Leute zu unterhalten, von dem was sie gern hören, und hat eine immer gleiche Laune – Der Himmel lasse diese achtzig Jahr am Hofe alt werden, und verschaffe der andern bald das Ziel aller Hofdamen – einen guten Mann. Von dem andern Hofe und meinen übrigen kleinen Lustreisen will ich Sie nächstens unterhalten. 2 Jetzt sind wir wieder in hiesigen Gegenden, und ich kann Ihnen mit Gewißheit sagen, daß ich künftig diese Nachbarschaft von Urfstädt nicht verlassen, und noch fernerhin nicht weit von Ihrem würdigen Pflegevater wohnen werde. Mein Oncle hat das Gut Feldberg gekauft; Das war die Verhandlung, wovon ich Ihnen schrieb. Es ist nunmehro alles richtig, und ich freue mich sehr darüber – Die Post geht ab – Nächstens mehr! – Morgen besuchen wir den Baron Leidthal – Ich umarme Sie in Gedanken – F. von Weckel. Fußnoten 1 Der aber nicht in dieser Sammlung ist. 2 Es findet sich aber darüber weiter kein Brief. 16. Brief Sechzehnter Brief. An den Herrn Meyer in Göttingen. Urfstädt den 1sten August 1770. Die Nachricht, welche Sie mir, mein lieber redlicher Freund! von unsers Carls Gemüthszustande geben, beunruhigt mich nicht wenig. Ich überlasse alles Ihrer Klugheit; denn was ich Ihnen rathen soll, weiß ich wahrlich nicht. Das unergründliche Herz des Menschen, unaufhörlich von unzähligen zarten Fäden der Leidenschaften in Bewegung gesetzt; ist ein Geheimniß jedem, der dies künstliche Gewebe nicht auseinander zu legen versteht – Und wer kann das? Wer anders, als derjenige, welcher, als er den Menschen schuf, in sein Wesen die unendliche Verschiedenheit von feinen Trieben legte, die ihn zum Guten und Bösen leiten, seinen Willen bestimmen, und ihn bald zur Freude emporheben, bald tief in Jammer versinken? Der große Baumeister dieses herrlichen Werks gab uns freylich die Mittel in die Hände, uns und Andre glücklich zu machen. Er gab uns einen freyen Willen, der darinn besteht, daß wir solche Eindrücke entfernen können, die durch öftere Wiederholung den Trieb zu reitzbar machen, der zum Verderben führt. Doch dazu gehört strenge Selbst-Erforschung, und erst darnach können wir Regeln für Andre abziehn. Allein wie schwankend ist nicht diese Kunst? Zerstört nicht, was bey Ihnen die vortreflichsten Würkungen hervorbringt, durch einen sonderbaren Zusammensfluß anderer Umstände, den innern Frieden eines anders organisierten Mannes? Der Mensch, in seinem jetzigen tief gesunkenen Stande der Blindheit, dringt nicht so weit in das Wesen der Dinge, um hier klar zu sehn, und das ist die Ursache, warum so wenig allgemeine Regeln bey der Erziehung, Bildung und Leitung des Menschen zu geben sind. Aber der Schöpfer aller Creaturen, der Herzen und Nieren prüft, beurtheilt uns nach der Reinigkeit unsrer Absichten, fordert nur von dem viel, dem viel gegeben worden ist, und leitet doch alles zum Guten. Darauf, mein Lieber! müssen wir fest bauen, und so wollen wir ruhig zusammen überlegen, was itzt mit unserm Pflegesohne zu machen ist. Reisen Sie immer, sobald es möglich ist, auf das Eichsfeld! In beyliegendem Paquete 1 finden Sie alle nöthigen Documente, zum Beweise des Standes unsers Eingekerkerten. Nehmen Sie seinen Sohn mit dahin! Finden Sie den unglücklichen Vater nicht so krank, als wir Ursache haben es zu fürchten; so verschieben Sie die Entdeckung bis zu einem ruhigern Augenblicke. Ich bitte Sie alsdenn, meinen alten Freund, sobald er befreyet, und im Stande zu reisen seyn wird, durch Ihren neuen Bedienten hierher begleiten zu lassen. Sie mögen nebst unserm Carl auch bald nach Urfstädt kommen, und wir wollen dann sehen, wie wir hier denselben wieder zurechtbringen. Sollte aber mein leidender Freund seiner Auflösung nahe seyn; so dürfen wir dem Sohne die Wonne nicht rauben, seinen armen Vater noch vorher an sein Herz zu drücken, und dann macht vielleicht dies nie empfundene Gefühl seine Seele gegen die Eindrücke einer romanhaften Liebe mächtig. Während Ihrer Abwesenheit hat mir Carl nicht Eine Zeile geschrieben. In meinem letzten Briefe gab ich ihm einige väterliche Vermahnungen. 2 Es scheint aber, als wenn er die Kraft derselben gefühlt hat, ohne sie befolgen zu können, wie es mit so manchen Regeln geht, und als wenn er sich nun scheuet zu bekennen, daß er zu schwach ist, die Weisheit gegen seine Leidenschaft zu Hülfe zu rufen. Noch einmal! Sie werden alles gut machen, und ich erwarte sehnlichst einen Brief von Ihnen. Mein Körper ist schwach, und Ihnen, der Sie mein Herz kennen, gestehe ich es gern, mein Gemüth ist es nicht weniger. Es scheint, als wenn mein unglücklicher Proceß keine gute Wendung nimt. Ich habe gestern durch den ehrlichen Müller eine wettläuftige Auseinandersetzung der Lage dieses Rechtshandels von meinem Procurator in Wetzlar erhalten. Sollte zu keinem Vergleiche Hofnung seyn, sollte mein Gegner die Sache aufs Aeusserste treiben; sollten endlich seine Gründe gerecht erkannt werden; – So würde ich beynahe alles verliehren, was mir das Schicksal an Gütern zugetheilt hat; Und so wenig dies mich für meine Person in Verlegenheit setzt; so sehr würde mein Herz bluten, wenn ich künftig das, was mir zum Wohlthun anvertrauet war, wovon ich so manchem Redlichen mitteilen durfte, aus meinen Händen genommen sehen sollte. Der Himmel wird alles zum Besten lenken – Leben Sie recht wohl! Ich bin ewig der Ihrige Leidthal. Fußnoten 1 Welches hier nicht vorgelegt wird. 2 Man sehe den zehnten Brief. 17. Brief Siebzehnter Brief. An den Freyherrn von Leidthal in Urfstädt. Wetzlar den 10ten August 1770. Mögte ich so glücklich seyn können, Ihnen, gnädiger bester Herr! gute Nachrichten von meinen Ausrichtungen beym Reichscammergerichte zu geben. Allem beyliegender zweyter Aufsatz Ihres Sachwalters 1 wird Ihnen leider! das Gegentheil sagen. Des Herrn von Wallitz Anwalt treibt die Sache aufs heftigste. Er hat Mittel gefunden, sich sehr kräftiger Vorsprache zu versichern, und allem Ansehn nach wird der Handel nicht nur bald geendigt, sondern – mit innigster Betrübniß sage ich es: vermuthlich zu Ihrem Nachtheile geendigt seyn. Doch sind noch zwey Wege der Sache einen andern Ausschlag zu geben, davon der eine in der beykommenden Schrift angezeigt ist, und der andre auf einen Vergleich beruht, zu dem Sie bald möglichst alle Hände biethen müssen, wenn nur mit Ihrem harten, rauhen Gegner irgend etwas ausgerichtet werden kann. Wie sehr diese Angelegenheit Tag und Nacht mein Herz bestürmt, vermag ich nicht Ihnen zu sagen. Es ist aber die Bestimmung des Menschen, daß in dieser Welt Glück und Recht so selten auf die Seite der Jugend und Rechtschaffenheit fallen, und daß gewöhnlich der Mann, der des besten Schicksals würdig wäre, die Vergeltung der Wohlthaten, die er Andern erwiesen hat, nur in sich selbst, in der Belohnung seines Gewissens suchen, und erst den ferneren Preis durch manchen Kampf mit der wiederstrebenden, verfolgenden Bosheit erringen muß. In meine häusliche Geschäfte blickt ein Strahl von Hofnung. Ein geschlossener Brief eines Freundes 2 benachrichtigt mich von der Aussöhnung mit dem alten von der Hörde, welche mein lieber Graf Haxstädt zu Stande gebracht hat. Ich habe sogleich an meine Tochter geschrieben, daß sie mit ihrem Manne zurück nach Amsterdam reisen soll – so wäre denn ein großer Kummer von meinem Herzen abgewälzt. Allein ich bin so sehr an die Vergänglichkeit der Freuden dieser Welt gewöhnt, daß ich bey jedem kleinen Sonnenblicke einen nahen Sturm voraus fürchte, und dieser Sturm wäre würklich schon da, wenn mein theurer Wohlthäter itzt ein Schicksal leiden sollte, das mich, wie mein eigenes, zu Boden schlagen würde. Mein Sohn Ludwig ist Schauspieler – Freude macht mir der Schritt nicht. Zwar bin ich von Vorurtheilen gegen diesen Stand, welcher der bürgerlichen Gesellschaft immer sehr nutzbar seyn könnte, gänzlich frey. Aber doch, so wie die mehrsten Schauspieler itzt sind, und umgeben von Leuten, die nur diesen Stand ergreifen, weil sie sich keiner Zucht noch Ordnung, welche ihnen andre Lebensarten vorschreiben, unterwerfen wollen – gezwungen täglich in fremdem Character aufzutreten – wer wird dabey nicht nach und nach an Gepräge verlieren, wenn er nicht Zeit hat an sein eigenes Ich zu denken? Wenn es wahr ist, daß man durch habitude zum bessern Menschen werden kann; so hat man gewiß Unrecht, wenn man sich zu vertrauet mit Grundsätzen macht, die der Tugend entgegen sind. Zuletzt verliehrt man den Abscheu gegen das Laster, weil man zu bekannt damit geworden ist, so wie diejenigen Leute, die beständig nahe an einem rauschenden Wasserfalle wohnen, zuletzt gar nichts mehr hören. Schon das Lesen der Schauspiele und Romanen kann bey noch nicht ganz gebildeten Menschen die schädlichsten Folgen haben, zumal wenn darinn der Bösewicht wie es denn gewöhnlich in der Welt und in solchen Büchern der Fall ist, eine sehr interessante Seite hat. Ich erinnere mich sehr gut, daß wie ich zum erstenmal Richardsons Clarisse gelesen habe, der feine allerliebste Betrüger Lovelace mir ausnehmend gefallen hat, und daß ich ihm in der ersten Empfindung alle Ränke verziehen habe. Bey einem Schauspieler ist diese Gefahr sehr viel größer. Wie kann derjenige Zeit haben, Fertigkeit in der Tugend zu erwerben, der das ganze Jahr hindurch einen Böse wicht, Wollüstling, Windbeutel, oder dergleichen vorstellen, und wenn er seine Rolle gut spielen will, sich dieselbe ganz zu eigen machen muß? Unterdessen mag Ludwig, der doch gute Grundsätze hat, sein Glück eine kurze Zeit da versuchen. Vielleicht setzt mich die Versorgung meiner beyden ältesten Kinder bald in den Stand besser zu rathen. Ich küsse Ihnen die Hände, bester Herr! Wenn ich im Stande bin, etwas Nützliches in Ihren Geschäften auszurichten; so zweifeln Sie nicht an meinem Eifer. Ich erwarte Ihre Befehle, und bin bis in den Tod Ihr treu ergebenster Diener H. Müller. Fußnoten 1 Auch dieser ist nicht beygefügt. 2 Der folgende. 18. Brief Achzehnter Brief. An des Herrn Commerzienraths Müller Hochedelgebohren. Amsterdam den 29sten Julius 1770. Ew. Hochedelgebohren habe eine überaus angenehme Nachricht zu ertheilen. Die Aussöhnung mit dem Herrn von der Hörde ist, zu unser Aller herzlichen Freude, glücklich zu Stande gebracht, als wozu ich aufrichtigst gratuliere. Es liesen mich nemlich gestern früh die Frau Liebste zu sich bestellen, und fand ich Dieselben in der That in sehr schwächlichem Gesundheitszustande, im Bette liegend. Wir hatten nicht lange zusammen von den vorwaltenden Umständen geredet, als sich der Herr Graf von Haxstädt melden liessen, auch sogleich Entree bekamen. »Ich komme mit fröhliger Bothschaft, Madame!« sagten der Herr Graf, und erzählten uns hierauf, wie der alte Banquier von der Hörde endlich nachgegeben und versprochen habe, Dero vielgeehrte Jungfer Tochter für seine Frau Schwiegertochter zu erkennen, seinem Herrn Sohn zu verzeyhen, und absolut alle odiosa zu vergeben und zu vergessen. Ich kann in der That sagen, daß dies das erstemal war, wo ich die Frau Commerzienräthinn attendrirt und bewegt gesehen habe. Würklich standen derselben die Thränen in den Augen, und sagten sie diese bedenklichen Worte: »Ach Herr Graf!« sagten sie »wie viel Dank bin ich Ihnen nicht schuldig! Nun darf ich doch wieder vor rechtlichen Leuten die Augen aufschlagen. Aber, wer weiß, wie lange ich diese Freude geniessen werde? denn ich fühle mich sehr schwach.« Es dauerte nicht lange; so kam, zu meiner großen Verwunderung, der alte von der Hörde auch, und bezeugte sich so freundlich, als ich wahrlich nicht geglaubt hätte, daß er seyn könnte. Er verehrte der Frau Liebsten eine Schnupstobacksdose von versteinertem Holze mit Gold eingefaßt, und bath uns Alle auf den Mittag zu einem delicaten Gericht Fische zum Essen, welche Partie wir denn auch annahmen, wovon aber leider! die Frau Commerzienräthin nicht profitieren konnten. Ich bedaure, daß hier bekennen muß, daß mir besagte Gesundheitsumstände sehr bedenklich vorkommen, obgleich die Freude über die glückliche Aussöhnung, der Frau Liebsten einige Erleichterung verschaft hatte. Ew. Hochedelgebohren, meinem hochgeehrtesten Freunde, habe diesen angenehmen Vorgang zu melden, nicht verfehlen wollen, wie solches der Herr Graf wohl in Mehrerem thun werden; Der ich übrigens mich und die Meinigen zu beharrlicher Wohlgewogenheit empfehle, verharrend, Deroselben dienstwilliger treuer Diener J. Lescow. 19. Brief Neunzehnter Brief. An den Herrn Baron von Leidthal in Urfstädt. Göttingen den 12ten August 1770. Gestern erst bin ich hier angekommen, und habe den Befehl, den Leidenden, nach vorhergehender Untersuchung, zu erlösen, mitgebracht. Ich hätte schon vorgestern kommen können, wenn nicht die Wege von Friedberg aus bis Cassell, auch mitten im Sommer bey dem geringsten Regen, so schlecht wären, daß man nicht fortkömmt. Meinen jungen Herrn habe ich unbändiger gefunden, als ich erwartet hatte. Er hat sich, während meiner Abwesenheit, einen Freund zugesellt, der seiner Gemüthsverfassung beständig neues Feuer giebt. Dieser Freund ist ein schwärmerischer junger Mann, dem die Welt zu enge ist, der es übel nimt, wenn der Schöpfer nicht jedem Menschen, der ein bisgen Gefühl hat, Millionen zu verschwenden anvertrauet, damit er das erste das beste holde Mädgen (wäre es auch ein liederliches Cammerkätzgen, die er in dem Brande seiner Phantasie für das höchste Ideal von Unschuld hält) mit seiner Hand, und jeden irrenden Ritter mit seinem Geldbeutel glücklich machen kann. Nun haben sich beyde kranke Jünglinge einander so verdorben, daß ich nicht mehr weiß, was ich mit meinem Zöglinge anfangen soll. Mit solchen Leuten ist schwer zurecht zu kommen. Will man nicht in ihren läppischen Ton stimmen; so glauben Sie, man sey ein Mensch ohne Gefühl. Sie übersehen die ganze Welt, und sehen doch oft einen Nadelknopf für einen vom Himmel gefallenen Trabanten des Jupiter an, finden alles schön, was nur übertrieben, unverständlich, und ausserordentlich ist; glauben, daß Schwärmerey Stärke des Geistes sey, da sie doch Krankheit der Seele ist, und der seichteste, schaalste Kopf schwärmen kann, es auch viel leichter ist einer selbst geschaffenen idealischen Welt nachzulaufen, als mit Ruhe, Muth und Würde zu tragen und zu leiden, was man aus der würklichen Welt nicht wegzuräumen vermag. Schwärmerey ist aber von edlem Enthusiasmus so weit entfernt, als gesunde Wärme von Fieberhitze. Ohne Enthusiasmus bringt man es nie zu etwas Großem, Schwärmerey hingegen macht zu allem ungeschickt. Man zeige mir den Mann, der sich durch hervorleuchtende große Thaten ausgezeichnet hat, und der zugleich ein Schwärmer gewesen wäre! Aber die Maske der Schwärmerey hat freylich mancher, der Epoche gemacht hat, angenommen, und das deswegen, weil nichts leichter ansteckt, als eben dies, und weil man alsdenn die Menschen nicht mehr zu fürchten braucht, wenn man ihnen erst den Kopf verwirrt hat. 1 Indessen ist verliebte Phantasie vielleicht die verzeyhlichste von allen. Sie verdient am mehrsten Mitleiden, weil sie aus zu großer Nachsicht gegen den natürlichsten und edelsten, aber auch gefährlichsten aller Triebe entsteht. Kenne ich sie nicht, diese unglückliche Leidenschaft? Habe ich nicht selbst genug durch sie gelitten? – Neque enim ignari fumus ante malorum. Zwey Wege sehe ich für den Herrn von Hohenau übrig. Er muß sich entweder jetzt in den Stand der heiligen Ehe begeben (und das werden Sie, mein gnädiger Herr! doch wohl nicht gut finden) oder weit von hier auf eine andre Universität gehn – Doch darüber Ihnen meine unterthänige Vorschläge zu thun, verspare ich auf eine andre Zeit. Wir reisen morgen früh aufs Eichsfeld. Gott weiß, ob ich den guten Herrn noch lebend antreffen werde, oder nicht, und wie ich es mit dem Sohne halten soll – Noch nie ist mein Kopf so verwirrt, mein Herz so bedrängt gewesen – Ihr Proceß, mein bester Herr! – Kaum wage ich es darnach zu fragen – O! mögten meine Wünsche erfüllt werden! – Es sind Wünsche des treuesten Herzens, das Ihnen ewig gewidmet bleiben wird, von Ihrem unterthänigen Diener Meyer. Fußnoten 1 So war es mit Mahomed, Cromwel, Z ... f, E ... n, R ... z, und andern. Eine Religionssecte, eine geheime Gesellschaft, eine Verbrüderung, eine Weisheitsschule, die zuerst ihre Zöglinge zu Schwärmern macht, beruht zuverlässig auf Betrug. Wer seinen Unterricht damit anfängt, mir Dinge vorzutragen, die den Resultaten der mir vom Schöpfer verliehenen gesunden Vernunft wiedersprechen, hat gewiß die Absicht mein Gehirn zu verwirren, damit ich ihm nicht in die Karte schauen soll. Will man mir Geheimnisse vortragen; so müssen es solche seyn, die meinem Verstande zu Hülfe kommen; nach und nach erläutern, was ich sonst nur halb verstand; mich aufklären, nicht betäuben; und umgekehrt: Diese Geheimnisse können über meine Einsicht seyn, aber sie müssen nicht mit gesunden Begriffen streiten. Man soll nicht mir so lange Unsinn vortragen, bis mein umwölkter Kopf ihn zu verstehen glaubt; sondern man soll von einfachen verständlichen Sätzen bis zu den abstracten fortschreiten; so daß ich in dem Folgenden stets die Bestättigung des Vorhergehenden finde. Der erste Schritt zu höherer Erkenntniß, ist Berechtigung der gewöhnlichen Erkenntniß. Diese gewöhnliche, allen Menschen gemeine Erkenntniß, ist gewiß der Maaßstab der Weisheit. Sie kann mit Vorurtheilen überladen, aber ihr Grund kann nie gänzlich falsch seyn, denn sonst wäre der Schöpfer ungerecht, der das ganze Menschengeschlecht so verstimmt hätte. Wenn diese Anmerkung am unrechten Platze steht; so ist sie doch nicht weniger wahr, und die, für welche sie geschrieben ist, werden schon wissen, wohin sie zielt. A.d.H. 20. Brief Zwanzigster Brief. An den Herrn von Hohenau in Göttingen. ... den 19ten August 1770. Wir kommen eben von Urfstädt, mein lieber Freund! wo wir der glänzenden Hochzeit der ehr- und tugendsamen Jungfer Sievers beygewohnt haben. Der Baron Leidthal, der nun einmal weiß, daß ich ein Mensch bin der bey dergleichen Festen zu gebrauchen ist, ließ uns, meinem ehrlichen Oncle und mich, vor einigen Tage dazu einladen. Wir kamen des Sonntags früh an, und fanden den guten Leidthal schwächlich aussehend – Sagen Sie mir, was fehlt dem lieben Manne? Die Tage hindurch, da wir bey ihm waren, kam er mir äusserst niedergeschlagen vor, da ich doch sonst eine immer gleiche Gemüthsruhe an ihm gewöhnt bin. Wir giengen Alle in die Kirche, und hörten von Ihrem redlichen, guten Pfarrer eine wahrhafte Herzenspredigt – Das ist ein Mann, wie ich ihn gern habe – Da war keine künstliche Beredsamkeit, voll Blumen und poetischer Bilder, wie sie meine Phantasie zu Hause mir besser erfinden würde; Da war keine gelehrte dogmatische Abhandlung, aus den Werken sophistischer Dummköpfe zusammen geschmiert, wel che die heilige Religion, die ganz für das Herz gemacht ist, auf kalte Vernunftschlüsse zurückführen, und mir in verwickelten Beweisen darthun wollen, was ich als Knabe schon fühlte, wenn ich mich der schönen Welt freuete, die ganz von Ihm voll ist, dessen Liebe alle Creatur umfaßt; Da war kein Informator-Ton, kein Schreyen über Verderbniß der Welt, die immer, so wie sie itzt gewesen ist, bleiben wird; Kein Schimpfen auf Laster, die nur durch Sanftmuth, Geduld und Beyspiel gemindert werden – Nein! es war eine einfache, sanfte, gefühlvolle, ungekünstelte Beredsamkeit des Herzens, voll Liebe und Wärme, ohne Declamation, Ereiferung, Prahlerey und Uebermuth – Ich hätte den Mann an meine Brust drücken mögen, der ganz in dem Geiste der Apostel die Lehre verkündigte, die nicht Menschen gegen Menschen erbittert noch empört, sondern die Guten näher an einander kettet, daß sie sehen und fühlen, wie freundlich der Herr ist, der seine Sonne aufgehn läßt über Böse und Gute – Wir speiseten des Mittags in großer Gesellschaft bey Ihrem Pflegevater – Der Henker weiß, wo er alle die Amtmänner, Stadtphystci und Commißionsräthe aufgetrieben hatte! Es war ein ganzes Magazin von Perücken in allerley Formen, wie sie nach und nach in Frankreich Mode geworden waren, von des Ministers Colbert Knotenperücke an, bis auf eine Atzel von Eisendrat, wie sie etwa ein Commis der Régie trägt. Ich saß zwischen einer wohl gemästeten Commißionsräthinn und einer kleinen zusammengeschrumpften Doctors-Frau, mit einer niedrigen, schwarzen, wollenen Haartour. Die Eine redete immer vom Wetter, und die Andre fragte mich, ob ich die Anatomie in Königsberg gesehn hätte? Des Herrn Commißionsrath Sohn, der Fähndrich, war auch mitgekommen – ein ungeschickter Lümmel der, wie es schien, den Werth eines Officiers darinn setzte, unverschämt, unwissend, und vorwitzig zu seyn, und alle übrigen Stände für klein zu halten. Von zwey bessern Gästen verspare ich mir das Vergnügen, nachhero zu reden. Nach Tische überraschte uns auf eine angenehme Art der allerliebste Cammerjunker von Morgenschütz. Er trat mit seiner gewöhnlichen Selbstgenügsamkeit herein; sprach ein Wort um das andre französisch und deutsch; bath uns Alle, zu thun, als wenn er nicht zugegen wäre; begegnete niemand mit einiger Achtung als den Wirth vom Hause; sprach beständig von wichtigen Dingen, die keinen von uns intereßierten; wußte unerhört viel Annecdoten von Personen, die wir nicht kannten – »Dies hatte ihm der Fürst gesagt, jenes der Minister en confiance vertrauet – Gestern als er mit der Fürstinn allein in dem Schloßgarten spatzieren gieng, begegnete ihm der – Ueber ein gewisses Projèt dürfe er sich noch nicht erklären – Der Canzler sey ein frommer Mann, voll Préjugés, wie ein Dorfprediger – In Berlin sey jetzt eine herumziehende Bande, un spećtacle allemand, c'est tout dire – Mit dieser Sache würde es gewiß gut gegangen seyn, wenn der Fürst seinen Rath befolgt hätte – Er leiste gewiß keinem Menschen des mauvais offices « – Doch wir wollen den Narren laufen lassen – Und Sie kennen ja alle diese Originale – Um vier Uhr gieng denn die Cäremonie vor sich. Die Jungfer Braut hatte einen gelben damastenen Schlenter von der seligen Baronesse von Leidthal an, und dabey rosenfarbene Bandschleifen. Der Perückenmacher Haberkorn, der die ganze Nachbarschaft mit seinen Kunstwerken versieht, hatte sie, in halb Menschen- halb Pferdehaaren aufgesetzt, und wacker eingepudert. Christoph Birnbaum war von seinem guten Herrn mit einem Scharlachkleide nebst grüner Weste beschenkt worden. Auf dem Rocke war der Platz, wo die Cammerherrnknöpfe und der Stern gesessen hatten, noch deutlich zu sehn. Nach der Trauung, während welcher die theure Braut, wie ein Schloßhund, heulte, versammlete sich in des Verwalters Wohnung die ganze Gesellschaft, und eine artige Collation erwartete sie daselbst. Unter den hohen Anwesenden waren Schreiber, Schulmeister mit ihren Weibern, und andre; Lauter artige Leute, welche zuletzt recht laut und fröhlich wurden. Wir giengen ab und zu, und mischten uns von Zeit zu Zeit unter sie. Ich bemerkte gern, wie das junge Paar sich mit derjenigen Würde zu betragen wußte, die ihm seine Standeserhöhung und des Herrn Barons Schutz einflößte. Der Schulmeister aus Urfstädt machte allerley lustige Schwänke, zu Ehren der Jungfer Braut, unter andern schnitt er aus einer Pflaume ein Wickelkindchen. Auch trank er allerley witzige Gesundheiten, als: »Was den Muth stärkt, und zum Herzen geht« »Ueber ein Jahr um diese Zeit« »Auf eine unruhige Nacht« u. d gl. Ferner hatte er den geschlungenen Namen von Braut und Bräutigam mit Kohlen auf seine Hand gemalt, und drückte das seinem Vetter, dem Cammerscribenten, vor die Stirn. Gegen sieben Uhr fieng man an zu tanzen, und zwar nicht blos landmäßig, sondern auch englische Tänze. In der Zwischenzeit speiseten wir Alle an einer großen Tafel, und dann endigte sich um Mitternacht das Fest in Ordnung und Fröhligkeit. Jetzt will ich Ihnen sagen, wer die beyden Gäste waren, von denen ich vorhin redete. Herr und Madam Becker waren es, welche auch eingeladen und erschienen waren. 1 Glauben Sie mir, diese Leute intereßieren mich ungemein. Von ihrer Geschichte weiß ich wenig, aber das Wenige ist sonderbar genug. Madam Becker hatte in ihrer Jugend einen Menschen geliebt, der mit ihr aufgewachsen war. 2 Die Eltern aber hatten, wie es scheint, in diese Heyrath nicht willigen wollen, sondern die Tochter gezwungen einen Andern (ihren jetzigen Mann) zu heyrathen, für den sie keine Neigung hatte. Daher lebten sie vermuthlich in den ersten Jahren nicht sehr vergnügt von beyden Theilen, und das Mistrauen des Herrn Beckers, als wenn seiner Frauen Herz noch von der ersten Liebe voll seyn, und sie vielleicht gar ein geheimes Verständniß mit dem Freunde ihrer Jugend unterhalten mögte, bewog ihn, in eine ferne Gegend zu ziehn. Er nahm sogar einen fremden Namen an, riß sich von allen bisherigen Verbindungen los, und nachdem er so von seinem Vermögen, das hinreichend seyn soll ihn zu unterhalten, in verschiedenen Städten gelebt hatte, zog er endlich mit seiner Frau in diese Gegend. Die Gewohnheit mit einander umzugehn, nachgebende Gefälligkeit der Frau, und die Uebereinkunft ihrer Denkungsart, welche zuletzt durch Herabstimmung von beyden Seiten, und Abschleifen der rauhen Ecken ihrer Charactere entstanden ist, hat in ihre Ehe nach und nach eine conventionelle Glückseligkeit gebracht, und ich bemerkte nicht, daß unzufriedene Blicke unter ihnen gewechselt wurden. Ueberhaupt glaube ich, daß es mehr glückliche Ehen giebt, als man gewöhnlich meint. Eine gewisse idealische Glückseligkeit, auf welche man überhaupt in dieser Welt Verzicht thun muß, kann man auch hier nicht erwarten. Das erste Feuer der Liebe, das durch Schwierigkeit, Ungewißheit, Neuheit, seinen Reiz bekömmt, fällt wohl unter Eheleuten nach und nach weg; aber es tritt an dessen Stelle eine ruhige Wärme, die durch gegenseitige Gefälligkeit, Treue, verbundenes Interesse, Gewohnheit, Gemeinschaft im Guten und Bösen, unterhalten wird; und da wird manche sonst unangenehme Sorge zu einem neuen Bande. Selbst die Eifersucht ist dann oft ein Glied in der Kette häuslicher Glückseligkeit, freylich nicht die grobe, unvernünftige Art Eifersucht, sondern die zu rechter Zeit in Bewegung gesetzte zärtliche Besorgniß: man könnte ein Herz verliehren, das uns so theuer, so nothwendig geworden ist. Ja! Ich bin überzeugt, daß Personen von ganz entgegengesetzten Temperamenten sehr zufrieden, vielleicht zufriedener als solche, die Sympathie vereint hat, wenigstens nach ein paar Jahren Zeit, mit einander leben können. Wenn sie vernünftig sind, so werden sie bald einer des andern Schwachheiten ertragen können. Die kleinen scharfen Ecken stoßen zuerst hie und da einmal zusammen, aber sie reiben sich bald ab, wenn sie irgend biegsam sind, und sind ja einige zu harte Stellen da; so weiß man sie so zu drehen, daß der Freund nicht dawieder rennt. – Ich glaube, mein junger Herr! daß Sie gern etwas von häuslicher Glückseligkeit hören, deswegen schreibe ich dies. Nun will ich aber aufhören. Leben Sie wohl, und lieben ferner Ihren ergebensten Diener v. Weckel. Fußnoten 1 Man sehe im ersten Theile den ersten Brief, Seite 27 unten. 2 Was gilt's, das ist die Wilhelmine, von welcher im ersten Theile im eilften Briefe, S. 122, Meyer Erwähnung thut? Wie doch in den Romanen die Leute zusammenkommen! 21. Brief Ein und zwanzigster Brief. An den Herrn Hauptmann von Weckel. Urfstädt den 21sten August 1770. Es hat mir weh gethan, mein lieber Freund! daß Sie gestern nicht zu mir kommen konnten; Ich hätte Sie so gern gesprochen! – Wenn man etwas auf dem Herzen hat; so ist kein süßerer Trost, als einem Freunde sein Leiden zu klagen. Ich habe recht viel auf dem meinigen, und bin jetzt ganz allein. Dazu weiß ich, wie lebhaften, herzlichen Antheil Sie an allem nehmen, was mir begegnet, und wie gütig Sie meine Freunde als die Ihrigen betrachten. So will ich Ihnen denn wenigstens schriftlich erzählen, was ich Ihnen mündlich klagen wollte, wovon mich aber Ihre und meine Unpäßlichkeit abhält. Ich erhielt gestern einen Brief von Meyer, 1 auf dem Eichsfelde geschrieben, mit der traurigen Nachricht von meines Freundes Tode. Eben in dem Augenblicke, da ich diesen ersten Gespielen meiner Jugend, nach langjährigem Trübsal in meine Arme zu schliessen, und noch ein paar glückliche Jahre mit ihm zu verleben hoffte, wird er mir, für diese Welt, entrissen. Meyer kam mit meinem Carl den 13ten Abends auf das Eichsfeld, und ihre erste Sorge war, wie man den ken kann, sich nach dem armen Gefangenen zu erkundigen. Sie erfuhren, er sey sehr schwach, und werde schwerlich noch ein paar Tage leben. Nun zeigte Meyer den Befehl des Churfürsten, den Leidenden, bis zu vollbrachter Untersuchung, in eine bequeme Wohnung zu führen. Dies schien einigen Herrn nicht zu gefallen, und sie brauchten allerley Vorwand die Fremden abzuhalten, den Unglücklichen zu sehn, obgleich sie sich äusserlich ganz gleichgültig bey dem Handel und der bevorstehenden Untersuchung stellten. Den 14ten führte man endlich meine beyden Abgeordneten in den Kerker, und da gab es einen Auftritt, den der geschickteste Maler nur schwach darstellen würde. Meyer fand es nöthig, den jungen Hohenau vorzubereiten, seinen sterbenden Vater in dem Gefangenen zu umarmen, aber der Jüngling gerieth darüber in einen Gemüthszustand, der alle Anwesenden in Furcht und Schrecken setzte. Er stürzte sinnlos in das Gefängniß und – noch einmal! was für eine Scene da vorgieng, bis zu dem Augenblicke, da der Vater verschied, daran vermag ein zärtliches Herz nicht ohne Wehmuth zu denken. Carl hatte nie, auch nur eine dunkle Ahndung gehabt, daß sein Vater noch lebe – Ihn hier, in dem Zustande, mit gebrochenen Augen wiederzufinden – und dabey das Herz durch die heftigste Leidenschaft der Liebe in Aufruhr gebracht – Zum erstenmal in seinem Leben den Urheber seines Daseyns in diesen Umständen an seine Brust drücken – den ersten väterlichen Segen von sterbenden Lippen auffangen zu müssen – Ach! mein Bester! denken Sie, wie traurig das war – Mein alter Freund starb, wie er gelebt hatte, mit einem liebevollen Blick in die Welt zurück, in der er doch viel Tage des Trübsals, und so wenig Wonne erlebt hatte – Er zog seinen von Schmerz erstarrten Sohn, mit schwacher Hand zu sich her – Seine verlöschenden Augen glänzten noch einmal von stummer Freude – Er hob sie zum Himmel empor, und es war, als wenn seine Lippen sich bewegen wollten – Aber sie versagten ihm den letzten Dienst – Sein heiliges Gebeth sollte durch keine irdischen Töne mehr entweiht werden – In der Sprache der Verklärten brachte es der Zeuge des Herrn, sein Engel, vor den Thron des Allmächtigen, vor dem er itzt steht – Dort wo kein Kummer, kein Geschrey mehr ist – Von geprüften Freunden umgeben, lobt sein von den groben Banden erlöster Geist den Vater, der ihn in seinem Prüfungsstande den einzigen Weg gehn ließ, der ihn zu dieser höheren Vollkommenheit führen konnte – Mein Herz ist zerrissen, von sehr viel traurigen Vorstellungen zerrissen – Was mache ich mit meinen Carl? Das beste wird doch seyn, ihn bald zu mir kom men, und ihn, nach einem kurzen Aufenthalte, wenn der erste Schmerz überwunden seyn wird, eine Reise thun zu lassen. Mein sterbender Freund hat, während seiner Gefangenschaft, die Erzählung seiner letzten Leiden stückweise aufgeschrieben. Das Manuscript fand man; Er zeigte nemlich auf den Ort, wo es verborgen lag, und Meyer bemächtigte sich desselben, alles Wiederstrebens der Anwesenden ohngeachtet. Noch ist es nicht in meinen Händen, aber mich verlangt sehnlichst darnach. 2 Könnten Sie nicht, mein lieber Freund! in diesen Tagen zu mir kommen? Ich hoffe doch nicht, daß Ihre Unpäßlichkeit von Bedeutung ist, und ich habe Ihnen sehr viel Dinge zu sagen, deren Mittheilung mein Herz erleichtern wird. Empfehlen Sie unterdessen dem würdigen Herrn Oncle bestens, Ihren treuen Freund Leidthal. Fußnoten 1 welcher aber nicht eingerückt ist. 2 Diese Handschrift, welche eine gewisse innere Einrichtung schilderte, wird nicht im dritten Theile vorkommen obgleich dies anfangs der Plan war. Der Herausgeber befürchtet, ein Stand, für den er die aufrichtigste Verehrung hat, mögte durch das Bild einiger seiner Mitglieder, deren es doch in allen Ständen gute und schlechte giebt, beleidigt werden. 22. Brief Zwey und zwanzigster Brief. An den Freyherrn von Leidthal in Urfstädt. Göttingen den 1sten September 1770. Zu Ihnen, mein ewig geliebter, theurer Wohlthäter! fliehe ich, um Ruhe für das kummervollste, tief gekränkte Herz zu suchen. Wer würde sich auch meiner annehmen, wenn Sie es nicht thäten? – Ich habe ja keinen Vater mehr. Gott ließ mir nur seiner liebevolle Gestalt einen Augenblick erscheinen, und entriß ihn mir dann wieder – Wollen Sie denn nun ferner mein Vater seyn? Wollen Sie Ihren Carl nicht verstoßen? Wollen Sie aber auch Nachsicht mit ihm haben? – Ach! ich bin nicht mehr, wie ich einst war, heiter, frey, fröhlig in der Welt. Nie gekannte Gefühle, traurige Ahndungen, unbezwingliche Leidenschaft bestürmen meine arme Seele – Bald mögte ich fliehen, weit hin, von der Erde weg, fliehen, meinem unglücklichen Vater nach, den kein Kummer mehr nagt – Und dann wieder, wenn ich bedenke, wie wenig man braucht, um in einem unbekannten Winkelchen der Welt glücklich zu leben; so mögte ich in einen solchen Winkel hinflüchten, wo niemand nichts weiter von mir hören sollte – Ich weiß es wohl, dieser Ton wird Ihnen misfallen – aber ich kann nicht anders – Vielleicht klage ich nicht lange mehr – O! Verlassen Sie mich nicht; haben Sie Mitleiden mit mir Verwaiseten, den Sie mit liebreicher Hand erzogen, und zur Tugend geleitet haben! – Haben Sie ferner Geduld mit mir! Ich will ja gern an mir arbeiten, und meinen Kummer geduldig ertragen lernen – Glücklich werde ich doch wohl nie seyn – Wie kann ich es seyn, in einer Welt, wo Lieben ein Verbrechen ist, wo man sich nicht mehr nach einer Gehülfinn umsehn soll, bis die schönsten Jahre vorüber sind, und das Herz hart, kalt, und gefühllos geworden ist? Wenn Sie nur den Engel kennten, dessen Bild unauslöschlich in meine Seele gedrückt ist – Sie selbst würden sie lieben – Auch kann ich sie nicht vergessen, werde sie nie vergessen. Aber, bester Pflegevater! flehendlichst bitte ich Sie, lassen Sie mich eine andre Lebensart ergreifen! Lassen Sie nicht mehr meinen Kopf in der unbedeutenden, trocknen Jurisprudenz grübeln, die den Menschen weder gerechter, weiser, noch besser macht – Was sind alle Wissenschaften, die nur die kläglichen Verderbnisse des Menschen, Neid, Hader, Eitelkeit, Hochmuth, Geiz und Bosheit erfunden haben? Lieber will ich Brod und klares Wasser geniessen, als durch diese Wege mein Glück machen – Auch glückt es mir nicht. Gott weiß, woher es kömmt, aber mit aller Anstrengung lerne ich doch in dem Fache nichts – Und was ist denn auch der elende Ballast von Gelehrsamkeit dieser Welt werth? Lindert er wohl auch nur im mindesten die Schmerzen eines verwundeten Herzens? Klärt er uns im mindesten über unsre künftige Bestimmung auf? – O! zürnen Sie nicht, aber ich rede, wie ich es fühle – Ich will ja keine glänzende Rolle in der Welt spielen – Lassen Sie mich Ihren Verwalter seyn; ich will Ihnen treu und freudig dienen, und geben Sie mir dann die Freundinn meines Herzens; so will ich Sie ewig, wie meinen eigenen Vater lieben und verehren – Und thue ich das nicht schon? Habe ich Ihnen nicht alles zu danken? Kann ich je aufhören, im Leben und im Tode zu seyn, Meines Wohlthäters gehorsamster Sohn? Carl. 23. Brief Drey und zwanzigster Brief. An den Herrn von Hohenau in Göttingen. Urfstädt den 16ten September 1770. Es wundert mich nicht, mein lieber Sohn! daß Du itzt in einem so verwirrten und beklommen Gemüthszustande bist, und ich wünschte nur, Du mögtest von mir versichert seyn, daß ich mich ganz in Deine Lage zu setzen, und mit Dir zu fühlen weiß, was Du leidest. Vergebens würde ich Dir vorstellen, wie viel tausend Menschen unglücklicher als Du sind – Das ist wohl immer ein schwacher Trost für jemand der Kummer hat, wenn man ihn noch mit der Erinnerung an fremden Jammer peinigt. Aber doch ist etwas darinn, das uns beruhigen kann, und dies Etwas ist die Ueberlegung, daß wenn die Vorsehung auch bessere Menschen prüft, wir in einer künftigen Welt Güter zu erwarten haben müssen, die hier so sparsam ausgetheilt sind – Und wer sagt, daß sie so ganz sparsam ausgetheilt sind? Noch habe ich nicht gesehn, daß ein Mensch, ohne sein Verschulden, unaufhörlich sein Leben hindurch, wahrhaftig unglücklich gewesen wäre, und immer habe ich gefunden, daß auf eine traurige Periode glückliche Begebenheiten folgen. Baue fest auf die Vorsehung, und verzage nicht, wenn Du ein Mann und ein Christ seyn willst. Und wenn ich Dir nun gar beweisen wollte, daß Du würklich nicht unglücklich wärst; was würde es helfen? Noch ist Deine Vernunft nicht unbefangen genug, um dies unpartheyisch abzuwägen. Komm also, sobald Du kannst, mit Deinem Freunde zu mir; Das ist alles, warum ich Dich heute bitten kann. Hier will ich Oel in deine Wunden giessen, so viel ich vermag. Wir wollen auch ruhig zusammen überlegen, was in der Folge für Dich zu thun ist. Findest Du es dann nach einigen Wochen noch immer rühmlicher, die Talente, die Dir Dein Schöpfer zum Dienste Deiner Nebenmenschen gegeben hat, in einen engeren Circul zu vergraben; Fährst Du fort zu glauben, daß Du nicht anders glücklich seyn könnest, als wenn Du schon als Jüngling die Bestimmung eines Mannes erfüllest – Ey nun! so wollen wir sehn, was sich thun läßt. An meiner Liebe soll es Dir wahrlich nie mangeln, und das Schicksal, was mir der Himmel beschehrt, will ich als ein treuer Vater mit Dir theilen. Ich erwarte, so bald als möglich, Dich in meinen Armen zu sehn. Leidthal. 24. Brief Vier und zwanzigster Brief. An den Freyherrn von Leidthal in Urfstädt. Wetzlar den 14ten September 1770. Herzlich wünschte ich, Ihnen bester Herr! gute Nachrichten mitbringen zu können, aber – ich habe deren nicht. Ihre Sache wird in acht Tagen entschieden seyn, (das weiß ich aus sicherer Hand) und leider! zu Ihrem Nachtheil entschieden seyn; Sie müßten denn, ehe die Nachricht davon an Ihre Gegenpartey kömmt, durch einen Vergleich vorzubauen suchen. Deswegen schreibe ich eilig diese Zeilen. Ich werde auch den 20sten von hier zu Ihnen zurückreisen, und mein ganzes Herz blutet, wenn ich überlege, wie wenig ich Ihnen hier habe nützlich seyn können. Ich sage Ihnen diese Nachricht so geradeweg, ohne Umschweife. Ein Mann von Ihrem Geiste läßt sich durch kein Schicksal niederschlagen, und wer weiß, ob nicht noch durch den Vergleich ein Theil zu retten ist – Gott gebe es! – Ich leide gewiß unaussprechlich, so oft ich daran denke, daß Sie den Circul der guten Menschen in Urfstädt verlassen sollten, die noch um Sie her, sich Ihrer Wohlthaten freuen, und nun – ihren Schutzengel aus ihren Armen gerissen sehn müßten – Nein! das kann nicht geschehen, muß nicht geschehen. Der Gedanke an Ihr Schicksal, mein gnädiger Herr! macht mich gegen meine eigenen häuslichen Begebenheiten fühllos – Meine Tochter ist wieder in Amsterdam – Meine Frau ist schwerlich krank – Mein ältester Sohn im Begriff zu heyrathen – Aber ich kann fast nur an Sie denken; Meine Wünsche, Gelübde und Plane sind nur dem edlen Manne gewidmet, für den mein Herz ewig von der reinsten Ehrerbiethung voll seyn wird, mit welcher ich verharre, Ihr treu ergebenster Diener Müller. 25. Brief Fünf und zwanzigster Brief. An den Herrn von Hohenau in Göttingen. Urfstädt den 6ten October 1770. Seit vierzehn Tagen bin ich hier bey Ihrem lieben Pflegevater, und auf seinen Befehl schreibe ich Ihnen eilig diese Zeilen, um Sie zu bitten, nun nicht nach Urfstädt zu kommen, bis Sie oder der Herr Meyer anderweitige Briefe von hieraus bekommen werden. Die Umstände hier haben sich verändert – Unterdessen kann ich Ihnen darüber noch nichts gewisses sagen, als daß Sie Sich gefaßt machen mögen, sehr wichtige Nachrichten zu vernehmen. Bereiten Sie Sich also vor, diese Nachrichten, die nicht die angenehmsten sind, mit Muth zu ertragen – Gesund ist unser würdiger Leidthal, und ruhig ist er auch – Das muß Ihnen ein Trost seyn, und für das Uebrige wird der Himmel sorgen, der Sie gewiß nicht verläßt. Geduld ist ein schweißtreibendes Mittel, ich weiß es wohl; Es stärkt nicht, aber es lindert doch – Wafnen Sie Sich auch damit – Es wäre zu viel verlangt, wenn man in dieser Welt immer seine eitlen Wünsche wollte befriedigt sehen. Wenn man aber nur stets als ein Mann, und als ein redlicher Mann handelt; so ist alles übrige leicht zu ertragen. Auch wendet sich früh oder spät das Glück wieder auf unsre Seite. Sie sind noch jung, haben Talente, und einen guten Kopf. Sollte Sie alles verlassen; so werden Sie damit gewiß in der Welt Ihren Weg machen. Mehr kann ich Ihnen heute nicht sagen; der Baron Leidthal ist in der Stadt – Seyen Sie ruhig; Es wird vielleicht alles noch besser gehn, als es itzt scheint. Ich bin mit wahrer Freundschaft Ihr ergebenster v. Weckel. 26. Brief Sechs und zwanzigster Brief. An den Herrn Commerzienrath Müller in Urfstädt. Amsterdam den 21sten October 1770. Mit kindlich gerührtem Herzen melde ich Ihnen, mein liebster, bester Vater! daß Gott meine gute Mutter gestern zu sich aufgenommen hat. Den 6ten war, wie sie wissen, meines ältesten lieben Bruders Hochzeit; Da befand sie sich, obgleich sie nicht dabey gegenwärtig seyn konnte leidlich wohl, so daß wir anfiengen neue Hofnung zu schöpfen. Allein vom 10ten an wurde es täglich schlimmer mit ihr. Wir wurden gestern spät des Abends zu ihr gerufen. Sie war sehr schwach, doch völlig bey Verstande, und bethete mit dem guten Domine Steinbach in wahrer christlicher Andacht und Heiterkeit. Der Doctor nahm unterdessen wahr, daß die Vorbothen des Todes nahe waren, und bereitete uns daher vor, sie bald aus unsern Armen gerissen zu sehn. Ich ergriff ihre Hand, die schon kalt war, und drückte sie an meine Lippen – Sie merkte wohl, daß es bald aus seyn würde, und segnete uns in abgebrochenen Worten, schien auch noch manches auf dem Herzen zu haben, das sie nicht mehr hervorbringen konnte. So lange sie verständlich redete, hatte sie oft sehnlichst gewünscht, Sie, mein theuerster Vater! vor ihrem Ende noch zu umarmen – Endlich verlohr sie gänzlich die Sprache, und bekam zuletzt im Todeskrampfe Zuckungen, wovon sie aber wahrscheinlicherweise nichts mehr empfunden hat. Mein redlicher Schwiegervater war nicht gegenwärtig; Er kann niemand sterben sehn, und fürchtet selbst den Tod sehr. Wie sehr dieser Verlust unser häusliches Glück verbittert, werden Sie leicht glauben – Die gute Mutter – Sie hat wenig Freuden in dieser Welt erlebt. Jetzt erst wären wir im Stande gewesen ihr kindlich beyzustehn – Doch schien es ihr ein kräftiger Trost zu seyn, ihre ältesten Kinder, vor ihrem Abschiede noch, versorgt zu sehn. Uebermorgen wird der entseelte Körper in der Stille beygesetzt werden – Wir sind Alle voll Verwirrung und Betrübniß; deswegen schreibe ich schlecht und eilig – Gott erhalte uns unsern besten Vater gesund und glücklich – Wir küssen Ihnen ehrerbiethigst und zärtlichst die Hände. Sophie von der Hörde. 27. Brief Sieben und zwanzigster Brief. An den Herrn Friedrich Müller, Kaufmann in Amsterdam. Urfstädt den 10ten November 1770. Mein lieber Sohn! Diesen Brief wird Dir Deine Schwester geben, an welche ich weitläuftig geschrieben habe – Ihr habt nun keine Mutter, ich keine Gattinn mehr – Dieser Verlust, der meinem Herzen sehr wehethut, bindet uns um desto fester zusammen, indem der Circul immer enger wird, jemehr Glieder aus demselben herausgerissen werden – Wer weiß wie lange ich noch bey Euch bin? – Liebt Euch immer untereinander! Und Du, den itzt das Glück anlächelt, nimm Dich Deiner jüngern Geschwister, als ein zweyter Vater an, wenn ich nicht mehr seyn werde. Mein armer Baron Leidthal, der in seinen guten Tagen so großmüthig an mir gehandelt hat, ist durch einen unglücklichen Proceß um den größten Theil seines Vermögens gekommen, so daß er seiner Güter mit dem Rücken ansehn muß. Er hinterläßt auf denselben eine Menge Menschen, die ihm ihre ganze Wohlfarth zu danken haben, und itzt ihrem Wohlthäter blutige Thränen nachweinen – Ich werde ihn in diesen Umständen nicht verlassen, und wenn ich sein Glück mit ihn getheilt habe, auch nun in seiner gegenwärtigen Lage Mittel erfinden, bey ihm zu bleiben, ohne ihm beschwerlich zu werden. Durch meine Arbeit, durch Uebersetzen und dergleichen, will ich mir schon Unterhalt schaffen, ohne Dein Anerbiethen, das ich indessen mit treuem Danke erkenne, zu nützen; und so werde ich doch die Beruhigung haben, ihn bey seinem wiedrigen Geschicke aufzumuntern. Nun ist aber der Plan vereitelt, den ich mit meinen beyden jüngsten Söhnen vorhatte, und wozu mich die freygebigen Anforderungen meines theuren Baron Leidthals vermogt hatten. Du weißt, daß beyde Knaben studieren sollten; das geht nun nicht an – Und was kömmt auch am Ende dabey heraus? Der Gelehrte, dem es an Gelde und Vorsprache fehlt, kann heut zu Tage lange Jahre hindurch sich plagen, und zum Krüppel und Bettler arbeiten, ehe er es dahin bringt, ein mäßiges Auskommen zu gewinnen. Haben die Kinder Talent; so wird es ihnen in jedem Stande zu statten kommen. Sie mögen also eine Lebensart ergreifen, die der bürgerlichen Gesellschaft eben so nützlich, wo nicht nützlicher, als der Stand eines Gelehrten ist. Sie sollen ein Handwerk lernen. Ich finde daß ein redlicher und geschickter Handwerker eben so viel, wo nicht mehr Achtung verdient, als ein Rechtsgelehrter, und daß jener oft Gelegenheit hat die Gaben seines Geistes stärker zum Wohl der Welt anzuwenden, als dieser. Hiebey werde ich mich sehr wenig um das Urtheil der Leute bekümmern. Christoph soll nach Neuwied, wo ihn ein redlicher Hernhuter ohnentgeltlich das Schreinerhandwerk lehren will, und an Petern bitte ich Dich, zu thun, was Du Deinem Vater zuwenden wolltest. Er hat Lust ein Tuchfabricant zu werden. Ich habe die Verfügung getroffen, daß ihn ein sichrer Mann, der Herr van der Slöck, der in acht Tagen hier durch reiset, mit sich bis Nimwegen nimt. Dort wird er erst gegen den 20sten December ankommen, und ich will Dir vorher noch schreiben, wo Du ihn antreffen kannst, um ihn dort abholen zu lassen, und ihn zu seiner künftigen Lebensart anzustellen. So viel Sorge, so viel Abwechselungen des Glückes, machen mich ganz verwirrt. Der Kummer würkt sehr auf meine Gesundheit, die anfängt schwankend zu werden. Gott stehe Dir und Deiner lieben Frau in Eurem neuen Stande bey. Nächstens ein Mehreres! Vergiß nicht Deinen Dich ewig liebenden Vater H. Müller. 28. Brief Acht und zwanzigster Brief. An den Herrn von Hohenau in Göttingen. ... den 30sten November 1770. Ich schreibe Ihnen, mein geliebtester Freund! diese Zeilen in der größten Unruhe meines Herzens – Man will uns trennen – Meine Eltern haben einen Brief aufgefangen, den Sie mir geschrieben hatten, und mir über unsere unschuldige, heilige Verbindung, und unsern Briefwechsel die bittersten Vorwürfe gemacht. Wir waren vorigen Sonntag in der Kirche, als Ihr letztes liebes Schreiben ankam. Catharine war unglücklicherweise auch nicht zu Hause, und mein Vater gieng dem Postbothen selbst entgegen, um ihm die Bestellungen abzufordern. Als derselbe nun einen Brief zurückbehielt, verlangte mein Vater zu wissen, an wen derselbe gerichtet wäre, und da die Aufschrift an mich von meines Bruders Hand war, brach er ihn auf, und fand die Einlage, die er durchlas. Als wir aus der Kirche kamen, merkte ich wohl, daß mein Vater böse über etwas war, allein er sagte mir nichts. Gestern aber kamen meine Eltern beyde auf meine Stube, und überhäuften Ihre arme Charlotte mit grausamen Verweisen, schimpften auf Sie und meinen lieben Bruder, und droheten einen Schritt zu thun, welchen ich nicht erwarten, und der unserm geheimen Liebesverständnisse (so nannten sie es) bald ein Ende machen sollte. Ich bath, weinte und flehete, aber alles umsonst. Selbst meine Mutter, so gütig sie sonst ist, war gewaltig böse: »Weißt Du denn auch« sagte sie »daß dieser junge Mensch keine Eltern, kein Gut, und nichts hat? Wer weiß wo der zu Hause ist? Der Herr von Leidthal hat ihn als einen Findling aufgenommen. Mit der Familie mag es wohl nicht gar richtig seyn. Im Vermögen hat er nichts. Und noch kann ich Dir zur Nachricht sagen, daß sich Leidthal auch nicht mehr Seiner wird annehmen können, denn der hat durch einen Proceß alle seine Güter verlohren« – Mit Einem Worte! meine Eltern verbothen mir aufs strengste, jemals wieder an Sie zu denken, viel weniger zu schreiben, und es hat mir Mühe gekostet, den Schulmeister Klingenberg, der mich auf dem Claviere unterweiset, zu bewegen, noch diesen Brief, unter einem Umschlage an meinen Bruder, anzunehmen. Was meine Eltern mit mir vorhaben, weiß ich nicht, aber sie schreiben immer und flüstern zusammen – Ach! mein liebster Carl! was wird aus uns werden? Gehen Sie doch mit meinem Bruder zu Rathe, was zu machen ist. Ich weiß mir nicht zu helfen. Allein es komme auch wie es wolle; so bleibe ich doch ewig, Ihre getreue Charlotte. 29. Brief Neun und zwanzigster Brief. An den Herrn Hofmeister Meyer in Göttingen. Urfstädt den 30sten November 1770. Das Schicksal, mein lieber Freund! das mir drohete, ist nun entschieden, und mit seiner ganzen Last auf mich gefallen, indem das Urtheil des Reichsgerichts meinen Gegner, bis zu gänzlich ausgemachter Sache, in den Besitz meiner Güter setzt – Das ist ein unerwarteter harter Schlag für mich, zumal ich mich wegen meines Schadens an niemand erholen kann, und mein harter Gegner nur dem strengen Rechte, keiner Billigkeit Gehör giebt, auch alle Vergleichvorschläge verworfen hat. Ich habe gelernt Unglück mit Standhaftigkeit ertragen, auch bleibt mir so viel übrig, für meine Person, in Gesellschaft eines Freundes, eingeschränkt, aber doch nicht unglücklich leben zu können. Nur zerreißt es mein Herz, wenn ich mir einbilde, wie wenig ich von nun an das süße Vergnügen wohlzuthun werde schmecken können. Da wir uns indessen nicht gegen die Vorsehung auflehnen dürfen; so will ich nicht klagen, sondern den Plan zu meinem künftigen Leben Ihnen vorlegen. Das Schicksal meines lieben Carls, bey seiner itzigen Gemüths-Verfassung, geht mir am mehrsten zu Herzen. Ich kann nun nicht mehr seine Wünsche so befriedigen, wie ich herzlich gern wollte; Er muß sich also herabstimmen, seine ganze Seele zu männlicher Fassung anstrengen, und wegen der Folgen auf den bauen, der uns mit Weisheit und väterlicher Güte leitet, regiert, prüft, aber nie vergißt, und auch die Haare auf unserm Haupte zählt. Ich beschwöre Sie, mein Freund! alles anzuwenden, den armen jungen Menschen nach und nach zu dieser Stärke des Geistes zu erheben, und ihn von seiner jetzigen Lage mit Vorsichtigkeit zu unterrichten. Hier schicke ich Ihnen 120 Louisd'or, als den Theil einer Summe, die ich lange schon zu einer Nothhülfe bey Seite gelegt hatte, nebst Empfehlungsschreiben nach ... und ... Reisen Sie augenblicklich mit Ihrem Zöglinge dahin! Ich zweifle nicht, daß an einem von diesen Oertern sowohl Sie als mein Carl unter vortheilhaften Bedingungen Dienste finden werden – Reisen Sie getrost! Es wird gewiß gelingen, und beyliegende Instruction 1 wird Sie unterrichten, wie Sie es am besten anzufangen haben. Vorgebauet ist schon, und eher habe ich Ihnen nicht schreiben wollen. Was mich betrift; so werde ich nebst unserm Freunde Müller und einem Bedienten nach Hamburg ziehen, und daselbst so eingeschränkt und unbekannt als möglich leben, bis die Vorsehung mich anders führt. Ich bin gefaßt, ruhig, und murre nicht. Ein Blick zurück auf die Plane, welche ich zum Besten vieler guten Menschen entworfen hatte, ist das Einzige, was mir meine Lage zuweilen hart machen wird – Doch der Himmel wird auch für diese sorgen – Leben Sie wohl, mein treuer Freund! Sobald Sie an Ort und Stelle seyn werden, schreiben Sie mir ja gleich, wie Ihre Verhandlungen laufen, damit ich für das Weitere sorgen könne. Wenn denn alles richtig seyn wird; so will ich Sie wieder mit noch etwas Gelde versehen, und bald hoffe ich Sie in den Umständen zu wissen, daß Sie meiner Hülfe nicht mehr bedürfen. Carl wird freylich nur mäßigen Gehalt zum Anfang bekommen, allein wenn er thätig und ordentlich ist; so wird er bald mehr erhalten, und bis dahin reicht noch meine ersparte kleine Summe zu, ihm beyzustehn. Ich bin unterdessen ohnveränderlich, Ihr treuer Freund Leidthal. Fußnoten 1 welche man nicht hat mit abdrucken lassen, 30. Brief Dreyßigster Brief. An den Freyherrn von Leidthal in Urfstädt. Göttingen den 14ten December 1770. Ach mein bester Herr! Was fangen wir an? – Der Herr von Hohenau ist fort, Gott weiß wohin – Lesen Sie nur selbst die einliegenden Briefe, die ich auf seinem Zimmer gefunden habe! 1 – Ich eile ihm nachzuspüren – Rechnen Sie auf meinen unermüdeten Eifer – Ich kann itzt nicht mehr schreiben – In größter Eil. Meyer. Fußnoten 1 Die folgenden beyden. 31. Brief Ein und dreyßigster Brief. An den Herrn von Hohenau Hochwohlgebohren, gehorsamst, in Göttingen. ... den 10ten December 1770. Hochwohlgebohrner Herr! Hochvenerirlicher gnädiger Gönner! Ew. Hochwohlgebohrnen Gnaden soll auf hohen Befehl unseres gnädigen Fräuleins devotest berichten, was maaßen unsere gnädige Herrschaft vor gut befunden, Dieselben ganz unerwarteterweise von hier abholen zu lassen. Es kamen nemlich vorgestern, als den 8ten hujus, ehe man sichs versahe, so zu sagen, die Frau von Donnergund, als die gnädige Frau Schwester unseres Herrn, in ihrer großen alten Reise-Chaise gefahren. Es schien eine verabredete Carte zu seyn, denn kaum waren sie in die Stube getreten, als sie folgendergestalt anhoben: » Mon Frère! Ihr müßt mir eine Bitte nicht abschlagen« und als der gnädige Herr darauf ihre Cavaliers-Parole gegeben hatten, bath die Frau Schwester um die Erlaubniß, Dero Fräulein Nichte mit sich nach Donnergrund nehmen zu dürfen. Es wurde diese Proposition sogleich acceptirt, und obgleich unser liebes Fräulein alle Register so zu sagen anzogen, um diesen unangenehmen Casum zu hintertreiben; so wurden doch ihre Bemühungen frustrirt, und sie mußten heute mit dahin. Unterdessen aber wurden das gnädige Fräulein immer so bewacht, daß es nicht möglich war, etwas an Ew. Hochwohlgebohrnen Gnaden zu Papier zu fertigen, doch hatten Sie Gelegenheit mir, während ich Denenselben die musicalische Unterweisung, sowohl in der Fertigkeit auf dem Clavicordio, als auch in den Regulis des General-Basses gab, den Auftrag zu ertheilen, Hochdenenselben und dem jungen Herrn von Hundefeld, dies eiligst jedoch heimlich zu melden, welches denn zu befolgen nicht verfehlen, und in schuldigem Respect verharren wollen, Hochderoselben submissester Knecht Gerhard Aloisius Klingenberg p.t. Schullehrer und Organist in ... 32. Brief Zwey und dreißigster Brief. An den Herrn Meyer. Für mich ist alles verlohren – Schlag auf Schlag – Um niemand mehr zu beunruhigen – um meinem armen Wohlthäter nicht ferner zur Last zu fallen – um Ruhe für mein Herz zu suchen – fliehe ich, wohin mein Schicksal mich leiten wird – Bedauern Sie mich – Küssen Sie meinem würdigen, unglücklichen Pflegevater die Hände – Gott wird ihm und Ihnen alles vergelten – Vielleicht sehen wir uns noch einmal in dieser elenden Welt wieder – Carl von Hohenau. Ende des zweyten Theils. 3. Theil An die Leser An die Leser. Es ist eine gar possierliche Sache um die Autorsucht, und um den Ruhm, den man durch das Büchermacherhandwerk zu erwerben trachtet. Ich setze selbst sehr wenig Werth auf den Mann, der blos dadurch beliebt wurde, daß er ein gutes Buch schrieb. Es ist sehr viel leichter hundert schöne Grundsätze predigen, als einen einzigen ausüben. Am Schreibtische, wenn keine Leidenschaft ins Spiel kömmt, lassen sich herrliche Sachen sagen, und gewöhnlich sieht doch der Mann ganz anders auf dem Papiere aus, als in seinen Handlungen. Aber dennoch ist so etwas in mir (ich gestehe es frey) das mich kitzelt, wenn mich jemand versichert, er habe etwas von mir mit Vergnügen gelesen – Ich meine immer, es müßte ein verständiger Mann seyn, der so etwas sagt – Ob es wohl andern Leuten auch so geht? Was ist daher natürlicher, als daß ich Ihnen Allen, die Sie mit so nachsichtsvoller Güte die beyden ersten Theile dieses Büchelchens aufgenommen haben, herzlich danke? Mögte der dritte eben so glücklich seyn, Ihren Beyfall zu gewinnen! Vielleicht schriebe ich dann noch – Nicht die zwanzig, davon wir neulich redeten – aber doch ein oder ein Paar dazu, um ein Ganzes daraus zu machen, und Sie nicht in Ungewißheit über das Schicksal der Personen zu lassen, welche ich die Ehre gehabt habe Ihnen vorzustellen. Allein da werde ich denn nach Gelegenheit etwas dazu lügen müssen, so wie ich Ihnen bis jetzt würklich nur wahre Begebenheiten erzählt habe. Im Grunde sollte freylich wohl alles wahr seyn, was in einem Roman steht. Man kann sich ja auch nichts so Tolles erdenken (das versichre ich Sie) was nicht irgend einem Erdensohne begegnet wäre, und keinen so albernen Streich, den nicht schon einmal ein Mensch gemacht hätte. Wenn man aber freye Hand hat, eine Menge Abentheuer auf Eines Menschen Kopf zu erzählen; so kann man der Geschichte wohl eher diejenige Einheit geben, welche Sie vielleicht hier vermissen. Indessen wollen wir doch überlegen, wie wir das Ding so einrichten, daß alles in einander passe. Unglücklicherweise lebe ich jetzt einsam, in dem Schooße meiner Familie ruhig, fern von den großen Thorheiten der Welt, und an einem Orte, wo es wahrhaftig so viel herzlich gute Menschen giebt, daß, wenn ich Ihnen die Scenen schildern sollte, die ich jetzt vor mir habe, Sie sehr einfache Gemälde sehen, und ich denenjenigen, welche nur die lächerliche Seite ihrer Mitmenschen vor Augen gestellt haben mögen, wenig Unterhaltung würde verschaffen können. Ueberlegen Sie das alles! Und wenn Sie dennoch, nach Lesung dieses Theils eine Fortsetzung des Romans meines Lebens begehren – Ey nun! so muß man sehen, wie man Rath schafft. Inhalt des dritten Theils Inhalt des dritten Theils. Erster Brief, von Müller an Meyer, aus Hamburg geschrieben. Er ist nebst Leidthal in Sorgen um, das Schicksal des jungen Hohenau. Man sollte solche junge Schwärmer ihrem Schicksal überlassen. Aber Erziehung und schlechte Schriftsteller verdrehen der Jugend den Kopf. Ueber Zünfte. Gelehrten- Zunft. Vorschläge gegen die Schreibseligkeit. Nachricht von der Abreise aus Urfstädt, Ankunft in Hamburg, und Lebensart daselbst. Ueber Reichsstädte und Residenzen. Herr Bellojoco nimmt diesen Brief mit. Meyer soll über sein Herumreisen sein Glück in Dresden nicht verscherzen. Sie hoffen bald bessere Nachrichten von Hohenau zu hören. Zweyter Brief, von Meyer an Leidthal. Er ist, nachdem er Hohenau auf Hundefelds Gut nicht gefunden, nach Donnergrund gereiset. Auch hier ist derselbe so wenig, als das Fräulein, Werber im Wirthshause. Ueber Militair, Soldatenstand, persönliche Tapferkeit, große und kleine Feldherrn. Gemälde der Frau von Donnergrund. Ein hochadeliches Haus. Aussicht den jungen Hohenau zu finden. Reise nach Eisleben. Des Herrn von P ... in Z .... Geschichte. Ankunft in Eisleben. Der Jüngling, welchen er aufsucht, ist des Herrn von Mallitz natürlicher Sohn. Dessen Geschichte, und von seiner Mutter. Carl ist also noch immer nicht gefunden. Er weiß auch nicht, wo er ihn suchen soll. Also geht er jetzt gerade nach Dresden. Dritter Brief, von der Frau von Donnergrund an den Herrn von Retzel. Jetzt klärt sich's auf. Sie hat ihre Nichte bey der Frau Käserink abgesetzt, woselbst sie Retzel besuchen, und sie vermögen soll, ihn zu heyrathen, dagegen dieser der Frau von Donnergrund das Geld schenkt, das sie ihm schuldig ist. Hohenau war dieselbe Nacht mit Meyer in einem Wirthshause, und wurde da den Werbern in die Hände gespielt, Meyer aber nach Eisleben irre geführt. Eine Bitte wegen einer Canzelbekleidung. Vierter Brief von Leidthal an Meyer. Nun da alle Mühe, alles Suchen vergebens ist, soll er nur seine Secretairsstelle in Dresden, die Seiner erwartet, annehmen. Gott wird schon für den jungen Hohenau sorgen. Künstliche Erziehung im Gegensatz mit Erziehung, die das Schicksal giebt. Fünfter Brief von der Frau Käserink an die Frau von Donnergrund. Das Fräulein ist aus dem Wirthshause, wo sie ein Paar Tage bleiben mußten, fortgegangen, indem sie sich hat von einem Manne entführen lassen, der vorher französisch mit ihr sprach. Frau Käserink betheuert angstvoll ihre Unschuld. Sechster Brief von Weckel an Leidthal. Er spricht ihm Trost ein, und will es versuchen, ihn aufzumuntern; erzählt ihm, daß, und wen er heyathen werde. Ein alter geiziger Oncle. Ein Andachtsbuch. Ein Zeitungsblatt. Gesellschaft im Wirthshause. Amtmann. Kaufmann. Apotheker. Officier. Adept. Derselben Gespräche. Eine Fürstliche Gevatterschaft. Siebenter Brief, von dem jungen Hundefeld an Leidthal. Giebt Nachricht von der Entweichung des Fräuleins. Die Eltern glauben Hohenau habe dies veranstaltet, deswegen machen sie nun ihrem Sohne, der sein Freund war, Vorwürfe. Sie liegen vor Kummer krank. Der junge Hundefeld will nachreisen, und bittet Leidthal unterdessen nachzuforschen. Achter Brief von Meyer an Leidthal. Nachricht von seinem neuen Stabilissement. Ueber die Art zu studieren und sich zu seinem künftigen Zustande vorzubereiten. Philosophie. Brodstudien. Warum man nicht weiter in der Weisheit kömmt. Nachricht von seiner häuslichen Einrichtung. Ueber Bildsäulen. Wie es dem jungen Mallitz geht. Ein Präsident. Unterschied unter Bewunderung und Zuneigung. Ueber Hernhut. Die Brüderunität. Wie man auf die Welt würken sollte. Esprit de Corps. Esprit public. Ueber Müllers Aussichten. Dankbarkeit gegen Leidthal. Wüßten Sie nur, wo Hohenau ist! Neunter Brief von Leidthal an Meyer. Freuet sich, daß Meyer zufrieden ist. Ueber die Triebfedern unserer guten Handlungen. Ueber Leidenschaften. Tollhäuser. Ueber die Narrheit. Da ist endlich Nachricht von Hohenau, welche sie Alle mit Freude erfüllt. Zehnter Brief (in dem vorigen eingeschlossen) von Hohenau an Leidthal aus Potsdam geschrieben. Er bittet ihn um Verzeyhung seiner Verirrungen. Erzählung dessen, was ihm begegnet ist. Wie er Charlotten auf Hundefelds Gute nicht fand; herumirrte; endlich sie auch in Donnergrund vergebens suchte; Wie ihn dort ein Franzose den preussischen Werbern in die Hände spielte, die ihn einige Wochen lang mit herumführten, und dann in Potsdam ablieferten. Daselbst entdeckt er sich seinem Obristen, und der ist glücklicherweise derselbe ehemalige Adjudant, welcher in Meyers Geschichte vorgekommen ist. Sobald sich dies entwickelt, wird Carl losgelassen, und als Lieutenant bey des Obristen Regiment angestellt. Jetzt wäre alles gut; aber wo ist Charlotte? Der Franzose hat dem jungen Hohenau ein Briefgen abgelockt, um ihm, wie er sagte, das Fräulein zuzuführen. Wenn der Franzmann ein Schelm ist; so wird es schlimm aussehen. Hohenau ist in großen Sorgen desfalls, bittet übrigens nochmals um Verzeyhung, und legt Briefe vom Obristen an Leidthal und Meyer bey. Eilfter Brief von Meyer an Leidthal. Enthält einen Auszug aus dem Briefe des Obristen an ihn. Nemlich die Erzählung, wie er aus dem Gefängnisse, nach dem Tode des Fürsten, losgelassen, den Abschied als Obristlieutenant bekömmt, nach Schlesien zu einem Vetter geht, durch denselben preussischer Obrist wird, und ein Regiment bekömmt. Ueber den Nutzen würklicher treuer Lebensbeschreibungen im Gegensatz mit andern Romanen. Wo mag aber das Fräulein von Hundefeld seyn? Man darf Carl nicht von ihrer Entführung unterrichten, muß aber ihren Eltern sagen, wie unschuldig Hohenau daran ist. Zwölfter Brief von Mr. de la Saltière an einen Grafen in Berlin. Hier klärt sich alles auf. Der Graf hatte diesen Franzosen, den der Leser schon aus dem zweyten Theile dieses Romans kennt, aufgetragen; einen Theil des Geldes, welches sie gemeinschaftlich in Spaa gewonnen hatten, dazu anzuwenden, ihm eine hübsche Maitresse mitzubringen. La Saltière traf Hohenau an, wie man schon weiß, spielte denselben den Werbern in die Hände, ließ sich einen Brief von ihm an Charlotten geben, und nützte diesen Brief, um dieselbe zu entführen, unter dem Vorwande sie ihrem Geliebten zuzuführen. Nachdem dieselben ein Paar Monathe in Worms zugebracht, und vor Kummer über die misrathene Hofnung krank geworden, da indessen la Saltière ihre Briefe auffängt, und an deren Statt falsche schreibt, bewegt er sie endlich, durch einen eben dergleichen nachgeahmten Brief von Hohenau, mit ihm sich auf den Weg nach Berlin zu machen. Sie werden also gegen den 15. dort ankommen, wo la Saltière dann Charlotten in des Grafen Hände liefern will. Dreyzehnter Brief von Meyer an Leidthal. Er berichtet ihm mit traurigem Herzen, was er so eben durch einen Brief von Carl erfahren hat. Der Obrist ist nemlich schleunig gestorben, und Charlotte ihrem Geliebten untreu geworden. Wenigstens glaubt Carl dies, weil er den von Mr. de la Saltière fälschlich geschriebenen Brief bekommen hat. Jetzt fürchtet Meyer, Hohenau werde schlechter werden, ohne Führer und eine Liebe, in Berlin. Der Obrist hat Carln in seinem Testamente bedacht. Meyer ist äusserst niedergeschlagen. Vierzehnter Brief von Weckel an Leidthal. Nachricht von seiner Heyrath. Ueber den Ehestand. Kleine Reisebeschreibung. Ueber das Bekanntschaftmachen, und die Kunst sich beliebt zu machen. Eine rührende Malzeit. Ein Landedelmann. Ein Pfarrer. Ein Lügner. Ein fürstlicher Garten. Ein Trauerzug. Ein Regimentschirurgus. Man soll niemand beschämen. Funfzehnter Brief von Hundefeld an seinen Vater. Er hat nirgends auf die Spur von Charlottens Aufenthalt kommen können. Nun kömmt er so eben nach Berlin, um wenigstens Hohenau zu sprechen. Er hat einen artigen Franzosen angetroffen, dem er seine Geschichte erzählt, und der ihm versprochen hat, ihn morgen früh selbst hinzu begleiten. Sechzehter Brief von la Saltière, Billet an den Grafen ... Er schickt ihm einen aufgefangenen Brief, den Charlotte, die in Madam Schufits Hause ist, an ihre Eltern fortschicken wollte. Zugleich meldet er ihm, wie Hundefeld in seine Hände gefallen sey, und daß er Mittel gefunden habe, denselben der Policey verdächtig zu machen, damit ihm, ehe er Hohenau sprechen könnte, vom Gouverneur die Stadt verbothen werde. Siebenzehter Brief (Einschluß des vorigen) von Charlotten an ihre Eltern. Sie klagt zärtlich dar über, daß sie keine Antwort von ihnen bekömmt, schildert ihren jammervollen Zustand, und bittet flehentlich um Errettung. Der Franzose hat sie nach Berlin in der Frau Schufit Haus in der Töpfergasse geführt. Sie weiß nicht, was für ein Haus das ist. Sie ist immer krank, wünscht bald zu sterben, und weiß gar nicht, wo Hohenau sich aufhält. Die Obristen von M ... Der Graf. Ein junges Mädgen, welches ihr aufwartet. Achtzehnter Brief, von dem Grafen an die sogenannte Obristen von M ... Er ist unzufrieden davon, daß sie Charlotten noch nicht bekehrt hat. Sie soll bald Anstalt machen, das Fräulein aufmuntern, zu einer Unterredung mit ihm vorbereiten, und das Mädgen, welches den Brief an Charlottens Eltern hat besorgen sollen, von ihr entfernen. Neunzehnter Brief, von Ludwig Müller an seinen Vater. Er freut sich über des Commerzienraths nahe Hofnung zu dänischen Diensten. Ueber seine jetzige Lage. Ueber den Schauspielerstand überhaupt. Künste in Deutschland. Dichter. Schriftsteller. Unangenehme Nachricht von Hohenaus moralischer Verschlimmerung. Ueber das Spiel. Einige Nachrichten von Berlinischen Unterhaltungen. Zwanzigster Brief, von dem jungen Hundefeld an Hohenau. Nachricht, daß ihm der Gouverneur die Stadt verboten habe. Er hat vorher zweymal Hohenau in seinem Hause aufgesucht, aber immer verfehlt. Er solle doch auswürken, daß er wieder in die Stadt kommen dürfe. Ein und zwanzigster Brief, von Hohenau an Meyer. Man sieht aus dem Styl, daß er anfängt sittlich schlechter zu werden. Beschreibung seiner Gesellschaft. Nachtheiliges Urtheil vom weiblichen Character. Sein Mistrauen gegen la Saltière. Zwey und zwanzigster Brief, von Birnbaum an Leidthal. Er bittet ihn zur Gevatterschaft. Nachrichten von Urfstädt und Mallitzens Kränklichkeit. Drey und zwanzigster Brief, von Leidthal an Hohenau. Gute Lehren. Geschichte eines verabschiedeten Ministers, und einige Hofanecdoten. Ueber Religions-Indifferentismus. Wie unsicher der Ruf eines Menschen ist. Vier und zwanzigster Brief, von Weckel an Müller. Fröhlich wie immer. Wie er lebt. Von seinem guten Oheim. Ein Holländer. Etwas über diese Nation. Von Bauern, und deren Vorurtheilen. Fünf und zwanzigster Brief, vom Secretair Reifenbrück an Leidthal. Auf Befehl seines Herrn geschrieben, der auf dem Sterbebette ihn gern sprechen will, und ihn also bittet nach Urfstädt zu kom men. Sechs und zwanzigster Brief, von Hohenau an Hundefeld. Sehr leichtfertig geschrieben. Er hat bey dem Gouverneur seine Unschuld dargethan. Er kann also nach Berlin zurückkommen. Entdeckung der Verrätherey des la Saltière. Sieben und zwanzigster Brief, vom Commerzienrath Müller an seine Tochter. Er ist in dänische Dienste getreten. Familienumstände. Nachricht von Leidthal. Acht und zwanzigster Brief, von Ludwig Müller an seinen Vater. Nachricht von Hohenaus Verirrungen. Seine Lebensart beschrieben. Interessante Beschreibung von desselben Zusammenkunft mit Charlotten in Madam Schufits Hause. 1. Brief Erster Brief. An den Herrn Meyer. Abzugeben in Göttingen. Hamburg den 9ten Jenner 1771. Ich schreibe Ihnen auf Geheiß des guten Baron Leidthals, der so zerstreuet und niedergeschlagen ist, daß ich sehr fürchte, die Last von Unruhe und Kummer, welche er seit einem Jahre hat tragen müssen, wird Einfluß auf seine Gesundheit haben. Wo sind Sie denn jetzt? Mögten Sie doch, wenn Sie diesen Brief bekommen, den jungen Hohenau gefunden haben! Aber wer weiß, wo Sie umherstreifen müssen, den brausenden Jüngling zu suchen, der uns Allen so viel Sorge macht? Ich bekenne es gern, wenn es von mir abhienge, ich wäre ihm längst nicht mehr nachgelaufen. Die Vorsehung sorgt für ihn, und wenn er sehen wird, daß es in der würklichen Welt ganz anders aussieht, als in einem empfindsamen Roman; so wird er schon zurückkehren, und vielleicht noch einst ein nützlicher Mann werden. Wehe denen Schriftstellern, welche die Phantasie unserer jungen Leute durch wildes Feuer entzünden, ihre Sinne so reitzbar machen, daß sie den Boden, worauf sie treten, für glühend halten, und bey jedem Fußtritte laut schreyen! Da versengt dann der zehrende Blick eines solchen Schwärmers die schönsten Fluhren um ihn her. Der Grund zu diesem Unglücke wird aber schon in der Schule gelegt, wo man uns diese Welt als ein Jammerthal vorstellt, in welches der Schöpfer uns nur gesetzt hätte, um zu versuchen, ob wir auch Prüfung ertragen könnten – Elender, den Allgütigen entehrender Gedanke! – So werden wir gewöhnt, über alle Seligkeit dieser Welt hinweg, in ein fernes Vaterland zu schielen, und undankbar die mütterliche Erde mit Füssen zu treten. Meiner Meinung nach sollte der Mensch ganz anders unterrichtet werden. Ehe die Begierden zu heftig, die Einbildungskräfte zu lebhaft werden, sollte man ihm die Schätze dieser Welt in ihrer ganzen Annehmlichkeit vor Augen stellen, damit er früh diesen blendenden Glanz ertragen lernte, aber auch eben so früh sollte er gewöhnt werden, Schmerz zu leiden. Mit einem Worte, man sollte ihn unterrichten, das vielfache Gute, welches wir in dieser irdischen Wohnung schmecken können, recht herzlich fröhlich, aber mäßig und dankbar geniessen, die kleinen Ungemächlichkeiten aber, die ihm aufstoßen, für das zu halten, was sie sind, für unvermeidliche Folgen unserer eigenen Abweichungen vom graden Wege, und für Glieder in der Kette der Begebenheiten. Und erst dann, wenn er diese Welt recht kennte, recht leben und geniessen gelernt, und sich also zu einem nützlichen Bürger einer bessern Welt gebildet hätte, erst dann sollte es ihm erlaubt seyn, sich eine seligere Zukunft zu wünschen. Allein von wahrem Genusse und weiser Anwendung dieses Lebens wird uns in der Jugend sehr wenig, und dies Wenige sehr trocken gesagt. Man fühlt dann bald, daß es unvernünftig seyn würde zu glauben, der gute Schöpfer habe uns funfzig Jahre des Jammers bestimmt. Wenn nun das Alter der Wünsche und des Verlangens herantritt, dann angelt der Jüngling nach Freuden, die er nicht geniessen gelernt hat. Aber er hat auch das Ungemach nicht wahrhaftig ertragen, sondern nur mit kaltem moralischen Lumpengewebe überspinnen gelernt. Er ist in diese Welt so neu als möglich. Kömmt er nun in eine Lage, wo so viel unbekannte Gegenstände auf seine Sinne würken, daß er sich im übermäßigen Genusse derselbe berauscht, und nachher dafür leiden muß, oder versagt ihm das Schicksal manches eitlen Wunsches Gewährung, ja! dann muß der Himmel die Schuld tragen; Er murrt gegen die Vorsehung, und wünscht sich in eine andre Welt. Hier kommen ihm unsere neueren Schriftsteller herrlich zu Hülfe. Die liefern ihm Ideale nach seinem Herzen, und unterhalten seine elende Schwärmerey. Da winselt ein jämmerlicher, in der bürgerlichen Welt unnützer Müßiggänger ihm, von seinem Dachstübchen herunter, Klagelieder über die undankbare Welt entgegen – Dann geht erst das rechte Unglück an. Er glaubt, hier sey nun einmal nichts mehr für ihn zu thun, also handelt er wie ein Rasender, und wird, ehe er Mann ist, schon ein unnützer Bürger – Ins Zuchthaus mit solchen Schriftstellern! Ueberhaupt! Wäre denn gar kein Mittel dem unseligen Bücherschreiben Grenzen zu setzen? Die Wissenschaften sind nun einmal eine res communis geworden; Indessen liesse sich viel darüber sagen, ob es nicht besser wäre, wenn sie, wie ehemals in Egypten und andern Ländern, das Monopolium eines gewissen Standes würden? Dies ist freylich ohngefehr der nemliche Streit, als: ob es gut sey die Zünfte aufzuheben oder nicht? Es ist wahr, wenn man keine Zünfte hat; so gilt der privilegirte Pfuscher nichts, und der Mann von Verdienst gewinnt. Aber ist nicht der Schaden eben so groß, wenn jeder Pfuscher arbeiten darf, was er will? Wer hält sich nicht für berufen, ein Handwerk, das er liebt, zu treiben? und indeß er, wenn er schlechte Arbeit macht, betteln muß; so verliehrt doch der Staat den Mann, der etwas, wozu er gebohren wäre, unterdessen treiben könnte. Er wird nie seine Ungeschicklichkeit, sondern die Undankbarkeit des Publicums anklagen. Darüber also sollen die Zünfte wachen, daß niemand sich zu einer Lebensart dränge, zu welcher ihn die Natur nicht berufen hat. Ob dies mit der Gelehrsamkeit und dem Geniewesen so angehe, ob es nicht zu Mißbräuchen und Unterdrückung Anlaß geben würde, das kann ich nicht untersuchen. Aber dazu liessen sich doch gewiß Anstalten treffen, daß nicht so viel jämmerliches Zeug dürfte gedruckt werden. Könnte man nicht in jedem Lande eine Deputation von redlichen verständigen und uneigennützigen Männern dazu festsetzen? Ein Schriftsteller müßte sein Manuscript dahin, ohne sich zu nennen, abliefern: Aber auch die Männer, aus denen die Deputation bestünde, müßten dem Namen nach unbekannt bleiben. Es würde untersucht, ob das Buch irgend etwas enthielte, das sittlichen Nutzen bringen könnte. Wäre es so beschaffen; so würde nicht nur die Herausgabe desselben erlaubt, sondern auch der Verfasser auf alle Art unterstützt, und sein Fleiß belohnt, damit er nicht von einem geizigen Buchhändler abhienge. Würde aber die Schrift verworfen, oder als gänzlich elend erkannt; so bliebe noch dem Verfasser das Recht zu appelliren übrig, um sich nicht über Partheylichkeit beklagen zu können. Es müßte ihm erlaubt seyn, seine Handschrift an zwey Deputationen in zwey andern Ländern zu schicken. Hätten nun unter diesen drey Richtstühlen, zwey vor oder gegen die Sache gesprochen; so müßte er sich dem Ausspruche unterwerfen, und wenn nachher noch etwas von der Art ohne Erlaubniß gedruckt worden wäre; so würde der Verfasser in öffentlichen Zeitungen beschimpft, oder des Landes verwiesen. Diese Einrichtung würde nicht die Gebrechen der gewöhnlichen Büchercensuren haben, und die Deputirten dürften auch nur über gewisse Arten Schriften richten. Wollte aber jemand etwas gegen die Regierung oder dergleichen schreiben; so müßte es ihm durchaus erlaubt seyn, in so fern der Name des Verfassers vor dem Werke stünde, denn solche Schriften stiften, wenn sie Wahrheiten enthalten, mehrentheils Nutzen, und schaden, wenn es Verläumdungen sind, nur dem Verfasser. Doch, was ermüde ich Sie jetzt, zur ungelegenen Zeit, mit meinen Träumereyen? Ich will Ihnen lieber Nachricht von unserer Art zu leben geben. Wir zogen, wie Sie wissen, im vorigen Monate hierher. Es war eine traurige Scene, als unser lieber Wohlthäter Urfstädt verlassen mußte. Lassen Sie mich darüber schweigen. Gewiß wird er noch lange in dem Herzen seiner ehemaligen treuen Unterthanen gegenwärtig seyn. Wie manchem Redlichen hat er dort großmüthig geholfen, wie manche Thräne getrocknet! – Der Herr von Mallitz hat wenige Tage nachher, wie man uns schrieb, Besitz von seinem Hause genommen, und ob er es gefühlt hat weiß ich nicht, aber gewiß hat, ausser ein Paar eigennützigen Schmeichlern, kein Einziger den Tag seines Einzugs gesegnet, kein Herz ihm entgegen geschlagen. Wir bewohnen hier das mittelste Stockwerk eines artigen Hauses. Der Baron Leidthal geht wenig aus, und ich leiste ihm beständig Gesellschaft. Noch haben wir nicht viel Bekanntschaft gemacht, obgleich ich sehr wünschte, daß unser guter Herr es doch versuchen mögte, sich ein wenig zu zerstreuen, denn der Kummer nagt unaufhörlich an ihm – Sein lieber Carl schwebt immer vor seinen Augen. Wären wir nicht in diese Traurigkeit versenkt; so würden wir hier sehr glücklich leben. Der Verlust des Reichthums ist bald verschmerzt, sobald man nicht Mangel leidet, und das Leben in einer freyen Reichsstadt hat etwas sehr aufmunterndes. Man sieht da die Menschen mehr ihrem Instincte folgen, statt daß in einer Residenz sich alles nach dem Ton stimmt, den der Fürst angiebt, und der oft, wenn das Unglück etwa einen schlechten Menschen auf den Thron geklebt hat, wie es denn zuweilen der Fall ist, äusserst elend ist. Und dann wird alles durch die schändlichen Triebfedern des Hofinteresse gezogen. Verzehre ich nicht Geld genug im Lande, oder ersetze diesen Mangel nicht durch Wind und Ränke; Gefällt meine Wenigkeit dem Minister oder dem Schuputzer (wer denn grade der Liebling ist) nicht, und dieser gnädige Herr äussert sich darüber gegen jemand; so bin ich in der ganzen Stadt mit einer Art von Infamie bedeckt. Nein! Man sage was man will gegen die Reichsstädte; Hier sind wohl auch kleine Verhältnisse, wie aller Orten, wo der Mächtige den Schwächern zurückdrängen kann, aber doch sind, wenn ich mich sonst ruhig halte, mein Vermögen, mein Ruf, mein Glück, meine Ruhe nicht das Spiel der Willkühr eines schlechten oder schwachen Menschen, und ich finde immer einen kleinen Circul von Freunden, in deren Umgange ich alle Verderbnisse der Welt vergessen kann. Es herrscht hier in Hamburg auch sehr viel Aufklärung, wahrer Geschmack an Wissenschaften und Künsten, eine vernünftige Gleichhaltung der Stände, und ein sehr angenehmer, zutraulicher Ton in Gesellschaften. Mein Nachbar controlirt nicht mein Hauswesen; Man erlaubt mir zu leben, mich zu tragen, wie ich will; die jungen Leute sind bescheiden, gefällig und sittsam. Man hört wenig Persiflage. Es ist viel Familienband, viel häusliche Glückseligkeit unter den Leuten, und endlich hat man ja die Wahl unter einer großen Menge Menschen aller Art, denn allgemein paßt freylich das Gemälde nicht auf das Hamburger Publicum. Den 10ten. Ich war heute einige Augenblicke auf dem Baumhause. Welch' ein herrlicher Augenblick von da hinunter die mit Schiffen beladene Elbe und so viel geschäftige Leute zu sehen! Unter dem Gewühle von fremden Kaufleuten dachte ich jemand anzutreffen, der aus dortigen Gegenden käme, und mir vielleicht Nachricht von dem Herrn von Hohenau geben könnte, aber vergebens. Indessen habe ich einen alten Freund gefunden, den Herrn Bellojoco, der aus Schweden kömmt, und morgen früh nach Mannheim abreiset. Er wird diesen Brief in Göttingen abgeben. Eben habe ich unsern armen Herrn noch einmal gesprochen. Er bittet Sie durch mich, während Ihrer Nachforschungen Ihr Glück nicht zu versäumen. Man erwartet Sie in Dresden, wo Sie so dringend empfohlen sind, daß es Ihnen gewiß nicht mislingen wird, wenn nur das Eisen geschmiedet wird, weil es warm ist. Wir umarmen Sie in Gedanken – O! mögten wir gute Nachrichten von Ihnen erfahren! Ich bin ewig der Ihrige Müller. 2. Brief Zweyter Brief. An den Freyherrn von Leidthal in Hamburg. Donnergrund den 11ten Jenner 1771. Noch ist alle meine Mühe, alle meine Nachforschung vergebens gewesen; Ich habe den unglücklichen jungen Menschen nicht gefunden. Meine letzten eilig geschriebenen Zeilen werden Sie, mein gnädiger Herr! erhalten haben. 1 Ich konnte auf Hundefelds Gut und in der ganzen Gegend nicht das Geringste von ihm erfahren. Was war also natürlicher, als zu glauben, er sey gerade hierher nach Donnergrund gelaufen? Aber auch hier will niemand nichts von ihm wissen. Vor wenig Stunden bin ich angekommen, und habe so genau geforscht, als man an einem ganz fremden Orte forschen kann – alles umsonst! Die Frau von Donnergrund ist vorgestern hier angekommen; Was aber das Sonderbarste ist; so hat sie ihre Nichte gar nicht mit hergebracht, da sie doch mit derselben abgereiset war, und niemand erwartet hier das Fräulein. Ich wollte geradeswegs zu der Dame gehn, aber es war so spät, und ich so ermüdet von der Reise, daß ich diesen Besuch auf morgen früh verschoben habe. Gern hätte ich nun diese Nacht ein wenig geschlafen, aber da ist unten im Wirthshause ein Lerm von Werbern, der mirs, bey meinem ohnehin unruhigen Gemüthe, ohnmöglich macht, ein Auge zu schliessen. Wie ich aber höre; so werden sie nach Mitternacht weiter marschieren. Ich bin also wieder aufgestanden, um mich noch eine Stunde mit meinem theuersten Wohltäter zu unterhalten. Mögte ich Ihnen etwas zur Aufmunterung sagen können! aber mein Herz ist auch so bedrängt; Alles stellt sich mir in trüben Lichte dar. Die Werber und Recruten lermen unaufhörlich, singen, fluchen und toben durcheinader – Gott! wie sind die menschlichen Anstalten verderbt worden! Ein Volk, das zu seiner Gückseligkeit gesellige und bürgerliche Bande unter sich geknüpft hatte, mußte sich in dem Gebrauch der Waffen üben, um gegen die Einfälle und Räubereyen einer weniger cultivirten, müßigen Nation geschützt zu seyn. Nach und nach bediente sich ein Haufen der Stärkern dieses Mittels, um die Schwächern zu unterjochen – Nun ja! da war doch noch Recht des Stärkern, Triumpf persönlicher Tapferkeit. Aber, wie artete dis nach und nach aus? Der Feige wollte auch seine Leidenschaften befriedigt wissen. Die Großen dieser Erde fanden es bequemer, aus einer Menge ihrer Sclaven eine Zerstörungsmaschiene für ihre Nachbarn zusammen zu setzen. Man erfand Mittel, zu tödten ohne zu fechten, aus Schlupfwinkeln heraus zu morden. Alle persönliche Tapferkeit fiel bald weg; Wer die größte und die beste Zerstörungsmaschine hatte, der hatte das größte Recht. Jetzt werden die an dieses künstliche Werk gehefteten Menschen so abgerichtet, daß man ihnen zuerst ihren eigenen Willen nimmt, sie zu Puppen macht, die ohne Ueberlegung für die gute und böse Sache, zu Befriedigung der thörichten Leidenschaften eines Einzigen morden, rauben, hungern, wachen, gehen, und stehen müssen, nachdem man ihnen durch Zeichen einen Wink dazu gibt. Diese Sclaverey, welche nach und nach zur Gewohnheit, ja zur Ehre geworden ist, hat aus unsern Fürsten, welche sonst nur gewählte oder durch höhere Bestimmung auf den Thron gesetzte Vorsteher waren, unsere Götter gemacht. Ohne Murren müssen jetzt Millionen Menschen sich als das Eigenthum eines Unwürdigen oder Feigen behandeln lassen, wenn er eine solche Militairmaschine zu seinem Dienst bereit hat. Da nunmehro nicht mehr Freyheit, Muth und gerechte Sache das Glück des Krieges bestimmen, ihn herbeyführen oder entfernen; so muß der Nachbar jeden Augenblick erwarten, daß man in sein Reich einbreche, und das Glück des Landes, dessen Vorsteher er ist, der Raub irgend eines unruhigen Kopfes werde. Er muß also auf alle Fälle auch eine Schaar solcher Puppen halten, und weil also ein Staat mit dem andern wetteifert; so werden die sogenannten Armeen jährlich größer. Ist der Staat nicht reich genug, hierzu Fremde zu erkaufen; so muß auch der wohlthätigste beste Fürst die arbeitsamsten nützlichsten seiner Unterthanen von ihrer Bestimmung weg, aus dem Schooß ihrer Familien reissen, und mitten im süssen Frieden ein ungeheures Heer zusammen halten. Um dies recht groß zu haben wird alles auf Ersparung eingerichtet. Man gibt dem Manne, der sein Leben der Willkühr eines Einzigen widmet, kaum so viel Speise und Kleidung, daß er nicht verhungert oder verfriert, und unterdessen muß der nützlichste Theil der Unterthanen nicht für sich und seine Kinder, nein! für die Erhaltung dieser armen Leute arbeiten. Ein Herr, der recht landesväterlich denkt, und den Nahrungsstand in seinem Lande nicht ganz will untergehn lassen, errichtet sein Heer aus Fremden – Und was für Menschen werden da gebraucht, für die Rechte der Menschheit zu kämpfen? Betrogene, verirrte Jünglinge, verworfene verbannte Leute, welche Noth, Verzweiflung oder Ueberlistigung in dies Joch spannt – Doch ist diese Einrichtung nun einmal, wenigstens, so lange nicht irgend ein großer Kopf Muth haben wird, eine Monarchie von ganz anderer Art zu errichten, für mächtige Fürsten ein nothwendiges Uebel geworden, aber auch der kleine Monarch, der sein Land gegen nichts als Bettler zu vertheidigen hat, dessen Monarchie auf der Landcarte so klein ist, daß die Namen der Städte über die Grenzen hinaus geschrieben werden müssen, will aus Eitelkeit nachahmen, was der Größere aus Noth thun muß. Er hält sich auch ein Heer von armen unglücklichen, ausgehungerten Leuten, die der hülflose Bauer im Schweiß seines Angesichts ernähren muß, um dem Fürsten die unschuldige Freude zu gönnen, zuweilen zwanzig Prügel auf den Rücken eines zur Geduld gewöhnten Geschöpfs abzuzählen. O! wer ein weiches Herz in seinem Busen trägt, der mögte blutige Thränen über einen solchen Anblick weinen. Wenn doch die guten Fürsten (es gibt deren noch, welche die reinen Freuden der Seele fühlen können) wenn sie einmal in sich gehen, und bedenken wollten, wie gewiß es ist, daß diese Einrichtung die damit verbundene Verderbniß der Sitten, und die Unterdrückung aller wahrwahrhaftig großen Tugenden bald Europa so entkräften wird, daß wenn dies noch ein Paar hundert Jahre also fortdauert, und immer höher gespannt wird, wir einst der Raub irgend eines männlichen, rohen, nichts fürchtenden Volks werden. Was fürchtet der Mann, der nichts zu verliehren hat, die Gefahr nicht kennt, für seine Freyheit ficht, und gegen Maschinen zu kämpfen hat? Sollten sie nicht überlegen, daß hundert innigst verbundene Männer, die ihren Fürsten lieben, dabey die gerechte Sache vor Augen, die Beschützung ihrer ruhigen Hütten, und das Glück ihrer unschuldigen Familien im Herzen haben, daß diese eine sichrere Leibwache als zehntausend durch Furcht zusammen gehaltene Miethlinge sind? – Doch eine höhere Hand wird gewiß diesen Klagen bald ein Ende machen. Es wird stiller unten im Hause. Sie sind fort; Ich will mich zur Ruhe legen. Den 12ten Morgens 11 Uhr. Ich bin bey der Frau von Donnergrund gewesen, und nichts weniger als zufrieden von diesem Besuche zurückgekommen; Denn ohngerechnet, daß ich nichts von dem Herrn von Hohenau erfahren habe; so hat mir auch diese Bekanntschaft sehr wiedrige Eindrücke eingeflößt. Mögte ich in der Gemüthsverfassung, darinn ich bin, Ihnen ein etwas lebhaftes Gemählde von derselben machen können! Stellen Sie Sich, mein gnädiger Herr! ein kleines dickes Weib vor, deren breiter rother Kopf nach hintenzu auf einem unförmlichen Rumpfe wie angenagelt sitzt. Die Augen klein und zusammengekniffen, die Nase in die Höhe stehend, die Stirn in kurze Perpendicularlinien gezogen. Ihre Stimme wie das Rufen einer Heringsverkäuferinn, ihr Gang watschlich und langsam, ihr Lächeln wie das Grinzen eine schadenfrohen Menschen – Bey dieser würdigen Person wurde ich, nachdem ich eine Stunde lang im durchräucherten Lakaienzimmer gewartet hatte, von einem Bedienten, der, wie beynahe alle Domestiken, die Richtung von dem Character seiner Herrschaft bekommen zu haben schien eingeführt. Das ganze Haus hatte ein gewisses Gepräge hochadelicher hochmüthiger Armuth. Alles sollte nachläßig umherliegend aussehen, und alles war doch gewiß künstlich ausgekramt. Der Bediente bedeutete mir, daß ich die Füße auf dem Saale rein abtreten sollte, obgleich der Boden äusserst schmutzig aussah. Er öfnete mir sodann die Thür eines Vorzimmers, in welchem auf einer alten goldledernen Tapete viel Familienportraitte mit Ordensbändern, wie deren auch heut zu Tage mancher Narr kauft, und mancher Kluge aus Politik annehmen muß, hiengen. Es war hier nicht eingeheitzt, doch stund ein ungeheurer Ofen, auf welchem adeliche Petschafte gegossen waren, gleich neben der Thür. Die Stühle waren von Schnitzarbeit; Wer sich hätte eine Stunde lang im Sitzen darauf anlehnen wollen, würde eine Menge Laubwerk auf sein Rückenfell geprägt haben. Der Bediente schlich durch eine Tapetenthür in der gnädigen Frau Cabinet, und meldete mich. Ein alter, unförmlich dicker grauer Hund, von der Art, welche man Spione nennt, bellte mir entgegen, als man mich einließ, und stritt mit mir um den Vortrag. Die Dame kam aus ihrem Schlafzimmer, und setzte sich sogleich auf ein Canapee, warf den Kopf zurück, befahl ihrem Hunde Stillschweigen, und fragte: »Was ist zu Seinen Diensten, Musjö?« Hierauf legte sie ein Zeichen in ein auf einem Tische vor ihr aufgeschlagenes Gebethbuch, schlug es zu, und irrte mit ihrem unsichern Blicke auf meiner Figur herum. Es verdroß mich, daß das Weib mich Er nennte, und mich so da stehn ließ; Dennoch sagte ich ihr ganz bescheiden die Ursache, warum ich zu ihr gekommen sey. Ueber die Erzählung von unsers lieben Carls Thorheit schlug sie beyde Hände zusammen, rief Jammer aus über die Verderbniß der Welt und der gottlosen, leichtfertigen Jugend, und als ich geendigt hatte, sagte sie ohngefehr folgendes: »Ich weiß wohl, daß mein Fräulein Niece ein ridicüles Attaschement zu einem jungen Menschen gefaßt hat, mit dem ihr Bruder auf Universitäten, wo man nicht immer choisiren kann, sondern Leute von allerley Extraction um sich sehen muß, in Bekanntschaft gerathen ist. Das wird wohl derselbe sogenannte junge Cavalier seyn, von dem der Herr redet. Ich höre aber, daß niemand recht weiß, wo dieser Pursche eigentlich her ist, ob er von Familie ist, und ob er Vermögen hat. Sollte man es denken, daß heut zu Tage junge Mädgen von Stande sich so weit vergessen könnten, mit solchen Landläufern sich abzugeben? So lange ich das Kind bey mir gehabt habe, ist sie in der Zucht und Vermahnung zum Herrn erhalten worden, denn ich bin ihr Pathe, und der liebe Gott weiß, wie sie so hat aus der Art schlagen können. Wenn sich der Musjö Hohenau, oder wie er heißt, flattirt hat, daß er in unsre Familie kommen, und dadurch vielleicht Versorgung erhalten würde; so hat er sich sehr geirrt. Mon Dieu! Er muß dem Fräulein weiß gemacht haben, als wenn er von Familie wäre. Denn sonst hätte sie gewiß nicht einmal daran gedacht. Ich habe aus Commiseration gegen das arme Kind, sie an einen sichern Ort bringen lassen, um da zur Raison zu kommen, und bethe täglich für sie, daß sie der Himmel stärken wolle, damit sie dem bösen Feinde widerstehe, und ihrer Familie Ehre mache; denn ich habe eine Partie für sie, und sie wird auch die Thorheiten bald vergessen haben, wenn sie hört, was für ein Zeisig der Musjö ist. Uebrigens habe ich nichts weiter von Seinem jungen Purschen gehört, und ich weiß auch nicht, wie Er dazu kömmt, mich darum zu fragen. Suche Er ihn, wo er glaubt, daß er ist; Mich geht das nichts an. Er wird wohl irgendwo unter die Soldaten gegangen seyn. Kann ich Ihm aber sonst dienen mit meinem Gebethe oder andern christlichen guten Werken; so wird mir es ein Plaisir seyn.« Ich hatte kaum Fassung genug das beleidigende Gewäsche anzuhören; Auch sagte ich der Dame einige sehr beissende Dinge über ihre Art sich auszudrücken, über die geerbten Vorzüge des Adels, über des Herrn von Hohenau Character u.s.w. Nach einigem Hin- und Herreden, in welchem sie oft wiederholte, daß sie von dem armen Carl nichts wisse, und mir den Aufenthalt des Fräuleins zu entdecken nicht für nöthig halte, war ich schon im Begriff voll Verdruß fortzugehn, als sie mich zurückrief, und mir sagte: Sie habe auf ihrer Reise einen jungen Menschen gesehn, den sie in Allem natürlich so beschrieb, wie unser Pflegesohn aussieht und gekleidet ist. Dieser sey des Nachts mit ihr in demselben Wirthshause gewesen, habe sehr traurig ausgesehn, und sey, wie der Wirth nachher erzählt habe, mit dem Postwagen nach Eisleben in der Grafschaft Mannsfeld gereiset. Nun, mein theuerster Herr? Was soll ich jetzt thun? Der Beschreibung nach müßte ich glauben, daß dies der Herr von Hohenau gewesen ist – Was kann ich also bessers thun, als ihm nachreisen? – Aber was will er in Eisleben? Zu welchem Zwecke? Die ganze Begebenheit ist mir ein unauflösliches Räthsel. Ich weiß nicht recht wozu ich mich entschliesse – Eisleben bringt mich zugleich näher nach Dresden, und wo soll ich ihn sonst suchen? – Ja! ich will hin. Treffe ich ihn nicht an; so erwarte ich Ihre weitern Befehle. Gern will ich die Aussichten, welche Sie mir in Dresden so großmüthig eröfnet haben, aufopfern, wenn ich Hofnung haben kann, unsern Flüchtling in einer andern Gegend zu finden. Allein ich sehe dazu noch keine Aussicht – In einer Stunde reise ich ab. 3 ... den 13ten Abends. Hier übernachte ich, und da ich auf allen Posten genaue Nachforschung angestellt habe; so bestättigt sich meine Hofnung, daß ich ihn finden werde, und daß Er es war, der mit der Post nach Eisleben gereiset ist – Gott, mögte es wahr seyn! Gern reisete ich noch heute ab, aber ich bin zu müde. Wissen Sie denn auch, mein gnädiger Herr! daß ich an dem Orte, wo ich jetzt bin, manche vergnügte Stunde verlebt habe? Ich hatte diesen Abend eine rührende Scene, die auf einmal die Erinnerung derselben lebhaft in mir zurückrief. Hier besaß der Herr von P ..... ein Landgut; Er selbst aber war Hofrath in W ...... Ein lieber, sanfter Mann, nur etwas zu schwach, zu sinnlich. Er war mein Freund – Mögte der Himmel ihm jetzt fröhlige Tage schenken! – Aber er war nicht gemacht, um in dem Creise, den ihm das Schicksal angewiesen hatte glücklich zu seyn. Er verstand nicht die Kunst mit dem Genuße gut Rath zu halten, zu wirthschaften. Jede kleine Freude machte er zu einem Theil seines Wesens, und wer sie ihm raubte, der nahm ihm einen Theil seiner Existenz. Er liebte die schönen Künste, den sanften Umgang der Musen, und vergaß an der Seite eines holden Mädgens alles Ungemach des Lebens, aber auch alles, was man unterdessen nützlichers für die Welt thun könnte als scherzen und küssen. Folglich war er kein fleißiger Hofrath, aber der beste Anordner geselliger Vergnügungen. Daher kam es denn, daß der Fürst in W .... von ihm, und er von seiner Laufbahn in des Fürsten Diensten nicht sehr zufrieden war, daß er sich nicht höher schwung, wenig Gehalt hatte, und also, weil er nicht reich war, und viel Geld der Freude aufopferte, in seinen häuslichen Umständen zurückkam. Er nahm desfalls seinen Abschied, kehrte in sein Vaterland zurück, schmeichelte sich dort durch seine angenehmen Talente sehr ein, und wurde aufs Neue bey einem Collegium angesetzt. Hier hatte er es mit einem Minister zu thun, der, wenigstens von solchen Leuten, die nicht durch sein allmächtiges Vorwort in den Dienst gekommen waren, viel Fleiß forderte. Mit diesem lebte er in unaufhörlichem Kriege. Der Mann hatte gar keinen Begriff davon, daß ein Schauspiel einem Lande oft weniger Schaden brächte, als ein Cammercollegium, und daß es keine Sünde sey, für ein déjeûné dansant eine Seßion zu versäumen. – Kurz! hier glückte es auch nicht, und unterdessen waren meines armen P .... Finanzumstände so zerrüttet, daß seine einzige Hofnung blieb, auf seinem Landgute hier in Z ... sparsam und ländlich zu leben. Ein Mann aber, der an viel zusammengesetztere Freuden gewöhnt ist, als welche der Aufenthalt in einem Landstädtgen gewähren kann, wird schwerlich je glücklich auf dem Lande seyn. Ich war einst acht Tage lang bey ihm, als ich nach Berlin gieng 2 und fand ihn in einem Circul von Bauerknaben, die er vom Pfluge weg an die Bratsche oder Baßgeige berufen hatte. Diese Lebensart wurde ihm nun bald zu einförmig. Er reisete auf die Nachbarschaft umher, verzehrte viel Geld, kam immer tiefer in Schulden, und mußte endlich seinen Gläubigern entfliehen, und sein Landgut, eine alte würdige Mutter und den Ruf eines ehrlichen Mannes beym großen Haufen im Stiche lassen. Der Minister war unterdessen in Ungnade gefallen. Ich glaube, er hatte es verdient, aber ich nehme nicht gern Partey gegen den Gedrückten, und rede nicht gern wieder jemand, der sich weder rächen noch vertheydigen kann. Genug, der Minister hatte, schuldig oder unschuldig, seinen Abschied bekommen, und das Gut des Herrn von P .... gekauft, wo er jetzt gewiß nicht glücklicher lebt, als der vorige Besitzer, weil sich hier weder Finanzplane, noch Commödienplane ausführen lassen. Doch ist nun das Haus angepinselt, der Garten verschönert worden; Er leidet also, wie es scheint, wenigstens keinen Mangel, und könnte, wenn er weise wäre, zufrieden seyn, indeß P .... in der Welt, Gott weiß wo herumirrt. Am Ende des Flecken, nicht weit von meinem Gasthofe, ist ein Haus, wo immer ein alter Invalide Wache hält. Ich gieng einige Augenblicke auf dem Platze auf und nieder, und redete mit dem Manne, der eben da stand, von allerley Begebenheiten, von meinem Freunde, der dort noch allgemein geliebt ist, wo er wohl jetzt seyn mögte, vom Minister, der sein Feind war, und von verschiedenen andern Dingen. Der Wachtmann hielt einen alten verrosteten Degen in der Hand, der aber bald meine Aufmerksamkeit auf sich zog – Ich meinte den Degen zu kennen; Er war von Stahl, und einst mit Gold ausgelegt gewesen – »Ja,« sagte der Mann, »der hat auch dem guten Herrn gehört.« Ich besah ihn genauer, und es war würklich derselbe Degen, mit welchem ich den ehrlichen P .... in seinen Wonnetagen in W.. in einem Zirkul von Beyfall lächelnden Damen hatte hin- und herflattern gesehn – Einst die Zierde eines zur Geselligkeit gebohrnen Mannes, jetzt das Werkzeug, den unglücklichen Bettler, der hier Hülfe sucht, von dem Thore abzutreiben – Gefäß und Stichblatt waren abgenutzt, und das Ohrband verlohren. – Von einem Juden, der ihn in der Auction erstanden hatte, war er für einen halben Gulden an seinen jetzigen Besitzer gekommen – Der Anblick rührte mich; Ich dachte, ich wollte den Degen an mich kaufen; Aber doch entschloß ich mich anders. In meinen Händen, glaubte ich, wäre er weniger merkwürdig; Hier kann er noch lange ein Monument der Vergänglichkeit menschlicher Hoheit und Freude seyn. Vielleicht wird ein anderer Freund des armen P .... der hier durchreiset, dieselbe Ueberraschung haben, empfinden was ich empfand; und wenn der Degen ganz abgenutzt und unbrauchbar geworden seyn wird; wird auch vielleicht der gute P ... nicht mehr auf den Beinen seyn, oder glücklichere Umstände werden das Andenken seines erlittenen Ungemachs aus seiner Seele vertilgt haben. Die Augen fallen mir vor Müdigkeit zu; Morgen früh reise ich weiter. Ich will nun diesen Brief nicht eher fortschicken, bis ich in Eisleben bin. Eisleben den 16ten. Meine süßen Hofnungen sind leider! verschwunden; der Herr von Hohenau ist nicht hier, und der Jüngling, der ihm gleichen sollte, ist – rathen Sie, theuerster Herr! – ist des Herrn von Wallitz unehliger Sohn – Doch ich will alles ordentlich erzählen. Als ich ankam, war mein erster Weg in das Posthaus – Ich fragte nach, man besann sich, erkundigte sich, und ich erfuhr, daß der junge Mensch, von dem ich redete, würklich noch in Eisleben war. Die Stadt ist klein, und bald ausgefragt; Ich fand auf dem Markte, ohnfern der Apotheke das Haus – Mein Herz schlug voll freudiger Hofnung – Nachdem ich nun den Wirth des Hauses gefragt hatte, ob nicht ein Jüngling, der mit dem Postwagen gekommen sey, bey ihm logiere, gieng er, ohne zu antworten, vor mir her, und führte mich drey Treppen hoch in ein kleines Hinterstübchen, öfnete die Thür, und rief, indem er mich hineinschob: »Junger Herr! da ist jemand, der Sie sprechen will« und darauf gieng er fort. Ich trat also in das Zimmer, und sah nun bald, daß hier nicht war, was ich suchte. Ein Jüngling von edlen Gesichtszügen saß vor dem Bette einer alten Frau, und hatte derselben, wie es schien, etwas vorgelesen, denn ich hörte noch den Laut der letzten Worte, und er hielt das Buch in der Hand, stand auf, als ich kam, und gieng mir freundlich entgegen. »Ich habe mich geirrt« sagte ich, und trat ein Paar Schritte zurück. »Verzeyhen Sie, ich glaubte jemand, den ich kenne, hier anzutreffen.« Der junge Mensch steckte sein Buch in die Tasche, und machte mir Entschuldigung, indem er versicherte: »Es thäte ihm leid, daß ich mich in meinen Erwartungen betrogen hätte« und so begleitete er mich wieder aus der Thür. »Ich führe Sie wieder heraus« setzte er hinzu, »kann Sie auch nicht bitten, in diesem kleinen Zimmer länger zu bleiben, denn meine arme Mutter liegt da an Leib und Seele krank, und wir haben nur die einzige Stube. Vorgestern erst bin ich wiedergekommen, und habe sie sehr viel schwächer gefunden – die arme Frau!« »Ich weiß es, Sie sind mit der Post hier angekommen« sagte ich, »und das ist eben die Veranlassung die mich hierher führt. Es thut mir leid, daß ich Sie beunruhigt habe, und noch mehr, daß ich Sie bey einem Krankenbette finde. Ist Ihre Frau Mutter schon lange unpaß?« »Ach, lieber Herr! rief der Jüngling seufzend, meine Mutter ist in einer sehr traurigen Lage, und wir sind hier ganz fremd. – Doch der Himmel wird schon helfen, und was hilft es, Sie mit einer langen Geschichte unserer Unglücksfälle zu ermüden?« Wir waren nun bis an die Treppe gekommen, aber die sanfte Schwermuth des guten Jünglings hatte zu viel Eindruck auf meine Seele gemacht; Ich konnte nicht so weggehn, sondern fühlte etwas, das mich zu ihm zog. Ich bath ihn, seinen Kummer in meinen Busen auszuschütten. »Es kann Ihnen vielleicht Zudringlichkeit scheinen« sagte ich, »aber vielleicht erleichtert es Sie auch, wenn sie einem Menschen, der so sehr bekannt mit aller Art Leiden ist, Ihr Herz öfnen – Kommen Sie! wir wollen unten in ein Zimmer gehn, wo wir allein sind.« Und so gieng ich voraus, und bath den Wirth uns eine Stube zu öfnen. Zugleich ließ ich auch eine Flasche Wein bringen. Ich dachte: »man ist so herzlicher, wenn man etwas um die Hand hat, und wer weiß, der arme Jüngling hat wohl in langer Zeit keinen Wein geschmeckt.« Dann setzte ich zwey Stühle an den Tisch, und ergriff den jungen Menschen vertraulich bey der Hand, als hätten wir viel Jahre mit einander gelebt. Nicht leicht erinnere ich mich mehr aufgelegt gewesen zu seyn, eine recht traurige Geschichte zu hören. Zwar fühlt meine Seele immer eine Art von Wonne, wenn sie einem armen gepreßten Herzen die Last des Kummers mit tragen helfen darf. Es ist so süß, auch da wo man nicht Balsam des Trostes in die Wunde giessen kann, doch ein brüderliches Thränchen darauf zu weinen. Ja! ich weiß es, was es heißt, zu leiden, und so umherzulaufen, nicht klagen zu dürfen, niemand zu finden, der uns versteht, den wir würdig hielten, daß wir auch nur einen Augenblick die Bürde, die uns zur Erde drückt, vor seiner Thür hinlegten, sollten wir auch darüber zu Grunde gehn. Deswegen dringe ich mich so gern treuherzig dem Unglücklichen auf. Aber, wie gesagt, heut war ich mehr als jemals in der Stimmung, mit diesem jungen Manne zu weinen. Ein lebhaftes Gefühl alles vergangenen und gegenwärtigen Leiden, das Andenken an den armen verlohrnen Carl, Ihr Schicksal, mein bester Herr! meine ungewissen Aussichten – Das alles kam auf einmal in meine Imagination. »Scheuen Sie sich nicht« sagte ich, und schenkte ein, als der Wirth fort war, »scheuen Sie sich nicht! Ich bin ein armer Teufel, und auch nicht sehr beredet zum Troste, aber da ich selbst so viel gelitten habe« – der Jüngling blickte mir wehmüthig in die Augen – »da ich selbst so viel gelitten habe; so giebt es mir Wonne, wenn ich einem leidenden Bruder sagen kann, daß ich in größern Plagen oft unerwartet Trost und Hülfe von oben herab gefunden habe, und daß der, welcher nur Muth und Hofnung und Zuversicht auf den guten Vater und Regierer der Schicksale nicht verliehrt, wenn die Noth am größten wird, der Errettung nahe ist. Denn sehen Sie, lieber Freund!« fuhr ich fort, und rückte näher zu ihm, »wer auf seine vollbrachte Laufbahn aufmerksam zurückschauet, die Kette der Begebenheit verfolgt, nachsinnt, wie sich oft alles so ganz wunderbar hat drehen müssen, um uns einem sichern Verderben zu entreissen; wer dann dies Gewebe einem Ohngefehr zuschreibt, und nicht die Spuren einer höhern planvollen Macht wahrgenommen zu haben bekennt, der ist ein Narr oder ein Lügner. Ich habe vielleicht doppelt so lange als Sie in der Welt gelebt, aber ich habe noch kein dauerndes Unglück, durch die ganze Lebenszeit eines Menschen hindurch, bey irgend jemand gesehen – Und was wäre es denn auch, eine kurze wandelbare Lebenszeit hindurch mit Krankheit und Armuth zu kämpfen? – Eine Erscheinung! Ein Traum! Und welcher Zufall kann uns die mannigfaltigen Freuden rauben, die auch der gedrückte, bedrängte, verfolgte, miskannte Redliche aus sich selbst, aus dem Bewußtseyn der Unschuld, aus dem Anblicke der schönen Natur schöpfen kann? – Kommen Sie! Sagen Sie aufrichtig, was Sie quält?« Der arme Mensch seufzete tief; Meine Anrede hatte ihn bewegt – Seine Stimme war beklemmt; Er konnte zuerst keinen festen Ton finden; Endlich fieng er an: Hier ist seine Geschichte, die ich, wie Sie denken können, oft durch Fragen unterbrach, als ich hörte, daß Personen, die ich kannte, darinn vorkamen. »Es mag etwa vierzig Jahre her seyn, daß ein gewisser Herr von Wallitz, welcher Besitzungen in Ostindien hatte, und nur eines Processes wegen mit seinem Sohn nach Europa gekommen war 3 , wieder in jenes Land zurückkehrte, seinen Sohn aber hier ließ, damit er in Halle erzogen werden mögte.« »Als dieser nun die Jünglingsjahre erreicht hatte, wählte er den Militairstand, und wurde Lieutenant in sächsischen Diensten. Meine Mutter war ein armes unschuldiges Bürgermädgen in Dresden. Der Herr von Wallitz suchte Bekanntschaft mit ihr; Er war schön und angenehm; sie gefielen sich, ihr Umgang wurde immer vertrauter; Endlich ließ sie sich, durch das Versprechen geblendet, sie einst öffentlich als seine Gattinn zu erkennen, von ihm verführen, ein festes, unglückliches Band zu knüpfen, das mir vor zwanzig Jahren das Leben gab. Ihre Eltern durften diese Verbindung nicht erfahren; folglich war die Flucht das einzige Rettungsmittel für meine arme Mutter. Voll Zuversicht auf die Treue ihres Geliebten warf sie sich ihm in die Arme, und ließ sich an einen unbekannten Ort führen, woselbst sie mich gebahr.« »Mein Vater besuchte sie in der ersten Zeit sehr oft, ließ uns auch keinen Mangel leiden; aber nach und nach kam er seltener, gab weniger zum Unterhalte her, wurde immer kälter, und verschob die priesterliche Trauung, unter allerley Vorwande, von einem Monathe zum andern. Er klagte dabey so oft über die Härte und den Geiz seines Vaters, der ihn ausser Stand setzte; so viel für uns zu thun, als er wünschte, daß meine Mutter großmüthig genug war, gar nichts mehr von ihm anzunehmen, sobald sie merkte, daß es ihm würklich oft an dem nothwendigsten Gelde zu seinem eigenen Unterhalte fehlte. Sie suchte sich durch ihrer Hände Arbeit kümmerlich zu ernähren. Ja! als er einst voll Verzweiflung zu ihr kam, und ihr sagte, daß seine Ehre von Herbeyschaffung einer kleinen Summe abhänge, wozu er aber durchaus nicht Rath zu schaffen wisse, that meine Mutter, was vielleicht Wenige würden gethan haben. Sie hatte noch ein Paar kleine goldene Ohrringe, silberne Schuhschnallen, und andre Kleinigkeiten an Pathengeschenken. Mit Freuden trug sie das alles zusammen, drückte es ihm zärtlich in die Hand, und freuete sich, etwas zu Rettung ihres Freundes beytragen zu können. Er schien den ganzen Werth dieser edlen That zu fühlen, nahm mich in seine Arme, drückte mich an sein Herz, indem er mir eine kleine hölzerne Dose gab, und ausrief:« »Wenn du mir dies einst in glücklichern Tagen vorzeigen wirst; so müsse das Andenken dieser Stunde tief in meine Seele zurückkehren.« »Meine Mutter verstand nicht den Sinn dieser Worte, aber bald klärte sich das traurige Räthsel auf – Sie hat ihn von diesem Tage an nicht wieder gesehen – Denn, stellen Sie Sich vor, der grausame Vater hatte noch ein andres armes Mädgen unglücklich gemacht, und gieng wenige Tage nach dieser Scene fort, nach Ostindien. Das verführte Mädgen starb in der Stunde der Gebährung zugleich mit dem kleinen Zeugen ihrer Schande, meine Mutter aber fiel vor Gram in eine langwierige Krankheit.« »Nach und nach linderte doch die Zeit, die beste Trösterinn in Widerwärtigkeiten, ihren heftigen Schmerz. Gute Leute nahmen sich unserer an; dabey arbeitete meine Mutter fleißig, als sie wieder hergestellt war, und wandte alles an, mir eine gute häusliche Erziehung zu geben. Ich fand an einem redlichen Schullehrer in Merseburg einen Beschützer. Er unterwies mich ohnentgeldlich, und brachte mich, durch Hülfe einiger Wohlthäter, so weit, daß ich in Leipzig die Theologie studieren konnte.« »Zwey Universitätsjahre waren nun beynahe zu Ende, als der würdige Mann vor eilf Monathen starb, und meine Mutter zu gleicher Zeit erkrankte.« »Unterdessen war das Gerücht von der Wiederkunft meines Vaters zu ihren Ohren gekommen. Er hat Reichthümer mit aus Ostindien gebracht, und ist auch hier in Deutschland durch den glücklichen Ausgang eines Processes in den Besitz eines ansehnlichen Ritterguts gekommen. Meine Mutter schrieb mir also, voll tröstlicher Ahndung, ich sollte zu ihr kommen, und mich zu einer Reise anschicken. Wir sammleten hofnungsvoll das Letzte was wir auftreiben konnten (denn meine bisherigen Wohlthäter hörten auf mir etwas zuzuwenden, sobald der ehrliche Schulmann tod war; –Wie es denn in der Welt geht, wo so wenig Menschen aus Liebe zum Guten Gutes thun.)« »Mit dieser kleinen Summe reisete ich nach Urfstädt – Ich hatte die Dose, die mein Vater mir einst gegeben hatte, in der Hand, als ich mich zu seinen Füssen warf, und alles anwendete, die Sprache der Natur bey ihm geltend zu machen – Aber, ach lieber Herr! Lassen Sie mich nicht weiter erzählen –« Ein Strom von Thränen unterbrach hier die Rede des Jünglings. »Fassen Sie Sich, lieber Freund!« sagte ich – »Um des Himmels willen! Ihr Vater wird Sie doch in den Umständen nicht verstoßen haben?« »Mein Gott! Freylich hat er das« rief der Jüngling. »Ein unwürdiges Allmosen wollte er mir geben, aber ich schlug es aus, und so jagte er mich unter harten Drohungen fort. Von dieser Reise bin ich vorgestern zurückgekommen, und habe meine arme Mutter sehr schwach gefunden – Doch blickte sie mir voll freudiger Hofnung entgegen – Aber ich mußte ihr den Dolch in das Herz stoßen – O mein Herr!« Ich bath den Jüngling nicht weiter zu reden; Es zerriß mir die Seele – »Unmensch« sagte ich, und sprang vom Stuhle auf, »ja, ich erkenne dich; du bist der Mann, der meinen Wohlthäter aus seinem väterlichen Hause vertrieben hat.« – Was soll ich Ihnen weiter erzählen? Ich weinte mit dem guten Menschen, sagte ihm, wer ich wäre, und wie manchen frohen Augenblick ich in Urfstädt verlebt hätte, tröstete ihn, und nöthigte ihm eine Kleinigkeit auf, die er endlich annahm, weil ich in ihn drang, und darauf bestand, daß seine Weigerung mich beleidigen würde. Und nun soll es meine erste Sorge seyn, sobald ich nach Dresden komme, wenn es nur irgend möglich ist, dem armen Jünglinge bessere Aussichten zu eröfnen. Wenn mir der Himmel, durch Ihr großmüthiges Vorwort, eine Versorgung verschafft; so will ich ihn zu mir nehmen, mit ihm theilen, was ich haben werde – Es giebt ja auch so viel tausend Mittel Brod zu verdienen, in einer großen Stadt, und indessen wird seine Mutter genesen. Aber wo ist nun unser Carl? – Gott wird bey ihm seyn – Ich kann nichts mehr für ihn thun. Morgen reise ich nach Dresden – Dort erwarte ich Ihre Befehle – Mein Herz ist von so mancherley Gefühlen bestürmt; Ich weiß nicht was ich thun, sagen und denken soll. Leben Sie ruhig und zufrieden, theuerster; bester Herr! Ich bin ewig Ihr treu gehorsamster Diener Meyer. Fußnoten 1 Diese finden sich nicht. 2 Erster Theil 11ter Brief. 3 Vermuthlich zum zweyten mal, denn das erste mal kam er im Jahr 1700. her, wie der 3te Brief des 11ten Theils bezeugt. 3. Brief Dritter Brief. An den Herrn Hof-Cammerrath von Retzel in Beinfeld. Donnergrund den 25ten Jenner 1771. Mon chèr Ami, Jetzund muß ich Sie Nachricht geben, wie ich unsre Sachen arrangirt habe. Gott sey gelobt! Alles ist in Ordnung, und meine Niece soll Ihre Gemahlinn werden; Ich habe sie würklich aus ihres Vaters Hause weggebracht. Ich bath mir's von meinem Herrn Bruder aus, daß er mir seine Tochter anvertrauen mögte. Er consentirte sogleich, und da nahm ich sie denn mit mich. Unterwegens sagte ich: » Ma chère Niece! Ihr müßt jetzo Eure unanständige Paßion gegen den jungen Laffen aufgeben; davor hilft nun einmal nichts. Ich weiß Euch eine bessere Partie, und habe schon mit Eurem Vater geredet. Führt Euch vernünftig auf! Ich gebe Euch Zeit, Euch zu besinnen, und will Euch nicht eher auf meinem Gute sehen, bis ich höre, daß Ihr raisonnabel geworden seyd.« Dergleichen Vermahnungen hielt ich ihr den ganzen Weg über, und recomandierte ihr christliche Geduld und Gehorsam gegen ihre Familie. Ich sagte ihr, daß der Mann, den ich ihr destinirte, zwar nicht von alter Familie, aber von des Kaisers Majestät nobilitirt und sehr reich sey, auch sie in Betracht der Alliance mit unserer Familie gewiß sauber und fein halten würde. Sie stellte sich aber gar wiederspenstig und opiniatre. Unterdessen waren wir nach Bachstädt gekommen, wohin uns Madam Käserink entgegen kam, der ich sie sogleich übergab, und weiter reisete. Aprésent, mon chèr Ami, müssen Sie selbst das Beste thun. Der Himmel wird seinen Segen geben. Ich schliesse Sie alle Abend in mein Gebeth ein. Sehen Sie zu, daß Sie Sich bey ihr insinuiren. Aber ich hoffe denn, daß Sie auch Parole halten, und mich den Wechsel, den Sie von mich in Händen haben, wiedergeben werden; Sintemalen ich für Ihnen sehr viel riskiere. Die Frau Käserink hat Ordre, nicht zu erlauben, daß das Mädgen an jemand schreibt. Nun, und so war es denn gut. Ich dachte aber wohl, daß der Amant bald nachgelaufen kommen würde, und dictu factu, als ich hier ankam, war der Maulaffe schon hier. Er rannte in den Hof hinein – Verzeyh' mir meine Sünde! – wie ein toller Mensch. Aber wie war er consternirt, als er mich allein sah, und seine schöne Dulcinea nicht! Nunmehro gieng er ins Wirthhaus, und wollte da fragen. Da sind denn immer preussische Werber (die hat ja der böse Feind aller Orten) und da dachte ich: »Holla! da wollen wir den Musjö schon fangen.« Darauf schickte ich meinen Conrad hin, den Sie kennen, den hübschen Menschen, der immer bey unsern Abendandachten ist, und beywohnt, und ließ den Unteroffiicier avertieren. Das war ein durchtriebener Vogel. Der fragte denn den jungen Herrn aus, und that als wenn er ihm Nachricht geben wollte. Enfin, weiß der liebe Himmel, wie er es so listig angefangen hat, kurz! er hat ihn des Nachts mit weggetransportirt. Es war auch hohe Zeit, denn den andern Morgen kam der Informator, der mit ihm auf der Universität gewesen ist, zu mir, und machte einen Lerm, wie der böse Feind. Aber den führte ich ab, und schickte ihn nach Eisleben, weil ich wußte, daß ein anderer junger Pursche, den ich unterwegens gesehen hatte, dahin gereiset war. Da glaubte er, es wäre sein Eleve, und reisete dahin. Nun sind sie aus einander, und alles ist still. Ich hoffe, Sie werden Wort halten. Noch eine Bitte habe ich. Ich habe in Beinfeld eine Canzelbekleidung, für die hiesige Kirche bestellt, von grünem Tuch, mit gelben Schnüren. Wollten Sie diese Kleinigkeit wohl bezahlen? Der Fuhrmann Madelieb wird es mitbringen. Unterdessen wünsche ich gut Glück, und schliesse Ihnen in mein Gebeth ein, die ich verharre, Ihre ergebene, andächtige Dienerinn Sibilla von Donnergrund. 4. Brief Vierter Brief. An den Herrn Secretair Meyer in Dresden. Hamburg den 29ten Jenner 1771. Mein lieber Freund! Sie haben gethan, was Sie thun konnten. Das Schicksal hat Ihre Mühe und unsre Hofnungen nicht begünstigt; Indessen wird der Himmel Ihren treuen Eifer belohnen. Gehen Sie getrost nach Dresden – Doch, Sie werden nun schon da seyn, und Ihr Secretairspatent gefunden haben, welches seit vierzehn Tagen ausgefertigt ist. Der arme Carl! – Es ist unbegreiflich, wo er geblieben ist; Aber wir können nicht mehr thun. Ich werde an Freunde in allen großen Städten schreiben; Es muß sich doch endlich aufklären, was aus ihm geworden ist. Eine höhere Hand lenkt unser Glück, und ich habe die freudige Zuversicht, daß diese Hand ihn auch auf seinem Irrwege leiten wird. Vielleicht ist gerade diejenige Erziehung die beste, welche uns das Schicksal giebt. Was helfen nun die Künsteleyen, die schönen Theorien? Ich glaubte nichts versäumt zu haben, das Herz und den Verstand des jungen Menschen zu bilden, und es ist mir doch nicht gelungen, ihn zu einem guten, ruhigen Weltbürger zu machen. Ein unerwarteter Zufall macht oft alle unsre Predigten zu Maculatur. Glücklich ist das Volk, das keine Erziehungssysteme kennt. Warum soll sich denn auch ein junger Mann nicht einmal ohne Führer durch die Welt arbeiten? Muß man uns immer am Gängelbande führen? Ist nicht die ganze Erde unser Vaterland? Umstände formen den Character, Schicksale bessern, Unglück macht milde, Erfahrung weise, Wiederwärtigkeiten stimmen herab, Leiden würkt Geduld, Schwierigkeiten erwecken den Geist, Weltkenntniß macht uns klug – Wohlan denn! Er arbeite sich durch die Welt. Ich fühle etwas in mir, das mir sagt, er werde noch einst fröhlige Tage erleben. Seyen Sie glücklich; Ich bin gefaßt und ruhig, und umarme Sie in Gedanken, Leidthal. 5. Brief Fünfter Brief. An die gnädige Frau von Donnergrund. Eilig. ..... den 4ten Februar 1771. O, meine gnädige Frau! Was fange ich arme Person an? Das Fräulein ist mir fortgegangen, weiß der Himmel wohin. Ich habe sie wie meinen Augapfel bewahrt – Aber mir einen solchen Streich zu machen! Gewiß und wahrhaftig! Es kann ihr nicht gut gehn, nun sie das an mir gethan hat. Ist das erlaubt, wegzulaufen, wie ein gemeines Mädgen, und in dem Augenblicke, daß sie nur aus der Thür gieng? Ist das honett? Ich dachte, »sie wird ja schon wiederkommen« und warte, und warte – Aber fort war sie. Der Kerl hatte schon vorher unten in der Stube gesessen, im Wirthshause, wo ich Ew. Gnaden entgegen kommen, und einige Tage bleiben mußte. Er sah aus wie der lebendige böse Feind, und gab sich für einen Officier aus. O! ich wollte ihn so beschreiben, wenn ihm der Steckbrief gefertigt werden sollte. Er schwebt mir noch vor Augen, der verruchte Mensch! Er fieng an, mit mir französisch zu parlieren. Die Stube wurde oben gekehrt, deswegen waren wir unten. »Ich verstehe kein Französisch« sagte ich, »ich bin eine ehrliche Deutsche« Ja! darauf parlierte er mit dem Fräulein – Gott verzeyhe es ihm! Da müssen Sie es wohl verabredet haben. Es gieng ihnen beyden vom Maule weg, als wenn sie sich zehn Jahr gekannt hätten. Ich merkte aber gleich Unrath. »Allo!« sagte ich, »Fräulein! Wir wollen auf unser Zimmer gehn, es ist alles fertig. Pfui! wer wird sich so mit jedem schäbigten Kerl in einen Discours einlassen?« Wie wir nun so saßen, und bald zu Bette gehen wollten, gieng sie einmal in die Cammer. Ich muß eben ein wenig auf dem Stuhle eingenippt seyn. Denn wie ich mich besinnen konnte, war sie über alle Berge. Der Wirth sagte, sie sey mit dem Kerl in der Cariole fort, und ließe mich noch schön grüßen. O! ich arme Frau! Was soll ich nun anfangen? Das war als heute vor acht Tagen. Ich gieng gleich den andern Tag zum Amtmann, aber der lachte mir in die Nase, der Spitzbube! Nun bin ich hierher gekommen – In aller Welt, wer hätte das gedacht? – Allein ich bin unschuldig – Ach! gnädige Frau! zürnen Sie nur nicht auf mich. Lassen Sie den Kerl gefangen nehmen, und aufhängen, wenn sie ihn haben – So einen Entführer! Ich habe vor Schrecken drey Tage krank gelegen, und kaum das Herz gehabt zu schreiben; Aber Sie müssen es doch einmal erfahren. Ich schreibe dieses Wenige mit zitternder Hand, als Meiner gnädigen Frau unterthänige Magt Clara Käserink. 6. Brief Sechster Brief. An den Freyherrn von Leidthal in Hamburg. ..... den 5ten Aprill 1771. Nun, mein verehrungswürdigster Freund! Wie geht es Ihnen denn? Haben Sie noch einige Güte für den leichtsinnigen Menschen, der Sie aber immer so herzlich liebt, und ewig lieben wird? Wüßten Sie nur, wie oft mein Herz bey Ihnen ist, wie sehnlichst ich wünsche, Sie zufrieden zu sehn! Beruhigen Sie Sich doch, bester Mann! Was ist am Ende alles Unglück in der Welt? Ein Mann, der so viel Schätze in sich selbst besitzt, kann sich leicht über den Verlust des elenden Reichthums hinwegsetzen. Es ist wahr, Ihre edle Seele hat jetzt weniger Gelegenheit, die süße Freude des Wohlthuns zu schmecken. Aber ist nicht schon das innre Bewußtseyn, Gutes zu wollen, selbst da, wo man nicht kann, himmlisches Vergnügen? Auch weiß ich, daß der Verlust der Glücksgüter das geringste Ihrer Leiden ausmacht. Aber Ihr armer Pflegesohn! – Nun! und hat der nicht auch einen Vater im Himmel, der für ihn sorgt? Wer weiß, zu welchem unvermutheten Glücke für den Rest seines Lebens die Erfahrungen, welche er jetzt einsammlet, ihm nützen? Lassen Sie uns einen Augenblick alles Unangenehme vergessen! Ich will Ihnen etwas vorplaudern, das Ihnen Vergnügen machen soll. Wissen Sie denn, daß ich mich in den heiligen Ehestand begeben will? Mein Oncle drang schon lange darauf, daß ich auch an diesem christlichen Sacramente Theil nehmen sollte, und da bin ich denn umhergereiset, die Töchter des Landes zu besehen, und habe ein gutes ehrliches Mädgen gefunden, die ich herzlich lieb gewonnen habe, und altes ist unter uns und unsern Verwandten richtig. Eleasar und Rebecca wurden beym Brunnen in einer Stunde ihres Handels einig. Das war voreilig, wenn ich sagen darf; Glauben Sie ja nicht, daß ich so gehandelt habe. Ich kenne das Fräulein von M ...., des Oberamtmanns jüngste Tochter, schon lange. Wären meine Umstände früher in der Lage gewesen, darinn sie jetzt sind, ich hätte schon vor drey Jahren um ihre Hand angehalten. Mit einem Worte! Ich darf mit Zuversicht hoffen, geliebt und glücklich zu seyn; Weil es aber doch eine langweilige Sache für einen Dritten ist, von dem Liebhaber die Apologie seines Mädgens zu hören; so will ich Ihnen lieber eine kleine Erzählung von meiner Reise machen. Nachdem ich die Beystimmung aller übrigen Verwandten meiner künftigen Frau gewonnen hatte; so kam es darauf an, einen alten Oncle von ihr für mich einzunehmen, der an dem Hofe des kleinen Fürsten von .... lebt, und ein ganz sonderbares Original von Manne ist. Er ist reich; meine Braut hat einst viel von ihm zu erwarten, und obgleich es sonst ganz ausser meinem Character ist, dem elenden Gelde nachzulaufen; so dachte ich doch: »es ist der Mühe werth, den alten Sünder zu gewinnen, den Podagra und Geiz bald zu seinen Vätern versammlen werden.« Ich reisete also hin, ausgerüstet mit allerley Nachrichten von der Denkungsart des Mannes, den ich zu behandeln hatte. Es war zu spät als ich ankam, um sogleich zu ihm zu gehn; Es war etwa sieben Uhr des Abends. Der Wirth fragte, ob ich in Gesellschaft oder auf meinem Zimmer speisen wollte; Ich wählte das erste, und indeß der Wirthstisch gedeckt wurde, bath ich, weil ich allein war, den Herrn Hospes, mir ein Buch zu leyhen. Er brachte mir ein Andachtsbuch, geschrieben von dem Herrn Avenarius in Schmalkalden – Ein originelles Werk in seiner Art! Die Leute, welche die in dieser Sammlung enthaltenen Gesänge, Predigten und Gebethe gemacht hatten, führten lauter sonderbare Namen, als Steuerlein, Pfefferkorn u.s.f. Voran stand allemal der Lebenslauf des Verfassers eines solchen Gesanges, und da fand es sich, daß sie mehrentheils Informatorn gewesen waren, deren höchst unwichtige Begebenheiten in dem wichtigsten Styl geschrieben waren. An typographischer Schönheit fehlte es auch nicht, denn alle Anfangsbuchstaben waren mit herrlichen Verzierungen versehen. Da sahe man ein I mit einer Alongenperücke, eine Sonne, darinn ein Z stand, und dergleichen mehr – Welche Thorheiten doch der falsche Witz auch in die kleinsten Anstalten mischt! Ich legte das Buch bald auf die Seite, fand ein Blatt vom Reichspostreuter, ersah daraus mit Vergnügen: wo der König von Neapolis zu Mittag gespeiset hatte; wie der König von Frankreich die armen Haasen und Hirsche bekriegt; durch welche Städte der russische Courier, von dessen Geschäften man nichts wisse, und der vielleicht an irgend jemand ein Paar Armbänder überbringt, passirt sey; in welcher fürstlichen Menagerie eine Leopardinn trächtig ist; für welche schwangere Fürstinn die Kirchengebethe geschehen; ob ein Prinz auf Reisen gegangen; ob irgendwo ein Zwerg oder Zwitter zu sehen ist; was man in Hamburg von den Verhältnissen der bourbonischen Höfe urtheilt – Und während des Lesens kam denn nach und nach meine Gesellschaft. Ein Amtmann aus der Nachbarschaft, der Apotheker des Orts, ein abgedankter Officier, ein Kaufmann, und ein Mann, der sehr mystisch aussah, waren nebst mir die Tischgäste. Man sprach anfangs wenig; Als man aber sich mit Speise und Trank gelabt hatte, wurde die Unterredung lebhafter. Mich kannte man nicht, und lästerte daher oft über meinen künftigen Oncle. Man sagte: er trinke aus Geiz Kräuterthee, weil derselbe wohlfeiler wäre. Dabey glaube er immer, er sey krank, und habe neulich den Doctor eilig des Nachts aus dem Bette holen lassen, und dieser, weil er glaubte es sey Gefahr da, lief geschwind im Schlafrocke hin. Es fand sich aber, daß das Uebel sehr gering war, und daß der alte gnädige Herr es sehr übel aufnahmen, daß der Doctor in einer so unehrerbiethigen Kleidung erschien. Der Arzt, der ein schlauer Mann ist, merkte sich das, und als er bey einem ähnlichen Vorfalle aus dem Schlafe geweckt wurde, schickte er, statt seiner Person, seinen besten Sonntagsrock nebst der Perücke hin. Der Apotheker kam hier in sein Fach. Er sprach von Medicamenten, welche bey ihm verschrieben würden. Als er die Confectio al Kermis nannte, glaubte der alte Officier, es sey Confect zur Kirmiß, welcher Misverstand dem Herrn Amtmann gute Laune machte. Bald nachher aber war von Comödien die Rede, und da sagte der Amtmann: das sey eine gute Motion, worüber denn wieder der Officier lachte. Der Amtmann verließ früh die Gesellschaft. Da gieng es denn über den Fürsten her. Man erzählte unter andern ein Stückgen von ihm, das auch der Mühe des Nacherzählens werth ist. Dieser Sultan hatte nemlich, bey der Niederkunft seiner Gemahlinn, das ganze Ländgen zu Gevatter gebethen. Unterdessen reiseten ein Paar Leute auf den Dörfern umher, und stellten den getreuen Unterthanen vor, es sey doch billig, für diese landesväterliche Aufmerksamkeit, dem gnädigsten Herrn ein Pathengeschenk zu geben. Jede Gemeine wurde auf diese Art bewegt, sich zu einer freywilligen Gabe zu unterzeichnen. Nachdem diese Finanzoperation vollbracht war, fieng man an, die Gelder einzutreiben, und – O! Schande für den kleinen Despoten! – man exequirte, und nahm den armen Leuten die Betten aus den Häusern, um ihnen dies willkührliche Geschenk abzujagen. Der Kaufmann sprach beständig von Pferden; Ich glaubte er handelte damit, erfuhr aber, daß er nicht ein einziges im Stalle hätte. – Wunderbar genug, dachte ich, daß der Mensch zuweilen seine Fantasie mit Gegenständen nährt, die er nicht besitzt, oft nicht besitzen kann, und wovon ihm also die Kenntniß völlig unnütz ist. Wie mancher mischt sich auf diese Art in Staatshändel, in Geisterlehre, und allerley für ihn verlohrne Dinge. Ja, dieser Kaufmann überschrie uns alle mit seinen Pferdegesprächen, und widersprach nur rund weg jedem andern Vortrage, um bald davon ab brechen, und auf seine Lieblingsmaterie kommen zu können. Er hatte die wahre Gabe zu überreden, in dem Sinne, wie man jemand überreitet, nemlich über den Haufen reitet. Endlich verlohr sich nach und nach die Gesellschaft, bis auf den mystischen Mann, der beynahe keinen Laut von sich gegeben hatte. Es war eine abgezehrte, blasse, kränkliche Figur, etwa vierzig Jahr alt, aber dem ersten flüchtigen Anblicke nach hätte man ihm zehn Jahr mehr gegeben. Er hatte dünne graue Haare, hinten in einen kleinen Zopf gesammlet, eine Art von Tonsur, steckte in einem sehr abgetragenen braunen Rocke mit gelben Knöpfen, und hatte sehr schmutzige Hände, als Einer, der vielerley angreift. Sein Blick war unsicher, irrend, und zuweilen ohne Kraft in die Höhe strebend. Er hatte mich vom Anfang an auf dem Korn gehabt; es schien, als mögte er es mit mir allein zu thun haben. Weil ich nun nicht gern jemandes Hofnung täusche; so blieb ich gegen ihm über sitzen, als die Andern fort waren. Kaum war der Letzte hinausgegangen, als er näher an den Tisch rückte, und ausrief: »Mein Gott! mit welchen Kleinigkeiten beschäftigen sich diese Leute!« »Ja wohl!« sagte ich. »Aber es ist nun einmal so durch alle Stände im menschlichen Leben, daß jeder das für groß hält, was Beziehung auf seine kleine eingeschränkte Sphäre hat, indeß er alles übrige, was Andern wichtig scheint, verachtet.« »Das ist wohl wahr,« erwiederte er, und darüber wird die einzige Wissenschaft, welche uns Aufklärung über alles in der Natur giebt, so schändlich hintangesetzt. Darum giebt es so wenig wahre Philosophen, weil die Menschen so thöricht sind, das für wichtig zu halten, was in dieser irdischen Welt um sie her ist, in welcher doch der Geist nur gereinigt werden soll, um demnächst wieder in die Urquelle zurückzufliessen: Aber es giebt doch, Gott sey Dank! Männer, die, in dem wahren Genusse der hermetischen Philosophie, Licht um sich her verbreiten, und jener verheissenen Periode entgegen arbeiten, in welcher das Reich des Belial zerstört, und die Sinnlichkeit unterdrückt werden, in welchem das Geistige wieder über das Materielle siegen wird. Ja, mein Herr! Ich glaube es Ihnen anzusehen, und habe es aus verschiedenen Worten, die Ihnen entfahren sind, geschlossen, daß ich mit Ihnen frey sprechen kann. Sie sehen hier einen Mann in mir, den Sie vielleicht nicht erwarten. Ich kann wohl sagen, in mir ist mehr Gnade wirksam geworden, als ich schwacher Mensch verdiene; Aber nun bin ich auch, obgleich in »Demuth, über alle Weltkleinigkeiten hinaus, dringe mit dem Geiste in die Natur ein, und schmecke in reichem Segen, wie freundlich der Herr ist.« »Also,« unterbrach ich ihn, »sind Sie vermuthlich ein Adept?« »Mein Herr und Bruder!« sagte er mit der lächerlichsten Würde, »Unser Wissen ist Stückwerk, und alle Erkenntniß kömmt von oben herab; Aber was meine Augen gesehen, und diese Hände gefördert haben, das ist in meinem Herzen verschlossen, und nur einem treuen Mitverbundenen darf ich es offenbahren, wie groß die Herrlichkeit an mir gewesen ist. Sehen Sie nicht auf diesen Rock! Ach du lieber Gott! der Weise ist darüber hinaus, und meine Umstände sind jetzt leider so, daß ich nicht Gelegenheit haben kann, zu arbeiten, sonst wollte ich des Goldes mehr haben, als zehn Könige aufzutreiben im Stande wären. Ich reise blos deswegen, um einen würdigen Bruder aufzusuchen, der empfänglich für die Wahrheit, und nicht ganz fremd in der salomonischen Wissenschaft ist, mit dem ich dann arbeiten, und ihm etwas zeigen könnte, das die Augen ergötzt, und das Herz froh macht. Um Verzeihung! Sie wohnen hier in der Nähe?« »Nein!« antwortete ich trocken, und stand auf, denn ich merkte nun wohl, mit wem ich es zu thun hatte – Aber er erhob sich auch von seinem Stuhle und trat vor mir hin: »Mein Herr!« sprach er, »Sie haben ein menschenfreundliches Herz. Können Sie mir nicht mit einer Kleinigkeit beystehn? Vielleicht bin ich im Stande, Ihnen einst hunderttausendfältig wiederzugeben, was Sie heute an mir thun, denn meine Zeit ist noch nicht gekommen; doch kann ich Ihnen ein Arcanum für Ihre Gesundheit geben. Hier haben Sie ein Gläsgen mit einer hohen Arzeney; zwar nicht die erste Hauptmedicin, aber doch Tropfen, die Sie, wann Sie mir folgen, mäßig leben, und Glauben haben« – 1 . Ich ließ ihn nicht ausreden, griff in die Tasche, gab dem Narren etwas Geld, aber keine Vermahnung (denn solche Leute sind nicht zu curiren). Ich verbath seine Arzeney, ließ ihn stehn, und gieng zu Bette. Den folgenden Morgen also rüstete ich mich aus, dem alten Herrn Oncle meine Aufwartung zu machen. Ich ließ mich, sobald ich angezogen war, durch meinen Bedienten, der seine beste Livree anziehen mußte, melden, und sann unterdessen nach, wie ich meine Rede einleiten, und wie ich es anfangen wollte, den Mann für mich einzunehmen. Ich bin glücklich in meinem Vorhaben gewesen; soviel will ich Ihnen heute nur noch sagen. Die Art aber, wie ich es angriff, und die übrigen Umstände meiner Reisebegebenheiten, behalte ich mir vor, Ihnen in meinem nächsten Briefe zu erzählen. 2 Es soll mich innigst freuen, wenn Ihnen mein Geplaudere einige heitere Augenblicke macht. Noch einmal! muntern Sie sich auf, würdigster Freund! und zweifeln nie an der treuesten Freundschaft Ihres Ihnen ewig ergebenen v. Weckel. Fußnoten 1 Ich vermuthe nicht, daß der Herr von W. hier die hermetische Philosophie angreifen, sondern nur die Leute lächerlich machen will, welche, wann sie aus Büchern, die sie nicht verstehen, ein mystisches Gewäsche auswendig gelernt haben, in der Welt umherreisen, auf leichtgläubige Thoren und Schwärmer Jagt zu machen. 2 Der sich aber nicht in dieser Sammlung findet. 7. Brief Siebenter Brief. Von dem jungen Herrn von Hundefeld an den Freyherrn von Leidthal in Hamburg. ..... den 12ten Aprill 1771. Hochwohlgebohrner Freyherr! Hochzuverehrender Herr! Ich halte es für meine Pflicht, Ew. Hochwohlgebohren, obgleich ich nicht die Ehre habe, Dieselben persönlich zu kennen, eine Nachricht zu geben, welche freylich Ihr gefühlvolles, leidendes Herz noch mehr beunruhigen wird, vielleicht aber auch dazu dienen kann, Sie näher auf die Spur von des Herrn von Hohenau, meines ehemaligen Freundes, Aufenthalt zu führen. Ein Brief, den meine Eltern von meiner Tante, der Frau von Donnergrund, bekommen haben, hat uns Alle in neues Schrecken gesetzt. Sie schreibt darinn: »Sie habe meine Schwester, welche sie mit sich von hier weggeführt hatte, einer Freundinn anvertrauet, indeß sie selbst noch eine andre kleine Reise vornehmen wollte. Diese Freundinn trat unterwegens des Abends mit meiner Schwester in einem Wirthshause ab, wo sie des Nachts bleiben mußten. Ein Mann, der französisch redete, unterhielt sich einen Augenblick mit meiner Schwester, als sie unten im Hause standen. Sie sprachen bekannt zusammen; Gegen die Nacht aber entwischte auf einmal meine Schwester aus ihrer Cammer, und als man sie vermißte, sagte der Wirth, sie sey mit dem Fremden davon gegangen.« So unglaublich, so sehr ausser dem Character meiner Schwester diese Begebenheit auch ist; so können wir doch leider! nicht an der Wahrheit der Erzählung zweifeln. Gewiß hat sich also meine Schwester dem Herrn von Hohenau in die Hände geliefert, die unglücklichen Leute werden, wer weiß wo? in der Welt umherlaufen, und indessen sind meine Eltern von Kummer niedergedrückt – Sie liegen beyde krank zu Bette. Versäumen Ew. Hochwohlgebohren doch nicht, ich bitte Sie inständigst, den Flüchtlingen nachzuspüren; ich werde morgen selbst nach Donnergrund und weiter reisen. Mein Eltern überhäufen mich mit Vorwürfen, geben mir und meiner Freundschaft zu dem Herrn von Hohenau alle Schuld ihres jetzigen Unglücks, und ich bekenne es, bald reuet es mich, mein Herz mit einem so leichtsinnigen Menschen getheilt zu haben. Welch ein unkluger Schritt! Was wollen diese jungen Leute nun anfangen? Doch, ich will Ew. Hochwohlgebohren nicht mit Klagen ermüden. Noch einmal bitte ich Sie angelegentlichst, uns mit Rath und Erkundigung beyzustehn; der ich ehrerbiethigst verharre, Ew. Hochwohlgebohren ganz gehorsamster Diener Friedrich von Hundefeld. 8. Brief Achter Brief. An den Freyherrn von Leidthal in Hamburg. Dresden den 16ten May 1771. Ich schrieb Ihnen, mein theuerster Wohlthäter! in meinem letzten Briefe, 1 wie sehr ich in allem Betracht Ursache habe von dem Zustande zufrieden zu seyn, in welchen ich jetzt – Dank sey es Ihren großmüthigen Bemühungen! – versetzt worden. Ich bin nun würklich schon so zu Hause in den Geschäften, welche mir meine angetretene Bedienung vorschreibt, als wenn ich viel Jahre darinn gearbeitet hätte. Ich sage dies nicht zum Lobe meiner Geschicklichkeit, denn es ist in der That unglaublich, wie wenig dazu gehört, in einem Collegio den gewöhnlichen Strich von Arbeiten mitzuhalten; und weiter wird ja nichts verlangt, im Gegentheil! man würde sich vielleicht sehr schlecht empfehlen, wenn man es versuchen wollte, sich vorzüglich auszuzeichnen. Wenn daher nur jeder wüßte, zu welcher Laufbahn ihn das Schicksal bestimmt hat; so glaube ich, man könnte auf Universitäten eine Menge unnützer Dinge zur Seite liegen lassen, die viel Zeit und Geld zu erlernen kosten, und uns oft in der Folge zu gar nichts nützen. Wie mancher studiert drey Jahre lang die römischen Rechte, und ist nachher, mit einem weitschweifigen juristischen Styl, und einer völligen Unwissenheit von dem Zustande des Landes und der Landwirthschaft, der elendeste Rath bey dem Cammercollegio, und der Gottesgelehrte, der voll orientalischer Sprachkenntniß steckt, predigt, wenn er Landpriester wird, den Bauern unverständliches Zeug vor. Ueberhaupt halten die sogenannten Brodstudien manchen ab, solche Wissenschaften zu treiben, deren Einsicht dem Menschen in jeder Situation Nutzen und Freude schaffen, den Kopf aufklären, und zu allen übrigen Geschäften tüchtig machen. Dahin rechne ich hauptsächlich Mathematik, Naturkenntniß und Sprachen. Was aber Philosophie betrifft; so denke ich fast, man sollte darinn gar keine fremde Systeme studieren. Ich glaube, wir würden sehr viel tiefere Blicke und kühnere Schritte thun, wenn nicht früh unsere Gedanken in ein Fuhrwerk gesetzt, und auf einen Weg gebracht würden, der am Ende grade dahin führt, wohin schon so Viele vor uns her gereiset sind. Ein anders ist es mit Wissenschaften, wo Erfahrung auf Erfahrung gegründet werden muß; aber da, wo es blos auf Scharfsinn und intellectuelle Kraft ankömmt, da sollte man dem Menschen das Originelle nicht nehmen. Denn eben daher kömmt es, daß wir seit einigen tausend Jahren so wenig wahrhaftig neue Wahrheiten gefunden haben, und daß wir die Bücher derjenigen Leute für Unsinn halten, die ihren eigenen Weg gehn; weil wir nemlich einmal an eine conventionelle Gedankenreihe gewöhnt sind, und jeder kühne Absprung davon, uns aus unserm Concepte bringt. Nun etwas von meiner kleinen häuslichen Einrichtung! Ich bewohne ein Paar recht artige Zimmer am Markte, in der Neustadt. Vor mir sehe ich die vergoldete Bildsäule des Königs August II., welche der Stadt den Hintern zeigt, und eine lange Allee von Lindenbäumen, welche nach dem schwarzen Thore zu führt. Zuweilen mache ich denn so meine Betrachtungen, wie viel mehr sich ein Fürst verewigt, wenn er, so wie der große Friedrich, denen Männern, welche dem Vaterlande treue, wichtige Dienste geleistet haben, Ehrensäulen errichtet, als wenn er bey seinen Lebzeiten, aus Furcht, man mögte es nach dem Tode vergessen, sein eigenes Bild auf den Markt hinpflanzt. Sie wissen, mein gnädiger Herr! daß ich den jungen Wallitz, sobald seine Mutter zur Erde bestattet war, hierher geholt habe. Weil ich nun nicht Platz genug in meiner Wohnung hatte, so miethete ich ihm ein Zimmer in einem Hause ohnfern dem Jägerhofe. Er scheint zufrieden mit seinem Zustande, und ist auch glücklich genug hie und da, durch Unterweisung und durch literarische Arbeiten für die leipziger Buchhändler, etwas zu erwerben. Also, hoffe ich, soll es schon gut gehn. Mein Präsident läßt mir sagen, ich sollte in einer Stunde zu ihm kommen. Er ist ein würdiger Mann, der sich allgemeine Ehrerbiethung und wahres Zutrauen zu erwerben weiß. Es giebt Leute, die man nur bewundern kann, ohne sie zu lieben, und andre, an welche uns eine geheime Sympathie fesselt, ohne daß wir eben würden sagen können, was gut an ihnen ist. Aber dieser Mann herrscht über den Verstand so wie über das Herz aller derer, die mit ihm in Verbindung stehen. Ich schmeichele mich seiner Zuneigung, und bin stolz darauf; Nicht weil ihn das Schicksal zu meinem Cheff gemacht hat, sondern weil er ein besserer und klügerer Mensch ist, als ich, und die Ordnung der Dinge will, daß man dem hervorstechenden wahren Verdienste huldige. Vor zehn Tagen war ich in Hernhut, und sahe die Einrichtung der Brüdergemeine. Ich habe immer eine große Achtung für dies stille, gute Völkgen gehabt. Man sage was man will; so ist es gewiß, daß sie das Mittel gefunden haben, unter sich ruhig und glücklich zu leben, und das Interesse der Einzelnen an das Interesse des Ganzen zu binden. Der elende Unterschied der Stände, das Uebergewicht des Reichthums, der Jammer der Armuth, der Luxus – Alle diese traurigen Verderbnisse fallen doch bey ihnen weg, und also auch eine Menge unglücklicher Leidenschaften, die unaufhörlich an uns Andern nagen, uns zwingen alles auf unsern Privatvortheil anzupassen, und allen esprit public in unsern Seelen verlöschen. Es wäre lächerlich zu behaupten, es gäbe deswegen keine schlechte Menschen unter ihnen; Aber das ist doch zuverläßig wahr, daß ihre innere Einrichtung sie davor sichert, daß die Verirrungen einzelner Menschen nicht den Plan im Ganzen zerrütten können. Zinzendorf war gewiß ein großer Mann, und vielleicht würde man dies noch lebhafter fühlen, wenn man seine geheimen Plane, oder wie er demnächst mit seinem Häuflein auf die übrige Welt würken wollte, genauer wüßte. Es ist mir unbekannt, was für Köpfe jetzt an der Spitze des Systems sind; aber davon bin ich überzeugt, daß man mit einer mäßigen Anzahl also abgerichteter, auf Einen Ton gestimmter Leute sehr viel würken lann, und daß man damit eine der europäischen Welt so höchst nöthige moralische Revolution, ohne alle Gewalt, durchsetzen könnte. Wir arbeiten leider! täglich mehr daran, alle Bande aufzulösen, und in weniger als hundert Jahren werden wir die schrecklichen Folgen davon fühlen. Verstünden nur die Regenten ihr Handwerk! Mein Gott! man kann ja mit den Menschen machen, was man will. Unmerkliche, kleine, sichre Anstalten können ungeheure Würkungen hervorbringen – Eine Uniform, eine Nationalkleidung, ein allgemeines Nahrungsmittel, ein nomen collectivum, flössen einen esprit de corps ein, und binden Tausende, daß sie thun, was sie nicht thun würden, wenn nicht diese kleinen Gleichförmigkeiten unter ihnen herrschten; und ich bin sehr überzeugt, daß unsre künstlichen Armeen viel öfterer in der Schlacht aus einander laufen würden, wenn sie nicht einerley Röcke trügen. Wußten die ersten Erfinder grausamer, unnatürlicher Maschienen solche listige Mittel recht gut zu nützen, warum sollte man dieselben nicht zu Durchsetzung edlerer Endzwecke gebrauchen können? Es freuet mich innigst zu hören, daß nun auch unser redlicher Commerzierrath Müller Hofnung hat, in dänische Dienste zu kommen – Ach bester Herr! Sie sind unser Aller Wohlthäter, der Schöpfer unsres Glücks – Wie können wir Ihnen je genug danken! Doch, der bessere Lohn ist in Ihrem Herzen. Hätten wir nur den armen Carl wieder! Wie zufrieden wollten wir seyn! Ich küsse Ihnen die Hände Meyer. Fußnoten 1 welcher sich aber, nebst einigen andern, nicht findet. 9. Brief Neunter Brief. An den Herrn Secretair Meyer in Dresden. Hamburg den 30ten May 1771. Herzlichen Dank für Ihren lieben Brief. Er hat mir in allem Betracht Vergnügen erweckt, vorzüglich aber, weil er die Nachricht enthielt, daß Sie gesund und zufrieden mit Ihrem Zustande sind. Was Sie an dem jungen Wallitz thun, wird Ihnen der Himmel und Ihr Herz vergelten – O! wenn ich je wieder in solche Umstände käme, (und wer weiß? Mein Proceß ist ja noch nicht zu Ende) daß ich diesem jungen Menschen, dem Sohne meines Verfolgers, glücklichere Tage machen könnte! – – Freund! solch' eine Rache wäre doch wohl süß! – Aber ich fühle, daß Stolz Antheil an diesem Wunsche hat. Der Herr mögte gern, daß sein Herz sagte: »Sieh! das hast du an deinem Feinde gethan! Wie sich der jetzt schämen muß!« Ueberhaupt glauben wir oft am uneigennützigsten zu handeln, wenn wir es am wenigsten sind. Wir betrügen uns dann selbst, wenn wir so im Stillen eine edle That vollführen, indem doch eine andre Leidenschaft im Hinterhalte Acht giebt, und ein Protocoll darüber abfaßt; Wir stellen uns aber, als merkten wir das nicht. Nichts ist wahre Tugend, als das, was aus der reinen Absicht ausgeübt wird, die Vollkommenheit des Ganzen zu befördern – Aber wie wenig solcher Handlungen giebt es? Doch darüber wollen wir nicht zanken. Genug! ich mögte dem jungen Wallitz gern dienen, wenn ich könnte; Ihm wäre auch im Grunde eben so viel damit geholfen, ob ich es aus Eitelkeit oder aus reiner Absicht thäte. Und das ist wahrlich eine sehr feine Einrichtung in der Welt, daß das Gute doch geschieht, selbst von denen, die das Gute nicht lieben, indem tausend kleine Triebfedern den Willen herbeyführen. Wir leben noch auf dem alten Fuße, der ehrliche Müller und ich. Morgens gehen wir zuweilen, wenn es heiteres Wetter ist, ein bisgen umher, und ergötzen uns an manchen schönen Gegenständen, welche denen, die an dieses Schauspiel gewöhnt sind, und ihre Geschäfte im Kopfe haben, entwischen. Diesen Morgen haben wir das Tollhaus besehen – Ein Anblick, der jedem Menschenfreunde höchst wichtig seyn muß. Allein ich habe noch sehr viel an dergleichen Anstalten auszusetzen. Man wendet zu wenig Sorgfalt auf die Herstellung solcher Leute. Wir sind Alle mehr oder weniger Narren, das heißt: gewöhnlich ist eine Hauptleidenschaft so sehr Meister über uns, daß sie mit unserm Kopfe davonläuft, so oft sie uns allein, ohne Hülfe, antrifft. Die ganze Kunst besteht nur darinn, die Leidenschaften immer mit einander im Wettkampfe zu erhalten, und nach dem Jesuitensysteme: divide, & impera! zu verfahren. Wer dies kann, den nennen wir im gemeinen Leben einen klugen und guten Menschen. Bey den eingesperrten Narren aber ist mehrentheils Eine Leidenschaft so mächtig geworden, als etwa die Maitresse über den schwachen Fürsten, oder gar zwey Leidenschaften, die sich gut miteinander vertragen, wie wenn der Cammerdiener sich mit in die Regierung mischt. Sie machen dann den armen Menschen, den sie beherrschen, taub gegen alle andre Eindrücke. Warum studiert man also nicht mehr die Quelle des Uebels? Man muß doch seinen Feind kennen, um gegen ihn streiten zu können. Allein, wer bekümmert sich darum in solchen Häusern? Und doch ist das wahrlich keine Kleinigkeit. Ich glaube, daß es wenig Narren giebt, die nicht durch eine kluge Behandlung zu leiten, und dazu zu bringen wären, was wir Vernunft nennen. Den 31sten. Freuen Sie Sich, mein Lieber! da ist ein Brief von unserm Carl – Lesen Sie ihn selbst! 1 Sagte ich es nicht, daß ihn die Vorsicht gut leiten würde? Er ist Officier, und – O unbegreifliches Schicksal! Er hat sein Glück dem Manne zu danken, um dessentwillen Sie einst so viel gelitten haben. Doch, ich will Sie nicht länger mit meinem Geplaudere aufhalten, da Sie begierig seyn werden, die Einlage zu lesen – Der gute Müller ist so froh, als wenn Hohenau sein eigenes Kind wäre. Sehen Sie nun, daß der Himmel doch die guten Leute nicht verläßt? Leben Sie wohl, und freuen Sich mit uns. Ich bin ewig Ihr treuester Freund, Leidthal. Fußnoten 1 Den folgenden Brief. 10. Brief Zehnter Brief. (in den vorigen eingeschlossen.) An den Freyherrn von Leidthal in Hamburg. Berlin den 26sten April 1771. Darf ich es noch wagen, vor Ihnen, mein theuerster, bester Wohlthäter und Vater! mit diesen Zeilen in der Hand, zu treten, und Sie reuevoll um Verzeihung der Unruhe, des Kummers zu bitten, den ich gewiß Ihrem zärtlichen Herzen werde verursacht haben? – Entschuldigen kann ich meine Thorheit nicht. Aber Sie kennen ja das Wesen der Liebe, und wissen, wie schwer es einem jungen Menschen von meiner Lebhaftigkeit ist, die kalte Vernunft zu hören, wenn heftige Leidenschaft sich der Seele bemeistert hat. Das Bewußtseyn der Unschuld und Reinigkeit meiner Absichten, die Furcht, das zu verliehren, was allein mich an die Welt fesselt, Ihr Schicksal, vortreflicher Mann! welches Sie doch ausser Stand setzte, fernerhin, ohne Ihre eigene größte Ungemächlichkeit, für mich zu sorgen – das alles trat auf einmal so lebhaft vor meine Augen, daß ich mich entschloß, es zu versuchen, meine Geliebte den Händen ihrer Verfolger zu entreissen, und mit ihr ein Winkelchen der Welt aufzusuchen, wo wir, unbemerkt und ohngekränkt, mit der Arbeit unserer Hände unsern Unterhalt erwerben könnten – Ich hoffte, die Liebe würde meine schuldlosen Absichten begünstigen – Aber ach! wenn dieser Schritt zu kühn, zu übereilt war; so bin ich hinlänglich dafür bestraft; denn noch haben meine Augen das liebe Mädgen nicht wiedergesehn, obgleich von einer andern Seite die Vorsehung über mich gewacht, und mich dem Unglücke entzogen hat, in welches meine Unbesonnenheit mich hätte stürzen können – Noch einmal! Ich werfe mich zu Ihren Füßen; Entziehen Sie mir Ihre väterliche Güte nicht – Das Andenken alles dessen, was ich Ihnen zu danken habe, ist nie aus meiner Seele gewichen, kann nie verlöschen; Und sollten Sie mich auch verstoßen, und nichts weiter von mir hören wollen; so bleibe ich doch ewig Ihr Eigenthum. Aber das werden Sie nicht thun. – Haben Sie nicht immer mein Herz mit Nachsicht und Sanftmuth auf den rechten Weg geleitet? Sind Sie nicht mein Schutzengel, von meiner zartesten Kindheit an, gewesen? Doch fühle ich mit innigster Freude, daß ich Sie nicht Ihrer Wohlthaten wegen, nein! daß ich den herrlichen, ausserordentlichen, edlen Mann in Ihnen verehre, den Mann, der so, mit allgemeiner treuer Liebe, Alles umfaßt, zu dem man sich hingezogen fühlt, ohne zu wissen wie. – Ja! ich bin so stolz, zu glauben, Sie könnten Sich nicht von mir lossagen, und Sie wollten es auch nicht. Und mit dieser festen Zuversicht auf Ihren großen Character, bin ich so kühn Ihnen zu sagen, wie es mir seit der unglücklichen Stunde gegangen ist, da ich, mit zerrissenem Herzen, meinen Freund in Göttingen verließ. Ich lief nach dem Landgute zu, wo ich meine Charlotte noch zu finden glaubte. Dort wollte ich die Knie ihrer Eltern umfassen, und sie beschwören, uns nicht zu trennen, uns nicht das Leben zu nehmen. Aber sie war schon mit ihrer Tante fortgereiset, und nun glaubte ich keine Zeit verliehren zu dürfen, ihr nachzueilen, um sie, wo möglich, den Händen dieses schändlichen Weibes zu entreissen. Der Schulmeister (der einzige Mensch, den ich dort sprach) mußte mir den Weg beschreiben. Ich fragte von Dorf zu Dorf; Aber schon gegen die Mitte der Reise verlohr ich die Spur; Nirgends weiter hatte man die Kutsche gesehen. Man machte mich irre. Ich verlohr darüber acht Tage. Dadurch aber ließ ich mich nicht abhalten, sondern gieng endlich nach Donnergrund. Doch, als ich ankam, erfuhr ich zu meinem größten Erstaunen, daß die Frau von Donnergrund allein, ohne ihre Nichte, angekommen sey. Was war nun zu thun? Traurig und unentschlossen stand ich da im Wirthshause. Es waren preußische Werber 1 mit einigen Recruten in demselben Zimmer, und ausserdem saß noch ein Franzose in der Ecke. 2 Dieser nun näherte sich mir; Er merkte, daß ich in einem unruhigen Gemüthszustande war, und suchte jetzt auf die verbindlichste Art mein Zutrauen zu gewinnen. Das theilnehmende Mitleiden, welches aus den Reden des Fremden hervorzuleuchten schien, nahm mich armen Verlassenen bald für ihn ein. Ich erzählte ihm also mein Schicksal, und er both mir Rath und Hülfe an. Auch begnügte er sich nicht mit Worten, sondern machte würklich Anstalt, mir Licht über den Aufenthalt meiner Charlotte zu verschaffen. Er gieng aus, um, wie er sagte, denen Bedienten der Frau von Donnergrund das Geheimniß auszulocken; Ein Laquaie kam bald darauf mit ihm in das Wirthshaus; Sie sprachen unter einander, indeß er mir durch Zeichen zu verstehen gab, daß er hoffe, es werde alles gut gehn; Der Unterofficier von den Werbern wurde hinausgerufen; Man unterredete sich – Und, Gott verzeihe mir, wenn ich dem Franzosen Unrecht thue! (Untersuchen habe ich es nachher nicht gewollt) Aber sehr wahrscheinlich wird es mir itzt, daß er gemeinschaftlich mit der Frau von Donnergrund mich den Werbern verkauft hat. Kurz! er winkte mir, mit ihm zu kommen. Wir giengen in ein anderes Zimmer, und nun trug er mir folgendes vor: Er hatte nemlich, wie er sagte, von den Bedienten die Nachricht eingezogen, daß die Frau von Donnergrund das Fräulein (damit ich ihren Aufenthalt nicht erfahren sollte) einer Verwandtnin anvertrauet hätte, welche sie mit sich nach Berlin nehmen wollte. »Ich reise morgen grade auch dahin,« fuhr er fort. »Wollen Sie mir nur ein Paar Zeilen an Ihre Geliebte mitgeben, damit sie mir traue; so will ich schon Mittel finden, sie den Händen ihrer Baase zu entreissen; denn ich weiß genau den Weg, den sie nehmen muß, und auf mich wird niemand Argwohn haben. Sie aber müssen Sich mit den Werbern verabreden, (denn ich kann Ihnen sagen, daß man Sie sehr verfolgt) eine Uniform anzuziehen, und unter derselben Schutze mit bis an die Grenze der preußischen Länder zu kommen. In Baruth in Sachsen aber bleiben Sie, denn ich würde Ihnen eben nicht rathen, mit in das Preußische zu gehn. Dahin will ich aber Ihre Geliebte führen, oder durch sichere Leute bringen lassen. Nur muß ich mich darauf verlassen können, daß Sie dort sind, und ich das arme Fräulein nicht irreführe.« Ein Plan, der so einfach, so großmüthig und natürlich schien, mußte mir nothwendig gefallen. Ich dankte dem Franzosen mit allen Merkmalen der wärmsten Freude, und es kam nun nur darauf an, die Werber zu gewinnen, daß sie mir erlaubten, mit ihnen zu gehen. Wir riefen also einen von ihnen heraus. Dieser Bösewicht ließ sich lange bitten; Endlich willigte er in unsere Absichten ein; Ich zog Uniform an, der Franzose fuhr mit der Post fort, nachdem ich ihm vorher den verlangten Brief an meine Freundinn gegen hatte, und ich marschirte um Mitternacht mit den Soldaten ab. Keine Beschwerlichkeit war mir unterwegens zu groß; Schlechte Kost, theure Zehrung, ein elendes Nachtlager – Alles ertrug ich mit Freuden, denn die Hofnung, meine Charlotte wiederzusehen und zu besitzen, überwog jedes Ungemach. In der dritten Woche, als wir eines Tages in einem Städtgen einkehrten, kam (vermuthlich war das ein abgeredetes Spiel) ein Mann, und sah' uns Alle sehr aufmerksam ins Gesicht. Er verweilte sich lange bey mir, las eine Beschreibung meiner Figur her, die auf ein Haar zu meiner Person paßte, und darauf forderte er Rechenschaft von dem Unterofficier, ob und wie er mich angeworben hätte. Der schelmische Unterofficier rief mich auf die Seite: »Was ist hier zu thun?« sagte er, »Man wird Ihnen wohl einen Steckbrief nachgeschickt haben. Jetzt werden Sie mich in eine schöne Verlegenheit setzen. Wir sind hier in fremder Herrn Lande. Gewiß wird Ihr Papa, oder wen Sie sonst haben, Sie verfolgen, und man wird Sie und mich festhalten.« Ich war unerfahren genug, dies zu glauben, und bath den Bösewicht, mich aus diesem Handel zu helfen. »Hier ist kein anderer Rath,« antwortete er mir, »als daß Sie gradezu sagen: Sie seyen freywillig in Donnergrund von mir als Recrute angeworben worden; und dann will ich sehen, wer Ihnen ein Haar krümmen soll. Doch machen Sie es, wie Ihnen beliebt. Ich wollte aber, Sie hätten mich ungeschoren gelassen.« Was blieb mir zu thun übrig? Ich sah mich schon in Gedanken den Händen der Justiz überliefert, und Charlotten in Baruth, in der traurigsten Lage, allein, verlassen, vergebens sich nach mir sehnend. Der Vorschlag des Werbers, dem es gar nicht darum zu thun schien, mich bey sich zu behalten, behauptete also die Oberhand, und ich erklärte dem Fremden: ich sey freywillig zum Soldaten angeworben worden, welches derselbe niederschrieb, und mit Lächeln hinzusetzte: »Nun müsse er mich wohl ziehen lassen.« Von diesem Tage an begegnete man mir vollkommen wie einem Recruten. Denken Sie an, bester Vater! wie mir dabey zu Muthe war. – Aber wer wollte sich Meiner annehmen? Ich bath, drohete, sprach von vornehmen Verwandten, von meinem Stande; Aber man spottete nur über dies alles. Der Unterofficier nahm auch einen ganz andern Weg als nach Baruth, und sobald wir im Preußischen waren, überlieferte er mich einem Officier, dem er mit der größten Frechheit erzählte: Er habe mich angeworben; Und als ich Himmel und Erde zu Zeugen des Betrugs anrief, zeigte mir der Hauptmann, zu meiner größten Verwunderung, das Protocoll der Aussage, so ich in dem Städtgen gethan hatte, von einem Notar unterschrieben. Ich mußte also nebst den übrigen Recruten vier Wochen hier bleiben. Da half nun kein Klagen, kein Grämen. Ich fühlte die ganze Last des Unglücks, dem mich meine Unvorsichtigkeit und Thorheit ausgesetzt hatte – Aber ich mußte mich in mein Schicksal finden. So oft indessen der Gedanke in mir aufstieg, in welchen Zustand ich die Freundinn meiner Seele vermuthlich gesetzt hätte, lief ein kalter Schauer durch meine Glieder. Die Recruten wurden endlich getheilt. Der Unterofficier, der mich so schändlich betrogen hatte, gieng wieder zurück, und ein anderer führte den Transport, wobey ich war, nach Potsdam. Daselbst kamen wir des Abends an, und am folgenden Morgen sollten wir dem Obrist vorgeführt werden, dessen Regiment zwar in Berlin liegt, der aber jetzt bey dem Könige war. Ich erwartete sehnlichst diesen Augenblick, denn mein Herz ahndete, daß dieser würdige Mann nicht taub bey meinen Klagen seyn, und daß er mich retten würde. Sobald wir also sämtlich in sein Haus gebracht, und ihm vorgestellt waren, faßte ich Muth, und bath den Obristen, mit allem Anstande, den Erziehung und das Bewußtseyn der gerechten Sache geben können, mir eine geheime Unterredung mit ihm zu verstatten. Er bewilligte sogleich meine Bitte, schickte die Andern fort, und behielt mich allein bey sich. Jetzt erzählte ich ihm, in der ungekünstelten Sprache des Herzens, alle meine Unglücksfälle. Er hörte mir mit wahrer Theilnehmung zu, und schien gerührt, für mich eingenommen, und bereit, mir zu helfen. Er fragte nach jedem kleinen Umstande, und ich mußte ihm oft die Nahmen der Oerter und Personen wiederholen. Endlich – O, bester Vater! Wer hätte das denken sollen? – Als er recht nach des würdigen Meyers Geschichte geforscht hatte; fand sich's, daß dieser liebe Obrist grade derselbe Mann war, um dessentwillen einst mein treuer Mentor so viel gelitten hatte, 3 derselbe Adjudant, welcher wegen muthmaßlicher Vertraulichkeit mit der Fürstinn in ..... gefangen gesetzt wurde. Nun schien er doppeltes Interesse für meine Person zu fassen. Es war keine Rede mehr davon, daß ich sein Recrute wäre; Ich mußte den Soldatenrock wieder ausziehen, und sein ganzes Herz war beschäftigt, mir einen Plan für mein folgendes Leben zu machen. Allein ich konnte eher an nichts denken, bis ich mich von dem Schicksal meiner Charlotte versichert hatte. Der erste Gebrauch, den ich daher von meiner Freyheit machte, war, daß ich meinem edlen Obristen den Wunsch äusserte, nach Baruth zu reiten. Er schien diesen Vorsatz nur halb zu billigen; Doch, in dem Betracht, daß ich das arme Fräulein in eine sehr misliche Lage gesetzt hatte, stand er mir diese kleine Reise zu; ja, er gab mir einen Reitknecht und Geld mit, indeß er auch nach Berlin schrieb, um dort Erkundigung desfalls einzuziehen – Aber ein Frauenzimmer, kein Franzose waren in Baruth angekommen, und nirgends konnte man in Berlin auf die Spur treffen. Ich kehrte also traurig zurück. Aber nun fieng mein vortreflicher Obrist an, mir Vorstellungen wegen meiner künftigen Plane zu machen: »Es ist eine ganz gute Sache um die Liebe,« sagte er, »und ich kenne diese Leidenschaft vielleicht so gut als Sie. Allein Sie haben nun selbst gefühlt, daß sie auch ihre Bitterkeiten hat, und am Ende – Gestehen Sie es mir! – wäre es doch lächerlich, als ein irrender Ritter, in der Welt umher, einem Mädgen nachzulaufen, ungewiß ob man sie finden, ob man sie besitzen, ob man sie würde glücklich machen können. Sie sind jung, und haben dem gemeinen Wesen, für welches Sie gebohren wurden, noch gar nicht gedient. Versuchen Sie es, in der bürgerlichen Welt Ihr Glück zu machen, und Sich auf diese Art eine Aussicht zu eröfnen, einst dem Mädgen, das Sie lieben, ein besseres Glück anzubiethen, als wenn Sie jetzt Armuth und Hindernisse, die Sie noch gar nicht alle kennen, mit ihr theilen wollten. Zudem ist es noch nicht so gewiß, daß man sie Ihnen entreissen wird, und endlich wissen Sie ja nicht einmal, wo sie ist. Ich verspreche, Ihnen durch mein Vorwort eine Lieutenantsstelle zu verschaffen. Bey meinem Regimente ist grade eine Vacanz. Sie können dann bey mir wohnen und speisen, und ich stehe dafür ein, daß es Sie nicht reuen soll, mir gefolgt zu seyn. Gefällt Ihnen demnächst diese Lebensart nicht; so ist ja noch immer Zeit, sie zu verändern, und unterdessen wollen wir uns auf Kundschaft legen, was aus Ihrer Geliebten geworden ist.« Er führte so viel Gründe an, diesen gütigen Antrag zu unterstützen, daß ich ganz verblendet und undankbar hätte seyn müssen, wenn ich ihn nicht angenommen hätte. Ich dankte dem würdigen Manne aus der Fülle meines Herzens. Er schlug mich dem Könige vor, und seit wenig Tagen bin ich bey dem Regimente angestellt, und thue würklich schon Dienste. Nun, theuerster Wohlthäter! So ist denn jetzt mein Zustand besser, als ich es verdient habe – Werden Sie mir nun Ihren väterlichen Schutz dazu, Ihre großmüthige Verzeihung versagen? Beyliegender Brief meines lieben Cheffs 4 wird mein Vorsprecher bey Ihnen seyn, wenn es noch eines andern Vorsprechers, als Ihres eigenen edlen Herzens bedarf, das so gern wohlthut und verzeihet. Zugleich liegt auch ein Brief von dem Obristen und einer von mir selbst an den würdigen Meyer bey, 5 um deren gütige Besorgung ich so kühn bin, Sie zu bitten. Ach! wie verlangt mich von Ihnen Allen Nachricht zu hören! Ich müßte heucheln, wenn ich sagen wollte, daß meine Seele ruhig sey, so lange ich nicht weiß, was aus meiner Charlotte geworden ist; Aber wenn etwas in der Welt mich vergessen machen kann, daß ich nur bald lebe, indeß ich in dieser Ungewißheit bin; so ist es die Versicherung, daß Sie glücklich sind, und nicht ganz aufgehört haben zu lieben, Ihren treuesten Pflegesohn, Carl von Hohenau. Fußnoten 1 Man sehe den zweyten Brief in diesem Theil. 2 Wie der zwölfte Brief dies entwickelt. 3 Erster Theil 11ter Brief. 4 Dieser ist nicht in der Sammlung. 5 woraus in dem folgenden Briefe Auszüge vorkommen. 11. Brief Eilfter Brief. An den Freyherrn von Leidthal in Hamburg. Dresden den 10ten Junius 1771. Mein theuerster Herr! Unbeschreiblich habe ich mich gefreuet – so gefreuet, als vielleicht noch nie in meinem Leben. Unsern Carl gerettet, und einen längst verlohrengegebenen Freund gesund und glücklich zu wissen; das war mehr, als ich zu hoffen gewagt hätte. Ich will nun ein heiliges Gelübde thun, nie wieder im Unglücke zu verzweifeln, immer zu hoffen, und fest auf die Vorsehung zu bauen, die mit unbegreiflicher Kunst die Knoten unserer Schicksale auflöset, wenn sie auch noch so verwickelt scheinen. Doch, ich will Ihnen nun auch einen kurzen Auszug aus der Erzählung mittheilen, die mir der gute Obrist von seinen Begebenheiten, in dem Briefe, den er mir geschrieben hat, macht. Sie wissen, mein gnädiger Herr! daß, vor etwa fünf Jahren, eine unglückliche Catastrophe uns trennte. Der arme Adjudant wurde gefangen gesetzt, und ich nach Berlin geschickt, wo ich Sie anzutreffen das Glück hatte, und mit Ihnen nach Urfstädt reisete, ohne daß ich wieder etwas von meinem Freunde erfahren konnte. Das gieng auch sehr natürlich zu, denn obgleich er kaum ein halbes Jahr lang gefangen gesessen hat; so wußte er doch hernach nicht, wo er mich, noch ich, wo ich ihn suchen sollte. Er wurde in seinem Gefängnisse scharf bewacht, durfte sich auch mit niemand, weder mündlich noch schriftlich unterreden, bis der Tod des Fürsten auf einmal der Sache eine andere Wendung gab. Die Gemahlinn gieng in ihr Vaterland zurück, und da das Ländgen an ein anderes fürstliches Haus fiel; so war es nun leichter, die Entlassung des Adjudanten des vorigen Herrn zu bewürken. Er hatte in der Residenz noch einen Freund, der den Zusammenhang seiner Begebenheiten wußte; Ausserdem war die ganze Geschichte ein Geheimniß geblieben. Dieser ehrliche Mann nun verwendete sich für ihn. Der neue Fürst war ein Liebhaber von raren Thieren; Der Mann, der für meinen Freund bath, hatte eine ganz besondere Art von Hünern; Damit machte er dem Landesherrn, zum Behuf seiner Menagerie, ein Geschenk, und dies erleichterte um ein beträchtliches die Loslassung des Gefangenen. Die Hauptsache war aber, daß sich durchaus keine Nachrichten von Verbrechen fanden, die ihm zur Last fallen konnten; Man sagte dem Fürsten: er sey nur eines leichten Dienstfehlers wegen hingesetzt worden; Privatcabalen gegen ihn fielen weg; der Unterhalt eines Staatsgefangenen kostet denn auch immer Geld; und also war es nicht schwer zu erlangen, daß ihn der jetzige Fürst aus seiner Gefangenschaft befreyete, da er denn das Land verließ, und zu einem Verwandten in Schlesien gieng. Vorher aber erhielt er von dem Fürsten den Abschied als Obristlieutenant; Wie denn überhaupt manche neue Regenten gern, zu Anfang ihrer Regierung, einige Beyspiele ihrer fürstlichen Huld geben, um in den Zeitungsblättern ausposaunt zu werden, und ein vortheilhaftes Licht auf ihre folgende Regierung zu werfen, welches sie aber bald wieder auszulöschen pflegen. Jetzt bemühete sich sein Vetter, der vom Könige von Preussen, dem er ehemals als Gesandter wichtige Dienste geleistet hat, geliebt wird, ihm eine Laufbahn in dessen Diensten zu eröfnen. Es gelung; Man stellte ihn dem Könige, der wahres Verdienst zu schätzen, und Talente zu ermuntern weiß, vor. Er wurde bey der Armee angesetzt, und hat seit einem Jahre das Regiment, worunter jetzt unser Carl dient, und welches in Berlin in Garnison liegt. Wunderbar, wie der Himmel unsre Begebenheiten lenkt, in einander verwebt, Menschen vereinigt, trennt, wieder zusammenbringt – So magisch, daß wenn nur mancher, ohne alle Zusätze, die Geschichte seines Lebens schreiben wollte, wir einen sehr viel verwickeltern und interessantern Roman bekommen würden, als die mehrsten derjenigen sind, wo die Fantasie Histörchen zusammenflickt, denen man die Aengstlichkeit des Erfinders, seinen Leuten Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen, ansieht. Warum schreiben also nicht mehr Menschen, ungeschminkt, die Geschichte ihres Lebens? Kann den Menschen etwas näher angehn, als eine mit Treue und Beobachtungsgeist geschriebene Lebensgeschichte eines andern, auch noch so geringen Menschen? Oder schämt man sich, seine und anderer Leute Fehler und Thorheiten aufzudecken? – Als wenn nicht jeder wüßte, daß wir dergleichen haben! – Wird man deswegen den Mann hassen, weil man erfährt, daß er, durch Leidenschaft irregeführt, einst oder oft nicht so gehandelt hat, wie wir – bey einer Tasse Caffee glauben, daß wir handeln würden? – Und wenn auch ein Mensch in einer solchen Erzählung vorkäme, der uns als durchaus schlecht gemalt würde, (Noch habe ich zwar keinen dergleichen in der Welt gefunden) verdiente der es dann nicht, öffentlich an den Pranger, Andern zur Warnung, gestellt zu werden? Würde das nicht mehr Nutzen stiften, als manche bürgerliche Strafe, die ohnehin nicht jeden vornehmen Bösewicht erreichen kann? Man sollte in dem einfachsten Styl erzählen: »Ich ..... bin in .... gebohren« und so ferner. »Dort habe ich eine große Schwachheit begangen, hier, durch Ehrgeiz getrieben, eine sehr schlechte Handlung gethan, die mich itzt reuet. Dort hat mich ein Schurke unschuldig verfolgt, und unter die Füße getreten. Der Kerl ist jetzt Minister in .... Canzler in .... Fürst, Bischoff in .... des heiligen römischen Reichs ....« – (oder was denn der Kerl grade wäre). »Hier hat jemand recht edel an mir gehandelt. Jetzt ist der arme Mensch Senftenträger in .... oder im Hospitale .... gestorben, oder gar irgendwo allgemein miskennt, und von einem Bösewichte als ein Schelm fortgejagt worden, weil er zu ehrlich war.« Und so fort erzählt, mit Nennung aller Nahmen der guten und schlimmen Personen. Glauben Sie nicht, bester Herr! daß solche Romanen Nutzen stiften könnten, daß sie Toleranz und Menschenliebe verbreiten würden? Aber, in aller Welt! was mag aus dem Fräulein Charlotte von Hundefeld geworden seyn? Das beunruhigt mich sehr. Ich glaube, Sie müssen doch ja nicht versäumen ihren Eltern Nachricht von unsers Carls Unschuld an ihrer Entführung zu geben. Diesem aber wird man wohl nicht sagen dürfen, daß der Bösewicht, der Franzose, sie würklich fortgebracht hat, sonst vergeht er vor Schmerz. Aber wohin kan er mit ihr gereiset seyn? Zu welchem Zwecke? – Vielleicht haben ihre Eltern schon Nachricht von ihr – Mein Herz nimt warmen Antheil an dem Schicksal des armen Mädgens; Mögte ich in Ihrem nächsten Briefe einige gute Nachricht darüber finden! Ich verharre ehrerbiethigst, Bester Herr! Ihr unterthäniger Diener, Meyer. 12. Brief Zwölfter Brief. An den Herrn Grafen von ..... in Berlin. 1 à Worms ce 4 me d'Avril en 1771. Monseigneur, Siehe da mich endlich in Stand zu präsentir an Ihre Excellenz eine hübsche kleine Mädgen, die ich führe mit mir seit ein Paar von Monath, wie ein Schatz, den ich Ihr aufbewahr. Das ist nicht, daß ich davon nicht hätte können finden bis dahin, die würden haben gezählt zum Glück, anzugehören an Ihre Excellenz. Aber ich würde davon haben können begegnen kaum, die gegleicht hätten derjenigen, wovon ich komme zu reden, und die ein Hazard hat geliefert in meine Hände. Ihre Excellenz weiß, daß Sie mir schrieb, daß, in Zurückkehren von Spaa, ich sollte anwenden eine Theil von unser Gewinst, um Ihr zuzuführen eine hübsche Maitresse. Ich mich erkundigt da und dort, aber alles was ich fand ne me convenoit pas. (Ich weiß nicht, wie man ausdrückt das in Teutsch, und doch ich liebe zu schreiben teutsch, seitdem daß ich kenne diese Sprache, und daß ich Ihr mach Vergnügen, indem derselben mich bedienen, obgleich ich sey verbunden zurückzulaufen auf jeden Augenblick an einem Dictionair.) Endlich eine sonderbare Aventüre mich führte gegenüber von einem jungen Menschen, der war auf der Verzweiflung, weil man ihm hatte entführt seiner Geliebte. Er machte mich Vertraueter von seinen Strafen, und ich ergriff den Augenblick, um ihm anzubiethen meine Dienste. Er beladete mich selbst von einem Briefe für seine Schöne, im Fall, daß ich sie könnte finden, und ich war genug geschickt um auszugraben ihren Aufenthalt, nachdem zu haben verhandelt den jeune damoiseau an die Werber der Preussen. Ich machte nun Gebrauch von seinem Billet, um zu entreissen die junge schöne Person der Aufsicht von einer alten Gouvernante, indem ihr versprechend, sie zu liefern in die Hände von ihrem Liebhaber, den ich ihr verkaufte für meinen Freund. Und also, im Ergreifen einen Weg durchaus entgegengesetzt zu demjenigen, den er hatte genommen, kam ich an mit ihr hier in Worms. Ich verstellte seyn in Verzweiflung, nicht zu finden unsern Mann; Unterdessen ich sie behandelte mit der letzten Ehrerbiethung möglichst. Sie gab in den Garn zu Anfang, weil ich ihr versprach die Neuigkeiten von ihrem Geliebten. Ich verstellte selbst zu haben von seinen Briefen, in welchen er mir meldete, wollen kommen in Wenigem. Aber endlich sie schien sich zu mistrauen von meiner Aufrichtigkeit. Ihre Betrübniß wuchs von Tag zu Tag, nicht habend mehr Geld, und nicht davon wollend annehmen von mir. Endlich sie fiel sogar krank von Unmuth. Ich leyhete ihr alle Hülfe möglichst, und träumend, daß sie würde seyn mehr ruhig zur Seite von einer Frau, ich ihr ließ eine Alte von meiner Bekanntschaft, vorgebend wollen suchen ihren Geliebten, aber in der That, um ihr zu geben die Zeit, sich zu machen an ihr Schicksal, und um zu arranger, die Sache von dem Lotto in .... wie es weiß Ihre Excellenz. Aber bevor zu reisen, ich unterrichtete wohl die alte Frau, wie sie sollte sich nehmen mit ihrer jungen Mädgen. Ich ließ ihr alle Arten von Romanen, die sie ihr sollte anbiethen zu lesen. Zu gleicher Zeit ich schrieb zwey Briefe, einen an ihre Eltern, den andern an den jungen Menschen nach Potsdam. Ich bildete nach so gut ihre Hand, daß sie selbst sich dabey hätte betrogen. Ein feiner Teutscher mir kam zu Hülfe im Arrangement von dem Styl. Ich schrieb an ihre Mutter: daß sie sich war verheyrathet an ihren Freund, und an den Amant: daß er nicht sollte träumen an ihr, und daß sie hätte gehabt das Glück, zu finden eine Partie wohl mehr convenable. Von der andern Seite ich unterdrückte die Briefe, welche sie schrieb, sie selbst, und die waren erfüllt von Verzweiflung und Reue. Während die zwey Monathe, daß ich war abwesend, ihre Krankheit vermehrte von Tag zu Tag. Sie hat nicht verlassen das Bette. Unterdessen die alte Frau hat gewonnen ihre Zuneigung, vorgebend, daß sie zöge das Geld, das sie bezahlte täglich für sie, aus der Arbeit ihrer Hände. Die Demoiselle hat gütlich versprochen zu ersetzen alles, sogleich daß sie würde haben Antwort von ihren Eltern, dies mich hat gemacht lachen. Ueber diese Begebenheit ich ankam gestern, und ihr mitbrachte einen Brief von ihrem Geliebten, aber den ich hatte geschrieben selbst, und in welchem ich hatte gelegt zehn Louisd'or, begleitet von der Bitte, zu kommen mit Monsieur de la Saltière, sein lieber Freund, eiligst nach Berlin, wo er wäre placiert vortheilhafterweise, aber abgehalten durch eine Fluxion am Fuß, sie abzuholen in Person. Die Kleine schauderte fast von Freude, zu dem Anblick von diesem Briefe. Sie gab sogleich vier Louisd'or von dem Gelde an die Alte, versprechend ihr zu schicken mehr. Es ist wahr, daß sie schien zu fühlen einen leichten Widerwillen, zu reisen mit mir. Aber endlich sie sich entschloß, und wir uns werden in die Route machen diesen Abend, nehmend den Weg durch Würzburg. Ich zähle doch anzukommen mit ihr gegen den 15ten von diesem Monath in Berlin, und werde setzen Fuß an Erde in dem Hause von Valet de Chambre von Ihre Excellenz, von woher ich werde haben sogleich die Ehr, Sie zu avertir, um zu arranger das Uebrige. Endlich Ihre Excellenz fühlt wohl, daß ich habe gewesen verpflichtet zu machen starke Depense, und daß mir übrigbleibt wenig von Geld, das Sie hat wohl gewollt lassen in meinen Händen. Aber auch ich halte mich versichert, daß Sie Sich davon reuen wird nicht, habend die Ehre zu seyn mit dem mehr tiefen Respect, Von Ihre Excellenz der mehr unterthänige Diener Jean Marie de la Saltière. Fußnoten 1 Wenn die Leser am Ende dieses Briefes den Nahmen la Saltière lesen; so werden sie bald merken, daß dies derselbe würdige Franzmann ist, welcher im sechsten Briefe des zweyten Theils auftrat, wo man ihn die jetzige Frau von der Hörde nebst ihrem Geliebten in ein schlechtes Haus führen sah. Es scheint also, als wenn dieser Herr nicht die edelste Art von Gewerbe triebe. 13. Brief Dreyzehnter Brief. An den Freyherrn von Leidthal in Hamburg. Dresden den 26ten Aprill 1771. O mein theuerster Herr! Wie vergänglich sind alle menschliche Hofnungen! Da bekomme ich eben einen Brief von unserm Carl, der mich in Schrecken und Wehmuth versetzt. Denken Sie nur, der redliche Obrist ist schleunig gestorben – Vor vierzehn Tagen kam der würdige Mann gesund vom Exerciren nach Hause; nach Tische fieng er an über heftiges Seitenstechen zu klagen; die Krankheit nahm täglich zu, und endigte vorigen Montag sein Leben. Da ich nicht weiß, ob Ihnen der Herr von Hohenau schon die traurige Nachricht gemeldet hat; so eile ich, Ihnen dies zu berichten – Sie werden es meinem Briefe ansehen, wie sehr mich dieser Fall betäubt. Wieder ein rechtschaffener Mann weniger in der Welt! – Und welch' ein Verlust für unsern Pflegesohn! Auch ist jedes Wort von ihm ein Abdruck des tiefsten Schmerzens. Ja! der arme Carl leidet noch von einer andern sehr empfindlichen Seite; denn wenig Tage vor dieser betrübten Begebenheit, hatte er ein Paar Zeilen von seiner Charlotte, ohne Benennung des Orts ihres Aufenthalts, bekommen, darinn sie ihm, in Ausdrücken, die, wie er sagt, gar unbegreiflich von ihrem sanften Character, und auf keine Art ihrer würdig waren, schrieb: »Er solle nicht ferner an sie denken; sie habe eine andre vortheilhafte Partie getroffen.« 1 Zu jeder andern Zeit würde ich es vielleicht für ein Glück halten, daß die Sache auf diese Art ein Ende nähme, da doch wenig Hofnung zu Vereinigung dieser Leute da war; aber jetzt, da der junge Mann, in einer Welt wie Berlin, seines Führers beraubt, sich allein überlassen bleibt; jetzt wäre ihm eine tugendhafte Liebe, mögte sie auch ein wenig romanhaft seyn, ein Leitstern gewesen. Nun fürchte ich sehr für seine Sitten. Aus seinem Briefe blickt Mismuth, Verzweiflung, und eine gewisse Bitterkeit hervor, die mir gar nicht gefällt. Ich habe ihm geschrieben, was man in solchen Fällen schreiben kann. Mein vortreflicher Obrist hat auch noch auf dem Todtenbette für unsern Carl gesorgt. Sein Vetter war grade in Berlin. Dieser, der von dem Verstorbenen erbt, hat sich in dessen Gegenwart gerichtlich verbinden müssen, dem Herrn von Hohenau, bis derselbe eine Compagnie haben würde, monatlich vier Thaler Zulage zu geben – Der gute Mann! – Das war also wieder ein kurzer Traum – Schon machte ich Plane, ihn in künftigem Jahre in Berlin zu besuchen – Jetzt liegt er im Schooße der mütterlichen Erde, und ist dieser unruhigen Welt entflohn – Was ich seit einem Jahre aufs Neue erlebt habe, betäubt mich oft so, daß ich Mühe habe mich zu überzeugen, daß mir das alles würklich also begegnet ist. Es werden kaum vierzehn Wochen seyn, daß ich in Donnergrund im Wirthshause, um eben diese Stunde saß, und um unsern Carl trauerte, der indeß mit mir unter einem Dache war, ohne daß wir von einander etwas wußten – Und was ist nicht wieder in dieser kurzen Zeit vorgefallen! – Ach, bester Herr! könnte es ein Verbrechen seyn, wenn meine Seele wünschte, bald das Ende aller dieser Verwirrungen zu sehn; wenn ich mich nach der Ruhe im Grabe sehnte, wo Vergessenheit der Sorgen, wo ewiger Frieden wohnt? – Doch, ich bin in einer so traurigen Stimmung, daß ich nicht weiter schreiben mag – Thränen der Zärtlichkeit – das Einzige, was ich dem Andenken meines abgeschiedenen Freundes weyhen kann – sollen, hoffe ich, mein Herz erleichtern. Seyen Sie nur recht glücklich, mein bester, gnädiger Herr! recht gesund, recht heiter, und entziehen nicht Ihre väterliche Güte, Ihrem treuen Diener, Meyer. Fußnoten 1 Man erinnere sich, daß das der von dem Franzosen fälschlich geschriebene Brief war. 14. Brief Vierzehnter Brief. An den Freyherrn von Leidthal in Hamburg. ..... den 4ten Junius 1771. Ich wünschte nur, mein gütiger Freund! Sie mögten mich jetzt sehen, wie ich den Hausvater mache, überhaupt, welche Figur ich spiele, seitdem ich verheyrathet bin. Ich glaube wohl, es mag mich ziemlich lächerlich kleiden; aber mit dem allen, das versichere ich Sie, hätte ich nicht gedacht, daß ich mich sobald an das häusliche Leben gewöhnen würde. Freylich stellt man sich das Ding ganz anders vor – Es ist ein ernsthafter Schritt, mein lieber Herr! das fühlt auch der leichtsinnige Weckel. Denn einmal, ein Ehemann nach der Mode mag ich nicht seyn; ich will jede auch noch so geringe Bekümmerniß, jede auch noch so leichte Freude mit dem guten Geschöpfe theilen, das nun an mich geknüpft ist, das ihr Glück in meine Hände gelegt hat, von dem mich nichts trennen kann – Und dann, wie manche kleine Sorge, die ich sonst für nichts achtete, sondern bald wieder abschüttelte, sehe ich jetzt mit ganz andern Augen an! Ich gehöre nicht mehr mir selbst; ich bin fester an die bürgerliche Gesellschaft gebunden; alles was mir begegnet, fällt auf das gute Weib zurück – Allein ich bin glücklich, recht glücklich, dabey so fröhlich als jemals, und davon, hoffe ich, sollen Sie bald selbst Zeuge seyn. Denn gestern habe ich an unsern ehrlichen Meyer geschrieben, und ihn gebethen, bald möglichst Urlaub zu nehmen, um zu mir zu reisen. Vielleicht findet sich dazu noch vor dem Winter Gelegenheit; wo nicht; so soll doch gewiß im nächsten Frühjahre nichts dazwischen kommen. Ich behalte dann den lieben Mann einige Wochen bey mir, gehe darauf mit ihm und meiner guten Frau von hier nach Hamburg, und besuche unsern theuren, vortreflichen Baron Leidthal, von welchem ich so oft mit meiner Frau rede, daß sie nicht lange mehr der Versuchung wird widerstehen können, Ihre persönliche Bekanntschaft zu machen. Uebrigens reiset der Herr Hauptmann von Weckel nicht mehr so viel, als in seinem ledigen Stande, kann also auch dem curiosen Liebhaber nicht mehr mit so viel Reiseanecdoten aufwarten. Doch habe ich, gleich nach meiner Hochzeit einen kleinen Ritterzug gemacht, um meine Frau und mich ihren und meinen Verwandten vorzustellen. Unter diesen habe ich denn freylich auch manche comische Originale, aber auch manche wackre, brave Leute kennen gelernt. Es versteht sich, daß wir Alle uns von beyden Theilen Mühe gaben, unsre glänzendsten Seiten auswärts zu kehren. Das ist wahrlich für einen Dritten recht lustig anzusehn, wenn so ein Paar Leute zusammenkommen, die gern von einander bewundert werden mögten, oder die sehr viel Gutes von einander gehört haben. Da drehen und wenden sich dann die Kerlchen, (wenn sie Verstand haben, versteht sich) um sich wechselsweise die schwache Seite abzujagen! und wenn sie aus einander gehn, findet sich immer, daß der Eine den Andern vortreflich findet, wenn dieser ihm entweder Gelegenheit gegeben hat, seine Talente auszukramen, oder wenn beyde Narren sich auf gleiche sympathetische Thorheiten ertappt haben. Sie wissen es, mein theuerster Freund! Mein Grundsatz ist: daß man (Ich rede nicht von bleibenden, auf verdiente Hochachtung gestützten, sondern von vorübergehenden Eindrücken) daß man, sage ich, in dem ersten Angriffe, mit den Menschen machen kann, was man will, wenn man nur Gelegenheit gehabt hat, sie vorher zu studieren. Man hat sie dann am Stricke, faßt sie bey der schwachen Seite, und setzt sich so, ohne alles Anklopfen, grade in ihr Herz hinein. Es ist mir oft wiederfahren zu wissen, daß die Leute gegen mich eingenommen waren – Immerhin! Ein einziges Gespräch unter vier Augen; und sie sind mein – Aber auf diese elende Kunst, so sehr sie auch beynahe die Triebfeder aller menschlichen Handlungen ist, bilde ich mir eben so wenig ein, als ich durch Vorurtheile beunruhigt werde, die mancher Mensch, ohne mein Herz zu kennen, ja! ohne mich je gesehn zu haben, durch die Gespräche irgend eines alten Weibes oder dergleichen, von mir gefaßt hat. Das war eine kleine Ausschweifung; Jetzt zu meiner Reise. Wir giengen zuerst zu einem Oncle meiner Frau, der, weil wir ihm unsere Ankunft nicht vorher gemeldet, hatten, abwesend, doch in der Nachbarschaft bey einer Verwandtinn war; Also zogen wir dahin, und trafen ihn dort an. Es war aber Mittagszeit; Wir wollten also nicht gern nüchtern fortgehn, bathen uns daher bey dem Herrn Gerichtshalter zu Gaste, der uns denn auch, mit unzähligen Complimenten, vorlieb zu nehmen bath, und uns darauf folgendes vorsetzte: Hirse mit Milch; sauren Kohl und Schweinefleisch; und zuletzt Quetschen mit Senf. Ich will Sie, mein lieber Herr! nicht mit Erzählung derjenigen sonderbaren Revolutionen aufhalten, welche diese, in der That nichts weniger als einförmige Malzeit, in uns erregte. Es sey mir genug, Ihnen zu sagen, daß wir, ohne mehr als etwa sechsmal a Person auszusteigen, glücklich bey der Frau Tante ankamen. Der Herr Vetter, von dem ich eben Erwähnung gethan habe, kam uns bis an das Hofthor entgegen. Er hatte einen blauen manschesternen Rock, und eine grüne Weste an. Nachdem er meine Frau, mit aller Violenz, aus dem Wagen gehoben hatte, trat er (denn es regnete) erst die Füße auf der Strohmatte ab, und ließ unterdessen seine Dame allein da stehn. Wir fanden oben eine kleine Gesellschaft, die aus dem Pfarrer des Dorfs, und einem Edelmanne aus der Nachbarschaft bestand. Der Edelmann lag so entsetzlich, daß es nicht möglich war, mit dem besten Köhlerglauben, dagegen Stich zu halten. Er hatte unter andern einen Mann gekannt, der so gut schiessen konnte, daß er, wenn er den Schlüssel zu seinem Schranke in eine Pistole ladete, denselben nach Belieben in das Schlüsselloch, mit einer solchen Gewalt zu schiessen verstand, daß derselbe sich umdrehete, und den Schrank öfnete. Ein Knabe war einst in seiner Gegenwart vom Kirchthurm gefallen und, durch den Wind aufgehalten, so unbeschädigt geblieben, daß er noch Gegenwart des Geistes genug besessen hatte, ein Stück Butterbrod, welches er eben im Munde hielt, nicht zu verliehren, sondern ruhig unten zu verzehren. Eine schwangere Frau hatte sich dermaßen an einem Officier von der würtenbergischen Garde versehen, daß sie mit einem Kinde niedergekommen war, welches Schleufen von geschlagenem Silber, auf den ganzen Leib hinunter, mit auf die Welt gebracht hatte. Der Pfarrer hielt sich ruhig, solange es zu essen, zu trinken, und nichts zu zanken gab. Gegen Ende der Abendmalzeit aber geriethen beyde in einen heftigen Wortwechsel über die Rechtmäßigkeit des geistlichen Zehntrechts. Der Edelmann gieng indessen früher fort. »Das ist ein grober Herr!« rief der Prediger, sobald jener aus dem Hause war. »Und ich weiß nicht, worauf sich der Mann etwas einbildet; Er ist ein Erz-Atheist.« Wir blieben zwey Tage an diesem Orte. Die Tante ist eine gute, einfache Frau, schlecht und recht, ohne große Forderungen. Mit ihr reiseten wir dann weiter, drey Meilen von da, nach ...... Sie können Sich leicht vorstellen, daß ich keinen großen Beruf fühlte, an den dortigen sogenannten fürstlichen Hof zu gehn, sondern daß ich ruhig in dem Circul meiner Familie blieb. Doch lief ich einmal durch das Städgen und den Schloßgarten, und sahe auch hier allerley drollichtes Zeug. Einer von den Hof Cavalieren begegnete mir reitend, und las zu Pferde – das war schon ganz hübsch! Man begrub grade an dem Tage den Canzelleydirector – Ich hatte hier wieder Gelegenheit meine Anmerkungen über die Schiefigkeit des Geschmacks zu machen, welche in unserm Zeitalter noch so sehr groß ist; Nemlich, daß wir unsre Augen gewöhnt haben, Unschicklichkeiten zu übersehen, und die Vereinigung der allercontrastierendsten Gegenstände zu ertragen. Zum Beyspiel: Eine Kutsche, welche hinter der Leiche eines alten Mannes herfährt, sollte doch etwas ehrwürdiges haben. Wenn aber Amoretten auf dem Kasten gemalt sind; Wenn ein Kutscher mit einem Schnurrbarthe einen schwarzen Mantel umgehängt hat, und dabey weisse Handschuhe trägt; Wenn voran ein Schulmeister mit einem Haufen muthwilliger Knaben, die sich unterwegens einander necken und kneipen, unter gräßlichen Gebehrden, in fürchterlichen Mistönen, nach der elendesten Melodie, ein Lied brüllt, wovon die Poesie eben so erbärmlich ist; so giebt doch wohl das alles einen mehr lächerlichen als feyerlichen Anblick. Der fürstliche Garten steht aus, wie die Marzipangärten, welche man den Kindern zum Weinachtsgeschenke giebt. Auf jeder Taxuspyramide ist oben ein Fürstenhut ausgeschnitten, und in einem kleinen Bassin sah ich ein Paar steinerne Schwaane ganz dünne Wasserstrahlen speyen, indem sie auf ihren ausgebreiteten Flügeln das fürstliche Wapen eingegraben trugen. Als ich nach Haus kam, fand ich eine ganz artige Gesellschaft zum Mittagsessen eingeladen. Es war aber auch ein Leibchirurgus dabey, der ausserordentlich neugierig schien; denn er fragte nach einer Menge kleiner Geschichtgen aus dieser Gegend, um welche ich mich nie bekümmert habe, oder von denen ich, wenigstens an einem fremden Orte zu reden, für unklug halte. Und weil ein vorwitziger Neugieriger auch immer ein unvorsichtiger Schwätzer ist; so konnte er manche Anecdote von seiner gnädigsten Herrschaft nicht auf dem Herzen behalten, die er wohl hätte verschweigen können. Dabey wollte er belesen und gelehrt scheinen, redete auch von Alchymie, verwickelte sich aber oft in seinen Erzählungen, und sagte unsinniges Zeug. Unter andern versicherte er: er habe einen Mann gesprochen, der den Theophrastus Paracelsus, Carl V. Leibmedicus, von Person gekannt hatte. Ich ließ das alles so hingehn; denn, obgleich ich gern über einen Narren lache; so beschäme ich doch nicht gern jemand und es thut mir allzeit weh, wenn ich irgend ein Geschöpf in Verlegenheit sehe – Allein ich merke, daß ich so ziemlich wieder in meinen alten Reisebeschreiberton verfalle – Nun will ich aber auch schleunig abbrechen. Zudem geht mein Papier zu Ende; Ich muß machen, daß ich noch vor dem Schlusse nach Hause komme – Also kurz! Nachdem wir die ganze Familie rund umher besucht hatten, kamen wir wieder hierher, woselbst würklich noch zu der jetzigen Stunde sitzt, und diesen Brief schreibt, Ihr ergebenster Diener, Franz von Weckel. 15. Brief Funfzehnter Brief. An den Herrn Hauptmann von Hundefeld in ..... Berlin den 16sten Junius 1771. Gnädigster Herr Vater! Es ist wohl freylich, als wenn sich alles gegen mich verschworen hätte, damit ich unsere arme Charlotte nicht finden soll. Ich berichtete Ihnen neulich gehorsamst, 1 wie ich, durch meine Tante irregeführt, hin und her gereiset bin, ohne im geringsten auf die Spur kommen zu können, wo meine arme Schwester seyn mögte, und daß ich nun fest entschlossen sey, nach Berlin zu gehn, um wenigstens den Herrn von Hohenau aufzusuchen. Da komme ich denn nun eben hier an, und habe nicht verfehlen wollen. Ihnen davon sogleich schuldige Nachricht zu geben, damit Sie, und meine gnädigste Frau Mutter, der ich ehrerbiethigst die Hände küsse, meinetwegen nicht in Sorgen seyn mögen. Der Brief den Sie mir, bester Herr Vater! letzthin zu schicken die Gewogenheit gehabt haben, 2 ist zuversichtlich nicht von meiner Schwester. Es ist weder ihre Hand, noch ihre Schreibart. Dahinter steckt gewiß Betrug. Zudem weiß ich durch den Herrn Meyer ganz sicher, daß Hohenau selbst Charlottens Aufenthalt nicht erfahren hat – Morgen früh wird sich alles aufklären; Sobald ich ausgehn kann, gehe ich zu ihm. Ich bin kaum seit einer Stunde hier im Gasthofe, wo ich noch niemand gesehen habe, als einen äusserst höflichen Franzosen, 3 der hier gespeiset hat. Er scheint Officier zu seyn, und hat mir Hohenaus Wohnung beschrieben. Weil er sehr verbindlich war; so habe ich ihm die Absicht meiner Reise entdeckt, und er hat mir seine Dienste angebothen, will mich auch morgen selbst hinbegleiten. So viel nur in Eile – Die Post geht in einer halben Stunde ab – Ich verharre mit kindlicher Ehrerbiethung, Theuerster Herr Vater, Ihr gehorsamster Sohn, Hundefeld. Fußnoten 1 Die vorhergehenden Briefe finden sich nicht. 2 und den, wie wir wissen, der ehrliche Franzose geschrieben hat. 3 Da ist wieder Mr. de la Saltière, wie man aus dem folgenden Briefe sieht. 16. Brief Sechzehnter Brief. Billet an Ihre Excellenz den Herrn Grafen .... chés moi ce 16. du Juin en 1771 à 11 heures du soir. Monseigneur, Ich schreibe in Eil diesen Billet an Ihre Excellenz, um Ihr zu melden, daß ich komm zu machen einen coup de Maitre, und das doppelterweise. Nicht allein ich habe aufgefangen den Brief hier beygeschlossen, 1 den unsre junge Person hatte geschrieben an ihre Eltern, und gewonnen eine der Mägde von Madame Schouffitte, 2 um ihn zu tragen heimlich auf den bureau der Post; Aber auch es ist gefallen in meine Hände diesen Abend der Bruder von der Demoiselle, der kam ausdrücklich hierher, um zu suchen seine Schwester, und um zu sprechen an den Lieutenant von Hohenau. Zu diesem Endzweck ich habe gleich gesucht mich zu machen nothwendig an seine Person, ihm anbiethend, weil er wäre durchaus fremd hier, meine Dienste, und ihn zu führen selbst zu dem Herrn, den er suchte. Wir sind dazu übereingekommen auf morgen, und ich habe genommen Abschied von ihm auf wiedersehen, laufend wie ein Besessener, um zu avertir das Gouvernement daß sich fände hier ein Mensch, der wir vorkäme zweydeutig, hinzufügend alle Arten von Anzeigen, um ihn zu setzen unter die Augen der Polizey, wie einen Menschen verdächtig und gefährlich. Ich habe so gut gehandhabt das alles, daß bevor aufzustehn, er wird bekommen morgen vom Gouverneur die Ordre zu verlassen die Stadt. Ihre Excellenz wird fühlen wohl, ich hoffe, daß ich wache für Ihre Interesse, und daß ich nicht durchlaufe alle Gasthöfe der Stadt für die Pflaumen. Morgen werde ich haben die Ehre Ihr zu präsentir vom Munde meine Ehrerbietungen. de la Saltière. Fußnoten 1 den folgenden 17. Brief. 2 Diese würdige Frau, bey welcher das Fräulein Charlotte jetzt eingesperrt ist, lernt man aus dem letzten Briefe in diesem Theile kennen. 17. Brief Siebenzehnter Brief. (Einschluß des vorigen.) An die Frau von Hundefeld in ...... Berlin den 16ten Junius 1771 Meine theuerste, beste Mutter! Nicht eine einzige Zeile Antwort auf keinen meiner Briefe? – O Gott! ist denn das Andenken an Ihre unglückliche Tochter, durch einen einzigen Fehltritt, so ganz aus Ihrer Seele vertilgt, daß die Stimme der Natur kein Erbarmen mehr zu meinem Vortheile bey Ihnen erwecken kann? – Um Erbarmen, um Mitleiden, um Rettung, sonst wage ich ja nicht um irgend etwas zu bitten. Sie haben mich selbst gelehrt, mich des Elenden anzunehmen, auch dann, wenn seine eigenen Verirrungen ihn in dies Labyrinth geführt haben – Ach! sollten Sie, theuerste Mutter! jetzt das Ihrer einzigen Tochter versagen, was jeder Leidende, der um Ihre Hülfe flehet, bey Ihnen findet? – Ihrer Tochter, die, von ihrer zarten Kindheit an, Sie wie ihre treueste Freundinn lieben, Ihnen ihr Herz ausschütten und, wenn sie Kummer hatte, ihr weinendes Haupt an den Busen der besten Mutter drücken durfte? – Aber damals kannte ich noch nicht, was Elend und Jammer heißt; Ruhig und leicht flossen meine Tage dahin; Meine Eltern liebten mich – Wo sind sie, jene glücklichen Tage? Verstoßen, verlassen, krank, die Hände ringend, quäle ich die schwarzen Stunden hin, seufze meinem Ende entgegen – Und o! mögte es nicht fern mehr seyn! – Noch einmal werfe ich mich zu Ihren Füßen, theuerste, ewig geliebte Eltern! – Es ist so süß zu verzeyhen, wie der Vater im Himmel verzeyhet – Machen Sie mit mir, was Sie wollen; Sperren Sie mich ein; Aber um Gottes willen! retten Sie mich aus dem Zustande, darin ich schmachte! – Ich kann nicht mehr schreiben – Meine Kräfte verlassen mich – Ach! ich bin sehr krank – Um 1 Uhr Nachmittags. Weinen kann ich nicht mehr; die Quelle ist versiecht – Ich sitze zuweilen so ganz starr, gleichgültig da auf meinem Bette, und meine, es wäre mir recht leicht, recht wohl, hoffe dann immer, der Freund der Unglücklichen würde mich bald in seine Arme schliessen, die mütterliche Erde mich aufnehmen – Aber dann kömmt auf einmal wieder eine Stunde – Gott gebe niemand solche Stunden, vorzüglich dem nicht, der mich in dies Elend gestürzt hat, der mich nun verläßt – o Himmel! – dem ich gern verzeyhe – Aber es ist hart, grausam hart – Um 4 Uhr. Ich habe wieder abbrechen müssen; das Fieber greift mich sehr an. – Die Stunden sind so lang – Wenn Ihnen doch jemand erzählen wollte, wo ich bin, wie es mir seitdem gegangen ist! – Woher soll ich selbst die Kräfte dazu nehmen? – Aber ich habe ja niemand mehr auf dieser Welt; Also muß ich wohl, so gut ich kann. Der Franzose führte mich hierher – O! wäre ich nur bey der ehrlichen Frau in Worms geblieben! Mein Herz ahndete wohl, daß ich ihn, den ich liebte, nicht sehen würde – Auch will ich ihn in dieser Welt nicht wiedersehn – Ach! wenn doch das meine lieben Eltern versöhnen könnte! Ich wollte ihn hier nie wiedersehn – Er hat mich ja auch verlassen, läßt mich hier jammern – Der Franzose führte mich hierher in das Haus – Gott weiß, was für ein Haus es ist. Kein Wirthshaus scheint es nicht zu seyn. Es gehört einer Frau Schufit, und liegt in der Töpfergasse. Die Leute gefallen mir gar nicht. Es kömmt immer viel Gesellschaft her, wie ich höre – Aber ich habe fast mein Bette noch nicht verlassen, seitdem mich das Unglück hierher geführt hat – Der Franzose gieng aus, sobald wir ankamen, und sagte, er wolle den Herrn von Hohenau holen; Er kam aber in vier und zwanzig Stunden nicht wieder – Gott! was ich unterdessen gelitten habe! – Meine Seele prophezeyete mir, was geschahe; Hohenau war nicht zu finden gewesen – Ja, welche Abscheulichkeit! Es war Erdichtung, daß er je in Berlin gewesen wäre – Gott im Himmel! sollte es möglich seyn, oder bin ich betrogen, entführt? – Allein er schrieb mir ja selbst, ich sollte mich seinem Freunde anvertrauen – Der Mann scheint auch so gerührt von meinem Unglücke – Aber doch – Ach, beste, theuerste Mutter! Ich weiß nicht, was ich denken soll, mag auch nichts denken – Wenn Sie noch ein Fünkgen von Zärtlichkeit für das arme Mädgen fühlen, das Sie unter Ihrem Herzen getragen haben; so schicken Sie mir meinen Bruder, daß er mich errette, von hier wegbringe – Und soll ich Ihre Knie nicht wieder umfassen; so lassen Sie mich in ein Kloster einsperren – Ich will büßen für meinen Fehltritt, bis der Vater im Himmel, der so barmherzig und langmüthig ist, sich meiner annimt, die ich meinen theuren Eltern so viel Kummer mache, und Ihre ungehorsame Tochter aus dieser Welt nimt –. Aber ist denn keine Verzeyhung für mich? – Sie werden ja nicht lange mehr über mich zürnen; Ich fühle schon den Tod in meinen Adern – Er sey mir willkommen, der süße Freund der Bedrängten! Seit dem Tage meiner Ankunft habe ich fast beständig krank gelegen. Der Arzt hat mir etwas verschrieben, aber ich nehme es nicht – Wenn mich nur der Schlaf nicht flöhe! Um 5 Uhr. Der Franzose gab sich Mühe mir Muth und Trost einzusprechen; Er hat versprochen alle Mühe anzuwenden, ihn zu finden. Er führte mir eine Dame zu, die sich die Obristen von M .... nannte; Sie kömmt sehr oft zu mir – Allein ich kann kein Zutrauen zu ihr fassen. Sie will mich aufmuntern; aber sie redet so frey, ist so geschwätzig – Gleich anfangs brachte sie ein paarmal, wenn sie wußte, daß ich ein wenig aufgestanden war, einen Verwandten mit, der ein Graf ist. 1 Ich bath sie aber mir nie wieder Gesellschaft zuzuführen. Er war ein ganz artiger Mann; aber auch sehr frey – Vielleicht ist der Ton der Leute von gewissem Stande hier so – Ach! sie mögten Alle gut seyn, wenn ich nur Antwort von meinen geliebtesten Eltern bekäme, oder der Tod meinem Leiden ein Ende machte! – Die Frau von M ..... kömmt fast täglich; ich kann ihrer gar nicht los werden – Die einzige Person, mit welcher ich zuweilen gern rede, ist ein junges Mädgen, das mir aufwartet, und das auch Kummer zu haben scheint. Sie hat mir versprochen diesen Brief sicher zu besorgen – Theureste Mutter! Ich kann nicht mehr schreiben – Mein Kopf ist so schwach – Ich habe nicht die Kraft, Ihnen mein ganzes Elend zu schildern – Mögte es ein Anderer thun! – Sie würden gewiß Thränen des Mitleidens und der Verzeihung schenken Ihrer unglücklichen Charlotte. Fußnoten 1 Derselbe Graf, an den la Saltière schreibt. Wer diese Obristen von M .... ist, entwickelt der letzte Brief in diesem Theile. 18. Brief Achtzehnter Brief. An die sogenannte Obristen von M ..... Berlin den 18ten Junius 1771. Ich bin gar nicht zufrieden von Deiner Aufführung, und von der Art, wie Du das junge Mädgen behandelst. Sie hat einen Brief an ihre Eltern geschrieben, den der verfluchte la Saltière aufgefangen hat. Darinn klagt und jammert sie so, daß es mir bald selbst Mitleiden gemacht hätte. Dich mag sie gar nicht leiden – Du wirst es wohl sehr schief angefangen haben – Das arme Mädgen wird immer elender. Wenn sie uns stirbt, und Du sie nicht in Ordnung bringst; so halte ich mich an Dich. Es liegt an Deinem bösen Willen; Du bist doch sonst so dumm nicht. Man wird ja ein Mädgen zur Vernunft bringen können! – Rabenaas! Mit Dir hat es wohl so viel Mühe nicht gekostet? Aber, nicht wahr? Das ist schon etwas lange her; das hast du wieder vergessen. Kurz! Du sollst nun bald deutsch mit ihr reden. Wenn sie sieht, daß sie keine andre Hülfe hat; so wird sie schon nachgeben. Sage ihr, es sollte ihr an nichts mangeln; Du weißt ja, daß mir das Geld nicht an das Herz gewachsen ist. Am besten wird es wohl seyn, ich gehe einmal wie der selbst zu ihr; Aber du muß erst die Sache vorbereiten. Noch acht Tage gebe ich Dir Zeit. Aber nim dich in Acht, wenn ich dann das Mädgen noch so bleich, krank und klagend finde! Apropos! Du darfst nicht leiden, daß sie fernerhin mit der kleinen Catharine allein sey; die verdirbt uns alles. Nun, adieu! Mach es gut; Du sollst dann auch künftighin die Frau Generalinn heissen. Ich komme vielleicht morgen Abend um 8 Uhr ein bisgen zu der alten Schufit; da will ich Dir mündlich mehr sagen. Ferdinand Graf ..... 19. Brief Neunzehnter Brief. An den Herrn Commerzienrath Müller in Hamburg. Berlin den 4ten Junius 1771. Die Hofnung, welche Sie, mein bester Vater! nun immer näher erblicken, in dänische Dienste zu kommen, erfüllt, wie Sie denken können, Ihren Sohn mit warmer Freude. Sie befehlen, daß ich Ihnen sagen soll, ob ich von meinem Stande zufrieden bin, oder ob ich denselben zu verändern wünschte; Hier ist also mein offenherziges Bekenntniß darüber: Soll ich blos von meiner jetzigen Lage reden; so habe ich Ursache damit vergnügter zu seyn, als in Sachsen, wo ich manche kleine Unannehmlichkeit hatte. Die Gesellschaft, bey der ich stehe, ist ausgesucht gut gewählt und aus verträglichen, sittlichen Leuten zusammengesetzt. Das berliner Publicum beehrt mein Spiel mit Beyfall, ich habe einen mässigen Unterhalt, Zeit genug übrig, meine Kenntnisse zu erweitern, und Gelegenheit, Fortschritte in allerley nützlichen Wissenschaften zu machen. Betrifft aber die Frage im Ganzen meinen jetzigen Stand, bester Vater! so gestehe ich Ihnen gern, daß ich denselben mit irgend einem andern zu vertauschen wünschte – Nicht als ob ich glaubte, dieser Stand sey nicht geehrt, nicht belohnt genug – Im Gegentheil! mich dünkt, Dichter und Künstler werden bey uns nur zu sehr verzogen. Man schmeichelt dem mittelmäßigen Talente nur zu leicht in unserm Vaterlande. Die Ursache aber, warum ich mich in eine andre Lage wünsche, ist, um eine gewissere, sicherere Aussicht zur Versorgung im Alter, und einen bleibenden Aufenthalt haben. Uebrigens trete ich gar nicht denen bey, die immer klagen: Deutschland sey das Land nicht, wo Dichter und Schauspieler ihr Glück machten; Ueberhaupt sey unser jetziges Zeitalter nicht so gestimmt, daß der Staat für nöthig zu halten scheine, diesem Theile der Erziehung seine Aufmerksamkeit zu widmen. Ich glaube vielmehr, daß das alles recht gut so ist, daß es zuweilen nicht schaden kann, wenn das Genie mit Schwürigkeiten kämpfen, durch Schicksale weicher, empfindlicher, und wärmer für die Rechte der Menschheit werden muß, daß endlich kein Künstler noch Dichter, so wenig wie ein Philosoph, mit Gelde zu bezahlen ist, daß es das Talent erniedrigen heißt, welches sich immer selbst belohnt, wenn man es in die Classe der Zünfte setzt, wenn man glaubt, so wie ich ein Paar Schuhe, einen libellum in caussa Caji contra Titium, mit einem Worte! alle Producte des Fleisses, den jemand meinen Bedürfnissen widmet, bezahle, eben so könne ich auch die Fantasie eines Dichters, das Werk seiner, für das Glück und die Aufklärung der Welt im Ganzen arbeitenden Seele, mit Gelde belohnen. Die Erfahrung ist hier auf meiner Seite. Die größsten Talente haben sich in jedem Zeitalter, auch im Drucke, in der Armuth, und mitten unter tausend Schwierigkeiten offenbahrt. Der heilige Funken des Genies läßt sich weder auslöschen noch anblasen. Ja! wir haben täglich Beyspiele, daß Dichter, die vortreflich schrieben, solange sie durch das Ringen nach Ruhm, durch die Begierde sich, aus einer dunkeln Lebensart hervor, bekannt zu machen, getrieben wurden, nachher, wenn sie durch irgend einen Mäcenaten in eine bequemere Lage gebracht, so stolz auf ihre Nahmen wurden, daß sie, wenig bekümmert um das Bedürfniß der Menschheit, entweder gar nichts mehr, oder die mittelmäßigsten Sachen in die Welt schickten. Ueberhaupt ist nicht jedes Alter zum Dichten geschickt, auch drehet sich der Mensch in einem gewissen Circul von Ideen, Einfällen und Bildern herum, welcher Circul freylich bey Einem größer als bey dem Andern, aber nie unbeschränkt ist; Und wenn ein Mann denselben in viel Bänden durchgelaufen; so wäre es unbillig, hernach in einem Alter, wo die Fantasie kühler geworden ist, trotzend auf den erworbenen großen Nahmen, dem Publicum seine, aus eigenen Werken ausgeschriebenen Wiederholungen, in einer andern Form aufzudringen, und zu verlangen, wir sollten dasselbe Gericht, welches er im ersten Gange aufgetragen hatte, noch einmal bewundern, wenn er nur eine andre Sauce darüber gegossen hat, und es am Ende der Malzeit wieder hinsetzt. Ich kenne solche Schriftsteller, die dies aus bloßem Geize thun: die aus ihren alten Papieren halb fertig gewordene, äusserst mittelmäßige, nicht ausgefeilte Producte hervorsuchen, dabey zu stolz sind, von andern guten Köpfen, ihre Clienten ausgenommen, Beyträge anzunehmen, und also das Publicum, ganz aus eigener Küche, mit Fastenspeisen bewirthen, die uns zuletzt ekeln und vergessen machen, welchen herrlichen Schmaus uns der Mann ehemals gab. Abends 6 Uhr. Eben, bester Vater! bekomme ich Ihren gewogenen Brief. Es ist kindliche Pflicht Ihren Befehl zu erfüllen, und Ihnen von des Herrn von Hohenau jetzigen Aufführung eine treue Schilderung zu machen, obgleich ich bis dahin Bedenken getragen hatte, dies ohne Geheiß zu thun. Doch vielleicht steht es in Ihrer Macht, von meinen Nachrichten einen solchen Gebrauch zu machen, daß der würdige Baron Leidthal Mittel finde, seinen sonst so liebenswürdigen Pflegesohn auf den besseren Weg zurückzuführen. Hier ist alles, was ich von ihm weiß und, seitdem ich ihn kenne, erfahren habe. Als der Herr von Hohenau die Nachricht von seiner Geliebten vermeintlichen Untreue erhalten hatte, war auch grade sein rechtschaffener Wohlthäter, der Obrist, gestorben. Er war über diesen doppelten Verlust anfangs, wie es die Heftigkeit seines Temperaments sehr begreiflich macht, ausschweifend traurig, entzog sich allem Umgange, und lebte ganz einsam vor sich. Nun hatte er aber unter den jungen Officieren der Garnison viel Bekannte, die er täglich im Dienste sah, und welche sich bemüheten, ihm, was sie nannten, die Grillen aus dem Kopfe zu sprechen. Zuerst gab er den Eindrücken dieser Reden keinen Raum; Aber nach und nach fruchteten sie doch so viel, daß er wieder anfieng in Gesellschaften zu gehen. Er sahe nun aller Orten Verderbniß der Sitten, coquette Mädgen, untreue Weiber. Diese üblen Beyspiele und eigene Erfahrung, machten ihn mistrauisch gegen das schöne Geschlecht, und dies Mistrauen, welches er oft gegen seine leichtfertigen Freunde äusserte, wurde von denselben auf die, allen ausschweifenden Leuten gemeine Art, commentirt. Man erlaubt sich gern alles gegen die Weiber, und gegen seine Pflichten, ist dann aber unbillig genug, die armen Geschöpfe zu verachten, wenn sie unsern Verführungen und den Trieben des Temperaments zu wiederstehen nicht stark genug sind. Nach und nach fieng der Herr von Hohenau an, das Ding mit freyeren Augen anzusehn. Da er jung und hübsch ist, so gefiel er den Frauenzimmern; Man schmeichelte ihn; und er, der keine Achtung mehr für das Geschlecht hatte, fieng an, mit einer gewissen sorglosen Unvorsichtigkeit, in den Circuln, worinn man ihn führte, herumzuflattern, sich so nach und nach aufzuheitern, sein Leiden zu vergessen – Und das that ihm wohl – Beyspiele aller Arten von Leichtsinn, welche er unter Damen vom ersten Range fand, bewogen ihn zuletzt, eben keinen Unterschied mehr unter solchen zu machen, die nur schwach, oder coquet sind, und unter solchen, welche die grobe Coquetterie als ein Handwerk treiben. Er fand kein wahres Interesse mehr an dem andern Geschlechte, und also war es ihm auch nun ziemlich gleichgültig, welche Frauenzimmer er sahe, wenn sie nur munter und unterhaltend waren. Zugleich verwickelte man ihn in Spielparthien. Sie wissen, theuerster Vater! welche unglückliche Leidenschaft dies ist. Sie macht ja den Menschen zu allen übrigen Lastern fähig, feuert alle Arten von unrechten Begierden an, macht denjenigen, welcher Handwerk damit treibt, zu allen übrigen nützlichen Beschäftigungen unbrauchbar, unthätig und ungeschickt, und leider! wenn sie dem Menschen Vermögen, Ruhe und Gesundheit geraubt hat, ihre Sklaven gewöhnlich zu einer Beute der Armuth, der verzweiflungsvollsten Reue, und der allgemeinen Verachtung. O! wenn doch manche edle Jünglinge, die diesen unglücklichen Weg zu wandeln im Begriff stehen, die Augen auf die traurigen Beyspiele alter Spieler werfen und, weil es noch Zeit ist, zurückkehren wollten! Wie viel Thränen würden sie ihren Eltern, wie viel Demüthigungen, wie viel Verantwortungen sich selbst ersparen, die sie einst von den Stunden Rechenschaft geben sollen, welche sie dem Dienste der Menschheit schuldig waren. Hohenau ergriff in seinem übertäubten Gemüthszustande alles, was nur Genuß des Augenblicks gewähren kann. Also ließ er sich auch zu Hazardspielen verleiten – Er verlohr ein paarmal grosse Summen, welche er gern wiedergewinnen wollte; und so wurde denn zuletzt das Spiel bey ihm zu einer Leidenschaft, welches seinen Cammeraden den Weg erleichterte, ihn in die schlechtesten Gesellschaften zu ziehen. Es ist ein Haus unter den Linden, au pisalé genannt, wo immer sehr stark gespielt wird. Ich bedarf Ihnen nicht zu sagen, daß also dahin nicht die besten Leute kommen. Hier war er nun fast täglich, und endlich gieng er sogar auf die berüchtigten Bälle bey der Frau Corsica. In dieser Sinnesart, auf diesem schlüpfrigen Wege, ist er noch. Ich bin nicht vertrauet genug mit ihm, auch, unserer sehr verschiedenen Verhältnisse und Verbindungen wegen, nicht genug in der Lage, mich ihm zum Freunde und Rathgeber aufdringen zu können. Ich sehe ihn selten, denn in die Häuser, welche er besucht, komme ich nicht. Vielleicht, bester Vater! können Sie, gemeinschaftlich mit dem Herrn Baron, einen Plan zu seiner Rettung entwerfen; Und kann ich zu selbigem mittel- oder unmittelbar etwas beytragen; so werden Sie bereit finden, Ihre väterlichen Befehle zu vollstrecken, Ihren gehorsamsten Sohn, Ludwig Müller. 20. Brief Zwanzigster Brief. An den Herrn Lieutenant von Hohenau in Berlin. Eilig! Im Gasthofe zur Stadt Rom, unter den Linden, Berlin den 17ten Junius, Abends 6 Uhr. Ich bin seit gestern hier, und zu meiner größten Befremdung zwingt man mich, schon heute wieder die Stadt zu verlassen. Ich war dreymal bey Dir, um Deine Hülfe und Rath mir zu erbitten, aber keinmal warst Du zu Hause, und niemand konnte mir sagen, wo ich Dich antreffen würde. Die Veranlassung meiner Reise kannst Du leicht errathen. Ich suchte meine unglückliche Schwester, und nachdem alle meine Nachforschungen vergebens gewesen, wollte ich doch wenigstens Dich nicht verfehlen – Nicht, um Dir Vorwürfe zu machen – die Sache ist doch nun einmal geschehen – Nein! sondern um über verschiedene Begebenheiten Licht zu erhalten, die meinen Eltern und uns Allen noch immer ein Räthsel in dieser traurigen Geschichte bleiben. Ich kam gestern Abend an. Ein Franzose, den ich hier fand, dem ich ohngefehr die Veranlassung meiner Reise sagte, und daß ich Dich zu sprechen wünschte, erboth sich, mich zu Dir zu begleiten. Ich nahm weitere Abrede mit ihm darüber, und er empfahl sich. Diesen Morgen stehe ich früh auf, kleide mich an, und erwarte noch immer den Franzosen, als der Wirth hereintritt, und mir meldet, daß der Gouverneur mich um acht Uhr bey sich sehen wollte. Da ich nun den Mann gar nicht kennte; so glaubte ich nicht, hingehen zu müssen; Allein der Wirth machte mir begreiflich, daß auch ein Fremder hier, ohne Erlaubniß des Gouvernements, nicht in der Stadt bleiben dürfe. Ich mußte mich also wohl entschliessen hinzugehn. Als ich fortwollte, war der Franzose noch nicht dagewesen; die Stunde rückte heran, ich gieng also, begleitet von einem Miethlaquaien, zum Gouverneur. Dieser fragte mich um die Ursache meiner Reise, nach meinen Pässen, und um meine Geschäfte in Berlin. Ich fühlte keinen Beruf, ihm davon genaue Nachricht zu geben, sondern sagte: »Ich hätte allerley Geschäfte hier, und ein reisender Cavalier bedürfe keines Passes« – »Nicht naseweiß, junger Herr!« rief der grobe Mann; »Haben Sie denn Addressen?« Ich sagte, ich hätte keine, und wollte eben hinzufügen, daß ich Dich kennte, als er mit lauter Stimme mir in die Rede fiel: »Wir kennen schon die Art Herrchen. Der König mag hier keine müssige Leute herumlaufen haben. Ich rathe Ihnen, daß Sie sich auf die Rückreise machen, und noch vor Abends die Stadt verlassen. Ihre Geschäfte können Sie schriftlich abthun; Verstehen Sie mich?« – Und damit, ohne meine Antwort zu erwarten, verließ er mich. Was sollte ich machen? Ich war so betroffen über diese ungewöhnliche Begegnung, daß ich kaum die Thür wieder finden konnte. Es blieb mir nichts anders übrig, als mit meinem Lehnlaquaien Deine Wohnung aufzusuchen; Ich gieng hin, und fand Dich nicht. Als ich zurück in den Gasthof kam, war noch immer der Franzose nicht da gewesen; Auch hat sich derselbe nicht wieder sehen lassen. Gleich nach Tische war ich nochmals vergebens in Deinem Quartiere, und vor einer halben Stunde zum drittenmal. Da komme ich nun eben zu Hause, und höre vom Wirthe, daß der Gouverneur sich schon hat erkundigen lassen, ob ich noch da sey. Ich muß also gleich fort – Warum? das weiß der Himmel. Es muß hier ein Mißverständniß seyn – Oder sollte der Franzose – Du weißt vermuthlich, was meine Tante, (in deren Aufrichtigkeit wir freylich Ursache haben Zweifel zu setzen) erzählt hat. 1 Was ich muthmaßen soll, begreife ich nicht – Genug ich bitte, ich beschwöre Dich, bey unserer ehemaligen Freundschaft, die Sache aufzuklären, und zuerst meinetwegen mit dem Gouverneur zu reden, damit ich zurückkommen dürfe. Ich will unterdessen nach Rosenthal gehn, wo mich Deine Briefe treffen können – Voll Zuversicht, daß du diese Sache in Ordnung bringen, und mein dir noch immer gewidmetes Herz nicht zu einem noch schlimmern Verdachte verleiten wirst, unterschreibe ich mich, Deinen treuesten Freund, Hundefeld. Fußnoten 1 Nein! das weiß Hohenau nicht. 21. Brief Ein und zwanzigster Brief. An den Herrn Secretair Meyer in Dresden. Berlin den 19ten Junius 1771. Wenn ich Ihnen auch in etwas langer Zeit nicht geschrieben habe; so bin ich doch oft in Gedanken bey Ihnen, und wünschte Sie hierher; Berlin sollte Ihnen jetzt schon gefallen; Es hat würklich tausendfache Annehmlichkeiten, sowohl für einen Gelehrten, als für den, der blos Vergnügen sucht. Ich bekenne Ihnen wenigstens, daß ich anfange recht zufrieden von meinem hiesigen Aufenthalte zu seyn. Es giebt so mancherley Unterhaltungen und Zerstreuungen hier, die ich begierig ergreife, um die Erinnerung dessen, was ich gelitten habe, in meinem Herzen auszulöschen. Sie werden mir, mein bester Freund! dies nicht verdenken; Ich glaubte zwar nie, daß ich so viel über mich würde erhalten können; aber ich habe es versucht, und fühle nun täglich mehr, wie unrecht der Mensch handelt, wenn er sich selbst plagt, sich dem Schmerze über ein verlohrnes Gut überläßt, das er nicht wieder bekommen kann, und indeß die gegenwärtigen Freuden ohngenützt vorübergehen läßt. Und warum sollte ich mich auch quälen? – Ueber die Untreue eines Mädgens? – Sind sie nicht Alle leichtfertig, wankelmüthig? Ach! ich habe das Geschlecht hier kennen gelernt – Zwar fand ich keine, die werth gewesen wäre, meiner Charlotte die Schuhriemen aufzulösen – Aber Alle waren Weiber; Alle nicht fähig wahrhaftig und treu zu lieben, so zu lieben, wie ich einst das Ideal davon in meinem Herzen trug. Sie werden von Eitelkeit, Temperament oder Launen regiert – Ja! Wenige haben nur einmal Temperament. Sie spielen mit den heiligsten Gefühlen, und wissen sich damit auszustaffiren, als wenn es Schminke und Bänder wären, so oft sie es nöthig halten – Kurz; keine verdient, daß ein ehrlicher, treuer Mann eine Thräne um sie weine. Und mit dem allen gestehe ich Ihnen, daß die Wunde meines Herzens noch oft im Verborgenen blutet – Aber die Zeit wird alles heilen – Wir wollen nicht mehr davon reden – Jetzt muß ich Ihnen, mein lieber Freund! nur noch eine Sache erzählen. Sie wissen, daß ich immer den Verdacht hatte, als wenn der Franzose, der sich mir in Donnergrund so dienstfertig aufdrang, mich damals unsern Werbern verkauft hätte. Mancherley Ursachen hielten mich in der ersten Zeit ab, der Aufklärung dieses Argwohns weiter nachzuspüren, bis ich vor etwa vier Wochen, in einem gewissen Hause, wohin ich zuweilen aus Gefälligkeit gegen andre Officiers gehen muß, und um mich nicht auszuzeichnen, denselben Franzosen antraf. Er schien betroffen, als er mich da fand; doch faßte er sich bald wieder, und stellte sich nur äusserst verwundert, mich in Officierskleidern zu sehen. Er fragte, ob ich seine Briefe nach Baruth bekommen hätte, erzählte viel von seiner unnützen Bemühung das Fräulein zu finden, und schien in die größte Bestürzung zu gerathen, als ich ihm sagte, wie ich von dem Unterofficier sey behandelt worden, und was mir ferner begegnet wäre – 1 Wenn man voraussieht, daß man in dem Augenblicke nicht auf den Grund einer Sache kommen kann; so ist es am besten gethan, ganz darüber hinaus zu gehn, bis man mehr Gewißheit vor sich hat. Ich zeigte ihm also gar kein Mistrauen, that nicht, als wenn ich glaubte, er habe Antheil an meiner Anwerbung, und nahm mir nur vor, den Menschen näher zu beobachten. Er hat aber seit dieser Zeit sorgfältig meine Gegenwart vermieden, und endlich habe ich auch nicht oft mehr an ihn gedacht. Allein vorgestern bekomme ich ein Billet von Hundefeld, der hieher nach Berlin gereiset war, um mich zu sprechen, sich einem Franzosen anvertrauet, der sich erbothen hatte ihm mein Quartier zu zeigen, und als er denselben erwartet, einen Befehl vom Gouverneur bekömmt, sogleich die Stadt zu räumen – Sollte nun dies nicht derselbe la Saltière seyn, der ihm diesen Streich gespielt hätte? – Zwar kann ich noch nicht einsehn zu welchem Endzwecke – Aber doch – Noch eins! Habe ich nicht irgend schon einmal den Nahmen: la Saltière, gehört, oder gelesen? Besinnen Sie Sich nichts dergleichen? Jetzt arbeite ich nur daran, bey dem Gouverneur, Hundefelds Sache zu erläutern, und zu erfahren, was man gegen ihn vorgebracht haben mag, und dann soll sich bald das übrige aufklären. Ich werde gestöhrt – Leben Sie wohl, mein Theuerster! Bald will ich weitläuftiger schreiben. Hohenau. Fußnoten 1 Hier vergesse man nicht, daß Leidthal und Meyer, um den jungen Hohenau nicht noch mehr zu beunruhigen, ihm die Geschichte von Charlottens Entführung, wozu er durch seinen, dem la Saltière anvertraueten Brief, freylich Gelegenheit gegeben hatte, verschwiegen hielten. Hätte er diesen Umstand gewußt; so würde er gewiß jetzt den Franzosen nicht so leicht haben laufen lassen. Auch wäre er in diesem Falle nicht in die Ausschweifungen gerathen, zu welchen ihn die Verzweiflung über seiner Geliebten vermeintliche Untreue brachte; Und in so fern wäre es besser gewesen, ihm alles zu entdecken – Aber wer kann die Folgen jeder kleinen Handlung voraussehn. 22. Brief Zwey und zwanzigster Brief. An den Herrn Baron von Leidthal in Hamburg. Urfstädt den 20sten Junius 1771. Hochgebohrner, Gnädiger Herr Baron! Es hat dem höchsten Geber alles Guten gefallen, meine liebe Frau abermals mit einer gesunden Leibesfrucht zu segnen, welche gestern Abends um acht Uhr zehn Minuten zur Welt gekommen, und sich als ein Knäblein befunden hat. Da es nun christlichen Eltern geziemet, ihre Kinder gehörigermaßen mit dem Bade der Wiedergeburth versehen zu lassen, und dabey hohe Standespersonen sich nicht zu schämen pflegen, auch bey geringen Menschen, als Pathen zu stehen, ich aber noch immer mit ganzem Herzen meinem lieben gnädigen Herrn, in Dankbarkeit und Respect ergeben bin; so bitte ich recht unterthänigst, Ew. Gnaden wollen doch bey diesen meinem Söhnlein Gevatterstelle zu vertreten, Gott, mir, und meiner lieben Frau, die Ehre geben. Nun wollen Ew. Gnaden excusiren, wenn noch in gegenwärtigem Schreiben etwas von den hiesigen Umständen hinzufüge. Es geht wohl freylich jetzt so nicht hier zu, als es zu unsers gnädigen Herrn Barons Zeiten war. Die Bauern werden gar arg gedrückt, mit Diensten und in andern Puncten. Auf die Povertät wird gar kein Betracht genommen, und, kurzum! es ist ein böser Haushalt, so daß ich immer sage: es kann keinen Segen bringen. Der gnädige Herr von Wallitz sind aber schon seit einigen Wochen malade am Podal, der Doctor Kundmann soll gewiß sagen, es gehe nicht gut auf die Art, denn der Herr hielten nicht Diät, und tränken zu viel starke Getränke. Nun, mich geht es nichts an; Aber ich sage immer: Hätten wir nur unsern gnädigen Herrn Baron von Leidthal noch; der ich in tiefster Soubmission beharre, Ew. Hochfreyherrlichen Gnaden, unterthänigster Diener, der Acciseinnehmer Christoph Birnbaum. 23. Brief Drey und zwanzigster Brief. An den Herrn Lieutenant von Hohenau in Berlin. Hamburg den 1sten Julius 1771. Deine Briefe, mein lieber Carl! werden immer seltener, und doch (verzeihe mir diesen kleinen Vorwurf!) dächte ich, Deine Geschäfte wären nicht so überhäuft, daß Du nicht solltest Zeit finden können, zuweilen an Deinen alten Freund ein Paar Zeilen zu schreiben. Freylich hat ein Officier, wenn er nicht Soldat nach dem ganz gemeinen Schlage seyn will, unzählige Dinge zu lernen, die auf sein Handwerk nützlichen Einfluß haben, und da können denn schon seine Stunden sehr besetzt seyn. Auch soll mich es freuen, wenn dies die Ursache Deines Stillschweigens ist. Geschäftigkeit und Fleiß sind ein herrliches beruhigendes Mittel gegen alle Arten von Leiden und Versuchungen. Unterdessen kann man sich leicht an Ordnung oder an Nachlässigkeit im Briefschreiben, so wie in allen andern Fächern, gewöhnen. Ich kenne Leute, die nicht durch Geschäfte, noch übermäßige Zerstreuungen (ich hoffe, das Letzte ist auch Dein Fall nicht) abgehalten werden, aber dennoch so unerträglich faul in diesem Puncte sind, daß sie eher den größten Verlust leiden, als zu einer bestimmten Zeit einen Brief schreiben wollten. Das ist würklich schimpflich, und zeugt von schlechter Erziehung, oder geringer Achtsamkeit und Gewalt über sich selbst. Wie leicht ist nicht ein Brief geschrieben! Wie viel Nutzen oder Freude kann ich nicht oft damit stiften! Und wo ist der Mensch, dem seine Geschäfte oder sein Gemüthszustand nicht täglich eine viertel Stunde frey liessen? – Das macht doch jährlich 365 Briefe, und manche fröhlige Stunde unsern entfernten Freunden, die vielleicht, in unangenehmen, trüben Minuten, durch Eine Zeile von uns erheitert würden. Ich kenne aber Deine Ordnung von dieser Seite, und also trifft Dich, mein lieber Hohenau! dieser Vorwurf nicht. Eben deswegen aber ahnde ich andere Ursachen Deines Stillschweigens. Sollte Dein Gemüth wohl nicht in demjenigen glücklichen Gleichgewichte seyn, in welchem wir, gestützt auf die Tugend und den Adel unserer Handlungen, einem Freunde unser ganzes unschuldiges Herz ausschütten dürfen? – Das würde mir sehr wehthun, mein Sohn! Aber wenn es so ist; so scheue Dich dennoch nicht, mich zum Vertraueten Deiner Verirrungen zu machen! Soll ich Dir mit meinem Bekenntnisse entgegen kommen? Sehr gern! Ich glaube aus Deinen Briefen zu sehen, daß Du, nach dem Verluste Deiner Geliebten, nicht diejenige Art von Trost gesucht hast, wel che des festen Characters eines Mannes würdig ist, und wozu uns Weisheit und Pflicht aufrufen. Ich fürchte vielmehr, Du suchst Dich in sinnlichen Ergötzungen zu berauschen, um zu vergessen, was Du Dir selbst schuldig bist – Das würde eine unglückliche Gemüthslage für Dich seyn. Denn nicht nur würdest Du kein wahres Glück, keine Seelenruhe, die Du doch wünschen wirst, auf diesem Wege finden, sondern Du würdest auch Deine schönsten Tage verliehren; das Leere, welches diese üppigen Vergnügungen, deren man sehr früh überdrüssig wird, in der Seele zurücklassen, würde Deine natürliche Thätigkeit in Gährung bringen, und weil Du Dich dann von edlern Geschäften entfernt hättest, würdest Du vielleicht, um den gänzlichen Müssiggang zu fliehen, Dir aus Dingen ein Gewerbe machen, die Unglück, Elend und Reue über Dein Haupt sammlen würden. Solltest Du, mein bester Carl! auf dem Wege zu diesem Labyrinthe seyn; so höre die Stimme eines treuen und erfahrnen Freundes, und kehre zurück! – Es ist gewiß noch Zeit; Und daran kannst Du erkennen, ob es noch Zeit ist, wenn dieser Brief Dich ein Paar Stunden lang ernsthaft oder misvergnügt macht. Schütte also Dein Herz in meinen Busen aus! Ich erwarte mit väterlicher Sehnsucht Dein Bekenntniß – Jetzt wollen wir von andern Dingen reden – Ich lebe noch immer hier äusserst einfach, aber zufrieden. Müller wird mich nun auch bald verlassen; Doch, zu seinem Glücke; denn ich zweifle nicht, daß er in Dännemark guten Unterhalt und Gelegenheit finden wird, seine Kenntnisse nützlich anzuwenden. Mein einziger Umgang hier ist mit dem Herrn von B ..... einem alten, würdigen, obgleich von vielen sehr verkannten Manne. Er war, wie Du weißt, Minister in seinem Vaterlande, hatte dem Herrn, dem er vierzig Jahre seines Lebens widmete, sehr beträchtliche Dienste geleistet, und war der Schöpfer alles desjenigen Guten, was der schwache Prinz je, unter eigenem Nahmen, gethan hat. Was war daher natürlicher, als daß er eine Menge heimlicher Neider und Feinde um sich her hatte, die ihn zu stürzen suchten? Seine Administration war aber so klar, so öffentlich, gut ordentlich und nützlich, daß man ihn darinn keiner Sünde zeugen konnte. Da er nun reichlich besoldet wurde; so hatte er Gelegenheit, Geld zu sammlen; die Misgunst der hungrigen Hofschranzen aber machte ihm das zum Verbrechen. Man sprengte böse Gerüchte gegen ihn aus, und das Volk, welches gern alles nachplaudert, Veränderungen liebt, und, weil ein Minister nicht jeden befriedigen kann, immer von dem Gegenwärtigen unzufrieden ist, und von dem Nachfolger alles hofft, verbreitete bald einen so allgemeinen schlechten Ruf über ihn, daß es mir durch die Seele gieng, als ich, der ich die Gradheit des Mannes kannte, ihn aller Orten so grausam verlästern hörte. Ueberhaupt, was in der Welt ist wohl unsicherer, als der Ruf eines Mannes, besonders an Höfen? Ich sehe immer gern mit eigenen Augen, und auch da betrügt man sich oft. Wer kann immer, durch die Hülle der Hof-Intriguen hindurch, den wahren Faden der Begebenheiten und alle die kleinen Triebfedern entwickeln, welche manchen schätzbaren, vortreflichen Mann zum Gegenstande des Abscheues, und manchen Schuft zu einem Orakel des ganzen Landes erklären? – O! wenn doch das die Menschen beherzigen wollten, die so bereit sind, auf das allgemeine Geschwätz, den Ruf eines Menschen, den sie gar nicht kennen, an einem dritten Orte zu zerreissen, und dadurch so manche Wunde zu schlagen, die nicht wieder zu heilen ist! Der Herr von B ..... war in einer sehr üblen Lage. Er sollte seinem Fürsten alle entbehrlichen Ausgaben ersparen, folglich mußte er manchem, dem er gern geholfen hätte, verdiente Wohlthaten versagen; Und von einer andern Seite schränkte der Sultan doch seine Begierden nicht ein, und was der Dienerschaft abgezogen, und den Bauern ausgepreßt wurde, das verzehrten Maitressen, Geiger, Pfeifer und Müssiggänger. Sahe nun der gnädige Landesvater, daß er und das Land dabey sichtbarlich zurückkamen; so schob er die Schuld davon nicht auf sich, sondern auf die Haushaltung des Ministers, in welcher Gemüthsverfassung er denn auch von kleinen, erkauften Creaturen, von Cammerdienern u.s.f. unterhalten wurde. – Es hieß immer: der Herr und das Land würden arm, und der Minister reich. Diesen Zeitpunkt nützte ein elender Schwätzer, der mit flüchtigen Kenntnissen von Büchern über das Cameralwesen ausstafiert, einige Einrichtungen in andern Ländern, die aber, weil er sie mit schiefen Blicken angesehen hatte, hier gar nicht passend waren, dem Fürsten so reitzend abmalte, daß derselbe nun in diesem Windbeutel endlich den Mann gefunden zu haben glaubte, der sein bisher schlecht verwaltetes Finanzwesen wieder herstellen könnte. Es ist unbegreiflich, wie leicht es mehrentheils den erbärmlichsten Menschen ist, eine Rolle bey den Großen der Erde zu spielen. Dieser Kerl hatte ein Paar Haranguen auswendig gelernt, die er immer wiederholte, war übrigens ein so schlechter, unmoralischer, tückischer, und unwissender Mensch, daß ihn der würdige, große B .... nicht würde zum Secretair gemacht haben; Jetzt verdrängte er diesen aus dem Ministerium; denn, kurzum! mein Freund bekam auf eine höflich falsche Art seinen Abschied, und wohnt itzt hier; überzeugt, daß ein Fürstendiener zu seyn, das undankbarste, unehrlichste Handwerk auf dieser Erde ist. Ich schreibe Dir, mein lieber Carl! gern solche Erfahrungen aus der großen Welt. Schreibe Du mir nur auch fleissig, was Du um Dich siehst, und welche interessante Bekanntschaften Du machst; An einem Orte wie Berlin ist, kann es Dir daran nicht fehlen. Nun, das war ein langer Brief. Lebe wohl, mein bester Carl! Ich hoffe bald etwas Gutes von Dir zu hören, Leidthal. 24. Brief Vier und zwanzigster Brief. An den Herrn Commerzienrath Müller in Hamburg. ........ den 4ten Julius 1771. Ich denke, ich muß Ihnen doch noch einmal schreiben, ehe Sie nach Dännemark gehn, es wird Ihnen diese Zeilen ein Holländer überreichen, der nach Hamburg reiset, und den ich hier habe kennen gelernt. Das ist nun freylich so ein Volk von Menschen, mit denen ich durchaus nicht sympathisieren kann. Ihr ganzes Wesen ist Handel, Pflegma und Unempfindlichkeit – Wissen Sie die Geschichte des Mannes, dem man, als er nach Amsterdam gieng, wohl eingeprägt hatte, er solle, ehe er von einem Holländer eine Dienstleistung, oder sonst irgend etwas annähme, vorher mit demselben über den Preis einig werden? Er kam also an, und bath einen am Ufer stehenden Holländer, ihm ein gewisses Haus zu zeigen. Der Mensch fragte, wie viel er ihm zur Belohnung geben würde; Sie wurden einig; der Fremde bezahlte, und der Holländer, ohne sich vom Platze zu bewegen, wies nur mit der Hand zurück, indem er sagte: »Hier, hinter mir, das Haus, so Ihr da seht, das ist es!« Mit dem allen aber ist der Mann, der Ihnen diesen Brief bringt, ein bisgen besser, als seine gewöhnlichen Landesleute; Ich empfehle ihn daher Ihrer Güte. Er kann Aufträge von Ihnen in Holland besorgen. Wenn werden wir uns denn einmal sehen? Auf das Frühjahr komm ich gewiß nach Hamburg; aber dann sind Sie vielleicht nicht mehr dort. Mein ehrlicher Oncle will, wenn er kann, die Reise mitmachen; Aber ich fürchte, seine Gesundheit fängt an wankend zu werden. Ich bin sehr vergnügt hier auf dem Lande, studiere das Bauernvolk, ihre Charactere, ihre Vorurtheile, ihre Lieder, und wahrlich, ich finde manche originelle Menschen unter ihnen. Darüber schreibe ich viel auf, auch ihre Vorurtheile, Gesänge und Tänze sammle ich; Sie sollen nächstens etwas davon lesen. Da werden Sie hören, daß man das Messer nicht auf den Rücken legen darf, damit die heiligen Engel nicht in die Schneide treten, daß man, während es zur Kirche läutet, nichts essen soll, damit die Zähne nicht ausfallen; Wie man es anzufangen hat, um nicht behext zu werden, und dergleichen mehr. Unter den Liedern werden Sie einige recht herzergreifende finden; Aber da müßten Sie dieselben auch hier fingen hören. Die Einlage 1 bitte ich geschwind zu besorgen. Sie ist mir gestern eilig von Urfstädt geschickt worden. Von wem der Brief ist, weiß ich nicht. Leben Sie wohl, mein Lieber! und vergessen mich nicht, von Weckel. Fußnoten 1 Den folgenden Brief. 25. Brief Fünf und zwanzigster Brief. (Einschluß des vorigen.) An den Freyherrn von Leidthal, eilig. Urfstädt den 3ten Julius 1771. Bey Ew. Hochgebohren soll auf Befehl meines auf den Tod krank liegenden Herrn Principals ich angelegendlichst nachsuchen, doch Denenselben die Bitte nicht abzuschlagen, vor Ihrem Ende noch, so geschwind als möglich, hierher nach Urfstädt zu kommen; als worum gedachter mein gnädiger Herr, Ew. Hochgebohren auf das pressanteste ersuchen; maßen Sie Hochdenenselben angenehme und von der größten Wichtigkeit seyende Sachen zu eröfnen hätten; hoffend Ew. Hochgebohren würden alle alte Differenzen anjetzo bey Seite setzen, und einem moribundo diese letzte Güte nicht versagen; Mit dem Beyfügen, gern alle Depensen der Reise quæstionis stehen zu wollen; Welches alles nur in Eile unterthänig zu melden, mich aber zu beharrlicher Gnade und Protection zu empfehlen, und mit vollkommenster Veneration zu unterschreiben nicht unterlassen wollen, Ew. Hochgebohren unterthäniger Knecht, Anton Josias Reifenbrück, Secretair des Herrn von Wallitz. 26. Brief Sechs und zwanzigster Brief. An den Herrn von Hundefeld in Rosenthal. Berlin den 24sten Junius 1771. Komm nur gleich, mein lieber Freund! nach Erhaltung dieser flüchtig geschriebenen Zeilen, nach Berlin zurück! Ich habe beym Gouverneur alles in Ordnung gebracht – Du wirst sonderbare Dinge erfahren – Der verdammte Franzose hat Dich und mich schändlich angeführt. Aber er soll das nicht umsonst gethan haben. Noch ist er in der Stadt. Er kann uns nicht entwischen. Komm nur sogleich hierher, und trete in der Stadt Paris ab, daselbst will ich Nachricht lassen, wo ich anzutreffen bin. Ich erwarte Dich mit Ungeduld. Carl von Hohenau. 27. Brief Sieben und zwanzigster Brief. An die Frau von der Hörde, gebohrne Müller, in Amsterdam. Hamburg den 10ten Julius 1771. Dies ist vorerst das letztemal, daß ich Dir, meine liebste Tochter! aus Hamburg schreibe. Ich bin so glücklich gewesen, die einträgliche Stelle, wovon ich neulich Erwähnung that, 1 würklich zu erhalten, und meine Abreise nach Koppenhagen ist auf künftigen Diensttag festgesetzt. So bald ich dort ankomme, sollst Du mehr von mir hören. Mein vortreflicher Baron Leidthal, dem ich auch diese Versorgung zu danken habe, wird morgen nach Urfstädt reisen, wohin der Herr von Wallitz, der auf dem Todtenbette liegt, ihn durch zwey dringende Briefe hat einladen lassen. Mögte doch diese Reise eine vortheilhafte Veränderung für seine ökonomischen Umstände vorbedeuten! Du erhältst diesen Brief durch einen holländischen Kaufmann. Gern machte ich mit ihm die Reise, um Zeuge Deines häuslichen Glücks zu seyn, und einmal mein Enkelchen an mein Herz zu drücken. Das läßt sich nun aber jetzt nicht thun. Unterdessen vergiß mir Deinen alten Vater nicht, und grüße Deinen guten Mann tausendmal von mir. An Deinen ältern Bruder habe ich geschrieben, und ihn, wie er es verdient, gelobt, weil er an meinem Peter so großmüthig brüderlich handelt. Von Christoph, aus Neuwied, habe ich auch kürzlich Nachricht bekommen. Der arme Schelm hat lange Zeit am Fieber krank gelegen, ist aber völlig wieder hergestellt. 2 Der Himmel leite dich! Sey glücklich in Deinem Hause, und liebe immer Deinen treuen Vater Müller. Fußnoten 1 Verschiedene unter ihnen gewechselte Briefe hat man nicht eingerückt. 2 Diesen an sich unbedeutenden Brief, hat man dennoch einrücken wollen, damit die Leser nicht ganz die Familie aus den Augen verlieren sollten, von welcher man seit dem 27sten Briefe im zweyten Theile nichts weiter gehört hatte. 28. Brief Acht und zwanzigster Brief. An den Herrn Commerzienrath Müller in Hamburg. Eilig! Berlin den 29sten Junius 1771. Bester Vater! Beyliegender Brief des Herrn von Hohenau an den Freyherrn von Leidthal, 1 erzählt Begebenheiten, welche bey Ihnen gewiß zugleich Erstaunen und Rührung erwecken werden. Da ich indessen nicht weiß, ob derselbe den Herrn Baron jetzt in Hamburg findet, und Sie, theuerster Herr Vater! doch gern werden wissen wollen, was der Inhalt dieses so interessanten Briefes ist; so will ich Ihnen mit wenig Worten Nachricht von der sonderbaren Wendung geben, welche das Schicksal des Herrn von Hohenau und seiner Geliebten genommen hat. Ich bin selbst Augenzeuge bey einer Scene gewesen, die, von einem geschickten Maler dargestellt, jedem, der Gefühl für die Leiden und Freuden der Menschheit hat, höchst willkommen seyn müßte – Doch, zu meiner Erzählung! Als Hohenau in Donnergrund, voll Verzweiflung seine Charlotte nicht zu finden, sich dem Niederträchtigsten unter allen Franzosen, der in demselben Wirthshause mit ihm war, anvertrauete, machte dieser Elende (der ein falscher Spieler, Seelenverkäufer, Kuppler, kurz! alles ist, wozu ihn ein Reicher nur nützen will,) Gebrauch von des jungen Mannes Offenherzigkeit. Er redete es mit der Frau von Donnergrund ab, verkaufte den Herrn von Hohenau an preussische Werber, und ließ ihn des Nachts, da Herr Meyer, der ihn aufsuchte, in dem Zimmer über ihm schlief, fortführen; er selbst aber lockte dem Jünglinge einen Brief an seine Freundinn ab, unter dem Vorwande, sie ihm nach Baruth zu bringen, wo er auf ihn warten sollte. Mit diesem Briefe ausgerüstet, gieng er fort, suchte das Fräulein auf, und erhielt, nach Vorweisung dessen, daß sie sich ihm in die Hände lieferte; seine Absicht aber war, dieselbe, wenn sie sich ohne Hülfe sehen würde, einem reichen Grafen in Berlin als Maitresse zuzuführen. Er zog das unglückliche Kind, ein paar Monate hindurch, unter allerley Vorwande von einem Orte zum andern. Sie erkrankte vor Kummer, bis er sie endlich, mit der Hofnung ihren Carl in Berlin anzutreffen, auch dahin lockte. Sein Schrecken war nicht gering, da er den Herrn von Hohenau, den er als Recrute in irgend einer entlegenen Provinz glaubte, hier als Officier fand. Nun war doppelte Vorsicht nöthig, eine ohngefehre Zusammenkunft zu verhindern. Das Fräulein wurde also – denken Sie an, bester Vater! – in ein Bordel geführt, und daselbst in einem Hinterstübchen einer liederlichen Weibsperson, welche ehemals die Buhlerinn eines Obristen gewesen war, (die man ihr aber als eine Dame von Stande vorstellte) anvertrauet. Jetzt ahndete das arme Mädgen wohl, daß sie hintergangen würde, doch hoffte sie noch immer auf Antwort von ihren Eltern, weil sie zu ihrem Glücke nicht wußte, daß man alle ihre Briefe auffieng; und dieser kleine Hofnungsstrahl erhielt sie in ihrer schweren Gemüths- und Leibeskrankheit, an welcher sie noch darniederliegt, bey einigen Kräften. Unterdessen hatte sich Hohenau, aus Verzweiflung über die vermeintliche (durch falsche Briefe des Franzosen ihm angezeigte) Untreue seiner Geliebten, allerley Ausschweifungen ergeben; der Herr von Hundefeld aber suchte noch immer seine Schwester, kam nach Berlin, wurde durch eine Cabale des französischen Bösewichts wieder aus der Stadt geschafft, kehrte aber gestern wieder hierher zurück, und trat in der Stadt Paris ab. Hohenau begegnete mir des Morgens auf der Gasse, sagte mir, er erwarte heute seinen academischen Freund, und bath mich, sobald ich dessen Ankunft vernehmen sollte, ihn bey dem Herrn Lieutenant von B ..., woselbst er den Abend zubringen würde, abzurufen. Dieser B ... ist ein wackerer junger Mann, der vor ein paar Jahren im Reiche auf Werbung war, aber itzt leider! auch ein bisgen liederlich wird. Abends um acht Uhr kam Hundefeld an. Ich hatte ihn erwartet, und bewillkommte ihn im Gasthofe. Wir giengen zusammen nach dem Hause des Lieutenants von B ..., allein der Bediente sagte uns, sein Herr und der andere Officier seyen zu der Frau Schufit, in der Töpfergasse, ohnweit dem Comödienhause, gegangen. Es fiel uns nicht ein, daß dies ein berüchtigtes Haus seyn könnte; wie hätte ich den Herrn von Hohenau fähig halten mögen, öffentlich dahin zu gehn, und den Laquaien von diesem Schritte zu unterrichten? Auch muß ich zu seiner Rechtfertigung sagen, daß dies das erstemal gewesen, daß er einen Fuß hierher gesetzt, und daß ihn der Herr von B ... dazu verleitet hatte – Gewiß hegte die Vorsehung die Absicht, ihn durch das, was er hier sehen würde, auf den Weg der Tugend zurück zu führen. Wir giengen sorglos dem Hause zu, traten hinein, fanden aber eine solche Verwirrung, einen solchen Aufruhr in demselben, daß wir wie versteinert da standen. O! hören Sie, theuerster Vater! Leichtsinn und Ausschweifungsgeist hatten den Herrn von Hohenau in dies Haus geführt. Er war mit seinem verderbten Freunde kaum hineingetreten, als er, ohne weitere Anfrage, in das Hinterstübchen gehen wollte, welches vermuthlich dem Herrn von B ... von alten Zeiten her, bekannt war. Er öfnete die Thür, und – Welch ein Anblick? – Hier seine Charlotte, im Bette liegend, krank, blaß, mit allen Zeichen des tiefsten Schmerzes, die Augen zum Himmel gerichtet, anzutreffen! – Was für eine Scene das war; wie wir darauf ohnerwartet herzukamen; wie doppelt feyerlich und wehmüthig die Ankunft des Bruders dies Gemälde machte; was darauf vorfiel; welche Erläuterungen nun erfolgten; wie der arme Hohenau gegen sich selbst, gegen das Haus, gegen die Menschen, welche ihn getäuscht und irregeführt hatten, tobte; was die wahrscheinlichen Folgen davon seyn werden – das alles, liebster Vater! werden Sie besser aus beyliegendem Briefe und aus meinem nächsten Schreiben sehen. Noch bin ich zu verwirrt, um Ihnen etwas Zusammenhängendes darüber sagen zu können. Sobald ich aber ruhiger seyn werde, erwarten Sie eine weitläuftigere Nachricht, von Ihrem gehorsamsten Sohne, Ludwig Müller. Ende des dritten Theils. Fußnoten 1 Der aber, mit Ihrer gütigen Erlaubniß, erst zu Anfang des vierten Theils erscheinen wird, oder vielleicht gar nicht, da man doch schon aus gegenwärtigem auf den Inhalt desselben schliessen kann. 4. Theil An die Leser An die Leser. Ich danke Ihnen zum letztenmal für die unverdiente gütige Aufnahme des dritten Theils dieses rapsodischen Werks. Der Beyfall, womit Sie dasselbe beehrt haben, wird mich anfeuern, die geringen Talente, welche mir die Natur in diesem Fache verliehen hat, sorgfältiger auszubauen, um Ihnen einst etwas Besseres, fleißiger Bearbeitetes, zu liefern. Denn, gewiß! ich fühle die vielfachen Fehler dieses Büchelchens sehr gut, und um Ihre Nachsicht nicht länger auf die Probe zu setzen, habe ich den Roman meines Lebens mit diesem Theile beschlossen. Wenn ich aber hier von unverdientem Beyfalle des Publicums rede; so urtheile ich, offenherzig gesagt, nach dem schnellen Verkaufe der doppelten Auflagen; denn die verbindlichen Lobeserhebungen meiner Freunde schreibe ich auf die Rechnung ihrer Partheylichkeit für meine geringen Producte; Was die hohen Herrschaften und armen Excellenzen dazu gesagt haben, ist mir sehr gleichgültig, und um Rezensentenlob und Tadel bekümmere ich mich nicht. Man weiß leider! wie es damit zugeht, und wie unsicher man fahren würde, wenn man hiernach auf die Güte eines Buchs schliessen wollte. Weil wir indessen eben von Rezensenten reden; so muß ich doch eines Richterspruchs in dem acht und vierzigsten Bande der allgemeinen deutschen Bibliothek Erwehnung thun. Jeder unpartheyische Freund der Literatur wird den Werth dieser critischen Schrift erkennen, wird eingestehen, welches Licht sie in unserm Vaterlande verbreitet hat, wird endlich dem vortreflichen Herausgeber in seinem Herzen danken, daß er, dessen Verdienste überhaupt über mein Lob, so wie über den Tadel seiner Neider erhaben sind, ein so mühsames, undankbares Werk, nun so viel Jahre hindurch, mit immer gleicher Stärke geführt hat. Allein bey der ungeheuren Schreibseligkeit unserer lieben Landesleute bedarf Herr Nicolai auch einer Menge Mitarbeiter. Es ist nicht immer möglich dazu die gelehrtesten, mit andern Dingen beschäftigten Männer anzustellen. Auch kömmt eine so schreckliche Menge unwichtiger Schriften heraus, (man rechne immer die meinige mit darunter) daß es der Muhe nicht lohnt, darüber das Urtheil großer Männer zu hören. Um also diesen Ballast von minder wichtigen Büchern rezensieren zu lassen, setzt Herr Nicolai auch junge Gelehrten und Dilettanten in Bewegung – Männerchen, welche ihm hie und da von andern verdienstvollen Leuten empfohlen werden, oder sich selbst empfehlen. Da geschieht es denn zuweilen, daß ein Knäblein, in welchem ein bisgen Genie herumläuft, stolz auf die Ehre den Richterstuhl besteigen zu dürfen, ein sehr schiefes, jugendliches Urtheil publicirt, und diesen Fall glaube ich unter andern bey Beurtheilung des ersten Theils meines Romans erlebt zu haben. Ich kann sehr gut Zurechtweisung vertragen, theils weil das Bücherschreiben gar nicht mein Handwerk, sondern der Gegenstand meiner Erholungsstunden von ernstern Geschäften ist, theils, weil ich mich überhaupt gar nicht für ohnfehlbar halte. Wenn daher der Herr quidam sagt, daß dies Werkgen nicht Zusammenhang genug habe; so hat er vielleicht Recht, obgleich sich auch dagegen manches einwenden liesse. Denn eigentlich weiß ich doch nicht, warum grade ein Buch die Lebensbeschreibung Eines Mannes enthalten soll, warum man nicht die einzelnen, in einander verwebten Begebenheiten mehrerer Leute erzählen darf, ohne daß sich eben alles auf Einen Held bezieht – Doch darüber wollen wir nicht zanken – Wenn aber der junge Herr mich lehren will, was Hofton ist; so ist das gar lustig. Von meiner zartesten Jugend an habe ich leider! fast immer an Höfen gelebt, und es kostet mich Mühe, die unglücklichen Eindrücke davon, die so leicht angenommen werden, den Ton, den jeder auch noch so elende Mensch so bald lernt, wieder loszuwerden. Ein Magisterlein, in seinem Dachstübchen, ein zierlicher Informator, oder irgend ein andres schöngeisterisches Geschöpf dieser Art, sollte es wahrlich nicht unternehmen über den Hofton zu urtheilen, den er höchstens durch die dritte Hand, aus dem Umgange mit seinem hohen Gönner, dem fürstlichen Cammerdiener kennt. Und was die Wahrheit der Begebenheiten betrifft, die der liebe Mann bestreitet; so wünschte ich herzlich, er mögte Recht haben. Zu mancher Menschen Ehre, und zu meiner eigenen Beruhigung mögte ich ganz gern das alles so erdacht haben. Liegt es aber an der Art der Darstellung, daß, was ich erzähle, nicht ganz den Anstrich der ungeschminkten Wahrheit hat; so bedenke man, daß ich gute Leute habe schonen wollen. Deswegen habe ich manche Annecdoten durch Zusätze unkenntlich gemacht. Wäre die Welt wie sie seyn sollte; so würde diese Vorsicht überflüßig seyn. Ich wenigstens verlange nicht besser zu scheinen als ich bin; fest überzeugt, daß ein feiner Menschenkenner dennoch durch meine Maske hindurch, meine Leidenschaften, und was diese etwa hervorbringen können, erblicken und nicht deswegen glauben wird, daß ich nie vom graden Wege abgewichen bin, weil ich es ihm verschweige. Ich habe immer geglaubt, daß wer sich nicht vor sich selbst schämt, sich nicht vor Andren zu schämen Ursache habe. Kinder halten die Hände vor das Gesicht, wenn man sie nackend antrifft, aber nicht Männer. Ein offenherziges Geständniß seiner Fehler ist ein grosser Schritt zur Besserung, und man haßt deswegen den Mann nicht, weil man erfährt, daß er kein Engel, oder daß er sogar vielleicht einst tief gefallen war; ja! ich müßte den Menschen sehr verachten, den ich nicht werth hielte, daß man, durch Erzählung seiner Verirrungen, Andre auf seine guten Seiten aufmerksam machte. Aber freilich gehn auch eine Menge Dinge in der Welt vor, von denen eine gewisse Classe von Leuten gar nichts erfährt, und die dem ganz unwahrscheinlich vorkommen, der bey seinem Oellämpgen, vier Treppen hoch, nur mit Speditionshandel für Journale und Musenalmanachs sich beschäftigt, in einem kleinen Circul von unbärtigen Gelehrten lebt, und, ausser seinen Universitätsfreunden und einigen Mäcenaten, nie viel von der schönen Welt gesehen hat. Das ist also zu verzeyhen. Vielleicht hat das Männchen, voll Hofnung auf eine künftige Versorgung, durch einen vornehmen Patron, der sich einbildete das Portrait seiner jämmerlichen Excellenz oder Hochwohlgebohrnheit in meinem Roman zu finden, sich bewegen lassen, ein bisgen auf mich zu schimpfen – Es ist auch wahrlich nicht erlaubt, daß ich mit so wenig Respect von Personen rede, die ihm so grosse Leute scheinen, die aber, in der Nähe betrachtet, gar kleine Menschen sind – Einen solchen Ketzer muß man verdächtig machen – Unglücklicherweise lache ich aber herzlich Seiner und seiner Schutzherrn, werde künftig gar nicht mehr auf dergleichen antworten, und bitte das Publicum um Verzeyhung, daß ich so viel über einen so uninteressanten Gegenstand geplaudert habe. Sollte übrigens irgend ein Herr oder eine Dame eine Erklärung von mir über etwas in meinem Roman Vorkommendes verlangen, der sey so gütig sich bey dem Herrn Verleger zu melden, woselbst er meinen Nahmen erfragen kann. Ein ehrlicher Mann, der Sultans, Sultaninnen, Vezirs, von der Bürste und von der Feder, und wie das Zeug heissen mag, flieht aber nicht scheuet, und sein eigenes Gewissen noch weniger zu scheuen braucht, bekennt sich gern zu jedem Worte, das er geschrieben hat. Auch leben wir gottlob! in einem Zeitalter, und unter einem Schutze, wo man frey Wahrheit denken, reden und schreiben darf, wo die Anbethung der kleinen Götzen dieser Erde ziemlich aus der Mode kömmt, und nur ein Handwerk einiger kleinen, süssen, schalen Köpfgen bleibt, die, weil sie kein andres Mittel haben, die Aufmerksamkeit auf ihre poßierlichen Personen zu ziehen, sich mit fremden Strahlen und Sternschnupfe ausstaffieren. Es war einmal eine Zeit, wo man diese Sternschnupfe für würkliche Ausflüsse grösserer Weltkörper hielt; Jetzt weiß man, daß es Dünste sind, woraus nur ein deutscher Rosencreutzer eine kräftige Essenz ziehen kann. Inhalt des vierten Theils Inhalt des vierten Theils. Erster Brief, von Ludwig Müller an seinen Vater, aus Berlin geschrieben. Erzählt den Fortgang ihrer Begebenheiten, nach der Zusammenkunft in der Frau Schufit Hause. Das Fräulein wohnt itzt mit ihrem Bruder in der Stadt bey einer Officierswitwe. Ihre Gesundheit bessert sich. Sie warten auf Antwort von den Eltern und von Leidthal, um zu wissen, was aus ihnen werden wird. Ueber die Anlegung und Duldung öffentlicher Bordelle. Man will nachspüren, wo la Saltière ist, erfährt es aber nicht. Lebensgeschichte von drey liederlichen Frauenzimmern. Beschreibung eines üppigen Hofes, eines Bordels. Ueber Ludwigs Schauspielerleben. Er wünscht es zu verlassen. Zweyter Brief, von Leidthal an Müller. Er traf den Herrn von Wallitz sterbend an, und wurde von demselben wieder in den Besitz seiner Güter gesetzt. Auf welche Art sich hierdurch auch des jungen Wallitz Umstände verbessern. Ueber Vorbereitung auf dem Sterbebette. Man soll nie sagen, was man thun würde, wenn man an eines Andern Stelle wäre. Von Hohenaus neueren Begebenheiten weiß Leidthal noch nichts. Dritter Brief, von Weckel an Hohenau, aus Urfstädt geschrieben. Er meldet ihm voll Freude die Glücksveränderung des Baron Leidthals, und das allgemeine Vergnügen darüber. Sein Oheim wird schwächlich. Er fragt, ob Nachrichten von Charlottens Aufenthalte da sind. Lustige Beschreibung von der Frau von Donnergrund und zweyten Verehligung. Eine Lesebibliothek. Welche Bücher da gelesen werden. Eine dicke empfindsame Frau. Epigrammenschreiber sind große Köpfe. In Weckels Hause herrscht itzt viel Literatur. Vierter Brief, von der alten Frau von Hundefeld an ihren Sohn in Berlin. Die Eltern sind froh, daß Charlotte endlich wiedergefunden ist. Der Bruder soll nur sogleich mit derselben zu ihnen kommen. Fünfter Brief, von Hohenau an Leidthal. Man will ihm seine Charlotte entreissen; der Bruder reiset mit ihr ab. Er bittet also flehentlichst, sie nicht zu trennen, die Eltern zur Einwilligung in ihre Heyrath zu vermögen, und, da Leidthal itzt reich ist, das Maaß seiner Wohlthaten für Carln voll zu machen, und ihn zu unterstützen, damit er eine Frau ernähren könne. Sechster Brief, von Madam Wilhelmine Becker an ihre Jugendfreundinn, das Fräulein Caroline von Wilmar. Sie giebt ihr Nachricht von ihren Schicksalen, seitdem sie, durch ihre Eltern gezwungen dem Herrn Meyer zu entsagen, einem Andern die Hand geben mußte, der aus Eifersucht mit ihr in unbekannte Gegenden zog, und sich den Nahmen Becker gab; wie sie aber jetzt mit demselben vergnügt in einem Landstädtgen, ohnweit Urfstädt wohnt. Siebenter Brief, von Leidthal an Hohenau. Er stellt ihm die Schwierigkeiten vor, die seinem Gesuche, heyrathen zu dürfen, entgegen stehn, malt ihm die Pflichten eines Ehemanns, Hausvaters und Mitglieds des Staats lebhaft ab. Doch will er sich seiner Heyrath nicht wiedersetzen, sondern hat selbst an Hundefelds Eltern, wegen ihrer Einwilligung geschrieben. Er soll aber erst ein oder zwey Jahre in Deutschland reisen, Menschen, Sitten und Gebräuche kennen lernen. In Berlin soll er seinen Abschied nehmen; Leidthal wird suchen ihm eine andre Laufbahn zu eröfnen. Meyer und der junge Wallitz reisen mit; vermuthlich auch Weckel, wenn sein Oncle sterben sollte. Achter Brief, von Weckel an Hohenau. Wünscht ihm Glück, daß alles gut geht. Er wird wohl mitreisen, da sein Oncle täglich schwächer wird. Anmerkungen über ihre Reise, und wie sie sich dieselbe angenehm zu machen suchen wollen. Geschichte eines kleinen Fürsten, der incognito reisete. Jagd-Annecdote. Corruption. Französische Lebensart. Soldatenstand, und dessen eingebildete Vorzüge vor andern Ständen. Mittel auf Reisen Geld zu verdienen. Neunter Brief, von Meyer an Leidthal. Er will gern mitreisen, hat auch schon Urlaub erhalten, und den Präsidenten bewogen zu erlauben, daß Ludwig Müller indessen seine Geschäfte versehe. Character des Cammerraths von ... Zehnter Brief, von Charlotten an Hohenau. Voll Gefühl überschwenglicher Freude. Die Eltern haben eingewilligt. Zwar ist es hart, daß er noch erst reisen soll; aber Hofnung wird sie trösten. Er soll doch gleich den Eltern schriftlich danken, und baldmöglichst kommen. Eilfter Brief, von Hohenau an Leidthal. Herzlicher Dank. Alles ist in Ordnung. Er wird in acht Tagen in Urfstädt seyn. Zwölfter Brief, von Leidthal an Meyer. Er erwartet ihn nun bald, und wird vorher nicht mehr schreiben. Eine Predigt. Moralischer Character des Predigers. Gute Werke machen selig. Jesuitische Grundsätze. Annecdoten von einem regierenden Grafen. Ein Projectenmacher sollte keine Finanzen dirigieren. Nicht jede Theorie ist anwendbar. Ein Mann der die Welt aus Büchern kennt, spielt darinn eine dumme Rolle. Ueber Tyrannie der deutschen Fürsten. Vaterlandesliebe ist kein Vorurtheil. Dreyzehnter Brief, von Weckel an den alten Müller. Der Oncle ist gestorben. Wallitz, Meyer und Hohenau sind angekommen. Sie werden nun bald abreisen. Er ist unpäßlich gewesen. Beschreibung eines Arztes. Eine sonderbare Entbindung. Geschichtgen von einem Hofmeister. Vierzehnter Brief, vom alten Müller an Leidthal. Er ist froh über Ludwigs Glück, obgleich sein Herz sich nicht mehr so freuen kann als ehemals. Man soll mittelmäßige Leute nicht leicht sein Uebergewicht fühlen lassen. Ueber die dänische Nation. Funfzehnter Brief, von Meyer an Ludwig Müller. Regeln, wie er sich in seiner neuen Laufbahn betragen soll. In wie fern man auf Freunde rechnen kann. Mistrauen ohne Haß. Ueber die Liebe der Weiber. Er hat Madam Becker gesehn, und in ihr seine Wilhelmine wieder erkannt. Sein Gemüthszustand. Etwas über des Cammerraths von ... Character. Portraitte vom Secretair Fränzel, Hauptmanne von Herdel, Hofrathe Tillmeyer, dem Schriftsteller ... und Herrn von Altheim. Der junge Hundefeld ist in hessische Dienste getreten, geht aber noch auf ein Jahr nach Göttingen. Sechzehnter Brief, von der ganzen Reisegesellschaft an Leidthal. Weckel sieht alles von der lustigen, Meyer von der verdrießlichen Seite an. Hohenau ist empfindsam und Wallitz bewundert alles, findet alles schön. Hannover. Bekanntschaften daselbst. Character der Niedersachsen im Gegensatz mit dem der Rheinländer. Lebensart und Sitten in Hannover. Gebäude. Gärten. Bibliothek. Annecdote von Leibnitz. Gegend Hildesheim. Braunschweig. Ton daselbst. Hohenau legt einen Brief an Charlotten ein. Weg von Braunschweig nach Wolfenbüttel. Ueber diese Stadt. Bibliothek. Ueber das Bücherschreiben. Weg von da nach Zelle durch die Heide. Ueber Zelle. Ton der dort in Gesellschaften herrscht. Toll- und Zuchthaus. Sie reisen in ein Paar Tagen auf Göttingen zu. Siebenzehnter Brief, von Wilhelminen an ihre Freundinn. Nachricht von der unerwarteten Erscheinung ihres Jugendfreundes. Ihre Empfindungen dabey. Achtzehnter Brief, von Leidthal an Müller. Er schickt ihm den folgenden Brief von Weckel. Meyer hat nur aus Göttingen ein Paar Zeilen geschrieben. Was er über Universitäten sagt. Neunzehnter Brief, (in dem vorigen eingeschlossen) von Weckel an Müller, auf der Reise geschrieben. In Zelle wohnte er noch einem Concerte bey. Ueber den Geschmack an Musik. Orchester in Hannover. Er trennt sich von seiner Gesellschaft, und geht von Cassell aus zu einem Freunde ohnweit Herßfeld. Erst in Frankfurt wird er wieder zu seinen Reisegefährten stoßen. Etwas über Hessen. Waisenhaus in Herßfeld. Hessische Orthographie Stiftskirche. Character seines Freundes und dessen Frau. Hungen, im Wirthshause. Er hat den Major von Sterkfeld angetroffen, der auch nach Frankfurt will. Ueber die Bekehrung auf dem Todtenbette. Nachricht von einer reichsstädtischen Schulanstalt. Annecdote von einer Hofmalzeit. Ueber den Franzwein. Monumente fürstlicher Heldenthaten. Frankfurt am Mayn. Er ist eben angekommen, und erwartet morgen die übrigen Herrn. Zwanzigster Brief, von Charlotte an Carl. Zärtliche Besorgniß. Sie geht auf einige Zeit zur Frau von Weckel. Die Eltern sind gesund. Der Bruder auf dem Harz. Was ihr derselbe über Seesen, Gandersheim, Goslar, Clausthal, Zellerfeld und überhaupt vom Harz sagt. Ein und zwanzigster Brief, von Wallitz an Leidthal, aus Frankfurt geschrieben, woselbst sie mit Weckel zusammengetroffen sind. Ueber eine Schmetterlingsammlung. Etwas von Cassell. Marburg. Fluch eines hessischen Officiers. Giessen. Gesellschaft daselbst. Wetzlar. Ton in Gesellschaften. Armuth der Einwohner Kloster Altenburg. Geschichte einer Nonne. Sitten, Lebensart, Character der Frankfurter. Zwey und zwanzigster Brief, von dem alten Müller an Weckel. Ueber glückliche und unglückliche Laune. Sein ehemaliger Gemüthszustand im Gegensatze mit dem jetzigen. Einige Bemerkungen über das Betragen der Menschen im Unglücke. Character des Doctors Verenholz, des Ueberbringers dieses Briefs. Seine Schicksale. Daß man nie klagen solle. Was dazu gehört, einen großen Plan durchzusetzen. Drey und zwanzigster Brief, von Weckel, Hohenau und Wallitz an Leidthal. Fortsetzung der Erzählung ihrer Reise. Sie fuhren mit dem Marktschiffe aus Frankfurt. Reisegesellschaft. Ein Capuciner. Inquisition in Preussen. Ein Landedelmann. Wie es da hergieng. Ein armer französischer Officier mit seiner Frau. Höchst. Tabacsfabrik, unnützer Aufwand. Gegend von Maynz. Cartause. Lustschloß. Character des Churfürsten. Lebensart in Maynz. Ein Hofmann in einer bürgerlichen Gesellschaft. Wanzen im Wirthshause. Oppenheim. Herrliche Gegend. Unmenschlichkeit der französischen Nation. Verwüstung der Pfalz. Leiche eines jungen Mädgens. Ein Beinhaus. Der Graf von ... Rhein-Türkheim. Worms. Ein calvinischer Pfarrer. Freinsheim. Gute Leute, bey denen sie sind. Weinlese; Wie sie ihre Zeit hinbringen. Traubencur. Frankenthal. Gastfreyer Freund in ... Redlichkeit der Landschreiber. Bestechungen in der Pfalz. Herxheim; Aussicht daselbst, und in Neustadt. Türkheim; Parforcejagd. Einige Annecdoten. Character eines würdigen Pfarrers. Bauern soll man nicht um Fußwege fragen. Deidesheim; Barmherzige Brüder. Vier und zwanzigster Brief, von Meyer an Leidthal. Fortsetzung. Bekanntschaft mit einigen würdigen und verdienstvollen Menschen. Ueber Speyer. Manheim. Erzählung von Bothen und Gastwirthen. Bildergallerie. Urtheil eines Dilettanten. Schwetzingen. Ueber den Garten. Annecdote von einem Steinfresser. Die Bergstraße. Darmstadt. Sie besuchen einen edlen Mann. Eine englische Werberinn. Die Judengasse in Frankfurt. Ueber dies gedrückte Volk. Offenbach. Wer daselbst regiert, wer da wohnt. Fünf und zwanzigster Brief, von Leidthal an Hohenau. Es freuet ihn, daß er gute Menschen angetroffen hat. Die Familie der Edlern. Ueber Charlotten. Wie listig sie ihn bewogen hat, Carls Reise abzukürzen. Annecdote von einer kleinen Demüthigung. Ueber Religions-Beweise. Ueber Aechtheit der Freymaurer-Logen. Sechs und zwanzigster Brief, von Weckel an Müller. Abreise von Frankfurt. Zwey Freunde, Herr von Greb und der Professor Blumenhof gehn bis Nürnberg mit. Seligenstadt. Abtey. Mönchsleben. Domherrn. Dorf, wo die Bauern die Auferstehung nicht glauben wollen. Ein Pudel. Wo der Unglückliche Trost sucht. Ein Kaiserlicher Major von M ... Geschichte einer Entführung. Aschaffenburg. Ein Informator Der Spesserwald. Ein Greis, umringt von Kindeskindern. Esselbach. Neue Bekanntschaften. Ein Mann mit drittehalb Weibern. Ein Wagen voll Emigranten. Annecdoten von regierenden Grafen. Würzburg. Lage. Schloß. Festung. Exequien für einen seligen Domherrn. Ein Officier. Fränkische Gegenden. Wegebesserungsanstalten in der Grafschaft G ... Nürnberg. Herr von S ... Freymaurer. Sitten und Ton der Nürnberger. Concert, Souppee, Ball. Kaiserliche Burg. Römische Uhr. Sieben und zwanzigster Brief, von Sophie an ihren Vater den Statsrath. Nachricht, wie es ihnen geht. Ueber Erziehung. Madam de Beaumonts Grundsätze. Ein Informator. Ein kleiner Roman von einem, jungen Mädgen, das itzt bey dem Herrn Lescow sich aufhält. Uebrige Nachrichten von dem Bruder Fritz, Peter, Ludwig und Christoph. Acht und zwanzigster Brief, von der Reisegesellschaft an Leidthal. Sie sind von Nürnberg abgereiset, und haben sich von den beyden guten Reisegefährten getrennt. Schwabach. Fabriken. Zuchthaus. Pleinfeld. Unsichre, schlechte Wege. Eichstädt. Nachforschungen. Lage von Eichstädt. Pfaffenregiment. Verfinsterung. Ein Paar gute Männer. Jesuiten. Ihr Geschäft ist geendigt. Hohenau war unpäßlich. Lebensart, todte Stille in Eichstädt. Annecdote von einem Hofmanne. Reliquien; heilige Walpurge. Ingolstatt. Aufklärung von Bayern. Character der Nation. Ein grosser Mann. Mädgen. Wein. Bier. Neun und zwanzigster Brief, von Leidthal an Meyer. Antwort auf Briefe, die sich nicht finden. Ueber München. Stadt. Gegend. Kirchen. Grafen. Nymphenburg. Hofgarten in München. Toleranz. Beyspiel von Duldung eines Juden. Kälte in Bayern. Edler Zug von einer Erb ... von ... Dreyßigster Brief, von Hohenaus Bedienten, Friedrich Kirschbrod an den Acciseinnehmer Birnbaum in Urfstädt. Beschreibung von den Processionen in München und auf dem Lande. Wie man dort beichtet. Gastereyen. Kirchengebräuche. Pfaffenbetrug. Familie des Grafen von S ... Freisingen. Wie es dort zugeht. Annecdote von fürstlicher Bestechung. Ein und dreyßigster Brief, von der Reisegesellschaft an Leidthal. Abreise von München. Göttingen. Oeringen. Unfall daselbst. Postmeister. Heilbronn. Sie treffen den Herrn von P ... an. Heidelberg. Ein herrlicher Mann. Gegend. Schloß. Bild von Lebensart und Wohnung der jetzigen Fürsten. Eigenschaften, welche man von einem Secretair verlangt. Ueber Homburg vor der Höhe, und die dortige Herrschaft. Sie reisen nun nach Neuwied. Zwey und dreyßigster Brief, von Meyer an Leidthal. Herrliche Wasserfahrt den Rhein hinunter. Wie sie sich im Schiffe beschäftigen. Maynz. Ein guter Mann. Sie finden den la Saltière in den Eisen. Ein schönes musicalisches Instrument. Fleißige Einwohner. Rheinbrücke. Gegend bis Bingen. Maynzische Orthographie. St. Goar. Ankunft in Neuwied. Beschreibung der Lage des Orts und des Schlosses. Toleranz. Fabriken. Character der Herrschaft. Ihr Freund. Wie der Mensch früh Morgens beym Aufwachen ist. Christoph Müller wird gelobt. Andernach. Beschreibung einer Flötze. Coblenz. Lage. Edler Zug vom jungen F ... Nieder- Selters. Beschreibung des Orts. Sie treffen den Freund Simon mit seiner Familie dort an. Eine kurze Geschichte von dem Herrn von Trautenberg. Rückreise bis Frankfurt zu Lande. Schlechte Wege. Drey und dreyßigster Brief, von Leidthal an Hohenau. Er freuet sich, daß sie nun bald über Gotha und Weimar zu ihm zurückkehren werden. Er erwartet auch Charlotten und deren Mutter. Die Hochzeit soll bald seyn. Plan auf die Folge. Hundefeld ist nun in Cassel etablirt. Was er mit Wallitz und Meyer vorhat, da Reifenbrück fort ist. Ueber Herrn ... in Gotha, und vom Herzoge von Weimar. 1. Brief Erster Brief. An den Herrn Etatsrath Müller in Coppenhagen. Berlin den 18ten Julius 1771. Ich beschrieb Ihnen, bester Vater! die sonderbare Lage, in welcher wir uns Alle hier wiedergefunden haben, in meinem letztern Briefe 1 , und ich hoffe, Sie werden denselben noch vor Ihrer Abreise nach Coppenhagen erhalten haben. Jetzt will ich Sie von dem weitern Erfolge unsrer Begebenheiten unterrichten. Noch sind wir leider! in beständiger Ungewißheit, wie es mit dem Schicksale des Herrn von Hohenau und seiner Freundinn gehn wird, denn weder der Freyherr von Leidthal noch des Fräuleins Eltern haben bis itzt auf unsre Nachrichten geantwortet – Doch, ich komme zu meiner Erzählung. Sie können leicht denken, liebster Vater! daß der Herr von Hohenau, beschämt und gerührt über seine bisherigen Verirrungen; in nagendem Zweifel über die Veranlassung, durch welche Charlotte in der Frau Schufit Haus gekommen war; nach näherer Erklärung aber, erfreuet den Gegenstand seiner Liebe unschuldig, verzeyhend, und so zärtlich als jemals für ihn wiederzufinden; endlich ungewiß, was nun künftig ihr gemeinschaftliches Schicksal seyn werde – daß er, sage ich, da in einem Strudel von kämpfenden Empfindungen umhergetrieben wurde. Wir suchten indessen diese Scene abzukürzen, besonders da des Fräuleins schwache Gesundheit sehr dabey leiden mußte 2 . Als daher die ersten Erläuterungen vorüber waren, kam es darauf an, dem armen Kinde einen anständigen Aufenthalt zu verschaffen, und ich wurde abgeschickt, mit einer braven Officierswittwe, deren Bekanntschaft der Lieutenant von B ... gemacht hatte, desfalls zu reden. Diese bewog ich denn auch ohne Mühe, Charlotten auf eine Zeitlang zu sich zu nehmen. Es wurde in demselben Hause ein Zimmer für den Herrn von Hundefeld gemiethet, und wir machten sogleich Anstalt beyde dahin zu führen. Man fand es der Klugheit gemäß, daß der Herr von Hohenau, bis zu eingelaufener Antwort von Hundefelds Eltern, das Fräulein nicht besuchen sollte, so hart ihm auch diese Forderung schien. Sie wohnt nun seit drey Wochen in diesem Hause, und der Zustand ihres Körpers, so wie ihrer Seele, wird täglich leidlicher, wozu ein Strahl von Hofnung, endlich das Ende ihrer Leiden zu erleben, und mit dem Freunde ihres Herzens verbunden zu werden, nicht wenig beyträgt. Was die Frau Schufit und den Grafen betrifft; so glaubten wir, es werde nicht gut gethan seyn, viel Lerm zu machen. Wie kann man es einem Wollüstling verdenken, wenn er neue Gegenstände zu Befriedigung seiner immer an ihm nagenden Begierden aufsucht? Das Weib droheten wir zwar, ihr durch die Policey das schändliche Handwerk, so sie triebe, legen zu lassen; allein sie schien sehr ruhig dabey, und mogte wohl theils in einer so galanten Stadt des höhern Schutzes gewiß seyn, theils selbst fühlen, daß wir, ohne den Ruf des Fräuleins von Hundefeld auf das Spiel zu setzen, die Sache nicht weiter aufrühren durften. Ich bekenne gern, (was man auch zu Vertheidigung des Satzes, daß man in grossen Städten solche Häuser dulden müsse, sagen mag) daß es mich empört, wenn ich bedenke, daß die Vorsteher der bürgerlichen und geselligen Einrichtungen öffentliche Bordelle anzulegen erlauben können, und dadurch Gelegenheit geben, an keine Heiligkeit irgend eines Gesetzes mehr zu glauben. Sündige jeder auf seine Gefahr, und trage die Folgen davon! Aber daß man dem schamhaften Jünglinge, der noch nicht frech, kühn, geübt genug im Laster ist, um Gelegenheiten und Gegenstände zu Ausschweifungen aufzusuchen, wenn er sich dadurch der Gefahr aussetzt, entdeckt zu werden, die Mittel erleichtert, im Stillen den Lüsten zu frohnen, mit der Sprache des Lasters bekannter zu werden, die unglückliche Corruption des Geschlechts näher kennen zu lernen, gewiß zu seyn, daß er nicht abgewiesen wird, und stumpf für die sanften Triebe keuscher Liebe zu werden; daß man die Zufluchtsörter vervielfältigt, wo ein junges Mädgen ohne Scheu ihre Unschuld verliehren, eine Frau die eheliche Treue brechen kann, wovon sie bis itzt wenigstens durch den Mangel an Sicherheit und Gelegenheit, der uns so oft von Fehltritten, zu unserm Glücke, abhält, zurückgezogen wurden – Das finde ich erschrecklich – Nehmen Sie noch dazu, daß, auch bey der besten Aufsicht, diese Einrichtung gar nicht gegen böse Krankheiten sichert, indem doch nur die dort wohnenden Frauenzimmer, nicht aber die hineingehenden Männer der Untersuchung der Aerzte unterworfen sind; daß folglich das Einzige, was sich noch etwa zu Vertheidigung dieses Misbrauchs sagen liesse, wegfällt; daß in Berlin sogar Damen von vornehmen Stande, wie man mich versichert hat, in solche Häuser schleichen, und dort die Würde, die ihnen Stand, Erziehung und feinere Gefühle auflegen, vergessen – Bedenken Sie das alles, und gestehen, daß solche öffentliche Anstalten bald allgemeine Zügellosigkeit verbreiten, und alle Schaam verscheuchen müssen. Sie wissen, theuerster Vater! daß ich so gern die geheimen Geschichten des menschlichen Herzens studiere. Als ich daher den folgenden Tag mit dem Herrn Lieutenant von B ... wieder in der Frau Schufit Haus gehen mußte, um wo möglich Nachricht von la Saltière einzuziehn; (welches uns jedoch nicht gelungen ist) so kam ich auf den Einfall, die armen verirrten Mädgen zu bitten, uns ihre Lebensgeschichten zu erzählen, um zu erfahren, durch welche Reihe von Begebenheiten sie in dies Labyrinth gerathen wären. Diesen Plan führten wir aus, und vielleicht ist es Ihnen nicht unangenehm, den Hauptinhalt von einigen dieser Geschichten zu hören. Vorzüglich intereßirte uns die Physionomie eines etwa achtzehnjährigen Mädgens. Noch waren Ueberreste von den Abdrücken eines unschuldigen, fröhligen und wohlwollenden Herzens auf ihrem Gesichte zu sehen. Die Rothe ihrer Wangen war zwar nicht ganz mehr jugendliche, gesunde Farbe; das erhitzte Blut hatte den Grad derselben erhöht, doch schien noch keine Schminke auf ihre Haut gekommen zu seyn. Aber der irrende, studierte, Ruhe suchende Blick ihrer Augen, die ermüdet und schlaff im Kopfe lagen, zeigten ihren Fall an, und verkündigten, daß bald jener jugendliche Reiz das Opfer ihrer Ausschweifungen werden würde. Es rührte uns sehr, dies junge Mädgen schon auf dem schlüpfrigen Wege des Verderbens zu finden, und wir bathen sie also, uns zu sagen, wie sie dahin gerathen wäre, welches sie dann, nicht ohne Verwirrung, that. Sie war nemlich die Tochter eines ehrlichen Beamten auf dem Gute des Herrn von W ... gewesen. Dieses Edelmanns Gemahlinn aber hatte sie, wider ihre und der Eltern Neigung, schon vor drey Jahren bewogen, mit ihr in die Stadt zu gehn. Sie wollte hier eine Cammerjungfer aus ihr bilden, und ließ ihr zu diesem Endzwecke Unterricht in aller weiblichen Handarbeit geben. In einem Alter, wo das junge Mädgen noch so vieler Aussicht bedurfte, hätte die gnädige Frau freylich sich auch um ihre sittliche Bildung bekümmern, und bey dem Glanze und den Verfahrungen der Stadt, genauer über ihr Herz wachen sollen. Allein, wie war das möglich, da die Frau von W ... sich nicht einmal der Erziehung ihrer eigenen Kinder annahm, dieselben der Aufsicht einer Französinn überließ, nach deren eigenen Abkunft, Cultur und Sitten man nie gefragt, sondern nur darauf geachtet hatte, ob sie gut plappern und anständig mit Herrschaften umgehen könnte? Die Frau von W ... fuhr täglich in Gesellschaften, tödtete dort ihre Zeit am Spieltische, am Hofe, oder in einem andern Circul von hirnlosen Köpfen, und mit den leersten Geschwätzen über Kleinigkeiten, über Putz, über Fürstenetikette, über Stadt-Annecdoten, über die Fehler und Gebrechen ihrer Freunde, und kam dann spät zu Haus, betäubt von dem Lermen der elenden Menschen, unter denen sie umhergecreutzt war, oft auch voll böser Laune über irgend eine unbedeutende Thorheit, über einen zu freundlichen, zu fremden, zu vertraulichen Blick, von irgend einem vornehmern oder geringern Geschöpfe, über Unglück im Spiele, und was sonst die beunruhigenden Empfindungen mehr sind, wodurch sich allzeit die gemisbrauchte Zeit, von welcher wir einst vor Gottes Angesicht Rechenschaft geben sollen, zu rächen pflegt. Dann legte sich die Dame, wohl ohne in vier und zwanzig Stunden ihre Kinder gesehen zu haben, spät und verdrießlich zu Bette, schlief bis neun Uhr Morgens, und fuhr darauf zu einer Frühstück-Partie, oder dergleichen. So erfüllte die Frau von W ... die Pflichten einer Hausmutter, und das arme Landmädgen blieb indeß in den Händen einer ausgelernten Putzmacherinn, die nach und nach ihre Grundsätze von Sittsamkeit herabstimmte, ihr Herz einschläferte, sie mit den rauschenden Freuden der Stadt bekannt machte, und sie endlich zu der Frau Schufit, als zu einer vertraueten Freundinn, führte – Ich will mich kurz fassen; dieser ganze Plan war von dem Herrn von W ... selbst angelegt, der sie auf diese Art zu seinen Absichten vorbereiten ließ, und den sie endlich eines Tags bey der Frau Schufit antraf. Von dieser Zeit an wurde ihr Umgang mit ihrem Herrn sehr vertraulich; allein die gnädige Frau, welche sich zwar alles erlaubte, auch ihrem Manne durch ihre zerstreuete Lebensart Gelegenheit zu Ausschweifungen gab, dennoch aber sehr eifersüchtig war, merkte nach einiger Zeit diesen verbotenen Umgang, auch wurde das junge Mädgen, stolz auf den Schutz ihres Herrn, übermüthig, nachläßig in ihrem Dienste. Die arme Verirrte wurde also aus dem Hause gejagt, floh zu Madam Schufit, wurde dort noch eine Zeitlang von dem Herrn von W ... unterhalten, aber endlich, nachdem er ihrer müde geworden, ihrem Schicksale überlassen – Und nun wird Schande, Armuth, Krankheit und zu späte Reue ihr Theil seyn. Wir wendeten uns darauf zu einer Andern, die schon längere Zeit die Bahn des Lasters betreten zu haben schien. So wie sie herausgeputzt war (denn vermuthlich dachte sie an uns ein Paar Kundmänner zu finden) hätte sie gern gesehen, daß man sie für ein zwanzigjähriges Mädgen gehalten hätte. Auch war sie vielleicht nicht viel älter. Aber frühe Ausschweifungen hatten solche Züge in ihre Bildung gegraben, daß auch alle Weißbinderkunst vergebens angewendet war, dies zu verlarven. Sie blickte mit frechen Augen bald mich, bald den Herrn von B ... an, und ein studiertes, verliebtes Lächeln, das solche Dirnen für Jeden in Bereitschaft haben, sollte den Mangel innerer, ruhiger Fröhligkeit ersetzen. Ich kann nicht sagen, daß ihr Gesicht ohne allen Ausdruck von Würde gewesen wäre. Vielleicht würde sie auch ein gutes treues Weib geworden seyn, wenn nicht sonderbare Schicksale und Verhältnisse, die so oft unsern ganzen Character, unsern Ruf, und die Figur, die wir in der Welt spielen sollen, bestimmen, sie vom graden Wege abgeleitet hätten. Sie war in ihrem siebenzehnten Jahre von ihren Eltern, in Danzig vor der Altare einem reichen Kaufmanne verhandelt worden, dessen Denkungsart, Neigungen und Jahre, (denn er war deren sechzig alt) so mit ihrem ganzen Wesen contrastirten, daß sie ohnmöglich glücklich mit einander leben konnten. Er wurde bald, aus eigenem Gefühle von seiner Unfähigkeit das Herz einer Frau zu fesseln, äusserst eifersüchtig, und erlaubte ihr auch nicht die unschuldigsten Vergnügungen. Sein Mistrauen, so oft sie nur mit einem hübschen jungen Manne redete; seine groben Beschuldigungen, und die ewigen Vorwürfe machten sie zuletzt unempfindlich gegen die gute Meinung ihres Gatten, die sie doch nun einmal verlohren zu haben glaubte. Sein Verdacht erweckte erst ihre Neugierde nach dem verbothenen Vergnügen, und da sie alle Achtung gegen einen so ungerechten Menschen verlohr; so fieng sie nun an zu glauben, daß man sich gegen einen solchen ohne Verbrechen allerley erlauben könne. Ein junger verführerischer Kaufmannsdiener, der die Geschäfte ihres Eheherrn besorgte, gefiel ihr; Sie wurden bald ihres Handels einig; Allein der Alte ertappte sie einst, tobte fürchterlich, und verstieß die Frau; Ihre Verwandten aber, welche sie aus Eigennutz von sich geschafft hatten, wollten sich ihrer nicht annehmen. Nun warf sie sich dem jungen Menschen in die Arme, gieng mit ihm fort, wurde aber bald von ihm verlassen, darauf aus Noth Schauspielerinn, hatte aber kein Talent für das Theater, mußte also auch diese Lebensart aufgeben; verwickelte sich in ein Liebesverständniß mit einem Officier, büßte ihre Gesundheit ein, mußte sich einem jungen Arzte anvertrauen, der, weil sie seine Mühe nicht bezahlen konnte, sich, nachdem sie hergestellt war, auf andre Art entschädigte, und so gerieth sie endlich, nach verschiedenen andern Catastrophen, in das berüchtigte Haus. Bald wird sie auch dafür nicht mehr gut genug seyn, und was wird dann aus ihr werden? Eine Dritte war an dem üppigen Hofe des ... von ..., dessen natürliche Tochter sie war, aufgewachsen. Ihre Mutter, eine Operntänzerinn, hatte sie zu allen Künsten der groben und feinen Coketterie abgerichtet. Als das Kind heranwuchs, gefiel auch sie dem Durchlauchtigen Wollüstlinge. Wer kennt nicht die schändliche Lebensart, die in den Tagen des Ueberflusses in dieser Residenz herrschte? Man glaubte den Hof eines asiatischen Fürsten zu sehen, wenn man den ungeheuren Aufwand betrachtete, mit welchem man täglich neu erfundene Begierden und erkünstelte Lüste zu befriedigen suchte. Die ganze Stadt schwamm in einem Taumel von unerhörten Zerstreuungen und sodomitischen Freuden. Der weibische Tyrann, umringt von einem Haufen verworfener Schmeichler, die, um sich zu bereichern und die ersten Stellen im Staate zu bekleiden, nur darauf studierten, täglich seine Sinne zu übertäuben, führte eine Liste aller noch unverführten hübschen Frauenzimmer. Seine Spürhunde mußten dann, wenn noch irgendwo ein unschuldiges Weib durch die süssen Bande des häuslichen Friedens an den Circul ihrer Familie gefesselt war, sie durch List aus den Armen ihres Gatten reissen. Man berauschte ihre Lebensgeister durch glänzende wollüstige Feste, und wenn man den Endzweck erreicht hatte, sie dem Laster opfern zu lassen, dann war Ein fürstlicher Triumpf mehr erfochten. Ein landesväterlicher Zweck mehr erreicht. Bey jedem neuen Schauspiele wurde der Natur Gewalt angethan, und oft trug ein verschnittener römischer Feldherr auf seinem herabgewürdigten Leibe den Erwerb von einigen hundert seufzenden armen Unterthanen. Diese Pracht mußte mit jedem Tage zunehmen, weil solche Vergnügungen, die so weit von der edlen Simplicität der Natur abstehen, immer Eckel zurücklassen. Doch dauerte die Lebensart nur so lange, bis das Land erschöpft, die Sitten aller Stände vergiftet, der Cörper des Sultans ausgemergelt, und sein sonst nicht uncultivirter Geist entnervt, zum Vieh hinabgesunken war. Dann machte ihn die öde Langeweile verdrießlich, ungerecht und grausam. Der redliche Mann, der es wagte, die Rechte der Menschheit zu reclamiren, und das schlummernde Gewissen des fürstlichen Henkers aus dem Schlafe zu wecken, wurde als ein Schelm fortgejagt, oder in vier Mauren eingesperrt – Doch Sie kennen ja, bester Vater! die ganze Verfassung; ich fahre also in meiner Erzählung fort. Die natürliche Tochter ersetzte bald den Platz, den ihre Mutter einst bey dem gnädigen Herrn versehen hatte, und das so lange, bis dieser ein andres Liebesverständniß, das sie mit einem Secretair unterhielt, entdeckte. Da mußten Mutter und Tochter aus dem Lande. Sie kamen an den Hof des Herzogs von ..., und das junge Mädgen erhielt eine Stelle bey der Oper, an diesem prächtigen Hofe. Als aber ökonomische Umstände auch hier eine Abschaffung aller Schauspiele nothwendig machten, war sie ohne Versorgung, und hatte nie Handarbeit gelernt. Ihre Stimme wurde heiser, und es blieb ihr nichts übrig, als auf die gröbeste Art ein unglückliches Handwerk fortzutreiben, zu welchem sie von der Wiege an bestimmt zu seyn schien. So wie indessen ihre Jahre zunahmen, und der erste Reiz der Schönheit entwich, sunk sie immer in eine tiefere Classe hinunter. Es ist nicht das Fach solcher Personen, in ihren glänzenden Tagen Geld zu sparen. Als daher keine andre Hülfsmittel für sie übrig blieben, ließ sie sich in Berlin in der Frau Schufit Hause nieder; da lebt sie nun, und steht einer höchst fürchterlichen Zukunft mit nagender Ahndung entgegen. Allein, ich will Ihre Geduld, theuerster Vater! nicht länger mit Erzählung solcher Annecdoten auf die Probe setzen. Kennen Sie nicht schon Scenen genug von unglücklichen Folgen der menschlichen Verirrungen? Auch hielten wir uns nur kurze Zeit dort auf. Mich dünkt, wer nicht durch vielfältige Ausschweifungen ganz fühllos gegen die reinern geselligen Freuden geworden ist, der kann nicht lange, ohne äussersten Widerwillen, in einem solchen Hause bleiben. Eine Wohnung, in welcher kein Familienband, kein Plan herrscht, worinn so zu sagen niemand zu Hause ist, macht schon einen widrigen Eindruck. Und daher würde ich selbst in keinem Gasthofe, das ganze Jahr hindurch mit ruhigem Herzen, leben können: Aber noch dazu kein einziges Gesicht zu erblicken, auf welchem innerer Frieden wohnt; zu sehen, wie so alles, bis auf den kleinsten Hausrath, ohne Ordnung, nur für den augenblicklichen Genuß da steht; zu bedenken, daß hier eine privilegirte Anstalt zu Fortpflanzung des sittlichen Verderbnisses ist – Das erschüttert jeden Mann von feinem Gefühle – Jetzt von etwas Besserem! Meine Lage ist noch dieselbe. Ich habe kein Recht zu klagen, und mag Ihr zärtliches Vaterherz nicht beunruhigen; Aber wenn es möglich wäre, ein andres Plätzgen, mögte es auch noch so geringe seyn, für mich zu finden, ach! so würde ich Sie flehentlichst darum bitten. Das Schauspielerleben fängt an hart auf mir zu liegen. Ich wende jede freye Stunde an, mir nützliche Kenntnisse zu erwerben, lese viel, studiere, lerne Sprachen – Mögte ich nur so glücklich seyn, einst irgend eine kleine Bedienung, wo es auch wäre, zu bekommen! Gott erhalte Sie uns, liebster Vater! das ist der erste Wunsch meines Herzens. Wir hoffen sehnlichst auf Antwort wegen des Fräuleins, und ich bin ewig Ihr gehorsamster Sohn Ludwig Müller. Fußnoten 1 Man sehe den 28sten im dritten Theile. 2 Hohenaus Brief an Leidthal, in welchem diese ganze Scene beschrieben war, ist nun ganz aus der Sammlung weggeblieben. 2. Brief Zweyter Brief. An den Herrn Secretair Meyer in Dresden. Urfstädt den 14ten Julius 1771. Noch immer ermüdet das eigensinnige Schicksal nicht, mit mir sein Spiel zu treiben. Ich bin aber so gewöhnt, diese kleinen Abwechselungen zu ertragen, daß ich Ihnen heute mit wahrhaftig ruhigem Herzen melden kann, daß ich wieder der Besitzer von Urfstädt bin. Ich kam vorgestern Abends hier an, und fand den Herrn von Wallitz auf dem Sterbebette. Ihn hatte sehr nach meiner Ankunft verlangt, und als man ihm sagte, daß ich da wäre, schien die quälende Unruhe, welche man seit dem Anfange seiner Krankheit an ihm bemerkt hatte, sehr nachzulassen. Er reichte mir seine Hand entgegen, als ich zu ihm hereintrat, und winkte mir, mich neben sein Bette hinzusetzen. Dann fieng er an, sich in den rührendesten Ausdrücken über sein vergangenes, so wenig zum Besten seiner Mitmenschen verwendetes Leben, anzuklagen, warf sich aber besonders die Härte vor, mit welcher er mich von meinem väterlichen Erbtheile vertrieben hätte. Unterdessen mußte sein Secretair ein Papier herholen, das er mir mit viel Bewegung übergab, und welches ein kürzlich von ihm vor Notarien und Zeugen ausgefertigtes Document enthielt, darinn er, auch in dem Falle, wenn er leben bleiben sollte, feyerlich auf den Besitz der von mir ehemals besessenen Güter Verzicht that, um mich wiederum als den rechtmäßigen Herrn derselben anzuerkennen. Ausserdem hatte er wegen seines übrigen Vermögens, einige Legaten ausgenommen, gänzlich zu meinem Vortheile Verfügungen getroffen. Es schmerzte mich, daß der arme alte Mann, bey diesen Regungen, das erwiesene Unrecht gut zu machen, doch gar nicht an seinen natürlichen Sohn gedacht hatte. Nachdem ich ihm daher für seine guten Gesinnungen gegen mich herzlich gedankt hatte, nahm ich Gelegenheit, ihn an diese größere Pflicht zu erinnern, und ihn zu versichern, daß ich unter keiner andern Bedingung sein Vermächtniß annehmen würde. Er schien darüber betroffen, daß mir dieser Theil seiner Lebensgeschichte bekannt war, und wollte anfangs sich auf keine Weise darauf einlassen; als ich aber in ihn drang, erlangte ich endlich, nicht ohne Mühe, daß sein letzter Willen abgeändert, und der junge Mensch zum Erben seiner baaren Capitalien eingesetzt, mir aber die Verwaltung dieses Vermögens übertragen wurde. Ja! es gelung mir, nachdem er diese Pflicht erfüllt hatte, sein Gemüth in eine gänzlich ruhige und heitre Verfassung zu setzen. Er bekannte mir noch mit edler Offenherzigkeit manche Verirrungen, in welche er, während seiner unruhigen Laufbahn, gerathen war. Ich habe Ursache zu glauben, daß würklich ein guter, thätiger Menschenfreund aus ihm hätte werden können, wenn er in andre Lagen gekommen wäre, und einen warnenden Freund um sich gehabt hätte. Ach! ich lerne täglich mehr, daß man nie sagen soll, was man thun würde, wenn man an eines Andern Stelle wäre – Wie unsinnig! und doch wie gewöhnlich! – Wenn man an eines andern Stelle seyn könnte; (das heißt, wenn man von eben den Umständen regiert, von denselben Triebfedern getrieben würde) so würde man auch grade eben so handeln, das ist zuverläßig wahr. Gestern wurde der Herr von Wallitz so schwach, daß er nur wenig reden konnte. Ich ließ den Pfarrer, der sich anboth ihn zu besuchen, bitten, sich diesen Weg zu sparen. Dieser Art Leuten fehlt es gewöhnlich an genugsamer Feinheit des Gefühls und an Weltkenntniß, um in einem solchen Augenblicke etwas zu sagen, das an seinem Platz stünde. Sie ermüden den armen Sterbenden mit heulenden Gebethen und Formeln, die nicht für jeden passen, und zwingen ihn da eine Rolle zu spielen, zu welcher er vielleicht gar nicht gestimmt ist. Denn, in der That! mich dünkt in diesen critischen Minuten wird jedem sein eigenes Gewissen am besten zureden. Hat das ganze Stück nichts getaugt; so giebt ihm ein rührender, pathetischer letzter Act keinen grössern Werth, und ich kann das Paradieren und Wichtigthun am Ende einer schalen, unbedeutenden oder schlechten Commödie durchaus nicht leiden. Desfalls ließ ich den Sterbenden völlig in Ruhe, und so verschied er diesen Morgen ganz sanft. Jetzt, bester Freund! hat mich also das Schicksal wieder in Umstände versetzt, in welchen ich den Wunsch meines Herzens, die Leiden Anderer zu erleichtern, mehr befriedigen kann. Sagen Sie doch ja, gleich nach Empfang dieses Briefes, dem jungen Wallitz, wie sehr sich die Sachen zu seinem Vortheile geändert haben. Wie wird sich der gute Jüngling freuen! Ich werde nun künftighin sein Vater seyn. Die Zeit erlaubt mir nicht, diesmal selbst an ihn zu schreiben. Sehen Sie indessen zu, ob Sie ihm nicht auch jetzt bessere politische Aussichten eröfnen können. Er ist würklich reich, und in dieser Welt ist das schon eine grosse Empfehlung für jemand, der in Fürstendienste treten will. Was meinen Carl betrifft; so mögte ich ihn, bey dieser neuen Lage der Sache, gern aus Berlin weg haben 1 . Allein ich will das alles erst genauer überlegen – Jetzt bin ich überhaupt noch zu verwirrt, um ordentlich denken und schreiben zu können. Leben Sie wohl, mein Lieber! In wenig Tagen sollen Sie mehr hören, von Ihrem treuen Freunde Leidthal. Fußnoten 1 Man vergesse nicht, daß Leidthal noch nicht von den Vorfällen in der Frau Schufit Hause unterrichtet seyn kann. 3. Brief Dritter Brief. An den Herrn Lieutenant von Hohenau in Berlin. Urfstädt den 17ten Julius 1771. Freude über Freude! Seit drey Tagen bin ich hier auf Ihres lieben Pflegevaters eigenem Gute – Ja! auf seinem Eigenthume, denn, daß Sie es nur gleich erfahren, wenn Sie es noch nicht wissen, der alte Wallitz ist todt, und hat unsern lieben Freund in den Besitz von Urfstädt gesetzt. Dieser hat schon Posseßion genommen, der Pfarrer hat gratulirt, der Schulmeister Verse gemacht; Christoph Birnbaum weint vor Freuden; alles ist froh und in Bewegung. Der Herr Secretair Reifenbrück hat sich eine blaue seidene Weste mit Silber machen lassen, und ich trage meinen Sonntagshut jetzt alle Tage. Dabey gebe ich mir das Ansehn, über dem gnädigen Herrn viel zu vermögen, höre die Klagen der Bauern, mache den Minister, schüttle den Kopf, wenn sie mir ihr Leid klagen, verspreche jedem zu helfen, und vergesse eine viertel Stunde nachher bis auf die Nahmen der Leute – Doch ernsthaft! In langer Zeit bin ich nicht so innigst vergnügt gewesen als jetzt – Der redliche Mann! Ich sagte es wohl, daß er noch einst recht glücklich werden würde. Könnten Sie nur sehen, mit welcher immer gleichen Gemüthsverfassung, mit welcher friedenvollen, mäßigen Ruhe der Seele er diesen Wechsel des Glücks erträgt! Immer derselbe sanfte, weise Mann, der, erhaben über alle äussere Umstände, nur in sich selbst, in dem Bewußtseyn gut und edel zu handeln, seine Wonne sucht. Wir werden glückliche Tage mit diesem lieben Nachbar verleben. Ich fürchte aber, mein alter redlicher Oheim wird nicht lange das Vergnügen dieses Umgangs geniessen, denn er wird täglich schwächer. Verzeyhen Sie nur, daß ich Ihnen so lange nicht geschrieben habe. Ich bin jetzt sehr beschäftigt, lese viel, und habe auch allerley Familiengeschäfte zu besorgen gehabt. Wir hoffen indessen Sie bald einmal hier zu umarmen; Ich hätte Ihnen tausend Dinge zu erzählen. In der Hofnung, daß Sie jetzt in einer ruhigern Gemüthsverfassung seyn werden, darf ich Sie wohl einmal fragen, ob Sie denn noch gar nichts von des Fräuleins von Hundefeld Aufenthalt erfahren haben? Die Frau von Donnergrund hat sich selbst für ihre Bosheit bestraft. Sie wissen, in welchen Verhältnissen sie mit einem gewissen Herrn von Retzel stand 1 . Als nun ihr gemeinschaftlicher Plan auf das Fräulein Charlotte fehlschlug, wurde dieser ehrliche Mann böse, und trieb die würdige Dame mit seiner Schuldforderung sehr in die Enge. Unterdessen hatte sich ein reicher Pferdehändler gemeldet, der vom regierenden Grafen von ... den Titel als Hofrath bekommen hatte. Dieser fühlte bey sich einen Trieb in dortigen Gegenden sich niederzulassen. Er wollte ein Gut kaufen, und allenfalls, wenn es Gott gefiele, auch eine Frau dazu. Die Speculation, welche ihm ein Jude in den Kopf setzte, mit seinem Vermögen die Güter unserer gnädigen Frau frey zu machen, das ganze Inventarium nebst der alten Dame zu erhandeln, sie baldmöglichst zu Tode zu ärgern, und auf diese Art der ruhige Besitzer von Donnergrund zu werden, gefiel ihm nicht übel. Er brachte sein Anliegen vorläufig durch ein altes Weib, welche mit geräucherten Gänsen handelte, vor, veranstaltete einige Zusammenkünfte, putzte sich heraus, steckte allerley Ringe von Diamanten, die freylich ein bisgen altmodig gefaßt waren, und kaum den Kopf aus den grossen silbernen Kasten herausstreckten, an seine dicken rothen Finger, seufzte nach Gelegenheit, daß man es durch drey Mauern hörte, und that endlich seinen Antrag. Der liebenswürdige Mann war dringend, die Geldnoth groß – Was will man machen? Man hat schwache Augenblicke. Sie befanden sich einst in einem Kornfelde, um die heisse Mittagsstunde, auf einem Spaziergange, zusammen allein – Er bath, flehete, die gnädige Frau vergaß ihre sechzehn Ahnen, und der triumphierende Liebhaber erhielt ein nicht zweydeutiges, besiegeltes Jawort. In voriger Woche hat der Pfarrer das holde Paar zusammen gekoppelt – So fahrt denn hin, theure Seelen! Kräftige Peitschenschläge werden bald eine neue Mannigfaltigkeit in Eure Unterredungen bringen, Euren Umgang lebhafter, kraftvoller machen, bis der klappernde Tod Einen von Euch mit seiner furchtbaren Hippe, in dem Winter seiner Jahre, aus des geliebten Uebrigbleibenden Armen wegsäbelt. War das nicht eine poetische Beschreibung? Ja! Sie müssen auch wissen, daß ich, der ich sonst so fremd in der schönen Literatur war, jetzt sehr viel Dichter lese. Wir haben hier auf dem Lande eine Lesegesellschaft, die ein Advocat, des Herrn Amtmanns Informator, und der Amtschreiber dirigieren. Da sind denn: Wielands Schriften groß und klein, so viel ihrer auch sind, selbst der Don Silvio, der ein so neues nützliches Werk ist, die Dialogen des Diogenes von Sinope, in welchen Alexander mit so viel Würde seinen Plan die Welt zu bezwingen entwickelt, die Grazien, mit der Vignette, wo diese drey Schwestern des Verfassers Bildniß tragen, und mit dem Briefe in welchem Danae sagt: »Wer kennt nicht die Wärme Ihres Pinsels?« Mit einem Worte! dieselben Grazien, aus denen die schönen Verse entlehnt sind: »Cithere war schön und empfindlich« u.s.f. Alle diese und die übrigen Wielandischen Schriften, als den Combabus, und die Sympathien besitzen wir. Sodann Gleims, des Verfassers der Kriegslieder, kraftvolle Briefe an Jacobi, Klopstocks Gelehrtenrepublik, Weissens Beytrag zum teutschen Theater, alle Musenalmanachs, Journale, und was nur das Herz wünschen mag. Unsre fleißigste Leserinn ist die Frau Amtmannin Berkenstock, eine sehr empfindsame Frau, obgleich ihr Nervensystem (denn sie hat zwey Hände hoch Speck) nicht eben sehr zart, zur Empfindsamkeit organisirt, und empfänglich scheint, wobey sie dennoch eine Laggiadria singulare e pellegrina affectirt. Auch ist der kleine Doctor Kitt ein Mitglied unserer Lesegesellschaft – Ein grosser Kopf, denn er macht ja Epigrammen, welches wahrhaftig keine Arbeit für mittelmässige Menschen ist. So einen einzigen witzigen Gedanken in Reime zu bringen! – Wir halten, unter den Journalen, vorzüglich viel auf die Allgemeine deutsche Bibliothek, ohngeachtet der Pfarrer in Urfstädt behauptet, daß dieselbe heterodox, und daß schon die Stellen in der Apokalypse im zweyten Capittel, Vers 6 und 15, wo von den Nicolaiten geredet ist, auf diese Ketzer zu deuten sey – Kurz! Ich bin ein schöner Geist, bis über die Ohren. Meine Domestiken fangen schon an zu lesen; die Cammerjungfer lieset dem Jäger aus Sophiens Reise von Memel nach Sachsen vor, und meiner Frau Bedienter weiß die ganze wichtige Rolle des Bischoffs Seewald aus Eduard dem Dritten auswendig. Aber, in aller Welt! wie verirre ich mich hier auf einem so weiten Felde! Ich denke, es ist Zeit, daß ich meine geschmackvollen Anmerkungen und diesen langen Brief schliesse. Leben Sie wohl, und schreiben bald einmal an Ihren Freund Franz von Weckel. Fußnoten 1 Man sehe den dritten Brief im dritten Theile. 4. Brief Vierter Brief. An den Herrn von Hundefeld in Berlin. ... den 20sten Julius 1771. Lieber Sohn! Der Empfang Deines Briefes vom 29sten voriges Monats, hat Deinem Vater und mir nach langer Zeit den ersten vergnügten Augenblick gemacht. Gott sey Lob und Dank, daß wir endlich die arme Lotte wiedergefunden haben. Das arme Kind! Es ist ja unerhört, wie die bösen Menschen mit ihr umgegangen sind. Eile, so viel Du kannst, sogleich mit Deiner Schwester hierherzureisen. Wir schicken Dir einliegendes Geld dazu, und senden dies wo möglich heute mit der reitenden Post ab, damit es geschwinder gehe. Halte Dich ja keinen Tag länger in dem bösen Berlin auf. Ach! wenn Euch nur unterwegens nichts begegnet! Mein Gemüth ist voll Unruhe; Ich bitte Gott Tag und Nacht, daß er uns unsre Kinder bald wiederschenke. Wenn Ihr nur erst hier wärt! Es ist eine weite Reise. Was wir seit einem Jahre erlebt haben, das hat uns schwer gedrückt, und unsrer Gesundheit einen harten Stoß gegeben. In den zwanzig Jahren unserer Ehe hatte uns keine so harte Prüfung betroffen. Der Himmel wird aber alles zum Guten lenken. Wir sehen Euch mit Ungeduld entgegen. Ich denke, Ihr könnt gegen den 30sten hier seyn. Verkältet Euch nur nicht auf der Reise, die Nächte sind kühl; sondern sorgt für Eure Gesundheit. Dies bitten wir Euch, und vorzüglich ich Deine treue Mutter Elisabeth von Hundefeld. 5. Brief Fünfter Brief. An den Freyherrn von Leidthal in Urfstädt. Berlin den 1sten August 1771. Theuerster, väterlicher Wohlthäter! Ach! wenn Ihnen je das Schicksal Ihres Carls am Herzen lag; wenn Sie es noch nicht vergessen haben, wie oft Sie, da ich als Knabe zu Ihren Füßen spielte, oder mit den kleinen Armen Ihre Knie umschlang, wie Sie mich da zu Sich hinaufhoben, und voll Rührung ausriefen: »So lange ich noch einen Bissen habe, soll dich nicht hungern; So lange ich noch einen Heller habe, sollst du nicht Mangel leiden; Und wenn dich die Härte böser Menschen verfolgt, sollst du an meinem Busen Schutz und Trost finden.« Wenn Sie diese süße Zusage so treulich erfüllt haben, und in jeder Periode meines kurzen Lebens meinen Wünschen großmüthig zuvorgekommen sind; Wenn Ihre edle, nachsichtsvolle Güte mein schwaches Herz geleitet und mich gelehrt hat, sich ohne Rückhalt in Ihren Schooß auszugiessen; Wenn Ihnen itzt noch die Ruhe Ihres Sohnes am Herzen liegt – o! so verlassen Sie mich nicht! Alles was ich habe und was ich bin, verdanke ich Ihnen, verdanke Ihnen mehr als dem edlen aber unglücklichen Manne, der mir das Leben gab – Warum sollte ich Bedenken finden, dem Schöpfer meiner ganzen moralischen und bürgerlichen Existenz auch jetzt in die Arme zu eilen? Das Schicksal hat Sie, bester Vater! wieder in glückliche Umstände versetzt – Was ist der elende Bettel, das Geld? Sie geben ihm ja keinen andern Werth, als insofern Sie damit wohlthun können – Zum erstenmal also in meinem Leben (denn so lange ich denke, haben Sie ja nicht erwartet, daß ich Sie um etwas bitten konnte, haben immer meine geringsten Bedürfnisse befriedigt, ehe ich sie selbst fühlte) zum erstenmal spreche ich Sie um Hülfe an. Jetzt haben Sie Gelegenheit und Kraft, das Siegel auf alle diese Wohlthaten zu drücken. Man will mir meine Charlotte entreissen; Morgen geht ihr Bruder mit ihr fort – Und ich soll sie nicht wiedersehen – – Ich kann den Gedanken nicht ertragen – Meine ganze Wohlfarth, mein sittliches Glück, mein Character, alles, ja! die Ehre meiner Freundinn hängt, nach dem was mit uns vorgefallen ist, davon ab, daß ich durch das Band der Ehe mit ihr verbunden werde. Ohne Sie, bester Vater! kann ich Armer aber nicht daran denken, die Eltern um die Hand ihrer Tochter zu bitten, da ich das liebe Mädgen, bey meinen jetzigen Umständen, nicht einmal vor Mangel schützen kann. Doch Ein Wort von Ihnen, Eine Erklärung, daß Sie mich unterstützen wollen, bis mich mein Fleiß in irgend einen bessern Zustand setzt, Ein Vorwort bey dem alten Herrn von Hundefeld kann mich zum glücklichsten Menschen machen. O! versagen Sie mir dies nicht! Mein ganzes Leben soll feuriger, innigster Dank für Sie seyn, und Ihren segnenden Beyfall zu verdienen das eifrigste Bestreben Ihres gehorsamsten Sohns Carl von Hohenau. 6. Brief Sechster Brief. An das Fräulein Caroline von Wilmar in Sternfurth. ... den 30sten Julius 1771. Sie haben wohl Recht, meine theuerste Freundinn! wenn Sie mit mir zürnen, weil ich Ihnen so lange nicht geschrieben habe. Doch, verzeyhen Sie mir diesmal noch. Ich bin nun einmal faul im Briefwechsel; Und davon können Sie Sich keinen Begriff machen, meine Liebe! wie man immer so mancherley Geschäfte findet, wenn man eine Hausfrau und Mutter ist, und die Sorge einer Haushaltung auf sich hat, mögte diese auch noch so klein seyn. Sie fragen mich, ob ich glücklich bin? Einer Freundinn wie Sie sind kann ich meine ganze Seele aufschliessen – Also ja! ich bin glücklich, in so fern ich mein Herz von hohen Erwartungen herabgestimmt habe, und meine zu überspannten Gefühle in ein ruhigers Gleichgewicht gebracht sind. Aber ich bin nicht glücklich, wenn ich meinen Zustand nach dem Ideale abmesse, das einst vor meiner Einbildung schwebte. Sie kennen die Heftigkeit meines Temperaments, aber Sie würden mich sehr verändert finden, wenn Sie mich itzt sehen sollten. Zehn Jahre machen keinen geringen Unterschied, und so lange ist es ja, daß wir uns nicht gesprochen haben. Ich merke aber wohl, daß ich viel werde nachholen müssen, wenn ich Ihnen alles erzählen soll, was indessen in mir und um mich vorgegangen ist. Sie wissen, daß meine Eltern mich überredeten, einem Manne die Hand zu geben, den mein Herz nicht gewählt hatte. Wie wenig Wonne ich nun in den ersten Jahren meines Ehestandes hatte, das können Sie Sich selbst leicht sagen. Ich warf es mir oft vor, daß ich ein Gelübde übernommen hatte, wogegen sich meine Seele empörte. Es zerriß mir das Herz, wenn ich dachte, daß mein Jugendfreund, dessen Bild ohne Aufhören vor meinen Augen schwebte, mich itzt für leichtsinnig und treulos halten mußte. Es ist wahr, man hatte mir viel böse Dinge von ihm erzählt, und mich glauben gemacht, er habe äusserst untreu an mir gehandelt. Allein bewiesen war doch das nicht – Konnte dies alles nicht Verläumdung seyn? 1 Die üble Laune, welche mir diese nagenden Gedanken erweckten, mußte denn auch leider! mein Mann empfinden, der des Dinges endlich überdrüssig, und, weil er wohl die Ursache davon ahndete, im höchsten Grade mistrauisch wurde. Er beobachtete jeden meiner Schritte, und war äusserst aufmerksam auf meinen Briefwechsel. Doch hierinn hatte er Unrecht, denn wenn gleich die Eindrücke einer ersten Liebe nur mit Mühe durch lange Zeit und Trennung auszulöschen sind; so erlaubte ich mir doch, sobald mich die Pflicht an meinen Gatten fesselte, auch nicht die geringste Erkundigung nach meinem Geliebten. Lange nachher habe ich von ohngefehr erfahren, daß der arme Meyer die dortigen Gegenden (vielleicht aus Verzweiflung) verlassen, und daß man seit dieser Zeit nichts von ihm gehört hat. Unterdessen faßte mein Mann den Entschluß das Land zu fliehen, und mich aus allen ehemaligen Verbindungen heraus zu reissen. Er hatte ohne mein Wissen sein väterliches Vermögen in baares Geld verwandelt, sich völlig frey und unabhängig gemacht, und eher erfuhr ich seinen Entschluß nicht, als bis er eines Tages mit einem ernsthaften Gesichte in mein Zimmer tratt, und mir kurz ankündigte: »er sey entschlossen einen andern Wohnort zu wählen, alles sey dazu vorbereitet, und in wenig Tagen würde er mit mir fortreisen.« Wohin? – das sagte er nicht. Ich war so gleichgültig bey allem geworden, daß mich diese Nachricht, gegen seine Erwartung, gar nicht erschreckte. Mein Vater war gestorben; meine Mutter wohnte schon nicht mehr auf den Gütern des Grafen, sondern war zu einer Verwandtinn gezogen, und starb bald nachher; Was sollte mich also an meinen Geburthsort fesseln? Ich stieg noch in derselben Woche mit ihm in den Wagen, und fuhr auf gutes Glück nach – Wien. Sobald wir dort ankamen, nahmen wir den Nahmen an, mit welchem ich mich jetzt, zu Ihrer Verwunderung, unterschreibe, und mein Gatte bath mich allen Briefwechsel in mein Vaterland aufzugeben, welches ich, so hart es mir ankam, wie Sie wissen, erfüllt habe. In Wien lebten wir von allem menschlichen Umgange entfernt, besuchten aber doch die öffentlichen Schauspiele und Spaziergänge, ohne jedoch irgend eine Bekanntschaft zu machen, wozu wir jeder Gelegenheit auswichen. Ich gebahr wenig Monathe nach unserer Ankunft unsre einzige Tochter, und da dies neue Band mich fester an meinen Gatten fesselte, und nun mancherley häusliche Geschäfte auf mir lagen; so fieng ich an meinen Zustand weniger hart zu finden. Ich sah meinen Mann mit andern Augen an, und fand, daß er in der That ein schätzbarer Mann war, dem ich es nicht verdenken konnte, daß er ausschliessenden Anspruch auf mich machte. Ich fühlte auch, daß würklich eine gewisse Art von Liebe gar nicht zu einer glücklichen Ehe erfordert wird, indem dieser Zustand doch ohnmöglich würde dauern können, und daß ein auf gegenseitige Hochachtung, Pflicht, Bedürfniß und Dienstleistung gestütztes Band viel fester hält, und das Herz in einer ruhigern Lage läßt. Sobald mein Mann merkte, daß ich anfieng eine gute Frau und Mutter zu werden, war auch er lauter Aufmerksamkeit und Freundlichkeit gegen mich. Kleine Abwechselungen des Schicksals und unerwartete Vorfälle machten wohl hie und da einige Stunden trübe, aber im Ganzen genommen lebten wir doch in jenem seligen Zustande des stillen häuslichen Friedens, der vielleicht die einzige wahre dauerhafte Glückseligkeit ist. So begegnete es mir, zum Beyspiel, daß ich in einem deutschen Schauspiele einen Mann zu sehen glaubte, der natürlich wie Meyer aussah. Ja! ich wollte darauf schwören, daß er es gewesen ist, und ich erinnere mich noch wohl, welchen Eindruck dies auf mich machte, wie es mir viel Tage hinter einander meine Seelenruhe raubte, und wie mein Mann aufs neue darüber nachdenkend wurde. Ein andermal suchte ein vornehmer Herr, den wir auf einem Spaziergange im Prater sahen, unsre Bekanntschaft, und wendete, um mich allein zu sprechen, allerley Mittel an, denen wir nur mit Mühe auswichen, und welche meinem Manne Kummer machten. Aber solche kleine Wolken zogen bald vorüber, und wir lebten in der Stille fort. Allein endlich fanden wir doch, daß man sehr theuer in Wien zehrt; Man hatte uns die Gegenden, wo wir itzt wohnen, wie billig, als sehr angenehm und wohlfeil beschrieben, und daher beschlossen wir hierher zu ziehen. Wir mietheten ein Häuschen in dieser Landstadt, setzten uns freylich anfangs, durch unsre sonderbare Lebensart, der Neugier des müssigen geschwätzigen Publicums aus, 2 waren aber doch bald, nachdem die Leute müde waren von uns zu reden, ungekränkt und so unerkannt als in der größten Stadt. Hier wohnen wir nun seit ein Paar Jahren, meine Tochter wächst heran, und verspricht mir Freude zu machen, und da itzt mein Mann von meiner Treue und Aufrichtigkeit überzeugt ist; so hat er mir gern erlaubt, mit ihm die Nachbarschaft in Urfstädt und sonst zu besuchen, und meine alten Bekanntschaften schriftlich zu erneuern. Ja! es war auf seinen Antrieb, daß ich Ihnen, beste Freundinn! in vorigem Jahre schrieb, und Sie bath, mir Nachricht von Ihrem Zustande zu geben. Noch einmal! Verzeyhen Sie, wenn ich auf den freundschaftlichen Brief, den ich kurz nachher von Ihnen erhielt, und auf Ihre Anforderung, Ihnen meine Geschichte zu erzählen, erst itzt antworte. Von nun an, da ich wieder in die Gewohnheit des Briefschreibens komme, will ich auch recht fleissig seyn. Jetzt wissen Sie, wie es mir geht; Lassen Sie bald wieder etwas von Sich hören, meine Beste! und vergessen nicht Ihre treueste Wilhelmine (Becker ). Fußnoten 1 Man sehe den eilften Brief im ersten und den zwangzigsten im zweyten Theile. 2 Man sehe den ersten Brief im ersten Theile. 7. Brief Siebenter Brief. An den Herrn Lieutenant von Hohenau in Berlin. Urfstädt den 8ten August 1771. Ich setzte mich sogleich hin, um Dir, mein bester Carl! zu antworten. Lies aber, darum bitte ich Dich, alles was ich schreiben werde mit Ueberlegung, und ich hoffe, Du sollst von mir zufrieden seyn. Wenn es nur darauf ankäme, Dir einen Unterhalt zu verschaffen, um eine Frau ernähren zu können; so sollte Dir bald geholfen seyn. Ich habe ja jetzt Vermögen genug, um Dir, den ich so herzlich liebe, so viel mitzutheilen, als Du brauchen würdest, und Du weißt, daß mir das elende Geld nicht an das Herz gewachsen ist. Aber es ist hier von Deiner dauerhaften Glückseligkeit die Rede – Du willst Hausvater werden – Weißt du auch, was das heißt? Antworte mir nicht, daß du Einsicht genug habest, den Umfang der damit verbundenen Verbindlichkeiten zu übersehen! Man kennt eine Menge Pflichten, ohne deswegen stark genug zu seyn, wenn der Augenblick der Versuchung kömmt, zu wiederstehen. Du bist itzt verliebt, und glaubst, daß Dir nie ein andres Mädgen gefallen könnte, als Deine Charlotte. Jeder ihrer Blicke, jedes Lächeln ihres süßen Mundes, ist Dir wie ein erquickender Blick der Frühlingssonne. So denkt jeder Liebhaber; ich kenne das. Pace tranquilla senz' alcuno affanno, Simile a quella, ch'è nel Ciel eterno Muove dal lor inamorato riso. Aber wird diese Bezauberung ewig dauern? Bist Du, der Du so sehr neu in der Kenntniß des weiblichen Geschlechts bist, gewiß, daß nicht einst eine Andre, noch größere Eindrücke auf Dein Herz machen wird? Die Heftigkeit der ersten Liebe (das ist eine Erfahrung, die nicht der kalte Mann, sondern jeder weise Beobachter wahr findet) wird nur durch Schwierigkeiten, Wünsche, Sehnen, kleine Entfernungen u.d.gl. unterhalten, und kann, da sie ein Werk des überraschten Gefühls ist, bey längerem Umgange und bey größerer Familiarität nicht fortwähren. Deswegen sind Ehen, die blos auf heftige Liebe gebauet sind, selten ganz glückliche Ehen. Wenn der Rausch vorüber ist, und die Sinne sich gesättigt haben, dann kann nur Hochachtung, die unmerklich der Liebe den Nahmen abborgt, und sich ihn ihr Kleid hüllt, das Band festhalten. Gewohnheit des angenehmen Umgangs, nach und nach entstandene Gleichförmigkeit in der Denkungsart, gemeinschaftliches Interesse und Bedürfniß kommen hinzu, und so entsteht dann ein glückliches Bündniß, und Hang zur Pflicht, der uns gegen andre gefährliche Eindrücke wafnet. Um aber dauerhafte Hochachtung zu erwecken, muß man feste Grundsätze, einen gebildeten Character haben, und das ist selten der Fall von zwanzigjährigen Leuten. Wenn Ihr beyde zu der ganz gemeinen Classe von Menschen gehörtet; so würde mir weniger bange seyn, daß Ihr nicht Euer Pflanzenleben ruhig hinbrächtet. Aber bey Deinem feinen, noch so heftigen Gefühle, da Du so leicht an kleine Ecken stößest, jeden Augenblick wähnest, Dich in einem Menschen geirrt zu haben, wenn er dem Ideale nicht entspricht, das ihm Deine schwärmerische Phantasie gab – Wie willst Du es da wagen, Dich auf Zeitlebens zu verbinden, alles Gute und Böse gemeinschaftlich mit jemand zu tragen, den Du nicht genau geprüft hast? Und das thut doch der junge Liebhaber nicht. Auch wird es Dir nicht an Feinden fehlen, die Eure Einigkeit, wenn sie nicht auf festem Grunde ruht, untergraben können. Sage nicht, daß Du keine Feinde kennst! Es giebt Leute, die deren nicht haben können. Jedermann lobt sie, weil sie aller Orten eine subalterne Rolle spielen, jedem mit einem Lächeln zu Dienste stehn. Aber so bist Du, so ist Deine Geliebte nicht. Weißt Du denn ferner, daß Du auch der Führer, der Rathgeber Deiner Frau seyn mußt? Und meinst Du, das wäre so leicht? Kennst Du das weibliche Herz? Bist Du mit Frauenzimmern aller Art umgegangen? Hast Du Biegsamkeit, Sanftmuth genug, Deine Seele an die ihrige anzuschliessen, der Freund einer Frau zu seyn? Glaube mir, dies Geschlecht ist schwer zu kennen und zu regieren. Ich habe sehr viel aus dem Umgange mit ihnen gelernt. Die Hälfte meines Characters gehört dem andern Geschlechte. Aber ihre Eitelkeit, die so leicht beleidigt wird, ihre Frivolität, ihr Mangel an Feinheit des Gefühls in manchen, und wieder ihre übertriebene falsche Delicatesse in andern Fällen, ihr Wankelmuth, ihre Neugierde, ihre Lust an Neckereyen, ihr Vergnügen, selbst denen Personen, die ihnen am theuersten sind, zuweilen unruhige Augenblicke zu machen – Das alles muß man kennen, ertragen, übersehen, zu nützen, aus dem rechten Gesichtspuncte zu beobachten wissen. Und wenn Du nun Vater und Hausherr wirst – Weißt Du da auch, wie man Kinder erziehen, wie man das Gesinde behandeln soll, um in der Mittelstraße zwischen Güte und Ernst, Herablassung und Familiarität zu bleiben? Bist Du selbst schon erzogen? Kannst Du Dich selbst regieren? – Verzeyhe mir, wenn ich Dich hier daran erinnern muß, auf welchen unsittlichen Abwegen Du noch vor kurzer Zeit bey den besten Einsichten, wie wenig Du Meister über Dich warst, als das Schicksal Grundsätze in Dir erschütterte, die Dir von Deiner zartesten Kindheit an heilig gewesen waren. Nun laß uns auch von der Person reden, die Du in der Welt spielen willst. Du bist dem Staate Dienste schuldig, bist noch jung, hast noch wenig zum Besten der bürgerlichen Gesellschaft gethan. Womit willst Du Dich beschäftigen? Lieutenant in Berlin kannst Du, wenn Du heyrathest, nicht wohl bleiben. Willst Du ein Hof-Müssiggänger werden? Willst Du in Urfstädt unsre Felder bauen, wovon Du nichts verstehst? Willst Du den schönen Geist machen, Journale, Romanen schreiben und lesen, an der allgemeinen deutschen Bibliothek arbeiten? – Oder was sonst? Denn daran müssen wir doch auch denken. Ich bin sehr dafür, daß der Mann, welcher viel in der Welt gelebt, und Vorrath für Kopf und Herz gesammlet hat, nicht ewig ein Fürstenknecht sey, sondern sich ruhig in ein Winkelchen zurückziehe, da im Stillen an sich selbst arbeite, und durch Verbreitung manches Guten, das der Weltmann als völlig unwichtig übersieht, dem Staate sehr viel nützlicher werde, als wenn er die höchsten Ehrenstellen in unsern verderbten Regierungsverfassungen bekleidete. Aber in einem gewissen noch nicht reifen Alter taugt das nicht. Der junge Mann muß durch irgend ein Band an das bürgerliche Leben gebunden seyn, damit er eine Person vorstelle, deren Ruf ausser ihm auch andern Leuten nicht gleichgültig ist. Jetzt, da ich Dir alle Schwierigkeiten, die Du auf Deinem Wege antriffst, gezeigt habe, jetzt will ich Dir auch sagen, was ich gesonnen bin für Dich zu thun. Meine Lehren wären nichts werth, wenn ich sie blos ausgekramt hätte, um Dich mit Deiner Bitte abzuweisen. Nein! ich rede als Dein treuer Freund, und als ein solcher werde ich auch handeln. Du sollst nicht von Deiner Geliebten auf immer getrennt werden. Ich habe gestern an ihre Eltern geschrieben, und habe Hofnung, sie werden Dir die Tochter, unter denen von mir vorgeschlagenen Bedingungen, nicht versagen. Diese Bedingungen sind: daß Du ein oder zwey Jahre auf Reisen gehest, Menschen kennen lernest; daß Du viel liebenswürdige Frauenzimmer sehest, und Dich überzeugest, ob Dir keine besser als das Fräulein gefällt; daß Du in den verschiedenen Provinzen von Deutschland (denn ausser Deinem Vaterlande sollst Du vorerst nicht reisen; es giebt gar viel Neues darinn zu sehen) die mannigfaltigen Arten des geselligen Lebens, die verschiedenen Gebräuche, häuslichen Sitten, die Haushaltung und den Umgang der Eheleute bemerkest. Kömmst Du dann in derselben Gemüthsverfassung zurück; Ist Charlotte noch dieselbe – Nun wohlan, denn heyrathe sie! Ich will auch unterdessen sorgen, daß Du einen Würkungscreis erhaltest, in welchem Du die gesammleten Kenntnisse zum Besten Deiner Brüder anwenden könnest. In Berlin aber mußt Du Deinen Abschied fordern. Ich habe schon an den General von ... und an andre Freunde geschrieben, die Dir dies Gesuch erleichtern werden. Und damit Du nicht allein reisest; so habe ich für Gesellschaft gesorgt. Ich gebe Dir den jungen Wallitz mit; Meyer bittet in Dresden um Urlaub und begleitet Euch; Weckel hat sich erbothen auch von der Partie zu seyn, wenn indessen sein Oncle stirbt, wie es denn sehr wahrscheinlich ist – Da habt Ihr eine Kutsche voll Philosophen! Für einen treuen Bedienten, ausser dem, den Weckel mitnimmt, sorge ich. Der deinige mag unterdessen hier bleiben. In vier bis fünf Wochen könnt Ihr abfahren. Jetzt sprich, junger Mensch! bist Du davon zufrieden? – So antworte mir denn bald! Leidthal. 8. Brief Achter Brief. An den Herrn Lieutenant von Hohenau in Berlin. ... den 10ten August 1771. Nun, lieber Freund! So können Sie denn endlich hoffen, Ihre Wünsche erfüllt zu sehen? Lassen Sie mir die Gerechtigkeit wiederfahren zu glauben, daß ich den wärmsten Antheil an Ihrem Glücke nehme. Aber freylich mit der Reise – das ist ein böser Umstand. Wir mögten wohl herzlich gern gleich heyrathen. Doch das geht nun einmal nicht an; Beruhigen Sie Sich also darüber; die kurze Zeit soll bald vorübergehn. Ihre Charlotte wird indeß, wie ich hoffe, auf einige Monathe zu meiner Frau reisen. Dort werden sie täglich von uns reden, unsre Briefe mit einander lesen, sich gemeinschaftlich trösten; so kömmt unvermerkt der Augenblick unserer Wiederkunft herbey. Wir haben dann viel zu erzählen, und es ist doch wahrlich nicht übel, wenn man erst ein bisgen in der Welt herumfliegt, ehe man sich in ein Bauer einsperren läßt. Ich weiß nicht, ob ich es wünschen oder fürchten soll, mit Ihnen zu gehen, da die Gewißheit, ob ich dies Vergnügen haben kann, auf den Tod meines ehrlichen Oheims beruht, den ich nicht verlassen werde, wenn er in den Umständen bleibt, darinn er jetzt ist. Es zeigt sich aber keine Hofnung zu seiner gänzlichen Genesung; Er leidet viel, und es wäre ihm in der That geholfen, wenn er bald das Ende seiner Schmerzen sähe. Auch kann er es auf diesen Fuß nicht lange aushalten. Unsere Reise soll schon ganz lustig seyn. Wir wollen ein gemeinschaftliches Journal führen, und über gewisse Puncte einig werden, worauf ein jeder von uns insbesondre sein Augenmerk zu richten hat. Dabey lassen wir die Höfe, davon doch im Grunde einer so aussieht als der andre, ziemlich linker Hand liegen, und reisen incognito, wie der Prinz von S ... Wissen Sie denn die Geschichte von ihm? Dieser kleine unbedeutende Fürst fuhr mit einem gewissen Herrn von Z ... nach Magdeburg. Als sie vor das Stadtthor kamen, sagte der Prinz: »Ich will hier incognito seyn, und mich für einen Edelmann ausgeben.« Als man ihn daher fragte: »Um Vergebung! wer sind Sie?« gab er sich den Nahmen irgend eines Cavaliers. Die Reihe kam nun an den Herrn von Z ... »Und mit Erlaubniß! was bedienen Sie denn?« »Ich bin der Prinz von S ...« sagte der Herr von Z ... Nun stieß ihn der Prinz in die Seite, und flüsterte: »Aber, mein Gott! Sie wissen ja, daß ich incognito seyn will.« »Ja, das will ich auch,« erwiederte jener, »deswegen nehme ich Ihren Nahmen an.« Das ist eben dieser Monarch, dessen Vetter einst den armen alten Herrn von W ... auf der Jagd erfrieren ließ. Er hatte nemlich den guten Landedelmann zu diesem fürstlichen Vergnügen eingeladen. Als der Abend herankam eilte der Prinz zu Fuße nach Haus, und hatte so wenig Aufmerksamkeit auf seinen Gast, daß er ihn ganz vergaß, sich auch, als der Greis nicht zur rechten Zeit da war, ohne ihn an Tafel setzte. Dieser hatte sich indessen verirrt, und verkältete sich so, daß er wenig Tage nachher starb. Wir werden manche lächerliche Annecdote aufsammlen, aber auch manche Scene des Jammers sehen, manche Thräne des Mitleidens dem guten gedrückten Menschengeschlechte weyhen. Wir werden in manchen Provinzen unsres lieben Vaterlandes Despotismus und Dummheit auf dem höchsten Gipfel finden, und nur in sehr wenig Gegenden einen bessern Keim von Aufklärung hervorsprossen, und leider! da wo diese Pflanze ein bisgen heranwächst, das Unkraut der Corruption zugleich mit aufschiessen sehen. Diese schnellere Corruption haben wir unsern lieben Lehrmeistern, den aufgeklärten Franzosen zu danken, und wahrlich! ich mögte wohl der Rußischen Kaiserinn vorschlagen, sie sollte, wenn sie sich vor den Einfällen der rohen männlichen Tartarn fürchtete, nur eine Colonie von Franzmännern hinschicken, welche die Nation ein bisgen humanisierte; dann bedürfte es keiner Armeen. In dreyßig Jahren würde das wohlriechende, gepuderte, entnervte Völkgen so zahm als möglich seyn, brav Verse machen, Romane lesen, sich unter einander kränken, die bessern stärkern Köpfe verfolgen, und die guten Menschen durch das Gift der Verläumdung auszehren. Der Baron Leidthal hat mir gesagt, daß Sie den Soldatenstand verlassen wollen. Ich halte das für ganz gut gethan. Ein Mann wie Sie sind, ist zu den kleinen Details dieses Dienstes nicht gemacht, wenn ihn nicht die Noth treibt, auf solche Art seinen Unterhalt zu suchen. Das übelverstandene Interesse unserer armen Landesväter erfordert freylich, daß sie, um ihre despotische, die Menschheit herabwürdigende Maschiene im Gange zu erhalten, eine große Ehre mit den Militairdiensten verbinden. Das Vorurtheil, das sie darinn gelegt und allgemein verbreitet haben, ist so herrschend geworden, daß man deswegen die Stände, welche der menschlichen Gesellschaft den wesentlichsten Nutzen stiften, sehr herabsetzt, um jenen, durch Verderbniß und Trennung geselliger Bande erzeugten Stand, zu erheben. Wie würde sich ein Fürst wundern, wenn man ihm vorschlüge, seinen Sohn Arzt werden zu lassen? Aber ohne Bedenken wird er ihn zum Officier bey einem einzigen unnützen Friedensbataillon machen, welches er etwa hält, damit er sich dort mit der Anzahl der Knöpfe, welche auf einer guten Cammasche sitzen müssen, beschäftige, oder sich von dem Unterofficier melden lasse: (wie ich es einst auf eines Officiers Stube erlebt habe) »Herr Hauptmann! der Recrute N.N. hat diesen Morgen eine Abführung eingenommen; sie hat aber nicht gewürkt. Weiter ist nichts Neues.« – Doch, wieder auf unsre Reise zu kommen! Könnten wir nicht auch unterwegens Geld verdienen? Erinnern Sie Sich noch eines Mannes, der vor ein Paar Jahren herumreisete 1 , und in jedem Wirthshause, wo er abtrat, Morgens und Nachmittags jedermann, der kommen wollte, etwas vorlas, wofür die Person einen halben Gulden zahlte. Er las wie jeder andrer Mann von einzigem Geschmacke, und das kaum; denn er legte hie und da einen ganz falschen Accent auf die Wörter, ließ sichs aber sauer werden, und schwitzte dabey wie ein Präceptor. Indessen hat mir diese Finanzoperation gefallen; Er reisete doch für das Geld. Könnten wir nicht bekannt machen, wir wollten jedem eine Schmeicheley für einen halben Gulden sagen, ein Histörchen erzählen oder d.gl.? Aber die Post geht ab. Leben Sie wohl, lieber Freund! Es bleibt beym Alten. Weckel. Fußnoten 1 Hier scheint ein chronologischer Fehler zu seyn. 9. Brief Neunter Brief. An den Freyherrn von Leidthal in Urfstädt. Dresden den 14ten August 1771. Verehrungswürdigster Wohlthäter! Wie können Sie einen Augenblick zweifeln, ob ich Ihr gnädiges Anerbiethen, den Herrn von Hohenau auf seiner Reise zu begleiten, annehmen werde? Wenn auch nicht mein eigenes Vergnügen, da ich so herzlich gern Länder und Menschen sehe, damit verbunden wäre; so würde es doch wohl keine Frage seyn, ob ich einem Manne, dem ich so alles zu verdanken habe, auf den ersten Winke zu Dienste stünde. Es hat auch sehr viel weniger Schwierigkeit gekostet, als ich anfangs dachte, vorerst auf ein Jahr Urlaub zu bekommen, zumal da ich vorgestellt habe, daß ich meine Reise nützen würde, mich zu herrschaftlichen Geschäften, durch die Kenntniß der Einrichtung andrer deutschen Provinzen, geschickter zu machen. Dabey ist es mir gelungen, auch unserm lieben Etatsrath Müller einen Gefallen zu erzeigen. Er wünschte lange, daß sein Sohn Ludwig das Schauspielerleben verlassen, und irgendwo angesetzt wer den mögte. Diesen jungen Menschen nun habe ich unserm redlichen Präsidenten (der über alle Vorurtheile hinaus ist) vorgeschlagen. Ich habe es dahin gebracht, daß er bey der Canzelley angestellt und meinen Dienst in den gewöhnlichen Geschäften versehen wird. Hierdurch gewinnen wir Alle, und vorzüglich der junge Müller, der nun in den Zug von solcher Art Arbeit kömmt. Alles ist folglich in Ordnung, und Ihrem Befehle gemäß werde ich mich in vierzehn Tagen in Urfstädt völlig reisefertig einfinden. Den jungen Herrn Müller erwarte ich in künftiger Woche. Ich habe ihn ausser dem Präsidenten noch dem Herrn Cammerrath von ... empfohlen, einem Manne, den ich sehr schätze, obgleich ihn ein großer Theil des Publicums verkennt, indem er von Vielen bis in den Himmel erhoben, von Andern mit den schwärzesten Farben abgemalt wird, wie es allen Menschen geht, die nicht ganz nach dem Alltagsschnitte gemacht sind. Da Sie, mein gnädiger Herr! gern Portraitte von ausserordentlichen Menschen sehen; so glaube ich, es wird Ihnen keine Langeweile machen, wenn ich Ihnen hier ein treues Bild dieses Mannes vor Augen lege. Er ist nicht schön; Im Gegentheil! seine Physionomie hat etwas Auffallendes, das Manchem wiedrig scheint, dem feinen Beobachter aber die Züge eines vernünftigen, gefühlvollen, vielleicht zu sinnlichen Menschen verräth. Er ist mager, und itzt schwächlich, woran theils zu viel Sorglosigkeit für seinen Körper, Mangel an Diät, (indem er sich, zwar nicht zu groben Ausschweifungen, aber doch zu manchem unmäßigen Genusse durch Gelegenheit hinreissen läßt) theils Bewegung des Gemüths Schuld ist; denn jede kleine Unruhe über nichts bedeutende Sachen nagt ihm an Leib und Seele, und macht ihn einige Tage hindurch unbehaglich. Daher kömmt denn auch die unendliche Abwechselung seiner Launen. Er ist gar zu weich; Ein gleichgültiges Gesicht, das ihm unschuldigerweise ein vertraueter Freund macht; Ein Wörtgen, das er auf sich zieht; Ein kleiner Mangel an Aufmerksamkeit, so man ihm zeigt, verstimmt ihn auf vier und zwanzig Stunden. Dann geht seine Aengstlichkeit, seine Verlegenheit so weit, daß er sich gar nicht zu helfen weiß. Er meint das Schicksal und alle Menschen hätten sich gegen ihn verschworen. Dies ist eine Folge seiner unerhörten Schicksale, die ihn oft überfielen, wenn er es am wenigsten erwartete, und durch die kleinsten zusammentreffenden Umstände herbeygeführt wurden, wenn er in einem Winkelchen ganz ruhig zu sitzen glaubte. Es ist wahrlich Wunder, daß er bey diesen Umständen nicht längst ein Menschenfeind geworden ist, daß er noch auf die Freundschaft irgend eines Mannes trauet. Denn immer erfuhr er es, daß wenn er in irgend eine Verlegenheit kam, ihn jedermann, auch die, welche ihm am mehrsten zu danken hatten, im Stiche liessen; Und wenn er sich herausgerissen hatte, dann drängte sich wieder ein Heer mittelmäßiger Geschöpfe um ihn her, die sich durch ihn Glanz geben, und vor dem Publico als die Freunde eines klugen Mannes gelten wollten – Und doch trauete er immer wieder, nahm jeden undankbaren Rückkehrenden wieder in seine Arme auf. Auch hat er in seinem Character eine so glückliche Mischung von Leichtsinn, ohne welchem er vielleicht nicht mehr leben würde, daß wenn nur die ersten Tage vorüber sind, er sich über jedes erlittene Ungemach beruhigen kann. Er besitzt sehr viel Eitelkeit – Nicht eben, sich Eigenschaften anzudichten, die er nicht hat; aber sehnlichst zu verlangen, daß man alles Gute an ihm bemerken, ihn nicht grob schmeicheln, aber ihm vorzügliche Achtung und Liebe beweisen soll. Sobald er glaubt mit einem mittelmäßigen Menschen verglichen oder gleichgehalten zu werden; so murrt sein Stolz. Er hat ein zu fühlbares Herz, nimt so warmen Antheil an den Schicksalen Anderer, als wenn es ihn selbst beträfe – Ja! mehr, denn wenn seine Weichligkeit ihn bey eigenem Kummer fast immer eine üble Rolle spielen läßt; so zeigt er bey den Gefahren Anderer Muth und Entschlossenheit, und ist der beste Tröster. Der Gedanke nicht helfen zu können, wo er Noth sieht, zerreißt sein Innerstes. Hieran ist wohl freylich sein Temperament, sein schwacher Nervenbau mit Schuld; Er kann kein Thier leiden sehen. Nicht aus Furcht vor dem Anblicke des Jammers, dem sich glückliche Leute so gern entziehen, sondern weil er selbst viel gelitten hat, vertrauet mit aller Art von Elende, und nur selten in dem Falle ist, dies heben zu können, weil es ihm an Vermögen und Gewicht fehlt. Sein Kopf ist hell und aufgeklärt. Er dringt tief in das Wesen der Dinge, ist voraussehend, fein beobachtend, und hat sehr erfahren, gelesen, gesehn, gelernt, seit einigen Jahren aber viel von seinem Gedächtnisse verlohren, weil sich immer eine Menge Gegenstände in seinem Kopfe herumdrängen. Niemand kann dienstfertiger seyn als er. Auch machen fast alle Leute Misbrauch davon, und selten erndtet er Dank ein, kömmt gewöhnlich um seiner Freunde willen in Verlegenheit. Dabey besitzt er eine Thätigkeit und ausdauernde Arbeitsamkeit, wie ich sie noch in meinem Leben bey niemand wahrgenommen habe, setzt auch alles durch, was er will. Bey der großen Lebhaftigkeit seines Temperaments hat er einen ausserordentlichen esprit de detail und einen höchst pedantischen Ordnungsgeist. Er kann mit ungeheurer Geduld sich um die kleinsten Geschäfte, um Küche, Keller u.d.gl. bekümmern. Dabey ist er, wenn er gestimmt ist und es will, der unterhaltendeste Gesellschafter, der feinste Hofmann, der angenehmste, bescheidenste, sittsamste Freund der Frauenzimmer, die er, vielleicht mehr als er sollte, liebt und ehrt, kann sich mit jesuitischer List in die Gunst auch schlechter Leute einschleichen, aber selten darinn erhalten, weil er nicht in der Folge fortschmeicheln kann, und das zwar, theils wenn die Leute ihm in der geforderten Achtung und beständigen Aufmerksamkeit fehlen, theils wenn er findet, daß sie unter seinem Ideale sind, welches fast immer der Fall ist; weswegen er denn bald der Leute müde wird, sobald er sie ganz kennt. Doch verachtet er sie nachher nicht, denn er hat eine unbeschreibliche Duldung gegen Schwache, nur muß es ihnen nicht einfallen, sich ihm gleichzustellen. Er ist leicht für jede gute Sache in Feuer zu setzen und mit Enthusiasmus zu erfüllen. Dann fehlt es ihm aber oft an kalter Ueberlegung der Folgen, und augenblickliche Gegenwart des Geistes, die sonst eine Eigenschaft schneller Genies ist, hat er, vielleicht aus zu großer Lebhaftigkeit, gar nicht. Er thut alles, bis auf die geringsten Dinge, mit äusserster Schnelligkeit, ißt und trinkt gern gut und viel, ohne jedoch unmässig zu seyn. Er ist nur einmal in seinem Leben berauscht gewesen. Sein großer Fehler ist, daß er nicht schweigen kann, wenn ein Schurke gelobt wird. Ueberhaupt ist er (doch nicht in Dingen, die er für wichtig ansieht) zu geschwätzig, sagt in einem Augenblicke von Herzensergiessung Dinge heraus, die ihm und Andern höchst nachtheilige Folgen bringen können. Aus zu großer Thätigkeit aller Orten Gutes zu befördern und Böses zu verhindern, hat er sich mehrmals in Händel gemischt, aus welchen er sich nur mit Mühe und oft auf Unkosten seines Rufs herauszog. In dem Augenblicke, da er beleidigt wird, ist er voll Rachgier, und zuweilen sehr ungerecht gegen den Beleidiger. Aber eine kurze Ueberlegungsfrist bringt ihn zur Vernunft, und dann würde er seinen letzten Bissen mit seinem Verfolger theilen, besonders wenn sich dieser unterwirft, oder unglücklich ist. Gegen sein Gesinde ist er der väterlichste, vielleicht nur zu nachsichtige Freund, und wenn seine Leute nur fröhlig sind und ihm Zutrauen zeigen; so zankt er gewiß nicht, und fordert wenig von ihnen. Er ist mehr Verschwender als geizig, hat ungern mit Geldsachen etwas zu thun; aber für andre Leute würde er mit Freuden wuchern. Sein mündlicher Vortrag ist nur dann, wenn Körper und Seele recht gesund sind, (und das kömmt selten) wenn er in Feuer geräth, und die Materie nach seinem Geschmacke ist, hinreissend und zusammenhängend; ausserdem aber verwirrt und zerstreuet. Hingegen schreibt er mit Wärme, Ordnung und Zierlichkeit, kann sich auch beynahe zu jeder Zeit in die Laune zum Schreiben setzen. Nie ist er mehr in seinem Elemente, als wenn er über Despotismus und Dummheit spötteln oder eifern kann. Seit einiger Zeit entzieht er sich sehr dem Umgange mit Menschen. Sie haben ihn so oft getäuscht, daß er lieber im Stillen für sie arbeiten, als sie um sich sehen will. Als ihn neulich jemand fragte, warum er so philosophisch lebte, sagte er: »Der Teufel mag am Ende kein Philosoph werden, wenn es einem so schlimm geht!« Dies ist das ohngefehre Bild eines Mannes, der von der Natur zu etwas Größerm bestimmt zu seyn schien. Ich sehe aber, daß mein Brief durch diese Zeichnung ungewöhnlich lang geworden ist. Verzeyhen Sie, gnädiger, bester Herr! Ich küsse Ihnen in Gedanken die Hände. Meyer. 10. Brief Zehnter Brief. An den Herrn Lieutenant von Hohenau in Berlin. ... den 12ten August 1771. Bester, ewig geliebter Freund! So werden dann endlich unsre Wünsche erfüllt! – Meine Eltern sind von allem zufrieden, und haben schon unserm Wohlthäter geantwortet – Vor Freuden zittert die Feder in meiner Hand – Auf meinen Knien habe ich Gott gepriesen, der unsres Leidens ein Ende macht – Zwar soll ich noch ein Jahr, ein langes Jahr von Ihnen getrennt leben – Das ist hart – Doch, ich will nicht murren; In meinem Herzen sind Sie so gegenwärtig, als wenn ich Sie in meinen Armen hätte. – Aber wirst Du mich auch nicht vergessen, Einziger, liebster Carl! mich nicht vergessen, wenn Du unter liebenswürdigern Mädgen umherschwärmst – O! wenn du das könntest! – Doch nein! das kannst Du nicht. Du wirst nicht wollen, daß Dein armes Mädgen sich abhärmen, aus Kummer dahinsterben soll – Haben wir uns nicht vor dem Angesichte des Höchsten ewige, unwandelbare Liebe geschworen? Bist Du nicht ein treuer, redlicher Mann? – Guter, bester Freund! Ach! wenn ich daran denke, was ich ausgestanden habe, und welche frohe, wonnevolle Tage ich itzt ahnden darf – Ich kann nichts davon schreiben – Es ist zu viel in meinem Herzen – Ich mögte alles wieder ausstreichen; Es steht so kalt da – – Schreiben Sie doch ja gleich an meine Eltern, und danken ihnen, wie es Ihnen Ihr Herz eingeben wird – Die guten Eltern! Sie lieben Dich herzlich, theuerster Carl! – Wir erwarten Sie nun bald hier – Ich muß den Brief schliessen; der Bothe geht in die Stadt – Tausendmal drücke ich Dich zärtlichst an mein Herz – Morgen fange ich einen neuen Brief an – Komm ja bald zu Deiner Charlotte. 11. Brief Eilfter Brief. An den Freyherrn von Leidthal in Urfstädt. Berlin den 20sten August 1771. Alles ist in Ordnung – Ich bin frey, und eile zu Ihren Füssen ein von Dankbarkeit volles Herz auszuschütten – Bester Wohlthäter, Lehrer, Vater, Freund! Schöpfer meines Glücks! – Was kann ich sagen, das stark genug wäre, Ihnen das Gefühl meiner Seele abzuschildern – Ich hoffe den 26sten dieses Monats in Urfstädt zu seyn, und zähle die Augenblicke bis ich Ihre segensvolle Hand an meine Lippen drücken, und Ihnen sagen kann, mit welcher zärtlichen Verehrung ich bin Ihr gehorsamster Sohn Carl. 12. Brief Zwölfter Brief. An den Herrn Secretair Meyer in Dresden. Urfstädt den 22sten August 1771. Dieses, mein bester Freund! ist also das letztemal, daß ich Ihnen vor Ihrer Herkunft schreibe. Sie haben doch mein Paquet von voriger Woche erhalten? Der junge Wallitz hat mir durch seinen Brief, der nur zu voll von überspannten Ausdrücken der Dankbarkeit war, einen rührenden Beweis seines zarten Gefühls gegeben. Empfehlen Sie mich ihm herzlich, und entschuldigen es, daß ich ihm nicht antworte; Wir sehen uns ja bald hier; Sie würden heute auch nichts mehr von mir lesen, wenn ich nicht grade eine einsame Abendstunde mir damit zu erheitern dächte, daß ich ein bisgen zu Ihnen plaudere. Ich war gestern Simoldsstein, und hörte den berühmten Prediger, dessen Beredsamkeit man so sehr erhebt. Dabey habe ich die Bemerkung erneuert, wie viel darauf ankömmt, ob man den sittlichen Character des Mannes schätzt, der gute Dinge sagt, und daß auch von dieser Seite ein Seelsorger doppelte Ursache hat Beyspiel zu geben, wenn er verlangt, daß seine Lehren Eindruck machen sollen. Mich dünkte würklich der Mann sagte vortrefliche Sachen; Er trug sie auch mit Wärme vor; Er predigte von der Liebe des Nächsten, von Wohlthätigkeit, von guten Werken, zeigte, wie unvernünftig es ist, wie sehr es den redlichen Mann niederschlagen muß, wenn ihm sein Geistlicher sagt, daß ihn seine guten Werke, seine rechtschaffnen Handlungen nicht selig machen können. Als wenn die möglichste Erfüllung unserer Pflichten nicht jedem Redlichen, hier ohne seine Schuld Gekränkten, einen sichern Anspruch auf die Gnade des Schöpfers gäbe! Als wenn nicht eifriger Wille und treues Bestreben gegen die verderbte Natur zu kämpfen, das herrlichste Verdienst in den Augen des mit seiner Liebe alle Creaturen umfassenden Gottes wäre! Als wenn nicht durch die natürlichen Folgen guter Handlungen Geist und Körper veredelt, und dadurch zu einem bessern Zustande der Verklärung vorbereitet würden – Der einzige vernünftige Begriff, den man sich von einem künftigen Leben, von einem feinern Würkungscreise machen kann – Das alles sagte er vortreflich, ohne alle dogmatische Narrheiten, faßlich und fühlbar für jeden Stand, befriedigend für jede Religionssecte. Aber so wie er da stand und Tugend predigte, indeß die Arglist aus seinen schüchternen, jedem festen Blicke ausweichenden Augen hervorblinzte, misfiel mir jedes Wort, das er redete. Er ist ein heimlicher Jesuit, und, so jung er ist, schon von einem andern schlauen Bösewichte, der an dem nemlichen Orte wohnt, und das System der Bosheit theoretisch und practisch einem kleinen Circul um ihn versammleter Jünger docirt, in ihre schändlichen Grundsätze eingeweyhet. Aeusserst einschmeichelnd drängt er sich in Familien ein, um dort Uneinigkeit und Zwist zu verbreiten, alle heiligen Bande der Gesellschaft aufzulösen, über Wahrheiten zu spotten, die er selbst, des schändlichen Gewinstes wegen, lehren muß, und worauf so viel Menschen ihre innere Glückseligkeit bauen; behauptet, wo er es ungestraft thun kann, daß die Moral ein Hirngespinst sey, daß jeder seinen eigenen Vortheil suchen dürfe, und daß es, weil das kurze Leben doch nur durch sinnlichen Genuß und Entfernung von aller Art Schmerz leidlich werden könne, jedem freystehn müsse, sich auf Unkosten Anderer diejenigen Freuden zu verschaffen, welche ihm die angenehmsten wären – Doch, wir wollen einen Vorhang zwischen uns und diesen Mann ziehen – Es wird eine Zeit kommen, wo das bedrängte Herz, welches die Uebertretung so vieler süssen Pflichten auf sich liegen hat, deren Erfüllung allein die Harmonie der Schöpfung befördern helfen kann, allen Jammer seiner Herabwürdigung fühlen, sich vergebens nach Ruhe und Frieden sehnen, und umsonst die übel verwendeten Stunden, das gegebene Aergerniß verwünschen mögte; Indeß der verkannte gekränkte Redliche, der nicht gepredigt, aber im Stillen groß und edel gehandelt hat, voll Zuversicht auf die allmächtige Liebe, mit sanftem Lächeln aus dieser Vorbereitungsclasse in eine bessere Welt übergeht – Von Wenigen gekannt, von den Thränen einiger Edlen begleitet, die ihm zum letztenmal mit sanftem Händedrücken für das vielfache Gute danken, so er an seinen Freunden, in dem häuslichen Circul, der ihm anvertrauet war, und (so viel es gegen die Hindernisse, welche ihm böse verirrte Menschen in den Weg legten, zu ringen möglich war) für die Welt gethan hat. Nach der Kirche besahen wir das Schloß und die Gärten des regierenden Grafen. Das ist der saubere Landesvater, von welchem der Herr von Weckel so viel Geschichtgen weiß. Er hat mir kürzlich ein Paar davon erzählt, die würklich einen traurigen Beweis von der Ausartung unserer Staatsverfassungen und von dem schönen Despotismus der kleinen deutschen Tyrannen geben. Dieser Graf verführt nemlich seine eigenen Bediente, durch abgeschickte Schelme, daß sie sich müssen bestechen lassen; dann macht er ihnen den Proceß, und zieht ihr Vermögen ein, oder erlaubt ihnen, aus gräflicher Gnade, sich mit einer ansehnlichen Summe von der Strafe loszukaufen. Ueberhaupt darf bey ihm jeder für Geld alles thun. Er hat unter andern eine Verordnung ergehen lassen, welche festsetzt, wie oft die Leute die Kirchen besuchen sollen. Auf den Uebertretungsfall ist Geldbuße gelegt. Wer sich aber abonnirt, und jährlich acht Thaler giebt, kann das ganze Jahr durch den Gottesdienst versäumen. Einer von seinen ersten Staatsbedienten bekömmt jährlich zweyhundert Thaler, wovon er aber seinem Herrn hundert als Kostgeld für die Hoftafel geben, und mit funfzigen eine Pharaobank im Schlosse machen muß. Sagen Sie mir, ist es nicht erschrecklich, daß ein gutes, ehemals freyes Volk, sich von solchen Menschen muß regieren oder vielmehr schinden lassen? Der Mann, der die Finanzen dieses Sultans dirigirt, ist ein Projectenmacher, der nur auf dem Papiere gelehrt ist. Er mag sonst ein redlicher Mann seyn; Aber nicht alles ist anwendbar, was in der Theorie herrlich aussieht. Ich gebe es zu, daß was theoretisch wahr ist, es auch in der Praxis seyn muß. Aber eben bey dieser Wahrheit müssen die Ausnahmen nicht vergessen werden, welche bey einzelnen Localumständen eintreten. Ich schätze einen Mann sehr hoch, der über Cameral- und Finanzwesen gute Bücher schreibt. Wenn er Genie hat; so wird er manche feine kühne Idee zur Welt bringen, die Gelegenheit zu nützlichen Einrichtungen geben kann. Aber dem practischen kältern Geschäftsmanne muß man es überlassen, zu prüfen, ob eine Erfindung, ein Project anwendbar ist oder nicht, und ihm auch die Ausführung übertragen. Jeder schöpferische Geist ist in seine Systeme, in das Werk seiner Phantasie verliebt. Dahinein soll durchaus alles passen. Kömmt er an das Ruder; so bringt er alles in Verwirrung. Mancher Kriegsminister, der einen herrlichen Plan zu einem Feldzuge entwirft, woraus die Generale großen Nutzen ziehen, würde sich sehr schlecht dazu schicken, das kleinste Commando zu übernehmen. Wenn ich daher ein Fürst wäre; so glaube ich, ich würde solche aufgeklärte Schriftsteller besolden, um sie ausser der Nothwendigkeit zu setzen, ums Brod zu schreiben, und sie dann bitten in meiner Residenz zu wohnen, ihnen aber nie Geschäfte in die Hände geben. Es geht mit allen menschlichen Kenntnissen also. Ich sehe eine Menge Leute, die aus Büchern den Menschen studieren, täglich das Spiel der Betrüger werden, sehe Leute, die das Landleben aus Idyllen und Romanen lieben gelernt haben, sich unter den Bauren ein unverdorbenes Völkgen von arcadischen Schäfern und patriarchalischen Landleuten denken, in ein Dorf ziehen, dort so eine unglückliche, unbehagliche, schiefe Rolle als möglich spielen, und alles verkehrt anfangen, oder sich mit unbeschreiblicher Mühe herabstimmen. Allein ich bin von meinem Grafen abgekommen; ich habe aber auch nichts mehr über ihn zu sagen, als daß ich fest hoffe, er und seine Herrn Mitbrüder werden wohl nicht lange mehr ihre kleinen Fürstentyrannien über unser armes Vaterland ausüben, und es wird einst ein Größerer auftreten, über sie kommen, und ihnen das Handwerk legen. Es ist beynahe zu verwundern, warum nicht ganze Heerscharen von deutschen Bauren, die so entsetzlich-gemishandelt, vermiethet und gequält werden, und in so wenig Provinzen des Reichs, bey ihrem sauren Schweiße, nur einmal sich rühmen können ein Eigenthum zu haben, das nicht heute oder morgen, zu Befriedigung einer schändlichen Leidenschaft, zu Bestreitung eines höchst unnützen Aufwandes, angegriffen wird, daß dies Volk nicht auswandert. Wo in der Welt können sie es wohl schlimmer haben? Aber der süße Hang zum Vaterlande, der (man sage was man will) doch schwer zu ersticken ist, fesselt sie an ihre väterlichen einstürzenden Hütten, die Wohnungen des Jammers und Elendes. Vaterlandsliebe ist kein Vorurtheil. Unsre Glückseligkeit hängt oft an sehr kleinen Fäden, hängt von so geringen Eindrücken, von so kleinen Dingen ab, an welche wir einen eingebildeten Werth heften, und sie so viel Jahre hindurch zu unsrem Bedürfnisse gemacht haben, daß es uns sehr wehe thut, wenn man uns aus diesen Schranken reißt. Dazu kömmt dann die Annehmlichkeit des Umgangs mit Personen, die einerley Art von Erziehung, einerley Richtung des Geistes haben, denen wir uns eher mittheilen und verständlich machen können. Ich bemerke auch in der That, daß dadurch unser sittlicher Character mehr Eigenthümlichkeit, mehr Festigkeit erhält. Kinder, die auf Reisen gebohren und erzogen, mit ihren Eltern immer umherziehn, oft in ein andres Land verpflanzt werden, bekommen würklich weniger Gepräge. Ach! und dann ereignen sich auch Vorfälle im menschlichen Leben, wo man von Fremden wenig Schutz zu erwarten hat, wo man nur in dem Schooße der Leute, die durch gemeinschaftliches Interesse, Gewohnheit, häusliche und bürgerliche Bande an uns geknüpft sind, Trost und Hülfe finden kann. – Ja! wenn die Welt wäre, was sie seyn sollte, Ein Haus für Brüder, für Kinder Eines Vaters – Aber – Doch ich komme in den Predigerton; Ich denke Sie sind eben so müde zu lesen, als ich zu schreiben. Leben Sie wohl, edler Mann! Ich bin mit herzlicher Ergebenheit Ihr Freund Leidthal. 13. Brief Dreyzehnter Brief. An den Herrn Etatsrath Müller in Coppenhagen. Urfstädt den 30sten August 1771. Sie wissen schon, mein verehrungswürdiger Freund! durch des Baron Leidthals Brief 1 , daß mein Oncle aus dieser Welt gegangen ist. Was soll ich Ihnen darüber sagen? Er war ein so redlicher Mann, daß ihm Wenige an practischer Rechtschaffenheit gleichkommen werden. Indessen schienen seine Umstände von der Art, daß ihm der kleine Rest von Leben nur zur Last gefallen seyn würde; und wenn gleich mir die Trennung von einem so herzlich guten wohlthätigen Freunde nicht gleichgültig seyn kann; so ist mir es doch von der andern Seite ein Trost, daß seine Leiden ein Ende genommen haben, da ohnehin diese Welt dem gefühlvollen menschenliebenden Manne wenig Scenen der Freude darstellt, um derentwillen man wünschen mögte, darinn über die gewöhnlichen Grenzen des Menschenalters hinaus umherzuwandeln – Dergleichen ernsthafte Beobachtungen sind Sie von dem leichtsinnigen Weckel nicht gewöhnt zu hören. Aber glauben Sie mir, ich kann oft sehr schwermüthig seyn – Doch aber will ich Ihnen mit keinen hypochondrischen Klagen Langeweile machen, sondern Ihnen nur angenehme Dinge erzählen. Wir sind seit gestern Alle hier versammlet; der junge Wallitz, Hohenau, Meyer und ich stehen da gestiefelt und bereit, unsern großen Ritterzug zu machen, den wir in sechs Tagen antreten werden. Wir haben uns Röcke von gleicher Farbe angeschafft. Man wird Einen von uns für einen reisenden deutschen Fürsten nebst Suite halten, zumal wenn wir aus Sparsamkeit Nacht und Tag, eilig reisen, und in keinem Wirthshause viel verzehren. Doch das erste werden wir wohl bleiben lassen; Wir wollen uns oft in kleinen Städten länger aufhalten als in den großen Residenzen, wo alle Menschen einerley Gesicht haben. Dort will ich herrliche Originale zu Zeichnungen für Sie sammlen, und wir haben es verabredet, daß unser Leidthal Ihnen und, wenn ich bitten darf, Sie ihm, alle Briefe mittheilen. Was der zärtliche Herr Bräutigam an seine Charlotte schreibt, werden wir sämtlich wohl nicht zu sehen verlangen. Ich bin etwas unpäßlich gewesen. Verkältung bey dem Nachtwachen an dem Bette meines guten Oheims hatte mir einen steifen Hals zugezogen. Der Doctor Pipenbühl (Sie kennen ihn ja, den Mann mit der Perücke von Eisendrat, dem kleinen Haarbeutel mit Schmelz besetzt, dem kaffeebraunen Rocke, dessen Aermeln kaum über die Ellbogen hinausgehn, mit den steifen Schößen, langen Manschetten, der gelben plüschenen Weste, dem unsichtbaren porcelainenen Degen, Wickelstrümpfen und kleinen runden, dickengegossenen silbernen Schnallen) Nun ja! eben dieser Mann hat mir Kräuterthee verschrieben. Ich glaube es waren dieselben Species, die man auch zu Clystieren nimt – Genug, ich bin itzt gesund. Dieser nemliche Mann hat neulich einen sonderbaren Entbindungsfall gehabt. Ein Bauersfrau wurde wegen Gartendiebstahl verurtheilt um die Mittagsstunde an den Pranger gestellt zu werden. Sie war schwanger, welches aber der Beamte nicht wußte. Der Arzt speisete bey diesem, als gemeldet wurde, die Frau sey in Kindesnöthen. Der redliche Amtmann wollte sogleich befehlen, man solle sie losschliessen; allein der Herr Doctor versicherte auf seine Pflichten, das sey nur ein Vorgeben, und es sey damit so weit noch nicht. Indessen bestättigte sich doch die Nachricht; Herr Pipenbühl mußte selbst hin, und kam noch eben früh genug, um die Frau am Pranger zu accouschieren. Des Doctors Sohn ist ein sehr geschickter junger Mann, und Hofmeister in dem Hause des Herrn von F ... in O ..., mit welchem er aber jetzt einen unangenehmen Proceß führt. Der gnädige Herr war zu nachsichtig gegen seine ungezogene Jugend, und wenn der Hofmeister durchgreifen wollte, so bekam er Streit mit ihm. Eine solche kürzlich vorgefallene Verdrießlichleit, wobey sich Herr Pipenbühl sehr geärgert hatte, bewog den armen Mann einige Tage auf seinem Zimmer zu bleiben, und nicht an den Tisch zu kommen, weswegen er bescheiden um Erlaubniß bath. Der gnädige Herr, welcher gewohnt ist den Erzieher seiner Kinder wie einen andern Hausknecht zu betrachten, murrte sehr, nannte es Eigensinn, und ließ endlich – horribile dictu! – am dritten Tage den armen Hofmeister, selbst durch seine Untergebenen, bey lautem Gelächter des Gesindes, im Schlafrocke mit Gewalt herunter in das Eßzimmer schleppen. Eine solche unvernünftige Beschimpfung brachte den ehrlichen gekränkten Instructor, wie natürlich, aufs Aeusserste. Er verließ sogleich das Haus, und hat itzt gegen den Herrn von F ... geklagt. Ich habe mich herzlich über die bessern Aussichten Ihres Herrn Sohns gefreuet; Sie wissen ja, welchen aufrichtigen Antheil ich an allem was Sie und die Ihrigen betrifft, nehme. Da kömmt ein Brief von Ihrer Hand an den Baron. Wann etwas darinn steht, worauf Sie Antwort haben müssen; so wird man Ihnen heute noch schreiben. Ausserdem empfehlen wir uns Alle Ihrer Freundschaft und Güte. Vergessen Sie nicht, daß ich auf Reisen wie zu Hause froh bin, wenn Sie mir erlauben, mich nennen zu dürfen, Ihren treu ergebensten Freund Weckel. Fußnoten 1 der, wie viel andre, nicht eingerückt ist. 14. Brief Vierzehnter Brief. An den Freyherrn von Leidthal in Urfstädt. Coppenhagen den 20sten August 1771. Mein Sohn Ludwig ist entzückt über sein Glück, über die Veränderung seiner Lebensart; Schade, daß ich würklich schon zu alt werde, und zu viel Gutes und Böses durcheinander erlebt habe, um jede Freude so mitempfinden zu können, als ich wohl wollte. Ein Krankenwärter, der bey so manchem gefährlichen Patienten gewacht hat, ist an die kleinen Revolutionen so gewöhnt, daß, wenn ihn der Kranke, sobald er ein wenig Linderung spürt, freudig bey der Hand faßt, und ihm zuruft: »Ach! ich befinde mich besser« er kaum etwas mehr fühlt, als daß nun seine Arbeit, seine Last leidlicher wird. Unterdessen ist mein Herz noch warm genug, um nicht zu vergessen, daß Sie, mein gnädiger bester Herr! die Haupttriebfeder alles des Guten sind, das ich im angehenden Winter meiner Tage mit den Meinigen erlebe. Nun auch dies Kind versorgt ist; nun ist mir nicht mehr bange. Die jüngsten Knaben sind auf gutem Wege, und meine beyden ältesten Kinder so glücklich, als man es, bey dem Spaziergange durch diese Welt, wo doch hie und da ein Steinchen in den Schuh kömmt, seyn kann. Mir ist nur immer für Ludwigs Vorwitz und Mangel an Welt bange. Er will sich gern aller Orten von der vortheilhaftesten Seite zeigen, und das ist nicht eben der Weg sein Glück zu machen, besonders wenn man die Leute, von denen unser Glück abhängt, merken läßt, daß man sie übersieht. Ich sage ihm oft, daß um auf ein mittelmäßiges Genie zu würken, man sich demselben gleichstellen muß. Will man etwas bey einem solchen durchsetzen; so zeige man nur ja nicht sogleich seine Eminenz. Man dringt wohl zuweilen auf diese Art durch, aber man überzeugt nicht, und versperrt sich auf künftige Zeiten den Weg. Man gebe aber anscheinend seinen bessern Meinungen nach, verwickle den schwachen Mann so in seine verwirrten Ideen, daß er selbst bey uns Hülfe suche, und dann rathe man ihm, und er wird folgen. Allein an dieser und aller andern Art Weltklugheit fehlt es dem guten Ludwig noch sehr – Doch er mag immerhin einmal anlaufen, und aus Erfahrung, welche die beste Lehrmeisterinn ist, lernen weise werden. Sein Platz in der bürgerlichen Welt ist noch nicht so wichtig, daß er sich durch solche kleine Unvorsichtigkeiten unglücklich machen könnte. Ich lebe hier unter guten Menschen. Die Nation gefällt mir so übel nicht. Es ist wahr, der größte Theil ist ein bisgen phlegmatisch und geschwätzig. Viel feine Köpfe finde ich nicht, aber fleißige, sinnliche Leute, die ein gutes Gedächtniß haben, und vielleicht um so glücklicher sind, da ihre materiellern Seelen nicht so leicht von jedem Lüften menschlicher Leiden und Freuden erschüttert werden. Das einzige, was mich kränkt, ist, daß ich nun wahrscheinlicherweise in langer Zeit nicht so glücklich seyn werde, Ihnen, theuerster, vortreflicher Herr! mündlich zu sagen, wie herzlich ich bin, Ihr ehrerbiethiger treuer Diener Müller. 15. Brief Funfzehnter Brief. An den Herrn Ludwig Müller in Dresden. Urfstädt den 4ten September 1771. Jetzt, mein lieber Freund! da wir im Begriff sind übermorgen abzureisen, muß ich noch ein herzliches Wörtgen zu Ihnen reden. Wer weiß, wie bald wir uns wiedersehen, und indessen treten Sie in eine neue Laufbahn, mit welcher eine wichtigere Periode Ihres Lebens anfängt. Bis dahin, mein Bester! waren Sie ziemlich frey; Sie wurden durch keine merkliche Bande an den Staat geknüpft, konnten leben, wie Sie wollten, ohne jemand anderm als Ihrem Herzen Rechenschaft zu geben, und dies Herz war ein billiger, sanfter Führer. Von nun an werden Sie andern Richtern in die Hände fallen; die Leute, mit welchen Sie in Verhältnisse kommen, werden ein Recht zu haben glauben, Ihre Handlungen zu controllieren, zu beurtheilen – und da thut es mir wehe, Ihnen sagen zu müssen, daß Sie nur zu oft Gelegenheit finden werden, über Ungerechtigkeit zu klagen. Glauben Sie nicht, daß ich Ihnen die Menschen verhaßt machen wollte; Gewiß nicht! Ich will Ihnen im Gegentheil eine Skizze von Gemählden vor Augen legen, an deren Anblick Sie Sich gewöhnen müssen, wenn Sie nicht jeden Tag vier und zwanzig unruhige Stunden haben wollen. Sieht man auch nur die Sache aus dem rechten Gesichtspuncte an; so wundert man sich gar nicht darüber, daß der große Haufen sich unter einander das Leben so sauer macht. Das gehört mit zu der Ordnung des Ganzen; durch diese Gährung wird manche sonst ruhende Triebfeder in Bewegung gesetzt; es giebt der Maschiene mehr Mannigfaltigkeit, und erweckt manches schlafende Gefühl. Sie sind lebhaft, verständig, gefühlvoll, unternehmend zum Guten und zutraulich auf die Güte Anderer – O! machen Sie Sich gefaßt, mit diesen herrlichen Eigenschaften wenig Glück in der Welt zu machen – Wiederstand von allen Seiten, Neid, Kälte, ungerechte Auslegung Ihrer unschuldigsten, edelsten Handlungen – das alles erwarten Sie sicher, und dies nicht nur vom vornehmen und geringen Pöbel, nein! von denen Leuten, die sich Ihre Freunde nennen; und haben Sie einst in dreyßig Jahren drey Menschen gefunden, die Sie ganz verstanden, ganz uneigennützig an Ihnen hiengen, von denen Sie treu, unwandelbar, um Ihrer selbst willen geliebt wurden – dann sind Sie ein Sohn des Glücks. Aber dies erbittere Sie nicht! Spannen Sie vielmehr beyzeiten Ihre Erwartungen herab; so werden Sie nicht von idealischen Hofnungen getäuscht werden. Thun Sie in der Stille so viel Gutes als Sie können, rechnen Sie auf keine Erkenntlichkeit, auf keinen Beyfall, freuen Sie Sich, wenn das alles von niemand erkannt, wenn es mit Undank belohnt wird. Dem liebevollen Wesen, das die Haare auf unserm Haupte zählt, entgeht kein Bestreben des Redlichen, kein Sehnen des Edlern, kein guter Vorsatz, kein Seufzer des Leidenden, keine Klage über mislungene fromme Wünsche. Ach! lassen Sie das Ihr Trost seyn, lieber Freund! und werden nicht müde den graden Weg zu gehen, wenn Sie Sich auch durch tausend Verirrte drängen müssen, die Ihnen höhnen, Sie aufhalten, und Ihnen große Steine vor die Füße werfen. Eine einzige Abendstunde voll süßer Rückerinnerung überwundener Schwierigkeiten ersetzt alles erlittene Ungemach, und Ein Paar treue Gefährten, die Ihnen das Schicksal zuführt, alle Beschwerlichkeiten der Reise. Aber suchen Sie diese Freunde nicht ängstlich, aus Furcht, es mögte Sie gar zu sehr schmerzen, oder erbittern, wenn Sie Sich geirrt hätten. Fragen Sie niemand, wo er hinaus will; Aber Sie werden schon einmal an irgend einen andern stillen Wanderer gerathen, wenn Sie viel Tagereisen gemacht haben, und Sie denselben guten Menschen jeden Abend in derselben Herberge finden; wenn Sie bemerken, daß er stets den nemlichen graden Weg geht, den Sie wandeln – dann ist es wahrscheinlich, daß er eben den Ort erreichen will, wohin Sie streben, und Sie können es versuchen Hand in Hand mit ihm zu wandeln – Allein auch da werden Sie Sich noch oft getäuscht sehen – Doch, was thut es? Wenn Sie nur indessen nicht auf Irrwege gerathen sind. Also trauen Sie Wenigen, aber verachten Sie Keinen, und helfen, wo Sie können. Gott und die Natur haben die bessern Seelen zu Werkzeugen bestimmt, der gedrückten Menschheit wieder aufzuhelfen. Der Kampf ist schwer, aber der Sieg süß, und heitrer Frieden und die entzückende Aussicht in die seligere Zukunft der Lohn des Streitenden. Es ist eine alte Bemerkung, aber sie ist deswegen nicht weniger wahr, daß Sie, wenn Sie im Glücke sind, nicht wissen können, wer Ihr Freund ist. Der Eine wird sich Ihnen aufdringen, um sich durch Ihr Zutrauen Glanz zu geben; das Publicum soll es merken, daß ein allgemein geehrter, verständiger, oder gar berühmter Mann sein Freund ist. Der Andre sucht Sie auf, weil er irgend einen Vortheil von Ihnen ziehen, einen Freundschaftsdienst erwiesen haben, irgend etwas lernen, Ihnen irgend etwas ablocken will. Ein Dritter sucht nur in Ihrem angenehmen Umgange Unterhaltung, Ausfüllung seiner leeren Stunden. Noch ein Anderer fürchtet Sie, sucht Ihren Schutz, Ihre Nachsicht mit seinen Fehlern. Alle aber nehmen ohn gefehr eben dieselbe Aussenseite der persönlichen Zuneigung an. Doch lassen Sie trübe Stunden kommen; lassen Sie ein Gewitter sich über Ihr Haupt zusammenziehen; und dann sehen Sie, wie Wenige Stich halten, wie Wenige Ihnen Schutz in ihrer Hütte anbiethen werden. Versuchen Sie es nur, und bringen ein nachtheiliges Gerücht über Ihre Person ins Publicum; da werden denn alle diese schönen Freunde sich zurückziehen, und so lange hinter dem Busche lauren, bis sie sehen, wie das Ding abläuft. Wo wird der Mann seyn, der mit fester Entschlossenheit sich Ihrer annähme, sein Privatinteresse, seinen Ruf auf die Seite setzte, Ihnen irgend ein Opfer bringen, sich dem Sturm entgegenstellen, und ausrufen würde: »Schone des Mannes, er verdient nicht gemißhandelt zu werden – Ich kenne den Edlen; er ist mein Freund.« Und hier habe ich nur von der schlechtesten Classe von Menschen geredet. Aber auch die Bessern, zu schwach ihren Grundsätzen treu zu bleiben, werden, wenn man Sie verläumdet, zurückweichen. Zehnjährige Kenntniß Ihres Herzens wird nicht hinreichen Ihrer Unschuld das Wort zu reden. Die Schmähungen Ihrer Feinde werden dem ganzen Bilde, das Sie so ausgemalt in den Seelen ihrer Freunde glaubten, andre Farben, andre Umrisse geben. Ein Schein von Wahrscheinlichkeit wird genug seyn, Sie der unerhörtesten Handlungen zu beschuldigen, Handlungen, deren Möglichkeit ganz ausser Ihrem Character liegt. Man wird alle Ihre guten edlen Züge vergessen, so manche Probe Ihrer Rechtschaffenheit, so manchen Freundschaftsdienst – Ihre Tugenden werden nicht gegen Ihre Fehler auf die Wagschale gelegt werden; Auf die Heftigkeit Ihrer Leidenschaften wird man nicht Rücksicht nehmen; Es wird sich ein bisgen Neid, selbst der Bessern, die das Uebergewicht Ihrer Verdienste ungern tragen, mit hineinmischen – Und nun wird jeder Knabe sich erlauben der Richter eines noch vor acht Tagen allgemein angebetheten Mannes zu seyn, indeß der Eine Ihrer Vertraueten sagt: »Ich kenne des Menschen nicht,« und der Andre die Achseln zuckt, ausruft: »Hätte ich das je gedacht!« und vielleicht gar das noch schleichende Gerücht, durch die ängstliche Art wie er die Sache nimt, ausbreitet und bestättigt. Und mit was für Recht? Sie können eine sonderbare Erfahrung dabey machen. Wenn es Ihnen leidlich wohl geht; dann werden Verwandte und Freunde ruhig seyn; Niemand wird sich beeifern, Ihre Zufriedenheit zu vermehren; Sie werden immer allein für Sich arbeiten, Sich selbst durchhelfen, der Schöpfer Ihres Glücks seyn müssen. Aber kaum erfährt man etwas Nachtheiliges von Ihnen; so glaubt jeder ein Recht zu haben, Ihnen Vorwürfe zu machen: »Mein Gott!« werden sie ausrufen, »Was hast Du da gemacht? Was müssen Deine Freunde von Dir hören? Denk an, wie uns das kränken, beschimpfen muß!« Dann wird jeder fordern, vorschreiben was Sie thun sollen – Nicht zu Ihrer eigenen Hülfe, sondern damit die Achtung der elenden Menschen, die durch Ihren Umgang sich geehrt wissen wollten, nicht vor den Augen des Volks leide. Sehen Sie, mein lieber Freund! das sind Resultate von Erfahrungen meines unruhigen Lebens. Mögten Sie doch alles falsch finden, was ich hier gesagt habe! Zur Ehre der Menschheit wünschte ich es – Aber wie wenig darf ich das hoffen! Wenn denn einst Ihr lebhafter, thätiger, sorgenloser Geist Sie in einen bösen Handel verwickelt, wo Sie es so gut gemeint hatten, und nun alles schief geht, alles auf Sie fällt, Schande, Unrecht, Kummer – auf Sie, der, da er nur Gutes thun wollte, so gänzlich miskannt wurde; Wenn ein Freund, auf den Sie fest baueten, Ihnen in einem entscheidenden Augenblicke den Rücken wendet; Wenn der Mann, den Sie mit Wohlthaten überhäuft hatten, Sie mit Füssen tritt – dann wafnen Sie Sich mit liebevollem Muthe; Nehmen Sie alle Würde Ihres Geistes zusammen, und stehen da, in der ganzen bescheidenen Größe eines edlen, sich keines bösen Vorsatzes bewußten Mannes. Ihr Gewissen wird Sie reichlich belohnen. Hassen Sie nur die Menschen nicht! Es ist Schwäche, und sonst nichts, was die guten Narren so verkehrt macht. Ertragen Sie die Schwachen, und leiden geduldig. Nie müsse Sie Ihre heitre fröhlige Laune verlassen! Haben Sie Frieden mit Sich selbst; so wird Ihnen alles übrige leicht zu ertragen werden. Den 5ten Abends. Ich weiß nicht, ob Sie je geliebt haben; Also kann ich Ihnen hierüber keinen Rath geben. Auch ist da schwer zu rathen; denn dies süße Ungemach kömmt über uns, wenn wir es am wenigsten erwarten. Fliehen Sie also, so lange Sie noch können. Ist es aber zu spät – dann erfahren Sie selbst, welche Revolution die erste Liebe in Ihrem ganzen Wesen hervorbringen wird. Nur merken Sie Sich, daß Sie nie bey dem andern Geschlechte jene gänzliche treue Hingebung erwarten müssen, mit welcher wir Männer uns ihnen in die Hände liefern. Der klügste Mann ist, wenn er liebt, nicht mehr Meister seines Verstandes. Er wird nichts hören, nichts sehen, als seine Geliebte; Alle übrigen Weiber werden für ihn Bildsäulen seyn. Vergebens wird er sich in einer Gesellschaft, worinn die Freundinn seines Herzens ist, verstellen wollen. Man wird sehen, wie seine Augen nur sie suchen, wie seine ganze Heiterkeit an einem Blicke von ihr hängt. Aber das unerfahrendste Mädgen wird sich in dieser Leidenschaft zu bemeistern, sie wo es nöthig ist zu verhehlen wissen. Sie wird von zwanzig Jünglingen, unter denen sie Einen liebt, keinen der übrigen neunzehn beleidigen noch verabsäumen, jeden durch irgend eine kleine zutrauliche Gefälligkeit gewinnen, und dadurch ihrem Geliebten oft kummervolle schlaflose Nächte machen. Ist es würklich eine ganz andre Art von Leidenschaft was sie Liebe nennen, und wobey sie sich noch immer so planmäßig in ihrer Gewalt haben, oder hat der Schöpfer gewollt, daß sie dadurch gegen unsre Zudringlichkeiten geschützt seyn, sich weniger vergessen sollten? – Das kann ich nicht entscheiden; Genug, die Natur hat es so gewollt, und eben diese kleinen Cocketterien, welche den Weibern beynahe angebohren werden, geben der Liebe mehr Mannigfaltigkeit. Das erregt dann zärtliche Besorgnisse, macht dem redlichen Manne wohl manche unruhige Stunde, ist aber dennoch so böse nicht gemeint. Man muß ihnen nur die Künste ein bisgen ablernen, und sie mit ihren eigenen Waffen bekämpfen; denn sie sind im Grunde eifersüchtiger als wir, besonders wenn sie erst verheyrathet sind, und hängen mit ganzer Seele an ihren Gatten und an ihre Kinder. Und nun, da ich Ihnen von einer Leidenschaft geredet habe, die so großen Antheil an meinen vielfachen Schicksalen hat; so muß ich Ihnen etwas vertrauen, das mir schwer auf dem Herzen liegt. Sie wissen, daß seit einiger Zeit ein gewisser Herr Becker (wenigstens giebt er sich diesen Nahmen) nebst seiner Frau in dem Städtgen ohnweit Urfstädt wohnt. Da niemand diese Leute kannte, und sie allen Umgang mieden; so erregten sie anfangs die Aufmerksamkeit des vorwitzigen Publicums; Ich aber, der ich nicht sehr neugierig in solchen Dingen bin, habe in der ganzen Zeit um so weniger nach ihnen gefragt, da ich mir es gewiß nicht träumen ließ, daß sie das geringste Interesse für mich haben könnten. Vorigen Diensttag nun, als ich, mit einem Buche in der Hand, an dem Bache hinter dem neuen Garten her spazieren gehe, begegnet mir dies Paar – Und welche unangenehme Entdeckung! – ich erkannte in der Frau die Geliebte meiner Jugend, meine Wilhelmine. Was ich in dem Augenblicke empfand, das bin ich nicht fähig Ihnen zu beschreiben. Auch weiß ich mich es kaum mehr zu erinnern; Meine Verwirrung war so groß, daß ich mich noch zuweilen gern überzeugen mögte, ich hätte mich geirrt. Ob sie mich erkannt hat, weiß ich nicht. Ich war nicht genug bey mir selbst, um beobachten zu können, und hatte nicht das Herz, mich, als sie vorbey waren, umzusehen. Ich habe niemand hier etwas davon erzählt; aber man wollte mich sehr verändert finden, als ich des Abend zur Gesellschaft kam. Nicht als wenn meine alte nun überwundene Liebe aufgewacht wäre! Dieser Schaden ist – leider! – längst geheilt; Aber die Rückerinnerung alles dessen, was ich um Wilhelminen gelitten habe, meine Schicksale, die fast alle Folgen von dieser Leidenschaft gewesen sind – das alles, und viel andre Dinge drängen sich itzt vor meine Phantasie, so sehr ich mich bemühe diese Gedanken zu vertreiben – Ich fürchte, es wird das Vergnügen meiner Reise sehr verbittern, mir böse Launen machen. Mich dünkt der Herr Becker hat einen finstern unfreundlichen Blick. Wenn er nur gut mit ihr umgeht! – Aber wie kamen sie in diese Gegenden? Warum führt er einen Nahmen, der nicht der seinige ist? – Doch was bekümmert mich das alles? Ich wollte indessen, ich wäre schon vor acht Tagen fortgereist – Sie wird mich wohl nicht mehr gekannt haben; Sie hat mich, hoffe ich, längst vergessen – Zerreissen Sie nur diesen Brief – Das wäre Wasser auf des Herrn von Weckels Mühle, wenn er über eine solche Wiederfindung scherzen könnte – Seine Lustigkeit ist meiner itzigen Gemüthsverfassung sehr zuwieder – Aber der Mann meint es so gut; Mein Verdruß macht mich ungerecht – Gott erhalte ihm sein fröhliges Humor! – Und nun wollen wir nicht weiter von dieser Sache reden – Sie bitten mich, Ihnen ein Portrait von einigen der Leute zu machen, mit denen Sie itzt leben. Allein mein Brief ist schon so lang, und Sie werden alle diese Personen bald selbst näher kennen lernen. Vielleicht kann Ihnen auch das, was ich zu Anfang dieses Bogens von der Art gesagt habe, wie ich glaube, daß man die Menschen beurtheilen muß, zu einem allgemeinen Commentar für jede neue Bekanntschaft, die Sie machen werden, dienen. Nur will ich ein Paar Worte über einige Personen sagen, mit denen Sie in Verbindung stehen. Sie wissen, wie sehr ich Ihnen empfohlen habe, die Freundschaft des Cammerraths von ... zu suchen. Er ist auch wahrlich ein edler, seltener Mann. Mit dem allen aber wünschte ich doch nicht, daß Sie ganz Ihren Character nach dem seinigen zu bilden suchen mögten, wenigstens nicht in Ihrer jetzigen Lage. Sein freyes, ofnes Herz fließt zu oft über, wo es Wahrheit und Aufrechterhaltung der guten Sache gilt, und da trifft denn oft sein gerechter Eifer den heuchlerischen aber rachgierigen, mächtigen Bösewicht so scharf, daß der gute Cammerrath sich dadurch mancher Verfolgung aussetzt. Wenn er so dreist weg den falschen papiernen Nimbus fortbläst, den sich ein vornehmer Schurke um seinen Eselskopf geklebt hat; dann wird der nackte Betrüger aufgebracht, und sucht ihm hinter dem Rücken so viel möglich zu schaden. Es fehlt nicht an schlechten sclavischen Seelen, die jeden solchen, in einer guten Stunde gesagten Einfall, jedes freye Wort über Pfaffentyranney und Fürstenstreiche, jeden Spott über Thorheit, jeden Schimpf, womit er den paradierenden Schelm belegt, aufsammlen, bey Seite an einen sichern Ort legen, und zu rechter Zeit, um des Eiferers Character verdächtig zu machen, wieder herzuholen wissen. Die Anzahl seiner Feinde vermehrt sich, und alle seine Verdienste, seine ganze Klugheit wird ihn nicht gegen die traurigen Folgen schützen, welche dies nach sich ziehen wird. Man verschreyet ihn als einen unruhigen Kopf, als einen Lästerer – Oft hätte ich ihm gern vorgelesen, was Eugenius zu Yorick sagte. Aber diese Art Leute ist nicht zu bessern; Auch sind sie wahrlich von der Vorsehung zu Werkzeugen einer glücklichen Revolution ausersehen – Schade, daß sie mehrentheils das Opfer ihres redlichen Bestrebens werden, und die Früchte ihrer Arbeit, große freye Grundsätze auszubreiten, nicht erleben. Der Secretair Fränzel hat viel gute Anlage. Wenn er nicht ganz ist, was er seyn sollte; so schieben Sie die Schuld auf Rechnung seiner Erziehung und der durch schlechten Umgang erhaltenen Eindrücke. Er ist ein hübscher Mann, gefiel früh den Weibern, wurde von ihnen geschmeichelt, fiel aber unglücklicherweise ausschweifenden, wenig gebildeten Frauen in die Hände; daher die Frivolität, mit welcher er über alles hinausglitscht. Er liebt das Vergnügen, und hat nicht Festigkeit genug, sich irgend eines zu versagen. Da er für sich wenig Vermögen hatte; so mußte er sich, bis er dahin kam, wo er jetzt ist, um Gönner bewerben, diesen Weyrauch opfern, seinen Character in manche Form zwängen, und nun ist dieser von der Natur wahrhaftig mit herrlichen Talenten ausgerüstete Mann ein unsichrer Freund, ein leerer schwacher Mann geworden. Der Hauptmann von Herdel, der mit Ihnen an einem Tische speiset, ist noch sehr jung, voll Lebhaftigkeit und gutes Muths. Sein Kopf ist hell, sein Herz nicht ohne Gefühl. Aber schwerlich werden Sie ihn fest an irgend etwas binden können. Er ist aufbrausend, heftig, ein beständiger Wetterhahn seiner stürmenden Leidenschaften. Er hat nie Mangel gefühlt, sondern war das Lieblingssöhnchen seiner Eltern, und daher hat sein Character nicht die zum geselligen Leben so nöthige Biegsamkeit angenommen. Bey allem Anschein der wärmsten Theilnehmung lebt er doch nur einzig für sich, und hat dabey hohe überspannte Begriffe von falscher Ehre, welche, nebst einer unbegränzten Eitelkeit, allein die Triebfeder seiner Handlungen ist. Der Hofrath Tillmeyer ist vielleicht einer der edelsten Menschen, von denjenigen nemlich, mit denen Sie leben, doch haben heimliche Leiden seinem Herzen einen gewissen Anstrich von Bitterkeit gegeben. Allein er mögte eigentlich gern schlechter scheinen als er ist, oder er betrügt sich vielmehr selbst; glaubt für die Menschen sey nun einmal nichts mehr zu thun, sie seyen insgesammt Narren oder Schelme. Aber geben Sie ihm Gelegenheit einem armen Gedrückten in der Stille zu dienen; so wird seine Temperamentsgüte über seine Grundsätze siegen, und er wird Gut und Blut daran wagen. Weil er aber arm ist; so hängt er von einigen Menschen ab, nach deren Ton er sich stimmen muß; und da dieser nicht der beste ist; so sieht man ihn fast nie selbstständig handeln. Dies ist um so mehr zu bedauern, als er würklich viel Thatkraft hat, die itzt, so wie jedes würksame Bestreben, bey ihm schläft. Den herrlichen ... kennen Sie aus dem so allgemein beliebten, bewunderten Werke, das er geschrieben hat. Welch' ein Kopf! Welch' ein Reichthum von Imagination! Welch' ein feines zartes Gefühl! Welch' ein philosophischer Blick! – Und dieser Mann ist so faul, so schwer an die Arbeit zu bringen, so unordentlich, daß Sie Sich gar keinen Begriff davon machen können. Es ist nicht Phlegma bey ihm, sondern Gewohnheit, Sorglosigkeit an sich selbst Hand anzulegen, und sich von kleinen Schwachheiten loszumachen. Ich habe erlebt, daß er, der sehr vermögend ist, kein Geld hatte, und würklich Mangel litt, bloß weil er sich nicht entschliessen konnte, an seinen Geschäftsmann einen Brief zu schreiben. Einen Posttag nach dem an dern versäumte er, und ließ indessen lieber einen Juden rufen, dem er seine Uhr versetzte, als daß er einen kurzen Brief geschrieben hätte. Er hat in allen wissenschaftlichen Fächern mehr gelesen, als vielleicht irgend ein Mensch von seinem Alter. Mögte er nur mehr schreiben! Aber wenn er auch etwas in einer guten Stunde anfängt; so läßt er es entweder aus Faulheit wieder liegen, oder verliehrt das Manuscript unter dem unendlichen Chaos von schmutziger Wäsche, Büchern, Schriften und Kleidern. Der Herr von Altheim hat eine sehr eingeschränkte, falsche Erziehung genossen, welche denn auch seine vortrefliche Anlage gänzlich erstickt, sein von Natur warmes treues Herz erkältet, seinen Kopf verdunkelt hat. Hie und da sieht man noch einen Blick von diesem Guten hervorschimmern, aber es ist alles nur Erscheinung. Er steckt voll Vorurtheile, ist eigensinnig, an Müßiggang gewöhnt, melancholischen Temperaments, und fast immer in der Einbildung krank, welches wegfallen würde, wenn er eine geschäftigere Lebensart wählte. Sehen Sie, mein Lieber! da haben Sie ein kurzes Bild der mehrsten Personen, mit denen Sie umgehn. Ich habe nur so in Eil die Grundzüge entworfen; Ihre eigene Erfahrung wird die Portraitte schon ausmalen helfen. Aber es ist wohl Zeit, daß ich diesen Brief schliesse; Er kann für drey gelten. Dagegen erwarten Sie in den ersten acht bis zehn Wochen auch keinen wieder. Ich werde bey dem Anfange unserer Reise schwerlich so viel Muße finden; Sie erhalten ja durch Ihren Herrn Vater immer Nachricht von uns. Der junge Herr von Hohenau ist wieder nach Göttingen gegangen, woselbst er noch ein Jahr studieren, und dann die ihm zugesicherten hessischen Civil- und Hofdienste in Cassell antreten wird. Leben Sie, lieber guter Müller! recht wohl und zufrieden. Niemand nimt wärmeren Antheil an Ihrem Glücke, als Ihr treu ergebener Freund Meyer. 16. Brief Sechzehnter Brief. An den Freyherrn von Leidthal in Urfstädt. London-Schenke in Hannover den 12ten September 1771. Bis dahin, bester Vater! sind wir glücklich gekommen, und es gefällt uns ganz gut hier. Wir sind Alle fröhlig und guter Dinge, unsern ehrlichen Meyer abgerechnet, der zuweilen Anfälle von Hypochondrie hat, so sehr er sich auch beeifert, ein heitres Gesicht anzunehmen. Doch hoffe ich, es soll sich schon nach und nach legen; wenigstens thut der Herr von Weckel redlich das Seinige dazu. Er überrascht uns jeden Augenblick mit höchst possierlichen Einfällen, pinselt alles, was uns aufstößt, mit bunten lustigen Farben an, und hat uns unterwegens in jedem Wirthshause, wo wir einkehrten, eine comische Scene gegeben. Vorgestern, sobald wir ankamen, zogen wir uns an, und fuhren herum, unsre Addressen abzugeben, wobey wir ein Paar interessante Bekanntschaften machten. Beyliegender Brief des vortreflichen Z ... an Sie, 1 theuerster Vater! wird Ihnen darüber mehr erzählen. Wir geniessen den wohlthätigen Umgang dieses großen Mannes in ganzer Fülle. Ich finde es täglich mehr bestättigt, was Sie uns über den Character der Niedersachsen gesagt haben. Diese glücklichen Provinzen von Teutschland haben weniger von der Ueberschwemmung der französischen Lebensart gelitten. Es herrscht hier mehr Festigkeit, Eigenheit, Würde, Mannheit, und doch zugleich mehr wahre Sanftmuth und Milde, als in den leichten Provinzen am Mayn und Rhein. Der Niedersachse ist nicht zuvorkommend gegen Fremde, er dringt sich nicht so bereitwillig auf, wie der nach französischem Muster verschnittene Rheinländer; Aber wenn er seinen Mann geprüft hat, und ihm dann einmal treuherzig die Hand schüttelt; so darf man darauf mehr zählen, als auf tausend Süßigkeiten, die jener seinen fünf und funfzig Freunden täglich sagt, wobey er nichts fühlt, und die er für jeden, der ihm eine gute Stunde machen kann, in Bereitschaft hält, so lange es nicht auf thätige Hülse, auf irgend eine Aufopferung ankömmt. Es versteht sich wohl, daß diese Anmerkungen nicht allgemein passen; das wäre freylich hart; Im Ganzen aber muß jeder unpartheyische Beobachter dieselben wahr finden. Hannover ist weder groß noch besonders schön gebauet, aber sehr bevölkert, und es herrscht hier eine gewisse Opulenz, ein Ansehn von Wohlstand. Mich dünkt die Leute sehen Alle so aus, als wenn sie ein gutes Gewissen hätten, voll edlen Stolzes wären, und sich zu keiner Niederträchtigkeit herablassen könnten. Es sagte mir gestern jemand: es freue ihn, daß doch nun der hiesige Adel anfienge zu reisen, sich mit fremden Sitten bekannter zu machen, und geschliffener zu werden – »Und warum« fragte ich »freuet Sie das? Glauben Sie, daß der Character dadurch gewinnen wird? Lassen Sie immer den Schimpf auf ihren Landesleuten hängen, daß sie ihr schönes Geld am liebsten zu Hause bey ihren Unterthanen verzehren, ihr väterliches Gut nicht bey den Ausländern verprassen, nicht jedem durchreisenden Abentheurer, der bey ihnen nichts zu suchen hatte, mit einer Legion von Complimenten entgegenfahren, noch ihn bitten ihr Haus als das seinige anzusehn, und ihre Weiber und Töchter zu verführen; Wenn nur übrigens ächte teutsche Sitte und Redlichkeit in ihren Herzen wohnt« – Der Mann war im Grunde mit meiner Meinung einverstanden, fügte aber doch hinzu: es sey ehemals diese Zurückhaltung gegen Fremde zuweilen übertrieben worden, und weniger die Folge einer soliden vorsichtigen Denkungsart, als vielmehr eines Ahnenstolzes und einer gewissen, den Engländern abcopierten Verachtung alles dessen gewesen, was nicht auf ihrem Grunde und Boden gewachsen wäre. Viel Merkwürdigkeiten sind hier nicht zu sehen, doch darum reisen wir ja auch nicht. Das Lustschloß Herrnhausen hat einen großen langweiligen Garten, und ein sehr schlechtes, nicht einmal massiv gebauetes Schloß, in welchem die antiken Büsten, die ein wenig durch unvorsichtiges Reinmachen gelitten haben, (denn sie stehen im Orangeriehause, wo sie im Winter von den Ausdunstungen angegriffen werden) das beste sind. Die Wasserkünste sind eine Seltenheit; die große Fontaine springt ungeheuer hoch und dick, welches um so mehr zu verwundern seyn mag, da das Ganze durch Kunst getrieben wird, indem das Wasser gar reinen Fall hat. Deswegen ist es aber auch nicht möglich, sie ohne Zerrüttung der Maschiene immerfort springen zu lassen – Doch ich verstehe davon nichts; und überhaupt ist ein solches Werk nur dem Mechaniker wichtig, macht aber auf den Fremden, der ein Ding nach dem Maaße des Vergnügens oder des würklichen Nutzens, welchen es gewährt, beurtheilt, wenig Eindruck. Die königliche Bibliothek ist vorzüglich stark im historischen Fache, und an Leibnitzischen Manuscripten. Ich mögte wissen, ob es wahr ist, was uns einst Herr Müller erzählte, daß man unter dieses Weltweisen Papieren einen Briefwechsel mit Jesuiten gefunden haben sollte, darinn er sich anheischig gemacht, gegen eine Summe Geldes die Transsubstantiation, metodo mathematica zu beweisen. 2 Das Haus, in welchem diese Büchersammlung zugleich mit dem Archive ist, sodann ein Theil des Schlosses nebst dem Opernhause, die Marställe, das Buschische Haus, und einige andre sind die vornehmsten Gebäude. Die Egidien-Neustadt ist der schönste, obgleich minder bevölkerte Theil der Stadt, aber die Häuser sind mehrentheils leicht und nicht ganz von Steinen gebauet. Man sieht eine Menge schöner Equipagen, und viel schön gekleidete Lakayen, wovon die Straßen stets voll sind; denn man ist gewöhnt, sehr viel Visiten zu machen, und selbst die Herrn Minister haben täglich des Morgens eine Art von Cour, statt daß an jedem andern Orte sich ein mit wichtigen Geschäften beladener Mann sehr wundern würde, wenn man ihm, ohne etwas mit ihm zu reden zu haben, des Morgens beschwerlich fiele. Hier aber wird dies als eine zum Wohlstand nöthige Sache angesehn. Der Aufwand in Kleidern ist nicht groß; besonders wird wenig an Flitterstaat gewendet, aber was man kauft, das ist theuer, fein und haltbar. An der Landes-Regierungsverfassung wird nicht viel gekünstelt – Vielleicht um desto besser! Alles geht seinen nicht willkührlichen, einmal festgesetzten Gang. Einländer haben, wie billig, den ersten Anspruch auf Versorgung, und die Dienerschaft ist reichlich bezahlt. Uebermorgen gehn wir über Hildesheim nach Braunschweig, und dieser Brief reiset mit. Bis dahin empfehle ich mich Ihrer väterlichen Gnade. Carl. Braunschweig den 16ten Abends. Nun ergreife ich die Feder, mein bester gnädiger Herr! um Ihnen weiter von uns Nachricht zu geben. Die Gegend um Hannover ist ziemlich reizend; Es sind auch viel adeliche Güter in der Nähe. Ueberhaupt giebt es, wie bekannt, wenig teutsche Provinzen, in welchen der Adel so einträgliche Güter hat, als im Hannöverschen. Hildesheim ist ein bischöflicher Sitz, das heißt: alle Straßen dieses finstern häßlichen Orts wimmeln von Betlern, indeß sich ein Heer müßiger Pfaffen zur Ehre Gottes mästet – Wir eilten weiter – Braunschweig ist groß, war einst eine glänzende, reiche Stadt, ist aber jetzt ausser der Messe äusserst tod. Obgleich es so nahe an dem hannöverschen Lande liegt, und ehemals ein Stück desselben ausmachte; so herrscht doch schon einige Verschiedenheit im Character und in den Sitten beyder Stämme. Da sieht man, welchen großen Einfluß die Regierungsverfassung hat. Dazu kömmt noch daß, was die Stadt selbst betrifft, Handelschaft und Hofsitten (und dieser Hof war einst sehr prächtig) dem ganzen Volke eine Wendung gegeben haben, wovon man in Hannover keine Spur findet. Ich bekenne es, ohngeachtet dieser größern Geschliffenheit, mögte ich doch lieber dort als hier wohnen, wenn ich einen dieser Oerter wählen müßte. Wir haben hier Gelehrte und schöne Geister aufgesucht, auch einige schätzbare Menschen kennen gelernt. Die jungen Herrn sind sehr vergnügt, und ziehen mich den ganzen Tag durch alle Gassen. Morgen sehen wir die Lustschlösser und Wolfenbüttel. Der Herr von Hohenau hat an seine Charlotte geschrieben; Ich bin so frey den Brief hier einzulegen. Es wird wohl viel verliebter Unsinn darinn stehen. Wie glücklich, daß ich ihn nicht zu lesen brauche! Gern, bester Herr! mögte ich Ihnen etwas so recht aus meinem Herzen sagen, aber ich weiß nicht wie es kömmt, daß ich so wenig aufgelegt bin. Und dazu machen mir die Reisegefährten den Kopf so warm. Der Eine lacht über alles, der Andre schmelzt aus Empfindsamkeit, und der junge Wallitz wundert sich über alles, ihm ist alles neu, er findet alles schön, und aller Orten so viel vortrefliche Menschen – Ich mögte zuweilen aus der Haut fahren – Doch, warum sollte ich Ihnen, mein theuerster Herr! mit meinem Spleen zur Last fallen? – Ich küsse Ihnen ehrerbiethigst die Hände. Meyer. Zelle den 22sten. Dieser Brief soll von hier fortgeschickt werden, und die hochansehnliche Gesellschaft trägt mir auf den Rest desselben mit der Erzählung unsrer weitern Reise anzufüllen. Indem ich nun lese, was meine Vorgänger geschrieben haben, um mich in ihren schleppenden Reisebeschreiberston hineinzuarbeiten; finde ich da zu meiner Befremdung des gelbsüchtigen Erzfeindes Meyers hämische Klagen über uns, die wir wahrlich in unserm kleinen Finger mehr Verstand haben (ich nehme den verliebten Herrn Bräutigam aus) als der Grillenfänger in seinem ganzen Körper. Mit so einem Menschen soll man nun leben, der nichts artig finden will, nicht einmal meinen Witz – Nein! das ist hart, das ist nicht auszuhalten. Auf dem höchst angenehmen Wege von Braunschweig nach Wolfenbüttel, zwischen Gartenhäusern, Lustschlössern und anmuthigen Wäldern schlief er ruhig ein; Als wir nach Wolfenbüttel kamen, rief er aus: »Mein Gott! Ist das eine Stadt, eine ehemalige Residenz? Es wächst ja Gras auf den Straßen. Man sieht keinen Menschen. Am hellen Mittage meint man, die Leute lägen alle zu Hause in ihren Betten.« Die herrliche Bibliothek nannte er einen unnützen, vergrabenen Schatz. Die erste freundliche Miene auf der ganzen Reise machte er, als er Lessingen sah. Doch war, was er auch zu ihm sprach, alles bizarr und verschroben. Er behauptete unter andern, wir kämen in reellen Kenntnissen gar nicht weiter, dreheten uns immer in dem Circul alter aufgewärmter Ideen herum, und daran wäre das Bücherschreiben Schuld. Da brächte ein jeder seine Einfälle zu Papiere, gäbe diesem Papiere Cours, und verewige dadurch seine Privatmeinungen. Die Nachkommenschaft werde dann von Jugend auf gewöhnt nur das schon Gedachte, als currante Waare Geltende, durchzulesen, ihre Gedankenreyhe nach diesem Muster zu knüpfen, und so gienge keiner einen neuen Weg. Man sollte, meinte er, um einmal eine Hauptrevolution in den menschlichen Erkenntnissen zu machen, alle Bibliotheken, groß und klein verbrennen, so wie Alexander der Große, um seiner Armee alle Hofnung zu benehmen zurückzugehn, die ganze Gegend hinter sich und die sämtliche Bagage verwüsten und zertrümmern ließ. Dergleichen Einfälle brachte unser hypochondrische Freund in Menge vor, und als wir auf der Reise von Wolfenbüttel hierher nach Zelle durch die lange öde Heide kamen, da hätten Sie ihn über die Natur schimpfen hören sollen. Indessen muß ich ihm die Gerechtigkeit wiederfahren lassen, daß er sich hier noch so leidlich beträgt – Aber der Herr von Wallitz bittet mich aufzuhören. Er will doch auch gern ein Paar Zeilen zu diesem allgemeinen Rapport setzen. Leben Sie also wohl, lieber, vortreflicher Freund! Ich werde Ihnen nächstens einzeln schreiben. Weckel. Verehrungswürdigster, theuerster Wohlthäter! Noch habe ich keine unangenehme Minute gehabt, seitdem wir in Urfstädt in die Kutsche stiegen. O! welch' ein Vergnügen ist doch das Reisen! Und wie viel lerne ich jeden Augenblick; Nicht nur, da ich viel neue Gegenstände, viel Menschen sehe, sondern auch indem dadurch die Gelegenheit entsteht, über unzählige Dinge und auf so verschiedene Art zu raisonnieren und raisonnieren zu hören. Zelle ist ein gar allerliebster freundlicher, obgleich nicht großer Ort. Die Vorstädte machen den angenehmsten Theil davon aus; Auch wohnen darinn die angesehensten Leute. Die hiesige Lebensart ist so ungezwungen, der Ton in Gesellschaften so zutraulich! Der Umgang hat durch die Verwandtschaft der ehemaligen Herzoge von Zelle mit französischen Häusern, durch die hierher gezogenen Hugenotten und durch den Krieg grade so viel von französischer Leichtigkeit angenommen, als nöthig ist, die glückliche Mittelstraße zwischen Steifgkeit und Frivolität zu halten – Eine herrliche Politur, die dem Gepräge nichts benommen hat. Dazu kömmt, daß die verschiedenen Stände sich nicht absondern. Jeder sittliche, angenehme, sichre und verständige Gesellschafter (hätte er auch gar keine Ahnen) ist in Zelle in den ersten Circuln willkommen, da hingegen in Hannover das Ding ganz anders beschaffen ist. Man fängt an, hier so wie bey Hannover, Gärten im englischen Geschmacke anzulegen. Wir haben diesen Morgen eine öffentliche Anstalt gesehen, wobey freylich ein gefühlvolles Herz lebhaftes Mitleiden empfinden muß, worinn wir aber doch zugleich die Ordnung der Aufsicht, den Kostenaufwand, und die Reinlichkeit bewundert haben; Ich meine das Zucht- und Tollhaus. Sollte ich etwas daran aussetzen; so wäre es, daß diejenigen Unglücklichen, welche Verbrechen halber daselbst eingesperrt sind, wenn sie kein Vermögen haben, mit den Schwachen, Verrückten in dem nemlichen Zimmer sitzen, den ganzen Tag Unsinn hören müssen, und dadurch zuletzt auch in Gefahr gesetzt werden, den Verstand zu verliehren. Ferner dunkt es mich, daß einige Personen, die warscheinlich nicht ganz, oder nicht immer, sondern nur bey Mondswandelungen toll sind, zu enge eingesperrt werden, wodurch ihr Gemüth beängstigt, ihre Krankheit vermehrt und unheilbar wird. Uebermorgen reisen wir weiter, und denken den 26sten in Göttingen zu seyn. Ich verharre mit dankbarster Ehrerbiethung, Ihr gehorsamster Pflegesohn Wallitz. Fußnoten 1 dieser findet sich nicht. 2 Wenn das wahr wäre; so hätte der vortrefliche Stattler in Ingolstadt einen großen Vorgänger gehabt. 17. Brief Siebenzehnter Brief. An das Fräulein Caroline von Wilmar. ... den 20sten September 1771. Sie erwarteten wohl nicht, meine liebe Freundinn! als ich Ihnen neulich einen Theil meiner Schicksale erzählte, ich würde Ihnen bald melden können, daß ich den Mann, der einst der Gegenstand meiner ersten Liebe war, von Angesicht zu Angesicht – gesehen habe – Und doch ist dies heute der Fall. Aber fürchten Sie desfalls nichts für meine Ruhe! Freylich habe ich nicht ohne Gemüthsbewegung einen Menschen erblicken können, der mir ehemals so nahe am Herzen lag. Wer auch nicht scharfsichtiger Beobachter gewesen wäre, der müßte doch meine Bestürzung, meine Verlegenheit, den Ausdruck von tausend Empfindungen, die sich alle auf mich zudrängten, auf meinem Gesichte gelesen haben. Urtheilen Sie daher, ob dies alles meinem redlichen Gatten verborgen bleiben konnte. Es war mein Glück, daß dieser erschütternde Auftritt mich nicht in einem gesellschaftlichen Circul, sondern auf einem Spaziergange bey Urfstädt überraschte. Wie Herr Meyer dahin kömmt, das weiß ich noch nicht; Nur soviel habe ich erfahren, daß er sich seit einiger Zeit bey dem Baron Leidthal aufgehalten hat, und wenige Tage nach dem sonderbaren Zufalle, der ihn vor meine Augen brachte, mit ein Paar jungen Herrn auf Reisen gegangen ist. Doch auch ohne diesen Umstand, der ihn wieder von hier entfernt, würde mir in der Folge nicht bange für meine Gemüthsruhe seyn. Ich habe mich sorgfältig geprüft, und glaube mich stark genug, täglich mit ihm umgehn zu können, ohne daß je ein Gefühl von wiedererwachender Liebe in mir aufkeimen würde. Auch war mein sonst so ängstlicher Mann so voll edlen Zutrauens, daß er mir nicht die geringste Unruhe gezeigt hat. Ein Blick auf ihn und meine Tochter würde mich zur Vernunft zurückrufen, wenn ich mich je vergessen könnte. Aber ich bin auch jetzt ganz anders gestimmt, und würde in meinem Umgange die gehörige Vorsicht zu nehmen wissen. Unterdessen wäre ich doch neugierig zu erfahren, ob er mich wiedergekannt hat; Ich glaube es nicht. Zehn Jahre können schon ein Weibergesicht verändern. Wer weiß, wenn ich einmal das Glück hätte Sie, beste Freundinn! wieder zu umarmen, ob auch Sie mich dann noch kennen würden. Seyen Sie aber überzeugt, daß wenn auch die Zeit meine Züge verändert, dieselbe doch keinen Wechsel hervorgebracht hat in dem Herzen Ihrer Ihnen treu ergebenen Freundinn Wilhelmine. 18. Brief Achtzehnter Brief. An den Herrn Etatsrath Müller in Coppenhagen. Urfstädt den 10ten October 1771. Ich schicke Ihnen, mein lieber Freund! hier einen Brief unsres muntren Weckels an Sie 1 , den er mir offen eingeschlossen hat. Von dem guten Meyer habe ich nur wenige Zeilen aus Göttingen erhalten, die (der Himmel weiß, warum?) voll böser Laune sind. Er schilt alle Universitäten, sagt: es seyen gelehrte Findelhäuser, wo manches Genie, durch Verwahrlosung und Mangel an guter Nahrung (indem man ihm nur aufgewärmte Wassersuppen reichte) ermordet würde. Wenn er ein großer Herr wäre, meint er, so würde er alle diese Weisheitssinnungen, diese öffentlichen Anstalten verwüsten, würde die Gelehrten bitten, in den Städten sich niederzulassen, und ihnen, ohne Dienste von denselben zu fordern, bequemen Unterhalt reichen. Ihm wäre alsdann nicht bange, ob ein solcher Mann Licht um sich her verbreiten und junge Zöglinge bilden würde. Da hätten wir die Einrichtung der alten philosophischen Schulen, denen wir alle unsre bessern Kenntnisse zu danken hätten, in welchen jeder seinen eigenen kühnen Gang gehen, wo nicht der graduirte Pedant, sondern das schöpferische Genie Epoche machen würde. Sie sind den 26sten Abends nach Göttingen gekommen, und haben den jungen Hundefeld, mitten unter Büchern, gesund und vergnügt gefunden. Ich schreibe diese Zeilen in Eil, weil ich Besuch erwarte. Es gehe Ihnen wohl, lieber Freund! Denken Sie zuweilen an Ihren Leidthal. Fußnoten 1 den folgenden neunzehnten. 19. Brief Neunzehnter Brief. (in dem vorigen eingeschlossen.) An den Herrn Etatsrath Müller in Coppenhagen. Zelle den 23sten September Abends. Ich will diesen Brief an Sie noch hier in Zelle anfangen, und denke daran so fortzuschreiben, bis ich nach Frankfurt komme. Heute waren wir in einem Privatconcerte, und ich habe gefunden, daß hier recht viel Musicliebhaberey herrscht. Sie wissen, daß ich schon sehr vortheilhaft von den mildern Sitten einer Stadt urtheile, in welcher man Geschmack an Tonkunst findet. Da schleiche ich gewöhnlich, wenn ich an einen fremden Ort komme, des Abends durch die Gassen und horche, ob in den Häusern gespielt und gesungen wird, höre was für Melodien das gemeine Volk, welches mir begegnet, trillert oder pfeift, und wenn ich merke, daß Harmonie in einer solchen Stadt wohnt; so lege ich mich ruhig in das Bette, ohne mein Zimmer zu verschliessen. In Hannover schien mir der Geschmack in der Music steifer als hier. Das dortige königliche Orchestre ist aber dennoch mit einigen guten Spielern besetzt, und diese werden gut besoldet. Nur hat es mich gewundert zu hören, daß die Größe des Gehalts sich nicht nach dem größern Talente, sondern nach der Anciennität richtet. Man hat mir erzählt, (ich stehe nicht für die Wahrheit der Sache) daß der Aelteste unter den Hofmusikern allzeit die stärkste Gage bekäme, wäre er auch nur ein leidlicher Bratschenspieler, da indeß der unentbehrlichere aber jüngere erste Violinist sich vielleicht nur halb so hoch steht. Morgen reisen wir fort – Gott befohlen, Herr Etatsrath! Göttingen in der Crone, den 28sten. Noch ein Paar Zeilen, ehe ich fortreise, denn ich bin im Begriff mich auf einige Zeit von meiner Gesellschaft zu trennen. Wir gehen zwar morgen zusammen nach Cassell; da aber die andern hohen Herrschaften sich daselbst einige Tage aufhalten werden, ich aber einen alten Freund ohnweit Herßfeld besuchen will; so fahre ich weiter, und werde erst wieder in Frankfurt zu ihnen stolzen. Herßfeld den 30sten Mittags. Ich bin in Hessen – Ja! meine Rippen fühlen es – Schöne Wege – Berge über Berge – fröhlige Armuth – Entvölkerung – schmutzige Wirthshäuser – schlechte Kost – langsame Postanstalten – Corruption des Landvolks, welche die Soldaten aus der Residenz bringen – liebäugelnde Mädgen – elende Music – ja! ich bin in Hessen – Mein Postillon pfiff den ganzen Weg durch eine jämmerliche Polonaise – Ich hätte toll werden mögen – Als ich mich aber mit ihm in ein Gespräch einließ, da erzählte er mir allerley seltsame Märchen; Unter andern versicherte er mich, es habe ihn ein Zigeuner fest gegen Stich und Schuß gemacht – Muß ich nicht schon wieder auf die Pferde warten! – Indem ich so im Zimmer umher suche, finde ich eine gedruckte Nachricht von den Geschenken, die im vorigen Jahre an das hiesige Waisenhaus eingeschickt worden sind. Da steht zum Beyspiel: es habe Einer einen Kalbsbraten geschenkt, und sich dagegen vorbehalten, man solle Gott um Gesundheit für ihn bitten – Wie doch jedermann hier in Hessen so fehlerhaft schreibt! Hier liegt eine gedruckte Verordnung, in welcher auf einer Seite vier Fehler gegen die Rechtschreibung sind. Ich habe die von den galanten Franzosen verwüstete Stiftskirche besehen. Schade um das herrliche Gebäude! Der große Bogen des hohen Altars steht noch majestätisch, in dem edelsten Styl gebauet, mit den beyden Nebenportalen da – Endlich kommen die Pferde – Fort von hier! – ... den 2ten October 1771 Morgens. Ich habe seit vorgestern manche vergnügte Stunde bey meinem alten Freunde zugebracht. Er hat den letzten Krieg mitgemacht, und darinn den Ruhm eines herzhaften, redlichen Mannes erworben. Da ihn der Fürst nicht so für seine Dienste belohnte, als er es erwarten konnte; so nahm er seinen Abschied, lebt nun auf seinem Eigenthume, wo er von jedermann geliebt ist, und würkt so viel Gutes als er kann. Er ist von gar milder, edler Gemüthsart, ein warmer Freund aller redlichen Menschen, gastfreundschaftlich, (wie es denn überhaupt der hessische Adel ist) wohlthätig und dienstfertig. Er hat kürzlich ein kleines liebes Weib, die Tochter aus einer benachbarten Familie, geheyrathet, mit welcher er herzlich lebt. Sie ist so edel und gut als er, und hat, obgleich ganz auf dem Lande erzogen, einen sehr cultivirten, feinen Verstand. Beyde lesen fleißig zusammen die besten neuern Schriften, und bringen so ihr Leben heiter und nützlich für sich und Andre hin – Es thut mir wehe, daß ich mich von diesen guten Menschen trennen muß – Hungen den 4ten Abends. Ich habe glücklicherweise einen angenehmen Reisegefährten, den sächsischen Major von Sterkfeld gefunden, der mit mir bis Frankfurt gehn wird. Wir sitzen hier im Wirthshause, und erzählen uns allerley. Jetzt da er eben ein Paar Briefe schreiben muß, will auch ich, bis unser Abendessen kömmt, ein wenig mit Ihnen plaudern. Ich habe ohnehin nichts zu lesen bey mir. Der Wirth, den ich bath mir ein Buch zu leyhen, brachte mir einige gottselige Gedanken bey Hinrichtung eines Räubers. Es war nemlich die Bekehrungsgeschichte eines Delinquenten. Herr Walther Schandy meint, es sey im Grunde einerley, wie ein Schurke stürbe, und er hat wohl nicht Unrecht. Ich halte auch nicht auf Bekehrungen von der Art, wenn das Messer an der Kehle sitzt. Thaten können nur durch Thaten ersetzt werden, und Eine Stunde kann nicht das erwiesene Unrecht von vierzig Jahren vergüten. Das wäre eine schöne Gerechtigkeit und ein herrlicher, bequemer Schlupfwinkel für den Bösewicht. Wenn mein Sohn auf Universitäten will; so muß er auf Schulen fleißig gewesen seyn. Ich lasse es gelten, daß er aufrichtigst bedaure, seine Zeit schlecht angewendet zu haben, aber was hilft mir das? Er ist zu keinem höhern Unterrichte qualificiert, und kann, so sehr ich ihn auch liebe und beklage, doch ohnmöglich verlangen, daß ich ihn Philosophie lehre, wenn er noch nicht lesen kann. Weil wir eben von Schulen reden; so muß ich Ihnen doch etwas erzählen, das mir der Major von Sterkfeld beschrieben hat. In der Reichsstadt ... herrscht bekanntlich wenig Sorge für die Erziehung der Jugend. Lustbarkeiten und Gewinnsucht lassen den Eltern nicht so viel Zeit übrig, um daran zu denken. Die ansehnlichste Schule hält ein gewisser Herr Eyermann. In derselben werden dreyhundert Knaben zusammengearbeitet. Gern nähme der liebe Mann auch tausend auf, wenn es möglich wäre, sie in das Zimmer zu stopfen, denn dies Zimmer ist so klein, daß die Kinder ihre Arme kaum von dem Leibe bringen können. Bey dem Eintritte muß ein jeder seinen Hut hergeben, welcher mit den übrigen zu einer großen Pyramide aufgethürmt wird. Diese Pyramide wirft der Herr Präceptor, nach Endigung der Stunde, mit dem Fuße um, und dann stürzen alle Knaben über den Haufen her, und suchen ihr Eigenthum heraus, wobey es nicht selten Stöße und Schläge giebt. Die entsetzlichen Ausdünstungen der also eingepropften Kinder machen denn fast in jeder Stunde den Einen oder Andern ohnmächtig; Er wird sodann in die Höhe gehoben, und wandert aus einer Hand in die andre bis zu der Thür, wo er, weil er nicht zu seinen Hut hat kommen können, mit dem Angstschweisse auf der Stirn, im bloßen Kopfe sich der Luft aussetzen muß. Auch verliehrt jeder Junge, der vier Wochen diese Mördergrube besucht, seine gesunde Farbe. Eine Mutter, welche einen vernünftigen Mann um Rath fragte, ob sie ihre Söhne zu den Herrn Eyermann schicken sollte, und von ihm erfuhr, wie es dort hergeht, entschloß sich die Probe mit einem weniger geliebten Kinde zu machen. Wenn dieses seine rothen Backen verlöhre, meinte sie, dann wollte sie die übrigen nicht hingehen lassen. Mit dem Unterrichte geht es in dieser Schule folgendergestalt zu: Er lehrt die Knaben, wie Papagaien, Dinge auswendig lernen, womit sie bey ihren Eltern, zur Ehre des gelehrten Unterrichters paradieren, aber wobey sie nichts denken können. Diese Kenntnisse werden ihnen vermittelst einer großen Peitsche beygebracht, welche Herr Eyermann so zu dirigieren weiß, daß er jeden auch noch so entfernten Schüler auf den rechten Fleck trifft. Die Belohnungen aber bestehen in Anweisungen an die Eltern, zum Beyspiel: dem Knaben Georg N.N. für seinen bezeigten Fleiß heute vier gute Groschen zu bezahlen. So wird dann das ganze Ressort zu edler Anstrengung – Furcht und Gewinnsucht; die Peitsche und das Geld – Wie gefällt Ihnen das Bild dieses Philanthropins? Nun muß ich Ihnen aber auch eine lustige Geschichte liefern, die der Major selbst mit angesehen hat. An dem Hofe zu ... speiseten ein Paar Officiere, welche in der Nachbarschaft auf dem Lande in Quartier liegen. Sie aßen ihre gute Portion von allem was ihnen angebothen wurde, hatten aber nicht das Herz, etwas zu trinken zu fordern. Nach der Tafel wurde lauhwarmes Wasser zum Mundausspülen herumgegeben, und nun glaubten die guten Männer, welchen diese Gewohnheit unbekannt war, das Wasser austrinken zu müssen. Sie schluckten es also nieder, wurden elend, mußten sich augenblicklich entfernen, und alles von sich geben. Sie sagten hernach: man habe sie sehr gut bewirthet; Nur die Gewohnheit keinen Wein sondern warmes Wasser zu trinken, könne ihr Magen nicht ausstehen – Da kömmt unser Abendbrod! Ich bin froh, daß doch hier kein Franzwein herrscht. Sonderbar! In ganz Niedersachsen wird fast lauter Franzwein getrunken, ein Wein, der, so wie er da ist, gar nicht wächst. In Bremen sind die Brauhäuser, worinn er vor aller Menschen Augen gemacht wird. Jedermann weiß das, und doch trinkt man dies elende erhitzende Zeug und die Pollicey leidet es. Nun wollen wir speisen. Das Zimmer, darinn wir sitzen, ist ganz hübsch. An den Wänden hängen Monumente fürstlicher Heldenthaten. Es sind Bilder von Hirschen und Rehen, darunter immer geschrieben steht: »den 20sten ... haben Ihre Hochfürstl. Durchl. diesen ansehnlichen edlen Hirsch Nro. I. geschossen« u.s.f. – Gute Nacht! – Frankfurt am Mayn, im Gasthofe zum römischen Kaiser, den 5ten October. Ich komme eben an, und finde einen Brief von Meyer, darinn er mir meldet, sie würden morgen hier eintreffen – Die Post geht ab; es ist über fünf Uhr – He! Keller! Licht – Leben Sie wohl, ehrlicher guter Freund! Weckel. 20. Brief Zwanzigster Brief. An den Herrn von Hohenau in Frankfurt am Mayn. ... den 8ten October 1771. Kaum bin ich drey Stunden in dem Besitze Ihrer zuletzt an mich geschriebenen Zeilen, und schon schreibe ich wieder an Sie, theuerster, bester Freund meiner Seele! Ach! es ist die einzige Beschäftigung, der ich mich so von ganzem Herzen überlasse. Seitdem Sie aus meinen Armen gerissen sind, geniesse ich keinen frohen Augenblick, ausser wenn ich entweder Ihre Briefe erhalte, oder durch ein zärtliches Seelengespräch mich an Ihre Seite hinversetze – Und doch ist auch keine dieser Freuden ganz lauter, ganz vollkommen. Ihr letztes Blatt – darf ich es sagen, daß meine Zärtlichkeit nicht davon zufrieden ist? – Sie schreiben so kurz, so eilfertig, und die Liebe macht so besorgt, so ängstlich – Ach Carl! Wenn Sie Ihre Charlotte vergessen könnten – Wenn neue Gegenstände fähig wären, Eindruck auf das Herz zu machen, an dessen ganzen einzigen Besitz die Ruhe meines Lebens unauflöslich geknüpft ist – Vergieb, Geliebter! vergieb den bangen Zweifeln Deines Mädgens – Ich setze kein Mistrauen in Deine Redlichkeit, in Deine Treue – Nein! gewiß nicht! Aber wie, wenn unvermerkt mein Bild, das Du in Dein Herz aufnahmst, zu verlöschen anfienge, wenn meine Züge sich mit andern vermischten, von irgend einer jener artigen Frauen, welche Du auf Deiner Reise kennen lerntest, und die Du mir mit so viel Wärme lobst? – Ich bin heute ausserordentlich zur Schwermuth gestimmt – Meiner Einbildungskraft drängen sich immer neue Bilder der Traurigkeit und des Jammers vor – Wenn ich denke, daß noch so mancher Tag langsam dahinschleichen wird, bis zu den Augenblick unsres frohen Wiedersehens; daß mein Geliebter so manchem Unfalle ausgesetzt ist; daß jede Stunde mich weiter von ihm entfernt – Wo kann ich da Trost, wo Beruhigung finden, als in Deinen Briefen? O! schreiben Sie bald wieder an Ihre Charlotte, mein Bester! Um unsrer Liebe willen, thun Sie es! Noch muß ich Sie bitten, Ihren nächsten Brief nach ... zu richten; Ich gehe auf dringende Einladung in einigen Tagen zu der Frau von Weckel. Diese gütige Freundinn glaubt, daß einige Zerstreuung meiner Gesundheit zuträglich seyn mögte. Wir wollen die Klagen über die Abwesenheit unsrer Freunde vereinigen, und das wird vielleicht meine Seele erleichtern. Unsre Eltern sind jetzt leidlich wohl. Von meinem Bruder habe ich gestern einen Brief erhalten. Er ist, da nunmehr Cameralwissenschaften sein Hauptstudium seyn müssen, den 28sten voriges Monats auf den Harz gegangen, wo er, um einige Idee vom Bergwesen zu bekommen, ein halbes Jahr bleiben wird. Es gefällt ihm sehr wohl dort. Die ersten Tage besahe er nur den Unterharz, und war über Nordheim nach Seesen gereiset, wo er einen Freund hat, einen treflichen muntren Mann, der, glaube ich, dort als Forstmeister steht. Seesen macht ein kleines Städtgen aus, in welchem einige wackre Leute wohnen, welche ganz gesellig, theils unter sich, theils mit der Nachbarschaft leben. Von da gieng er auf einige Stunden nach Gandersheim, wo ein kleiner Hof der Aebtissinn (vom herzoglich-braunschweigischen Hause) ist. Dieser Ort gefiel ihm nicht sehr. Er hat auch die alte grämliche Reichsstadt Goslar mit ihren verfallenen schwarzen Mauern gesehen. Jetzt ist er in Zellerfeld, einer Stadt die mit Clausthal, wo so viel ich weiß die churfürstliche Direction ist, (denn die beyden braunschweig-lüneburgischen Häuser haben beyde Antheil am Harze) beynahe zusammenhängt. Hier kann er nicht genug beschreiben, wie gesellig die Leute leben; welche herrliche, wilde, romantische Gegenden er täglich sieht; wie der ehrwürdige Tannenwald so majestätische, malerische Scenen darbiethet; und wie freundlich das gemeine Volk, die Bergleute sind. Er glaubt überhaupt bemerkt zu haben, daß die Menschen in bergigten Gegenden, auch wenn sie noch so arm sind, sanftere Sitten, mehr Zutraulichkeit im Character führen. Den größten Theil vom Jahre liegen die Spitzen der Gebürge voll Schnee. Auf dem Oberharze wächst wenig, und die armen Leute tragen die Gartengewächse aus den untern Bergstädten auf dem Rücken hinauf. Vielleicht kömmt es von dieser Anstrengung, oder auch vom Wasser, daß man hier so viel Kröpfe wahrnimt. Mein Bruder fährt täglich in die Gruben. Man nennt das Fahren, wenn man mit einem schmutzigen schwarzen Bergmannskittel, und einem Lämpgen in der Hand die Leitern hinunterklettert. Es muß sehr interessant seyn, so im Schooße der mütterlichen Erde, fern von allen Verderbnissen der Oberwelt, herumzuspazieren. Aber freylich, man spaziert nicht; Es sind nur enge, zum Theil sehr niedrige Gänge. Als mir mein Bruder schrieb, war er im Begriff den ersten heitern Tag zu einer Reise auf den Blocksberg, oder Brocken, zu bestimmen. Er geht hier immer zu Fuße, denn die Wege sind zum Fahren und Reiten sehr unbequem. Es ist auf dem Harze weit kälter, aber doch eine reinere Luft, als in den Thälern, und da es nicht an Holze fehlt; so wird bey irgend kühlem Wetter ein geselliges Caminfeuer angezündet. Meine Mutter ruft mich ab – Ich muß also schliessen, und hätte Ihnen noch so viel zu sagen, indeß ich die schöne Zeit mit meinem schalen Gewäsche über den Harz verschwendet habe – Ich ärgre mich über mich selbst – Lebe wohl, einziger bester Freund meines Herzens! Vom frühen Morgen, bis wenn sich meine Augen zum Schlaf schliessen, beschäftigt das Andenken an Dich, Deine treue Charlotte. 21. Brief Ein und zwanzigster Brief. An den Freyherrn von Leidthal in Urfstädt. Frankfurt am Mayn den 9ten October 1771. Diesmal, mein vortreflicher Wohlthäter! bin ich der Einzige von unserer Gesellschaft, der Ihnen schriftlich aufwartet, und darauf will ich stolz seyn. Ich soll Ihnen melden, wie es uns seit unserer Abreise von Göttingen gegangen ist; Hier ist kurz die Geschichte davon. Verzeyhen Sie nur, wenn ich Ihnen das so gradeweg erzähle, und wenn ich weder mit der Wärme, Gründlichkeit noch mit dem Witze schreiben kann, wie die Herrn von Hohenau, Meyer und von Weckel thun würden. Diese guten Männer sind durch einen Freund genöthigt worden auszugehn, eine Schmetterlingsammlung zu besehen, welche die beste in Europa seyn soll, das mir denn auch, um des Besitzers willen, herzlich lieb ist. Weil ich aber davon nichts verstehe, auch nicht begreife, wie man an todten aufgespießten Thieren, wären sie auch noch so bunt, Vergnügen finden kann; so bin ich zu Hause geblieben, die angenehmste Pflicht zu erfüllen, Ihnen bester Herr! von uns Nachricht zu geben. Wir reiseten von Göttingen nach Cassell. Meine Gefährten waren so sehr mit dieser wahrlich schönen Stadt bekannt, daß ich Mühe hatte sie zu bewegen, daß sie sich meinetwegen hier etwas aufhielten. Indessen habe ich doch das Merkwürdigste gesehen, und Sie können denken, wie mich alles überrascht und entzückt hat. Man sagt, in Berlin finde man das mehr im Großen, und hier sey fast alles Nachahmung – Was bekümmert aber das mich, dem nie etwas Schöneres von der Art unter die Augen gekommen ist? – In Marburg hielten wir uns nur eine Nacht auf. Den andern Morgen besahen wir, ehe wir in den Wagen stiegen, die Bibliothek; mehr weil wir Gelehrte vom Handwerke sind, als weil die Sammlung so sehenswerth, oder der Nutzen von einer solchen kurzen Besichtigung der Bände beträchtlich wäre. Als wir wegfuhren, marschierte grade die Garnison zum Herbstmanöuvre aus dem Thore, welches uns ein wenig aufhielt. Man sagt den hessischen Officieren nach, daß sie entsetzlich zu fluchen pflegen. Ich weiß nicht, ob das wahr ist, aber das hörte ich denselben Morgen, und schrieb mir's auf, daß ein Officier, welcher mit einem Soldaten schmählte, demselben zurief: »er wolle, daß der Teufel ihm in den Rachen hinunter führe, ihm das Fett vom Herzen risse, Lichter davon machte, und ihn damit in die Hölle leuchtete.« In Giessen hielten wir Mittag. Eine Gesellschaft niederländischer Kaufleute und deren Frauen speiseten mit uns. Dem Herrn von Weckel gefielen sie nicht; Es war ein Mann dabey, mit großen Glasaugen, von denen unser muntrer Freund behauptete, sie sähen aus, wie die kleinen runden Fensterscheiben in alten Häusern. Die Frau desselben Mannes hatte alle ihre Ringe an den Daumen gesteckt, und ein Knabe, vermuthlich dieses Pärchens Sohn, fraß so entsetzlich von allen Gerichten, als wenn er, da doch einmal der Vater bezahlen müßte, sein Geld wieder herausessen wollte. Des Abends kamen wir nach Wetzlar, und blieben den ganzen 4ten October dort. Wir wurden in ein Paar Häusern bekannt, und hatten Ursache uns dazu Glück zu wünschen, denn wir lernten einige herrliche Menschen persönlich kennen, die uns schon vorher theuer gewesen waren. Der Ton der Gesellschaften in Wetzlar ist sehr bequem und leicht. Man hatte uns viel von der daselbst herrschenden Verderbniß der Sitten gesagt; aber wir blieben nicht lange genug dort, um diese Nachrichten zu berichtigen, und wo auf dem Erdboden ist jetzt nicht Verderbniß der Sitten? – Aber Eine Bemerkung haben wir gemacht, die dort wohl jedem Beobachter einfallen muß. Es werden nemlich in Wetzlar jährlich ungeheure Summen verzehrt, sowohl von der großen Anzahl gut besoldeter Assessoren, als auch von der Menge der Procuratoren, die sich ihre Arbeit, wie billig, von reichen Partheyen tapfer bezahlen lassen. Dazu kömmt das Heer von Sollicitanten, die jungen Practicanten, und der Aufwand der Visitationscommission. Diese Millionen fremdes Geldes, welches ganz von Aussen herkömmt, und in Wetzlar verzehrt wird, sollten doch vermuthen lassen, daß man hier reiche, wohlhabende Kauf- und Handwerksleute finden, Wohlstand bemerken, jeden Nahrungszweig blühen sehen müßte; aber nichts weniger! Armuth und todte Stille herrschen in den mehrsten Gassen dieser schlechten, höckrichen, auf Hügeln gebaueten Stadt. Die Fenster sind, wo Scheiben fehlen, mit Lumpen ausgestopft, oder mit Papier zugeklebt; Es müssen äusserst faule oder liederliche Leute hier wohnen. Wir besuchten den 5ten, begleitet von einem Freunde, die Prämonstratensernonnen im Kloster Altenburg. Die guten Mädgen wohnen da ganz angenehm; die Aussicht ist herrlich; Es sind hübsche junge, gut erzogene, mehrentheils adeliche Frauenzimmer darunter. Sie können einige Monate im Jahre abwesend seyn, dürfen oft Wetzlar und die Nachbarschaft besuchen, auch Zuspruch von beyden Geschlechtern annehmen – Und doch wohnt auf den mehrsten Gesichtern Kummer, Sehnen nach einem bessern Zustande. Gern hätte ich manche jetzt verwelkte Schönheit um die Geschichte ihres Herzens gefragt. Eine Begebenheit hörten wir dort, die der Herr Meyer aufgeschrieben, und welche ich mit seiner Erlaubniß, so wie er sie hingesetzt hat, aus seinem Tagebuche hier einrücken will. »Es soll eine alte Nonne dort gewesen seyn, welche kürzlich das Ende ihrer Leiden im stillen Grabe gefunden hat. Sie liebte einen guten Jüngling, ohne die Einwilligung ihrer Verwandten zu einem Bündnisse mit demselben erlangen zu können; denn die Familie wollte aus Interesse ihr nicht erlauben, ihn zu heyrathen, sondern hatte beschlossen, sie in ein Kloster einzusperren. Zu diesem Endzwecke erfand der Bruder die List, sie mit der falschen Nachricht von dem Tode ihres Geliebten zu täuschen. Das arme Mädgen beweinte ihren Seelenfreund, hüllte sich dann in den klösterlichen Schleyer ein, entsagte der Welt, die keinen Reiz mehr für sie hatte, und suchte im heiligen Gebethe Ruhe und Erquickung für ihr krankes Herz. Fern von allen Weltverbindungen floh sie in die treuen Arme des liebreichen Freundes aller Creaturen, und fand da einen negativen Zustand von stiller Glückseligkeit oder Unempfindlichkeit, in welchem sie ihren bittern Schmerz vergaß, und nicht die unzähligen Leiden sah, die um uns her die Seelen so mancher Guten zerreissen, und die Ruhe des theilnehmenden Menschenfreundes jeden Augenblick stöhren.« »An einem heissen Sommertage kam ein fremder Reisender vor das Kloster – Es war ein schweres Gewitter am Himmel, das die Athmosphäre drückte und reizbare Nerven angriff – Die arme Klosterfrau fühlte sich so beängstet – Sie bethete zu der heiligen Mutter Gottes; aber kein Frieden konnte an dem Tage in ihre Seele kommen – Sie stellte sich an das Fenster, wollte sehen, ob nicht bald die Thränen des Himmels die gepreßte Natur erleichtern würden – Der Reisende fürchtete vom Regen überfallen zu werden; Er kam in den Klosterhof gefahren, und dachte: hier dürfe er um Erlaubniß bitten ein Stündgen unter Dach zu gehen, denn er war ein gar guter Mann, der, wenn gleich er im Wagen trocken saß, doch nicht gern das arme Vieh leiden sehen könnte. Die Nonne wollte vom Fenster zurücktreten; sie mogte keine fremde Gesichter sehen – Aber der Reisende stieg geschwind aus – Ach! und welch' ein Anblick! es war der Freund ihrer Jugend, den sie so lange betrauert hatte – Das arme Mädgen! Sie hat seit dieser Stunde ihre Augen nicht wieder aufgehoben, Sie glaubte, sie könnte nicht mehr so andächtig bethen – Aber der liebe Vater und Schöpfer der Menschenkinder erbarmte sich ihrer, und eiferte nicht, wenn Wehmuth die Heiterkeit, mit der sie vor ihn treten sollte, umwölkte – Jetzt hat sie den Trost gefunden, nach welchem sie so lange schmachtete« – »Sie zehrte nach und nach aus, war voll inniger Melancholie, klagte aber nie, war auch niemand zur Last, sondern gegen jedermann freundlich und liebreich. So steht sie nun vor Gott, und hat ihrem Bruder längst verziehen, aber es wird schon sein Ankläger einst vor dem Throne der Gerechtigkeit Rechenschaft über jede Thräne, jeden Seufzer seiner Schwester fordern.« So weit geht des Herrn Meyers Erzählung. Wir kamen den 6ten Abends hier in Frankfurt an, und fanden den Herrn von Weckel im römischen Kaiser. Diese drey Tage haben wir angewendet des Morgens und Nachmittags die wenigen Merkwürdigkeiten, die Gartenhäuser, die Gegend u.d. gl. zu sehn, des Abends aber verschiedene Privathäuser zu besuchen, um doch eine Idee von der hier herrschenden Lebensart zu bekommen. Wir waren zuerst in einer Gesellschaft des hiesigen Adels – Man setzte sich an den Spieltisch, und gieng um neun Uhr auseinander. Es soll fast täglich eine dergleichen Gesellschaft in irgend einem Hause seyn. Gestern waren wir Mittags zu Gaste, sodann in noch ein Paar Häusern von Handelsleuten, und den Abend in einer großen Gesellschaft von calvinischen Kaufleuten, in welcher der feinste, sittlichste Ton herrschte. Es waren sehr wackre cultivirte, bescheidene, durch Reisen und Umgang mit aller Gattung von Menschen sehr gebildete Leute darunter, und ich hörte einige Gespräche, die weder gemein noch langweilig waren. In einzelnen Stücken gefällt uns Frankfurt, sowohl nach dem was wir davon gesehen, als auch von Andern erfahren haben, gut genug, wenngleich, im Ganzen genommen, an der Art das Leben zu geniessen manches auszusetzen wäre. Die Absonderung der verschiedenen, sich im Grunde ziemlich gleichen verwandten Stände, und die Entfernung, in welcher die Religionssecten eine von der andern leben, geben schon den allgemeinen Belustigungen einen Zwang, den man, in diesem Zeitalter, beynahe in den größten Residenzen nicht mehr kennt. Schauspiele und andre öffentliche Vergnügungen sind, vielleicht aus dieser Ursache, ausser den Meßzeiten nicht. Daher darf man sich denn auch nicht wundern, wenn es, bey dem ohnehin noch nicht sehr geläuterten litterarischen Geschmacke dieser Gegenden, mit einer gewissen Art von Aufklärung, und mit dem feinern Gefühle für die schönen Künste, die so großen Einfluß auf die zartere Seelenbildung haben, nicht gänzlich so aussieht, als man es wünschen mögte, wenn man oft französische Leichtfertigkeit an der Stelle gründlicher Einsicht, statt philosophischen Sinnes schielenden Blick wahrnimt, und endlich merkt, daß die klügern empfänglichern Menschen, deren es hier gewiß viel giebt, sich entweder gänzlich vom Umgange absondern, oder wenn sie große Gesellschaften besuchen, den flachen Ton mit annehmen, und darüber zuletzt selbst zu Grunde gehn, indem, bey dem gänzlichen Mangel an Anstalten für die Bildung des Geistes, Verfeinerung des Geschmacks, und Austauschung origineller Ideen, aller Muth, alle Lebhaftigkeit des Gefühls, alle Gelegenheit weiter zu kommen, wegfällt. 1 Es sind viel große Häuser hier, wo sehr oft prächtige Gastereyen gehalten werden; Allein wenige, wo ein guter Freund ohnerwartet auf einem freundschaftlichen geselligen Fuße ein Paar häusliche Schüsseln mitzuessen willkommen wäre – Ja! man würde mit einer solchen Mahlzeit, wo Mäßigkeit und geringer Aufwand herrscht, sehr schlechte Ehre einlegen. Zu Ausfüllung der leeren Stunden ist hier das Spiel beynahe die einzige Belustigung, welche denn auch in vollem Maaß genossen, indem in Frankfurt entsetzlich hoch und viel gespielt wird. Zur Ehre des schönen Geschlechts, welches in dieser Stadt sehr reizend ist, muß man es sagen, daß keine Zügellosigkeit der Sitten hier hervorleuchtet, und daß die französische Lebensart doch die Sittsamkeit nicht verdrängt hat. Es versteht sich, daß ich nicht von einzelnen Ausnahmen rede. Ein edler Zug in dem Character der hiesigen Kaufleute ist die Wohlthätigkeit. In ihren Zusammenkünften, auch beym Spiel, vergessen sie der Unglücklichen nicht. In keiner Stadt von Deutschland wird vielleicht nach Verhältniß so viel an Arme ausgetheilt, und zu Collecten für Auswärtige, die durch Brand oder andre Calamitäten ins Elend gerathen, giebt oft ein einziger Mann hundert bis zweyhundert Gulden her. So viel über die Sitten und Lebensart dieser Reichsstadt, welche wir morgen verlassen werden – Verzeyhen Sie, bester Herr! wenn mein Brief zu lang gerathen ist; ich will jetzt schliessen, indem sich Ihrer Gnade und väterlichen Güte fernerhin empfiehlt Ihr gehorsamster Diener Wallitz. Fußnoten 1 Sollte es vielleicht, um der Schwachen willen, nöthig seyn zu erinnern, daß dies von dem Zustande vor zwölf Jahren, und dennoch nicht allgemein zu verstehen ist? 22. Brief Zwey und zwanzigster Brief. An den Herrn Hauptmann von Weckel, auf der Reise. Coppenhagen den 12ten October 1771. Herzlichen Dank, mein geliebter, theurer Freund! für Ihren gütigen Brief; Er hat mir einige recht fröhlige Augenblicke gemacht. Ich kann nicht genug sagen, wie sehr ich Sie um Ihre glückliche Laune beneiden könnte. Sonderbar ist es doch mit den verschiedenen Dispositionen der Menschen beschaffen. Mich haben so viel ertragene Schicksale gar zu sehr in Moll gestimmt. Ich war einmal ein recht munterer fröhliger Mann; Ich konnte so recht aus Herzens Grunde lachen, und der ehrliche Müller war dafür bekannt, daß er keine Gesellschaft verdarb. Wenn ich einen kleinen Plan zum Vergnügen für mich oder Andre entwarf, oder irgend eine Aussicht, Wonne einzuerndten, vor mir zu erblicken glaubte, dann hatte ich Vor- und Nachgenuß. Gerieth eine kleine Wiederwärtigkeit dazwischen; so kam ich anfangs aus aller Fassung; Aber Ein Augenblick von besserer Ueberlegung war hinreichend, wenn ich nur noch einen Schlupfwinkel fand, mich wieder mit neuem Muthe zu erfüllen, mich alles vergessen zu machen, und dann sah man mich wieder so heiter als vorher. Auf diese Art kämpfte ich lange gegen das Ungemach, und oft war mir es schon Erleichterung, wenn ich nur über das Schicksal, und die Eindrücke, welches dasselbe auf das Herz des Menschen macht, raisonnieren konnte. So gerieth ich dann auf manche theils neue Bemerkung, theils auf irgend einen frisch aufgestutzten Gemeinspruch, der in der neuen Livree mir wenigstens für den Augenblick diente, mich ein wenig zu trösten. Ich sah unter andern, daß doch niemand in der Welt so unglücklich ist, daß er mit einem Andern, so oft er diesen auch beneidet, gänzlich gradeauf tauschen mögte, nemlich wenn er alles Gute und Böse, Vollkommenheiten und Fehler, Dispositionen der Seele und des Körpers, Verbindungen Kenntnisse, Gefühle, kurz, sein ganzes Wesen mit dem Wesen des beneideten Glücklichern umwechseln müßte. Ich fand, daß das die seltensten, edelsten Seelen sind, die auch mitten im Schmerze dem Gefühl der Freundschaft offen bleiben, die ihren Kummer nicht Andre empfinden lassen, und durch Traurigkeit nicht böse Launen bekommen, sondern um so liebevoller gegen ihre Brüder werden, wenn der Balsam, den sie so gern in fremde Wunden giessen mögten, ihre eigenen nicht heilen kann. Ich erfuhr, daß man den Menschen fliehen soll, der fähig ist, einem schon gekränkten Manne, auch wenn er von ihm beleidigt wäre, eine böse Stunde zu machen, der kein Gefühl für die heilige Unverletzlichkeit des Unglücklichen hat. Mit dergleichen Beobachtungen zerstreuete mein Verstand die trüben Wolken, welche meine Seele umhüllten; Aber der Schläge kamen zu viel – Wenn ein Papier gar zu oft gefaltet wird; so ist es zuletzt nicht mehr glatt zu machen. Nunmehro also, da es nur wohl geht, drücken mich noch die alten Beugungen. Ich fühle einen sonst nie gekannten Hang, alles in unangenehmen Lichte zu sehen; Ich bin lustig, ohne fröhlig zu seyn, und, was mich am mehrsten kränkt, ich kann nicht mehr so lebhaft an der Freude Anderer Theil nehmen. Diesen Brief gebe ich dem Doctor Verenholz mit, der Sie in Frankfurt aufsuchen, oder den Brief, wie Sie es befohlen haben, im römischen Kaiser abgeben wird. Ich wünschte, Sie lernten den Mann genau kennen. Feinheit des Geistes, Reinigkeit des Herzens, Menschenliebe, Thätigkeit, Wärme, Sanftmuth, Bescheidenheit und Milde verbindet er mit Weltkenntniß, Lectur, Geschicklichkeit und Witz. Aeusserst mäßig in allem, hat er nur wenig Bedürfnisse zu befriedigen, aber doch ein Paar Leidenschaften, die an sich nicht unedel sind, aber ihn doch oft in Verlegenheit setzen; denn seine häuslichen Umstände sind nicht die besten, obgleich er nie klagt, denn er kennt die Menschen genug, um zu wissen, daß sie den unter die Füße treten, von dem sie wissen, daß er ihrer bedarf. Vielleicht übertreibt er diesen Grundsatz ein wenig, indem er lieber das Aeusserste leidet, als seinem vertrauetesten Freunde seine Bedrängnisse zu klagen, so sehr ihn auch dieser durch einen liebevollen, bittenden Blick, durch ein stummes Händedrücken, ein vorausbezahltes Thränchen der Theilnehmung, oder durch zutrauliches Aufdecken eigener Verlegenheiten zu ermuntern sucht; Es ist alles vergebens. Er würde, wenn er Feinde hätte, nie davon reden, denn er hat den Grundsatz, daß jeder feste Mann sich selbst schützen müsse, und da des Kämpfens in der Welt so viel wäre; so sey es vergebens Alliirte zu suchen, weil dieselben bey der ersten Gelegenheit, wo es eigene Sicherheit gilt, davon liefen; Man müsse immer sagen: »Gottlob! mir geht es gut, ich habe Freunde.« Da hielte man uns dann für einen mächtigen Bundesgenossen, den man schonen müsse, und liesse uns ungeschoren, da hingegen auf den Verlassenen jeder, wie die benachbarten Fürsten auf die Rechte einer kleinen Reichsstadt herumtanzte, und den verfolgten Mann Alle auf grobe oder feine Art flöhen. Unterdessen kenne ich des guten Verenholz Umstände recht gut, und weiß, wie wenig sein Schicksal seiner würdig ist. Sein Hang zur Unabhängigkeit läßt ihn alle Gelegenheit fliehen in öffentlichen Geschäften gebraucht zu werden, und da er unverheyrathet ist; so hält er alles geduldig aus, und hilft sich, so gut er kann. Indessen bringt er gewiß seine Zeit nicht unnütz für die Welt hin. Er wird Ihnen von einem weitaussehenden Plane reden, an dem er schon so manches Jahr arbeitet, und zu welchem er, wenn ihn die Natur auf den Beinen erhält, den ersten Grundstein legen wird. Schade, daß es ihm Mühe kosten wird ein Paar Mitarbeiter zu finden! Es giebt wenig Menschen, welche ausdauern können; die Mehrsten, wenn sie auch für etwas warm werden, verliehren bald das Feuer, sobald die Sache nicht gut geht, oder sie nicht augenblickliche gute Früchte vor sich sehn. Einen schweren Plan für die Nachwelt anzulegen, wovon man gewiß weiß, daß man die Ausführung nicht erleben wird; und dennoch mit den ungeheuren Schwierigkeiten zu kämpfen; nicht müde zu werden; Gefahren, Aufopferungen aller Art, Wiedersprüche, Demüthigungen – Alles zu ertragen, und seinem Vorsatze getreu zu bleiben – das ist Größe der Seele! Ein solcher Mann ist der Ueberbringer dieses Briefes. Sie werden ihn lieb gewinnen, und wenn Sie einige glückliche Stunden mit ihm verleben; so gedenken Sie in Ihren Gesprächen zuweilen Ihres Ihnen ewig ergebenen Freundes Müller. 23. Brief Drey und zwanzigster Brief. An den Herrn Baron von Leidthal in Urfstädt. Maynz in der Reichs-Crone den 10ten October 1771 Abends 10 Uhr. Das wird einmal wieder ein sonderbarer Brief werden. Jeder will sein Stück dazu beytragen, und jeder schreibt seinen eigenen Styl – Es sey darum – Platz, meine Herrn! ich mache den Anfang, und gebe unserm theuersten Freunde Nachricht von der heutigen Reise. Also seyd still und ruhig, Ihr jungen Leute! sonst werde ich irre. So ist es recht! Herr Meyer raucht sein Pfeifgen Tabac und schreibt nach Dresden, und die beyden jungen Herrn lesen, denn sie haben sich aus einem von den unzähligen Buchläden in Frankfurt ein wenig Seelenfutter mitgenommen. Doch da geht Hohenau schon zu Bette – Gute Nacht! Wir kamen diesen Morgen auf den Einfall mit dem Marktschiffe hierherzugehn; desfalls schickten wir unsern Wilhelm mit der Kutsche zu Lande voraus, behielten Friedrich bey uns, und schifften uns um zehn Uhr diesen Morgen ein. – Wahrlich eine schöne Gesellschaft! Juden, Pfaffen, Viehhändler, Metzger, nebst Hunden und Zubehör – Ach! und welche liebenswürdige Frauenzimmer! – »Ich empfehle mich Ihnen, Jungfer Selzler!« – Eine sonderbare Sprache! Hier empfehlen sich die Leute, wenn sie kommen, andrer Orten empfiehlt man sich, wenn man fortgeht – Und wie alle Leute so fürchterlich laut schreyen; Es muß viel Taube hier geben. Nun, dachte ich, immerhin! Vater Noah war doch auch kein Narr, und hatte mit dem allen eine noch possierlichere Reisegesellschaft. Ich habe ihn schon oft als Knabe bedauert, wenn ich ihn auf den Tapeten oder in den Bilderbibeln abgemalt sah, wie der seekranke, blasse Mann aus dem kleinen Cajütenfensterchen guckt, und neben an aus dem andern Fenster ein Einhorn oder ein Cammeel den Hals hervorstreckt. – Ich wollte der gute Mann hätte, als er die ganze Menagerie nach des Ritters Linée System ordnete, wenigstens die Wanzen 1 mit von der Sündfluth ausrotten lassen. Der Herr von Hohenau, welcher hier im Nebenzimmer winselt, dankt es ihm mit dem Henker, daß der hiesige Hauswirth diese Art hübscher Thierchen, durch die Vorsorge des Erzvaters, aufbehalten hat – Doch das gehört ja nicht hierher. Wir arbeiteten uns durch den Haufen hindurch, über die Beine, Körbe, Kasten und Hunde weg, bis in das hintere Kämmerchen, wo wir denn den Kern der Gesellschaft antrafen. Jeder suchte sich einen Platz – Es war verzweifelt gepreßt – Warum, in aller Welt, muß auch dieser kleine Raum noch durch eine Menge Paquete beengt werden? Da kömmt jeden Augenblick noch eine Magd, und bestellt »ein schönes Compliment von ihrer Madam, und auf diese Schachtel bäthe sie vorzüglich wohl Achtung zu geben« und so geht das fort. Auf diese Art wohl eingepackt stiessen wir vom Lande. Nun fieng ein jeder an, die übrige Gesellschaft ruhiger zu betrachten. Dabey hatte mancher noch ein Restgen Frühstück zu verzehren, etwas an seinem eilig geordneten Anputze zu verbessern, sich bequemer zu setzen – Jetzt wurden Bekanntschaften gemacht – »Um Vergebung, mein Herr! Sie gehen gewiß weiter« – Dort sprach auf einmal jemand von Madrit – »Herr Jemine! so weit sind Sie schon gereiset?« Ein Landedelmann, der die Frauenzimmer mit platten Späßen unterhielt, und zuerst über jeden seiner oft probierten Einfälle selbst lachte, hatte seinen Sohn bey sich, einen groben Bengel von funfzehn Jahren, den er nach Holland bringen wollte, damit er dort Cadet würde, und gegen baare Bezahlung für die hochmögenden Herrn – exercierte. »Zehn Schritte vom Leibe, Du schmutziger Capuziner! Behalte Dein Ungeziefer für Dich!« – »Und das können Sie einem armen Mönch zurufen, den Noth oder Tyranney seiner Familie zu dieser unglücklichen Lage bestimmt haben?« – Aber er war doch gewaltig unwissend, denn als von der Inquisition geredet wurde, behauptete er, im Preussischen sey dieselbe noch allgemein eingeführt. Vermuthlich hatte er einmal etwas von der Regie reden gehört, die doch würklich eine vortrefliche Einrichtung ist. Ueber so etwas kann ich mich freuen. Man entsagt doch wohl nicht der Welt, um sich noch nachher um ihre kleinen Händel zu bekümmern, und mich hat es immer geärgert, wenn ich hörte, daß in Klöstern und Abteyen der Hauptgegenstand der Unterredung Zeitungsnachrichten sind. In der Ecke saß ein Deutscher, in einer abgetragenen französischen Officiersuniform. Er hatte ein junges Weibchen bey sich; Sie blickten sich oft traurig und kümmerlich an, und die arme Frau hielt ein Bündelchen an der Hand, worinn etwas Eßvorrath, zu Ersparung der Mittagsmalzeit, seyn mogte. Beyde kamen mir so bekannt vor, und ich erinnerte mich bald, wo ich sie gesehen hatte. Denn als ich im vorigen Jahre durch ... reisete, und des Abends, kurz vor Tische, aus meinem Zimmer über einen langen Gang in das Hinterhaus gieng, stand die Thür einer bewohnten kleinen Kammer offen, in welcher kein Licht war. Zwey Stimmen sungen ein deutsches Lied; die männliche begleitete die Melodie harmonisch eine Terz niedriger. Das Lied sollte munter gehn; aber es klang nicht fröhlig, wie sie es vortrugen. Mir kam es vor, als wollten die Leute sich nur einander Muth einsingen, oder nicht von unangenehmen Dingen reden, sich nicht gestehen, was jeder einzeln litt, und dem Andern verschweigen wollte, damit dieser heiter seyn mögte. Ich fragte damals den Wirth, und der sagte mir: »sie sängen, weil sie nichts zu essen hätten; der Mann sey ein abgedankter Officier und habe einen Proceß, von dessen Ausgange sein Glück abhänge.« Als ich des Morgens von ... wegfuhr, sahe ich denselben armen Officier auf der Gasse in einem eifrigen Gespräche mit einem Juden verwickelt, vermuthlich um Geld geborgt zu bekommen. Was weiter aus den Leuten geworden ist, und wie sie hier in das Marktschiff kamen, darnach habe ich mich nicht erkundigen können. Wo ich vorausweiß, daß ich nicht helfen kann, da vermeide ich das vorwitzige Nachfragen. Die übrige Gesellschaft in der Cajüte war nicht sehr interessant. In Höchst aßen wir zu Mittage. Dort hat ein reicher italienischer Tabacsfabrikant eine ungeheure Masse von Gebäuden aufgethürmt. 2 Die Eitelkeit, durch eine Reyhe von Schlössern dort seinen Nahmen zu verewigen, kostet den Herrn Bolengaro gewaltige Summen, wobey niemand als die Handwerksleute Vortheil haben. Ich kann nichts schön finden, was nicht zweckmäßig ist, und eine Tabacsfabrik, die wie ein königliches Schloß aussieht, ist etwas eben so elendes, als ein Reisekoffer, der mit Goldstoff überzogen wäre. Da auch gewöhnlich nach einer Reyhe von Jahren andre neuere Etablissements jede Fabrik dieser Art lahm legen; so ist vorauszusehn, daß den Erben einst dieser Steinhaufen sehr zur Last fallen und dann vielleicht der Churfürst von Maynz (wenn wir zu der Zeit noch Churfürsten haben) den ganzen Bettel um eine geringe Summe kaufen wird. Hinter Höchst kamen Musicanten in das Schiff, die das lustige Publicum sehr angenehm unterhielten. Sie verkleideten sich unter andern wie Juden, und ahmten den Lerm einer Synagoge nach, welches nun freylich, da verschiedene Israeliten gegenwartig waren, für dies ohnehin gedrückte Volk nicht angenehm seyn konnte. Die Hitze im Schiffe, und die Hofnung zu einer herrlichen Aussicht trieben uns oben auf den Verdeck – Und wahrhaftig! Wer Sinn für die Schönheiten der Natur hat, der muß bey dem Anblicke der Gegend von Maynz gerührt werden. Da wo sich der Mayn in den majestätischen Rhein ergießt; rechter Hand die Stadt mit ihren Thürmern, gegen über Cassell; und dann an den Ufern die Weinberge; die Lage der Cartause neben dem Lustschlosse, die Favorite genannt – das alles ist in der That hinreissend. Auch schwammen unsre jungen Herrn in Empfindsamkeit, und Herr Meyer wünschte ein Cartäuser zu seyn. Wir kamen um vier Uhr an, und besuchten diese guten Mönche, die nun freylich keine solche Lebensart führen, wie sie dem Hauptmann von Weckel Freude machen würde; Unterdessen hat dieselbe doch in manchen Stücken Vorzüge vor derjenigen, in welcher die mehrsten übrigen Ordensgeistlichen vegetieren; denn jeder besitzt hier sein kleines Haus für sich, und hinter dem Hause ein Gärtgen. Dabey treibt er ein Handwerk, wozu ihm alles erforderliche Handwerkszeug und dergleichen angeschafft wird. Ich kann nicht sagen, daß der churfürstliche Garten, die Lage ausgenommen, den geringsten Reiz für mich gehabt hätte. In Aschaffenburg hingegen sollen schöne Spaziergänge seyn, und vor einem Thore von Maynz sehen wir auch verschiedene artige Alleen. Wir wollen morgen weiter, und also nicht an den Hof gehn. Uebrigens sagt man, daß es ein gar angenehmer Hof sey. Emmerich Joseph ist allgemein geliebt, und von seinen Unterthanen angebethet. Er ist gesellig, und hat so gar nichts Steifes, Stolzes, Pedantisches, wie wohl andre Churfürsten. Die Etikette ist ihm ein verhaßtes Ding, weil er weiß, daß das nur ein Hülfsmittel für dumme, aufgeblasene Fürsten ist. Diese, wenn sie innerlich fühlen, daß ihre persönlichen Eigenschaften ihnen keine Liebe erwerben können, und sie kein andres Mittel haben, sich geachtet zu machen, schreiben den Leuten um sich her eine gewisse Form, zu Bezeugung der erzwungenen Ehrerbiethung vor – eine Maske, die jeder vorhenken muß, und hinter welcher er den fürstlichen Pinsel im Herzen aushöhnen kann, wenn dieser es nur nicht sieht. Maynz ist übrigens ein todter Ort, wie alle Residenzen geistlicher Fürsten. Viel Kirchen sind darinn; ob viel oder wenig wahre Religion und Christenthum, das weiß ich nicht. Der Maynzische Adel ist gastfrey, angenehm und leicht im Umgange, und wenn Fremde über das Gegentheil klagen; so waren es gewiß immer solche, die entweder aus Mangel an Lebensart, oder wegen ihrer Geburt, die nun einmal in dieser Welt einen gewissen äussern Unterschied unter den Classen der Menschen macht, fühlten, daß sie in diesen Circuln nicht an ihrem Platze waren. Wir brachten aber diesen Abend, von sieben Uhr an, in einer bürgerlichen Gesellschaft zu. Es waren artige Leute darunter, und wir wurden bald bekannt mit ihnen. Gegen neun Uhr kam ein Cammerherr dahin. Er paßte sich nicht recht zu den übrigen dort gegenwärtigen Menschen. Die verschiedene Art der Erziehung, und der Umgang der Leute, mit denen man lebt, geben unsrem Wesen oft einen solchen Ton, daß ein feiner Kopf, voll Welt- und Menschenkenntniß dazu gehört, um in jeder Gesellschaft zu Hause zu seyn. Ein bloßer Hofmann in einer ehrlichen bürgerlichen Versammlung, ist wie ein Blutfinke, den man ein Liedgen gelehrt hat, und ihn dann wieder in das Feld fliegen läßt – Doch, es ist spät, mein theuerster Freund! Ich will also Abschied von Ihnen nehmen. Leben Sie wohl – Weckel. Worms den 11ten, Abends 9 Uhr. Könnte ich Ihnen, bester Vater! nur beschreiben, welche herrliche Gegenden heute meine Augen gesehen haben! O! das romantische Oppenheim! – Aber man muß von der andern Seite, über die fliegende Brücke her, dahin kommen – Wie sich dann diese ehrwürdige alte Stadt, an dem Berge hängend, dem Auge darstellt! – Es ist ein rührender Anblick; Ein Kind muß das fühlen. Wir kamen des Mittags an, und bestiegen das Schloß, um von daher die Reiche der Welt unter unsern Füßen liegen zu sehen – Welch' eine schöne Landschaft! Gewiß das Paradies von Teutschland – Und diese entzückende Pfalz hat die galanteste aller Nationen, der wir unsre schöne Cultur, unsern Geschmack, unsre feine Lebensart, unsre Hof-Sitten und unsre Aufklärung zu danken haben, mit mordbrennerischer Faust verwüstet. Diese Heldenthat eines von Sentiments strotzenden Volks, dies vortrefliche Pendant zu der pariser Bluthochzeit, mögte ich jedem Teutschen vor Augen stellen, der sich seines Vaterlandes schämt, und mit fremden Sitten prahlt. Als wir auf dem Kirchthurm standen, begrub man unten auf dem Kirchhofe ein junges Mädgen, die ein zu heißer Tag im Frühlinge ihrer Tage dahingewelkt hatte – O! was mein von so viel Seiten gepreßtes Herz da fühlte – Aber der Herr von Weckel hat für so etwas keinen Sinn; ich will auch nichts mehr davon sagen, er mögte es lesen. An meine Charlotte habe ich viel über Oppenheim geschrieben; Ich war grade damals recht gestimmt dazu, und sah dort manches Interessante. Es ist ein Beinhaus in Oppenheim, in welchem viel tausend Schedel liegen, mehr als ich je in meinem Leben auf einem Flecke gesehen habe, aufgethurmt und fachweise geordnet. Wie mancher gute Kopf, dachte ich, mag hier schlafen, wie manches unruhige Gehirn hier vertrocknet seyn! – Freund und Feind, Einheimischer und Fremdling, da vereinigt und gesellig neben einander – Als wir in den Gasthof zurückkamen, begegnete uns oben im Durchgange ein unansehnlicher kleiner Mann, im blauen Ueberrocke, mit einem kurzen Pfeifgen im Munde. Er machte sogleich Bekanntschaft mit uns, und bath uns, weil wir doch noch auf unser Essen warteten, indeß in sein Zimmer zu treten. Wir thaten das, und nun fieng er allerley schale Gespräche mit uns an, die einen sehr schiefen Kopf verriethen, und doch redete er mit einer gewissen Art von Schein des Bewußtseyns, uns als geringere Geschöpfe betrachten zu dürfen. Wir glaubten, der Mensch sey ein Narr, und weil er uns Langeweile machte; so giengen wir von ihm weg. Kurz nachher, als der Wirth uns das Essen brachte, erfuhren wir von ihm, daß es der Graf von ... gewesen, der seit viel Jahren ausser seinem Ländgen herumreiset, allerley tolle Streiche macht, und jetzt vor einigen Tagen mit einem kleinen Gefolge nach Oppenheim gekommen war. Ehe man nach Worms kömmt, berührt man einen Ort, der Rhein-Türkheim heißt, am Ufer des Flusses gelegen. Der Mond schien so schön, und spiegelte sich auf dem Wasser; Der Abend war heiter und lieblich; Wir beschlossen also zu Fuß zu gehen. Wir schickten die Kutsche voraus, uns Quartier und Abendessen zu bestellen, und so schlenderten wir längst dem Rhein hin; Herr Meyer rauchte ein Pfeifgen, und wir sprachen dann von allerley, und waren recht fröhlig. Ein Bauer, aus einer entferntern Gegend, welcher denselben Weg vorhatte, vermehrte die Gesellschaft, und erzählte uns allerley. Er war unzufrieden über seinen calvinistischen Pfarrer, der, wie er sagt, stark trinkt, und sich dadurch oft krank und unfähig macht, sein Amt zu verwalten. Vorigen ersten Jenner hat er, weil er Abends vorher einen starken Rausch gehabt hatte, das Neujahrsfest auf einen andern Tag verlegen wollen. Worms zeigt wieder klägliche Ueberbleibsel von des französischen Generals Melac Unmenschlichkeit. Auch ist sein Nahmen so verhaßt, daß in der Pfalz die mehrsten Hunde Melac genennt werden. Speyer und Worms waren einst sehr große, beträchtliche Städte. Man fährt viel tausend Schritte von dem ersten Thore an, durch Rudera, die jetzt zum Theil mit Weingärten umpflanzt sind, bis man an den Anfang der, nach der Zerstöhrung wieder aufgebaueten Stadt kömmt. Soviel wir diesen Abend sehen können, ist es hier äusserst still und menschenleer. Wir werden morgen früh wieder fortreisen, und küssen Ihnen, bester Vater! Alle in Gedanken die Hände. Hohenau. Freinsheim den 26sten October. Dieser Brief hat lange unvollendet gelegen. Sie werden indessen des Herrn Meyers Schreiben vom 11ten und das Paquet des Herrn von Hohenau vom 19ten richtig erhalten haben. 3 Jetzt, bester Herr! will ich den Rest mit Erzählung unsrer weitern Reise ausfüllen. Wir durchstreichen die schöne Pfalz, und zwar mehrentheils zu Fuße. Die Weinlese geht noch stark fort, und das ist ein gar herrliches Schauspiel für uns. Des Morgens früh lausen wir mit in die Weinberge und Weinfelder, wo dann alles von fleißigen Menschen wimmelt, welche Trauben lesen, und dabey fröhlig und guter Dinge sind. Auf den Feldern stehen hie und da Handmühlen, worinn die Trauben gequetscht, sodann in Fässer geschüttet, und auf Karren in die Häuser zur Kelter gebracht werden. Wir helfen unsern lieben, vortreflichen Hauswirthen, die Ihnen heute selbst schreiben werden, fleißig lesen, wobey wir uns selbst aber nicht vergessen. Man sollte es nicht glauben, wie viel Trauben man des Morgens geniessen kann, ohne irgend gesättigt zu werden, und ohne Ungemächlichkeit zu fühlen. Im Gegentheil! es ist eine wahre Cur, welche Magen und Säfte verbessert, und leichtes, muntres Blut schafft. Es giebt Schweizer, die mit ihrer Familie im Herbste hierherziehn, sich einen Weinberg miethen, daselbst Hütten aufschlagen, und so lange hier bleiben, bis sie denselben kahlgegessen haben. Des Mittags schmeckt ein gutes einfaches Mahl herrlich, und dabey eine Flasche pfälzischen Weins, der lieblich und gesund ist. Des Nachmittags werden wieder Trauben gelesen, bis es dunkel wird; Indeß dann die Domestiken keltern, sammlet sich eine kleine Gesellschaft, schwäzt, spielt, macht Music, und des Abends geht es selten ohne ein Tänzgen ab, worauf man sich sorgenlos zu Bette legt. Das ist unsre Lebensart, indem wir von einem Orte zum andern ziehen, eigentlich aber doch hier, bey der liebenswürdigen ... Familie unser Hauptquartier haben. Frankenthal ist ein freundliches, artig gebauetes Städtgen. Es wohnen viel Fabricanten hier. Fünf Tage haben wir, nicht weit von da bey Ihrem alten Freunde ... in ... zugebracht. Wir sind voll Liebe empfangen und behandelt worden. Er ist jedem unserer Wünsche zuvorgekommen, war den ganzen Tag durch nur Aufmerksamkeit und Sorge für das Vergnügen seiner Gäste – Guter, gastfreundlicher Mann! Du thust so gern Andern wohl, theilst so gern, was Dir der Himmel beschehrt hat, mit Deinen Freunden. Bey Dir findet der Elende Schutz und der Hungrige eine Labung. Du dienest so gern jedem – Mögtest Du nie an Undankbare Deine Wohlthaten verschwenden; Mögte jeder, wenn Du Seiner bedarfst, so bereit seyn Dir die Hand zu biethen, als Du es jetzt bist, alles was um Dich lebt glücklich und vergnügt zu machen. Es gefiel uns nicht, daß die Bauern in einigen pfälzischen Dörfern Contretänze tanzen und Operetten-Arien trillern. Auch sollen die Sitten der Landleute in einigen Gegenden sehr verderbt seyn. Man erzählt viel Böses von den Landschreibern, und daß Einige von ihnen in vorigen Zeiten, zu Bestreitung ihres fürstlichen Aufwandes, erschreckliche Diebereyen begangen hätten. Ich weiß nicht, ob das wahr ist; Allein die jetzigen sollen grundehrliche, gewissenhafte Leute seyn, und von denen unerhörten Bestechungen, ohne welche ehemals niemand in der Pfalz das Geringste erlangen konnte, hört man sehr wenig mehr. Herxheim hat eine Lage, die weder zu beschreiben, noch zu malen ist. Man sieht aus des Herrn von Reinecks Garten, der auf einer Anhöhe liegt, rings umher vielleicht sechs und zwanzig Stunden weit, und nach manchen Seiten verliehrt sich ganz das Auge. So viel Städte, Dörfer, Weinberge, Felder, Ströhme, Wälder, Schlösser – Es ist ein segenvoller Reichthum der schönen Natur. Beynahe noch majestätischer ist dieser Anblick in Neustadt an der Hart. In Türkheim hat der Fürst von Leiningen ein Schloß, welches auch sehr angenehm gelegen ist. Dieser Herr soll eine artige Parforcejagd haben. Der Herr von Weckel erzählte uns bey dieser Gelegenheit verschiedene Annecdoten von dieser Art Jagden. Zu Zweybrücken soll ohnstreitig jetzt in Deutschland die vollständigste seyn. In Cassell werden mehrentheils nur zahme Tannhirsche im Garten herumgejagt. Aber sie werden des Tags vorher wild gemacht, und so geht es doch gut. Die englischen Officiere und andre vornehme Herrn in America, welche gern jagen, und kein Wild haben, lassen ein Stück frisches Rindfleisch an einem Seile auf der Erde, von einem Kerl zu Pferde vorausschleppen, und auf dieser Fährte jagen dann die Hunde. Was aber in Türkheim mehr als die Parforcejagd unsre Aufmerksamkeit auf sich zog, war ein alte ehrwürdiger Pfarrer, welcher selbst der Stifter seiner calvinischen Gemeine ist. Er hat für sein Häuflein eine beträchtliche Collecte gesammlet, bey deren Zusammenbringung er sogar in Holland herumreisete, keine Beschwerlichkeit scheuete, selbst kümmerlich lebte, dann zurückkam, ein Gotteshaus aufbauete, alle Schwierigkeiten überwand, seit dieser Zeit mit Wiederspruch aller Art, mit Kummer und Krankheit kämpfte, aber immer fest und heiter, der Freund, Vater und Rathgeber der seiner Glaubensgenossen blieb. Jetzt hat er ein Auge verlohren, und sieht mit dem andern wenig; Aber er murrt nicht, liebt Gott und Menschen, und theilt seine Armuth mit jedem, dem er einen heitren Augenblick dadurch machen kann. Es ist Schade, daß der Mann kein Buch geschrieben, keine Bataille gewonnen, kein Land als Minister in Verwirrung gebracht hat; Man würde doch von ihm reden. Jetzt wird, wenn der gute Greis zu seinen Vätern versammlet ist, vielleicht sein Nahmen nicht wieder genannt werden. Wir haben bey unsern Fußreisen Gelegenheit die Anmerkung zu bestättigen, daß man die Bauern und Postillons in ihren Gegenden nie um die nächsten Fußwege fragen muß. Sie bekümmern sich darum nicht, sondern gehn die Wege, welche, von Vater auf Sohn herab, als die nächsten sind anerkannt worden, und es ist vergebens ihnen begreiflich machen zu wollen, daß eine grade Linie der kürzeste Weg zwischen zwey Puncten ist. In Deidesheim sahen wir ein Haus der barmherzigen Brüder – Ich schätze diesen Orden sehr – Sie nehmen Kranke von allen dreyen Religionspartheyen auf, behandeln dieselben mit bewundernswürdiger Sorgfalt und Reinlichkeit, und reichen ihnen alle diese wahrhaftig christlichen Liebesdienste und die erforderlichen Arzeneyen unentgeldlich. Morgen gehen wir nach Speyer. Dort werden wir einen neuen Brief an Sie, bester Wohlthäter! anfangen. Der gegenwärtige ist so lang, daß wir beschlossen haben, ihn auf die Post zu schicken. Ich füge also nichts mehr, als die Versicherung meiner unübertrefbaren Ehrerbiethung hinzu. Wallitz. Fußnoten 1 Wandläuse. 2 Der Herausgeber glaubt keinen Tadel zu verdienen, wenn man hier und bey andern Gelegenheiten dieser Art zuweilen Dinge beschrieben findet, die im Jahre 1771 noch nicht da waren; Ein Roman ist ja keine Historie. 3 wovon sich aber hier nichts findet. 24. Brief Vier und zwanzigster Brief. An den Freyherrn von Leidthal in Urfstädt. Frankfurt am Mayn den 11ten November 1771. Theuerster, gnädiger Herr! Der fröhlige Herbst ist schnell vorübergegangen, und wir haben die liebe Pfalz recht ungern verlassen. Mit Thränen in den Augen schieden wir von unsern theuren Freunden, obgleich wir Hofnung haben, sie bey unserer Zurückkunft aus Bayern wieder zu umarmen. Jetzt sind wir hier, und bereiten uns zu unserer Winterreise vor. Ein Paar Tage waren wir in ..., wo wir die vortreflichen Menschen kennen lernten, denen Sie uns empfohlen hatten. Wir sahen die herrliche Frau, deren seelenvoller Blick durch seine Würde und Anmuth mich rührte, mich zu ihr hinriß, indeß jedes Wort aus ihrem Munde das sanfteste Herz und den feinsten Geist verrieth. Ihr verdienstvoller Gatte kam uns entgegen, mit freundlicher, einladender Miene. Auf seiner Stirne wohnt Heiterkeit, Bewußtseyn innerer Güte, heiliger Frieden. Und der große Mann, dessen Nahmen ich nicht ohne Rührung ausspreche, der den Muth hatte, dem mächtigen Schurken sich kühn entgegenzustellen, ihn seines Unrechts zu zeugen und, als das nicht helfen wollte, ihm seine Geschenke vor die Füße zu werfen; der nicht Wohlthaten annehmen mogte von dem, der gute Leute drückt, und den er verachten mußte; der, da er das Unrecht nicht hindern konnte, das seinem Freunde geschahe, so edel dachte, allem Glanze, allen Vortheilen zu entsagen, alle Bande, die ihn an den elenden Unterdrücker knüpften, zu zerreissen, und sich in einen ruhigen Privatstand zurückzuziehn, wo er, wenn er nicht alles Gute würken kann, das sein großes Herz wünscht, wenigstens der Ungerechtigkeit nicht zu schmeicheln braucht – O! wenn es der Männer viele gäbe, die diesem Beyspiele zu folgen Willen und Kraft hätten! Wie zahm würden unsre kleinen Tyrannen, wie leer die Vorzimmer der Erdengötter werden! Mögtest Du, verehrungswürdigster Mann! wissen, was ich in dem Augenblicke, da ich dies schreibe, voll Enthusiasmus für Dich, fühle! – Aber warum solltest Du es erfahren? Was fragt die Sonne darnach, ob der Dichter sie besingt? Sie scheint in majestätischer Größe, und wärmt Kind und Mann. Auch habe ich die beyden Domherrn von ... und ... gesehen. In dem Circul dieser vortreflichen Leute brachten wir ein Paar Tage, im Vorschmacke des Himmels hin. Ich war vorher mismüthig und traurig; Aber wenn ich noch solche Menschen in der Welt antreffe; so dünkt mich, ich mögte Muth fassen, daß noch einmal wieder auf dieser Erde Glück und Ruhe herrschen werden. Speyer ist ein so trauriger Steinhaufen, als ich je einen gesehen habe. Der Dom hat etwas Schauer erweckendes, feyerlich Ehrwürdiges. Wir giengen von dort zu Fuß nach Manheim, Schwetzingen, und von da durch die Bergstraße hierher, nahmen von Dorf zu Dorf Bothen mit, die ein Päckgen mit Nachtzeug trugen, und lernten da manche Originale kennen. Von Speyer aus hatten wir einen catholischen Knaben bey uns, der sehr vernünftig über die Religionssecten urtheilte, und unter andern sagte: er müsse gestehen, daß in seinem Dorfe die Protestanten bessere Menschen und wohlthätigere Christen wären, als seine Glaubensgenossen, und es käme ihm unwahrscheinlich vor, daß Leute, die mehr Gutes thäten, einen geringern Anspruch an der Seligkeit haben sollten, als die, welche viel betheten, ihr Geld aus Schwachheit oder Eitelkeit müßigen und unsittlichen Pfaffen gäben, und indessen den elenden Dürftigen schmachten liessen. Ein Wirth in Manheim schien nicht geneigt Fußgänger aufzunehmen; So sehr würkt das Vorurtheil. Der andre führte uns auf ein schmutziges Hinterstübchen, bis unsre Kutsche kam, und da nannte er uns Excellenzen, gab uns zwey schöne Zimmer ein, ließ uns tapfer auftischen, und noch tapfrer bezahlen. Manheim ist völlig nach der Schnur gebaut, sieht aus wie ein Waffelkuchen, ganz einförmig, und hat manche schöne Häuser, alle neu und massiv, aber niedrig. Diese unbevölkerte Stadt, obgleich sie eine der schönsten in Europa seyn mag, gefällt mir nun gar nicht. Ich mag wohl sehen, daß jeder sich seine Hütte nach seinem eigenen Geschmacke baue. Ich mag wohl den Erbauer, den Hausherrn, darnach beurtheilen. Ich mag Abwechselung sehen, kleine und große Gassen mit einander vergleichen können, Gewühle thätiger Menschen erblicken – Und das alles fehlt hier. Das Schloß ist groß, übrigens ein Schloß wie andre Schlösser; Schöne Zimmer, zum Theil prächtig tapeziert, und in jedem Zimmer eine Uhr, damit die müßigen Hofleute der faulen Zeit die zu langsam schleichenden Stunden nachrrechnen, und in jedem Zimmer ausrufen können: »Gottlob! wieder eine Minute überstanden!« In der Bildergallerie sind herrliche Stücke, besonders die beyden berühmten Köpfe, die mit einem nicht genug zu bewundernden Fleiße ausgearbeitet sind. Es war ein Fremder mit uns, der einmal gehört hatte, dergleichen ängstlicher Fleiß sey an einem Maler nicht zu loben. Deswegen tadelte er nun diese beyden Meisterstücke. Der gute Mann bedachte nicht, was er sagte. Bey historischen Stücken, oder bey Portraits, wo man, durch die Lenkung der Aufmerksamkeit auf kleines Detail, das Interesse für das Süjet oder für die Aehnlichkeit schwächt, da kann die Regel wahr seyn; Aber wenn ich einen einzelnen Kopf male, der nichts weiter vorstellen soll als – einen Kopf, mit einer nichts Leidenschaftliches ausdrückenden Miene; dann ist ein Gemälde um so besser, je fleißiger es in den kleinsten Theilen ausgearbeitet ist. Ueberhaupt war alles was dieser Mann vorbrachte, gemein und elend. Der Herr von Weckel meinte, er sey fähig seinen Nahmen in eine Wirthshausfensterscheibe zu schneiden, und in ein Stammbuch: » estimer la vertu, c'est toujours ma maxime « u.s.f. zu schreiben. Wir aßen des Abends mit ihm im Gasthofe, und als er das Licht putzte, hielt er die Hand nicht frey, sondern legte die Lichtscheere zur Seite auf das Licht, so daß ein dicker Klumpen Wachs daran hängen blieb. Sie wissen, daß der Herr von Weckel dies schon für ein böses Zeichen hält. In Schwetzingen ist ein ungeheurer, großer, prächtiger Garten, der wohl wenige seines Gleichen in Deutschland hat, und es wird eine Summe, die hundert Familien glücklich machen könnte, jährlich dazu verwendet, nur sticht das alte gothische Schloß sehr dagegen ab. Es sind viel einzelne Schönheiten im Garten, doch muß ich offenherzig sagen, daß diese nicht ganz zusammenpassen. Alte Rudera und wilde, mit wahrhaftig edlen Geschmacke und Naturgefühl angelegte Gegenden, sind in der Mitte von regulairen Spaziergängen, von künstlichen Wasserwerken umringt, dahingepflanzt – Einfalt, Einfalt! wenn wirst du wieder Kopf und Herz der Menschenkinder leiten? Zu den türkischen Moscheen werden gewaltig viel Steine mit schweren Kosten aufgethürmt. Mir fiel dabey ein, was einst ein Engländer am Hofe des ... von ... sagte. Es reisete nemlich damals ein Steinfresser umher, der sich vor Geld sehen ließ. Der Fürst hatte eben eine Colonnade bauen lassen, welche dem Engländer etwas kleinlich vorkam. Als dieser nun die Ankunft des Steinfressers erfuhr, lief er geschwind zum Obermarschall, und bath denselben: er mögte doch seinen gnädigen Herrn warnen, denn es sey ein Mann hierhergekommen, welcher wohl die Colonnade auffressen würde. In Manheim verkauften wir unsre große schwere Kutsche (wovon der Herr von Weckel behauptete, der Ryswicksche Frieden sey darinn geschlossen) und haben hier eine andre erhandelt. Wir schickten sodann die Bedienten und Koffers mit dem Postwagen, und giengen zu Fuß fort. Ein siebenzigjähriger Porteur trug unser Päckgen bis an das nächste Dorf. Dort übernahm es der Feldschütz, und auf diesen folgte ein pensionirter alter Soldat, der manches erfahren hatte. In Heppenheim wurde ein gesundes, fettes Bauermädgen unser Bothe, und beschämte uns im Schnell gehn – Die schöne Bergstraße! Sie wissen, wie sehr ich diese Gegend liebe. Von Zwingenberg aus gieng ein Jude mit uns. Es wurde Abend, und der arme Israelite fieng an Gespenster zu fürchten. Als die Sonne untergieng, legte er das Bündel weg, stellte sich gegen Morgen, verrichtete sein Gebeth, und lobte Gott mit allen seinen Gliedern. Wir sahen ihm andächtig theilnehmend zu; Sodann wünschte er uns einen guten Abend, und wir giengen mit ihm weiter. Allein wir waren ermüdet, blieben also des Nachts schon in Eberstadt, in einem sehr schmutzigen Wirthshause. Den folgenden Morgen bekamen wir einen versoffenen, liederlichen Bothen, den wir bald zurückschickten, und nach der Reihe unsre Bagage selbst trugen. Also kamen wir nach Darmstadt. Nach vorhergegangener gehörigen Thor-Inquisition, liefen wir grade zu unserm herrlichen Freunde ... und bathen ihn um ein wohlthätiges Frühstück. Mehr als das aber erquickte uns sein Umgang, seine Gespräche voll Weisheit und Salz, seine lebhafte Einbildungskraft, sein feiner philosophischer Geist, und sein warmes, für das Gute und Wahre glühendes Herz. Es wäre mir lieb, wenn man den darmstädtischen Einwohnern bekannt machen könnte, daß ein solcher Mann in ihren Mauern lebt; Auswärts weiß man es schon. Um zwölf Uhr giengen wir, begleitet von einem Trommelschläger hierher nach Frankfurt. Er holte sich erst einen Thorpaß, und gieng dann in seinen engen weissen Cammaschen, ohne welche er sich nie darf sehen lassen, mit uns. Er schien ein guter Kerl, soll auch vortreflich trommeln, und desfalls bey seinem durchlauchtigen Herrn beliebt seyn. Unterwegens sahen wir an dem Fenster eines Wirthshauses ein hübsch gekleidetes Frauenzimmer. Wir fragten unsern Begleiter, wer dieselbe sey, und erfuhren, daß es eine englische Werberinn wäre. Dies Weib lockt nemlich schöne junge Leute an sich, macht diese glauben, sie sey eine reiche Officierswitwe, läßt sich mit ihnen in ein Ehebündniß ein, reiset, nach der Trauung mit dem jungen Menschen fort, liefert ihn den Werbern der englisch-ostindischen Compagnie in die Hände, und kehrt dann heimlich zurück, ein neues Probestück zu machen. Als wir hierherkamen, fanden wir das liebe Paquet aus Urfstädt. Die andern Herrn antworten sämtlich, also habe ich ihrentwegen nichts hinzuzufügen. Diesen Vormittag sahen wir die Judengasse, und den Nachmittag haben wir in Offenbach zugebracht. In der hiesigen Judengasse fanden wir Ursache dem Himmel zu danken, daß aus derselben nicht jährlich allerley ansteckende Krankheiten über die Stadt verbreitet werden. Einige tausend gedrückte, verstoßene, zum Theil sehr arme Geschöpfe, leben hier eingekerkert, in kleinen schmutzigen, oft fünf Stockwerk hohen Häusern, dürfen in keinem andern Theil der Stadt wohnen, ja! nicht einmal zu jeder Zeit noch an jedem Orte spazieren gehn – Das ist unsre christliche Art mit einem Volke umzugehen, das dieselben Freyheitsrechte der Menschheit wie wir hat, von welchem wir auf gewisse Art abstammen, das wenigstens mehr Originalität, Eigenheit, und mehr Reinigkeit der Sitten unter sich erhalten hat, als wir, und welches wir nun zwingen, indem wir ihm, auf die unedelste Art, alle Mittel zu andrem Erwerbe abschneiden, sich vom Wucher zu nähren. Die Juden helfen sich unter einander, halten zusammen, führen selten Processe unter sich, indeß wir, die ungroßmüthigen Unterdrücker, uns um nichtsbedeutende Kleinigkeiten, um unnütze Meinungen, verfolgen. Der große Erlöser, der ganz Liebe war, kam aus jenem Volke her, das wir verachten. Wir prahlen mit seiner Lehre und erwürgen uns, aus Anhänglichkeit an elende Spitzfündigkeiten, die er nie gelehrt hat, wodurch niemand glücklicher wird, besser lebt, noch ruhiger stirbt – Und das nennen wir Christenthum! Offenbach, am Ufer des Mayns gelegen, ist ein freundliches, heitres Städtgen. Jedermann, der unter dem Schutze eines edlen guten Fürsten, welcher ohne Prahlerey seine ihm von Gott aufgelegten Pflichten treu und redlich erfüllt, und nur darauf stolz ist für einen guten Menschen gehalten zu werden, den wer ihn nur kennt seines reinen Herzens wegen verehren und lieben muß; Wer, sage ich, unter diesem Schutze frey und ruhig sein Gewerbe treiben will, der zieht gern dahin, bauet sich ein Häusgen, und so wird dann der Ort von Jahr zu Jahre größer, geselliger, angenehmer, und wird in kurzer Zeit andre Städte weit übertreffen, in welche sich niederzulassen die Fremden mit süßen Worten und Versprechungen hingelockt, bald aber, wenn sie nicht die Kunst verstehen, den kleinen Vezirn in und ausser Livree zu schmeicheln, die den Sultan umringen und leiten, so lange chicanirt werden, bis sie mit ihrem Gelde wieder fortgehn. Hier haben die Herrn D'Orville und Bernhard eine große berühmte Tabacsfabrik angelegt. Die Gebäude sind einfach, zierlich, schön, zweckmäßig, und ohne Windbeuteley gebauet. Das Ganze hat ein Ansehn von Rechtlichkeit und Würde, die des Characters der rechtschaffenen lieben Männer, denen das Werk gehört, werth ist. Wir reisen übermorgen von hier ab, und bitten Sie, theuerster Wohlthäter! um Ihren Segen auf den Weg. Meyer. 25. Brief Fünf und zwanzigster Brief. An den Herrn von Hohenau in Nürnberg. Urfstädt den 19ten November 1771. Ich habe nun alle Eure Briefe, Ihr guten Leute! richtig erhalten, und danke Euch herzlich, daß Ihr, auch auf der Reise, Meiner so fleißig eingedenk seyd. Verzeyhe mir es nur, mein liebster Carl! wenn ich nicht immer an Dich einzeln schreibe. Ich habe jetzt viel Geschäfte, und da es früh dunkel wird, und meine Augen schwach werden; so kann ich des Abends auch wenig ausrichten, besonders, da ich mich gewöhnt habe sehr klein zu schreiben, und in meiner Jugend, wenn man mir anrieth, größere Buchstaben zu machen, nicht folgen wollte. Ich bin überzeugt, daß Deine Reise, in allem Betracht sehr nützlich für Dich seyn wird, und es freuet mich, daß Du einige gute, mit Dir sympathirende Menschen angetroffen hast. Das ist gar süß, so verschwisterte Seelen zu finden. Ach! es giebt nur Eine Familie der bessern Menschen, eine alte adeliche Familie, klein, beynahe ausgestorben, in verschiedene Länder zerstreuet, doch so, daß sie sich wiederkennen, wiederfinden. Zu dieser gehören auch wir; das kann ich mit Zuversicht sagen; und unsre Ahnenprobe ist in unser weiches Herz gegraben. Wenn Du nach München kömmst, und das Opernhaus siehst; so erinnere Dich Meiner; Denn ich habe dort einmal eine kleine Demüthigung ertragen. Die Sache an sich ist unwichtig, beweiset aber doch, wie ungern gekränkte Eitelkeit vergißt. Ich saß nemlich, als ein junger Mensch, in der nächsten Loge dem Theater zur Rechten. Ich war ein bisgen früh gekommen, und noch waren wenig Menschen da. Ein alter Graf von Isenburg, der auch allein in einer andern Loge stand, kam zu mir herüber, und ließ sich in ein Gespräch mit mir ein. Anfangs gieng das Ding gut, und der alte Mann schien Geschmack an meiner Unterredung zu finden. Wir kamen aber nachher auf einen Gegenstand, wovon ich nichts verstand, und vermuthlich aus Naseweisigkeit etwas so schiefes vorbrachte, daß der Greis, ohne mir zu antworten, noch sonst etwas zu sagen, aufpackte und fortgieng. Diese Lection war mir auf lange Zeit nützlicher als eine Predigt über den Vorwitz gewesen seyn würde, und noch jetzt, da ich es nicht habe vergessen können, schäme ich mich, und mögte mich dem Manne, der längst im Grabe liegt, von einer vortheilhaftern Seite zeigen. Deine Charlotte besucht mich oft mit der Frau von Weckel. Sie zeigt mir so viel Zutrauen und Aufmerksamkeit, als wenn sie meine eigene Tochter wäre, und in Wahrheit! ich gewinne sie täglich mehr lieb. Fürchte Dir nur! Es wird wohl am Ende so kommen, daß wir einen Bund gegen Dich machen, oder gar, daß wir Dich reisen und ich mich indessen mit Deiner Braut trauen lasse. Die bösen Weiber plagen mich unaufhörlich, ich solle die Zeit Deiner Reise abkürzen, aber ich halte mich fest wie ein Mann. Unterdessen hatten sie es gestern doch so listig angelegt, daß ich in so weit nachgeben mußte, es nur bey Einem Jahre bewenden zu lassen. Sie hatten mich sonderbar gefaßt. Zuerst bathen sie um allerley Kleinigkeiten, wovon sie wußten, daß ich mich ungern darauf einlassen würde, z.B. ich sollte mich abmalen lassen, sollte mit ihnen auf einen Ball gehen und d. gl. mehr. Das alles wurde in Gnaden abgeschlagen, und da kam es dann an die Hauptsache, wo ich, um nicht für einen wunderlichen Mann zu gelten, wohl ein wenig nachgeben mußte. Indessen, mein lieber Sohn! suche nur von diesem Jahre recht Vortheil für Kopf und Herz zu ziehen. Ich habe die Bücher gelesen, welche Du mir empfohlen hast. Ich wundre mich gar nicht mehr darüber, daß schwache Köpfe Religionszweifel haben können, seitdem ich weiß, daß ein so großer Astronom als de la Lande, ein Atheist ist, das heißt: an der Existenz des Kochs zweifeln, dessen Pastete wir essen. Uebrigens bekümmert mich das sehr wenig. Es giebt, dünkt mich, nur Einen Beweis für die Aechtheit einer Lehre, und das ist der, wenn sie mich glücklich und ruhig macht. Was geht es mich an, ob historische Beweise für die Aechtheit der Bibel da sind, oder nicht! Wer eine bessere, glücklicher machende, einfachere, ältere, natürlichere, die Menschen zu besserer Seelenruhe und Tugend führende Lehre kennt, als die Lehre Jesu, der thut sehr unrecht diese für göttlich zu halten, hätte sie auch alle Beweise vor sich – Braucht es denn eines andern Beweises, daß dieser Baum ein Apfelbaum ist, als wenn ich die reife Frucht davon brechen kann? Es geht damit, wie mit der Aechtheit der Freymaurer-Logen. Diese zanken sich unter einander um das Recht Constitutionen zu ertheilen. Gebt Aufschlüsse, nicht Spielwerke, und arbeitet besser für das Wohl der Welt; so seyd Ihr gewiß ächt; Thut Ihr aber das nicht, was helfen mir Eure Verbriefungen? Jetzt will ich noch ein Paar Worte an Meyer schreiben. Lebe wohl, mein lieber Carl! und vergiß nicht Deinen treuen Freund Leidthal. 26. Brief Sechs und zwanzigster Brief. An den Herrn Etatsrath Müller in Coppenhagen. Nürnberg den 18ten November 1771. Nun, mein lieber Etatsrath! Wie geht es Ihnen denn? Nicht wahr, Sie mögten gern einmal wieder so etwas von meiner Prosa lesen? Wohlan! Kommen Sie her! Hier ist die Erzählung unserer großen Reise von Frankfurt nach Nürnberg, wie solche beschrieben steht in unserm Reise-Journale, daselbst auf der 181sten Seite, wie folget. Uebrigens ist mein herzlicher Wunsch, diese Zeilen mögen meinen Herrn Etatsrath bey gutem Wohlseyn und wahrer ächter dänischer Gemüthsruhe antreffen – Zur Sache! Als wir eben den 13ten von Frankfurt abreisen wollten, kam der liebe Herr von Greb mit dem Professor Blumenhof hier an, und überbrachte uns einen Empfehlungsbrief von unserm theuren Freunde, dem Pfarrer Pockenthal. Es that mir weh, daß wir dieser guten Männer Umgang nicht länger geniessen konnten, und wir klagten eben darüber, als diese herrlichen Leute sich kurz entschlossen, uns bis Nürnberg zu begleiten. Wenn ich je einen jungen Mann gesehen habe, der wahre Festigkeit und Würde im Character mit Feinheit, Sanftmuth, Gefühl und liebevollem Aeusserlichen verbindet; so ist es der gute Jüngling, unser Greb. Wir haben in seiner und des vortreflichen Blumenhofs Gesellschaft gar selige Stunden hingebracht. In zwey Wagen vertheilt, fuhren wir des Morgens aus Frankfurt ab, nachdem wir vorher einen kurzen aber genußreichen Besuch bey dem Doctor Tenjed abgestattet hatten, einem Manne, der voll Feuer, Geist und Wärme für alles Gute ist, und keinen andern Fehler haben mag, als daß er in dem Orte, wo er wohnt, mit seiner Würksamkeit völlig allein steht. Auch lebt er, umringt von so viel inconsequenten Menschen, gänzlich einsam und verschlossen. Wir kamen gegen Mittag nach Seligenstadt, wo eine Benedictinerabtey ist, liessen uns bey dem Prälaten melden, und wurden von ihm zur Mittagstafel eingeladen. Sie haben guten Wein, diese Leute, und man sieht, daß sie bey ihrer Andacht und Seelenanstrengung, doch die materielle Hülle nicht vergessen – Ja! lieber Himmel! Was soll man auch machen? Gott läßt den schönen Wein wachsen, und giebt dann auch Stärke, daß man ihn vertragen, und überhaupt das beschwerliche Klosterleben ausstehen lernt. Es speisete ein Domherr mit uns, der auch auf Reisen war, und zwar mit seiner Maitresse, die jedoch so lange im Wirthshause blieb. Er war ein Mann voll Firniß, angenehm, lustig – Aber so leer, so leer! – Wenn ich oft sehe, wie die mehrsten dieser Menschen erzogen werden, wenn ich Briefe von ihnen lese; Wenn ich bedenke, welche unnütze Glieder des Staats sie sind, wie wenig sie auch nur einmal die Bestimmung erfüllen, zu welcher man sie fett macht – Aber zum Henker! dafür werden sie auch im Fegefeuer pfeifen, und keinen Vicarius darauf halten dürfen. Bey dem Fegefeuer, an welches nicht jeder glaubt, fällt mir ein Geschichtgen ein. In Hessen war ein Dorfpfarrer, dem gemeldet wurde, es gäbe in seiner Gemeine Leute, welche die Aufersteigung der Todten leugneten. Der Lerm der orthodoxen Gegenparthey wurde so laut, daß der arme Geistliche endlich das Ding ins Reine bringen mußte. Er versammlete also seine Gemeine, rief alle die, welche die Auferstehung glaubten, hervor, und stellte sie auf eine Seite, den Ungläubigen gegenüber, und nun rief er aus: »Ihr Verstockten! Ihr zur Linken! Ihr glaubt also nicht die Auferstehung der Todten?« Sie zuckten die Achseln – »Wohl also!« fuhr er fort »Ihr bleibt in der Erde liegen. Ihr Hunde! und alle jene wackren Männer werden mit Haut und Haar auferstehen – Das ist nun Eure Schuld!« – und damit gieng er fort. Hinter Seligenstadt gesellte sich ein Pudel zu uns, und verließ uns auch seit dieser Zeit bis itzt nicht. Der empfindsame Herr von Hohenau glaubt, der Hund habe vorzüglich zu ihm Zuneigung, weil er ein guter Mann sey, an den sich gern jeder Unmündige wende. »Bey mir« ruft er pathetisch aus »sucht der Unglückliche Trost, und der Verlassene Zuflucht; Es giebt ein Gefühl von Sympathie, welches jedes schutzbedürftige Geschöpf, jeden Leidenden, jedes Kind und jedes Thier zu dem hinzieht, der gern hilft, und theilnehmend fühlen kann.« Wir kamen den Abend nach Aschaffenburg, wo wir die Nacht blieben. Ich wäre gern weitergefahren, denn die besten Betten waren schon für eine andre Gesellschaft in Beschlag genommen. Es war ein gewisser kaiserlicher Major von M ..., den ich vor etwa acht Jahren in Leipzig gesehen habe, nebst seiner Frau. Er hatte damals eben diese Frau ihrem Vater, einem reichen Geheimerath in B ..., entführt. Nachdem er verschiedenemal vergeblich um sie angehalten, befand er sich eines Abends mit seiner Geliebten und deren Eltern in einer Gesellschaft. Es war neun Uhr, und man wollte auseinander gehn. Der Major führt das Fräulein die Treppe hinunter, und statt sie in ihrer Eltern Kutsche zu heben, steht schon ein Wagen mit vier Postpferden vor der Thür, in welchen die beyden Täubchen geschwind hüpfen, und von dannen fliegen. Der Vater ruft: »Was soll denn das heissen?« aber man hatte Musicanten auf die Gasse gestellt, die eine lermende Melodie blasen mußten, bey welcher es nicht möglich war, die Stimme des alten Geheimenraths zu hören, der nicht wußte wie ihm geschahe, indeß sein Töchterlein schon aus dem Thore war. Der Vater tobte, wurde aber nach und nach besänftigt, und willigte ein, da das Uebel nicht mehr zu ändern war. Jetzt leben die Leute recht vergnügt, und haben einen einzigen Sohn, der nebst seinem Hofmeister bey ihnen war. Dieser Hofmeister gefiel mir aber nicht. Es war ein steifer Candidatus Theologiae, hatte eine schwarze sammetne Weste mit Knöpfen von geschliffenen Steinkohlen an, eine Hose von gewürfeltem wollenen Zeuge, und einen braunen Rock mit halb steifen Schößen, und kleinen mit Kameelgarn übersponnenen Knöpfen. Wir fuhren den 14ten früh Morgens fort. Der Weg geht über einen Berg, welcher der Spesser heißt, auf dessen Höhe es schon recht grimmig kalt war. Das Volk in diesen Gegenden ist gut, treu, wohlgebildet, höflich, aber arm. Wir hielten bey einem Wirthshause, ganz oben auf dem ehrwürdigen Berge still, und stiegen einen Augenblick aus, ein Frühstück zu nehmen. Ein alter Greis, mit ganz weissen Haaren, saß in dem Circul von eilf Personen seiner Familie, Kinder und Enkel. Man sahe, daß diese Leute nicht viel Bequemlichkeit des Lebens schmeckten; aber doch waren sie heiter; Eintracht herrschte in dieser Hütte der Dürftigen, und der alte Mann, bey welchem mir der Greis auf dem Berge Atlas einfiel, spielte mit seinen Kindeskindern, die seine Knie umfaßten, und auf welche er sanft und fröhlig herabsah. Jeder von uns gab jedem Kinde ein Kreuzerchen, und wir fuhren weiter. In Esselbach begegneten uns zwey andre Kutschen, und da unsre Postillons Lust hatten mit jenen zu wechseln; so stiegen wir sämtlich aus, und machten oder erneuerten vielmehr Bekanntschaft mit den Fremden, denn ich sah bald, daß es Personen waren, die ich irgendwo gesehen hatte. Der ganze Zug sah ziemlich aus, wie Emigranten, die nach Astrakan gehen, und in einer Kutsche saßen sieben Personen: Entrés toujours, Commère, nous ne sommes qu'a sept. Es war unter andern eine Art von Cammerjungfer unter ihnen, mit einer schwarzen Haube, und dabey lang, hager, gelb, gestaltet wie der Lieutenant Lismahago. Die Herrschaft aber bestand aus einem gewissen Obristen von Verden, der einst in russischen und sodann in französischen Diensten war. Derselbe hielt einmal um ein reiches Fräulein in Stuttgard an. Man erfuhr aber indessen, daß er schon in Rußland verheyrathet sey. Als man ihn nun darüber zur Rede stellte, und er hörte, daß seine erste Frau gegen ihn geklagt hatte, fragte er: »Welche Frau ist denn das?« Denn Sie müssen wissen, daß es sich nachher entwickelte, er habe nicht nur in Moscau, sondern auch in Straßburg eine theure Ehehälfte zurückgelassen, und beyder Vermögen durchgebracht. Der Bruder dieses Mannes war in der andern Kutsche mit seiner Familie. Er ist Forstmeister im Sächsischen, ein Mann von unerhörtem Phlegma, dazu geizig und äusserst langweilig. Man kömmt nachher durch verschiedener kleinen Grafen Länder. Ein Franzose sagte einst zu einem von diesen Potentaten. »J'ai traversé ce matin Votre Monarchie. « Derselbe Graf, zu welchem er dies sagte (er wohnt aber nicht in diesen Gegenden) gieng einmal auf dem Felde spazieren, und traf einen Bauern an, der hinter einer Hecke gewisse Bedürfnisse der Natur befriedigen wollte. Der Graf fand dadurch die ihm schuldige Ehrerbiethung beleidigt: »Kerl!« rief er »Weißt du, daß sich das nicht schickt?« »Ei nun!« erwiederte der Bauer ganz gelassen »so gehe ich denn über die Grenze.« Er behielt die Beinkleider in der Hand und ging zwanzig Schritte von da in eines andern Herrn Länder. Es war schon spät als wir nach Würzburg kamen, und da wir glaubten, es sey der Mühe werth, sich einige Stunden hier aufzuhalten; so bestellten wir erst die Pferde auf den folgenden Mittag. Wir speiseten indessen des Abends in Gesellschaft eines guten alten biedern Officiers, der von unten auf gedient, und sich seine Bildung gänzlich selbst zu danken hatte. Er hatte eine bey solcher Art Menschen ungewöhnliche Milde im Character, und wir wurden bald recht vertraulich mit ihm. Unser Gasthof lag am Mayn. Die Aussicht nach einer Art von Wasserfall, die Brücke, sodann oben auf dem Berge die Festung; das alles macht einen hübschen Anblick. Wir besahen diese Festung, so weit es, der strengen militairischen Einrichtung nach, erlaubt ist, und als wir herabkamen, giengen wir dem Schlosse zu. Es ist eines der schönsten in Teutschland, nur vielleicht zu sehr mit Zierrathen überladen, für einen geistlichen Pallast. Wie würden sich die lieben Apostel wundern, wenn sie sehen sollten, daß ihr College ein so babylonisches Schloß dahingesetzt, und Statuen aus der heidnischen Mythologie davor aufgepflanzt hat! Auch macht es einen bösen Eindruck, daß gegenüber so schlechte Häuser stehn. Wir wohnten noch im Dom den Exsequien für einen kürzlich verblichenen Domherrn bey, der an einer Indigestion und also in seinem Beruf gestorben war, und darauf fuhren wir den 15ten Mittags von dort ab. Diese Gegend von Franken ist öde und wüst, doch findet man Weinbau daselbst. Wenig Dörfer sieht man, aber freundliche höfliche Leute, elende Postanstalten und scheußliche Wege. Wir fuhren die Nacht durch, weil die Gegend doch nicht verdiente bey Tage gesehen zu werden. So oft ich von bösen Wegen höre, fällt mir die Geschichte vom regierenden Grafen von S ... ein, der einen quasi Finanzdirector hatte, welcher sich freylich zu dem Posten gar nicht schickte, denn er war ein schöner Geist, übrigens aber nie mit Geschäften umgegangen. Es begab sich aber, daß durch ein gewisses Dorf im Lande eine Chaussee sollte gemacht werden, wogegen sich aber der gräfliche Minister aus der Fülle seiner Lunge setzte, und zwar aus der Ursache, weil dadurch Schmiede und andre Handwerksleute lahmgelegt werden würden. Denn da in diesem Dorfe die Fremden fast immer etwas an ihrem Fuhrwerk zerbrächen, welches hier ausgebessert werden müßte; so dürfte man zum bessern Aufkommen des Dorfs die Wege ja nicht bessern. Diese Vorstellung leuchtete dem Grafen ein, und die Straße blieb, wie sie war. Aber daß auch im Anspachischen so höllische Wege sind, daß ist nicht erlaubt – Wir verlohren alle Geduld. Doch kamen wir endlich nach Nürnberg, der berühmten Reichsstadt, die wir indessen morgen wieder verlassen, und uns von unsern lieben Begleitern trennen werden. Das bewußte Geschäft haben wir glücklich beendigt; Meyer hat darüber an den Baron geschrieben; Vielleicht schickt er Ihnen den Brief. Wir haben die Bekanntschaft eines sehr redlichen Mannes und Freymaurers, des Herrn von ... gemacht. Er führte uns in die Loge, wo wir einige sehr wackre Männer, und von nicht alltäglichen Kenntnissen, sprachen. Der Herr von ... hat uns überhaupt mit wahrhaftig brüderlicher und gastfreundlicher Güte behandelt. Aber er und sein kleiner Circul von sichern Freunden sind auch die Wahrheit zu gestehen die einzigen Männer, von denen die ich dort kennen lernte, die mir gefallen haben. Alle übrigen kamen mir steif und verschroben vor. Die Leute haben so possierliche Nahmen, welche sich mehrentheils auf lein endigen, kleiden sich so wunderlich und geschmacklos; die Patrizier glauben sich so weit über die andern Bürger erhaben; Ueberhaupt ist man in mancherley Kenntnissen noch so weit zurück, so voll Vorurtheile, und dünkt sich doch so aufgeklärt, daß ich hier nicht wohnen mögte. 1 Unser Freund führte uns in eine große Gesellschaft. Es war ein sehr mittelmäßiges Concert, worinn aber so viel geplaudert wurde, daß man von der Musik nichts hören konnte. Darauf folgte ein Suppee und hintennach ein Ball. Gott bewahre! Es war viel auf einmal. Ich liebe sehr, daß man mit den Freuden dieses Lebens hauszuhalten verstehe. Uebrigens kann ich nicht sagen, daß wir daselbst eine einzige interessante Bekanntschaft gemacht, oder auch nur an irgend einem von den Anwesenden einige Lust wahrgenommen hätten, den Fremden eine gute Aufnahme zeigen. Wir besahen auch die alte kaiserliche Burg auf dem Berge, die würklich etwas sehr Ehrwürdiges hat. Sonderbar kömmt es einem Fremden vor, daß in Nürnberg noch nach der alten römischen Uhr die Zeit gerechnet wird. Wenn die Sonne aufgeht, so schlägt es Ein Uhr, und hat der Tag z.B. sechzehn Stunden; so schlägt die Glocke, bey Untergang der Sonne sechzehnmal, und so auch die Nacht. Ich habe noch allerley kleine Ausrichtungen in der Stadt zu machen, und die Post geht ab; Ich will also schliessen – Leben Sie wohl, bester Freund! von uns allen geliebt, vorzüglich aber von Ihrem treuesten Weckel. Fußnoten 1 im Jahr 1771 versteht sich. 27. Brief Sieben und zwanzigster Brief. An den Herrn Etatsrath Müller in Coppenhagen. Amsterdam den 20sten Novemb. 1771. Bester, theuerster Vater! Kömmt es Ihnen vor, als wenn Sie lange nichts von Ihren Kindern gehört haben; so klagen sie nur nicht Ihre Tochter an. Meine häuslichen Geschäfte, eine itzt glücklich überstandene Krankheit meines Kindes, und der Besuch von einigen Fremden, hat mir die Zeit zum Schreiben geraubt, und dann verließ ich mich auch auf den lieben Bruder Fritz, der Ihnen von Unserm Befinden Nachricht geben sollte, aber, wie ich eben mit Schrecken erfahre, seit drey Wochen nicht an Sie geschrieben hat. Seyn Sie indessen unbesorgt um uns. Es geht uns wohl, und der Himmel segnet unser Hauswesen. Nun rückt bald die Zeit heran, da ich mich der Erziehung meines Kindes widmen muß. Ich verliehre nie die Regeln aus den Augen, welche Sie, theuerster Vater! meinem Herzen eingeprägt haben, suche mich selbst zu bilden, und lese dabey, so viel es mir die Zeit erlaubt, gute Schriften über Erziehung. Allein, ich bekenne gern, daß wenn ich andrer Leute Kinder so handeln und weben sehe, ich nur einen kleinen Theil der Regeln, welche ich aus Büchern lerne, anwendbar finde. Aus dem eigenen Umgange mit Kindern kann man wohl den sichersten Leitfaden nehmen, welchen man folgen soll. Auch erinnere ich mich einmal von Ihnen gehört zu haben, daß man überhaupt aus dem Umgange mit Kindern mehr als von erwachsenen Leuten lernen könnte. In unsres Freundes Lescow Hause gefällt mir die Erziehung nicht. Dort herrschen Madam Beaumonts Schriften, in welchen ich eine Menge theils unzweckmäßiger, theils ganz falscher Sätze finde. Ist es z.B. vernünftig den Kindern, wie sie es im Magazin des Adolescents thut, zu sagen: Alles Gute, so sie thäten, werde nur von Gott gewürkt, sie seyen blos Maschinen, das Böse hingegen komme allein von ihnen her? Und unter den Märchen, welche die Hofmeisterinn erzählt und erzählen läßt, sind einige höchst abgeschmackt. Lescow hat bey seinen Kindern einen Informator, der, meiner Meinung nach, auch eine sehr verkehrte Methode hat. Sie haben mich gelehrt auf kleine Züge Acht haben; Da sah ich nun einmal, daß der Mann mit seinen Zöglingen im Gartenhause saß, und seine Pfeife anstecken wollte. Er nahm also ein papiernes Püpchen von einem der Kinder und zündete den Tabac damit an. Das gefiel mir nicht. Ich mögte niemands Puppe verbrennen, das weiß Gott, und am wenigsten zu meinem Vortheile. Er hat auch ein bittres Pulver von Kräutern, davon muß derjenige eine Portion einnehmen, der unartig gewesen ist. Von des Bruder Peters Betragen ist Fritz nicht ganz zufrieden. Er legt sich zwar ziemlich fleissig auf die Handlung, ist aber nicht gefällig, nicht einschmeichelnd genug, und das muß doch ein Kaufmann auch seyn. Ich glaube er hat zu viel Phlegma in der Mischung seines Characters. Von Ludwig habe ich gestern einen Brief aus Dresden bekommen; Er beneidet dem Herrn Meyer das Vergnügen, künftiges Frühjahr unsern Christoph in Neuwied zu sehen. Bey Lescow lebt itzt eine Verwandtinn, eine junge Philippine N ..., die ein unglückliches Schicksal hat. Ihre Geschichte konnte wahrlich Stoff zu einem theatralischen Stücke geben. Sie ist kürzlich diese: Seit langer Zeit war in ihrer Mutter Hause ein Mensch bekannt, der für einen Freund ihrer Eltern galt. Er war ein hübscher, kluger und einschmeichlender Mann, welcher für die Tochter so viel Interesse zeigte, daß dadurch, und durch seinen angenehmen Umgang, das Herz des jungen Mädgens gänzlich sein Eigenthum wurde. Ihre Leidenschaft zu ihm wuchs zu einem so hohen Grade, und sie glaubte so sicher von ihm geliebt zu seyn, daß sie oft im Begriff war, ihrer Mutter ihr Herz aufzudecken; Nur glaubte sie zu bemerken, daß die Zuneigung des Freundes zu ihr mehr das Gepräge einer verwandtschaftlichen Zärtlichkeit führte, und es befremdete sie, daß der Mann ihr nie eine Erklärung gethan, ohngeachtet er sich oft mit ihr allein befunden, und sie mit Thränen in den Augen an sein Herz gedrückt hatte. Er schien sich im Gegentheil immer in solchen Augenblicken von ihr loszureissen, als wenn er ein gewisses Geständniß unterdrücken müßte. Endlich wurde die Mutter tödlich krank. Die Tochter saß neben dem Bette, und empfieng mit zerrissener Seele die letzten Lehren und Warnungen von der Sterbenden. Nun wagte sie es, ihr das Bekenntniß ihrer Liebe zu thun, und sie um ihren mütterlichen Segen zu einer Verbindung mit dem Freunde ihres Herzens anzuflehen – Aber welche Entdeckung! die Mutter bebte zurück, und entwickelte nun das Geheimniß, das sie, zu Bedeckung ihrer Schande, so gern mit in das Grab genommen hätte. Der Freund des Hauses war Philippinens Vater, und sie, das arme Kind, also die Frucht einer Verirrung ihrer Mutter, welche itzt dafür einen harten Kampf zu kämpfen hatte. Sie starb, ohne das Geheimniß ihrem Manne, der eben abwesend war, entdecken zu können, und Philippine verließ sogleich das Haus, meldete ihre Verlegenheit dem Herrn Lescow, und derselbe nahm sie bey sich auf. Ob man dem Manne, der ihr Vater zu seyn glaubt, und der sie zärtlich liebt, bey seiner Zurückkunft aus Schweden, die Sache entdecken wird, weiß ich nicht, aber das weiß ich, daß das arme Mädgen sehr zu beklagen ist; Sie hat auch viel schwermüthige Stunden, und wird zusehends mager. Nun, theuerster Vater! muß ich wohl schliessen. Ich küsse Ihnen nebst Mann und Kind ehrerbiethigst die Hände, als Ihre gehorsamste Tochter Sophie von der Hörde. 28. Brief Acht und zwanzigster Brief. An den Herrn Baron von Leidthal in Urfstädt. Eichstädt in der Rose den 18ten November 1771. Abends 11 Uhr. Bester Vater! Wir kommen so eben sehr ermüdet hier an; Doch will ich noch ein Paar Zeilen schreiben, damit ich nicht den Faden unserer Reisegeschichte verliehren möge. Wir fuhren diesen Morgen aus Nürnberg, und es kostete von beyden Theilen Thränen, als wir uns von unsern lieben Begleitern trennen mußten. Von Nürnberg kömmt man zuerst an einen Ort, welcher Schwabach heißt; Er gehört dem Markgrafen von Anspach, und es sind Fabriken dort, auch ein großes Zuchthaus, von behauenen Steinen gebauet. Von Pleinfeld, der folgenden Station aus, geht der Weg sechs Stunden lang durch einen fürchterlichen Wald. Die Straßen sind so schlecht, als man sie sich kaum vorstellen kann, und noch dazu unsicher, der Räuberbanden wegen. Wir waren aber fröhliges Muths, und das ist ja zu allen Dingen gut. Der Postknecht schien furchtsamer als wir zu seyn. Indessen kamen wir, wohl geschüttelt und gerüttelt, glücklich hier an. Man hat uns am Thore so ausgefragt, als wenn uns Steckbriefe nachgeschickt worden wären; Man muß gewöhnt seyn, verdächtige Personen hier zu sehen. Der Herr von Weckel hatte seinen Spaß mit den Leuten, und Herr Meyer ärgerte sich, daß die Menschen sich unter einander so unnützerweise plagen – Aber die Augen fallen mir zu – Ich muß schliessen, und empfehle mich Ihrer väterlichen Gnade. Carl. Den 20sten. Das ist ein verzweifelter Ort – O Pfaffenregiment! Wann wirst du aufhören? Die Leute forschen noch immer, aus Mistrauen, oder, weil sie nichts bessers zu verrichten wissen, aus Müssiggang, sehr ängstlich nach uns, nach unsern Geschäften, Nahmen, Bedienungen, und was wir denn eigentlich hier zu thun haben. – Nun, wahr ist es, wer keine Geschäfte hier hat, der würde Unrecht haben, des Vergnügens wegen hierher zu reisen. Und der allgemeine Ton von päbstlicher Unterdrückung – die Leute haben nicht das Herz frey Athem zu holen – nein! es ist nicht auszustehn. Wer noch nie in solchen gänzlich verfinsterten catholischen Provinzen gelebt hat, der findet hier jeden Augenblick Gelegenheit, die Hände über den Kopf zusammen zu schlagen. Gestern sprach ein Pfaffe, den wir in der Wirthsstube antrafen, von einem Lutheraner, der hergekommen und ein Christ geworden sey. Eine so dunkle Idee hat man von den andern Religionssecten. Unsre Ausrichtungen bey dem Fürsten Bischoff werden indessen, wie ich hoffe, in wenig Tagen eine gute Wendung nehmen, wenn die schelmischen Jesuiten, welche hier sehr viel vermögen, und sich in alles mischen, nichts dazwischen bringen. Ein Paar recht wackre, aufgeklärte Männer haben wir doch hier angetroffen. Ja! es giebt noch der guten Menschen aller Orten, aber sie sind dünn gesäet, vom Unkraute erstickt, oder doch bedeckt; Man tritt auf eines wie auf das andre – Ich muß itzt ausgehn. Leben Sie, vortreflichster Herr! recht wohl. Meyer. Den 23sten. Der Herr von Hohenau ist ein wenig unpäßlich, es hat aber nichts zu bedeuten, und wir hoffen Ihnen, bester Wohlthäter! ehe dieser Brief abgeht, schreiben zu können, daß ihn sein Catarrhalfieber (dann weiter ist es nichts) verlassen hat. Wer kann auch hier gesund seyn? Am Ende jeder Gasse dieser sonst nicht schlecht gebaueten Stadt, sieht man einen hohen Berg hingepflanzt; und dann der ekelhafte Frankenwein! – Auch trinken die Domherrn, wieder die Gewohnheit ihres Standes, fast nichts als Wasser. Diese Herrn haben prächtige Häuser, haben zum Theil von drey Stiftern Einnahmen, und verzehret also mancher von ihnen mehr Geld als nöthig wäre zwanzig thätige, dem Staate nützliche Familien zu ernähren. Lebhaft ist die Stadt gar nicht, und wenn der Abend herankömmt, wo die Pfaffen, welche fast allein des Tages über die Gassen erfüllen, nicht mehr öffentlich ausgehn dürfen, dann sieht man, ausser etwa einem Capuziner, welcher zu einer hübschen kranken Frau schleicht, irgend ein Sacrament zu geben, kein lebendiges Wesen mehr. Man sollte denken, die Pest hätte die Einwohner weggeraft; Auch ist es ärger als eine Pest, was die catholischen Staaten also entvölkert. Wir eilen von hier; Uebermorgen hoffen wir mit allem fertig zu seyn, der Arzt glaubt, daß dem Herrn von Hohenau die bayerische Luft besser bekommen werde, und daß er dreist fortreisen könne – Ich küsse Ihnen die Hände. Wallitz. Den 25sten. Hohenau ist wieder besser, und wir werden morgen von hier gehn. Die übrigen Herrn waren (so viel Freude ihnen auch der Umgang mit den wenigen würdigen Männern machte, welche wir kennen gelernt haben) doch sehr unzufrieden hier, ich aber habe noch ausserdem manche lustige Stunde gehabt. Ich war gestern Mittag am Hofe, und hatte mit dem Oberjägermeister ein Gespräch über Forstwesen angefangen. Ein alter Hofmann stand dabey und sagte: »Meine Herrn! lassen Sie uns von etwas anderm reden; ich verstehe nichts von belles lettres. « Diesen Nachmittag besahen wir die Capelle der heiligen Walpurge. Ein Weib zeigte uns alle diese Herrlichkeiten. Da war denn das berühmte Oel, welches aus den Steinen hervorquillt. Ich fragte bey dieser Gelegenheit: ob es wahr sey, daß man, als kürzlich der Capuzinergeneral dort gewesen, ihm einen Sallat mit Walpurgsöl vorgesetzt habe? Und als man uns Reliquien wies, fielen mir des Compère Matthieu Reliquien ein, und ich versicherte die Frau: ich hätte in Prag den Backenstreich, den unser Herr Christus bekommen, in Gold eingefaßt, gesehen. Sie können denken, daß diese Scherzreden mich nicht in großen Credit setzten. Das hiesige Militair ist auch auf einem gar possierlichen Fuß – Diesen Brief will ich in Ingolstatt schliessen. Ingolstatt den 27sten. Nein! das lasse ich eher gelten! So ein freundliches, reinliches bayersches Städtgen! Hier könnte ich schon wohnen. Auch ist der Herr von Hohenau so gesund, wie ein Fisch, und mich dünkt man athmet freyer hier. Wenn man nur auch so frey denken dürfte! Aber die Herrn Exjesuiten, welche auch auf dieser Universität den Meister spielen, sorgen dafür, daß die gesunde Vernunft noch lange wird im Stillen seufzen müssen. Aber wenn einmal der Damm durchbricht, dann sollen Sie sehen, daß Bayern kühne und schnelle Schritte in der Aufklärung machen wird. Es fehlt ihnen nicht an herrlichen Köpfen; daß hierunter ihr alter Freund, der große Mann, den ich gestern kennen gelernt habe, und der wie ein vergrabener Edelgestein, nur von Wenigen würdig genug geschätzt aus dieser Dunkelheit gezogen zu werden, aber auch von diesen Wenigen so innigst verehrt, so ganz als eines der edelsten Wesen gekannt, werth Ländern und Völkern eine andre Wendung zu geben, und Licht auf den Erdboden zu verbreiten, daß dieser Mann, einer von denen, dessen nächtliche Lampe die Welt erleuchtet, den ersten Platz verdient, brauche ich wohl nicht zu sagen – Er wird Ihnen heute schreiben. Die Bayern sind gute, gesellige Leute; Ich liebe dies Volk sehr; sie haben doch noch wahrhaftig deutsches Gepräge, und ihr Kopf ist nicht mit ausländischem Firlfanz umnebelt. Daß die bayerischen Mädgen schön, und die Weine schlecht sind, werden mein hochgeehrtester Herr Baron schon aus Erfahrung wissen. Mir gefällt auch die Tracht der Mädgen, mit ihren silbernen Ketten. Herrliches Bier trinkt man in dieses Gegenden. Man frägt gewöhnlich bey der Mahlzeit, ob man weisses oder braunes Bier verlangt; Vom Weine ist selten eher als beym Braten die Rede – Und da ich nun in meinem Briefe bis zum Braten gekommen bin; so erlauben Sie, daß wir aufhören, der ich Ihnen von Herzen gesegnete Mahlzeit wünsche. Weckel. 29. Brief Neun und zwanzigster Brief. An den Herrn Hauptmann von Weckel in München. Urfstädt den 12ten December 1771. Es freuet mich, mein lieber Freund! daß Ihnen München so wohlgefällt. 1 Ich habe auch manche fröhlige Stunde dort verlebt. Sie werden einen angenehmen Winter daselbst zubringen; Die Menschen sind sehr gesellig, und man wird bald mit ihnen bekannt. Sie haben sehr Recht, wenn Sie München weit über Manheim setzen. Wenngleich diese Stadt nicht ganz nach einem einförmigen Plane gebauet ist; so sind doch viel schöne Gebäude darinn, und die größere Bevölkerung (indem die drey bis vier Stockwerk hohen Häuser bis unter das Dach hinauf bewohnt sind) macht München für jemand, der lieber Menschen als leere Häuser sieht, sehr interessant. Ich habe immer mit großer Freude des Morgens den Getraidemarkt gesehen. Es giebt wenig Städte in Teutschland, die einen solchen Anblick darstellen. Es ist wahr, die Kirchen sind zum Theil schön gebauet und verziert, aber doch werden Sie gestehen, daß die Theatiner Hofkirche ekelhaft mit Zierrathen überladen ist; Die Jesuitenkirchen haben sonst den Ruf solche Puppen-Schrank-ähnliche Sächelgen zu zeigen. Eine ungeheure Menge Grafen werden Sie in Bayern finden, vermuthlich noch von Carl des Siebenten Zeiten her, in dessen Macht es stand, dergleichen nach Gefallen zu machen. Ich bin nicht Ihrer Meinung in Ansehung der Vergleichung, welche Sie zwischen Nymphenburg und Schwetzingen machen. Jenes zeigt so viel einfache Größe, da ich hingegen hier manches Spielwerk antreffe. Ja! der ungekünstelte, einförmige Hofgarten bey München hat für mich unendlich viel Reiz. Ueberhaupt aber gestehe ich gern meine große Partheylichkeit für eine Stadt, in welcher ich so herzlich vergnügt gewesen – Und welche entzückend schöne Gegend ist nicht von der einen Seite, am Iser-Flusse! Ihre hypochondrische Laune macht Sie unbillig, wenn Sie über den Mangel an Toleranz in catholischen Ländern klagen. Ich kann Ihnen dagegen eine sehr demüthigende Annecdote aus einer protestantischen Provinz erzählen, einer Provinz, die noch dazu gern in dem Rufe der höchsten Aufklärung seyn mögte. Daselbst wollte sich in der Hauptstadt ein reicher Jude festsetzen, und hatte schon von der Landesregierung die Erlaubniß ein Haus zu kaufen. Unglücklicherweise lag das Haus, so der Jude zu seinem Eigenthum machte, nicht weit von einem lutherischen Bethause. Ein alter Geheimerrath erfuhr dies, und that Vorstellung: es werde denen Christen, welche in die Kirche gehn wollten, Aergerniß geben, wenn ein verdammter Israelite so nahe bey ihrem Gottesdienste wohnte. Man fand diese Einwendung gerecht, und verlangte der Jude solle sich eine andre Wohnung wählen. Aber dieser war klüger, und gieng, müde unter so intoleranten Leuten zu leben, mit seinem Gelde an einen andern Ort. Sorgen Sie nur ja Alle für Ihre Gesundheit. Es muß jetzt grimmig kalt in Bayern seyn. Das Clima ist schon rauher; Doch habe ich dort immer im Winter viel anhaltend reines heitres Frostwetter gefunden, wenn es bey uns abwechselnd regnigt war. Morgen werde ich nach ... gehn, um den .... Hof zu sehen, welcher dahin kömmt. Ich bin sonst der Mann nicht, welcher diese Art Menschenkinder aufsucht, und gern hohen Herrschaften Cour macht. Aber diese sind so herrlich gute Menschen. Ich habe kürzlich noch von der Erb ..... einen Zug erfahren, der ihrem edlen Herzen große Ehre macht. Ihr größtes Vergnügen war Music, und sie hatte dort einen Capellmeister, der ihr manche frohe Stunde machte, an einem Orte, wo sie sich ohnehin wenig andre Zerstreuungen und gesellschaftliche Freuden verschaffen konnte. Es starb aber der Leibarzt, und hinterließ eine arme Witwe mit einer unversorgten Familie. Der regierende Herr konnte diesen Leuten keine Pension geben, deren schon zu viel auf seinen Cassen lagen. Dies jammerte die gute Erb .... Sie empfahl also ihren Capellmeister einem andern Hofe, und würkte ihm eine gute Versorgung aus. Sobald alles damit richtig war, ließ sie ihn zu sich kommen, und sagte ihm mit Thränen in den Augen: »Ich trenne mich ungern von Ihm; Seine Music und sein Unterricht waren eines meiner größten Vergnügen; Aber es kömmt hier auf Unterstützung einer verlassenen Familie an. Ich habe kein Geld dazu; Deswegen habe ich mich überwunden, Ihm eine andre Stelle zu verschaffen, wo Er noch besser als hier besoldet wird, und muß Ihn von mir lassen, um Seinen Gehalt der armen Witwe anzuweisen.« Ein solcher Zug ist sehr selten. Wo finden Sie viel Fürstinnen, die fähig wären, so ihr Vergnügen der süßen Pflicht wohlzuthun aufzuopfern? Grüßen Sie Ihre Reisegesellschaft und unsre lieben Freunde in München herzlich von mir, und schreiben bald Ihrem treuen Leidthal. Fußnoten 1 Hier und bis zu Ende dieses Theils fehlen viel Briefe. 30. Brief Dreyßigster Brief. An den Herrn Acciseinnehmer Christoph Birnbaum in Urfstädt. München den 4ten Aprill 1772. Gott zum Gruß, vielgeehrter Herr Vetter! Wenn diese Zeilen Ihn bey guter Gesundheit vorfinden; so soll es mir sehr lieb seyn; die meinige ist, dem Himmel sey Dank, noch recht wohl. Ich bin nun den ganzen Winter mit meiner Herrschaft allhier im Bayerlande gewesen, wie Er wohl wissen wird, und sehe Er nur, Herr Vetter! da werde ich Ihm, wenn ich wiederkomme, viel zu erzählen haben. Er sollte nur zum Exempel die Procesonen gesehen haben, die sie in der Osterzeit hielten; Es war zum Todlachen. Da war ein vornehmer Herr (Sie hiessen ihn Ihr Excellenz und er war Gesandter gewesen) der stellte unsern Herrn Christus vor, und ließ sich von den Straßenbuben durch alle Gassen führen. Ja! ein ehrlicher Protestante sollte es nicht glauben, wenn man es ihm erzählte. Es geht gar zu bunt her, und besonders auf dem Lande. Sie spielen Ihm eine ordentliche Commödie (die Mönche, versteht er mich) Da muß ein Kerl, der wie unser Heiland angezogen ist, auf das Feld hinauslaufen, das den Oelberg vorstellen soll, und da gehn Kriegsknechte hinaus, wollen ihn fangen, und nehmen Hunde mit, sonst kriegten sie ihn nicht, denn der Kerl läuft, wie der Teufel, hin und her, und versteckt sich. In München selbst kostet so eine Proceson auf 5000 Gulden. Da sind heidnische Götzen, die sprechen mit Gott dem Vater, Jahrszeiten, Winde, Adam und Eva, Cürassiere, Herodes und Pilatus, und alle Zünfte aus der Stadt. Das geht höllisch unter einander durch. Sie sagen Verse her, die würklich Gotteslästerungen enthalten, so viel ich mit meinem dummen Verstande einsehen kann. Aber das Volk findet dabey viel Pläsir. Nun, Gott sey Dank! unsre Geistlichen sagen wohl auch allerley, was ein einfältiger Mensch nicht versteht, auch nicht weiter brauchen kann, aber so arg machen sie es doch nicht. Man spricht stark, daß die Jesuiten daran Schuld wären, die hätten es gern, daß die Menschen dumm blieben, und wären Leute darunter, welche ausgepeitscht zu werden verdienten. Allein wenn nur erst der Churfürst von der Pfalz zur Regierung käme, da würde es anders hergehn; Das sey ein kluger, freundlicher Herr, der werde die Pfaffen jagen, und sich von keinem listigen Beichtvater regieren lassen. Sieht Er, mein lieber Vetter! Hier muß jeder wenigstens einmal im Jahre beichten, und darüber bekömmt er ein Zettul. Uebrigens aber kann er thun, was er will. Die Herrn Geistlichen haben eine Menge solcher Beichtzettul vorräthig. Weil sie nun mehrentheils sehr verschwenderisch sind; – so geht es wunderlich damit zu – und wer nicht Lust hat seine Sünden zu bekennen, der kann einen Beichtzettul kaufen. – Meine Herrschaft ißt beynahe täglich zu Gaste. Es wird entsetzlich hier gefressen, mit Respect zu sagen, und zwar, wenn keine Fasttäge sind, gewaltig viel große Stücke Fleisch. Wir wohnen gegen einer Kirche über. Da sind dann ringsumher viel Epitaphiums, und bey jedem steht ein Näpfgen mit Weihwasser. Nun kommen den ganzen Tag die Verwandten des Verstorbenen gelaufen, und schütten ein bisgen Wasser auf den Stein. Das friert hernach im Winter, und da kann man kaum des Abends gehen, ohne Hals und Bein zu brechen. Die Kirchen sind immer voll, vom Morgen bis zum Abend, und in jeder Ecke sitzt ein Pärchen und beichtet, was sie gesündigt haben, oder noch sündigen wollen. Unsre Herrschaft geht am mehrsten in des Herrn Grafen von S .... Hause um. Ach! das ist ein gar lieber Herr, hat so eine gute gnädige Frau, und allerliebste Kinder. Es ist eine Freude anzusehn! Man meint, man wäre bey Unser einem. Uebrigens sollen die Damen zum Theil verzweifelt lustig seyn; Hier im Hause aber geht alles so lieblich zu. Wir waren auch in Freisingen. O Jemine! da sind erst die Pfaffen recht auf ihrer Miste. Der Fürst läuft sich bald die Beine ab, auf den Procesonen, und da muß alles mit, obgleich sie es zum Theil ungern thun, oder hinterher lachen – Aber der arme Herr hat ja auch sonst nichts zu thun, und das gehört dazu, wenn einer Bischoff ist, daß er das Handwerk treibe. Gestern erzählten sie bey Tafel von einem kleinen Fürsten, der hier in der Nähe wohnt. Der hat eine Menge Dienerschaft, auch Geheimeräthe, welche sich bestechen lassen; Aber das weiß der Herr, und theilt den Profit mit ihnen, wovon er seinen unehligen Kindern Reichthümer sammlet. Mit dem Lande aber soll es sehr elend aussehn. Ja! so geht es in der Welt – Mein lieber Vetter! Ich will diesen meinen Brief schliessen; Lebe Er recht gehorsamst wohl, ich bin Desselben dienstwilliger Friedrich Kirschbrod, Bedienter bey des Herrn von Hohenau Hochwohlgebohren. 31. Brief Ein und dreyßigster Brief. An den Freyherrn von Leidthal in Urfstädt. Heilbronn den 20sten May 1772. Unser letzter Brief aus München 1 wird Ihnen, bester Herr! sagen, daß wir mit wahrhaftig schwerem Herzen dort fortgereiset sind Wir sprachen noch den Tag vorher bey Hofe einen gewissen Herrn von Felsberg, der in Ihre Gegenden kommen, wenn es ihm seine Zeit erlaubt, Ihnen aufwarten, und mündlich von uns Nachricht geben wird. Wir sind indessen verschiedener Monarchen Länder durchstrichen. Sie wissen, theuerster Herr! daß Weckel gern seinen Vetter in Oettingen besuchen wollte. Wir nahmen also unsern Weg dahin, blieben einen Tag bey demselben, und wurden freundlich und gutmüthig von ihm aufgenommen. Sodann kamen wir durch die hohenlohischen Besitzungen nach Oehringen. Der dortige Postmeister gab uns, vielleicht ohne es zu wissen, scheue Pferde und einen betrunkenen Postknecht. Derselbe warf uns kurz vor dem Orte, beym Herausfahren um. Es zerbrach etwas an unserer Rutsche, und das hielt uns lange auf. Der Herr Postmeister kam selbst, bedauerte herzlich unsern Unfall, woran er doch im Grunde nicht ganz unschuldig war, und gab sich endlich als Freymaurer zu erkennen. Nun half uns das freylich in dem Augenblicke nichts, doch zeigte er den besten Willen uns fortzuhelfen, und wir kamen gestern Abend spät hier an, durch Wege, die im Herbste und Frühjahre unbeschreiblich schlecht seyn mögen. Der erste Mann, den Herr Meyer, als wir ausstiegen antraf, war sein alter Freund, 2 der unglückliche Herr von P ... Er fand ihn in einer kaiserlichen Officiersuniform, sprach lange mit ihm allein, und schien gerührt zu seyn, als er wieder zu uns kam. Ich habe in nicht über den Gegenstand ihres Gesprächs fragen mögen. Heilbronn scheint ein gar unfreundliches Nest zu seyn, doch sind die Einwohner, wie man sagt, sehr gesellig, und es ziehen viel Fremde her, weil man hier wohlfeil leben kann. Seltenheiten haben wir hier nicht gesehen, denn ein ungeschliffener Posthalter (wie wir einen hier antrafen) ist ja keine Seltenheit. In einer halben Stunde reifen wir weiter über Vierfelden, Sinzheim und Necker-Gemünd nach Heidelberg. Heidelberg den 22sten Abends. Obiges hat der Herr von Wallitz geschrieben, und mir erlaubt fortzufahren. O liebes, herrliches Heidelberg! Hier mögte ich leben und sterben, und besonders an der Seite des göttlichen Mannes, der uns auf Ihre Empfehlung so liebevoll aufgenommen hat. Sein freyer, seelenvoller Blick, sein edler Anstand, seine lieblichen Gespräche, voll warmes Feuers für alles Gute, voll Weisheit, Feinheit, Gelehrsamkeit und Scharfsinn – Kurz! der ganze herzliche, thätige Mann, zu gut für den Platz auf dem er steht, zu gut vielleicht für die Welt voll Schurken, in der er lebt, und seine theure Familie, so sehr Seiner würdig! – Sie haben unser Aller Herzen entwendet. Dann die Gegend; der Anblick vom hohen zertrümmerten Schlosse hinunter; der eingestürzte Thurm; Unten die Stadt am Neckar; die weite Gegend; die majestätischen Gebirge, Waldungen, Weinberge; der Wolfsbrunnen – O! man muß es gesehen, muß aber auch Sinn für so etwas haben – Als wir aus dem Schlosse auf den Altan giengen, und ich mir im Geiste vorstellte, wie da einst ein alter biederer Freund und Rath mit seinem Fürsten (als die Fürsten noch Männer waren) auf und niedergieng, sie dann vertraulich von dem Besten des Landes, das da unten lag, mit einander redeten, und der treue ehrliche Rath immer mit der Hand hinunterweisen konnte, auf dies Land, und dazu sprechen: »Siehst Du, Herr! da unten die blühenden Felder, von Deinen guten Unterthanen, deren Vater Du bist, und die Dich lieben und ehren, im Schweiß ihres Angesichts gebauet.« – Wenn ich mir das so dachte; dann schwoll mein Herz, und ich scheuete mich einen Blick ins Thal zu werfen, in welchem manche jetzige Erdengötter herumkriechen, große, verzierte, bunte asiatisch-wollüstige Häuserchen bauen, in denen sie nie die liebe Sonne aufgehn sehn, sondern sich mit ihren Buhlerinnen bis Mittag in weichen Betten wälzen, dann Chokolade trinken, Todesurtheile unterschreiben, schwelgen, Karten spielen und Ordensbänderchen an Schelme austheilen, die das arme Volk mit unterdrücken helfen – Pfui des Gedankens! Er empört mein deutsches Blut – Den 23sten. Damit des Herrn Meyers deutsches Blut Zeit habe sich abzukühlen; will ich ihn ablösen, und an diesem Briefe fortschreiben, bis wir ihn absenden. Wir reisen morgen von hier nach Frankfurt zurück, und sodann zu Wasser den Rhein hinunter nach Neuwied. Gestern fand ich in einem Hause folgende Anzeige. Man versichert mich, es sey ein ächtes Document (denn ich war geneigt es für eine Erfindung zu halten.) »Es wird in M ... von einer Herrschaft ein Secretair gesucht, von folgenden Eigenschaften: Er muß ein Jurist seyn, d.i. in jure civili, publico, canonico, feudali, criminali, germanico, statutario palatino vollkommen unterrichtet und geübt, sich auch auf das Policeywesen verstehen, denn er wird gebraucht, die allerverworrensten Processe von allen Gattungen zu bearbeiten und auseinander zu setzen, wird auch an die Reichsgerichte dieser wegen, und an verschiedene Höfe, Tractaten abzuschliessen, versendet werden. Wenn er nicht auf Reisen, sondern zu Hause ist, erfordert man von ihm, daß er von Morgens 8 bis 12 Uhr, und Nachmittags von 3 bis 8 beym gnädigen Herrn im Zimmer bleibe. Dagegen hat er freye Wohnung, und jährlich 150 fl. Gehalt, und wenn er sich gut aufführt« (soll vermuthlich heissen, wenn er rasieren und frisieren, folglich den Cammerdiener zugleich machen kann) »das Jahr 200 fl., wovon er sich aber zugleich befestigen muß. Was er des Tags auf der Reise für Zehrung zugelegt bekomme, wird man nach Verhältniß seines Gehalts bestimmen. Der Herr steht in Ansehn und Vermögen; Man kann also da bey guter Aufführung sein Glück machen. Das Mehrere ist auf dem großen Kaffeehause zu erfragen.« Frankfurt am Mayn den 26sten Abends. Wir kamen gestern spät hier an, und fuhren gleich diesen Morgen nach Homburg vor der Höhe, von woher wir so eben wieder zurückkommen. Homburg vor der Höhe ist ein kleines Städtgen. Ich wollte aber, es wohnten in manchen glänzenden Residenz- oder Reichsstädten halb so viel gute Menschen als hier. Wollen Sie einen Fürsten sehn, der sich nicht schämt ein guter Vater zu seyn; der seine Kinder selbst unterrichtet, sie selbst zur Weisheit und Tugend führt; einen Fürsten, der alle Schmeicheley haßt und die Schmeichler flieht; der seine Größe (die Größe seines Geistes und Herzens, dann er glaubt an keine andre) nicht einmal ahndet; der der beste Gatte, der theilnehmendste Freund, der gütigste sorgsamste Landesvater ist; Wollen Sie eine Fürstinn sehen, die alle äussere Annehmlichkeiten, einen unnachahmlichen, Ehrerbiethung gewinnenden Anstand, feine Talente, und einen durchdringenden Geist, mit Einfalt des Herzens, herablassender Güte, Milde und Menschenliebe verbindet; so reisen Sie nach Homburg, und wenn Sie den Anblick dieser glücklichen seltenen fürstlichen Familie und der guten Leute, die um dieselbe leben, recht genossen haben, dann gehen Sie auch die Anlagen zu sehen, welche der Landgraf im großen und kleinen Walde gemacht hat, wie er der schönen Natur, ohne Forderungen, nur unmerklich zu Hülfe gekommen ist. Welche herrliche Gegenden werden Sie da erblicken! Mehr werth als die großen fürstlichen Gärten, in welchen Millionen verschwendet wurden, um aegri somnia zu realisiren. 3 Unser Schiffer ist da, um mit uns einen Contract zu schliessen, und die Post geht um sechs Uhr ab. Ich will daher diesen Brief fortschicken. Hier sind noch ein Paar Einlagen – Wir empfehlen uns sämtlich Ihrer fernern Gewogenheit. Weckel. Fußnoten 1 welcher aber auch fehlt. 2 Man sehe den zweyten Brief im dritten Theile. 3 Das alles war wohl im Jahr 1771. dort noch nicht also zu sehen. Verzeyhe aber, lieber Leser! wenn ein für alles Gute und Schöne warme Herz den Herausgeber zu Entrichtung eines Zolls bewegt, den weder Schmeicheley noch Hofnung einiger Wiedervergeltung erheischt. Vielleicht werden die lieben Leute, welche ich hier lobe, nie dies unbedeutende Buch lesen, und wenn sie es läsen, vielleicht nie wieder den Mann sehen, der es schrieb, und der in keiner Verbindung, so wenig mit ihnen als mit irgend einem Hofe in der Welt steht, noch stehen mag, aber jedem Verdienste huldigt, es stecke in welchem Rocke es wolle. In meiner einsamen Hütte bedarf ich keinem Fürsten zu schmeicheln. 32. Brief Zwey und dreyßigster Brief. An den Freyherrn von Leidthal in Urfstädt. Abends 5 Uhr, auf dem Rhein im Schiffe geschrieben den 28sten May 1772. Bester, theuerster Wohlthäter! Deus nobis haec otia fecit – Sie sind es, der uns dieses entzückend schöne Vergnügen verschafft, eine Wonne, die beynahe für mein Herz zu groß ist – einen Vorschmack des Elisiums – Aber ich will herabstimmen, sonst mögte ich schwerlich zu einer zusammenhängenden Erzählung kommen können. Doch erst muß ich Ihnen ein Bild von dem Theater machen, auf welchem ich hier vor Ihnen auftrete. Wir sind so eben von St. Goar weggefahren, wo wir unsre Krüge mit gutem Rheinweine angefüllt haben. In einem bedeckten Nachen sitzen wir sämtlich, haben unsre Nachtkleider angezogen; Ein jeder macht sich ein kleines Geschäft, und indeß der Herr von Weckel mit seinem Bedienten neben mir Flöten-Duettos bläset, suche ich mein Tintenfaß hervor – Eine Tonne dient mir zum Tische – und schreibe. Die Andern lesen und Wilhelm hilft rudern. Gestern fuhren wir aus Frankfurt nach Maynz. Sobald wir daselbst ausstiegen, war unser erster Gang zu dem würdigen, sanften Manne, der Sie so herzlich liebt, und der in den wenigen Stunden, die wir mit ihm verlebt haben, unsre ganze Hochachtung gewonnen hat. Wir blieben den ganzen Abend bey ihm, giengen zusammen spazieren, und durchliefen noch einmal die Favorite, die würklich eine geschmacklose Mischung zeigt. Als wir nun durch das Thor giengen, welches dahin führt, bath uns ein arbeitender Gefangener in französischer Sprache um ein Allmosen. Wir hatten ihm nicht sogleich ins Gesicht gesehen. Indem wir aber den Geldbeutel herausholten, und unsre Köpfe nach ihm hinwendeten, erkannten wir in dem Unglücklichen den – la Saltière – »So haben Dich denn doch deine Bosheiten endlich an das Ziel gebracht!« rief der Herr von Hohenau in dem ersten Augenblicke der Ueberraschung aus. Aber bald bemeisterte sich edles Mitleiden seiner Seele. Er gab dem Bösewichte, der beschämt da stand, ein seiner Großmuth würdiges Allmosen, gieng weiter, ohne das geringste Wort ferner darüber zu reden, und hat sich auch nicht erkundigen mögen, auf welche Art der Franzose hierhergekommen ist. Noch besahen wir in Maynz ein künstliches Clavier, welches ein Mann von viel Talent, ein Liebhaber, selbst verfertigt hat, und das durch einige hundert Veränderungen allerley blasende und Saiten-Instrumente nachahmt. Ich fand nichts daran auszusetzen, als daß man das so herrlich darauf auszudrückende Crescendo und die Register nicht schleunig genug mitten im Spielen (wie es doch leicht mit dem Fuße zu bewürken wäre) anziehen kann. Uebrigens sind einige Stimmen vielleicht einzig in ihrer Art. Wir fuhren diesen Morgen zwischen vier und fünf Uhr weiter. Es freuete uns, so früh Morgens schon in den Gassen von Maynz viel Menschen gehen und arbeiten zu sehen, obgleich es diese Nacht durch noch bis ein Uhr ziemlich lebhaft in der Stadt gewesen war. Die Rheinbrücke bey Maynz macht einen herrlichen Anblick. Sie geht über sechs und funfzig ziemlich weit von einander entfernte Schiffe. Aber dann die Gegend von da, nach und bey und hinter Bingen; die kleinen Inseln, bey welchen uns der majestätische Strohm vorbeyführte; die Dörfer, welche so friedfertig und einladend da am Ufer liegen; die Bergschlösser, die Weinberge – O! ich vergoß Thränen, der schönen Natur zum Dankopfer – Hier mögte ich einsam und versteckt leben; eine kleine Hütte besitzen, und hinter der Hütte ein Gärtgen – Da mögte ich die Welt und die verkehrten Leute vergessen, ganz Mensch seyn, und den Schöpfer loben, der uns in dies schöne Paradies gesetzt hat – Herr von Weckel schenkt uns Wein ein. Er sagt: wir sollen in der Freude unsres Herzens auf des besten Baron Leidthals Gesundheit die vollen Gläser ausleeren – Nun! es ist geschehen. O! gnädiger Herr! wären Sie nur bey uns! Als wir einmal in einem maynzischen Dorfe, durch welches die Straße geht, an das Land stiegen, sahen wir ein Churfürstliches Chausseehaus, daran stand auf einem Schilde, zum Zeugniß wie correct man hier schreibt, folgendes: Hir zalt Mann Schose Gelder. Unter Bingen fängt so zu sagen ein ganz andrer Styl der Natur an, und unter St. Goar wiederum. Es ist nicht möglich sich schönere, reichere, mannigfaltigere Aussichten zu denken, als die der ganze Strich von Maynz bis hierher zeigt. Neuwied 29sten Abends. Wir kamen diesen Morgen hier an. Die Nacht hatten wir in Laenstein zugebracht. Das Wirthshaus lag am Ufer des Rheins, in welchem sich der liebe sanfte Mond spiegelte. Die Frösche sungen uns ein Abendlied. Wir genossen dieses Schauspiel länger als eine Stunde, bis wir uns schlafen legten. Die Lage von Coblenz ist wiederum über alle Beschreibung schön. Da wo sich die Mosel dem mächtigern Rhein in die Arme wirft; Sodann die fliegende Brücke; Gegenüber die Festung auf dem hohen Felsen; Und am Fuße desselben das Schloß – Ich mögte doch wissen, was wohl ein Mensch von Gefühl, der nie ein andres Land als das Waldeckische gesehen hätte, zu diesem Anblicke sagen würde. Wir hielten uns nur eine Stunde in Coblenz auf, und fanden im Gasthofe den edlen jungen S ... der itzt auf Reisen geht. Sie wissen es doch, daß dieser, als er in Göttingen studierte, und sein stolzer Vater von ihm verlangte, er sollte Equipage halten, sich endlich das Geld dazu schicken ließ, und von dieser Summe einem armen Studenten Zuschuß gab? Neuwied ist eine allerliebste Stadt. Hier wohnen Inspiranten, Wiedertäufer, Hernhuter – kurz, Menschen von allen Religionssecten friedfertig neben einander, und haben ihren freyen Gottesdienst. Der regierende Graf, der ein weiser Staatsmann, feiner Menschenkenner, liebreicher Landesvater und in allem Betracht ein großer Mann ist, hat ein Beyspiel für ganz Deutschland von kluger Toleranz gegeben, die seinem Herzen und seiner Politik gleich viel Ehre macht, und wobey sich das Land sehr wohl befindet, indem Neuwied voll Fabriken, Manufacturen und überhaupt blühend, nahrhaft und volkreich geworden. Seine Gemahlinn ist eines solchen Herrn würdig, und Sie werden wenig Frauen finden, die so wie sie große Einsicht, einen philosophischen Geist, viel Lectur, Kenntniß, Geschäftigkeit und Welt, mit Güte, Herablassung und Sanftmuth verbinden – Mit einem Worte! ich wünschte jedem Lande eine solche Herrschaft. Das Schloß und der Garten am Ufer des Rheins liegen gar herrlich, und das Lustschloß Mon repos, welches wir morgen besehen werden, und das auf einem Berge liegt, von woher man die ganze Gegend überschauen kann, hat eine sehr reizende Situation. Als wir ankamen, lag unser lieber Freund ... noch im Bette. Wir überraschten ihn; Und wenn es wahr ist, daß man das Hauptgepräge des Characters eines Mannes nach der Laune beurtheilen kann, mit welcher er aufsteht; (wenn er anders gesund ist) so hat diese Bemerkung auch hier nicht gelogen, denn der vortrefliche Mann sprang heiter und liebevoll aus dem Bette in unsre Arme. Wir haben schon heute einige glückliche Stunden mit ihm und unsern andern theuren Freunden verlebt. Auch habe ich sogleich den jungen Christoph Müller aufgesucht, und aus seines Lehrherrn Munde das vortheilhafteste Zeugniß seines Fleißes und seiner Aufführung gehört. Den 4ten Junius. Wir haben heute etwas gesehen, das man nur in diesen Gegenden allein finden kann, und wovon man in den übrigen Provinzen von Deutschland keinen Begriff hat, nemlich eine Flöße (Vloot). Ein solches ungeheures Gebäude kömmt stückweise an, und wird nicht weit von hier zusammengesetzt, um nach Holland geführt zu werden. Da wir erfuhren, daß eine dergleichen Maschine heute von Andernach abfahren würde; (wie denn gewöhnlich jährlich zwey hinuntergehn) so nahmen wir ein Nachen und fuhren dahin. Es ist ein frappanter Anblick für jemand, der so etwas noch nie gesehn hat, eine schwimmende Insel, welche, ohne die Flügel, die man Knie nennt, acht-bis neunhundert Schuhe lang, etwa hundert Schuhe breit und sechs bis sieben tief ist. Von einem solchen Gebäude, das oft 200,000 fl. werth ist, werden bis Holland ohngefehr 30,000 fl. Zoll gegeben. Es stehen viel Hütten zu Wohnungen für Menschen und Vieh darauf, denn vier- bis fünfhundert Leute leben Tag und Nacht darauf. Für dieselben wird täglich ein Ochse geschlachtet. Man nimt funfzehn- bis sechszehnhundert Laib Brod, vier- bis fünfhundert Ohm Bier, drey bis vier Fuder Wein und ganze Fässer voll geschnittenen Brods zu Suppen mit auf den Weg. Gewöhnlich geht noch eine Jagd mit, die, wenn alles Holz und die übrige Waare in Holland verkauft ist, die Menschen zum Theil wieder heraufführt. Es gehört große Kunst dazu, eine so colossalische Maschine zu lenken, und da der Strohm gegen diese große Maße überaus mächtig würken kann; so setzt der geringste wiedrige Umstand, und ein kleiner Fehler, der bey den Drehungen vorgeht, die ganze Mannschaft in Lebensgefahr. Um nun gewiß zu seyn, ob sie Wasser genug zur Reise haben, lassen sich die Unternehmer täglich aus der Schweiz einen Brief nach Andernach schreiben, und darinn melden, wenn der geschmolzene Schnee von den Gebürgen losgeht. Als wir wieder zu Hause kamen fanden wir Ihren lieben Brief und unsre Zurückberufung. Wir werden Ihrem Befehle gemäß über Gotha und Weimar reisen, und also bekommen Sie nun, theuerster Herr! ausser dem Briefe, den der Herr von Hohenau heute auf die Post schickt, keine weitre Nachricht von uns, und dies Paquet wollen wir von Frankfurt aus abschicken. Nieder-Selters den 8ten Junius 1772. Wir sind heute über Coblenz, Montebaur und Limburg hierhergekommen, wo wir unsern liebenswürdigen Simon mit seiner Familie gefunden haben. Die Gegend dieses Brunnenorts hat wilde Schönheiten. Brunnengäste sind immer wenige gegenwärtig, um desto beträchtlicher aber ist die Versendung des Wassers. Vom frühen Morgen bis spät in die Nacht sitzt ein Haufen Menschen an der Quelle, wovon der Eine Wasser schöpft, der Andre die Krüge herreicht, der Dritte das Zubinden, der Vierte das Verpichen und so ein jeder etwas besorgt. Wir haben hier auch einen meiner alten Bekannten, den Herrn von Trautenberg mit seiner Frau angetroffen. Es war eine rührende Freude für mich, diesen guten, einst sehr unglücklichen Mann, so zufrieden, gesund und heiter zu sehen. Erlauben Sie, liebster Herr! daß ich Ihnen eine Scene aus seinem Leben mit seinen eigenen Worten erzähle. Sie werden dieselbe nicht ohne Theilnehmung lesen. »Ich war ein fleißiger, frommer, aber zu warm und enthusiastisch gefühlvoller Jüngling, als ich nach ... auf die Universität kam. Von allen Menschen hatte ich eine vortheilhafte Idee, und kettete mich so gern an jeden an, der irgend eine hervorstechend gute Eigenschaft blicken ließ, oder mir einige Zuneigung bewies; So neu war ich noch in der Welt – Es drängten sich verderbte Jünglinge an mich, gewonnen mir die schwache Seite ab, betrogen mich um Geld und Zeit, und verführten mich zu einem müßigen Leben.« »Aber dieser Taumel dauerte nicht lange. Ich gerieth bald in Schulden, welche mein Vormund nicht bezahlen wollte, und fühlte zu früh das Leere meiner Lebensart, den Verlust der schönsten Jahre, und glaubte, ich sey unwiederbringlich verlohren. Um eben diese Zeit war ich auch sehr unglücklich in der Liebe; mein einziger treuer Freund, mein ältester Bruder starb, und meine Gesundheit war nicht die beste.« »Alle diese Unfälle öfneten mir die Augen über meinen Zustand, und da ich nun so wenig Freude, gleich bey meinem ersten Eintritte in die Welt schmeckte; so verzweifelte ich daran, jemals Glück in derselben zu finden. Was ist, dachte ich, an einem einzelnen Menschen verlohren, wenn er von einer irdischen Wohnung Abschied nimt, in welcher für ihn kein Heil mehr ist?« »Von allen Todesarten hielt ich keine für sanfter und weniger schmerzhaft als die, Opium zu nehmen. Ich wußte aber, daß es, zu Verhütung des Mißbrauchs, verbothen ist, dieses Gift in großen Portionen zu verkaufen. Deswegen holte ich mir, unter allerley Vorwande, von mehreren Apothekern, zu verschiedenen Zeiten, so viel laudanum liquidum, als jeder verkaufen dürfte, sammlete alles in einem Glase, und als ich endlich so viel zusammengebracht hatte, als nach medicinischer Theorie dem stärksten Manne nothwendig einen Schlagfluß zuwege bringen mußte, machte ich mich an die Ausführung meines Plans.« »Es studierte mit mir ein deutscher Russe, von welchem ich wußte, daß er nur auf Gelegenheit wartete, die Universität zu verlassen, auf welcher er eine sein Vermögen übersteigende Schuldenlast aufgehäuft hatte. Diesen bath ich mit mir einen Spaziergang auf ein benachbartes Dorf zu machen. Mein Wechsel war eben angekommen, und ich steckte das ganze Geld bey mir, in der Absicht, daß es dem Russen, wenn ich tod seyn würde, zur Flucht dienen sollte.« »Wir giengen des Nachmittags fort, kamen dort an, liessen uns ein gutes Abendessen bereiten, bey welchem ich recht heiter und frohlig war, und darauf legten wir uns zu Bette – Ich vergesse nie den Ort und die Umstände, und so oft ich durch die Gegenden reise, besuche ich die Stelle, und verlasse sie nie ohne innigste Rührung.« »Unsre Betten standen gegen einander über; Ein Nachtlicht brennte vor dem meinigen. Ich nahm von meinem Begleiter einen so zärtlichen Abschied, ehe wir uns hinlegten, daß er nothwendig hätte etwas merken müssen; Aber er war nicht mehr der Mensch, der auf dergleichen achtete; Bey sehr guten Anlagen, war er itzt sehr verwildert.« »Als ich nun merkte, daß der Russe schlief, reckte ich mich noch einmal in die Höhe, sah ihn bedeutend an, holte dann mein Fläschgen, so ich unter das Bette gestellt hatte, hervor, und trank es mit aller Kaltblütigkeit bis auf den letzten Tropfen aus. Ich kann nicht sagen, daß der Gedanke, nun zum letztenmal alles um mich her zu sehen, und dann auf ewig die Augen zu schliessen, mich im geringsten beunruhigt hätte. Ich war im Gegentheil froh, das Ende meiner Leiden erlebt zu haben.« »Es überfiel mich bald ein fester Schlaf, der bis des Morgens um vier Uhr dauerte. Aber da erwachte ich, (kein Arzt hat mir die Wahrheit dieser Begebenheit glauben wollen) erwachte mit Schrecken, Betäubung, fürchterlicher Angst, und – o Wunder! die ganze Menge des Opiums stürzte durch ein heftiges Erbrechen wieder aus meinem Munde, ohne meiner Gesundheit einen andern Nachtheil zu bringen, als daß ich einige Monate hindurch eine ungewöhnliche Entkräftung fühlte.« »Jetzt aber drang mein Gewissen mit ganzer Last auf mich ein. Ich sah wie feig, wie unverantwortlich unmännlich und schlecht ich gehandelt hatte; ich erkannte die Gnade der Vorsehung, der ich meine Rettung dankte; Der ernstliche Vorsatz ein guter, fleißiger Mensch zu werden, alles Ungemach des Lebens zu ertragen und zu überwinden, erfüllte meine Seele, und dieser Scene habe ich dann mein ganzes Glück, die wiederkehrende Ruhe meines Herzens zu danken. Seit dieser Zeit ist jeder meiner Schritte gesegnet gewesen; Ich habe die kleinen Ungemächlichkeiten des Lebens standhaft ertragen, und nie wieder gegen die allmächtige Güte gemurrt.« So weit die Erzählung meines Freundes. Wir gehen zu Bette, um morgen recht früh zur Reise bereit zu seyn. Frankfurt am Mayn den 9ten Abends. Wir sind über Königsstein hierher gekommen. Billig sollten Seiner Churfürstlichen Gnaden in Mayn; Seelenmessen für die Seelen derer lesen lassen, wel che durch heftige Flüche über die schlechten Wege, sich zum langen Fegefeuer reif machen. Aber die gerüttelten Rippen der Lebenden würden sich um nichts besser dabey befinden, und in so fern wäre es besser, die Wege würden gebessert. Morgen gehen wir von hier ab, und binnen acht Tagen sind wir wieder in den Armen unsres besten, vortreflichen Wohlthäters, dem unsrer aller Herzen entgegen schlagen; vorzüglich aber das Ihnen ewig verbundene Herz Ihres gehorsamst treuen Dieners Meyer. 33. Brief Drey und dreyßigster und letzter Brief. An den Herrn von Hohenau in Frankfurt am Mayn. Urfstädt den 4ten Junius 1772. Dies, mein liebster Sohn! ist also mein letzter Brief, und dann drücke ich Dich bald an mein Herz. Glaube mir, ich freue mich innigst auf diesen Augenblick. Du hast nun allerley Bilder gesammlet, und wir wollen gemeinschaftlich überlegen, wie wir diese Gallerie in Ordnung bringen, und welchen Plan Du für Dein künftiges Leben einschlagen willst. So viel kann ich Dir im Voraus sagen, daß ich gleich nach Deiner Zurückkunft Anstalt zu machen denke, Deine Charlotte auf ewig mit Dir zu verbinden. Und wenn Du ein Jahr lang die ersten Freuden des häuslichen Lebens geschmeckt hast; wie wäre es, wenn wir dann eine kleine Reise über Wien nach Italien machten, und ich selbst Dich begleitete? Doch davon läßt sich noch reden. Deine gute Braut erwarte ich in wenig Tagen nebst ihrer Mutter; Sie wollen Dich hier bewillkommen, und von ihrer Freude kann niemand eine bessere Vorstellung haben, als Du selbst. Der junge Hundefeld hat seine Dienste als Cammerassessor und Hofjunker in Cassell angetreten. Dort denke ich auch den jungen Wallitz anzubringen. Für unsern Freund Meyer habe ich einen Vorschlag, den er, wie ich hoffe, annehmen wird. Der Secretair Reifenbruck hat eine große Pachtung im Hannöverschen übernommen. Also habe ich jetzt niemand, der meine Geschäfte führt. Will nun unser redliche Meyer diese Mühe übernehmen, seinen Platz in Dresden dem jungen Müller überlassen, und den Rest seiner Tage der Unsrige seyn; so wollen wir Alle selige Zeiten, vereint mit einander durchleben. Hier hast Du Addressen nach Gotha. Du wirst an meinem lieben ... einen Mann kennen lernen, der wegen seiner seltenen Bescheidenheit und seines liebevollen sanften Characters, eben so sehr als wegen seiner Schriften und Verdienste um die Literatur, Verehrung verdient. In Weimar mögte ich Dir das Glück beneiden einen jungen Fürsten von Angesicht zu Angesicht zu sehen, der durch so viel Privattugenden den Glanz seines Standes erhebt, der ein eben so treuer Freund als guter Landesvater ist, der jedes Talent schätzt, Gefühl für alles Gute und für die Leiden der Menschheit hat, und fest und entschlossen bey Ausführung edler Vorsätze ist. Und nun, lieber Junge! lebe wohl! Der Gedanke Dich bald hier an meiner Seite zu haben, macht um zehn Jahr jünger, Deinen treuen Vater Leidthal. Schluß Schluß. Hier, lieber Leser! hast Du nun mein Büchelchen ganz. Ich wünsche herzlich, es möge Dir wohlgefallen. Wenigstens hatte ich, als ich es schrieb, die redliche Absicht, Du solltest Freude und Nutzen daraus schöpfen. Ist dieser Endzweck nicht ganz erreicht; so habe Nachsicht. Etwas Gutes steht doch wohl darinn, und sollte auch dies nicht seyn; so kann ich kühn sagen, Du wirst wenigstens nichts finden, das der Unschuld gefährlich, oder dem Schwachen ärgerlich seyn könnte. Also ist es doch ein unschädliches Buch, jedem unschädlich, es müßte denn dem Verfasser Nachtheil bringen können, weil er hie und da ein wenig frey von der Lunge weg geredet hat. Doch dafür laß mich sorgen; die Edlen habe ich wissentlich nicht gekränkt, und die Schurken fürchte ich nicht. Uebrigens besorge ich, Du mögtest zuweilen ein bisgen böse Laune durchblicken sehen; Aber sollte das seyn; so bedenke, daß ich, während daß ich den Roman meines Lebens schrieb, oft an Leib und Seele gar sehr krank gewesen bin. Wenn dies keine Entschuldigung für den geringen Werth meines Buchs ist; so kann es Dir wenigstens die Hofnung geben, daß ich vielleicht in dieser Welt nicht lange mehr schreiben, und Dich also wahrscheinlich nie wieder mit einem gedruckten Werkgen heimsuchen werde – In jener Welt aber wird wohl nicht von meinen Schriften, sondern von meinen Handlungen die Rede seyn.