395. Die Glocke zu Bergen. Durch Reinhold von Pommeresche. In der Stadt Bergen auf Rügen lebte einmal ein Glockengießer, dem bisher sämmtliche Glocken misrathen waren; da machte sich einmal sein Lehrbursch an die Form und goß eine vortreffliche Glocke. Aus Neid darüber, daß der Guß so schön gerathen war, erstach der Meister denselben und vergrub ihn unter dem Schweinskofen seines Hofes. Die Glocke gab er darauf für sein Werk aus und erhielt eine große Summe Geldes dafür. Als man sie aber aufhängte und sie zum ersten male geläutet wurde, da sang sie: »Schåde, schåde, dat de jung dôt is! hê liggt begråven unnern swînskåven, schåde, schåde, dat de jung dôt is!« Das klang so laut und deutlich, daß es jedermann verstand, aber keiner konnte den Sinn begreifen. »Wat f ûr'n jung?« fragten die Leute, »wat hêtt dat van wägen den swînskåven, wûr de jung dôt liggen sall?« Endlich kam man auf den Lehrjungen des Glockengießers. »Datt mött he sin«, sagten die Leute, »wech is hê kåmen, man wêt nich wûrhen.« Da grub man unter dem Schweinskofen nach, fand die Leiche und der Mörder erlitt die gerechte Strafe. Vgl. Seifart, Hildesheimer Sagen, Nr. 45, 3.; Müllenhoff, Schleswig-holsteinische Sagen u.s.w., Nr. 150, wo die Glocke singt: »Schad um den Jungen, schad um den Jungen«, und Anmerkung S. 595 über die pronsdorfer Glocken, wo bemerkt wird, daß die pronsdorfer Jungen nach zweinotiger Melodie den Spruch: »Schad is, dat de Lehrburs doet is«, singen. Auch mir liegt eine solche zu obigem Lied vor, die sich von g nach e hinunterbewegt; die erste Silbe von begråven und swînskåven steigen nach c hinauf. Zur Literatur dieser Sage vgl. noch oben Nr. 340 mit der Anm.