5. Anna liegt im Wald verlassen, Klagt den Bäumen nicht ihr Los; Schweigend drückt sie nur die nassen Augen in das weiche Moos. Im Gebüsch der Winde Sausen Weckt der Reue wilden Schrei, Und des Baches Wellen brausen An der Sünderin vorbei. Anna darf um Trost nicht lauschen Zur Natur im Trostgewand, Zwischen ihnen flatternd rauschen Hört sie das zerrißne Band. Und die Menschen schaudernd kehren Ab das Herz von Annas Not; Ihre Buße nur zu nähren, Reichen sie das Bettelbrot. Sieben Jahre sind es heute, Seit ihr Gatte sie verstieß, Seit sie, Reu und Kummers Beute, Klagend seine Burg verließ. Heute sind es sieben Jahre, Daß sein Fluch sie fortgeschnellt, Daß sie mit gelöstem Haare Büßend weinte durch die Welt. Mutterleid, das wonnereiche, Hat ihr Antlitz nie versehrt, Aber bis zur Totenbleiche Hat der Jammer es verheert. Als sie aufblickt von der Erde, Naht im Strahl des Abendlichts Ihr ein Greis, mit Freundsgebärde, Mitleidvollen Angesichts. »Anna, hebe dich vom Grunde! Komm, du hast genug geweint; Des Erbarmens milde Stunde Deinem Kummer auch erscheint. Folge mir zur Waldkapelle!« Spricht der alte Eremit, Als des Abends letzte Helle Von den Wipfeln sich verzieht. Dunkel wird es, dunkler immer, Kaum manchmal durch Baum und Strauch Zweifelt eines Sternes Flimmer, Stiller, kühler wird es auch. Und sie wandeln und sie schweigen, Finster wird es ganz und gar, Auf des Walds gewundnen Steigen Leuchtet ihr sein weißes Haar. In des Waldes tiefsten Schauern Kommen sie an die Kapell; Grabesstill sind ihre Mauern, Doch erleuchtet ist sie hell. Zu der traurigsten der Frauen Spricht der Alte: »Tritt hinein! Die du drinnen wirst erschauen, Bitte, daß sie dir verzeihn!« Anna zögernd und verzagend In die Waldkapelle tritt, Von den öden Wänden klagend Hallt zurück ihr scheuer Schritt. Niemand hier; doch lispelnd nennen Ihren Namen hört sie klar; Sieben Kerzen sieht sie brennen Ohne Leuchter am Altar. Hellen Schimmer auszuspenden, Hängt die Lampe ohne Schnur; Bilder haften an den Wänden, Dämmernde Umrisse nur. Und die Staffeln abgebrochen Zum Altar; zerrißnes Tuch; Keine Messe wird gesprochen Aus dem unbeschriebnen Buch. Sieben leichte Lichtgestalten Jetzt an ihr vorüberziehn Und mit stummem Händefalten Vor dem Altar niederknien. Anna sich mit zitternd leisen Schritten den Gestalten naht: »Meine ungebornen Waisen! Ach, verzeiht ihr, was ich tat? Grausam frevelnd ausgestoßen Hab ich euer keimend Herz, Von den Freuden ausgeschlossen, Von dem trauten Erdenschmerz!« Und sie nicken, ihr vergebend, Lächelnd zugewandt, doch stumm; Und der Alte, näher schwebend, Schlingt die Arme ihr herum. Anna sinkt zu Boden nieder, Ihr entgleiten Schmerz und Not, Und sie klagt und weint nicht wieder; Der Einsiedel war der Tod. Und zur Stund ein sanftes Tosen Erich aus dem Schlafe weckt: Ha! er sieht mit frischen Rosen Seine Diele überdeckt. Anna bleich und todeshager, Grüßend ihm vorüberging, Und sie legt ihm auf sein Lager Leise seinen goldnen Ring. Als sein totes Weib dem Ritter Samt den Rosen wieder schwand Nimmt er die bestaubte Zither Endlich einmal von der Wand, Und er singt ein Lied, das alte, Aber nicht im alten Laut, Wie es vor dem Fenster hallte Anna einst, der schönen Braut. »Hab ein Schloß und finstre Wälder, Berge hab ich, reich an Erz, Muntre Herden, goldne Felder, Und nach dir ein krankes Herz!«