Fünftes Buch. Die Wassersnoth Liebliche Weyde, bestreut mit bunten balsamischen Blumen, Wo sich kleine Hügel, gekränzt mit höherem Grase Ueber die blaßgrüne Fläche erheben, wo schüchterne Veilchen Unter den purpurnen Blättern der wilden Rosen verstekt stehn: Wo der muthwillige West in den gelben einfachen Blättern Saftiger Wiesblumen schwärmet und wie Wellen sie forttreibt, Daß der nächtliche Thau, noch drauf zitternd, blizzend herabfällt: Wo allenthalben simple Natur und kunstlose Schönheit Mir entgegenlächelt und seichte wollüstige Tränen Aus dem Auge lokt, indem schauervoll der entfernte Strom mit dunklem Gewässer in mäandrischen Krümmen Seitwärts vorbei durch Blumen und Laub rauscht: seid mir gegrüsset, Seid mir paradiesische Scenen gegrüsset. Auf weichem Rasen will ich hier sizzen und alle Gerüche des Frühlings Einziehn, hier soll mein forschendes Auge von Gegend zu Gegend Irren und lernen: hier will ich den angenehmblökkenden Lämmern Und den einfältigen Tönen von groben Händen geschnizter Flöthen aus Rinden, zulauschen. Ganz in die Sinne versenket, Ganz Gefühl entschlummere hier meine Seele, entlastet Von der tiefen Betrachtung oder der drükkenden Sorge. Alles ist Wonne um mich. Die Sinne ermüden zu trinken. O wie hauchet der Abend Düfte und Ruh! wie schläfrig Murmelt und rauscht das Gewässer. Die Blumengöttin selbst drükt Mit in Balsam getauchter Hand das geblendete Auge Mir sanftlächelnd zu. Ich schlafe, wie Adam geschlafen, Als vom Liljengewölk zuerst die schmeichelnde Binde Auf sein müdes Augenlied sank. Aber welch schröklich Geräusch, gleich schweflichten Donnern, entzündet Tödtliche Angst in meinen wach gerüttelten Gliedern! Welch ein Anblik! Ich sehe die aufrührischen Wasser Ueber die niedergebükten Häupter der Blumen hinwegfliehn, Und die Gesträuche verschlingen, die sie sonst friedlich getränket. Trauriger Frühling, ist diß dein Werk? Empörest du also Ruhige Flüsse, die Phöbus mit seinem Bildnisse zierte? Daß sie wie gezähmete wilde Thiere uns schmeicheln: Aber die Wildheit kehret zurük; mit plözlichem Schnauben Fallen sie über uns her und spotten des Eifers zu fliehen. – Ach wohin rette ich mich! – von jenem hüglichten Berge Winkt mir der sichere Nachbar. Von seiner luftigen Spizze Will ich die Schrekken ansehn, die die Ueberschwemmung verbreitet. Junges Grün, wo bliebst du und ihr abwechselnden Farben? Alles ist eine dunkelspiegelnde Fläche geworden. Weidende Stiere werden empor gehoben und rauschen Aengstig über das Wasser dahin – und finden kein Ufer. Furchtsame Lämmer arbeiten muthig. So werth ist diß Leben Selbst dem vernunftlosen Vieh: es kennt die rasende Kühnheit Elender Weisen noch nicht, die mit widerstrebendem Herzen Dieses Himmelsgeschenk aus schwarzem Leichtsinn verderben, Und mit dem eigenen Wesen die bebenden Fäuste beflekken. Aber stündlich wächset die Fluth: der Vater des Stromes, Der weit ausgestrekkete See, entschwillet von Klumpen Eises, die sich zerstossen, und sucht den gewöhnlichen Ausweg, Daß der Fluß und die ganze Gegend See wird. Auf Böthen und Flössen Fliegen die Menschen umher, oft ohne Ruder, dem wilden Schuß des Stroms anvertraut, und scheitern an Felsen und Wipfeln Halb ersäufeter Eichen, die sie erhaschen und warten Bis ein mitleidiger Wind das Ufer wieder emporruft Und die unbändigen Wogen in ihre Höhlen zurük jagt. Siehe, dort reiset ein Haus. Die unvermuthet entführten Einwohner strekken vergeblich die Arme und schreien nach Hülfe: Indem stürzt eine Wand von kämpfenden Wellen verschoben, Und zerquetschet die Kinder des jämmerlich brüllenden Vaters. Dort trägt die Fluth eine Wiege. Des erschrokkenen Säuglings Blasse Wangen sind voll von Tränen. Mit fliegenden losen Haaren schwimmet die Mutter ihm nach: aus dem nakkenden Busen Stöhnen gebrochene Töne herauf: »Mein Kind! – o mein einzig, Mein geliebtestes Kind!« – Izt greift sie mit zitternden Armen Nach dem schwimmenden Moses. Unglükselige Retterin! Ach er entfällt ihrer Hand. Wie wüthet der Schrekken in ihren Wild verzogenen Mienen! Kein Wort! Keine Träne! Mit lautem Schreien sinkt sie ihm nach in die weitzirkelnden Fluthen. Aber welch ein anhaltendes Seufzen durchdringet die Lüfte! – Trauriger Anblik! Die schönste der Bräute mit ihrem Geliebten Auf einem wankenden Brette. Bey jedem Anfall des Sturmes, Jeder schleudernden Woge heften sie tränende Blikke Auf einander: die Worte fliehn die beklemmte Zunge: »Thirsis!« – »Selinde!« so lispeln sie manchmal bey ruhigerm Wasser. Und izt reißt eine fliegende Welle, gejagt vom Orkane, Ihr mastloses Schif mit sich fort. Mit lautem Geschreye, Hocherhabenen Händen sieht die erstarrte Geliebte Ihren Geliebtesten von dem schwankenden Brett herabtaumeln. »Rette dich! Stirbst du? Rette dich!« zittert die holde Stimme. Er arbeitet verzweifelnd; starr, wie der zagende Krieger In der Schlacht nach dem Feldherrn blikt, so blikket sein Aug' im Mißlichen Kampf mit dem nahen Tod' auf seine Selinde. Schwarzes graunvolles Schrekken das mit den Wellen daherströmt Färbt seine aufgeblasenen Wangen mit wechselnder Blässe. Wie haucht er so gewaltig die auf ihn eindringenden Ströme Von sich! Wie zappeln die Füsse, wie ringen die nervigten Arme! O ihr Felsen zeigt ihm eure mooßigten Spizzen, Daß er da anländen kann! Ihr Bäume dort, schwimmet ihm näher Daß er euch zitternd ergreife. Ach schon ermatten die Kräfte! Ach, er sinkt! – Selinde, er sinkt! Sie schreyet, sie stammelt, Umsonst suchet sie Worte; sie fliegt ihm nach und umschlingt ihn: – Lange nachher wird ein irrender Weiser auf einsamem Gange An dem schlammigten Ufer sie finden. Er öfnet der Erde Den mitleidigen Schooß, begräbt die treuen Geliebten, Pflanzet Rosen aufs Grab und singt mit ewigem Liede Von Orpheischen Sayten die betrübte Geschichte. Dieser altvätrische Berg ragt noch mit dem kahlen Rükken Ueber die Fluthen empor. Wie von bewachsenen Felsen Weidende Ziegen ängstig auf hinanklimmende Wölfe Niedersehen, so blikken hier Menschen mit klopfendem Herzen Auf das Gewässer hinab, das stündlich höher emporsteigt. Dort auf thürmenden Eichen, deren vermoderte Wurzel Schon in der schlammigten Erde wanket, drohend den Umsturz, Lauschen andere. Indem sinkt eine trügende Stüzze, Mit ihrer Last. Weit umher ertönt ein verzweifelndes Schreyen Und der brausende Grund verbirgt den Elenden auf ewig. Aber noch sind nicht die Schrekken erschöpft, womit sich die schwarzen Ehernen Wällen bewafnen, wenn sie den wehenden Himmel, Der nur ein Wind zu sein scheinet, wie Titanen bestürmen. Komm, getreue Muse, eh du voll Schrekken hinwegfliehst, An den nakten Seestrand, von salzigen Fluthen bespühlet, Die mit majestätischem Rauschen, gehäufet wie Klösse, Die der Pflug treibt, sich überwälzen, und in dem Sande Schäumend zerfliessen. Schau! ein plözlicher Wind erbaut hier Thürm' und Städte aus Wasser, die er im Augenblik einreißt. Wie ein gezerreter Löwe sein eisern Behältniß erschüttert, Und durch sein gräßliches Brüllen das Blut in den Adern empöret: Also hüpfen und klatschen und toben die rasenden Wogen, Scheuchen die Sonn' unter Wolken, und fordern Orkane zum Krieg' auf. Wehe dann dem hülflosen Schif, der Höh anvertrauet, Ueber welche sich siebenfältige Dunkelheit breitet! Wehe dann deinen Kindern! du, der du, verdrüßlich zu leben, Dich zuerst auf Brettern in einen Tartarus wagtest Und dem Tod in den Rachen sprangst, du, den nicht die fremden Warnenden Wind' erschrekten, noch die ausscheltende Tiefe. Komm herauf, du, des ersten Schiffers verwegener Schatten! Rette dein zagend Geschlecht, von allem Lebendgen getrennet, Und in dem Maule des scherzenden Todes, der seine Lust hat An ihrem Winseln und sie vielleicht noch aus Muthwillen lossläßt. Höre hier rasche Wellen, die Donner unter den Wellen Und die Stimmen der Sterbenden unter den krachenden Donnern. Laut erseufzet der Mastbaum, der kaum die Stirn noch emporhält, Von allen Winden des Himmels bekämpft. Izt sinkt er, izt strekt er Die gewaltige Last in die gepeitscheten Fluthen. Was für blasse Gesichter zeigt der erleuchtende Bliz uns, Wenn er über die Scene dahinfährt. Gesichter voll Tränen! Bebende Hände gen Himmel erhaben! zerstreuete Haare, Die vom Meerwasser triefen! – Laß uns erweichte Muse! Laß uns sie hören, die Klagen, die von dem zerrissenen Schiffe In die dunkle ungeheure Einsamkeit tönen. – Doch die brausenden Wogen lassen des Jammers Stimme Unser Ohr nicht berühren. Wolken und Elemente Stehen im schröklichen Bündniß wider ein schwaches Leben, Das auf löchrichten Brettern umherschwimmt. So tobte das Chaos, Eh mit besänftgendem Fittig der Athem des HERRN drüber schwebte: Wie sich das Meer bald empört, um die zerstreuten Elenden Näher zu bringen dem Donner, der aus den Wolken herabbrüllt; Bald sich wieder eröfnet, sie in die einsamsten Höhlen In der Seefische schlammigte Wohnungen niederzustürzen. Ein Kind schlingt die verwundernd ausgebreiteten Händchen Um die halbtodte Mutter: sie sinkt; da klimmet es furchtsam An sie. Dereinst wird die Fluth an fernen Ufern sie ausspeyn Um ein Herztödtendes Schauspiel dem sichern Vater zu zeigen. Unerschrokken, gelassen, wie unter nächtlichen Stürmen Der stillwandelnde Mond, liegt dort ein Greiß auf den Knieen: »Zwar du hast uns dein Antliz, Vater! mit Wolken verhüllet; Aber doch flehen wir zu dir hinauf: dein göttliches Ohr weiß Mitten unter den lauten Wettern die Stimme des Menschen Zu unterscheiden: Vater! nimm unsre Seelen, ach nimm sie In deine Hände, wenn Fluthen den Leib zum Eigenthum fodern.« Schröklicher ist das Ende des Wuchrers, der Dürftige aussog, Und die Trän' unterm Trauerflore nie troknete. Dunkles Haar steht aufgesträubt um seine knechtische Stirne: »Hätt' ich, stöhnet die Todesfurcht aus ihm, ach hätt' ich, verfluchte Schäzze! nie euch gesammelt! Wär' ich auf sicherem Hofe, Den die streifigten lächelnden Fluren umringten, geblieben! Ich verdiente dein Lächeln nicht, buntfarbigter Frühling, Drohende Wogen weit um mich her, die hab' ich verdienet. Und nun seid mir verflucht, verräthrische Schäzze: ich sucht' euch, Säete Tränen und Blut aus, um Gold zu erndten; jezt werdet Ihr zur Hölle mich niederdrükken: jezt fluch' ich euch, fluch' euch! – GOTT erbarme dich meiner!« Da reissen die Wellen den Wuchrer Schnell erbarmungsloß fort, und knallende Donner beläuten Ihn zur Tiefe hinab, die ihn mit Brüllen empfänget.