12. Piramus und Thisbe Der junge Piramus in Babel Hatt in der Wand Sich nach und nach mit einer heissen Gabel Ein Loch gebrannt. Hart an der Wand da schlief sein Liebchen Die Thisbe hieß Und ihr Papa auf ihrem Stübchen Verderben ließ. Die Liebe geht so wie Gespenster Durch Holz und Stein. Sie machten sich ein kleines Fenster Für ihre Pein. Da hieß es, liebst du mich? da schallte: Wie lieb ich dich! Sie küßten Stundenlang die Spalte Und meynten sich. Geraumer ward sie jede Stunde Und manchen Kuß Erreichte schon von Thisbens Munde Herr Piramus. In einer Nacht, da Mond und Sterne Vom Himmel sahn, Da hätten sie die Wand so gerne Beyseits gethan. Ach Thisbe! weint er; sie zurücke: Ach Piramus! Besteht denn unser ganzes Glücke In einem Kuß? Sie sprach: ich will mit einer Gabe, Als wär ich fromm, Hinaus bei Nacht zu Nini Grabe, Alsdann so komm! Dies darf mir der Papa nicht wehren, Dann spude dich. Du wirst mich eifrig bethen hören, Und tröste mich. Ein Mann ein Wort! Auf einem Beine Sprang er für Lust: Auf Morgen Nacht da küß ich deine Geliebte Brust. Sie, Opferkuchen bei sich habend, Trippt durch den Hayn, Schneeweiß gekleidt, den andern Abend Im Mondenschein. Da fährt ein Löwe aus den Hecken, Ganz ungewohnt, Er brüllt so laut: sie wird vor Schrecken Bleich wie der Mond. Ha, zitternd warf sie mit dem Schleyer Den Korb ins Graß Und lief, indem das Ungeheuer Die Kuchen aß. Kaum war es fort, so mißt ein Knabe Mit leichtem Schritt Denselben Weg zu Nini Grabe – Der rückwärts tritt, Als hätt ein Donner ihn erschossen: Den Löwen weit – Und weiß im Grase hingegossen Der Thisbe Kleid. – Plump fällt er hin im Mondenlichte: So fällt vom Sturm Mit unbeholfenem Gewichte Ein alter Thurm. O Thisbe, so bewegen leise Die Lippen sich, O Thisbe, zu des Löwen Speise Da schick ich mich. Zu hören meine treuen Schwüre Warst du gewohnt; Sey Zeuge wie ich sie vollführe, Du falscher Mond! Die kalte Hand fuhr nach dem Degen Und dann durchs Herz. Der Mond fieng an sich zu bewegen Für Leid und Schmerz. Ihn suchte Zephir zu erfrischen Umsonst bemüht. Die Vögel sangen aus den Büschen Sein Todtenlied. Schnell lauschte Thisbe durch die Blätter Und sah das Graß, Wie unter einem Donnerwetter, Von Purpur naß. O Gott, wie pochte da so heftig Ihr kleines Herz! Das braune Haupthaar ward geschäftig, Stieg himmelwärts. Sie flog – Hier zieht, ihr blassen Musen, Den Vorhang zu! Dahinter ruht sie, Stahl im Busen: O herbe Ruh! Der Mond vergaß sie zu bescheinen, Von Schrecken blind. Der Himmel selbst fieng an zu weinen Als wie ein Kind. Man sagt vom Löwen, sein Gewissen Hab ihn erschröckt, Er habe sich zu ihren Füssen Lang hingestreckt. O nehmt, was euch ein Beispiel lehret, Ihr Alten, wahr! Nehmt euch in Acht, ihr Alten! störet Kein liebend Paar.