XIX. An den Grafen Carlo Pepoli. (1826.) Den schweren, unruhvollen Schlummer, den Wir Leben nennen, wie erträgst du ihn, Mein Pepoli? An welchen Hoffnungen Stärkst du dein Herz? Was für Gedanken, welche Geschäfte, heiter oder lästig, füllen Die Muße, die, ein mühevolles Erbtheil, Du von den Ahnen überkamst? Das Leben In jedem ird'schen Stand ist immer müssig, Wenn alles Thun und Schaffen, das nicht strebt Nach würd'gen Zielen oder nie den Zweck Erreichen kann, für mehr nicht gelten mag Als eitel Müssiggang. Der fleiß'ge Haufe, Den hinterm Pflug, im Garten, bei den Heerden Das stille Frühroth wie der Abend trifft, Wenn du ihn müssig nennst, da er sein Leben Nur fristet, um zu leben, und dem Menschen Das Leben an sich selber werthlos ist, So sprichst du recht und wahr. Die Tag' und Nächte Verdehnt der Schiffer müssig. Müssiggang Ist all das Schweißvergießen in der Werkstatt, Des Kriegers kühner Wacht- und Waffendienst, Und müssig lebt der geiz'ge Handelsmann. Denn jenes holde Glück, nach dem allein Sich sehnt und strebt die sterbliche Natur, Niemand erwirbt es, weder sich noch Andern, Durch Sorg' und Schweiß, durch Wachen und Gefahr. Doch für die herbe Sehnsucht, die so rastlos Vom Anbeginn der Welt die Sterblichen Nach Glück begehren heißt und stets umsonst, Schuf die Natur als lindernde Arznei Im Elend dieses Lebens mannichfache Nothdurft, die ohne Müh' und Denken nicht Befriedigt werden mag, auf daß der Tag, Kann er nicht fröhlich sein, doch ausgefüllt sei Dem menschlichen Geschlecht und, so gestört Und irrgeleitet, jene Sehnsucht minder Das Herz bestürme. Sehen wir doch auch Die unermessne Thierwelt, der, gleichwie Uns selbst, allein und stets getäuscht die Sehnsucht, Glücklich zu sein, im Innern lebt, auf das Bedacht, was noth zum Leben, minder traurig Als wir und leichter ihre Zeit verbringen Und nicht der Stunden trägen Schritt verklagen. Doch uns, die Andern wir die Sorge lassen Für unsre Lebensnothdurft, uns bedrückt Nur eine schlimmre Noth, die außer uns Kein Andrer lindern kann, die wir nicht mühlos Und leicht befried'gen: die Nothwendigkeit, Das Leben hinzubringen, eine harte, Eh'rne Nothwendigkeit, von der nicht Schätze, Noch reiche Heerden oder fette Fluren, Nicht Prunk des Hofes noch ein Purpurmantel Den Menschen je befrei'n. Und wenn, im Grimm Auf unser ödes Leben und das Licht Des Himmels hassend, wir die Mörderhand, Dem zögernden Geschick zuvorzukommen, Nicht an uns selber legen, suchen wir, Das Nagen jener unheilbaren Sehnsucht Nach Glück zu stillen, tausend Arzenei'n, Ohnmächtig all', ein trauriger Ersatz Für jene eine, die Natur uns bietet. Bald füllt die Pflege von Gewand und Haar Und Gang und Haltung und die eitle Sorge Für Pferd' und Wagen, Lust an vollen Sälen, Lärmvollen Plätzen oder schönen Gärten, Bald füllen Spieltisch, Gasterei'n und Tänze Dem Vielbeneideten die Tag' und Nächte. Stets lächelt seine Lippe, doch im Busen, Ach, in der tiefsten Seele fest und starr Gleich einer diamantnen Säule sitzt Die ew'ge Langeweile, gegen die Der Jugend Zauber nichts vermag und nichts Die süße Plauderkunst von Rosenlippen Und nichts der Blick, der zärtlich bebende, Aus schwarzen Augen, jener süße Blick, Das himmelswürdigste der Erdengüter. Ein Andrer, gleich als könn' er so entfliehn Dem herben Menschenloos, wenn Land und Luft Er ewig wechselt, irrt durch Berg' und Meere, Durchstreift den ganzen Erdkreis; jede Grenze Des Raums, die uns Natur im endlos weiten Gesild des Alls eröffnet, mißt er aus In stetem Wandern. Ach, am hohen Bord Des Schiffes reis't die schwarze Sorge mit! In jedem Luftstrich, jedem Land umsonst Ruft er nach Glück; rings lebt und herrscht die Trauer. Ein Andrer wählt die rauhen Werke sich Des Kriegs zur Kurzweil, taucht in Bruderblut Die Hand zum Zeitvertreib; ein Andrer weidet Sich an des Nächsten Unglück, denkt, es werd' Ihm frommen, wenn er Andre elend macht, Und wendet seine Zeit auf Unheilstiften. Und während Der sich müht um Tugend, Künste Und Wissenschaft, ist Jener nur bedacht, Sein eignes oder fremdes Volk zu knechten, Stört ferne Länder aus der alten Ruhe Und füllt mit Handel, Krieg und schlauen Ränken Die zugemessne Frist des Lebens aus. Doch dich beherrschen sanftre Neigungen Und süßre Sorgen in der Jugend Flor, Dem holden Lenz des Lebens, jenem höchsten Geschenk des Himmels, aber hart und bitter Dem, der ein Vaterland entbehrt. Dich treibt Die Lust an Liedern und im Wort zu schildern Das Schöne, das so selten, karg und flüchtig Der Welt erscheint und das uns, gütiger Als Himmel und Natur, so unerschöpflich Die holde Phantasie und eigner Wahn Hell vor die Seele zaubern. Tausendmal Glückselig, wer die leichtverwelkte Kraft Der trauten Einbildung nicht schwinden fühlt, Wie auch die Jahre fliehn; wem das Geschick Des Herzens ew'ge Jugend gönnen will; Wer in der Vollkraft wie in müder Zeit, So wie er einst gepflegt in grüner Jugend, Im Innern seiner Brust Natur verschönt, Die Wüste wie den Tod belebt. Dir gönne Der Himmel solches Glück. Der Funke, der Dir heut den Busen wärmt, er lasse dich Die Dichtkunst lieben noch als Greis. Doch ich – Schon fühl' ich all den süßen Jugendwahn Hinschwinden und vor meinem Blick erblassen Die frohen Bilder, die ich ach, so sehr Geliebt, an die ich bis zur letzten Stunde In Sehnsucht und mit Thränen denken muß. Und wenn nun dieser Busen ganz erstarrt Und kalt geworden, nicht die heitre Stille, Die einsam auf den sonnigen Feldern ruht, Noch der Gesang der morgenfrohen Vögel Im Frühling, nicht das stille Mondenlicht Auf Höh'n und Tiefen unterm reinen Himmel Mein Herz mehr rühren können, wenn mir stumm Und leblos ward, was Schönes die Natur Und Kunst mir zeigen, jedes Hochgefühl Und jede zarte Regung fern und fremd: Dann will ich, bettelnd um den letzten Trost, Zu andrem, minder frohem Thun mich wenden, Des eh'rnen Lebens undankbaren Rest Nur ihm noch weih'n. Erforschen will ich dann Die herbe Wahrheit: was die blinden Loose Der sterblichen und ew'gen Dinge meinen, Wozu die Menschheit, so mit Qual beladen, Erschaffen ward; zu welchem letzten Ziel Natur sie treibt und Schicksal; wen doch nur All unser Leiden freu'n und fördern mag; Wohin, nach welcher Ordnung und Gesetz Dies räthselhafte Weltall kreis't, das höchlich Die Weisen rühmen, ich nur kalt bestaune. In solchem Grübeln werd' ich meine Muße Verbringen. Denn erkannte Wahrheit, ob sie Auch trostlos sei, hat ihren Reiz. Und sind Dann meine Worte, Wahrheit kündend, nicht Der Welt willkommen oder unverständlich, Mich kränkt es nicht, da längst die alte schöne Begier nach Ruhm mir wird erloschen sein: Ruhm – jener Götze, der nicht nur ein Wahn, Nein, blinder auch als Schicksal ist und Liebe.