VI. Der jüngere Brutus. (1824.) Als hingesunken lag in Thraciens Staube, Ein weites Trümmerfeld, Italiens Kraft, und das Geschick beschloß, Daß nun Hesperiens grüne Fluren und Des Tiber Ufer das Barbarenroß Zerstampfen sollt' und aus den nackten Wäldern Im Bann der eis'gen Bärin Das Gothenschwert vorbrechen und die Mauern Des stolzen Roms zerschmettern: Da saß, mit Schweiß benetzt und Bruderblut, Brutus in düstrer Nacht auf öder Stätte, Zum Tod entschlossen schon, und mit den Göttern, Den mitleidslosen, grollend, Erschüttert seine Stimme Umsonst die müde Luft in trotz'gem Grimme: O thör'ge Tugend, nur die leeren Nebel, Das Reich unstäter Schatten Sind deine Schule; hinter deinen Fersen Folgt bald die Reue nach. Euch Marmorgöttern – Ob ihr nun wohnt am Phlegethon, ob über Den Wolken droben – dünkt nur Hohnes werth Das klägliche Geschlecht, Von dem ihr Tempel heischt, dem ihr ein trüglich Gesetz wollt auferlegen. So also reizt der Menschen Frömmigkeit Den Haß der Götter? So als Hort der Bösen Thronst du, o Zeus? Und wenn Gewitterregen Die Luft durchrauscht und Donner Ras't mit dem Blitz zumal, Triffst du der Frommen Haupt mit heil'gem Strahl? Ein unbezwinglich Schicksal, eine eh'rne Nothwendigkeit bedrückt Des Todes kranke Sklaven. Wenn sie Nichts Erretten kann, getröstet sich die Menge: So sei's verhängt. – Ist minder hart ein Leid, Weil unabwendbar? Fühlt die Schmerzen nicht, Wer jeder Hoffnung baar ist? In ew'gem Kampf mit dir auf Tod und Leben, Unwürd'ges Fatum, liegt, Wer sich nicht beugen mag; und deine Hand Abschüttelnd, wenn sie ihn gewaltsam trifft, Ruft er Triumph, indem er unterliegt, Wenn mit dem herben Stahl Er lös't die stolzen Glieder Und lachend wandelt zu den Schatten nieder. Mißfällig ist den Göttern, wer gewaltsam Des Hades Pforte stürmt. Wär' auch ein weichlich Götterherz so kühn? Hat sich vielleicht der Himmel unsre Trübsal, All unser Herzeleid und herbes Müh'n Zu seiner Muße Kurzweil auserkoren? Kein Dasein voller Plagen, Ein Leben frei und rein in Wald und Feld Hat uns Natur gegeben, Die göttlich einst geherrscht. Und jetzt, da rings Gottloser Brauch verdrängt die sel'gen Zeiten, Darf da der Eigenmacht Natur den Stolzen zeih'n, Der von sich wirft ein Leben voller Pein? Von Schuld nichts wissend, noch vom eignen Elend Führt sanft ein spätes Alter Die ahnungslose Thierwelt einem schnellen Verscheiden zu. Doch triebe sie Verzweiflung, An rauhem Stamm die Stirn sich zu zerschellen, Vom schroffen Fels sich stürzend ihr zerschmettert Gebein umherzustreuen, Die arme Wohlthat würde kein geheimes Gesetz dem Thier versagen, Kein trüber Wahngedanke. Ihr von allen Beseelten Wesen, ihr Prometheussöhne, Fühlt Ueberdruß, das Dasein zu ertragen; Und euch nur, wenn die Parze Verzögert ihre Gnade, Wehrt Zeus zur Unterwelt die stillen Pfade! Nun steigst du aus dem Meer, das unser Blut Gefärbt, du klarer Mond, Die ruhelose Nacht, das Feld zu grüßen, Das der ausonischen Kraft verderblich ward. Der Sieger tritt verwandte Brust mit Füßen, Die Hügel beben, von der Höhe stürzt Das alte Rom in Trümmer – Und du bleibst still und klar? Du sahst Lavinia's Geschlecht entstehn, die Zeit Des Glückes sahst du und die stolzen Lorbeern. Und doch unwandelbar in stummem Glanz Wirst du herabschau'n, wenn in Schmach und Leid Italien Knechtschaft duldet Und diese öden Stätten Vor fremden Horden Nichts mehr kann erretten. Das Raubthier im Geklüft, im grünen Laube Der Vogel, deren Brust Voll ahnungsloser Dumpfheit, wissen nimmer, Wie tiefer Sturz das Schicksal einer Welt Verwandelt hat; und wenn im Morgenschimmer Sich röthen wird des fleiß'gen Landmanns Hütte, Erweckt der Vogel wieder Die Thäler mit Gesang, und in den Klippen Flieht schwächeres Gethier In Todesangst, gescheucht vom wilden Raubthier. Wir eitlen Menschen! Welch armsel'ger Theil Der Welt sind wir! Den blut'gen Boden hier, Die schmerzdurchstöhnten Gründe Wird unser Loos nicht kümmern, Kein Stern um Menschentrübsal matter flimmern. Nicht des Olymp und Hades taube Herrscher, Nicht die unwürd'ge Erde Und nicht die Nacht ruf' ich im Sterben an, Noch auch des dunklen Todes letzten Strahl, Den Spruch der Nachwelt. Feiger Pöbel kann Mit Klag' und Weihgeschenk mein herbes Grab Nicht sänft'gen. Unaufhaltsam Verschlimmert sich die Zeit. Bei trägen Enkeln Ist übel aufgehoben Der Nachruhm edler Seelen und des Unglücks Dereinst'ge Sühne. Kreise denn um mich In gier'gem Flug der dunkle Vogel droben; Raubthier' und Regengüsse Soll'n meine Hülle finden, Und mein Gedächtniß liefr' ich aus den Winden.