IX. Sappho's letzter Gesang. (1824.) Du sanfte Nacht und du, verschämter Strahl Des späten Monds, und du dort überm Felsen Aufglänzend aus des Waldes stummen Wipfeln, Du Tagesbote, die ihr meinen Augen, Eh' ich das Schicksal kannt' und die Erinnys, So lieb und hold erschient: nun tröstet nimmer Ein wonnig Schauspiel mein verzweifelnd Herz! Nur dann belebt mich langentwöhnte Freude, Wenn durch den Aether schwimmend und die Fluren, Die bang erzittern, sich der Strom des Südwinds Mit Wogen Staubes wälzt, und wenn der Wagen, Zeus' schwerer Wagen über unsern Häuptern Hindonnernd durch die finstern Lüfte fährt. Durch Klippen nur und tiefe Klüfte möcht' ich In Wetterwolken wandeln; mich ergötzt Erschreckter Heerden Flucht, das dumpfe Brausen Der hochgeschwellten Flut Am schwanken Ufer und der Wellen Wuth. Schön ist dein Kleid, erhabner Himmel; schön Bist du, thaufrische Erde. Ach, von aller Endlosen Schöne nicht den kleinsten Theil Verliehn die Götter und das tückische Schicksal Der armen Sappho. Ein verachteter Und läst'ger Gast in deinem stolzen Reiche, Natur, hebt die verschmähte Liebende Umsonst zu deinen Reizen Herz und Augen Um Hülfe flehend auf. Mir lacht nicht mehr Der sonnige Strand, der morgendliche Glanz Am Himmelsthor; mich grüßt nicht der Gesang Der buntgefiederten Vögel, nicht das Rauschen Der Buchenwipfel; und wo unterm Schatten Der Hängeweiden seinen reinen Schooß Der klare Bach erschließt, entzieht er meinem Unsichern Fuße die geschmeid'gen Wellen, Als wär' ich ihm verhaßt, Und flieht am blüh'nden Ufer hin in Hast. Welch ein Vergehn, welch arge Missethat Hat mich befleckt vor der Geburt, daß mich Der Himmel und das Glück so finster ansehn? Was frevelt' ich als Kind schon, wo das Leben Noch Nichts von Sünde weiß, daß so beraubt Der Jugend, so entblättert durch die Spindel Der unerbittlichen Parze, meine Blüte Verdorren muß? Ach, unbedachte Worte Spricht deine Lippe! Unsre Loose lenkt Geheimer Schicksalsschluß. Geheim ist Alles, Nur unser Schmerz nicht. Ausgesetzte Kinder, Zum Weinen nur geboren; das Warum Ruht in der Götter Schooß. O Sorg' und Hoffnung Der grünen Jugend! Nur der äußern Bildung, Dem holden Schein nur gab der Vater Macht Über die Menschen; manneswürd'ge Thaten, Gesang und Geistesfülle – Was frommen sie in reizlos schlichter Hülle? So sterb' ich denn! Sein schlechtes Kleid abstreifend Soll nackt mein Geist hinab zum Hades flüchten Und sühnen so die harte Schuld des Himmels, Der blind das Loos vertheilt. Und du, an den Mich lang vergebne Liebe, langes Hoffen Geknüpft und ungestillter Sehnsucht Wahnsinn, Du lebe glücklich, wenn ein Sterblicher Je glücklich lebte! Nicht den süßen Saft Aus seinem kargen Faß will Zeus mir gönnen, Nachdem mir alle Täuschungen und Träume Der Jugend hingeschwunden. Jeder frohste Tag unsres Lebens muß am schnellsten fliehn. Krankheit beschleicht uns, Alter und der Schatten Des eis'gen Todes. Siehe nun, von allen Erhofften Palmen, allem Freudenwahn Bleibt nur der Abgrund, und der tapfre Geist Verfällt des Hades Macht, Dem Reich das Schweigens und der düstern Nacht.