XXX. Auf ein antikes Grab-Basrelief, eine todte Jungfrau darstellend, die im Begriff ist von den Ihrigen Abschied zu nehmen. (1836.) Wo eilst du hin? Wer ruft dich Hinweg von deinen Lieben, Du holde Mädchenblume? Willst du allein dein väterliches Haus So früh verlassen? Kehrst zu dieser Schwelle Du je zurück und wird ein Wiedersehen Erfreun, die heut in Thränen dich umstehen? Dein Aug' ist trocken, muthig die Geberde, Und dennoch bist du traurig. Ob willkommen, Ob unerwünscht die Reise dir erschiene, Ob dir das Ziel mißfällt – Aus deiner ernsten Miene Verräth sich's kaum. Ach, zweifelnd und beklommen Schwankt mir das Herz, und wohl in aller Welt Weiß Niemand, ob sich gnädig dir der Himmel, Ob grausam wollt' erweisen, Ob man dich soll beklagen oder preisen. Dich ruft der Tod; schon bei des Tags Beginn Die letzte Stunde! Zum verlassnen Neste Kehrst du nicht mehr. Für immer Musst du die theuren Eltern Verlassen. Unterirdisch Ist deiner Reise Ziel; Dort wirst du nun verweilen fürderhin. Ein Glück vielleicht! Und doch, wer still bei sich Dein irdisch Loos betrachtet, seufzt um dich. Niemals das Licht zu schauen War wohl das Beste. Doch einmal geboren, Da Schönheit erst sich königlich entfaltet In Wuchs und Angesicht Und schon die Welt von ferne Beginnt sich ihrer jungen Macht zu beugen, Beim Aufblühn jeder Hoffnung, da noch nicht Mit düstrer Blitze flammender Gewalt Wahrheit die freudenhelle Stirn getroffen, Gleich einem Rauche, der im Tageslicht Ein windbewegtes Wölkchen aufwärts wallt, So, gleich wie nie entstanden, zu verschweben Und künft'ge Lebensfülle Zu tauschen mit des Grabes dunkler Stille, Das ist's – mag es dem Geist Auch eine Wohlthat scheinen –, Was auch dem Muthigsten das Herz zerreißt. Mutter, von deinen Kindern Gefürchtet, die du früh schon weinen lehrst, Natur du grause, die du nur gebärst Und nährst, um deine eigne Brut zu tödten: Wenn Scheiden vor der Zeit Ein Übel ist, wie kannst du es erwählen Den schuldlos jungen Seelen? Und ist's ein Glück, warum Muß als das schwerste Leid Solch Scheiden Dem, der bleibt, Dem, der die Seinen Verlassen soll, so trostlos herb erscheinen? Elend, wohin sie blicken, Elend, wohin sie streben oder flüchten, Sind deine schwachen Kinder, Und selbst der Jugend Träume, Du lässest sie am Leben Zu Schanden werden. Wachsend mit den Jahren Bedrängen uns Gefahren. Nur der Tod Schirmt uns vor Leid. Dies unentrinnbar feste Gesetz, dies letzte Ziel Gabst du dem Lauf des Lebens. Ach, warum Ist nach der rauhen Bahn zum Mindsten nicht Das Ziel uns freudenvoll? Warum das Ende, Das als gewiß uns Allen, So lang wir leben, stets vor Augen steht, Den einz'gen Trost der Leiden, Die uns hienieden trafen, Mit schwarzem Flor umkleiden, Mit Grau'n ihn so umgeben, Daß uns mit Furcht und Beben Mehr als die Brandung schreckt der sichre Hafen? Zwar, wenn dies bittre Sterben Ein Loos ist, das du Allen Verhängt, die ohne Wissen du und Willen Und ohne Schuld dem Leben preisgegeben, So ist, wer stirbt, von Dem noch zu beneiden, Der seiner Lieben Scheiden Erleben muß. Denn wenn das Leben wirklich Ein Unglück ist und sterben Ein Glück, wer könnte drum und ach, wer wollte, Wie doch im Grund er sollte, Den letzten Tag ersehnen seiner Lieben, Um dann, zurückgeblieben Arm und beraubt, zu sehen, Wie von der Schwelle das geliebte Wesen Von hinnen wird getragen, Mit dem vereint er lebte manches Jahr, Ade ihm sagen, jeder Hoffnung baar, Ihm wieder zu begegnen In dieser ird'schen Welt; Und dann, auf Erden einsam und verlassen Umblickend, in gewohnter Stund' und Stätte Zu denken Dessen, dem er einst gesellt? Wie, o Natur, wie bringst du's übers Herz, Grausam hinwegzureißen Den Freund aus Freundesarmen, Geschwister von Geschwistern, Die Kinder von den Eltern, Sein Lieb vom Liebenden, daß Eins erlischt Und weiter lebt das Andre? Mußtest du Zum Leiden und zum Lieben Die Kraft uns leihn, daß, was wir heiß geliebt, Wir überleben? Doch Natur von je Gehorchte andern Trieben, Und wenig gilt ihr unser Wohl und Weh.