XXVI. Der herrschende Gedanke. (1836.) Du holdester von allen Gewaltherrn, der mein Herz lenkt nach Gefallen, Furchtbar Geschenk des Himmels, Und doch mir ewig theuer, Mein treuster Freund im Leide, Gedanke, dran ich für und für mich weide: Wer spricht von deines Wesens Geheimniß nicht? Wer ward nicht schon bezwungen Von deiner Macht? Doch immer, So oft von Menschenzungen Erklingt des eignen Fühlens Lust und Qual, Scheint neu das Wort, als kläng's zum ersten Mal. Wie ist doch meine Seele Vereinsamt seit den Tagen, Wo du darin die Wohnung aufgeschlagen! Mit Blitzesschnelle fühlt' ich mir im Nu Entschwinden die Gedanken, Die andern allzumal. In ödem Felde Ein Thurm, so ragtest du Gigantisch einsam in des Busens Schranken. Was galt hinfort mir, außer dir allein, Dies ganze arme Leben, Was aller irdische Tand in meinen Augen? Welch schales Zeitvergeuden Schien all dies Thun und Treiben! Ach, nur um eitle Lust ein eitles Mühen, Verglichen mit den Freuden, Den himmlischen, die mir durch dich erblühen. Wie von des Apennin Unwirthlich nackten Wänden Zur grünen Flur, die fern herüberlacht, In Sehnsucht sich des Wandrers Blicke wenden, So von dem unfruchtbaren Und rauhen Weltverkehr – wie streb' ich gerne, Als in ein Paradies, zu dir zurücke, Daß deine Nähe jeden Sinn erquicke! Ich kann es kaum verstehen, Wie ich so lang dies Leben, diese Welt Voll Unverstand und Plagen Hab' ohne dich ertragen; Begreifen kann ich's kaum, Wie sich an andern Freuden, Als du gewährst, sich Andre mögen weiden. Nie bis zu jener Zeit, Wo ich zuerst, was Leben heißt, erfahren, Hat Todesfurcht die Seele mir bewegt. Heut dünkt mich nur ein Spiel, Was Thoren Angst erregt, Ob sie es preisen auch mit Heuchelmunde: Das Muß der letzten Stunde, Und zeigt Gefahr sich, kann ich ohne Grauen Mit Lächeln in ihr dräuend Antlitz schauen. Verachtet hab' ich immer Die feigen, ungroßmüth'gen, Verworfnen Seelen; jetzt empört sofort Mich jede schnöde That, Und menschliche Gemeinheit Reißt mein Gemüth alsbald zum Grimme fort. Die Hoffahrt dieser Zeit, Die sich mit leerem Hoffnungswahne nährt, Zu schwatzen liebt und keine Tugend ehrt, Nur Heil im Nutzen findet Und thöricht nicht erkennt, Wie nutzlos dann das ganze Leben schwindet, Liegt unter mir. Des Urtheils Der Menschen spott' ich, und die bunte Menge, Die Hohes nicht genießen Und dich verschmähen kann, tret' ich mit Füßen. Wo ist die Leidenschaft, Die sich nicht beugt der deinen? Ja, welche sonst noch waltet Und herrscht auf Erden außer jener einen? Habsucht und Hoffahrt, Ehr- und Machtbegier Und Zorn und Haß – mit ihr Verglichen sind sie mehr nicht Als dumpfe Triebe nur. Zur Leidenschaft Wirst du allein; als Herrn, Der unumschränkt gebiete, Gab dich Natur dem menschlichen Gemüthe. Ganz ohne Werth und Sinn wär' unser Leben, Wenn du nicht wärest, unser Ein' und Alles, Der einzig noch das Schicksal Entschuldigt, daß es Menschen Zur eitlen Noth verdammt des Erdenballes. Um dich nur wird zuweilen Die Lust zum Leben theilen mit den Thoren Ein Mensch auch, der zur Freiheit ward geboren. Wohl werth sind's deine Wonnen, süßester Gedanke, froh ergeben Dies leidenvolle Leben Auf sich zu nehmen viele Jahre lang, Und wohl zum andern Male, So bitter auch ich die Erfahrung büßte, Würd' ich die Bahn betreten wohlgemuth; Denn trotz des Sandmeers und der Natternbrut Schleppt' ich mich nie so müde Durch dieses Lebens Wüste Zu dir, daß nicht dies unser Leidgeschick Mir reich vergütet schien durch solch ein Glück. Welch eine Welt, welch neue Unendlichkeit, o welch ein Paradies Erschließt mir oft dein allgewalt'ger Zauber In hohem Flug! Mir däucht Zu wandeln unter einer neuen Sonne, Wo all mein irdisch Fühlen, Und was ich Wahrheit nannte, von mir weicht. So müssen Götter träumen, Sag' ich mir dann. Ach, bist du doch fürwahr, Holder Gedank', ein Traum, der oft uns mild Verschönt der Wahrheit Bild, Ein offenbarer Wahn; und doch vor allen Holdsel'gen Wahngebilden Bist göttlich du, von solcher Lebensmacht, Daß du bestehst, wenn alle Masken fallen, Oft wesenhaft erscheinest Und erst entschwindest in des Todes Nacht. Gewiß, du mein Gedanke, der du einzig Beseelst mein armes Leben, Geliebter Urquell unermessner Leiden, Erst mit dem letzten Hauch weichst du von hinnen. An sichern Zeichen fühl' ich es tiefinnen, Du bist zum Herrn für immer mir gegeben. Andre geträumte Freuden Hat oft der Wahrheit Blick Entwerthet. Doch je öfter jene Eine Sich zeigt den wachen Sinnen, Von der mit dir zu plaudern Leben heißt, Je höher wächs't das Glück, Wächs't jener Wahnsinn, der mein Sein beseelt. O engelgleiche Schönheit! Ein jedes Antlitz, wie auch auserwählt, Scheint mir ein Trugbild nur, Das deine nachzuäffen. Du allein Scheinst aller Anmuth Quelle, Als ob sich wahrer Reiz nur dir geselle. Seit ich zuerst dich schaute, Warst du nicht jeder meiner ernsten Sorgen Inhalt und Ziel? Wo war nur eine Stunde, Da ich nicht dein gedacht? Im nächt'gen Schlummer Wann trat dein stolzes Bild Nicht vor mich hin? Du engelgleiches Antlitz, So schön, wie wir's nur träumen, Wohin in Erdenräumen, Wohin im Weltall mag den Blick ich lenken, Was mag ein Gott mir schenken, Das wie ein Blick von dir die Seele stillt? Was kann noch süßer sein als dein gedenken?