XVII. Consalvo. (1836.) Dem Ziele seines Erdenlebens nah Lag nun Consalvo, und der alte Hader Mit seinem Schicksal war gestillt; denn mitten Im fünften Lustrum hing schon das ersehnte Vergessen ihm zu Häupten. Wie seit lange, So lag er auch an seinem Todestage, Verlassen von den liebsten Freunden allen. Bleibt in der Welt kein Freund doch auf die Länge Dem Menschen treu, der sich der Welt verschließt. Doch bei ihm war, von Mitgefühl bewegt, Den Armen, einsam Scheidenden zu trösten, Die immer und allein sein Herz erfüllte, Elvira, allverehrt um ihre Schönheit, Wohl ihrer Macht bewußt, wohl wissend, daß Ein heitrer Blick von ihr, Ein süßes Wort, Ihr tausend Mal und tausend nachgesprochen In treuester Erinnrung, Trost und Nahrung Ihm war in hoffnungsloser Liebesqual, Obwohl sie selbst noch nie ein Wort der Liebe Von ihm vernommen. Sein Gemüth beherrschte, Noch allgewalt'ger als die tiefe Sehnsucht, Geheime Scheu. So sehr zum Kind und Sklaven Macht' ihn das Uebermaß der Leidenschaft. Doch endlich lös'te seiner Zunge Fessel Der Tod; denn als er fühlt' an sichern Zeichen, Daß seines Scheidens Tag gekommen sei, Und sie hinweggehn wollte, fasst' er sie An ihrer weißen Hand mit leisem Druck Und sprach: Du gehst; die Stunde treibt dich fort. Lebwohl, Elvira! Heut wohl seh' ich dich Zum letzten Mal. Nun denn ade! Ich sage Dir Dank für deine Sorg' und Müh', so innig Es nur mein Mund vermag. Ein Höh'rer wird sie Dir lohnen, wenn der Himmel Gutthat lohnt. – Bleich ward die Schöne, und den Busen hob ihr Ein schwerer Seufzer; denn dem Menschen, wär' er Auch nur ein Fremder, schnürt doch stets ein Schmerz Die Brust zusammen, wenn ein Scheidender Für immer Abschied nimmt. Und widersprechen, Verhehlen wollte sie das Nahn des Schicksals Dem Sterbenden. Doch er kam ihrer Rede Zuvor und sagte: Lang ersehnt, du weißt es, Und heiß herbeigewünscht, doch nicht gefürchtet Kommt über mich der Tod, und dieser Tag Des Scheidens dünkt mich froh. Wohl wird mir's schwer, Für immer dich zu lassen. Ach, für immer Scheid' ich von dir! Das Herz zerschneidet mir Dies Wort! Dies Auge soll ich nimmer sehn, Noch deine Stimme hören! Sag, bevor du Auf ewig von mir gehst, Elvira, willst du Nicht einen Kuß mir gönnen? Einen Kuß nur In meinem ganzen Leben? Sterbenden Versagt man keine Bitte. Auch nicht prahlen Kann ich mit dieser Gunst, ich Halberloschner, Dem bald, noch heute, fremde Hand die Lippen Auf ewig schließen wird. – Nach diesem Wort Drückt' er erseufzend seine kalten Lippen Inbrünstig auf der Heißgeliebten Hand. Unschlüssig, in nachdenklicher Geberde Stand erst die Wunderschöne, heftete Den Blick, von tausend Reizen sprühend, fest Auf den des Unglücklichen, drinnen noch Die letzte Thräne glänzte. Und sie bracht' es Nicht übers Herz, die Bitte zu versagen, Sein traurig Scheiden zu verbittern. Mitleid Mit seiner Glut, um die sie wußte, zwang sie. Und jenes Himmelsantlitz, jenen Mund, Nach dem er heiß geschmachtet, der seit Jahren All seinen Träumen sehnlich vorgeschwebt, Sanft nähert' sie dem leidenvollen Antlitz, Das schon erblichen war von Todeswehen, Und drückte Kuß um Kuß, ganz holde Güte Und hohes Mitleid, auf die bangen Lippen Des Liebenden, der vor Entzücken bebte. Wie war dir da? In welchem Licht erschien Nun Leben, Tod und Unglück deinen Augen, Consalvo, kurz vorm Scheiden? Jene Hand Der Theuren, die er noch in seiner hielt, Legt' er aufs Herz, drin schon die letzten Schläge Des Todes und der Liebe zitterten, Und seufzt': Elvira, o Elvira, bin ich Noch auf der Erde? Waren diese Lippen Denn deine Lippen? Drück' ich deine Hand? Ach, ein Gesicht des Jenseits scheint es mir, Ein wesenloser Traum! Wie viel, Elvira, Wie viel dank' ich dem Tode! Nie zuvor War meine Liebe dir verborgen, dir nicht Und keinem Andern; wahre Liebe bleibt Auf Erden nicht verborgen. Sprach sie doch Dir klar genug in Blicken und Geberden Und Mienen; ach, in Worten nie. Und jetzt noch Wär' stumm geblieben dies unendliche Gefühl, das mich beherrscht, hätt' es der Tod, Nicht kühn gemacht. Nun sterb' ich ausgesöhnt Mit meinem Schicksal und beklag' es nimmer, Daß ich das Licht sah. Nicht vergebens lebt' ich, Da mir's gegönnt ward, diesen Mund an meinem Zu fühlen. Nein, vielmehr beseligt dünkt mir Mein Loos. Zwei holde Güter birgt die Welt: Liebe und Tod. Dem einen führt der Himmel Im Jugendflor mich zu; vom Andern ward mir Genug des Glücks zu Theil. Ach, hättst du Einmal, Ein einzig Mal dies lange Sehnen mir Beschwichtigt und gestillt, die Erde wäre Hinfort für immer den bekehrten Augen Ein Paradies erschienen. Selbst das Alter, Das tiefverhasste Greisenalter hätt' ich Gelassnen Muths ertragen; aufrecht hätte Mich stets erhalten eines einzigen Moments Erinnrung, der Gedank': ich war Beglückt vor allen Glücklichen. Doch ach, So hohe Wonne gönnt der Himmel nicht Dem irdischen Geschöpf. So überschwänglich Liebt nicht, wer glücklich liebt. Und gerne drum Hätt' ich mich Henkern überliefert, wäre Zu Geißelung und Rad und glüh'ndem Eisen Geeilt aus deinen Armen und hernach Furchtlos hinabgetaucht in ew'ge Qual. Elvira, o Elvira, selig Der, Sel'ger als alle Götter, dem in Liebe Du je zulächelst! Selig ihm zunächst, Wer dir sein Blut und Leben opfern kann. Es darf, es darf der Mensch – nicht ist's ein Traum, Wie lang ich wähnte, – schon auf Erden darf Er Glück genießen! Jenen Tag erfuhr ich's, Da ich dein Antlitz sah. Wohl sollte dies Mir tödtlich werden. Dennoch hab' ich nie Mit klaren Sinnen, nie in so viel Aengsten Verwünschen können jenen Unheilstag! Du lebe glücklich nun, Geliebte, schmücke Die Welt mit deinem Antlitz. Keiner wird Dich lieben, so wie ich dich liebte. Nie Kehrt solche Liebe wieder. Ach, wie schmerzlich Hat in den langen Jahren dich der arme Consalvo hergewünscht, erseufzt, ersehnt! Wie pflegt' ich bei Elvira's Namen zitternd, Die Brust von Frost durchschauert, zu erblassen, Wenn deine Schwelle gramvoll ich betrat, Bei deiner Engelsstimme, bei dem Anblick Der weißen Stirn, der ich vorm Tod nicht bebe! Doch nun versagt der Athem und das Leben Dem Laut der Liebe. Meine Zeit ist um; Nicht soll ich dieses Tags mich mehr erinnern. Fahrwohl, Elvira! Mit dem Lebensfunken Trennt dein geliebtes Bild sich endlich nun Von meinem Herzen. Lebewohl! Und zürnst du Nicht dieser Liebe, sende morgen, wenn Es Nacht wird, einen Seufzer meiner Bahre! Er schwieg. Nicht lange mehr, und mit der Stimme Schwand sein Bewußtsein; noch vor Abend war Sein erster Glückstag seinem Blick entschwunden.