Die Phantasie vor Gericht Schon lange war sie sehr verdächtig, Gekleidet ging sie wunderprächtig Und schweifte frei durch Wald und Flur; Man kam ihr endlich auf die Spur. Sie zogen aus mit Spieß und Stangen, Als gält' es einen Wolf zu fangen. »Halt!« schrien sie, »freche Dirne du!« – Sie lachte nur dazu. Sie lachte nicht mehr, als ihr Stricke Die Hand umschnürt, in Weh zerschmolz Ihr trotzig Wort, und nur im Blicke Lag noch ein unbesiegter Stolz. Gewöhnt, die Menschen zu beschenken, Erscheint – unmöglich fast zu denken – Die Phantasie nun vor Gericht. Zu Tod bleich ist ihr Angesicht. – Sie, ganz Empfindung und Gedanke, Steht zwischen Schergen vor der Schranke, Von allem Volke pöbelhaft Beschnüffelt und begafft. Was kann der Strenge sie erwidern, So grausam innerst bloßgelegt? Seht, unter Messern zum Zergliedern, Ein arm Geschöpf, das sich noch regt! – Und auf der Bank der Übeltäter Befragt: Wo sind Sie her? – Vom Äther, Entgegnet sie. – Wie alt? – So alt, Wie eure Welt. – Ihr Unterhalt? – Ich lebe von dem Duft der Blume, Vom reinen edlen Menschentume, Ach dort, wohin mir nie bis jetzt Verfolgung nachgesetzt. – Bekennen Sie sich schuldig? – Schuldig? Was ist das? Nie hört' ich dies Wort. – Die Richter werden ungeduldig Und schreiten gleich zur Klage fort. Sie haben Aufruhr angestiftet, Den ruhigen Verstand vergiftet, Verbotnes Feuer angeschürt, Verlockt, betrogen und verführt. – O mehr noch, ruft sie; aber Richter Seid ihr mir nicht! – und lichter, lichter Ist sie – wie hoch mit einemmal! – Entschwunden aus dem Saal. Still wird es in dem dumpfen Pferche, Doch vor den Fenstergittern singt Im Freien eine Frühlingslerche, Die jubelnd sich zum Äther schwingt.