Otto Ludwig Die Heiteretei »Auch zum Gründer Markt, Dorle?« »Noch e bißle weiter, bis zum Zainhammer. Und sagt, Frau Dotin, ob Ihr was hinzubestellen habt. Vielleicht wieder was an den Herrn Faktor? Und dann gebt's schnell. Dort wird man auch immer länger aufgehalten als nötig wär'. Und zu spät in die Nacht mag ich nicht.« »Was das für ein Hastigtun ist!« sagte die Wirtin, vor deren Tür dieses Gespräch stattfand. »Man sollt' meinen, die Mädle von jetzt, das wären erst Mädle. Na, ich bin auch eins gewest, und nicht das langsamst'; aber Zeit zum Atemholen hab' ich mir alleweil noch gegönnt.« »Ihr seid auch ein Mädle gewest?« fragte Dorle wie von Verwunderung überwältigt; denn die Wirtin war eine jener Gestalten, die man sich nicht jung denken kann. Die umherstehenden Männer brachen in ein Gelächter aus. Das Mädchen erschien in seiner treuherzigen Verwunderung noch frischer als sonst. Was für gottlose braune Augen sie im Kopfe hat! dachte der Schneider, und ohne Umstände hätte er ihr einen Kuß gegeben, wenn er gewußt hätte, wie das anfangen. Er hatte schon während des ganzen Gesprächs darüber nachgesonnen, allein vergebens. Das Mädchen war hochaufgeschossen, eines ganzen Kopfes länger als der kleine Mann. Selbst auf den Zehen stehend, hätte er nicht über das Grübchen unter ihrem Halse hinaufgereicht. Und ihren Kopf zu sich herabziehen zu können, hätte er viel stärker sein müssen, oder sie viel schwächer. Des Mädchens Augen lachten jetzt so ehrlich, wie vorhin schalkhaft, als es sagte: »Nichts für ungut, Frau Dotin. Hab's nicht schlimm gemeint. Ihr müßt denken, heut ist der Gründer Markt; da wird aus manchem ehrlicher Leute Kind ein Spitzbub.« »Du bist ein Spitzbub das ganze Jahr,« sagte die Wirtin. »Kann sein, daß was da ist für den Herrn Faktor!« Und sie hinkte durch Einfahrt und Hof in ihr Wirtshaus hinein. Des Schneiders Augen ließen den blonden Zopf und die vollen Lippen des Mädchens los und senkten sich auf ihren Schiebkarren hinab, und verwundert über die Tüchtigkeit des Fuhrwerks und des Strickes darauf fragte er: »Aber was willst du dir nur holen damit?« »Einen Mann,« lachte der Schmied. »Einen Schmied,« entgegnete das Mädchen ernsthaft. »Die muß man mit Stricken binden, wenn sie vom Markt heim nicht in jedem Wirtshaus einkehren sollen.« »Die Schneider nicht?« fragte der Schneider fast neidisch. »Auch,« sagte das Mädchen; »nicht wegen der Wirtshäuser, nur daß sie der Wind nicht vom Schiebkarren bläst.« »Du mußt den Holder-Fritz frein,« hustete der Weber. »Wenn Ihr einen Jungen kriegt, der jagt den Kirchturm von der Kirch' und zur Stadt hinaus.« »Das käm' zu spät,« sagte das Mädchen ruhig. »Bis dahin habt Ihr ihn hinausgehustet.« »Wo stellt Ihr ein auf dem Markt, Annedorle?« fragte der Schmied. »Heimwärts führen wir uns.« »Ihr werdet wohl einen brauchen, der Euch führt,« sagte das Mädchen, »ich nicht.« Die Wirtin kam mit einem Paketchen heraus, das schnell auf dem Schiebkarren seinen Platz fand. Die Männer hießen das Mädchen warten; sie würden gleich mitgehen. Gute Unterhaltung sei halber Weg. »Das glaub' ich,« sagte das Mädchen, »und drum geh' ich allein. Wenn ich wieder etwas an Euch mitkriege dort, Frau Dotin, komm ich auf dem Rückwege herein. Und es soll mir nicht darauf ankommen, so kriegt Ihr einen gebackenen Mann von mir zum Markt. Gott zum Gruß, Frau Dotin.« Die letzten Worte kamen schon aus einiger Entfernung. Das Mädchen war schneller und leichter auf den Füßen, als man der großen Gestalt zugetraut hätte. Unwillkürlich sahen ihr alle nach. »Immer heiter,« hustete fast ärgerlich der Weber hinter ihr drein. »Dafür heißt sie auch die Heiteretei,« lachte die Wirtin. Der Schneider sann über etwas, dann sagte er: »Man sollt' doch keinen eher taufen, als bis man ihm einen Namen geben könnt', der auf ihn paßt. Da würd's nicht vorkommen, daß ein Spaßvogel Ernst und ein Saufaus Nüchtern hieß, und man wüßt' gleich, wenn man nur den Namen hört, wie der Mann beschaffen ist. Heiteretei! Guckt! Der Name tanzt ordentlich wie das Mädle selber«. »Da sorgt ja,« sagte der Schmied, »daß Ihr einmal Eure Mädle, wenn Ihr welche habt, auf die Art taufen laßt. Wenn sie sonst niemand aufzieht, können sie mit ihrem Namen tanzen. Aber wer was Aparts an sich hat, dem braucht's nicht leid zu sein darum, den taufen die Leut' ohnehin noch einmal.« Auf des Schneiders Gesicht hätte man lesen können, daß die Rede des Schmieds auf ihn gemünzt war, wenn es auch das Lachen der übrigen nicht verraten hätte. Er seufzte nämlich trotz seiner dreißig Jahre noch unter der Tyrannei einer baumlangen Stiefmutter. Sie nannte ihn nicht anders als den »Jung«. Natürlich hieß er von Stund an, wo dies bekannt wurde, im ganzen Städtchen so. Man erzählte sich, sie behandle ihn durchaus jenem Ausdrucke entsprechend. Und mehr als einer wollte gesehen haben, wie die starke Frau ihn über einen Stuhl gelegt, ihm die Höslein mit der Linken straff gezogen, während ihre Rechte die Festigkeit eines spanischen Rohres an dem Teil gemessen hätte, auf dessen Ausdauer bei der Schneiderei soviel ankommt. Aber was will nicht der und jener Spottvogel gesehen haben, den ein Verhältnis der Art zum Weiterausmalen einlud! Freilich, wenn der Schneider zuweilen wie ein Pfeil aus der Haustür herausschoß und dann hineindrohte: »Respekt muß im Hause sein!« dachten die Vorübergehenden dazu: »Aber jetzt steht er vor der Tür.« Der Schneider achselzuckte ein stummes: »Man kennt den Morzenschmied, was für ein Schabernacker der ist, so duchsig er tut.« Die Wirtin aber erinnerte der fliegende Saum des rotflanellenen Unterrocks, der eben um die Straßenecke verschwand, wieder an die Heiteretei. »Aber sie könnte«, sagte sie, »ebensogut die Bravetei heißen als die Heiteretei. Denn: kein braver Mädle im ganzen Städtle, wie der blinde Orgelmann singt; wennschon ein bißle wunderlich dabei. Wie ihre ältere Schwester Mutter geworden ist von dem dicken Semmelbeck in der Stadt, wo sie gedient hat, da hat die Heiteretei sie fortgeholt und hat ihr einen andern Dienst verschafft, ich weiß nicht, wo, aber weit von hier. Wenn du fünf Jahre dich ordentlich gehalten hast, hat sie zu ihr gesagt, dann will ich wieder deine Schwester und soll das Liesle dein Kind wieder sein. So lang' aber kommst du mir nicht wieder ins Häusle, daß du's weißt. Das Kind aber hat sie behalten, und nicht viel Mütter sind so brav gegen ihr eigen Kind, wie die Heiteretei gegen das Liesle ist.« »Ja, und die Hochmutei dazu«, hustete der Weber. »Wo sie die Mannsleut' verspotten kann mit Wort oder Tat, da ist sie gewiß bei der Hand. Aber sie wird wohl schon einmal schlecht anfliegen, und ich wär' nicht der einzig', der's ihr gönnt.« Ein Blick der Zustimmung, in dem die übrigen Männer sich nickend begegneten, zeigte, daß der Weber wahr gesprochen. Unterdes waren sie mit Bezahlen, frisch Tabakstopfen und Anbrennen fertig geworden und machten sich auf den Weg. Man hatte noch zwei gute Stunden zu dem Marktflecken. Der letzte rief der Wirtin, welche die leergetrunkenen Gläser am Brunnen schwenkte, zurücksehend noch zu: »Prächtig Wetter heut!« Die Wirtin sah sich um, und auf dem feinen Dufte haftend, der hinter den Bergen ringsum am Himmel heraufzog, sagte sie: »Dauert nicht bis zur Nacht. Es müßt' heut nicht Gründer Markt sein.« * Die Wirtin weiß es, und sie nicht allein, alle Welt weiß es, wie's mit dem Wetter ist zum Gründer Markt. Und wenn er beginnt so blau und golden, wie es der Farbenkasten des Frühlings nur hergeben will, wie ein Tag vor sechzig Jahren; denn damals war alles besser, selbst das Wetter; frage nur die Reicker Wirtin, wer's nicht glauben will. Kaum ist's Mittag, da steigt's von allen Seiten auf; da hebt's und drängt's, bis es einen neuen Himmel gewölbt hat unter dem alten. Das wär' schon gut, wenn es nur aufzuhören verstände zur rechten Zeit. Aber immer noch steigt's und drängt's. Da wird ein Hin- und Herwogen, dunkler und immer noch dunkler, ein Zusammen- und Übereinanderschieben, daß endlich die Funken davonstieben und das ganze Wolkengewölbe unter seiner eignen Last zusammenbricht mit Donnerkrachen und die Wolkentrümmer aneinander in ungezählte Tropfentrümmerchen zersplittern über Buden, Platz, Käufer und Verkäufer. Wehe dem, der da noch unter diesen letzteren ist; in dem wilden Durcheinander von Stöcken, Köpfen, Hüten, Mützen, das der gleichzeitige Druck nach allen Richtungen, nach deren Enden rettende Türen sich öffnen, in eine kreisende Bewegung bringt. Zugleich mit der ganzen Masse um ihre und noch einmal besonders um seine eigne Achse gewirbelt, weiß er bald nicht mehr, was sich dreht, er oder die Häuser und Buden um ihn herum. Bald erscheint die rettende Tür, bald verschwindet sie, ohne daß sie ihm näher gekommen ist. Die Hutkrempe, von Regen und Mitleid erweicht, senkt sich allmählich und verhüllt dem Auge des Dulders liebevoll wenigstens den Anblick seines Schicksals, bis eine Flut ihn plötzlich davonführt, er weiß nicht wohin, und eine Tür ihn einschlingt, die er nie zu passieren gemeint hat. So ist's im Marktflecken selbst; die Straße nach dem Städtchen bietet bei allem Ähnlichen doch ein ganz verschiedenes Bild. Wer bereits auf dem Heimwege ist, hat die Schritte schon eine gute Weile her länger und schneller gemacht; nun wird ein Rennen aus dem Eilen. Wer so vorsichtig war, einen Regenschirm mitzutragen, dem lohnt sich die Mühe der Arme nun an den Füßen. Wie ein Beet voll lebendiger Pilze, roter, blauer, grauer, schwarzer, kommt die Straße den verwunderten Raben vor oben auf den Pappeln über dem Graben. Der Regenschirm ist der Mann des Tages. Was keiner ist, müht sich einer zu werden. Unterrock, Bündel, eben gekaufte Wasserkannen, Töpfe, Tiegel, alles vergißt im Drange der Not seine eigentliche Bestimmung. Da huschen Weiber und Mädchen, mit der Schürze bedeckt, die ausgezogenen Strümpfe und Schuhe in den Händen, die Straße hin, und neben jeder huscht ein Mittelding von Schatten und Spiegelbild über die Pfützen und den nassen Glanz der Straße mit. Hier kommt einer zu Pferde und schnaubt und stampft und spritzt vorbei, daß die Weiber aufschreien und die Männer fluchen. Hier ein Wagen, aber er ist schon voll, und schon ist er vorüber. Die Geborgenen oben lachen schon in der Ferne, und die in ihrer Hoffnung Getäuschten unten senden Verwünschungen nach, die der Wind zu Ohren trägt, für die sie nicht erdacht sind – wenn das ewig gleiche Plätschern des Regens sie nicht vorher überplätschert. Aber stehen bleibt niemand; es müßte denn ein Angetrunkner sein, der im seligen Vergessen aller Not mitten auf der Straße sich zur Ruhe legen will. Doch auch er wird vom lachenden Manns- oder zornig weinenden Weibervolke mit fortgeschleppt, halb getragen, halb geschleift, wie es gehen will. Aber es geht; denn es muß gehen. Und so geschieht's am Tage des Gründer Marktes, seit der Gründer Markt im Kalender steht. Wer's noch genauer wissen will, höre nur der Reicker Wirtin zu, die's eben ihren Gästen erzählt. Und er wird, besonders in Anbetracht der Länge dieser Erzählung, so froh sein, im Trockenen zu sitzen, als nur immer unsre Bekannten von vorhin sein können, der Schmied, der Schneider und der Weber aus dem Städtchen. Nicht, daß ihr Zustand an sich beneidenswert zu nennen wäre! Es ist vielmehr ein wahrer Heringszustand. Man denke sich hundert Menschen in eine enge Dorfwirtsstube zusammengepreßt, die Scheitel in die schweren Gewitterwolken aus Lampen- und Tabaksrauch und dem Angstschweiß nasser Kleidungsstücke getaucht! Die Verlegenheit, welche von den zahllosen da unter den Tischen herum- und untereinanderliegenden Beinen man an sich ziehen müßte, wenn es gälte, dem völligen Ersticken zu entfliehen, ohne an einem Mitdulder zum Diebe zu werden! Denn die Lampen hier und dort vermögen in ihrer Hilflosigkeit eben nur so viel Helle auszuströmen, als nötig, um den Leuten zu zeigen, wie dunkel es ist. Aber eine Not kann zur Wohltat werden, wenn sie von größerer Not errettet. Und bald hörte mit der größeren auch die kleinere auf. Es regnete schwächer, und wen nicht die Sorge um sein Heimwesen dem leisern Rieseln zu trotzen trieb, der flog aus, da auch dieses endlich ganz nachließ. Und auch heller wurde es. Schon zeigten sich Lücken im Gewölke. Das flog nun selbst wie eine endlose Folge dunkler Regenschirme in den Händen eilender Riesen am Himmel dahin. Der Mond stellte sich auf die Zehen und sah zwischen ihnen hindurch auf die nasse Straße herab. Die hielt ihm tausend Spiegel vor, und er sah wohlgefällig, um wieviel schöner und vollwangiger er nun seit gestern wieder geworden war. Aber es gab Leute, die, sei es aus Behagen am Wirtshause oder aus Unbehagen an dem, was sie daheim erwartete, ruhig sitzen blieben, um, wie sie sagten, den Weg unterdessen noch etwas abtrocknen zu lassen. Unter diese gehörte auch unser Männerkleeblatt aus Luckenbach. Dem Morzenschmied war es nur dann nicht langweilig daheim, wenn er seiner Morzenschmiedin etwas aufzuheften oder sonst einen Streich zu spielen wußte. Hatte er sie durch eine trocken vorgebrachte Erdichtung mit den übrigen Weibern seiner Straße oder des ganzen Städtchens zusammengehetzt, dann war es seine Lust, mit Henkergeschicklichkeit sie in die größte Angst hinein zu bedauern. Und höchst unlieb wäre es ihm gewesen, hätte der Schaden einmal die Wirkung gehabt, sie klug zu machen. Die Schuster-Märtinessin dagegen, des Webers Ehefrau, war mit einem ganzen Doktorbuche voll Krankheiten behaftet, die das Eigne hatten, daß ihre Anfälle begannen, so oft sie ihren Märtines die Treppe heraufkeuchen hörte, und nicht eher nachließen, als bis er diese wieder hinabhustete. Was dem Schneider die Süßigkeit des eignen Herdes verbitterte, wissen wir schon. Diese drei Männer saßen zuletzt noch fast ganz allein da, und ihr Gespräch war so ins Stocken geraten, daß sie, in sich versunken, selbst nicht wußten, wie sehr. Es bedurfte einer Stimme, wie eben eine vor der Tür sich vernehmen ließ, sie zu erwecken. Und diese Stimme klang so voll und tief aus der Brust herauf, daß die vorgesunkenen Köpfe fast erschrocken emporfuhren. »Da habt Ihr Euern Mann, Frau Dotin,« sagte draußen die Heiteretei. »Er ist der allerbest', raucht keinen Tabak, trinkt keinen Branntwein, und wenn Ihr ihn nicht mehr mögt, braucht Ihr ihm nur den Kopf abzubeißen.« »Dazu ist er gut,« hörte man die Wirtin lachen; »und darum krieg' ich ihn. Wär' er zum Heiraten gewesen, hätt' ich ihn sicher nicht gekriegt.« »Ihr müßt einmal gern geheiratet haben, weil Ihr noch immerfort so gern vom Heiraten sprecht.« »Ja,« antwortete die Wirtin, »aber wie ich am liebsten geheiratet hätt', da hab' ich am wenigsten davon gesprochen. So haben's die Mädle und die Weiber, solang' die Welt steht.« »Das sagt Ihr. Jedes meint, wie's ihm war, so muß dem andern auch sein.« »Und ich denk', wie's jeder meint, so wird's auch sein.« »Aber es ist doch nicht so! Und wenn's solche gibt, müßt Ihr dann sprechen: Alle sind so? Sagt meinetwegen: Es gibt ihrer genug, die so sind. Das sind solche, die's nicht allein ermachen können. Wer's muß, da hab' ich nichts dagegen, aber ich tät's nicht, und wenn ich tausendmal müßt'. Weil die Mädle heutzutag' noch schwächer und einfältiger sind als die Mannsbilder selber.« »Darum ist's nicht. Die Männer heiraten doch auch. Wenn jedes was Stärkeres und Gescheiteres heiraten will, wen sollen denn die heiraten?« »Meinethalb' den Kuckuck von Langensalz. Was gehn die mich an? Die Männer frein, damit sie einen Narren haben, und die Mädle, weil sie selber Narren sind. Gebt mir lieber ein Kärtchen Bier für Euer Gerede.« »Die Männer und die Mädle! Als wenn du nicht selbst ein Mädle wärst! Oder was biste sonst?« »Ich bin ich. – Und ich frei' einmal nicht, und ich mag einmal nicht, und wenn Ihr mir einen auf dem Teller präsentiert und er wär obenein ein Prinz. Und red't Ihr noch ein Wort, so weiß ich, wo ich herkommen bin. Mein Brot verdien' ich allein, wenn ich schon ein arm' Mädle bin. Ich bin stark genug und bin klug genug, und ich brauch' keinen, und so ist's, und nu ist's fertig!« Dabei war die Tür geöffnet worden und das Mädchen mit rotem Gesichte voran, die Alte, laut lachend, daß es die ganze Gestalt schüttelte, hinterdrein hereingekommen. Die Männer in der Stube zeigten Lust, das Gespräch, das sie mitangehört, weiterzuführen. Das Mädchen lehnte am Ende eines Tisches. Der Schneider ersah sich die Gelegenheit, den kühnen Ge danken von heute morgen ins Werk zu setzen. Sie warf im Zorn die Lippen gar zu lockend auf. Um diese und bis in die vollen Wangen hinein war die goldbraune Farbe des Gesichtes gewichen. Das Mädchen hatte so pralles Fleisch, daß jede Bewegung vorübergehend solche weiße Druckflecken hervorbrachte, die, sowie der Druck aufhörte, einer desto dunkleren Färbung Platz machten. Es war an dem ganzen Mädchen ein immerwährendes Erbleichen und Wiedererröten vor Kraft. Der Schneider hatte gemeint, daß sie mit den bloßen Augen lachen könnte, gefalle ihm am meisten; jetzt schien ihm der trotzige Ausdruck derselben noch schöner, und ihre Augen gefielen ihm so wild und scheu noch mehr, als da sie lachten. Vorsichtig und geräuschlos begann er, auf der Platte des Tisches sitzend, an dem sie abgewandt stand, immer näher an sie heranzurutschen. Saß er hinter ihr, dann bedurft' es nur eines Zurufes. Wenn sie dann erschrocken arglos das Gesicht ihm zuwandte, war der Plan gelungen. Der Morzenschmied schien ganz woandershin zu sehen als nach dem Schneider. Er hielt seine Pfeife ganz nahe vor die Augen, die vor Schelmerei so schief standen, daß er der Heiteretei wie ein lauernder Kater vorkam. Zuweilen gab ihm das mühsam unterdrückte Lachen doch einen Stoß. Der Weber aber, der von alledem nichts merkte, hustete und sprudelte unterdessen: »Ja, so stark wie die Weibsleut' sind, und so klug wie die Weibsleut' sind! Und doch, wo was ordentlich gemacht sein soll, da muß es der Mann. Wenn sie mit den Händen wackeln, da muß geärbet sein, und wenn die Zunge geht, da meinen sie, das ist gedacht. Ei ja! Wenn sie den Stubenehren ein bißle mit dem Besen kitzeln, daß der lachen möcht', und dreimal die Bodentreppen hinauflaufen darum, wenn eine Handvoll Salz aus der Meste soll in den Topf!« Das Mädchen schwieg, man hätte gemeint, wie ein gescholtenes Kind, wenn es ihr nicht zuweilen so eigen um die vollen Lippen gezuckt hätte. Noch ein Ruck, und der Schneider saß am Ziel. Schon fühlte er die Wärme vom Körper des Mädchens an der ihr zugewandten Seite; ein Schauer rieselte ihm den Rücken herab, und das Leiseatmen wurde ihm immer schwerer. Noch durfte das Mädchen nicht umschaun. Drum fiel der Schmied helfend ein: »Was? Ich wett', das Dorle da nimmt zwei Mannsbilder auf sich, wenn mit der Zunge geärbet wird.« »Ihr seid freilich stärker,« sagte das Mädchen, nicht halb so keck als sonst. »Ihr nehmt gleich die ganzen Weiberleut' auf einmal auf Eure.« – Sie war schon einigemal wie mechanisch mit der flachen Hand über den Tisch gefahren, und das hatte den Schneider jederzeit nicht wenig beunruhigt. Jetzt strich sie eben so und immer noch mit abgewandtem Gesichte den ganzen Mann herab, scheinbar so unabsichtlich wie einen Lappen Tuch, den man wohl in Gedanken vom Tische streicht, ohne gewahr zu werden, was man tut. Alles lachte und sah nach dem Schneider, der, so unerwartet auf die Diele zu sitzen gekommen, sich zu besinnen schien, wie. Die Heiteretei tat noch verwunderter als der Schneider selbst, indem sie einen Augenblick nach ihm hinsah. Der Schmied lachte, daß ihm die Tränen kamen, und ärgerte sich doch zugleich und schwur bei sich, nicht zu ruhn, bis er durch einen größern Schabernack den Schneider und die ganze Männerwelt an dem Mädchen gerächt habe. Es war dabei etwas von Neid und Eifersucht. Irgend jemanden so duckmäuserig dem Gelächter preiszugeben, das hielt er für sein Revier, und die Heiteretei war ihm eine Wildschützin darin, die gestraft werden mußte. Doch wurde er fast ungewiß; das Mädchen mußte mehr Freude verraten, wenn sie die Verhöhnung des Schneiders beabsichtigt hatte. Im Gegenteil schien es der ungemischte Ton des Verdrusses, in dem sie nun sagte: »Meinetwegen redet, was Ihr wollt. Hätt' ich nur erst meinen Schiebkarren aus dem Schmutz! Wenn's so ein drei Stunden geregnet hat, ist da außen ein Lehm, als sollt' der Schloßturm gekocht werden, und man braucht einen Topf dazu.« Der Schmied horchte auf. Was? Kam da die heißgewünschte Gelegenheit von selber, dem Übermute eins zu versetzen? Aber noch traute er der Hoffnung nicht. »Ja,« sagte er, »das Dorle will uns was weismachen, damit sie lachen kann, wenn wir's glauben.« »Da hat sich's zu lachen,« entgegnete die Heiteretei. »Ich muß heim, und allein bring' ich den Karren nicht heraus.« Ihre Stimme zitterte bei den letzten Worten; der Schneider nahm's für unterdrücktes Weinen; je kleinlauter das Mädchen wurde, desto höher richtete sich der Schneider auf. »Ich denk',« sagte der Schmied, und seine Augen kamen immer schiefer zu stehen, »ich denk', das Dorle ist stark genug und ist klug genug und kann's allein ermachen? Wenn sie so klug ist, wird sie ja nicht mehr geladen haben, als sie fahren kann, und wenn sie alles allein ermachen kann, wird sie wohl fahren können, was sie geladen hat.« »Wenn das Wetter ausgehalten hätt',« sagte die Heiteretei. »Wer kann fürs Wetter?« »Ja freilich! das Wetter,« hustete der Weber triumphierend; »das ist den Weibsleuten ihr Sündenbock. Donnerwetter! wenn das Wetter nicht wär', da blieben alle verfütterten Säu' gesund, da war' Obenhin der beste Jäter, und alles, was sie machen, das war' gut, und Zufrüh und Zuspät die besten Gärtner. Und ja, wenn alle Ding' sich selber machten wie das Wetter, da kam' keine darauf, daß sie nur ein Weibsbild ist.« »Und ein ander Ding um einen Mann,« flickte der Schneider dazwischen, und seine geballte Faust sagte: Ich bin einer! Der Schmied wollte reden, aber der Weber war einmal im Husten. »So ein Ding, das da denkt, lieber die Bein' gebrochen, als zweimal gegangen, und was es auf einmal mit den Augen ersieht, das kann sie auch auf einmal mit den Händen ermachen. Drum steht's schon in der Schrift, daß es ein schwach' Werkzeug ist, und der Mann soll ihr Herr sein, denn warum? weil ein Weibsbild – nur ein Weibsbild ist, hergegen ein Mann, das ist ein Mann.« »Ja,« sagte die Heiteretei, »wenn ich mir's so hätt' auslegen können! Aber deswegen bleibt mein Schiebkarren, wo er ist.« Der Schmied konnte noch immer nicht zu Worte kommen; der Weber fühlte, er mußte sich selber am Kragen festhalten, und wer weiß, was er noch gehustet hätte, wär' nicht der Schneider dazwischen gefahren: »Und wo er bleiben sollt' nach Recht und Gerechtigkeit! Denn es geschah' einer just einmal recht, wenn sie umladen müßt' und würd' noch ausgelacht dazu.« Der Schmied, der schon lange beschwichtigend mit beiden Händen gerudert hatte, kam endlich, indem er dem Schneider ins Wort und dem Weber in den Husten fiel, zum Reden. »Aber das Dorle«, sagte er mitleidig, »kann ja doch eigentlich selber nichts zu dem Unglück, daß sie nur als ein Mädle geboren ist. Und wiederum steht in der Schrift, das stärkere Werkzeug soll sich über das schwächere erbarmen. Aber« – »Umsonst wird nichts!« brach der Weber dazwischen. »Abbitte muß sie tun!« der Schneider. »Ja von wegen dem,« fuhr der Schmied fort, »was sie vorhin gered't hat vom Männervolk. Sie dauert mich, aber daran läßt sich nichts ändern.« »Ja,« sagte die Heiteretei, »und wenn ich's getan hätt', müßt' ich mir doch selber helfen und würd' auch noch ausgelacht? Hernachen will ich's; aber vorher tu' ich's nicht; das sag' ich gleich.« Der Schneider, einen ganzen Kopf länger als er selbst, brannte vor Ungeduld, den Karren frei zu machen mit einem Ruck und so der Heiteretei zu zeigen, was ein Mann sei. Er staunte selber an sich hinauf und traute sich das Ungeheuerste zu. Auch der Weber konnte vor Ungeduld nicht mehr sitzen und spuckte schon in die Hände. Der Schmied hätte gern den Triumph mit dem Strohhalm ausgetrunken. Wer weiß, ob die Heiteretei ihnen noch einmal so in die Hände lief! Sie durften sie nicht so schnell und glimpflich wieder herauslassen. Da diese aber, soviel ihr selber daran gelegen schien, die Männer sollten sich an ihrem Fuhrwerke versuchen, auch in der Schelmerei es sich nicht abgewinnen konnte zu bitten, so erhob sich endlich auch der Schmied, und der Zug setzte sich, das Mädchen an der Spitze, in Bewegung. Eine Warnung der Wirtin verscholl unbeachtet. Das eigne Wedeln der Heiteretei mit dem Tragband in ihren Händen beim arglosesten Gesicht erinnerte sie an die ähnliche Schwanzbewegung der Katzen vor einem plötzlichen, unvermuteten Sprunge. Da die Männer nicht hörten und ihr selbst über den Katzen einfiel, nach dem Braten im Gewölbe zu sehen, so überließ sie die Verblendeten der Heiteretei ohne weitere Versuche, sie zurückzuhalten. Außen hatte sich unterdes ein Windhauch aufgemacht, der die aus der Einfahrt Tretenden mit fast herbstlicher Frische begrüßte und von den Bäumen an der Straße einen kleinen Regennachschauer auf sie warf. »Und wo ist denn nun das bißle Karren?« fragte der Schmied, sich umsehend. Die Heiteretei ging voraus, um ihre lachenden Augen zu verbergen; denn der Mond verbreitete Tageshelle. Sie ging nach einer großen Pfütze zu, und hier stak der Karren. Das Rad war nur eben bis an die Speichen in den weichen Boden eingedrückt. Ein weißes Tuch verbarg die Ladung. Diese nahm einen so unerwartet geringen Raum ein, daß der Schneider fast bedauerte, so leicht davonzukommen. »Ärbet für einen Schneider,« sagte der Schmied. Das nahm der Schneider beinah' übel. »Schmied oder Schneider,« sagte er und warf den Unterschied mit einer Handbewegung weg, die zeigte, wie leicht er war. »Mann ist Mann; und wär's nicht um einer schwachen Weibskreatur wegen, das Ding wär' für meinen Lehrjung' zu gering.« Aber so verächtlich blickend er nun zwischen die Handhaben trat, geschah's doch mit dem Entschluß, seine ganze Kraft aufzubieten. Denn herausfliegen sollte der Karren, so leicht wie ein Vogel, aus dem Schmutz. Und gewiß! wäre der Schneider so energisch wieder aufgestanden, als er sich bückte, es wäre so geschehen. Aber er stand gar nicht wieder auf, wenigstens mit dem Karren nicht. Wie er auch bald mit der einen, bald mit der andern Schulter, bald mit beiden zugleich auftauchte, wie er das Tragband bald nach oben, bald nach unten schob, der Karren flog nicht, er stand wie angewurzelt. Wütend sprang der Schneider endlich allein wieder empor. »Vexation!« schrie er. »Vexation! Ich weiß, was einer ermachen kann. Aber die Wirtin hat nicht vergeblich gered't. Da ist was Extra's aufgepackt.« Die Heiteretei sagte: »Ja, sechs Schneider.« Der Weber aber schämte sich in der Seele seines ganzen Geschlechtes, daß er den Schneider vorangelassen. Zornig schob er ihn aus dem Karren und sich selbst hinein. Nun spuckte er in die Hände, aber nicht wie der Schneider, sondern wie ein Mann. Nun faßte er die Handhaben, daß die langen Finger erblichen; nun tauchte er nieder, als gält's, den Kern der Erde zu stürmen; nun rannte er gegen den Karren wie ein wütender Elefant; nun – ja, nun lag er mit der Nase auf der Last und mit den Knien in der Pfütze. Der Karren stak so fest als zuvor. »Ein himmelverbrenntes Donnerwetter!« fluchte nun auch der Weber, indem er sich aufreckte und den Schmutz von den Knien abstrich. »Der Schneider hat recht. Lug und Trug! Teufelsmädle, du hast noch was Aparts aufgepackt«. Vexation ist's, Vexation! »Ja, freilich,« sagte die Heiteretei, »der ist vexiert, der sich auf ein so starkes Werkzeug verläßt, wie Ihr eins seid.« Der Schneider und der Weber fluchten und renkten sich die Arme und Beine zurecht, der Schmied aber lachte so fürchterlich, daß die Heiteretei ihn nicht ansehen durfte, wollte sie ernsthaft bleiben. Das Mordmädle! dachte er. Ich könnt' ihr ordentlich gut sein für den Spaß da, obgleich sie mir den Hauptjux verdorben hat, den über sie selber. Und geschenkt soll ihr das gewiß nicht sein. Dem Weber und dem Schneider geschieht's schon recht; warum sind sie solche Pfefferkuchenmännle! Aber ein End' mach' ich nun, sonst kommt die noch aus dem Häusle vor Übermut. Damit ging der Schmied nach dem Karren, dem er, als Repräsentant seines ganzen Geschlechts, die Ehre nicht antat, die Pfeife vor ihm aus dem Munde zu nehmen. In die Hände spuckte er so beiläufig, als wär's nur, um den Gebrauch nicht zu umgehen. Aber bald ward er höflicher. Nach dem ersten vergeblichen Ansatz spuckte er in vollem Ernst. Bei dem zweiten fiel ihm die Pfeife von selbst aus dem Munde. Nach dem dritten war er zorniger als Schneider und Weber. Er war keineswegs bösartig; aber er hatte die Natur vieler sonst ganz guten Leute. Die gern jedermann zum besten haben, sind, wenn ein andrer das an ihnen versucht, gewöhnlich die Empfindlichsten. Dazu kam, daß ihm Schneider und Weber seine Schadenfreude von vorhin mit Zinsen zurückgaben. »Heben tut er sich,« schrie er endlich, »aber heraus aus dem Schmutz bringt den Himmelelementskasten der Teufel selber nicht! Aber der Hexe da soll's gezeigt werden, was das auf sich hat, Männer zum Narren zu halten! Das soll sie einem andern weismachen; das kann der wilde Fritz nicht; das müßt' der Teufel selber sein, der einen Karr'n vom Zainhammer bis daher führ' so beladen wie den.« »Ja, wenn der Teufel kein Mannsbild wär',« entgegnete die Heiteretei, indem sie das Tragband aufhob, das der Schmied im Zorn auf die Erde geworfen hatte. »Aber er macht's halt wie alle Mannsleut'. Räsonnieren, was ein Mann für ein ander Tier ist, wie so 'n armes schwaches Weibsbild, das können sie; aber so 'nem armen schwachen Weibsbild den Karr'n aus dem Schmutz tun – ja, wenn's halt mit der Zungen zu machen ging! Bin nur froh, daß ein Eisenstab kein Schweizerkäs' ist, sonst hätt' ihn der Meister Weber durch und durch gestochen mit seiner spitzigen Nasen. Und wenn was zu bestellen ist an die Frau Morzenschmiedin, oder wenn der Meister Schneider noch aufsitzen will, so einen bring' ich just noch fort; er könnt' auf dem Strick reiten da; aber es müßt' geschwind gehn. Ich hab' nicht mehr viel Zeit.« Sie sah nach dem Schneider um, als wär's mit dem Aufsitzen ihr Ernst. Dann hängte sie ruhig ihr Tragband um, ließ die Handhaben in die Schleifen und hob, wenn auch mit Anstrengung, den Karren aus dem Schmutz. »Respekt muß im Hause sein!« rief sie zurück. Und heiter lachend ging es dann die Straße so schnell hinab, daß die Männer noch wie Steinbilder dastanden, als sie um die nächste Ecke verschwand. Freilich schon hinter dieser nächsten Ecke machte das Mädchen Halt, um dort von der übermäßigen Anstrengung auszuruhen, aber nicht ohne erst vorsichtig herumzublicken, ob die Männer ihr nicht etwa folgten. Sie sah sie langsam in das Wirtshaus zurückgehen, und nun erst überließ sie sich dem Jubel, dessen lauten Ausbruch zu unterdrücken ihr bis jetzt nur mit äußerster Mühe gelungen war. Sie hätte sich längelang in das Gras neben der Straße geworfen, stand nicht vom Regen her Wasser darauf. Sie kauerte, weil sie sonst kein Plätzchen sah zum Ruhen und zum Lachen, auf ihre Fersen nieder und umschlang mit beiden Armen ihre Knie. Und je mehr die verdehnten Sehnen von der Erschütterung des Lachens schmerzten, desto heftiger mußte sie lachen. Sie drückte ihr Gesicht in die Schürze, preßte den Zipfel in den Mund; aber die bewährtesten Mittel halfen nicht; sie mußte den Lachsturm austoben lassen. Wie weit war ihr Herz vom Gefühle ihrer Kraft und Selbständigkeit! Es war ihr, als hätte sie einen Sieg über alle Männer der Welt davongetragen. Nicht mit dem Glücklichsten tauschte sie jetzt. Aber das hätte sie auch wohl sonst nicht getan. Denn niemandem konnte wohler sein in seiner eignen Haut als der Heiteretei; in eine fremde sich auch nur hineinzudenken, fiel ihr nicht ein. So strotzte jede Fiber an ihr von Kraft, jeder Gedanke von Übermut. Bald hatte sich ihr Körper erholt und das Phlegma der Gesundheit auch die innere Bewegung so auf das richtige Maß zurückgebracht, daß, als sie weiter fuhr, den rüstigen Gleichtritt kein schnellerer Atemzug mehr störte. Wir können sie getrost sich selber überlassen; es wird für das Verständnis unsrer Erzählung nötig sein, dem Orte, dem sie so rüstig zufährt, und dem Treiben und der Art seiner Bewohner einen wenn auch nur flüchtigen Blick zu gönnen. Wir eilen ihr voraus, sicher, daß sie uns bald einholen wird. Wir kommen zunächst durch eine Doppelreihe von Städeln und wissen nun schon, Luckenbach gehört zu jenen Städtchen, in deren Tätigkeit sich Ackerbau und Gewerbe teilt. Der Gründer Markt ist ein Ausnahmstag. Denn was Waren hat, feilzuhalten, Geld, um zu kaufen, Beine, um zu tanzen, Arme, um Kegel zu schieben oder sich zu schlagen, eine Gurgel, um zu singen und zu trinken, ja nur Augen, um zu sehen, das fliegt heut sicher nach dem Grunde. Aber nur einige Stunden früher, und wir hätten auch heut ein Bild gehabt vom Leben und Treiben des Städtchens im Sommer, wenn auch ein weniger lebendiges und figurenreiches als an andern Tagen. Männer in Hemdenärmeln standen plaudernd und rauchend an befreundeten Fenstern. Flinke Weiber und Mädchen wuschen Salat oder schöpften mit dem »Kübel« Wasser aus den großen steinernen »«Brunnenkasten in »Bütten und Stutzen«. Andre rasselten, die rotflanellenen Unterröcke hinter ihnen fliegend, mit dem leeren Schiebkarren über die Straße nach dem Tor oder kehrten langsamer mit dem beladenen von daher zurück. Und nicht etwa bloß die ärmeren, wie die Heiteretei. Wer Töchter hat, mietet keine Mägde. Die angesehenste Bürgerstochter, die am Sonntag auf dem Schützenhof tanzt oder auf dem Liebhabertheater spielt, fährt Werkeltags im rotflanellenen Unterrock, ein buntes Tuch um die Haare, auf dem Schiebkarren das Futter heim für die Kühe. Die Männer sind Handwerker, die Frauen sind Bauern. Und den großen Feldarbeiten, Heu-, Grummet-, Getreide- und Kartoffelernte, macht auch bei den Männern das Handwerk Platz. Dann steht die Brücke leer, der Webstuhl ruht, Schere und Säge hangen am Nagel; Meister, Lehrling und Geselle tummeln sich draußen im Felde oder auf der Wiese. Wir kehren wieder zu der Heiteretei zurück und treffen sie schon an den äußersten Stadeln. Sie fährt langsamer als vorhin; sie überlegt, ob sie hier noch einmal ruhen oder in einem Zuge fortfahren soll bis an die Nagelschmiede, wo sie ihre Ladung abzugeben hat. Sie ist schon zu dem letzten entschlossen, da fällt ihr ein offenes Stadeltor auf, vor dem eine Schnitzbank steht. Rings um diese liegen fertige und unfertige Faßreifen und allerlei Werkzeug in der wildesten Unordnung durcheinander. Und kein Mensch dabei zu sehen noch zu hören. Nichts war dem Mädchen verhaßter als Unordnung. Wo sie dergleichen sah, zuckte es ihr in den Händen. Sie konnte nichts unrecht stehn sehn, ohne es rechtzustellen, und wenn sie noch so gut wußte, wie schlechten Dank sie sich damit verdienen würde. Unwillkürlich ließ sie den Schiebkarren zur Erde nieder. »So was!« sagte sie und schlug vor unwilliger Verwunderung mit den Händen auf die Schürze. »Da läuft erst der Meister von der Arbeit, hernach die Gesellen und der Lehrer (Lehrling), wie die Säu' vom Trog. Freilich! Sollen die Gesellen auf seinen Nutzen sehn, wenn's der Meister selber nicht tut! Aus dem Holders-Fritz wird halt sein Lebtag nichts Gescheits.« An jedem andern wäre ihr Unordentlichkeit zuwider gewesen, am Holders-Fritz erregte diese ihren Zorn. Sie wußte nicht warum, und war auch nicht gewohnt, über dergleichen sich Rede zu stehn. Aber es regte sich zugleich ein Etwas in ihr, was sie freilich gewiß für nichts anderes hätte gehalten wissen mögen, als wofür sie selbst es hielt, für Ordnungsliebe. Dieses Etwas wußte jenen Zorn mit immer neuen unverfänglichen Vorwänden von einem Zugeständnis zum andern so lange fortzuschwatzen, bis er endlich nichts mehr zuzugestehn hatte. »Ich werd' nicht so dumm sein,« entgegnete der Zorn dem Etwas, »Ordnung zu machen, wo mich's nichts angeht.« »Aber über die Schnitzbank,« sagte das Etwas, »kann bei Nacht jemand fallen«. Sie räumt die Schnitzbank hinein, und das Gespräch geht fort: »Aus dem andern mag werden, was da will! Wenn ich nicht einmal darüber wär', die Reifen sollten liegen wegen mir bis zum Gückelestag. – Den Schnitzer und das Schnitzmesser – guckt nur! auch das Beil und die Säg' haben sie liegen gelassen, die liederlichen Hund. Wenn mich nicht das Zeug dauern tät! – So; nun fehlt nur noch, daß ich so dumm wär' und kehrt auch noch die Spän' hinein, aber – nicht einmal einen Besen haben die da. Es ist mir nur wunder zu sehen, ob das Volk nicht einmal einen Besen hat? Na, das soll wohl einer sein! Würd' dem Gesindel keinen Finger kosten, wenn sich's selber einen zusammenbänd', eh' sie das stumpfe Ding da – meinethalb'! Und das Stadeltor ist auch hundert Jahr nicht geschmiert. Es war' schad' um den Holders-Fritz, wenn's ihm nicht recht geschäh'. Nunmehr müßt' der einer sein. Warum heirat't er nicht? Aber wen denn? Wenn der keine Tüchtige kriegt, ist's schlimmer als gar keine. Wenn er mich zur Frau hätt', da könnt' er noch einer werden. Ich wollt's ihm schon gönnen; er ist noch nicht der allerschlimmst'. Wenn ich einmal mit ihm zu reden käm', ich wollt' ihm allerlei sagen. Ja, damit er wunder dächt', was ich mit ihm haben wollt'? Was geht der mich an? Er hat meine Mutter nicht gefreit und will mich nicht frein. Und ich möcht' ihn nicht einmal. Den nicht und gar keinen. Ich kann's zweimal allein ermachen. Und so ist's, und nu ist's fertig!« So lautete das Gespräch, das die Gedanken der Heiteretei miteinander führten. Und wie diese mit dem Gespräch, war sie selber mit dem Aufräumen fertig geworden. Das alte Scheunentor kreischte laut knarrend in der Angel, die Heiteretei sah erschreckt sich um. Es war, als hätte zugleich etwas in den Büschen gerauscht. Aber alles war ruhig und niemand zu sehen. Das Tor hatte die Gräser vor der Scheune gestreift; die hatten gerauscht. Dennoch war das Mädchen mit einem Satz auf der Straße. Und nach der Miene, mit der sie weiterfuhr, mußte jeder, der ihr etwa begegnete, glauben, sie komme von Reick, wenn nicht vom Zainhammer her in einem Laufen. * Schon war sie fast an dem Hohlwege, der die Scheunen von dem eigentlichen Städtchen trennt, als sie aus der Ferne ein wildes Durcheinander von Männerstimmen auf sich zukommen hörte. Erst war's ihr unmöglich, mehr als der Fritz, der Holders-Fritz! ja, der Holders-Fritz! na, der »Holders-Fritz!« herauszuverstehen. Das Geschrei kam näher und wurde zu einer Art Gespräch. Die Stimmen waren ihr bekannt. »Der Frankendorfer-Wirt,« schrie der Adams-Lieb, »das ist auch einer, aber gegen den Holders-Fritz ist er doch nix.« »Wenn ich dran denk',« lachte ein andrer, »wie der Fritz da letzt in Windig wieder den Tanzboden rein hat gefegt, und hernach hat er uns alle frei gehalten wie ein Fürst. Teixel, war das eine Lust!« »Aber,« jubelte ein Dritter, »wie er das Pfortentor aus hat gehoben und runtergeworfen in den Steuereinnehmersgarten und sechs Mann haben's beinah nicht wieder aufgebracht!« »Muß da gerad das Gewitter kommen,« schrie der Adams-Lieb wieder, »wie ich schon den Rock angezogen hab' zum Gründer Markt. Es ist nur gut, daß der Fritz auch Abhaltung hat gehabt, sonst hätt' mich's doch geärgert.« »Mit dein'm Gründer Markt!« eiferte ein Vierter; »wo das Bier sauer ist und die Bratwurst wie die Schwefelhölzle und die Hammerschmied' tun, als wären sie Herrn auf dem Tanzboden.« »Oho,« schrie der Adams-Lieb wie beleidigt. »Nur net, wenn der Fritz dabei ist. Du, Fritz, zur Kirbe (Kirchweihe) gehste mit im Grund. Auf die Hammerschmied' hab' ich's lang gemünzt. Den'n mußt's einmal weisen!« Und nun schrien sie wieder zusammen, daß man nichts als das: »Der Fritz! ja, der Holders-Fritz! na, der Holders-Fritz!« aus dem Geschrei heraus verstehn konnte. Es waren etwa zehn Bursche zwischen siebzehn bis zwanzig Jahren, die solchergestalt das Lob des Holders-Fritz preisend daherkamen, der in ihrer Mitte einherschritt, schweigend, wie ein mächtiger Fleischerhund, umhüpft von kläffenden Möpsen. Sie gestikulierten mit Pfeifen, Stöcken und Händen, sichtlich bemüht, durch Wichtigkeit und Gewaltsamkeit des Gebarens zu ersetzen, was ihnen an Männlichkeit noch abging. Man sah, das wilde Wesen des Holders-Fritz war ihr Muster. Und das war freilich das einzige, in welchem sie ihm ähnlich zu sein vermochten. Denn so sehr sie sich auch streckten und die Schultern zusammennahmen, der Holders-Fritz ragte doch um Kopfeslänge über sie hinaus, und aus zwei ihrer Brustkasten war' noch nicht einer geworden, wie ihn der Holders-Fritz zwischen den Schultern trug. Er war freilich fast doppelt so alt, als der jüngste unter ihnen; aber man sah, er tat auch von seiner Seite das mögliche, das Mißverhältnis des Alters zwischen ihm und seinen Gefährten wenigstens äußerlich auszugleichen. Er trug keine Weste unter dem Rock und den Hemdekragen über das keineswegs elegant geschlungene Halstuch herausgelegt. Wer ihn so mit dem ungeheuern weichselnen Pfeifenrohr sah, an dem große bunte Quasten herumbaumelten, hätt' ihn eher für einen verwilderten Studenten angesprochen, als für einen ehrsamen Handwerksmeister. Jetzt sah einer von den lärmenden Gesellen das Mädchen in den Hohlweg einbiegen. »Dort kommt die Heiteretei,« schrie er. »Macht, daß wir in den Hohlweg kommen, eh' sie wieder heraus ist. Du, Fritz, mußt ihren Schiebkarren aufhalten,« sagte der Adams-Lieb. »Das gibt einen Spaß, wie er auf dem Gründer Markt nicht gewesen wär'!« Das kam dem Fritz eben recht. Mit zwei Sprüngen waren sie in dem Hohlwege und der Fritz stellte sich unter dem Jubel der Gefährten in der Mitte des engen Weges dem Mädchen entgegen. Die Heiteretei merkte wohl, worauf's damit abgesehen war, aber sie hielt nicht an. »Ausweichen,« dachte sie, »tät ich nicht, wenn's auch möglich wär'. Aber die sollen auch nicht denken, daß ich stillhalt' oder zurückfahr' ihretwegen. Ist mir nicht bang', er wird schon beiseit springen, wenn ihm der Karren an seine Beine kommt. Mag er's haben! Warum läßt er mich nicht gehn!« Aber bis an seine Beine kam der Karren nicht. Einen Schritt davon hielt ihn der Fritz an mit vorgestreckter Hand. Einen Augenblick standen sich die beiden hohen Gestalten schweigend gegenüber. Sie sahen sich herausfordernd an über dem angehaltenen Karren. Die Heiteretei schob aus allen Kräften, der Holders-Fritz stemmte sich ebenso dagegen. Die Anstrengung trieb ihnen das Blut ins Gesicht und beschleunigte die Eile, mit welcher der Ausdruck ihrer Züge die ganze Tonleiter durchlief vom neckenden Mutwillen durch Spott und Hohn bis zum aufflammenden Zorn. Die Heiteretei ließ die Handhaben des Karrens auf den Boden nieder, daß die geladnen Eisenstäbe klirrend zusammenschlugen. Wieder aufschnellend wie eine Stahlklinge, bog sie sich drohend über das Fuhrwerk und sagte, Gesicht fast an Gesicht: »Willst du was?« Der Jubel der Gesellen gab dem Fritz seine Ruhe wieder. Er nahm sich vor, dem Mädel seine ganze Überlegenheit zu zeigen. Bei jeder der Reden, die nun Schlag auf Schlag einander folgten, wuchs der Jubel der Zuhörer und die Beeiferung der Redner. »Hast du denn, was ich will?« »Nein; denn was Gescheits ist's nicht, was du willst.« »Freilich; eine Frau, und das ist nichts Gescheits.« »Glaub's wohl, daß du eine Frau willst; aber daß dich eine will, schon lange nicht.« »Und hättst mich selber gern, wenn ich dich nur möcht'. Aber ich will eine andre, eine Schöne und Reiche. Weißt du keine? Kommst doch weit herum.« »Nicht so weit, wo sie dich nicht kennten.« »So brauchst mich nicht erst zu loben.« »Ja doch, und auch nicht mich auslachen zu lassen. Du bist der einzig', der nicht lacht, wenn eins dich lobt. Dafür lachen die selber hinter dein'm Rücken, die dich loben, daß du's hörst. Frag' nur die da. Und so ist's, und nu ist's fertig, und du läßt mich gutwillig vorbei, oder du kannst noch zu hören kriegen, was die da nicht sagen, wenn du dabei bist.« »Ja, so hat allemal der gesagt, der nichts hat gewußt. Wenn du was weißt, so sag' mir's doch. Weil ich keine Frau hab', die mir predigt. Tu 'mal zum Spaß, als wärst du meine Frau; du wärst's halt doch zu gern.« »Du denkst, weil ich arm bin, kannst du über mich spotten? Wenn du mich doch zur Frau hättst, du könntst vielleicht noch einer werden und liefst nicht mit solcher Brut herum, die noch die Eischalen am Schnabel hangen hat. Du denkst, dich möcht' ich? Dich? Und wenn du einen Rock anhättst aus lauter Talern, und an jeds Haar wär ein Dukaten gespießt, dich möcht' ich nicht. Der ärmst' Bettelmann wär' mir lieber als du, wenn ich einen möcht. Aber ich mag gar keinen. Und was bist denn du? Allen Gelbschnäbeln ihr Schulmeister, wo sie lernen, was nix taugt! Ja, wenn du das noch wärst. Aber ihr Geckelmann bist du, der Faxen macht, wenn sie am Faden ziehn, wie sie wollen. Und denkst noch Wunder, was du bist mit deinen Krägelen und deinen Bummelquasten da. Du denkst, dem Herrenmüller sein Spitz, das ist nur ein Hund. O, der ist noch ein ganzer Kerl gegen dich, wenn er auch keine Krägele hat und keine Quasten. Der macht auch, was sein Herr will, aber er hat doch nur einen. Aber du hast so viele Herren, als Nixtauger sind im Städtle. Wenn einer sagt: Schön, Holders-Fritz, apport! gib mir dein' Kappen, so gibst du sie; bezahl' mir mein Bier, so bezahlst du's; das ist ein starker Holders-Fritz! so machst du größre Sprüng', wie der Spitz, wenn's heißt: Das ist ein geschickter Hund! Und denkst den ganzen Tag nix, als was für eine Dummheit du wieder machen sollst, damit die da dich loben. Denn um was Gescheits loben dich die da nicht, und von vernünftigen Menschen willst du nicht gelobt sein. Du denkst: wär' das ein Unglück, wenn's hieß: Was der Holder für ein ansehnlicher Mann ist! er ist der ordentlichst' Mann und der tüchtigst' Meister in der Stadt: wer was gescheit anfangen will, muß den Meister Holder fragen. Ja, das wär' doch ein Unglück, wenn die da keinen mehr hätten, der ihnen tät', was sie sich schämten, wenn sie's selber sollten tun. Paß nur auf, wenn ich fort bin, wie's heißen wird: Allo faß, Holders-Fritz! Mach' du nur Augen, wie du willst, ich fürcht' mich schon lang nicht vor denen ihrem Spitz. Und nun läßte los! Ich hab's wie mit Löffeln! Du weißt nun, was für ein Kerl du bist, und so ist's, und nu ist's fertig!« Und aufgehoben war der Schiebkarren, und vorwärts ging's durch den Knäuel der Bursche hindurch, die fluchend beiseit sprangen, wenn die Wucht des Schiebkarrens ihre Beine traf. Alle fielen über den Holders-Fritz her und begriffen nicht, daß er dem »Lügenmaul« nicht eins versetzte, woran sie lebenslang zu denken hätt'. Er selbst begriff's am wenigsten. Noch aus der Ferne rief die Heiteretei: »Hetz', Holders-Fritz, hetz'!« Der Holders-Fritz war rot bis unter seine wilden Haare; er schickte dem Mädchen einen Blick nach, vor dem die Bursche erschraken. Der Jubel nahm ein plötzliches Ende. Keiner wagte zu mucken, um nicht etwa das Gewitter, das in dem Holders-Fritz aufgestiegen war, auf sich abzuleiten. Der Holders-Fritz zerbiß die Worte zwischen den Zähnen: »Du Mädle du! Wart', du Mädle du!« Einen Augenblick stand er schweigend, dann fuhr er wie im Trotze auf und schrie mit wilder Lustigkeit: »Heut geh' ich nicht heim und morgen auch nicht. Nun soll's erst recht heißen: Der wilde Fritz. Heut haben die Zimmerleut' ihren Tanz in der Schwan'. Will sehen, wer mich hinausweist.« »Nun bist du wieder einer!« schrie der Adams-Lieb, und, ein wildes Lied brüllend, zog der ganze Haufe »der Schwane« zu. * Der alte Benediktus – nur Diktes genannt – blieb vor einem Häuschen stehen, nahm das Nachtwächterhorn an die Lippen und blies gerade nach dem Häuschen zu den schönsten Ton, der darin war. Ob ihm das Häuschen so gefiel, daß er beim Tuten und Stundenrufen allemal nach ihm hinsah? Hübsch genug sah es aus, zumal, wenn, wie eben heute, der Mond darauf schien, – am hübschesten aber, wenn der große Holunderbusch, der das Häuschen unter seinem Arm hatte wie einen Hut, oder unter seinem Flügel wie ein Küchlein, zugleich in voller Blüte stand. Und den Grasmücken und Finken ging es bei Tage wie dem alten Diktes bei Nacht. Der alte Holunder hatte keinen geraden Wipfel mehr, so oft hatten die kleinen Tagediebe singend sich darauf geschaukelt. Das schmale Weglein, das vom Schloßberge jäh genug herabkommt, tut auf der kleinen Wiese dabei, als müßt' es vor jedem Büschchen wieder ein Stück umkehren. Man sieht, ihm ist's nur darum, nicht zu schnell vorbeizukommen, und kaum zwei Schritte unter dem Häuschen, da wird's gar aus mit ihm vor Vergnügen, da hört's ganz auf. Und just da ist's, wo am Zehntbach hin die herrlichsten Tuten und Pfeifen wachsen in der ganzen Gegend, so viel Weiden auch dem Bache entgegengehen oder ihm das Geleite geben von hier hinauf und hinab in das weite Tal. Da hat der Türmer noch das Glockenseil vom Dreibrotläuten in der Hand, und schon füllt Kindergejubel das ganze Weidengebüsch. Da wird das blaue Bächlein ganz rosig vom Widerschein der badenden Kinderleiber vom Häuschen an bis zur Lücke im Busch, wo man, wenn heiterer Himmel ist, den Reicker Kirchturm sehen kann. Jetzt im Mondenschein sieht man kaum die Walkmühle und das Drescherhäuschen. Und zu hören ist nichts, als des alten Diktes' Nachtwächterhorn und Stundenruf und ein leises Lüftchen talherauf, kaum ein fernes Hundegebell und, wenn die Luft etwas stärker weht, vorübergehend das Rauschen vom Walkmüllerwehr. Und jetzt, indem wir davon reden, ein rascher Schritt, der näher komme und näher, begleitet vom Schleifen eines Schiebkarrenrades im feuchten Gras. Die Heiteretei hat ihre Last beim Nagelschmied abgeladen und eilt nun ihrem Häuschen zu. Denn hier hat sie das Kind ihrer Schwester unter der Obhut der alten Annemarie zurückgelassen, der für diese Dienstleistung die Oberstube des Häuschens eingeräumt ist. »Und,« sagt die Heiteretei im Eilen vor sich hin: »die Annemarie kann's nicht besser meinen, und das Liesle mag sie auch; aber sie wird jeden Tag tappichter, und was kann in so ein sechzehn Stunden nicht alles geschehn!« Je näher sie kommt, desto leiser wird ihr Tritt. Sie läßt den Schiebkarren vor dem Häuschen nieder, tritt an das kleine Fenster und pocht leise, leise. Das Kind muß nunmehr schlafen, und die Annemarie hört besser, als manches Junge. Und so ist's auch. Die Alte erscheint. »Schläft's? Ist alles gut gegangen?« fragt das Mädchen. »Alles, nehmt aber das Strümpfle mit 'rein, Dorle, von den roten eins, draußen am Staket. Die alte Sannel da, nieden vom Kellerweg, hat's auch gesagt, es muß Stiefmütterlestee krieg', sonst wächst's noch zu.« Annedorle nahm das Strümpfchen vom Staket, hob leise den Schiebkarren auf den leeren Schweinestall am Häuschen; dann trat sie durch die Haustür, welche die Alte unterdessen aufgeriegelt, unmittelbar in ein Gemach herein, das Wohnstube und Küche zugleich war. Ehe sie noch ein Wort sprach, nahm sie die Lampe vom Ofensims und leuchtete, mit der Hand vorsichtig schirmend, damit kein Lichtstrahl wecke, in die Kammer hinaus über ihr Bett hin, in dessen Mitte die Kleine lag wie ein Rosenknöspchen, auf einen weißen Teller gemalt. Dann setzte sie sich der Alten gegenüber, die den Sitz auf der Ofenbank eingenommen, auf den einzigen Stuhl. Die Alte tat Bericht, wie es mit dem Kinde gegangen; es seien wieder zwei obere Backenzähne im Begriffe, bei ihr hervorzubrechen. »Dacht's wohl,« sagte die Heiteretei, »es hat nächtens wieder so gehust't. Aber sonst ist's doch recht?« »Na, ich weiß net, was für eins das is. Kriegt die Zähn' wie auf einmal und lernt auch noch laufen dabei; andere schmeißt's immerfort zurück. Aber der Diktes hat schon Zehne getüt. Die Hölzle stehn hinterm Ofen. Gute Nacht, Bas' Dorle, schlaft wohl.« Das Dorle leuchtet ihr die enge Treppe hinauf, oben scheint der Mond zu dem kleinen Fenster herein. Unten wirft er helle Flecken auf den Boden und an Treppe und Wand. Dorle sieht, die Löcher in der Lehmwand, durch die der Mond so ungeniert hereinschaut, sind wieder größer geworden. War auch ein Regen das! sagte sie, geht in ihr Stübchen zurück und sitzt wohl noch eine Viertelstunde in Gedanken, darunter schweren Hauswirtssorgen, auf dem Stuhle. Das Häuschen, so schön es aussah, war schrecklich baufällig; vielleicht sah es eben deshalb so schön aus. Das Strohdach erschien an einigen Stellen fast durchsichtig, während es an andern große Höcker zeigte. Die große Reinlichkeit am Häuschen und darum herum stellte seine Mängel nur in helleres Licht. Es war ungewiß, ob der große Holunderstrauch das Häuschen mit allen seinen Armen umschlang, um dessen Mängel zu verdecken, oder um seine auseinanderstrebenden Teile zusammenzuhalten. Was davon auch seine Absicht war, er erreichte sie trotz alles Mühens nur unvollkommen. Und das kleine Liesle! Und seine Mutter, die Schwester der Heiteretei, im fernen Dienste! Oh, es war Stoff genug zu sorgenden Gedanken. Eine kleine Grille akkompagnierte unter dem Kachelofen hervor seine Kollegen im sinnenden Kopfe der Heiteretei. Die Lampe konnte kaum die Augen offen halten vor Schläfrigkeit und kämpfte immer schwächer zwischen Einnicken und gewaltsamem Emporraffen. Zum Glück ist die Sorge kein dauernder Gast bei der Heiteretei, und langes Sitzen ist auch ihre Gewohnheit nicht. Sich straff aufrichtend, strich sie die Schürze glatt und sagte: »Wenn's nur am Leben bleibt und brav wird! Lehm gibt's genug am Bach, die Löcher zu verstopfen. Und wenn's keinen mehr gäb'! Ich bin gesund und stark, und sie sollen mich nicht umsonst die Heiteretei heißen in der Stadt. Mag heiraten, wer will, und sich krank sorgen, wer will, ich nicht. Und so ist's, und nu ist's fertig!« * Der Gringel, an einem andern Orte hätte man ihn den Gasthof zum goldenen Ring genannt, hatte ein anderes Gesicht, als das Häuschen der Heiteretei. In seine derben Züge war es Wetter, Wind und Alter noch nicht gelungen, etwas von dem interessanten Wesen hineinzuschreiben, welches das Häuschen unter den Weiden auszeichnete. Dazu thronte er breit und gewaltig auf dem höchsten Punkte des Städtchens im vollen Lichte wie eine Sonnenblume, während jenes sich veilchenhaft unter ihm in grüne Schatten verkroch. Eigentlich war der Gringel nur mit seiner Besitzerin zu vergleichen, der Gringelwirts-Valtinessin, so genannt, nicht weil sie selber, sondern weil ihr verstorbener Ehegatte mit seinem Rufnamen Valtines geheißen. Der Zufall, der die Valtinessin eben der Morzenschmiedin gegenüber sitzen heißt, scheint dies in seiner lustigsten Laune zu tun; denn beide Genannte stellen die Pole weiblicher Beleibtheit vor. Die Valtinessin macht den Eindruck eines über seine Ufer getretenen Stromes. Es ist ein Glück für die Morzenschmiedin, daß jene nicht auf dem Ledersofa neben ihr Platz genommen, sie wäre rettungslos unter Fleisch gesetzt worden. Die Valtinessin ist eine Gestalt von solcher Unbescheidenheit der Ausdehnung, daß der Gast, welcher hereintretend, seine Sehkraft nach ihrem Maße ausgedehnt hat, Gefahr läuft, die Schmiedin ihr gegenüber gar nicht gewahr zu werden. Es sind ungefähr vier Wochen vorübergegangen seit dem Tage des Gründer Marktes. Daher mag es kommen, daß von all den Gästen, die neben den genannten Frauen in der Wirtsstube des Gringels sich befinden, keiner mehr sein gedenkt. Diese macht einen bei weitem gemütlicheren Eindruck, als die Außenseite des Hauses. Besonders ist dabei das braune Holzgetäfel an den Wänden tätig. Die langen Tische haben sich ihm so nahe gemacht als möglich, und das Beispiel der eben vorhandenen Gäste, wie die glänzenden Flecken über den leeren Bänken, durch die Bemühung der Rücken von ganzen Geschlechtern poliert, bestärken uns in der Meinung: an dem Getäfel lehnend zu sitzen, müsse ein schöner Gedanke sein; besonders, wenn man dabei die Füße auf den Latten ruhen läßt, die zu diesem Dienste etwa vier Zoll über den Dielen unermüdlich von Tischfuß zu Tischfuß im Hin- und Zurücklaufen begriffen sind. Der leere Raum in der Mitte des Zimmers scheint in seiner Größe für die Formenverhältnisse der Valtinessin absichtlich berechnet. Hier schreitet sie in der massiven Grazie, in der etwa der Gringel selbst oder die ganze Reihe Häuser, deren Stolz und Krone er ist, sich bewegen würde, von Gast zu Gast. Denn, obschon eine große, sie ist auch eine herablassende Frau, wenigstens gegen ihre Stammgäste und deren Angehörige. Von allen andern freilich spricht ihre Gebärde: ich kenne sie nicht. Aber deren sind eben deshalb auch nur wenige. Ihr Töchterlein, die Gringelwirts-Valtinessin-Ev, ist bei weitem so leutselig nicht. Und sie verdenkt es in ihrem Herzen der Mutter, daß diese nicht so stolz ist, als sie in Betracht ihres Ansehens sein könnte und der Meinung der Ev nach sein sollte. Sie kommt selten in die Wirtsstube und wäre auch jetzt nicht da, befände sich unter den Gästen nicht der Adams-Lieb, den wir schon kennen. Nicht daß sie ihm besonders zugetan wäre, aber er ist's ihr, und ihr erscheint's nicht unangenehm, angebetet zu werden. Vielleicht auch, weil der Adams-Lieb vom wilden Fritz wissen muß. Und von diesem ist eben die Rede. »Ihr seid ja auch die Tag bei ihm gewest,« sagte der Morzenschmied, der in einer Ecke duckte, zu dem Meister Schramm. Dieser verwunderte sich oder schien das wenigstens zu tun. Er hatte von einem Schlaganfall ein fortwährendes leises Kopfschütteln übrig behalten; das gab ihm ein Ansehen, als verwundre er sich über alles, selbst über sich und seine eignen Reden. »Ja,« entgegnete der Meister in einem Tone, dem man anhörte, daß er neben andern städtischen, Würde verlangenden Funktionen auch die Stelle eines Leichenbitters und Anordners versah. »Ja, aber einen desgleichen Menschen hab' ich mein Lebtag nicht gesehn.« »Ihr redet vom Holder?« fragte der Adams-Lieb und tat dabei so männlich, als ihm möglich war. »Euch sollt' man eigentlich nach ihm fragen,« meinte der Schmied. »Ihr seid ja das ander Pferd am selben Wagen mit ihm«. »Kann sein,« lachte der Bursche, »daß das einmal ist gewest. Aber im Kalender heißt jeder Tag anders.« »Ja,« sagte der Schmied, »Ihr habt jetzt was auf den Holders-Fritz. Er läßt Euch nicht mehr in sein Haus.« »Er läßt?« tat der Adams-Lieb höhnisch, aber höhnisch wie ein Mann. »Ja, sie sind sauer, hat der Fuchs gemeint, wie die Träubel zu hoch haben gehängt. Es gibt mehr solche, wo die Leut' nicht hereinlassen, die von selber außenbleiben.« »Seit der Geschicht in der Schwane,« begann der Schmied duchsig wieder. »Aber so sind die Leut'. Sie sagen, er hätt' Euch 'raus geräumt. Am End' ist's umgekehrt gewesen.« Der Adams-Lieb spuckte wichtig aus. »Ja, die Leut' hören immer läuten, aber nicht zusammenschlagen.« »Und ich meint',« versetzte der Schmied, »es müßt' ein tüchtig Zusammenschlagen gewesen sein. Die Zimmerleut' sind tüchtige Glockenknöppel. Wer da seinen Kopf zur Glocken muß hergeben!« »Ich hab' ihn wollen abwehren,« sagte der Adams-Lieb; »da hat er auch über mich wollen kommen. Ich hab's ihm aber gewiesen. Das ist die ganze Sach'.« »Hab' ich's doch gedacht!« meinte der Schmied, indem eine unsichtbare Hand ihm einen Ruck gab, daß man, wär sein Gesicht nicht so ernst, glauben konnte, es komme von innerlichem Lachen. »Ja, die Leut'! Da haben sie gesagt, Ihr hättet an dem Fritz gehetzt, und Ihr habt ihn doch wollen abhalten. Und der Fritz wäre so in der Rage gewesen, daß er hätt' gemeint, Ihr wärt auch Zimmerleut', und hätt' nicht geruht, bis er ganz allein im Saal wär gewest. Und da hätt' ihm das Alleinsein so gefallen, und er hätt's auch daheim eingeführt.« »Da seht Ihr's doch gleich,« sagte der Adams-Lieb überlegen. »Wenn's so wär gewest, so will ich einmal annehmen, er tät' uns nicht hereinlassen. Aber er läßt gar keinen Menschen herein. Ich hab's nicht probiert. Es ist schon lang keine Ehr' mehr gewest, mit dem zu gehn. Ich hab' nur immer noch gedacht, ich wollt' ihn zurecht bringen. Zuletzt hab' ich gesehn, es ist umsonst. Und jeder ist am End' sich selber der Nächst'. Haben die Leut' doch schon angefangen zu reden, als macht ich die Kügele und der Holders-Fritz tät sie nur verschießen.« Der alte Meister Schramm verwunderte sich, daß er von der Sache nur reden wollte. »Ja,« zitterte er, »er läßt gar keinen zu sich, und wär' ich nicht sein Lehrmeister gewest – aber angekommen bin ich schlecht genug. Ich hab' gemeint, als sein alter Lehrmeister müßt' ich eine Vermahnung tun. Aber er hat gemeint, eben weil's mir und den Leuten nicht recht wär', wollt er's noch wilder treiben, und wir sollten die Hand' über den Kopf zusammenschlagen, was er nun noch angeben wollt'. Dabei hat er so mit dem Beil in die Reif hineingehauen, daß mir die Stücken um den Kopf geflogen sind, und ich hab' gemacht, daß ich noch mit gesunden Gliedern bin herausgekommen, eh' er über mich selber geraten ist. Mir ist's recht just gerad so vorgekommen, als wär's mit ihm nicht richtig.« Jetzt ließ sich eine Stimme hinter dem Ofen hervor vernehmen, die auch im Klange der eines Heimchens ähnlich war. »Hm! Und weiß man denn nicht, was ihn so hat erbittert? Ein Ding will doch eine Ursach' haben.« Der Adams-Lieb räusperte sich. Neben der Bemühung, dies so männlich zu tun als möglich, klang darin ein: »Wenn ich nur sagen wollt'!« »Ihr wißt's,« sagte der Schmied zu ihm. »Ich?« meinte der Adams-Lieb wegwerfend. »Was soll ich wissen? Ich weiß nix.« Die Valtinessin aber setzte sich ihm gegenüber. Dann schlug sie mit beiden Händen zugleich auf ihre Knie und sagte: »So red't Ihr. Aber wer am Gründonnerstag Sechzig ist gewest, der läßt sich nichts vormachen. So red't Ihr, aber hier sitz' ich und sag': Ihr wißt's.« Auch die Morzenschmiedin erhob sich. Wie sie daher kam, glich sie einer rückwärts wandelnden Schwarzwälderuhr, an der das Haubenfleckchen das Zifferblatt, die lang von der zuckerhutförmigen schwarzen Haube in den Rücken hinabfallenden Bandschleifen die Gewichte und die lange, schmale Person der Schmiedin selbst das Gehäuse darstellte. Der kurze, spitz ausgezackte Kragen des in Luckenbach unentrinnbaren engen, ärmellosen, blauen Tuchmantels konnte für ein altmodisch verziertes Gesimse gelten. Man sah, der Adams-Lieb fühlte sich durch die Frage der Valtinessin in seinem notreifen Mannesherzen geschmeichelt. Er blickte sich um, ob auch alle hersähen, zugleich, ob die Ev auch die männliche Haltung gewahre, die er annahm. Aber ein neidisches Schicksal gönnte ihm nicht, seine Redekunst zu zeigen. Man hörte die Haustür des Gringels mit Gewalt zufallen, fast zugleich öffnete sich die Stubentür, und der Hereintretende zeigte ein Gesicht, über dessen Anblick man etwas noch Ausgesuchteres vergessen hätte. Er warf sich klappernd auf eine Bank und gab auf den allgemeinen Frageblick nur ein lang andauerndes, pfeifendes Husten zur Antwort. Die Valtinessin erhob sich und schleuderte ihre Haube, die jetzt auf dem linken Ohr in der Schwebe geruht, mit einer eigentümlichen Bewegung des Hauptes auf das rechte. Diese Bewegung, die man öfter an ihr wahrnehmen konnte, war aber keineswegs die Folge einer Angewöhnung. Wer sie genauer beobachtete, fand bald, daß sie dieselbe nie zwecklos veranstaltete, sondern stets nur da, wo sie etwas damit sagen wollte. Und sie wußte unendlich viel damit zu sagen, was der Zunge unaussprechlich war. Als diese Bewegung sich als ein wirkungsloses Mittel erwies, griff sie zu einem andern, den Mann von seinem Husten zu befreien. Sie wandelte zu dem Hustenden und versetzte ihm mit ihrer wohlgenährten Rechten einige sanfte Schläge in den Rücken. Und das half. Denn obschon der Mann immer noch hustete, so kam doch Verstand hinein, und es hatte Ähnlichkeit mit der menschlichen Rede, als er weiterhustete: »Da unter den Weiden, gleich bei der Heiteretei ihrem Häusle, hat er gelauert.« »Er?« sagte die Valtinessin und schwenkte unwillig die Haube. »Er ist niemand. Ein Dieb will der Meister Weber sagen.« Aber das nahm der Weber übel. »Ich bin wohl einer,« hustete er, »der vor einem Dieb erschrickt? Das ist dem Dieb sein Handwerk, und über einen, der in seinem Handwerk ärbet, erschreck' ich nicht. Freilich hab' ich erst gemeint, es ist einer, und das geht dich nix an. Denn ein Dieb muß auch sehn, wie er ehrlich fortkommen will auf der Welt. Aber wie mir's vorgekommen ist, als müßt's der Holders-Fritz sein der Statur nach, und in seinen Händen hat er ein Beil gehabt, da bin ich auf ihn zugegangen. Und da bin ich erschrocken, daß derjenig' über mich erschrocken ist, und hat sich wild umgesehn, hat seine Hand vor sein Gesicht gehalten und fort – ist er gewest. Ich mein', er ist in den Bach gesprungen, damit ich ihn nur nicht erkennen sollt'.« So hustete der Weber und gab noch einiges zu, was wirkliches Husten vorstellen sollte. Das unsichtbare Heimchen zirpte hinter dem Ofen hervor: »Hm, hm, hm!« Die Valtinessin aber schlug auf ihre Knie und sagte: »Obschon mein Vater ein Weber ist gewest, hier sitz' ich und sag': Das ist kurios!« »Aber ich hab' gedacht,« meinte die Schmiedin, »der Holders-Fritz geht gar nicht aus. Und wenn er lauert, so müßt' doch was sein, worauf er lauern tät'.« »Ja,« sagte die Valtinessin, »es ist finster, und der Meister Weber hat nur gemeint, es könnt' der Hol ders-Fritz gewest sein.« Der Weber wollte antworten, aber es wurde ihm dasmal schwer, Verstand in sein Husten zu bringen. »Und er geht nicht aus?« rief eine Stimme, die so schnell redete, daß man meinte, sie habe die vier Worte zugleich gesprochen. Als sie fortfuhr, bemerkte man, es hatte mit ihren Reden eine eigne Bewandtnis. Das erste Wort jedes Absatzes stellte einen hemmenden Pfropfen dar, der erst durch ein gewaltsames Rütteln aller Gesichtsmuskeln zum Springen gebracht werden mußte. Dann aber schäumten die andern ihm in desto sprudelnderer Eile nach. Der Besitzer dieser Stimme, der, so oft er sprechen wollte, hinter dem Tisch hervorsprang, als wollte er diesen vor der Gefahr seines Ergusses sichern, ähnelte auch in seiner einschnittlosen Gestalt, auf der ein kleiner Kopf saß, einer Seltersflasche. Sein Antlitz war von einer Röte, der man eine Nachhilfe mit geistigem Getränk ansah, und ein schwarzer Schnauzbart teilte es in zwei fast gleiche Teile. »E–r geht nicht aus? Mit Vergunst von der Frau Valtinessin, aber das ist nicht wahr gered't.« Da die Valtinessin sich anschickte, ihm etwas zu erwidern, setzte sich der junge Mann einstweilen nieder. »Man muß glauben, was ein Mensch sagt,« entgegnete sie. »Der Meister Schramm ist hier ein Luckenbacher, und der sitzt hier und sagt, er geht nicht aus.« Sie bewegte die Haube dabei wiederum auf ihr linkes Ohr, um anzudeuten, daß der Redner kein Luckenbacher und daher gewissermaßen kein Mensch sei und keinen Glauben verdiene. Das verdroß den Saalfelder, er sprang wiederum hinter dem Tische hervor, rüttelte an seinem Pfropfen und sprudelte: »M–i–i–it Vergunst von der Frau Valtinessin, ich bin Mensch und Böttichergeselle. Aa–a–als ein solcher hab' ich zwei Jahre lang bei dem Meister Holder gearbeit', und zwar als einer, der weiter drin ist gewest, als bloß in Luckenbach, wo nur ein kleines Nest im Vergleich mit großen, allwo ich gearbeit't mit Vergunst von der Frau Valtinessin.« »Ein Mensch will er sein und ein Büttnergesell? Ein Saalfelder ist Er,« sagte die Valtinessin entschieden. Der Meister Schramm schien die scharfsinnige Einteilung vernunftbegabter Wesen in Menschen, Büttnergesellen und Saalfelder anzustaunen. Und die Sache war damit eigentlich abgetan. Der Saalfelder zwar zwar andrer Meinung. Er kam wieder hervorgerannt. »Dddd–das kann ich dem Meister Schramm bezeugen, wie der Meister Holder ist gewest. Dddd–denn der Meister Holder ist auch auf mich zugekommen mit unvorsichtigen Griffen wie ein Rohalist, das er immer ist gewest. Mmmm–meister Holder, hab' ich gesagt, ich bitt' ihn inständig, sich nicht zu vergreifen. Wwww–wenn ich meint', einen rechtschaffenen Menschen in dir anzugreifen, da ve–vergriff ich mich freilich, hat er gesagt. Iiii–ich hätt' ihm noch mehr gesagt, wä–wär ich nicht zufällig schon draußen gewest. Unnnd der Spandauer, mein Nebensgesell', ist von selber gegangen vor Zorn über mich, daß der Mei–eister einen rechtlichen Kunstgesellen so behandelt hat. Dddden–denn es ist eine Kunst und kein Handwerk nicht; da–as Buch ko–stet mich sechzehn Groschen: das Gg–ganze der Bötticherkunst mit Vergunst von der Frau Valtinessin.« Für diese war der gute Saalfelder gar nicht mehr vorhanden: sie strich sein Gedächtnis in Gestalt einer Falte von ihrer Schürze weg. Aber das Heimchen zirpte hinter dem Ofen hervor: »Die Red' ist davon, ob der Holders-Fritz ausgeht oder nicht!« »Ffffreilich geht er,« sprudelte der Saalfelder. »Mmmmüüßt mir's der Lehrer (Lehrling) nicht gesagt haben, wo ganz allein bei ihm geblieben ist, wei–weil er ein Schurk ist seines Namens, uund das ka–ann man ihm nicht verdenken tun von wweger er ist erst sechzehn gewest. Dddder muß nun die Bestellungen annehmen und mit den Kunden verakkomodieren von weger weil der Meister mit niemand reden will. Dddda sitzt der Meister auf der Schnitzbank und sagt: Ttu ich's oder ttu ich's nicht? Ich tu's, und eh's heraus kommt, ggeh ich nach Amerika. Unnd ddabei hat er Augen gemacht wie glühig Pech und den Schnnnitzer vor sich in die Schnnnitzbank gestochen wie ein Ttyrann. Und wwie er den Lehrer hat gesehn, daß der ist in der Wewerkstatt gewest, dda ist er erschrocken kkäseweiß, dddaß dem Lehrer 's hat gegruselt den ganzen Rücken hinunter mit Vergggunst von der Frau Valtinessin. Unnnd hernach hat sich der Mei–ster angezogen, ddder Lehrer hat's durch's Schlüsselloch gesehn, aber nicht wie ein Chchchristenmensch, sondern wie ein italjänischer Banditer; so hhhat er das Ffutter außenhin gehabt und dddas Tuch inwendig. Es ist schschon dämmerig gewest, aber er hat noch gewart't, bis es Nnnnacht worden, und hat dem Lllehrer erst nnnoch gute Nacht gesagt und gettan, als wenn er sich niederlegt, eh' er ist gggegangen nach den Wwweiden zu mit Vergunst von der Frau Vvvaltinessin.« »Nach den Weiden,« zirpte das Heimchen, »hm, hm, hm!« Die Valtinessin war eben im Begriff, das ganze Zeugnis des Saalfelders auf ihren Knien heimzuschlagen, als sich die Stimme des Uhrmachermeisters Zerrer erhob. Der Mann schien bei seinen Gehwerken das Sprechen gelernt zu haben. Aus seinem Knarren und Schnarren schien hervorzugehen, daß auch er den Holders-Fritz in der Dämmerung lauernd getroffen. »Wo denn?« fragte das Heimchen. »Auch bei der Heiteretei ihrem Häusle?« »Es war am Weidenweg,« schnarrte der Uhrmacher. »Ja, wenn ich mich recht besinn', so ist mir die Heiteretei nicht lang zuvor den Weidenweg her begegnet gewest. Ich hab' ihn ganz genau erkannt. Die Frau Valtinessin kann's glauben, so gewiß ich ein Luckenbacher bin.« »Hm,« sagte die Valtinessin und schwang die Haube. »Ich kann mich nur nicht gleich besinnen, wo sein Großvater selig wohnhaft ist gewest in Luckenbach.« »Der liegt auf dem Schwarzwald begraben, in Tuttlingen,« entgegnete der Uhrmacher. »Mein Vater ist erst hergezogen nach Luckenbach.« »So, auf dem – Schwarzwald,« sagte die Valtinessin und dehnte den Schwarzwald, daß seine letzten Bäume weit nach Frankreich hinein zu stehen kamen: »Das ist, wo die Katholiken sein, und da heißt einer Florian und der ander' Fabian und machen Mäusfallen.« »Das ist mir nicht bekannt,« sagte der Uhrmacher. »Aber von den Schwarzwälderuhren weiß die ganze Welt.«'' »Die ganz' Welt?« sagte die Valtinessin und schob sie mit der linken Hand geringschätzig beiseite. »Das kann sein. Aber von Luckenbach weiß sie nix. Und obschon mein Vater ein Weber ist gewest, Gott sei Dank! es ist noch kein Luckenbacher gewest, der Uhren hätt' gemacht!« Die Ev' lachte eben nicht ehrerbietig. »Nun, so wird Sie mir's doch glauben, wenn ich's sag. Der Holders-Fritz hat mich dahinten an der Mauer beinah' über den Haufen gerennt, wie er den Leuten ist ausgewichen. Und gelauert hat er vorher, das hab' ich selber geseh'n.« »Und die Heiteretei?« schob das Heimchen, hinter dem Ofen hervor, ein. »Die ist erst vorbeigewest?« »Nein,« sagte die Ev'. »Aber weit war sie nicht; das ist schon wahr. Und den Weg ist sie hernach auch gekommen. Und nun wird Sie's doch glauben, wenn's eine bessere Luckenbacherin sagt, als Sie selber ist. Ich hab' doch ein Luckenbacher Heerle (Großvater) mehr wie Sie.« »Ja, was das für ein Mordmädle ist,« lachte die Valtinessin voll Mutterstolz, »die Ev'! Und obschon mein Vater ein Weber ist gewest, mein Heerle selig ist Burgemeister von Luckenbach gewest, und alle Leut' haben gesagt, ich bin ihm wie aus den Augen geschnitten.« Das war eigentlich der Nachsatz, zu welchem jenes Obschon ursprünglich gehörte. Wenn sie dies ohne den Nachsatz brachte, so war das jedenfalls Bescheidenheit und sie rechnete darauf, daß der Hörer diesen in seinem Kopfe ergänzen würde. Der Meister Schramm wunderte sich diesmal mit Recht. Denn was mußten das für Augen gewesen sein, aus denen man eine Gestalt wie die Valtinessin schneiden konnte! Von einem Bürgermeister, der solche Augen hatte, da war freilich Luckenbach wohl gehütet. »Ja,« sagte der Meister Schramm, »in Luckenbach ist dafür auch die Frau Valtinessin der Hanswurst in der Komödie.« Der Meister hatte in diese Äußerung nichts Unehrerbietiges legen wollen, und keiner der Anwesenden fand etwas dergleichen darin. Es wußte jeder, daß der Hanswurst die Hauptperson in der Komödie ist, und die Valtinessin nahm das Kompliment mit gütiger Herablassung auf. Dann erklärte sie, da eine Luckenbacherin es gesehen, so müsse man nun wohl glauben, der Holders-Fritz lauere jemandem auf. Das Heimchen aber hatte nicht vergessen, daß der Adams-Lieb noch sein Wissen um die Sache schuldig war. »Ihr wißt noch was,« zirpte es, »Ihr, Adams-Lieb!« Der Adams-Lieb sah sich wichtig um und schwieg, bis die Valtinessin die Haube warf und damit erklärte, sie halte den Adams-Lieb weder für einen Schwarzwälder noch für einen Saalfelder, und da er meinte, in den Augen der Ev' ihr Wohlgefallen an seiner männlichen Haltung zu lesen, begann er: »Es ist nix weiter. Am Gründer Marktabend sind wir der Heiteretei im Reicker Hohlweg begegnet. Ich hab' ihn abhalten wollen, aber er hat ihr den Schiebkarr'n aufgehalten, und da hat sie ihm gesagt, was er für einer ist. So ist's ihm noch nicht gesagt worden!« »Ja, so ein gemeines Ding ist die,« sagte die Ev'. »Und,« meinte der Schmied, »da fabeln die Leut' wieder, Ihr hättet ihn auf die Heiteretei gehetzt, und sie hätt' ihm auch gesagt, was Ihr für einer wärt. Ja, kein Wort soll man den Leuten glauben.« »Was die Leut' sagen!« erwiderte der Adams-Lieb großartig. »Die Frau Valtinessin weiß, wie ich bin, und weiter frag ich den Leuten nichts nach. Der Heiteretei ihr Schiebkarr'n, kann wohl sein, der weiß auch Geschichten. Aber ich kümmr' mich nur um mich.« Der Schmied sagte vor der Hand nichts weiter; er mußte die Pfeife anzünden, die ihm ausgegangen war. Dafür nahm das Heimchen wieder das Wort: »Hm! Und er war wohl sehr in der Wut auf die Heiteretei?« »So hab' ich ihn noch nicht gesehn gehabt,« entgegnete der Adams-Lieb. »Er hat nicht können sprechen, und hat nur mit den Zähnen geknirscht und die Faust' nach ihr geballt! Und von Stund' an ist er so wunderlich geworden, wie man hört, daß er noch ist.« »Hm! hm hm!« zirpte das Heimchen. »Wer einen Verstand hat, womit er denken kann, der mag sein Teil denken, wenn er auch nicht red't. Da will einer was tun, daß die Leut' die Händ' sollen über den Kopf zusammenschlagen. Da will einer was tun und sticht mit dem Schnitzmesser vor Wut in die Schnitzbank und will nach Amerika, eh's raus kommt. Da sagt einer erst gut Nacht, als wollt er zu Bett gehn, und geht doch heimlich weg und hat den Rock verkehrt an, wie ein italjänischer Bandit, damit ihn niemand soll erkennen und alle Leut' sollen glauben, wenn was draußen passiert, er ist nicht herauskommen aus seiner Werkstatt. Und er lauert nachts, wo er meint, daß eine vorbei muß gehn. Und wer ist die eine? Das ist eine, die ihn hat beleidigt, daß er nicht hat können sprechen und hat nur die Faust' geballt und mit den Zähnen geknirscht. Und da merkt er nicht bei seinem Lauern, daß die Leut' dahinter müssen kommen. So ganz toll und blind ist er in seiner Wut, und verbeißt sich nur immer tiefer in seinen boshaften Gedanken. Die göttlich' Vorsehung läßt von Zeit zu Zeit was Schlimmes zu, daß die Leut' zu reden haben und sich ein Beispiel daran nehmen. Und wenn so was in den nächsten acht oder vierzehn Tagen passiert, hernachen denkt an mich!« »Ja,« sagte die Valtinessin und schlug auf ihre Knie. »Ev', gib mir den Regenschirm und die Latern'. Eh' so was geschehn, da ist erst die Valtinessin noch da. Und was Warnung und guten Rat betrifft, da soll nix geschont werden.« Der Schmied bekam wieder seine unsichtbaren Stöße, welche die Schmiedin für einen Schluchzenanfall zu nehmen pflegte. Die Valtinessin dachte anders davon. Sie sah ihn mit Mißbilligung an und sagte: »In solchen Zeiten lernt man seine Leut' kennen. Der Holders-Fritz ist nicht der einzig', den das arm' Mädle zum Feind hat. Mögen sie innerlich jubilieren, hier sitz' ich und sag': –« Und wer weiß, was die Valtinessin gesagt hätte, war' ihr nicht das Mordmädle, die Ev', in das Wort gefallen. »Was wollt Ihr mit der? Mit einem armen Mädle und wo nix hat? und wo sich mit allen Mannsbildern auf der Gassen zankt? Die dächt' wunder, was sie wär'. Das fehlt' mir noch! Und so spät geht man nicht mehr zu den Leuten. Der Diktes hat lang' Zehn getüt. Laßt die, wofür sie gut ist, und Ihr bleibt, wo Ihr hingehört!« »Nu,« besänftigte die Valtinessin, »sei nur gut, du Mordmädle du. Heut ist's freilich zu spät. Aber morgen ist auch noch ein Tag, wo im Kalender steht.« »Wenn sie hingeht,« sagte die Schmiedin noch zur Valtinessin: »ich bin auch dabei.« Der dicke Semmelbeck hatte zu allem kein Wort gesagt. »Hm,« dachte er, als er sich erhob. »Wenn das wild' Ding in die Angst kommt, wird sie mich am End' schon nehmen. Und wenn's gut geht, krieg' ich sie zu mir ohne den Supperdent.« Da tütete draußen der Diktes elf Uhr und eine Viertelstunde darauf schlief der ganze Gringel. * Als die Heiteretei, den Tag nach unserm Besuche im Gringel, abends auf dem Heimweg war, erschrak sie über die Eile, mit der die alte Annemarie ihr entgegenkam. »Ist was passiert?« fragte sie die Alte. »Das Liesle ist doch nicht krank?« Die Annemarie konnte noch nicht reden. Sie winkte bloß und deutete nach dem Häuschen zu. »Sie hat's die ganz' Zeit her schon mit den Zähnen gehabt,« sagte die Heiteretei; »sie hat doch nicht Krämpf' gekriegt?« Jetzt bemerkte die Heiteretei erst, die Alte trug ihre Schuhe in den Händen, als fürchte sie sonst zu laut aufzutreten, und ging auf Strümpfen; bei solchem Wetter und an Werkeltagen ein an ihr unerhörter Luxus. Dabei nickte sie so eigen, und all ihr Winken und Deuten strahlte vor Feierlichkeit. »Aber was ist das nur mit Euch?« fragte die Heiteretei, indem sie unwillkürlich stehen blieb. Die Annemarie schlug die Schuhe zusammen, weil sie die Hände nicht frei hatte, und die Heiteretei mußte wiederum über ihr leises und vornehmes Sprechen erstaunen, als die Annemarie sagte: »Ach, daß Gott erbarm'! Drin sind sie. Sie sind drinne.« »Wer denn?« fragte die Heiteretei ungeduldig. »Ja, die Weiber!« »Ja, die Schneiderin da vom –« »Die?« sagte die Annemarie ordentlich entrüstet. »Um die zieh' ich meine Strümpf' nicht an. Gott bewahr! Ich hab' nicht gewußt, was ich sollt' denken! Daß mir so was noch auf meine alten Tag' passiert!« »Wenn Ihr's nicht sagen wollt,« entgegnete die Heiteretei ungeduldig, »werd' ich's ja sehn, wer's ist.« Die Annemarie aber hielt sie auf. »Die größten Weiber, wo im Städtle sind. Die Gringelwirts-Valtinessin mit ihrem roten Sacktuch, die Morzenschmiedin und die Weberin vom Säumarkt. Ach, hat die Valtinessin einen Blick in ihren Augen, der ist nicht auszusagen! Ich bin noch ganz außer mir. Ach, Bäs' Annedorle, die Ehr', die große Ehr'!« »Ja,« lachte die Heiteretei, »wenn die Valtinessin auch nicht die größte Frau im Städtle ist, die dickst ist sie gewiß.« Die Annemarie nahm die Schuhe unter die Arme und schlug die Hände zusammen, daß die Heiteretei jetzt lachen konnte. Das war ihr, als wenn eins in der Kirche gelacht hätte während des Segens. Die Heiteretei lachte nur noch mehr, als sie die Annemarie sich so feierlich gebärden sah. »Eure großen Weiber! So groß ist doch keine dabei, wie der steinerne Christoffel am Rathaus. Und wären sie noch größer, mit der Arbeit bin ich für die ganz' Wochen vertan.« Die Annemarie hatte nun wieder zu erschrecken, daß die Heiteretei den großen Weibern etwas zutraute, was so tief unter ihrer Würde war. »Aber was denkt Ihr denn? Meint Ihr denn, eine große Frau bestellt ihre Leut' selber? Daß Gott erbarm'! Und wenn's weiter nix war, das hätten sie mir könnt' sagen.« »Ja, aber was ist's denn?« »Wenn ich's wüßt'! Da ist die ein' um die ander' gekommen und hat gefragt, ob Ihr noch nicht heim wär't. Und jetzt sind sie wieder alle drei drinne. Und was sie hätten zu sagen, das war' für Euch und sonst für niemand.« »Aber Ihr werd't doch nicht!« unterbrach sich die Annemarie selber. »Wie Ihr einen erschreckt! Ihr werd't doch nicht so hineingehn? Wart't, Annedorle, ich werf Euch Eure Strümpf zum Hinterfenster 'raus. Und hernachen wollt' ich Euch erst noch allerlei sagen. Dessentwegen bin ich Euch entgegen. Ihr seid ein bißle grob mit den Leuten und red't immer, wie Ihr's meint. Und es ist gar nicht schicklich, wenn man keine Lügen sagt bei so großen Leuten; die Wahrheit ist nur für die armen Leut', deshalb nennt man's auch die nackt' Wahrheit. Und Ihr red't auch immer so laut, da wollt ich –« »Ja, wenn Ihr mir haußen schon die Geduld alle macht,« sagte die Heiteretei ärgerlich, »hernachen seid Ihr selber schuld, wenn ich drin keine mehr hab'. Zieht Ihr meinethalb noch sechs Paar Strümpf' auf einmal an; ich will Euch noch meine dazu borgen. Meine Füß' sind rein; ich hab' sie erst im Bach gewaschen. Und wie ich red', so red' ich; ziern tu ich mich einmal nicht. Um die ganz' Welt nicht, geschweig' um drei alte Weiber. Und nun laßt mich 'nein.« Aber die Alte umschlang das Mädchen und bat schluchzend: »So macht nur wen'gstens einen Neiger, wenn Ihr 'neinkommt. Seht Ihr, Annedorle, ich hab' Euch gekannt, wie Ihr noch wart wie das Liesle; nur einen Neiger! Tut mir nur den Neiger zulieb noch vor meinem End'.« »Vor dem Herrgott mach' ich einen Neiger,« lachte die Heiteretei, indem sie die Alte von sich abstreifte. »Und Eure drei großen Weiber sind noch lang' kein Herrgott. Das ist mein Häusle, hat selber Spitz gesagt und hat den großen Bullenbeißer 'naus gejagt. Ich bin nicht zu den Weibern gegangen, sie sind zu mir gekommen. Bin ich den Weibern nicht recht, so bin ich mir recht, und so ist's, und nu ist's fertig!« Die Alte kannte das Mädchen zu gut, als daß sie nach diesem Trumpf noch einen Versuch hätte ma chen sollen. »Das ist einmal eine!« sagte sie kopfschüttelnd und wackelte mit kummervollem Blick dem raschen Mädchen in die Stube nach. Drinnen waren die drei großen Weiber eben beschäftigt, das kleine Liesle und seine Garderobe zu mustern. Da war kein Hemdchen und kein Strümpfchen, das nicht mit Kennermienen betrachtet worden wäre. Die Heiteretei sagte eintretend in ihrer frischen Weise: »Einen guten Abend herein«. Die Annemarie machte den Neiger dazu, den ihrer Meinung nach die Heiteretei hätte machen müssen. Als diese die Beschäftigung der Frauen sah, begannen sich die Druckflecken auf ihren Wangen zu zeigen. Sie dachte: »Ja, so unverschämt sind die großen Weiber! Als wär' die Armut und ihr bißle Sach' bloß, damit sie dran könnten sehn, wie reich sie sind.« Die Valtinessin aber setzte sich auf den einzigen vorhandenen Stuhl, schlug auf ihre Knie und begann: »Was wahr ist, das muß man sagen; das Annedorle ist das ordentlichst' und bravst' von allen armen Mädlen in der Stadt.« »Und da ist sie noch so lustig dabei,« sagte die Weberin. Es sah aus und klang, als spänne sie an einem unsichtbaren Spinnrade und sänge dazu. »Und da ist sie noch so lustig dabei, das Annedorle, als gäb's keine Weidenbüsch' auf der Welt und auch keinen, der dahinter lauern könnt'. Wie das klein' Kind auf selbem Bild, das lacht und in die Handle patscht, und der Bär hat's schon beim Kragen. Das ist die Gesundheit, Frau Gevatter Valtinessin.« »Ja,« sagte diese, »aber für den Bär, da sind wir da. Hier sitz' ich und sag', der Bär soll das Annedorle nicht beißen, so lang' ich eine Zunge hab' in meinem Hals.« Die Schmiedin sagte gerührt: »Ja, wenn das Annedorle so lustig ist, das kann mich ordentlich dauern.« Die Heiteretei sah die Frauen, eine nach der andern, verwundert an. Die Annemarie verfolgte jede Bewegung des Mädchens ängstlich mit ihren Augen. »Ja, es wär' nicht halb recht,« spann die Weberin wieder, indem sie und die Schmiedin sich voll Rührung auf die Ofenbank niederließen, »es wär' nicht halb recht, wenn man's so ruhig wollt' mitansehn. Was das aber für ein hübsch Stüble ist!« »Ich meint,« sagte die Schmiedin, »da auf dem Herd müßt' sich's gut Kaffee kochen.« »Und da auf dem Tischle,« spann die Weberin; »besser muß der Kaffee gar nicht können schmecken, als auf dem Tischle da. Das Annedorle hat wohl keinen im Haus?« »In mein Häusle kommt solch' Zeug nicht,« entgegnete die Heiteretei. »Mein Kaffeetopf, das ist draußen der Brunn.« Die Annemarie erschrak und hielt sich den Mund zu, als wäre dadurch zurückzunehmen, was die Heiteretei gesagt hatte. »Ja,« sagte die Valtinessin, »es red't sich besser bei einem Schäle Kaffee. Die Annemarie könnt' in den Gringel. Die soll'n mir welchen schicken von dem guten in dem obern Kästle, wo die Fuhrleut' kriegen. Und Rahm aus dem mittlern Topf. Und auch drei Köpple und drei Unterschalen. Ein Topf und Holz wird doch wohl da im Häusle sein.« Die Annemarie fühlte sich geehrt durch einen Auftrag der Valtinessin. Daß die Valtinessin dem Häuschen einen Topf zutraute, dafür bedankte sie sich bei ihr in des Häuschens Namen mit einem Neiger. Indem sie ging, dachte sie: »Es wird mir ja wohl auf dem Schloßweg eins begegnen und wird mich fragen, wo ich so notwendig hin hab'.« Aber die Furcht, die Heiteretei könnte unterdes daheim was Verkehrtes machen, ließ sie auf dem ganzen Wege der ihr gewordnen Ehre nicht recht froh werden. »Na,« sagte die »Schmiedin, die werden zu Haus auf mich warten. Mit meiner Mäd da ist's auf der Gotteswelt nix. Nicht die Küh' werden ordentlich gefüttert ohne mich. Meine Nachbarn wissen's allemal, wenn ich weg bin. Ja, sagt die Schneiderin neben mir, das ist auch eine Kunst; man hört's den Kühen am Brüllen an, ob die Morzenschmiedin daheim ist oder nicht. Die denken eben nur an die jungen Bursch'.« »Ja,« spann die Weberin, »an den Lohn denken sie, aber an die Arbeit? Da muß man alles noch selber machen mit seinem kranken Leib. So schlimm ist's noch nicht gewest mit den Dienstboten. Ich will Gott danken, wenn mein Kätterle herangewachsen ist. Wie wär's denn mit dem Annedorle? Das müßt eine Mäd geben«! »Ja,« sagte die Heiteretei, »daß ich mir den ganzen Tag sollt lassen befehlen von einer Frau, wo nix versteht? Ich seh' selber, was zu tun ist, und sagen laß ich mir nix. Ich hab' auch so zu tun, und hernachen bin ich in meinem Häusle mein eigner Herr.« Die Valtinessin aber schlug auf ihre Knie und sagte: »Wer am Gründonnerstag sechzig ist gewest, der hat andre Zeiten derlebt. Mein Ev', das ist ein Mordmädle, was Ärbeten besagt, aber es ist zu viel mit den Sachen und Machen und wird noch alle Tag mehr. Ich sollt' auch zu Haus sein, aber obschon mein Vater selig ein Weber ist gewest, hier sitz' ich und sag', wo's meinen Nächsten gilt, da seh' ich das Meinig' nicht an.« »Ja, so ist man einmal,« spann die Weberin den Faden der Valtinessin fertig.»« »Und hernachen,« schlug ihn die Valtinessin auf ihren Knien platt, »ist das Annedorle auch ein echt Luckenbacher Kind.« »Mein Mann,« knüpfte die Schmiedin einen andern daran, »der wird auch brummen.« »Und meiner husten,« spann die Weberin ihn fort. »Na,« nahm ihn die Schmiedin zwischen beide Hände, »wenn die Gevatter Weberin meinen hätt'! Die weiß nicht, wie gut sie dran ist. Das ist ein Böser! Mit dem ist keine Stund' Auskommen. Wenn ich nicht so ein gut Tier wär', ich möcht' sehn!« »Na, wenn die Morzenschmiedin klagen will,« zerriß der Weberin der Faden. »Da ist meiner ein wahrer Satan dagegen. Ich bin eine kranke Frau, eine sehr kranke Frau, und doch wird kein Mensch einen Huster von mir hören. Ich hust' in meinem Kämmerle, aber der? Der ist gesund wie ein Fisch und hust't den Leuten die Ohren voneinander aus bloßer Bosheit. Oh, wenn ich sagen sollt', was der für einer ist! Ich bin die elendst' Frau in der Stadt.« Die Valtinessin aber sah die beiden ordentlich mitleidig an. Denn was waren der Schmied und der Weber zusammen gegen den seligen Valtines, da er noch lebte! »Ihr könnt beide dem lieben Gott danken den ganzen Tag auf euren beiden Knien,« sagte sie, indem sie sich auf die ihrigen schlug. »An meinem, da war nicht eine Ader, die gut wär' gewest; alles hat er getan, was nicht recht ist. Nun liegt er draußen auf dem Gottesacker. Er war ein guter Mann. Ich hab' keine Klag' über ihn gehabt. Ich müßt's lügen. Es hat keine einen bessern gehabt!« »Das heißt,« sagte die Schmiedin, »Ich brauch' meinen nicht zu loben.« Sie sah nicht ein, was ein Toter vor einem Lebenden voraus haben sollte. »Na,« spann die Weberin, »die Best' kann froh sein, wenn sie so einen kriegt, wie meinen. Ich tausch' mit keiner nicht.« Die Heiteretei hatte sich mit ihrem Gestrick auf ihr Bett gesetzt, und das Liesle trieb Possen um sie herum. Der Heiteretei war's schon komisch vorgekommen, daß die Weiber in ihrem Stübchen saßen und ganz vergessen hatten, was sie eigentlich ihr wollten. Wie der Ehrgeiz sie trieb, daß erst jede die elendeste, hernach die glücklichste sein wollte, da wurde es ihr doch zu toll. Sie brach in lautes Lachen aus. Dieses schoben zu ihrem Glücke die großen Weiber auf des Liesles Rechnung. Denn daß ein armes Mädchen über große Weiber zu lachen sich erdreisten könnte, davon hatten sie so wenig eine Ahnung, als von der Möglichkeit überhaupt, daß eine große Frau etwas Lächerliches reden oder tun könne. Die Annemarie wär' nicht halb so eilig zur Tür hereingerannt, wenn sie nicht das Lachen der Heiteretei draußen gehört hätte. Sie meinte, ihre Furcht von vorhin sei in Erfüllung gegangen. Die Freude über ihre Rückkehr, welche die Frauen zeigten, beruhigte sie. Sie wagte sogar, von dieser, nachdem sie den größten Teil freilich dem Kaffee und den Tassen auf Rechnung gesetzt, einen ganz kleinen Rest für das Wiedersehen ihrer Person zurückzubehalten, und war glücklicher darüber, als die Frauen über den Kaffee. Mit großem Eifer unterzog sie sich sogleich unaufgefordert der Bereitung des Getränks, und als die Valtinessin das fertige gekostet und die Geschicklichkeit der Annemarie belobt, da gab's den Rest des Tages über keinen Wunsch mehr für die Annemarie, es müßte denn der Neiger sein, den die Heiteretei ihr vor ihrem End' noch zulieb tun sollte. »Aber das Annedorle trinkt doch auch ein Schäle mit uns?« fragte die Weberin. Der Heiteretei kam's drollig vor, daß sie in ihrem eignen Häuschen bewirtet werden sollte. Sie sagte: »Trinkt nur Euer Zeug selber; ich mag keins.« Die Annemarie meinte, die Heiteretei hätte sich eigentlich bedanken müssen, und machte für die Heiteretei einen Knicks. Bei der zweiten Tasse war es, daß die Rührung wiederum eintrat, die der Heiteretei Kommen und unbefangenes Wesen erregt hatte. Die drei Frauen sahen sich einmal über das andre Mal an mit so »barmherzigem Getu«, wie es die Annemarie nach ihrem Abgange gegen die Heiteretei bezeichnete, daß der Alten die Tränen in die Augen kamen, obschon sie noch nicht wußte, worüber sie eigentlich weinte. Und endlich begann nun die Valtinessin das Bild der Gefahr, die über ihr schwebte, vor den Blicken der Heiteretei aufzurollen. Aber die Heiteretei lachte nur dazu. Wie ihr die Wildheit des Holders-Fritz mit den brennendsten Farben geschildert war, meinte sie: »Wenn der Holders-Fritz wild ist, bin ich noch wilder.« Wie seines Entschlusses, »es zu tun«, seiner Verkleidung und seines nächtlichen Weges nach den Weiden gedacht worden, sagte sie: »Er ist eben in das Weidenwirtshaus gegangen«. Mit der Eindringlichkeit der Warnungen nahm ihr Mutwille zu. »Ja, wenn man nur noch wüßt', was es ist, das er Euch will tun!« brach die Schmiedin aus. »Das ist das Schrecklichst', daß man das nicht einmal weiß.« »Ja,« bestätigte die Weberin und vergaß das Spinnen vor Gemütsbewegung, »man zerbricht sich den Kopf und bringt's doch nicht heraus.« »Ja, was er will?« sagte die Heiteretei mit mutwilligem Ernst. »Was er will, daß er da am Häusle lauert? Freien will er mich, und ihr werd't's nicht hindern.« Über diesen Frevel schlugen die Weiber die Hände zusammen. Die alte Annemarie tat dasselbe vor Schrecken und aus Höflichkeit. »Weiber,« sagte sie; »die ganze Nacht hab' ich's in den Weiden hören rauschen.« »Nu,« meinte die Heiteretei, »wenn er nicht meinet wegen ans Häusle kommt, so hat er's auf Euch abgesehn, Bäs Annemarie. Gesteht's nur gutwillig ein! Denn weiter wohnt keine im Häusle da.« Darüber nun brachen die Frauen wiederum in ein Gelächter aus. Die Valtinessin versicherte, die Heiteretei sei ein Hauptmädle, beinah wie ihre Ev'. Die Annemarie lachte mit, so sehr sie sich schämte. Dazwischen faltete sie einmal um das andre Mal die Hände und sah andächtig nach dem Himmel. Denn der konnte den Frevel übelnehmen, wenn er eben nicht bei guter Laune war. Die Valtinessin war die erste, der's gelang, wieder in das »barmherzige Getu« hineinzukommen. Sie schlug auf ihre Knie und sagte: »Jedem, was ihm gehört, dem Ernst und dem Spaß; die Sach' ist nicht zum Lachen. Und weil ich einmal hier sitz', so will ich auch meinen Fuß nicht weitersetzen, bis ich die Annedorle hab' errettet.« »Ja, laßt Euch raten, Annedorle,« sagte die Schmiedin. »Geht beileib' nicht bei Nacht aus Eurem Häusle!« »Und verschließt's auch bei Tag,« spann die Weberin, »solang wir nicht bei Euch sind.« Die Valtinessin schwang ihre Haube. »Und wenn das Annedorle vernünftig ist, sag' ich, hernachen geht sie auch bei Tag nicht aus ihrem Häusle heraus.« »Ja, Ihr meint,« lachte das Mädchen, »verhungert ist auch gestorben, und wer tot ist, dem tut kein Mensch mehr was. Da habt Ihr schon recht. Ich aber denk', es ist besser, es will mir einer was tun, und ich bleib' am Leben und wehr mich. Und ich hab' auch recht.« »Wenn ich das Annedorle wär',« sagte die Schmiedin, »ich freit'. Und ich weiß mehr als einen, der sie gern' nähm'.« »Ja,« spann die Weberin, »ein ledig Weib ist einmal wie ein Arzneiglas, wo kein Zettel dran ist.« Damit hatte es die Weberin getroffen. »Kann sein,« sagte die Heiteretei gereizt, »daß andre Arzneigläser sind gewest, eh' sie gefreit haben; ich bin keins und brauch' keinen Zettel. Wenn's so gefährlich ist, warum gehn denn die Arzneigläser herum und haben ihren Zettel nicht um den Hals? Und mit dem Holders-Fritz und seinem Auflauern, das ist obendrein nur dummes Zeug.« »Na, nichts für ungut,« spann die Weberin. »Wenn das Dorle nicht will, so kann man sie nicht zwingen. Aber in acht nehmen bricht keinen Finger.« »Und zu Nacht,« fügte sie hinzu, »ließ ich ihn nicht herein, wär' ich das Dorle, er möcht' Ursachen machen, was für er wollt'.« Das nahm die Heiteretei nun doch im Ernst übel. Die Druckflecken prophezeiten nichts Gutes. Und wer weiß, was sie gesagt und getan hätte, ohne das allgemeine angelegentliche Versichern, man kenne sie zu gut, um mit dieser Warnung ihrer Aufführung zu nahe treten zu wollen. »Man weiß ja,« sagte die Weberin, »das Annedorle ist das bravst' unter den armen Mädeln in der Stadt, und niemand weiß nix Unrechts an ihr. Ich hab' mit keinem Gedanken daran gedacht, daß ich das Annedorle wollt' beleidigen. Deshalb hätt' ich doch nicht Ärbet und alles lassen liegen und wär' hierhergekommen mitsamt meinem kranken Leib.« »Aber nu muß ich doch heim,« sagte die Morzenschmiedin, indem sie aufstand und ihr Gehäuse fester zusammennahm. »Die Schneiderin hört's sonst an meinen Kühen, daß ich nicht daheim bin.« »Ja,« schloß die Valtinessin mit einem gewichtigen Schlag auf ihre Knie. »Wir wollen das Unser' tun nach unsern Kräften. Die Köpple lassen wir da. Morgen kann die Morzenschmiedin den Kaffee mitbringen, und ein Paar Stühl' will ich lassen herbesorgen, damit wir dem Himmel eine Seel' erretten.« Damit stand sie schon quer in der Tür des Häuschens. Diese, sah man, war nicht für sie berechnet. Es kostete ihrer massiven Grazie einige künstliche Wendungen, bis sie sich hinausgeschraubt hatte. »Lach« Sie nicht, Dorle, lach' Sie nicht, warnte die Morzenschmiedin noch von draußen. »Das dauert mich zu sehr.« »Wenn ich nicht lachen soll,« sagte die Heiteretei hinter den Gehenden her; »weinen mag ich nicht! Und die ganz' Geschicht' ist nur dummes Zeug. Bei Tag muß ich in die Ärbet, und bei Nacht verschließ' ich mein Häusle ohne euch.« Die alte Annemarie hielt's für ihre Pflicht, der Heiteretei noch einmal alles vorzuhalten, und womöglich mit den Worten und Gebärden der großen Weiber; etwas daran zu ändern hätt' ihr ein Unterschleif, eine Art Kirchenraub geschienen. Die Heiteretei war nicht einzutreiben, und der alte Holunderbusch schien ihrer Meinung. Noch eine ganze Weile, nachdem die Weiber gegangen, hörte man, wie er sich vor Lachen schüttelte. * Aber es blieb nicht etwa bloß bei dem versprochenen Besuche der Valtinessin, Weberin und Morzenschmiedin. Die Heiteretei hatte sich jeden Tag über die wachsende Zahl der Frauen zu verwundern, die zum Teil unter den gesuchtesten Vorwänden zu ihr kamen, um sie zu warnen und ihr raten zu helfen, und um so zahlreicher und angelegentlicher, je mehr durch das ewige Bedenken der Sache deren Bedenklichkeit wuchs. Sie hatte mancher, die sie bis jetzt für hochmütig, ja, für ihr feindselig gehalten, dieses in ihrem Herzen abzubitten. Erst meinte sie freilich, nur die Neugierde, ihr Hauswesen zu sehen, habe sie den unerwarteten Besuch zu danken. Aber diese wäre beim erstenmal gestillt gewesen, und die gutmeinenden Frauen konnten bald nicht mehr vorbeigehn, ohne einzusprechen. Und nie hatten sie so oft vorbeizugehn gehabt. Die Heiteretei dachte jeden Tag besser von den großen Weibern. Und wenn sie sich's auch nicht eingestehn wollte, die allgemeine Teilnahme tat ihr doch wohl. Dafür verwunderten sich die Frauen immer mehr, daß sie nicht früher eingesehen, welch ein braves, aller Achtung und Hilfe würdiges »Tier« die Heiteretei war; besonders wie gut und recht sie an dem Kinde ihrer Schwester handelte. Wer aber bei der Sache nicht gewann, das war der Holders-Fritz. Jeden Tag wurde die Vergoldung seines Bildes dünner und erwies sich zuletzt sogar obendrein noch als unecht. Auch die wenigen Tugenden, die man ihm bisher noch zugestanden, hielten die Probe nicht. Die einzige, die für ihn sprach, war die Heiteretei. Sie konnte es nicht leiden, wenn von einem hinter seinem Rücken Böses geredet wurde, er mochte sein, wer er wollte. »Und wenn's auch wahr wär', das mit dem Holders-Fritz,« sagte sie, »daß er jetzt auf mich lauern tät'! Wild ist er gewest, das will ich auch zugeben, aber außerdem sollt' keiner was Unrechts von ihm sagen, und die Leut' im Städtle am wenigsten. Denn wenn der Holders-Fritz nicht wär' gewest beim Brand vor sechs Jahren, da hätten wir jetzt keine Kirch' mehr, wo wir hinein könnten gehn. Und bei dem Wolkenbruch hernachen, da hat er ganz allein die Gerbersleut' herausgeholt, wo sonst wären ertrunken. Ich hab' nix mit einem Bursch, und mit dem Holders-Fritz am allerwenigsten, aber man muß reden, was wahr ist.« »Ja,« sagte dann die Schmiedin, »das ist alles recht, aber der Herr Vikares hat erst den letzten Sunntig noch gepredigt: man soll nicht ansehn, was ein Mensch tut, sondern was seine Absicht dabei ist. Und die Absicht ist's, warum man einen Menschen soll loben oder nicht.« »Denn warum?« fiel die Tischlerin ein, »wie er die Kirch' und die Menschen hat gerett't, da ist's ihm auch nur darum gewest, daß er seine Stärk' hat wollen zeigen, wie wenn er einen Tanzboden hat geräumt. Wenn einer einen Menschen will retten, so muß er's aus Christenlieb' tun, und was einer nicht aus Christenlieb' tut, das ist Sünd'; denn warum? Wenn einer einen Menschen nicht aus Christenlieb' will aus dem Wasser ziehn, da ist's besser, er läßt ihn gleich drin liegen. Die Schmiedin hat schon recht.« »Ja aber,« sagte die Tüncherin, »man weiß ja auch nicht einmal gewiß, ob er's auch ist gewest, der die Kirch' hat gerett'. Wenn man alles wollt' glauben, was die Leut' reden, da müßt' man einen Kopf dazu haben, so groß wie ein Ochs.« »Na, ich will nichts sagen,« spann die Weberin mit beiden Händen. »Aber wenn ich Zeit hätt', da wollt' ich Geschichten erzählen. Wißt ihr noch, wie's bei der Leiermühl war, wie die ist abgebrannt? Die Knechtsfrau war die Alleremsigst', wo beim Löschen gewest ist; der Amtmann selber hat sich gewundert; sie hat mehr getan, wie zwei Männer, hat er gesagt, und ihre ganzen Haar' sind verbrennt gewest, so hat sie sich gewagt, wo kein andrer das Herz gehabt. Und wer hat die Leiermühl angebrennt gehabt? Wer ist's gewest? Die Knechtsfrau selber ist's gewest. Und so, hat der Aktuarius hernachen gesagt, so ist's gewöhnlich, und drum passen die Herrn allemal auf, wer beim Löschen und Machen am eifrigsten ist.« Da ging den Frauen ein Licht auf, so hell und schauerlich, als der Brand der Leiermühl' selbst. »Ja,« sagte die Tüncherin leise, »ich wollt' mit dem Finger auf den zeigen, der die Stadt selbmal hat abgebrennt.« »Und wer den Wolkenbruch hat angestift',« setzte die Beutlerin hinzu. Die Russensattlerin machte eine Gebärde, die hieß: »Hab' ich das nicht schon vor zehn Jahren gesagt? Aber wer hat mir denn geglaubt?« Die Heiteretei aber hätte gelacht, wär' nicht ihr Blick eben auf ihren kleinen Holzvorrat gefallen, der in bedenklicher Schnelle seinem Ende entgegenging. Er hatte mit der öffentlichen Meinung von den Tugenden des Holders-Fritz ein Schicksal. Die Heiteretei war meist in Tagesarbeit von ihrem Häuschen entfernt; aber das störte die sorglichen Frauen nicht. Sie kamen Tag für Tag schon früh in das Häuschen. Die Valtinessin hatte für Stühle gesorgt; ihre Tassen trugen sie bei sich. Jeden Tag hatte eine andre Kaffee und Sahne zu beschaffen. Wenn man die Heiteretei nicht traf, so traf man andre Frauen. Redete man nicht von dem neuesten Überfallversuche des wilden Holder, so redete man von andern Dingen; und der Fall soll in Luckenbach und anderswo noch zum erstenmal vorkommen, daß auch nur zwei Frauen aus Mangel an Stoff schweigen müssen. Ging eine mit dem schmerzlichen Bedauern, ihre karggemeßne Zeit erlaube ihr nicht, länger auf das gute Annedorle zu warten, so kam dafür eine andre, wenn nicht zwei oder mehr. Das Häuschen unter den Weiden war zu einer Art Hauptwache geworden. Den ganzen Tag kräuselte der Kaffeerauch seine leichten Wölkchen um das Strohdach und den alten Holunderbusch. Wenn die Heiteretei abends vom Felde heimkam, fand sie oft das ganze Stübchen voll. Dann begann ein Erzählen, ein Warnen und ein Raten, ein Befürchten und Beschwören, daß eine andre, als die Heiteretei, mürb' geworden wäre. Die Heiteretei lachte und spottete, und je bedenklicher sie endlich doch selbst wurde, desto mehr. Sie konnte nicht mehr zweifeln, der Holders-Fritz laure ihr auf; ihre eignen Augen hatten sie davon überzeugt. Sie lachte und spottete jeden Tag lustiger, und jede Nacht verschloß sie vorsichtiger ihr kleines Haus. »So ist's,« zirpte das Heimchen im Gringel abends hinter dem Ofen hervor – wer nach ihm sah, wurde nichts gewahr, als zwei ungeheure Brillengläser – »wenn einmal ein Mensch einen bösen Gedanken hat gefaßt, hernachen hat er für nix andres mehr keinen Sinn. Sagen darf er's niemand, und weil er meint, die Leut' sehen's ihm an, so weicht er den Leuten aus. Und so muß er nun erst recht in seine bösen Gedanken hinein kommen, weil er nix andres hat, womit er sich könnt eine Zerstreuung machen. Wenn so ein Dieb oder ein Mörder erst mit einem rechtschaffnen Gevatter oder so aus der Sach' reden tät', da würd' manchs nicht geschehn. Wißt Ihr, was ich tät, wenn ich Ihr war, Meister Sacher?« »Nu?« »Ich ging auf der Stell' in die Gericht' und zeigt's an.« »Ja,« entgegnete der Meister Sacher phlegmatisch, »die? einen hindern, daß er nicht schlecht wird, das fällt denen nicht ein; hernachen, wenn er's ist, kriegen sie ihn noch zeitig genug bei den Ohren. Das liegt an den schlechten Einrichtungen. Der Staat bezahlt die Amtleut', daß sie einen Dieb richten, wenn er gestohlen hat; da muß ihnen daran gelegen sein, daß die Dieb' recht stehlen. Wenn ich die Sach' zu machen hätt', da kragen sie nix, wenn ein Dieb stiehlt; allein aber für jeden Dieb der nicht stiehlt, einen Louisdor.« »So werd't Ihr doch in die Gericht' gehn, Vetter Mathes?« zirpte das Heimchen wieder. »Es wär doch so schrecklich, wenn's passieren sollt, und Ihr hättet's können verhindern und hättet's nun auf Eurem Gewissen!« »Ich hab' mit dem meinigen genug zu tun,« entgegnete der Vetter Mathes trocken. »Aber, ihr Leut', so wird doch einer von euch in die Gericht' gehn?« zirpte das Heimchen wieder, und man hörte an der Betonung, daß es die Vorderbeine über dem Kopf zusammenschlug. »Ihr müßt nur denken, wenn's nicht an die Gericht' wird gebracht, können die nix tun. Die geht eine Sache nix an, und wenn sie ihnen auf der Nasen saß, wenn sie nicht als ein ordentliches Anliegen an sie gebracht wird.« Als das Heimchen eine Zeitlang geschwiegen hatte, ohne eine Antwort zu erhalten, zirpte es weiter: »Da sitzt die ganze Stuben voll. Karten können sie von ihren Äckern reden und Sachen und Machen, aber in die Gericht' gehn, kann keiner. Das ist doch eine schreckliche Welt.« Der Morzenschmied nahm die Sache leichter. »Nun?« fragte er die Schmiedin, die, eben heimgekommen, ihren blauen Mantel von sich tat. »Die Wacht vorbei, Lene? Wer hat denn heut die Schur in der Wachtstuben, der Feldwebel oder der Korporal?« »Laß du's nur die Valtinessin hören,« entgegnete die Schmiedin, »die würd' dich schon befeldwebeln, und die Gevatterin Weberin würd' dir den Korporal eintränken, wie sich's gehört.« »Du müßtest einen guten Tambauer geben, Lene, du brauchtet keine Trommelschlägel.« »Brauchst nicht zu spotten! Wer ist schuld, wenn ich mager bin, als du? Du ärgerst mich den ganzen Tag.« »Nu, erzähl nur aus deiner Wachtstuben was.« »Ja, da vergißt du noch den Gringel darüber. Wenn der der armen Annedorle nur was recht's versetzen tät', du legt'st gleich einen Batzen in den Klingelbeutel, du schadenfroher, nachträgerischer Mann! Du kannst dem Mädle das mit dem Schiebkarren nicht vergessen. Spott du nur, spott du nur! Weil wir das Annedorle beschützen, das ist dein Ärger. Und dir zum Trotz beschützen wir sie erst recht.« »Ja, euer Feldwebel allein, wenn der auf seine Knie schlägt und seine Zunge vom Leder zieht, da reißt so ein wilder Fritz aus. Aber Spaß beiseit'.! Ich denk' schon lang' nicht mehr so, wie ich da red'. Du wirst mir immer kaputter, Lene; du dauerst mich, und es wird noch ganz alle mit dir, wenn ich dir nicht helf.« Die Schmiedin sah ihn verwundert an. Sie hätte ihm gern geglaubt. »Ja, guck,« sagte der Schmied, »das kommt von deinem guten Gemüt.« »Wenn ich sein Getu kenn', so ist's doch sein Ernst,« dachte die Schmiedin. Der Schmied fuhr fort: »Guck', Lene; versteh mich recht. Wenn dir's angst wär', daß der Heiteretei was sollt' geschehn, das wär' Neugier, und ich kümmert' mich nicht drum. Aber dich plagt's, daß du's nicht weißt, was da ist, das der Heiteretei könnt' geschehn; guck', das ist christliche Lieb' zu deinem Nächsten, und da will ich dem Fritz einmal aufpassen und sehn, was ich kann 'rausbringen. Heut' ist die Heiteretei im Leinjäten. Bis ich hinkomm' an den Leinweg, da wird's finster. Wenn's wahr ist, daß er ihr aufpaßt, so müßt's wunderlich zugehn, wenn ich nicht mit ihm zu sprechen käm.« Die Schmiedin war ganz erstaunt und versprach ihm vor Freude, daß er, wie sie sagte, so ihr christlich Herz gesehn, einen Beizbraten und rohe Kartoffelklöße, sein Lieblingsessen, für morgen Mittag. Der Morzenschmied nickte zärtlich, nahm seine Pfeife vom Nagel und machte, nachdem er draußen in der Werkstatt den Gesellen einen glühenden Hufnagel auf seinen Tabak halten lassen, sich auf den Weg. »Wenn er's herausbrächt'!« sagte die Schmiedin hinter ihm drein. »Das weiß die übergescheite Gevatter Weberin doch nicht, die alles besser wissen will. Wenn's nur was recht Schrecklich's wär', daß die einmal nix drüber wüßt'! Ich gönn dem Annedorle nicht etwa was Schlimms, aber über das Schlimmst' kann man sich leichter trösten, wenn's einmal nicht zu ändern steht, wenn man's nur wenigstens weiß. Na, wenn's zu machen ist, der Duckmäuser macht's gewiß. Und er ist doch nicht so greulich, wie man manchmal denkt.« Die Heiteretei war wirklich noch im Leinfelde ihrer Base, als der Schmied des Weges kam. Sie richtete sich eben vom Jäten auf und ging zu ihrer Schoppe, die unfern von ihr auf einem Steinhaufen lag, um sie anzuziehen. »So spät Feierabend, Annedorle?« sagte der Schmied, indem er stehen blieb. »Eure Bäs hat da schönen Lein.« »'s ist eben noch nicht spät,« entgegnete die Heiteretei, die ihre Schoppe über der Brust zuheftete und das Tuch mit dem ausgejäteten Gras an einem Zipfel über die Schulter warf. »Und der Lein könnt' auch größer sein.« »Na, wenn heint der Holders-Fritz nicht auflauert! So einsam find't er's nicht gleich wieder. Geht Ihr mit den Ulrichssteg, so seid Ihr nicht allein.« »Kann sein, ich wär' jenen Weggegangen. Nu geh' ich den andern. Grüß Gott!« Dabei ging sie singend in einer andern Richtung fort. Der Schmied hatte schon wieder ein »Das Mordmädle!« auf der Zunge. Aber – »Hm!« dachte er weiter, »kann auch die Furcht sein, was aus dem Mädle singt.« Und das wär' kein Wunder gewesen. So einsam und still hatte der Schmied die Gegend noch nicht gefunden. Nur eine Lerche sang, als er weiterschritt. Lerchengesang war es eben nicht, was den Schmied von seinen Gedanken abziehen konnte. Der wunderlich schnarrende Ton eines Wachtelkönigs, der sich eben hören ließ, bald hier, bald dort, wie um den Hörer zu vexieren, traf weit eher eine verwandte Saite im Gemüte des Schmiedes an – zumal, da er jetzt von einer Stelle herkam, die ein Rittergut in seinem Gedächtnisse besaß. Dort hatte ja der alte Förster Schweigaus eine Schnei im Ulrichsholze angelegt und der Morzenschmied als Schulknabe mehr denn einmal die gefangenen Krammetsvögel aus den Schlingen geholt und sehr andre Dinge dafür hineinpraktiziert. Er geht immer duchsiger und schmunzelt; zuweilen meldet sich der Ruck von unsichtbarer Hand; er schmeckt die Possen in Gedanken noch einmal durch und rennt mit der Nase an einen Hagebuttenzweig. »Gut,« meint er, »daß das Gebüsch so dick ist, sonst wär' ich in den Bach gelaufen. Ob ich vom Weg abgekommen bin? Nein! Das ist die lange schmale Schling', die der Zehntbach macht hart am Weg. Hm! und der Schatten da drin in der Schlinge? So einen Krammetsvogel hat der alt Schweigaus sein Lebenlang nicht gefangen!« Immer duchsiger und gleichgültiger geht der Schmied, bis er dahin kommt, wo die Schlinge sich öffnet. »Nun müßt' er ins Wasser springen,« lachte er leise vor sich hin, »sonst hab' ich ihn.« Er zieht sein Messer, um an einer Hagebutte einen Pfeifenräumer abzuschneiden, und sucht nach einem Zweige, der ihm gelegen hängt. Einige Schritte seitwärts, dann eine schnelle Wendung, und er steht vor dem Fritz. Und der Fritz ist's wirklich, der erst Miene macht, ins Wasser zu springen, aber, als ihn der Schmied bei der Jacke faßt und seinen Namen nennt, grimmig das Entkommen aufgibt. »Hm,« sagte der Morzenschmied wie verwundert, »bist du's, Fritz? Aber was machst du denn da? Hm, ja, 's hat heint warm gemacht, und du willst ein bißle ins Wasser. Aber du hast doch deine Jacken verkehrt an? Ja, du bist schon im Wasser gewest, und in der Eil' hast du beim Ausziehn die Ärmel mitgenommen gehabt, und das hast du hernachen beim Anziehen nicht gemerkt.« Der Angeredete brummte etwas, das für ein »Ja, kann sein!« gelten konnte. Der Schmied wußte wohl, niemand kam jenem ungelegner, als eben er, und das war ihm um so lieber. »Ist's denn wahr, du gehst nicht mehr mit dem Adams-Lieb und seinen Kameraden? Wer hat mir's doch gesagt? Ich hab' gesagt: das ist vernünftig von dem Fritz. Aber die haben ihren Ärger deswegen, und du kannst dich immerfort in acht nehmen. Da am Leinweg ist mir die Heiteretei begegnet, das arme Mädle, der hast du's recht angetan.« An dem Rauschen der Büsche, in denen er stand, hörte man, der Fritz machte eine rasche Bewegung. Der Name hatte ihn erschreckt. Den hatte er am wenigsten zu hören gemeint. Aber gleich war er wieder ruhig, und der wilde Fritz sagte in einem Tone, der leicht klingen sollte: »Die! wie kommst du auf die? Was geht mich die an! Angetan! Möcht' auch wissen, wie!« »Nu,« entgegnete der Schmied lauernd, »die ist ganz in dich verschameriert.« Der Fritz lachte ganz eigen. Einen andern, als den Schmied hätte dieses Lachen geängstet. Man hörte, er zwang sich, um keinen Verdacht zu erwecken, von der Heiteretei zu reden, als er lachte: »Die Heiteretei und verschameriert! Du weißt nicht, was du redst, oder morgen ist der jüngst' Tag. Wer hat dir das aufgebunden? Das hat deine alte Bäs einmal wieder ausgeheckt.« Er schien recht im Zuge, zu fragen. Plötzlich schwieg er. Es war ihm eingefallen: »Der Laurer, der Morzenschmied ist's, der mit dir red't. Zu viel kann ebenso leicht Verdacht erwecken, als zu wenig.« Da aber auch das Schweigen zuviel verrät, besonders einem so scharfen Ohr, als dem des Morzenschmiedes, so fügte er noch einige Töne hinzu, die dieser für ein gleichgültiges Lachen nehmen sollte. Der Morzenschmiedes sagte leise vor sich hin: »Hm!« Dann fuhr er laut fort, und ihm gelang der gleichgültige Ton besser, als dem Holders-Fritz: »Ja, die Heiteretei und verschamerieren! Ich mein', das Mädle ist ein verkleideter Jung'. Aber – was ich sagen wollt' von dem Adams-Lieb und den andern. Aber ich muß mich setzen; es muß mir ein Schnupfen in die Glieder gefahren sein. Die sprechen, es wär' umgekehrt. Du wärst in die Heiteretei verschameriert.« Der Schmied wartete das abermalige Rauschen der Büsche ab und das heisere Lachen, das der Fritz ausstieß. »Das ist die Wut, daß ich nix mehr von denen wissen will,« lachte der, und der Schmied sagte: »Freilich, das ist's, und das mein' ich eben. Sie sagen, du paßtest dem Mädle überall auf, um – deine Sach' anzubringen. Aber sie möcht' nix von dir wissen.« Eh' der Schmied das sagte, war er erst vorsichtig einige Schritte weiter vom Fritz abgerückt. Ein Buchenstamm stand zwischen ihnen. Der Schmied war wohl auf seiner Hut. Das Rauschen des Busches verriet dieses Mal auch eine heftigere Bewegung des Holders-Fritz, und sein Lachen klang immer gezwungener und wilder.»« »Aufpassen!« lachte er; »möcht' wissen, wo! Weidenhaun geh' ich! da siehst du die Barte.« – Er schwang das kleine Beil nahe vor den Augen des Schmiedes. Der wich etwas zurück. Dann sagte er: »Damit sollen sie auch recht haben; nicht mit der Verschamerierung und dem Sachanbringen, mit dem – Aufpassen mein' ich«. – Er hielt einen Augenblick inne und sah vorsichtig hin nach dem Fritz. Das tat er öfter, während er fortfuhr: »Da ist in der Stadt kein Mensch, der dich nicht hinter einer Hecken oder sonst wo hätt' lauern gesehn, und allemal, wo die Heiteretei vorbei hat gemußt. Und guck', mir mußt du nix weis wollen machen; was tust du denn jetzt da im Busch, wo die Heiteretei vorbei wär' gekommen, hätt' sie dir nicht den Possen getan und wär' den Weg bei der Herrenmühl' gegangen? Ja, du willst's nicht sagen. Aber du mußt nicht denken, daß die Leut' keine Augen haben. Und die haben, mehr denn zuviel.« Er rückte dem Fritz vertraulich etwas näher und sagte leiser als vorhin: »Aber es verdrießt einen, wenn ein Kerl, wie du, einem Mädle nachläuft, das vor allen Leuten seinen Hohn mit dir gehabt hat. Die Geschicht' vom Gründer Markttag her weiß die ganz' Stadt, und wie die Heiteretei von dir red't.« »Ho, ho!« sagte der Fritz verbissen, »vielleicht red't sie bald anders. Die Leut' wissen, was die gesagt hat, aber nicht, was ich gesagt hab.« »Ja, und sie meinen,« fuhr der Schmied fort, »aus lauter Respekt vor der Heiteretei wär's, daß du nicht mehr zum Bier gingst und ein ordentlicher Kerl wärst geworden, und einmal könnt's bei dir heißen, wie beim – Läpplesschneider: Respekt muß sein im Haus.« Dasmal rauschten die Büsche um den wilden Fritz, als hätt' er sie mit den Händen gepackt, um sie auszureißen. »Guck',« fuhr der Schmied fort, »mir kannst du's sagen – du weißt, ich kann die Heiteretei auch nicht leiden, drum ...« Der Fritz hatte schon reden wollen. Aber die Absicht des Schmiedes, ihn auszuholen, mochte ihm trotz seiner Aufgeregtheit nicht entgangen sein. Nach kurzem Besinnen sagte er mit gepreßter Stimme: »Kann sein, daß ich auflaur', kann sein. Man will manchmal einen guten Abend sagen; das bind't man den Leuten nicht auf die Nasen. Aber ich wollt' immer zu dir; von wegen dem Beil, was ich bei dir hab' bestellt.« »Ja, das,« fragte der Schmied, »wo unter die Jacken sollt' zu verstecken geh'n, wenn du ins Reifhauen gingst, daß die Leut' ...« »Ist's fertig?« fragte der Fritz dagegen, ihn heftig unterbrechend. »Hm!« sagte der Schmied erschrocken: »aber du willst doch nicht – du hast doch nicht etwa ...« »Nix werd' ich und nix hab' ich,« lachte der Fritz, der sich besonnen; aber dieses Lachen hatte einen eignen Klang. »Ich brauch' eben ein Beil. Warum soll ich nicht ein Beil brauchen wie andre Büttner auch? Was ich gesprochen hab' da am Gründer Markt, das war Spaß. Und daß ich ihr gedroht hätt' und wär' wütend auf sie gewesen, das war auch nur Spaß. Und wenn einem einer sagt: du paßt dem Mädle auf, daß du deine Sach' anbringst, da wird keiner sagen: Ja. Und 's kann sein, 's kann schon sein, daß es einmal heißt wie bei dem Läpplesschneider: Respekt muß im Hause sein.« Aus seinem Lachen klang schlecht verhehlte Wut. Der Schmied wollte ihn zurückhalten; das war vergeblich. Noch lange hörte er das schauerliche Lachen, als der Fritz schon an ihm vorbeigerannt war. –»« – »So duchsig,« dachte die Schmiedin, als sie den Schmied zur Tür hereintreten sah, »ist er noch nicht heimgekommen. Sonst duchst er wohl auch, aber aus Duckmäuserei; aber dasmal ist er doch ganz wie verblaßt. Und so zitternd an den Kleidern herumgegriffen, wenn er sie an die Alkovenwand hat gehängt, hat er noch nicht, solang' ich ihn hab. Und das Schlucksen hat er auch noch nie so sehr gehabt. Ich seh schon, er will nicht reden; aber ich will ihn schon dazu bringen.« Aber auf alle ihre Fragen hatte er keine Antwort oder nur die: »'s ist nix, und ich will ins Bett. Muß morgen vor Tag wieder auf.« Seine Gebärden sprachen freilich beredter; aber der Schmiedin war es um ein spezielleres Eingehen zu tun, als worauf Hände, Augen und Schultern sich einlassen konnten. Er duchste schon der Kammertür zu. Die Schmiedin bemerkte einen Flecken an seinem rechten Hemdärmel und hielt ihn daran fest. »Daß du immer die feinen Hemder zur Ärbet anziehst! Hast du denn den Fritz getroffen? Nu wart doch nur! Ein Brandfleck ist's doch wohl nicht? Aber warum redst du nur nicht? Es muß vom Gänspfeffer sein. So wirst du doch zeitig genug ins Bett kommen, du Schlafratz! Herauszureiben geht's nicht. Aber, Morzenschmied, so wirst du doch nur ein Wörtle können sagen? Und es ist doch ein Brandfleck, du ruinieriger Mann. Aber, Morzenschmied, so sag nur wenigstens, willst du die Klöß' morgen mit Graslaub oder nicht? Es hat just wieder so zarte Schüßle. Das ist doch sonst dein Leibessen gewest.« Die Schmiedin sah, ihr letztes Mittel half. Der Schmied setzte sich mit allen Anzeichen innerer Erschöpfung. Die Schmiedin rückte ihm so nah als möglich, wie aus Befürchtung, die Worte möchten auf der weiteren Reise sich zu lang aufhalten oder gar verirren. Endlich sagte der Schmied: »Ich muß dir sagen, Lene, ich wollt', ich wär derheimgeblieben. Es ist doch ein grausig Beisammensein mit so einem Menschen.« »Wo hast'n denn angetroffen?« fragte die Schmiedin. »Dort, wo der Zehntbach die Schleifen macht im Busch.« »Im Busch?« schauderte die Schmiedin. »Mitten drin im Busch?« »Mitten drin.« Die Schmiedin wäre gern wieder herausgewesen, aber der Morzenschmied blieb länger als eine Minute drin. Denn so viel Zeit verging, eh' er in seiner Erzählung weiter fortfuhr. Die Schmiedin konnte sich unterdes im Geist in die Wachtstube versetzen! Da sah sie sich stehen, die andern Weiber um sie herum, atemlos an ihrem Munde hangend. Der Feldwebel hat schon die Hände gehoben, um damit auf die Knie zu schlagen, wenn die Schmiedin fertig wäre. Der Korporal ist gelb vor Neid, daß er nichts Stärkeres bringen kann. Und die Schmiedin – aber sie weiß ja selber noch nicht, was sie dort sagt. »Ja, guck',« sagte der Schmied, und die Schmiedin saß wieder horchend vor ihm. »Das hätt' ich mir doch nicht vom Fritz eingebildet.« »Aber was denn?« »Daß er das tun wird.« »Was tun wird?« »Das! – Ja, guck', der tut dir's gewiß und wahrhaftig noch.« Dabei schlug er die Hände zusammen, was die Schmiedin unwillkürlich nachtat. Das sieht sie all die Weiber in der Wachtstube tun. Die arme Frau ist hier horchend und dort erzählend zugegen. Die Ungeduld, hier endlich das Was zu hören, worüber sie dort die Weiber schon erschrecken sieht, denen sie es selber erzählt hat, wird zur Pein. »Der verdammt' Schlucken!« fährt endlich der Schmied fort. »Ja, guck', er lauert wirklich der Heiteretei auf, und dazu braucht er ein Beil, hat er gesagt, das er unter der Jacken kann verstecken. Er hat das nicht so deutlich gesagt, wie ich's dir da erzähl', aber es ist gewiß und wahrhaftig: er ist wütend auf die Heiteretei. Ich dacht' erst, die Sach' wär' anders und hab' meinen Spaß wollen haben. Aber – na, vor so einem Spaß bedank' ich mich. Er hat gesagt, die Heiteretei soll bald aufhören, von ihm zu reden.« Die Schmiedin schlug die Hände über ihrem Kopf zusammen. Sie empfand zugleich, wie schrecklich das sei, und auch, wie sie sich ausnehmen wird dabei, wenn sie's den entsetzten Weibern erzählt. »Aber daß du mir nicht –« sagte der Schmied aufstehend. Die Schmiedin suchte währenddes im Eßschrank unter den Kaffeetrichtern und Tassen. »Ist der Fencheltee schon wieder alle?« In der Kammertür wandte sich der Schmied noch einmal halb um. »Daß du mir niemand davon sagst. Wenn was geschäh' und die Leut' könnten sagen, wir hätten's vorher gewußt ...« »Tee muß da sein für das Gottlieble. Das wär eine schöne Geschicht' auf die Nacht! Und man hat keinen Menschen, wenn man sie braucht. Die Mäd hat sich in den Finger geschnitten, und die Gesellen kann man nicht von der Ruh abhalten jetzt in der teuern Zeit. Was hilft's, ich muß schon selber in die Apotheken.« »So kämen wir ins Teufels Küchen, hörst du?« »Sag' mir nur nix,« entgegnete die Schmiedin fast erzürnt. »Ich dächt', du kenntest mich doch.« Der Schmied verschwand mit einem bedeutsamen Nicken in der Kammertür. Die Schmiedin setzte ihr Zifferblatt auf den Kopf und nahm ihr blaues Gehäuse um die Schultern. Schon an der Stubentür, blieb sie noch einmal stehen. »So glaub' ich doch gar, der lacht da draußen noch? Er ist so schlimm, wie der Fritz selber. Die Mannsleut' sind lauter geborne Mörder. Er wird doch dem Gottlieble in der Wiegen nichts tun? Das Lachen ist auf der Gass' gewest. Er schnarcht ja schon. Und der Fritz wird mir doch nicht begegnen? Wie finster das ist! Was hilft's? Tee muß man im Hause haben,« sagte sie draußen noch. * Mit jedem Tage waren die Frauen bedenklicher geworden, und in derselben Steigerung hatte die Größe und Dicke der Kaffeewolken zugenommen um Strohdach und Holunderbusch. Heute dampfte der Schornstein des Häuschens wie ein kleiner Vulkan. So zahlreich waren die Frauen noch nie versammelt gewesen; es fehlte niemand, als die Schmiedin und die Baderin und diese mußten noch kommen. Das hatte aber auch seinen guten Grund. Morgen wollte die Heiteretei wieder nach dem Zainhammer fahren. So weit hatte sie sich, seit der Fritz ihr aufzulauern begonnen, noch nicht vom Städtchen entfernt. Dann konnte sie auch, was schon öfter geschehen, dort so lange aufgehalten werden, daß sie erst bei Nacht in das Ulrichsholz kam. Das war dick, die Straße hindurch nicht die belebteste, und man wußte tausend schreckliche Geschichten davon zu erzählen. Dazu kamen Vorbedeutungen der schlimmsten Art. Die Weberin versicherte, daß sie nie die Hähne so ganz eigen und zu so ungewöhnlicher Zeit krähen gehört, als die letzten Tage. »Ja,« sang sie dem unsichtbaren Rocken zu, an dem sie spann, und es war, als suchte sie das eigene Krähen mit dem Ton ihrer Rede zu malen – »ja, wenn ich's nur könnt' beschreiben! Ordentlich, wie wenn ein weinend Kind der Bock stoßen tut.« »Ja,« meinte die Tüncherin, »das bedeutet ander Wetter.« »So, ander Wetter?« sagte die Valtinessin. »Und ist's denn anders geworden etwa? Ist's nicht das best' geblieben? Nur noch zweimal haben sie so gekräht, daß ich's weiß. Das war den Tag vorher, eh' der Schäfer den Jungen hat umgebracht im Ulrichsholz und wie hernachen die Württemberger im Krieg seinen Schädel vom Rad' haben genommen und daraus getrunken im Schwanenwirtshaus. Die Weberin da ist meine Gevatterin. Und wenn ich und meine Gevatterin nicht wissen, wie die Hähne in Luckenbach krähn, und andre wissen's besser, so weiß ich nicht, was ich hier zu tun hab'. Und hier sitz' ich und frag': Warum hat mir's denn die ganze Nacht vom alten Spritzenhaus geträumt?« Die Frauen fürchteten, die Valtinessin könne, da sie eben im Übelnehmen begriffen war, auch übelnehmen, wenn sie geständen, sie wüßten das nicht. Als sie schwiegen, setzte die Valtinessin noch hinzu: »Oder weiß ich und meine Gevatterin auch nicht, was uns geträumt hat, und die Frau Tüncherin weiß auch das besser?« »Aber,« begütigte die Tüncherin, »man red't ja nur, Frau Bas Valtinessin. Und es ist wohl möglich, daß der Hahn, den ich hab' ander Wetter hören kräh'n, gar kein rechter Luckenbacher ist gewest. Sonst hätt' er's gewiß der Frau Bäs Valtinessin nicht zuleid getan. Denn das müßt' kein rechter Luckenbacher sein, der nicht allen Respekt hätt' vor der Frau Bäs Valtinessin.« Die Valtinessin war schrecklich in gerechtem Zorn, aber sie ließ sich versöhnen, und so bekräftigte sie durch ein feierliches Schwingen ihrer Haube, daß das alte gute Verhältnis wiederhergestellt sei. Die Tischlerin aber sagte etwas zaghaft: »Wenn's der Frau Bäs Valtinessin nicht unrecht war', so hätt' ich auch geträumt; denn warum? Es fällt mir nicht ein, so vornehm zu träumen, wie die Frau Bäs Valtinessin; man träumt eben, wie man's so ins Haus braucht. Die ganz' Nacht ist mir's gewesen, als wenn ein Bär bei mir im Bett läg'; denn warum? Mein Mann hat mich zweimal aufgeweckt, weil ich so tief hab' Atem geholt.« Da die Valtinessin sich's von der Tischlerin gefallen ließ, so hatten nun die Frauen alle geträumt, wenn auch nicht so vornehm und bedeutsam, wie die Valtinessin, doch etwas, das sich auf die Heiteretei bezog oder beziehen ließ. Von den schaurigen Träumen, denn das waren sie alle, kam man auf noch schauerlichere Geschichten. Je schauerlicher die wurden, desto leiser wurden die Stimmen. Und kaum, daß die eine geendigt war, so fing schon wieder eine andre an. Denn wenn's so still wurde, daß man das Rauschen der Weiden und das Kratzen der Holunderäste am Dach und an den Wänden des Häuschens hörte, dann war's noch schauerlicher in der Wirklichkeit, als in der schauerlichsten Geschichte. Und wenn nun die erzählten Dinge aus den Geschichten heraus in die Wirklichkeit traten? Wenn man nun wieder reden wollte und es kam kein Ton heraus? Oder wenn man die Augen von der Erde hob und sah plötzlich in lauter Totengesichter hinein? Oder es stöhnte irgendwo in einer Ecke und man sah doch niemand; was sollte da erst werden? Wie es vor einem schrecklichen Ereignis ist, das kommen muß: jedem liegt's auf der Zunge, es vorherzusagen, und es wagt's doch keiner. Weil es ist, als müßt' es erst dann geschehn, als könnte es vorbeigehn, würde es nur nicht berufen. Und gleichwohl drängt es jeden dazu; als ob es wiederum doch zu vermeiden wäre, spräche man es vorher nur warnend aus. Alle sahen während des Erzählens nach der Heiteretei hin. Man durfte sie nicht fortlassen mit oder wider Willen, bleiben mußte sie. Aber um ihr das zu sagen, mußte man die Geschichten unterbrechen. Und dann ward's still, wer weiß, wie lang! und dann hörte man wieder die Weiden rauschen und den Holunder am Häuschen kratzen wie einen Lebendigbegrabenen an seinem Sarge. Und doch riß der Weberin mitten in der schrecklichsten Geschichte der Faden; just da, wo die Räuber im einsamen Wirtshaus im Walde die Tür aufbrechen und der junge Kaufmann, der da eingekehrt ist, entsetzt nach seinen Pistolen greift. Und – war das ein Schuß? Nein, es ist der Wind, der in den Waldbäumen um das Wirtshaus so entsetzlich braust. Und doch auch das nicht. Man ist ja nicht wirklich in jenem Waldwirtshause; man ist in der Heiteretei Häuschen an den Weiden. Und dieses Brausen und Zischen klingt gar nicht so wildfremd; es hat vielmehr etwas Heimliches, Vertrautes; man hört es nicht zum erstenmal. Aber es braucht erst das laute Lachen der Heiteretei aus ihrer Ecke heraus, den Zauber von den entsetzten Gemütern hinwegzubeschwören. Die Hälfte des siedenden Wassers mußte erst aus dem Kaffeetopf auf den Herd laufen, ehe man begriff, das seltsame Brodeln und Zischen sei das allbekannte, täglich gehörte, das jede siedende in die glühenden Kohlen laufende Flüssigkeit hören läßt. Der Gegensatz der sichern Wirklichkeit zu den Erwartungen eines Etwas, das anders sei, als alle Wirklichkeit, und das Gefühl, daß jene so nahe war, in die man sich retten konnte aus den Schrecknissen der Einbildung, erweckte ein behagliches Gelächter, dessen letzte Töne doch schon wieder vor dem Gedanken zitterten, daß es unrecht und ein Frevel sei, in solchen Augenblicken solcher Erwartung zu lachen. Doch war wenigstens die Furcht vor der Stille gewichen, und als man sich besonnen hatte, was man doch vorhin sagen gewollt und nicht gekonnt, da erhob sich das Warnen und Raten von neuem – und um so lauter, da man sich selbst dadurch betäuben konnte. »Ach, du lieber Gott!« rief die Weberin, »wenn doch nur das Dorle freien wollt'!« »Ja, wenn das so geschwind ging'!« verzweifelte die Tüncherin. »Aufs Rathaus muß das Dorle, in die Gericht'.« »Die sitzen auch, bis der Frau Tüncherin so was Gescheits einfällt,« strafte die Valtinessin. »Da wär das best', das Dorle holt' die Herrn morgen früh, eh' sie fortgeht, im Tragkorb aus den Betten aufs Rathaus.« »Militär muß geholt werden aus der Hauptstadt,« schrie die Beutlerin. »Das kommt zu spät,« schlug die Tischlerin die Hände zusammen. »Denn warum? Wenn das Dorle dem Nachtwächter sechs Batzen gibt, da geht er mit ihr in den Zainhammer und wieder heim.« »Aber wer weiß,« ächzte die Tüncherin wieder, »ob das Dorle so viel mit der Fuhr' verdient! Ich mein', da schickt' das Dorle gleich den Nachtwächter und blieb' zu Haus. Da könnt' sie's halb abverdienen, was der Nachtwächter kost't.« »Ja,« sagte die Heiteretei lachend. »Ich fürcht' mich aber nicht. Und wenn ich mich fürchtet', da braucht' ich auch den Nachtwächter nicht zu schicken; ich blieb' eben daheim, und so wär's und nu wär's fertig. Aber ich fürcht' mich nicht, und da frei' ich nicht und geh' nicht aufs Rathaus und schick' auch keinen Nachtwächter, sondern ich fahr' in den Zainhammer. Und so ist's, und nu ist's fertig.« »Es ist schrecklich,« spann die Weberin wie außer sich, »daß das Annedorle nicht folgen will. Und wenn man nur wenigstens eine Karten hätt', daß man sich erst darauf legen könnt'!« »Ach,« sagte die Schwesterleins-Evekathrine, »ich hab' ja eine mit, aber über die Geschichten hat man alles vergessen. Ich will sie nur geschwind legen, eh' noch was anders dreinkommt!« »Ja,« sagte die Valtinessin und schlug auf ihre Knie. »Man hofft ja nicht, daß dem guten Annedorle was begegnen soll. Wenn's aber soll sein, so hat man seine Schuldigkeit getan und braucht sich nichts vorzuwerfen von dessentwegen.« Der Meinung waren die Frauen alle. Kein Atemzug ließ sich hören, als die Schwesterleins-Evekathrine ihr Werk begann. »Ein–zwei–drei–sechs« – eine Reihe Karten lag da. Die Valtinessin griff an die Nase, um die Brille herabzunehmen und zu putzen, die sie nicht auf hatte. »Wo ist denn das Unglück?« sagte sie. »Das sieht ja aus wie lauter Herz und Schellen. Da ist ja gar kein Grün.« Es wird noch kommen, tröstete sie sich. Aber es kam nicht. »Liegt denn die ganz' Sach', oder ist's noch nicht fertig? Ja, es ist doch. Aber wo ist denn das Unglück? Ist denn das das Eicheldaus und die Eichelzehn, wo da neben dem Herzunter liegt? Das wär' ja eine Hochzeit, verzeih mir Gott meine Sünd'!« Den andern ging's nicht besser als der Valtinessin. Alle fühlten nur das Unangenehme einer getäuschten Erwartung. »Es ist nix mit dem Kartenlegen,« sagte die Valtinessin. »Dummes Zeug ist's. Und wenn einer gewiß wüßt', es träf zu, da ließ er sie sich gar nicht legen. Aber nu, wenn die Karten gut sind, hernachen glaubt er's; sind sie aber schlimm, hernachen sagt er: Es ist dummes Zeug. Und das ist's auch.« »Wenn die Evekathrine nicht falsch abgezählt hat,« sagte die Weberin. »Oder falsch gemischt,« sagte die Tüncherin. »Ja,« sagte die Schwesterleins-Evekathrine selber, »ich wollt' schwören, ich hätt's richtig gemacht. Passiert mir auch sonst nicht, daß ich einen Schnitzer mach'. Aber es muß doch wohl. Und wenn man so in der Angst ist.« »Und in der Gemütsbewegung,« spann die Weberin. »Hm, ja,« dachte die Valtinessin, »das könnt' sein.« Dann schlug sie auf ihre Knie. »Drum sitz' ich hier und sag': die Evekathrine legt die Karten noch einmal. Hernachen wird sich's ausweisen, ob man auf das Kartenlegen was geben kann oder nicht.« Und es wies sich aus. »Ja,« spann die Weberin, als die Karte von neuem gelegt war, mit trauriger Zufriedenheit, »das sind andre Ding'!« »Aber,« sagte die Tüncherin, die noch immer unbefriedigt schien, »da ist freilich der Herzunter, das ist das Annedorle. Und dort drüben liegt die Laubzehn und da ganz unten das Laubdaus. Aber das sollte doch eigentlich beisammen liegen, wenn das Unglück das Annedorle anging'.« »Wenn's auch nicht beisammen liegt,« meinte die Tischlerin mit wehmütiger Freude; »denn warum? Man weiß doch, daß es zusammengehört?« »Ja,« sagte die Evekathrine, »es muß nur richtig ausgelegt werden, hernachen trifft's schon zu.« »Ach, Gott, es ist doch schrecklich,« drehte die Weberin mit schmerzlicher Wollust den Faden. »Das arme Annedorle! Die Laubzehn ist eine Straßen, das ist die nach dem Zainhammer. Und der Laubober, das ist ein böser lediger Bursch', das ist der Holders-Fritz. Und das Laubdaus, das ist eine schreckliche Gefahr.« »Ja,« legte sich die Tüncherin die Sache zurecht». Es kann ja sein, daß er von weitem lauert, und das Annedorle fährt vielleicht auf der Wiesen neben dem Weg. Und die Gefahr, die ist ja auch jetzt noch nicht beim Annedorle; da ist noch ein ganzer Tag dazwischen.« »Ach, du Gerechter!« schluchzte die Beutlerin. »Und der Laubober da, ob der dem Holders-Fritz nicht wie aus den Augen geschnitten ist? Wenn der Holders-Fritz so eine kleine Nasen hätt' und so ein groß Maul und seine Augen ständen so schiefe! – Wenn auch die Statur anders ist, aber der Rock und die Schuhe, das ist doch der leibhaftig' Holders-Fritz!« »Ach, das arme Annedorle! das arme Annedorle!« spann die Weberin und netzte mit ihren Tränen. »Dummes Zeug!« lachte die Heiteretei. »Vorhin, da sollt's falsch gemischt sein, und jetzt fällt so was keiner ein. Wenn's was bedeuten sollt', müßt's das eine Mal ausfallen wie das ander. Und wenn ich nu gar nicht fortging morgen, da müßt' die Straßen zu mir kommen. Und da der Herzunter, das ist noch ganz ein andrer Kerl wie der Laubober, und der muß doch auch dabei sein, wenn ihm was soll geschehn. Wenn ihr flennen wollt, so wartet doch wenigstens, bis was passiert ist, oder flennt wo anders. Mein Häusle ist an andre Ding' gewöhnt.« Die Valtinessin aber rückte feierlich die Haube, dann schlug sie's auf ihren Knien unwiderruflich fest: »Und obschon mein Vater selig ein Weber ist gewest, nu hat sich's gezeigt. Und mit dem Kartenlegen, das trifft doch zu. Was Schrecklichs wird geschehn, das ist gewiß; Bäs Schreinerin, Sie könnt' mir einmal den Kaffeetopf hergeben. Wenn man nur auch wüßt', was! Der Rahm hat doch wieder einen Stich gekriegt von der Hitz' den Tag. Hernachen wär' alles gut. Hernachen könnt' man sich doch christlich drein ergeben.« Ja, das Was! das Was! Je gewisser seine Auflösung wurde und je näher sie kam, desto mehr peinigte das Rätsel die guten Frauen. Da stand der Geist der noch ungebornen Tat wie ein ungeduldiger Gläubiger und forderte immer unbarmherziger eine Gestalt. Er sauste in den Weiden und kratzte an der Wand, er brodelte im Kaffeetopf, er nickte von der Haube der Valtinessin herab, er zirpte mit dem Heimchen unter dem Ofen hervor, er sah mit ungeheuren schwarzen Augen durch die Fenster herein und pochte gegen die lockeren Scheiben;; er blickte aus jedem Auge und sprach aus jedem Munde. Das Was war unentrinnbar. Und als nun plötzlich die Tür ging und das Entsetzen die Widerwilligen nach ihr zu sehen zwang, da kam es auch durch die Tür herein. Aber das war doch eine leibhaftige Gestalt! Hatte es die endlich gefunden? Dann zeigte es sich nicht wählerisch. Aber es war auch gar nicht das schreckliche rätselhafte Was, das eben eintrat. Es war die wohlbekannte kleine Baderin aus der Weidengasse, aus dem gelben Häuschen mit den grünen Fensterläden. Ein Weib, weder schrecklich, noch rätselhaft; denn jeder Luckenbacher weiß, sie besteht bloß aus O und Ach, in ein ewiges Erröten gewickelt. Auf dem Wege hieher hatte sie in der Angst vergessen, daß sie nur die kleine verschämte Baderin war. Nun sie die Augen so vieler großen Weiber auf sich gerichtet sieht, fällt ihr das wieder ein, und sie möchte sich in sich selber verkriechen. Es ist ihr, als ob ihre Kleider immer kürzer und dünner würden, als ob sie in kurzem nackt vor all den großen Weibern dastehn müßte, so sehr sie an den Kleidern zupft und dehnt. Das Erröten auf ihrer Wange wird rot vor Scham, daß sie nur die kleine verschämte Baderin ist von der Weidengasse, die errötet. »Aber was ist denn?« lieh die Weberin endlich der allgemeinen Spannung das Wort. »Ach, es ist nix weiter. O, es ist nicht der Müh' wert, daß man's vor solchen Weibern sagt.« »Und deshalb hat sich die Baderin so außer Atem gelaufen?« »Ja, wenn's der Valtinessin ihr Atem wär',« denkt die Baderin. »Aber meiner!« Die Valtinessin glaubte: »Sie will uns schonen. Sie meint, wenn sie's gleich heraussagt, wird's uns zu sehr angreifen. Aber hier sitz' ich und sag': Mög's sein, was es will. Ich will nicht geschont sein. Ich halt's aus, es mög' sein, was es will.« Der Baderin Verlegenheit wuchs mit der Erwartung der Frauen von der Wichtigkeit ihrer Nachricht, da diese selber in eben der Steigerung ihr immer unbedeutender erschien. Das wurde durch längeres Zögern nur noch schlimmer; deshalb faßte sie sich ein Herz, freilich nur eins, wie die kleine verschämte Baderin von der Weidengasse sich eins fassen konnte, und begann mit fast geschloßnen Augen: »Ach, wo ein Arm oder Bein am schwersten heilen tät', hat er Meinen gefragt. Und ob einer auf der Stell totbleiben tät', wenn man ihm mit einem Beil an die Schläfen tät' schlagen. Der Holders-Fritz nämlich. Es ist, wer weiß, wie lang' her, hat Meiner gesagt, daß er mich so gefragt hat. Der Holders-Fritz nämlich. Da hab' ich gemeint, weil's nur Meiner ist gewest: Du weißt auch viel, was lang ist und was kurz. Denn ich hab' gedacht: wann soll er so gefragt haben, als die letzten Tag'?« »Ja,« sagte die Tischlerin entsetzt, »denn warum?« Mit solchen Dingen ist er ja erst in der letzten Zeit umgegangen. Das kann höchstens vierzehn Tag' sein gewest. »So?« meinte die Valtinessin. »Und das weiß die Bäs Schreinerin auch so gewiß? Also der Mensch kann nicht schon früher solche Ding' haben verübt, wie er jetzt verüben will? Da an diesem Fenster hab' ich gestanden und den meinen Finger von der meiner Hand hab' ich aufgereckt, wie ich gesprochen hab: Hier sitz' ich und sag', es wird gar viel getan, was nicht gleich herauskommt.« »Zum Beispiel,« schaltete die Tüncherin ein, »es geschehen Bränd'.« »Und Wolkenbrüch',« fügte die Beutlerin an.»« »O! Ach!« errötete die Baderin; »ich hab's lang prophezeit, mit dem nimmt's einmal kein gut End'.« »Die Heuchelei hab' ich ihm schon angeseh'n,« sagte die Tüncherin, »wie er noch nicht hat können laufen.« »Das ist gewiß,« meinte die Tischlerin, »daß er nix Gut's hat im Sinn. Denn warum? Ein Mensch, der solche Ding' getan hat und doch immerfort noch zu ermachen gewußt, daß man meint, er hat ein gut Gemüt, das muß ein Erzbösewicht sein. Denn warum? So einem Bösewicht kann man zutrauen, daß er das Schlimmst' hat getan.« Das Was hatte schon eine viel bestimmtere Gestalt, als sich die Tür abermals auftat. Und das war es wirklich selber, was nun hereintrat, so lang und hager, mit Zügen, die nicht Entsetzen ausdrückten, sondern das Entsetzen selber waren. Es war das schreckliche Was, das sich nun in Gestalt der Morzenschmiedin auf einen Stuhl fallen ließ und mit solcher Angst nach der Tür zurücksah, daß sie damit die sämtlichen Weiber ansteckte. Nur die Heiteretei lachte. »Kommt der Holders-Fritz etwa selber, Frau Morzenschmiedin?« Die Morzenschmiedin deutete erst, ehe sie der Sprache mächtig wurde. »Hinter mir her ist's da vom langen Bau an. Wenn's nicht schon hinter mir aus der Schmieden ist gegangen. Ich hab' mich nicht umgesehn vor Angst. Und es ist gewiß noch draußen. Und aussehn muß es wie ein Besen.« »Aber, Bäs Morzenschmiedin,« sagte die Valtinessin kopfschüttelnd, »wenn Ihr Euch nicht habt umgesehn, wie könnt Ihr wissen, wie das Ding hat ausgesehn?« »Ich hab's gehört,« entgegnete die Morzenschmiedin. »Just, als wenn eine hinter mir kehren tät'.« Die Heiteretei wollte nachsehen, wer es wäre, aber die Frauen klammerten sich an sie und ließen sie nicht hinaus. »Wenn ihr euch gern unnötig fürchtet,« lachte die Heiteretei, »meinetwegen!« Aber die Frauen hätten das Mädchen nicht halten können, wär' es dieser mit dem Nachsehen ernst gewesen. Die Schmiedin hatte sich's freilich ausgedacht, wie sie erst geheimnisvoll tun wollte und nicht eher reden, als bis die Weberin meinen müßte, obenauf zu sein. Dann aber wollte sie losbrechen und mit ihrer Nachricht über die Weberin triumphieren. Denn dieses Mal konnte die Weberin sie nicht überbieten. Aber die Angst vor dem Dinge, das ihr hierher gefolgt, hatte den ganzen schönen Plan vereitelt. Und noch obendrein sollte sie in ihrer Geschichte steckenbleiben, just wo diese am spannendsten wurde. Draußen vor der geschlossenen Tür flatterte etwas geisterhaft schnell vorüber. Es blieb zweifelhaft, sollte man es für Flügelschläge einer eilenden Taube oder für ein leises schauerliches Lachen erkennen. Die Schmiedin verstummte. Alle sahen entsetzt nach der Tür. Endlich versicherte die Beutlerin: »wenn ein Besen lachen könnte, so müßt' es klingen.« »Der Morzenschmied war's,« lachte die Heiteretei. »Der lauscht draußen. Wiewohl, ein Wunder wär's nicht, wenn auch die Besen anfingen zu lachen.« Es wäre leicht gewesen, der Sache auf den Grund zu kommen. Man hätte nur nachsehen dürfen. Da die Heiteretei sitzen blieb, so ist mit Recht zu bezweifeln, ob sie wirklich dachte, wie sie sprach. Jetzt klangen tiefe Glockentöne durch das Sausen in den Weiden. »Eins – zwei – drei – das ist schon Zehn. Nein, es ist schon elf. Und noch ein Schlag? Ist's möglich? Zwölf? Aber um Gottes willen! Wo ist die Zeit hin? Es ist ja, als wäre das Dorle erst vom Feld heimgekommen.« Aber länger bleiben kann man nun keine Minute. Das sagte jede, und doch hat keine den Mut, aufzubrechen. Man rettet sich vor sich selber wieder in das Warnen und Raten hinein. »Ihr geht nicht, Dorle!« »Um Gottes willen, bleibt morgen nur daheim!« »Daß die Leut' mich auslachen, wenn ich nicht geh'? Und ich geh' ja auch nicht,« lacht die Heiteretei. »Das ist mir viel zu niederträchtig. Ich fahr'.« »Ach du lieber Gott, wenn ich denk, wie jetzt das Dorle so frisch und lebendig mit uns red't, und morgen –« »Ei was! So wird Unkraut nicht über Nacht anfangen und verderben.« »Dorle! Dorle! wenn sie Euch morgen bringen!« »Dumm Zeug, und nu werd' ich bös'. Es kann jeder machen, was er will. Und ich geh', und so ist's, und nu ist's fertig.« »So lebt wohl, Dorle! Lebt wohl! Lebt wohl! Paßt auf, wir sehn uns nicht wieder. Wenn Ihr tot seid, wird's Euch schon reun. Ach, daß Gottes Barmherzigkeit! Ihr seid schon so gut wie tot. Ihr seid ein tot Mädle und Ihr bleibt ein tot Mädle! Und o! und ach! Lebt wohl, Dorle! Dorle, lebt wohl!« So klingen die Stimmen stöhnend und schluchzend durcheinander. Es ist, als wäre das schon das Leichengeläute der armen, eigensinnigen Heiteretei. Bald scheinen die Töne zu ersterben, bald heben sie sich wieder zu voller Macht, wie man vom Turme das Schwanken des schwarzen Zuges bald hinter grünen Bäumen verschwinden, bald wieder hervorkommen sieht. Durch das Wimmern der kleinen Glocken klingen die selteneren und tieferen Pulse der Valtinessin doppelt erschüttert. Es gehörte ein Wesen dazu, wie es die arme Heiteretei – vielleicht morgen nicht mehr besaß, die unzähligen Umarmungen zu überstehen. Wer der Heiteretei nicht mehr habhaft werden konnte, der ergriff die nächste andre. Wer keine einzelne mehr fand, umschlang eine ganze umschlungne Gruppe. Es war ein wahrer Scheideknäuel, eine durcheinander gewirrte Strähne Abschiedsgarn von Armen, Haubenschleifen, blauen Mänteln und auf fremde Schultern gelehnten Haubenfleckchen, die der Engel des Jammers, der bleich über dem Ganzen schwebte, mit Tränenströmen übergoß. Und so oft die natürliche Erschöpfung des Gefühls den Knäuel lockerte, so oft band ihn die Furcht vor dem Heimwege in tiefer Nacht aufs neue zusammen, bis endlich ein fürchterliches Gebrüll vor der Tür ihn schonungslos mit einem Ruck zerriß. Und eine schauerliche Stimme sprach – o, es war wie frische Luft für einen Erstickenden, daß sie sprach: »Ihr Herrn und laßt euch sagen«. Und sie schien auch nicht mehr schauerlich, als man einmal wußte, sie gehörte dem alten Diktes. Die Gelegenheit einer männlichen Begleitung mußte man benutzen, und wie sie hinter dem alten Diktes herzogen und mit ihm von Zeit zu Zeit stehen blieben, wenn er tuten mußte, da sagte die Valtinessin: »Nun mög's gehn, wie es will. Wir haben das Unsrig' getan. Wir haben unsre eigne Sach' versäumt aus Christenlieb'. Ich wollt' gern was anders drum geben, wenn das Annedorle vernünftig wär'. Aber einen Kranz soll sie haben auf ihren Sarg, wie noch kein arm' Mädle in Luckenbach einen hat gehabt.« Die Tischlerin wollte beim Herausgehen ein Käuzchen gehört haben, das auf dem Holunder gesessen. »Dummes Zeug!« sagte die Heiteretei zornig hinter ihr her. »Weil Ihr selber Käuzle seid. Ihr kennt meinen alten lustigen Holunderbusch schlecht. Solch jammerig Gesindel läßt er gar nicht auf sich sitzen.« * Der Mann kämpft mit dem Unglücke. Das drohende sucht er abzuwehren, das vorhandene auszugleichen, und wo er das nicht vermag, unterliegt er ihm. Das Weib, wenn es nicht ausweichen kann, bezwingt das Unglück, innerlich durch die sinnliche Erleichterung im Jammer; es bezwingt das Unglück, indem es dasselbe genießt. Mag es nun die unbesiegbare Lust sein, einen Genuß zu teilen, den eine andre schon für alle bezahlt hat, oder wirkt der Jammer körperlich ansteckend wie das Gähnen; gewiß ist's, auch die stärkste kann sich nicht auf die Dauer enthalten, wenn auch nicht über das Unglück, doch über den Jammer mitzujammern. Und so wäre wohl die Heiteretei in das allgemeine barmherzige Getu der Weiber mit hineingezogen worden, wäre sie auch nicht selbst dessen Gegenstand gewesen. Der Widerwille gegen alles zur Schau getragne Gefühl, der gesunden, kräftigen Naturen eigen ist und sie oft hart erscheinen läßt, wo sie es am wenigsten sind, hatte sie beschützt, so lange jenes sich ihr in unmittelbarer Gegenwart aufdrang. Ihr Stolz auf ihre Kraft und Unabhängigkeit hatte sich diesem Widerwillen verbündet. Nun sie allein in ihrem Stübchen war, machte sich jener Einfluß erst allmählich und darum desto gewisser geltend. Sie fühlte sich trotz ihres Sträubens gezwungen, alles, was die Frauen bloß angedeutet hatten, auszumalen. Der Schlaf, auf den sie früher nie zu warten gebraucht, wollte diese Nacht nicht kommen. Und als er endlich nahte, suchte sie selber ihn zu entfernen. Noch diese Nacht, ehe sie zu Bette gegangen war, hatte die Annemarie gesagt: »Ich muß doch auch meinen Traum erzählen. Heint, wie die großen Weiber da sind gewest, da hab' ich das Herz nicht dazu gehabt.« »Ich mag's nicht wissen,« entgegnete die Heiteretei. »Und die Weiber haben alles das nur erdichtet gehabt. Ich hab' dumm Zeug genug müssen hören; fangt nun Ihr nicht auch noch an.« »Ja, guckt,« begann die Annemarie dennoch, »wie ich so gelegen hab', da ist auf einmal ein Mann an mein Bett kommen.« »Dummes Zeug!« sagte die Heiteretei. »Die Tür ist fest zu gewest.« »Ja, Dorle, wenngleich; und es war ja nur ein Traum.« »Warum träumt Ihr auch?« »Ja, Ihr meint, Bäs Annedorle, weil Ihr in Eurem ganzen Leben noch nicht habt geträumt? Wie ich noch jung bin gewest, da hab' ich auch wenig oder nix von Träumen gewußt. Da kann man nix dazu tun und nix davon. Wenn der Traum einmal gekommen ist, hernachen und so ist er da, da mög man wollen oder nicht.« »Ihr fürcht' Euch doch nicht gar davor?« fragte sie, als sie die Gänsehaut an den Armen der Heiteretei sah. »Ich fürcht' mich vor nix,« entgegnete die Heiteretei. »Und Ihr habt's Euch nur eingebildet, es träumt Euch, ein Mann stand an Eurem Bett. Wer weiß, was das ist gewest«. »Nein, Dorle, das hab' ich gewiß und wahrhaftig geträumt. Und guckt, ich seh' ihn noch so deutlich vor mir, wie ich Euch da seh.« »Warum habt Ihr ihn denn nicht fortgejagt? Ihr hättet ja nur mich zu rufen gebraucht.« »Ja, wenn ich hätt' gekonnt, Dorle, aber ich hab' nicht können Pips sagen.« Die Heiteretei schauderte innerlich vor dem Gedanken, was solch ein Traumbild mit einem hilflos daliegenden Schläfer vornehmen konnte. Sie hatte nie geträumt, und was sie von andern hatte erzählen hören, hatte ihr die Vorstellung gegeben, als sei es etwas Unheimliches, etwa wie eine Gespenstererscheinung. Manche Nacht war ihr's vor dem Einschlafen wie eine Angst gekommen, sie könnte heute träumen. »Und der Mann,« fuhr die Annemarie fort, »hat mir die Kehl' zugehalten. O, ich hab' mich gewehrt, aber ich hab's nicht ermachen können, bis er endlich selber gegangen ist.« »Und das habt Ihr gefühlt?« fragte die Heiteretei. »Ich spür's jetzt noch,« entgegnete die Alte. »Und seid auch nicht munter geworden?« »Behüte.« Die Heiteretei stellte sich das Traumbild der Annemarie nicht als ein wesenloses Gedankengeschöpf der Alten selbst, sondern in wirklicher äußerlicher Gegenwärtigkeit an dem Bette der Annemarie vor, etwa wie der Aberglaube sich Gespenster denkt. Die weißen Druckflecken, die auf ihrer Wange erschienen, rief der Gedanke hervor, daß ihr in einem ähnlichen Falle ihre Kraft nichts würde helfen können, wenn sie bewegungslos und schlafend liegen bleiben müßte. »Hernachen; guckt, Dorle, war ich auf einmal in der Kirchen.« »In der Kirchen? Und Ihr seid nicht aus dem Häusle gekommen?« »Im Traum, Dorle –« »Wenngleich, aber warum seid Ihr hingegangen in die Kirchen? So bei Nacht?« »Ja, Ihr denkt, Dorle, im Traum, da kann man's machen, wie man's will!« »Habt Ihr's denn nicht gewollt?« »Ja, daran hab' ich nicht können denken, ob ich will oder nicht, so schnell ist's gangen.« Auf der Heiteretei Wange zeigten sich wiederum die weißen Druckflecken, als sie schwieg. Endlich fuhr sie auf: »Dumm Zeug! ich mag nix mehr davon hören. Geht 'nauf in Euer Stüble. Es ist nunmehr Zeit. Morgen müßt Ihr früh auf. Mit der Sonn' fahr' ich fort.« »Aber wie Ihr seid, Dorle! In den Zainhammer wollt' Ihr morgen, so sehr die großen Weiber haben gebarmt, wo Ihr vielleicht bei Nacht durchs Ulrichsholz müßt? Wo Euch wirklich was kann passieren, da fürcht't Ihr Euch nicht, und vor einem Traum, wo doch nix ist, da fürcht't Ihr Euch! Denn wenn einer vorüber ist, so ist er vorbei, und bleibt nix haften davon. Das ist, wie wenn man in Gedanken was tut, oder es wird einem was getan.« »Wenngleich!« sagte die Heiteretei. »Und wenn's wie bloß in Gedanken wär', gefallen will ich mir einmal nix lassen. Von Fürchten übrigens ist da kein' Red'. Nu geht Ihr 'nauf und schlaft wohl, und so ist's und nu ist's fertig.« »Sie läßt sich einmal nicht abhalten,« hatte die Annemarie gesagt, indem sie mit schweren Füßen ihr Stübchen erstieg. Sie hatte ihren Tränen und Klagen freien Lauf gelassen, wozu sie in der Heiteretei Dabeisein den Mut nicht gehabt. Aber dazwischen hatte sie immer wieder einmal ihren grauen Kopf geschüttelt und gesagt: »Doch kurios, doch kurios! So hat doch jed's sein wund' Fleckle, und säh's noch so gesund aus.« Wir wissen nun, warum die Heiteretei nicht schlafen wollte. Die alte Angst vor dem Träumen war ihr wieder gekommen. Aber wenn sie auch wachte, nichtsdestoweniger hatte sie die ganze Nacht hindurch mit Mördern, Räubern, Gespenstern und Traumbildern zu kämpfen. Und immer reichte ihre Kraft nicht aus; sie mußte hilflos schlummernd sich alles gefallen lassen, oder sie lief und kam nicht vom Fleck. Sie glaubte nicht zu träumen, weil sie jeden Augenblick sich sagte: ich bin wach, und hielt sich zum erstenmal in ihrem Leben für krank. Denn auch der kalte Schweiß, der sie überströmte, war ihr etwas Fremdes. Das alles machte das sonst so starke Mädchen so kleinmütig, daß sie schon, ohne es sich zu gestehn, auf Vorwände sann, die ihr Daheimbleiben vom Zainhammer vor ihr selbst rechtfertigen sollten. Als der erste Strahl der aufgehenden Sonne den kleinen zerbrochenen Spiegel an der Wand, da litt sie's nicht mehr im Bette. Ihr erster Gang war regelmäßig an den nahen Bach, wo sie Gesicht, Arme und Nacken wusch. Wie sie die Tür öffnen will, fällt ihr ein: wenn der Holders-Fritz jetzt draußen lauerte? Noch ist kein Mensch sonst in der Nähe. Da schlug ihr die Glut der Scham ins Gesicht, und zornig stieß sie die Tür gewaltsam auf. Herein drang die frische Morgenluft und umdrang und durchquoll sie mit ihren kühlen Wogen. Da war mit eins die ganze Nacht mit ihren Gespenstern hinter ihr versunken und sie wieder die Heiteretei. Das erfrischte Blut floß wieder im alten, ruhig kräftigen Takt durch die gesunden Adern. Und als sie mit dem leeren Schiebkarren den Weg durch das tauige Gras nach der Straße hinabfuhr, da lachten die braunen Augen wieder mit dem blauen Himmel um die Wette. Wenn jetzt zwei Holders-Fritze hinter den Weiden hervorrauschten, es wäre ihr um so lieber gewesen. Es drängte sie geradezu, mit jemand anzubinden und aller Welt zu zeigen, sie bedürfe keines Schutzes und brauche den Stärksten nicht zu fürchten. Und doch erinnerte sie sich recht gut, das Liesle hatte geweint. Es hatte mit ungewohnter Heftigkeit die Pflegemutter nicht von sich lassen wollen, was es sonst nie getan. Die alte Annemarie hatte das als ein böses Vorzeichen gedeutet und in des Mädchens frisch abweisender Antwort nach ihrer Weise einen Frevel gesehen. Die Heiteretei mußte über die Alte lachen. Dieser war das Bedenklichste bei der Sache gewesen, daß die Heiteretei den gutmeinenden großen Weibern nicht gefolgt habe. Eine solche Sünde konnte nicht unbestraft bleiben, hatte sie gemeint, und wenn mit dem Wege nach dem Zainhammer auch auf der ganzen Welt kein weiteres Wagnis verbunden gewesen wäre. Bis nach dem Zainhammer sah die Heiteretei die Haube der Valtinessin von einem Ohr zum andern schweben. Im wachsenden Übermut agierte sie dem stillen Walde die ganze Abschiedsszene vor und stimmte in das Gelächter eines ihr etwa Begegnenden mit ausgelaßner Lustigkeit ein. Die ganze Geschichte von dem wilden Holder und seinem Auflauern kam ihr in der nüchternen Morgenluft wie ein dummes, drolliges Märchen vor. Es kam, wie die Warnerinnen geahnt hatten. Die Sonne stand schon tief, als die Heiteretei mit ihrer Last den Zainhammer verließ. Ehe sie das Ulrichsholz erreichte, begann es zu dämmern. Obendrein zogen von allen Seiten am Himmel Gewitterwolken auf. Die Schwüle wuchs mit dem Abend, statt abzunehmen. Im Ulrichsholze kam noch der Duft hinzu, der von den dürren Fichtennadeln auf dem Wege wie heißer Staub emporstieg. Und kein Lüftchen! Es war nicht, als schlummerte die Natur, sondern als läge sie im Starrkrampf und sähe, wie die schwarzen Wolken als Leichenmänner schon Anstalten machten, sie lebendig zu begraben, und sie ränge vergebens nach einem Hilferuf, nach einer Bewegung. Die Last der Heiteretei war heute eine weit geringere, als am Tage des Gründer Marktes, und doch schien sie ihr doppelt so schwer. Wie sehnt man sich auf solchem Wege nach dem Anblick eines Lebenden! Es ist, als bedürfte man eines tatsächlichen Beweises, die Welt sei nicht ausgestorben. Und ein einfaches »Grüß Gott« oder »Dank schön« berührt die schmachtende Seele mit kühlem Finger und verdoppelt die Rüstigkeit der Schritte. Wie anders wird es aber auch gesprochen, als am Tage und mitten unter dem lauten Getreibe der Menschen! Schon drei Viertelstunden mochte sie im Holze fahren, und noch war keine Seele ihr begegnet. An den hinabgegangenen Tag mahnte nur noch ein leiser violetter Schein, der hier und da immer seltner und flüchtiger an einem Föhrenstamm hinzitterte, wie eine verlorene Stimmung aus der Vergangenheit, die vergebens Erinnerung zu werden strebt. Und auch dieser verschwand, und die Nacht begann ihr Weben, ihren geheimnisvollen Haushalt in dem stillen Walde. Wie verhaltner Atem säuselte es, jetzt kaum hörbar, jetzt anschwellend und plötzlich wie vor Schrecken verstummend, dem Mädchen entgegen. Wie heimliche Tritte raschelte es erst fern, dann immer näher und plötzlich stillstehend, hinter ihr drein, als wollte es sie locken, sich umzusehen. Jetzt schleift etwas durch die Büsche. Dort ist's, wo der fahle Schimmer vorübergleitet wie ein Erbleichen über die Wange der Nacht, kaum zwanzig Schritte weit von der Heiteretei. Dort schleift es, als zöge einer einen schweren Körper in die Büsche sich nach, und die verbognen Zweige schnellten hinter ihm hörbar in ihren natürlichen Stand zurück. Der Schimmer kommt näher; er verschwindet und wie aus der Erde gewachsen oder plötzlich aus der Luft verdichtet, wird dafür etwas sichtbar wie Umrisse einer ungeheuern, abenteuerlichen Gestalt. Aber es ist kein Schreckbild, kein Gespenst, was da sichtbar wird. »Guten Abend allein,« sagte eine Frauenstimme. Sie kommt von einer Bäuerin, die einen Karren zieht. Und nun wird die Heiteretei gewahr: was erst von fern ein bloßer Schimmer und näher kommend ein Schreckbild schien, das sind mehrere große Bündel von weißem Tuch, die hoch emporragen über den Rand des Karrens. »Schönen Dank,« entgegnet die Heiteretei und richtet sich unwillkürlich höher auf. In dem Augenblick spalten sich auch die Rabenflügel des Gewitters am Himmel, und mit einer Art Trost bemerkt man, der Mond müsse aufgegangen sein, stecke er auch noch tief in Wolken. Wenn er nur erst herauskommt! Es ist Vollmond, und der Vollmond läßt kein Gewitter aufkommen und auch andres Schlimmes nicht. Unwillkürlich halten beide und lassen die Karren nieder; beide wischen sich den Schweiß von den Stirnen, und die Bäuerin sagt: »Ihr müßt es sein«. Die Heiteretei wundert sich, wer sie sein soll. »Ja, Ihr seid groß und stark, und vorhin schon, wie Ihr auf mich zugekommen seid, hab ich's an dem Klirren gehört, Ihr habt Eisen geladen. Ihr seid's! Nach Euch hat er gefragt –« »Gefragt? Nach mir? Möcht' ich wissen, wer!« »Ob Ihr mir schon begegnet wärt? Aber, Gott sei Dank, Ihr wart's noch nicht. Und wenn Ihr's schon wart, nein! Dem hätt' ich's nicht gesagt. Dem nicht. Und hätt' ich nicht die Axt gesehn, wie sie hat geblinkt! Er hat sie mit der Jacke zugedeckt, ich hab' sie nicht sollen sehen, aber sie war zu groß; ich hab' sie doch gesehn.« Die Heiteretei weiß immer noch nicht recht – aber ein Schauder über den andern rieselte ihr am Rückgrat hinab. »Nicht weil ich mich fürcht',« sagte sie erklärend zu sich selber; »sondern, daß ein Mensch so was soll können vorhaben.« »Ja, ich will's Euch nur verzählen,« begann die Bäuerin wieder und setzte sich auf ihren Karren zwischen die Bündel hinein. »Eine ganze Glockenstund' hab' ich schon nix anders in Gedanken gehabt, als: Wenn ich sie nur sollt' sprechen! Wenn ich ihr doch nur sollt' begegnen! Meinen ganzen Karren wett' ich da, hab' ich gedacht, er ist nicht Euer Bruder, wie er hat gesagt. Aber warum fragt Ihr denn! hab' ich gesagt. O, da hab' ich wohl gemerkt, wie verlegen er gewesen ist. Es wär' nicht sicher da im Ulrichsholz, hat er gesagt. Ja, hab' ich gedacht, das mein ich selber. Und wenn ich Euch begegnen tät', sollt' ich nicht tun, als hätt' er nach Euch gefragt. Ja, hab' ich gedacht, das mein' ich wieder. Und weil ich hab' wollen wissen, wer er ist, da hat er getan, als hört' er's nicht. Und weil er so getan hat, da sind Leut' gekommen, und das sind Leut' aus der Stadt gewesen. Ich hab' ihm ins Gesicht wollen sehen, da ist er fort gewesen. Die Leut' aus der Stadt haben aber gleich gesagt: Wenn das die Heiteretei wüßt'! Und wenn ich ihr begegnen tät', so sollt' ich's ihr um Gottes willen sagen. Und weil ich denk', daß Ihr die Heiteretei seid, so kehrt lieber wieder um, als daß Ihr dem in die Hände lauft. Aber ich hab' noch weit. Wenn Ihr mitwollt, so kommt.« Damit nahm sie ihren Karren wieder auf und fuhr ihres Weges weiter. Wohl möglich, die Heiteretei hätte ihren Rat befolgt, wußte sie sich nicht gekannt von ihr. Aber die Bäuerin sollte erzählen können, die Heiteretei habe sich vor jemand gefürchtet, sei vor jemand geflohen? Nein! Der Mensch war groß und stark, und wer weiß, vielleicht auch nicht allein. – »Und wenn's zwei Holder-Fritze wären,« sagte die Heiteretei zum Walde, warf die Lippen auf, daß der Wald hätte große Druckflecken auf ihren Wangen sehen müssen, war es Tag, und nickte noch obendrein mit dem Kopfe: »Ich fürcht' mich vor zwei solchen nicht. Wegen vier solcher kehrt' ich nicht um. Und so ist's, und nu ist's fertig.« Der Wald zitterte vor Verwunderung oder vor Schauder an seinen grünen Gliedern. Aber kaum nach zwanzig Schritten hielt die Heiteretei unwillkürlich an. Sie hörte, auch die Bäuerin blieb stehn, wahrscheinlich, weil sie merkte, die Heiteretei habe sich anders besonnen und werde ihr nachkommen. »Ja, hätt' ich's gleich getan,« sagte die Heiteretei; »aber nun ich gesagt hab', ich tu's nicht? Und hinter der drein, wie ein klein Kind hinter seiner Mutter?« – Und noch ehe sie sich selber geantwortet hatte, war sie schon wieder im Schritt und hörte auch die Bäuerin ihres Weges weiterfahren. Sie kam auch gar nicht zur Antwort. So plötzlich fiel ihr ein, daß der Grund, in den sie einbiegen müsse, der Blutgrund heiße. Zum ersten Male vertiefte sie sich in die Bedeutung des Wortes, das sie so oft und stets gedankenlos ausgesprochen und ebenso ohne Gedanken darüber aussprechen gehört. Und wie der Name, kam ihr auf einmal die ganze Gegend wie eine andre, wildfremde vor, der man es ansähe, daß hier etwas Schreckliches geschehen war oder noch geschehen sollte. »Dummes Zeug!« sagte sie endlich zornig zu ihren Gedanken. »Das wär', als wenn ich mich fürchtete.« Und im Gegenteil hatte sie nun erst recht Lust, in den Blutgrund einzubiegen; obschon ihr einfiel, alle Leute sagten, der Weg durch den Bühel gehe gar nicht viel, oder eigentlich gar nicht um; er sei viel ebner und breiter als der Blutgrund; nicht jeden Augenblick bleibe man dort in Baumwurzeln stecken, wie hier. »Fürchten tu ich mich nicht. Soll ich deshalb jeden Augenblick in Baumwurzeln steckenbleiben, weil eins denken könnt', es wär' aus Furcht, wenn ich's nicht tu? Und wo's nicht einmal jemand sieht!« So dumm wollte doch die Heiteretei sich selber nicht vorkommen, wollte sie sich's auch nicht gestehn, wie viel leichter es ihr war, als sie den Eingang zum Blutgrunde eine gute Strecke hinter sich hatte. Endlich nahm das Holz ein Ende. Sie war nicht mehr weit vom Leinfelde ihrer Base. Und nun verflachte sich auch das Gewölk vor dem Monde zusehends. Nur noch ein wenig dünner die dreieckige Wolke da, und sie konnte durch die Erlen und Weiden am Bache den Knopf vom Luckenbacher Kirchturme funkeln sehen. Und der Bach, der neben ihrem Wege hinglitzerte und etwas weiterhin ihn durchschnitt, war ja der Zehntbach, derselbe, der daheim an ihrem Häuschen vorbeifloß, derselbe, in dem sie alle Morgen sich wusch, darin sie sich gebadet in so mancher warmen Nacht. Dennoch überrieselte sie von neuem ein Schauer, als ganz nahe bei ihr ein leises »Pst« sich hören ließ. »Fahrt den breiten Weg, Dorle, den über die Herrnmühl',« flüsterte eine Stimme, »und macht, daß er Euch nicht ansichtig wird.« Wer spricht? und wo? und wer soll ihrer nicht ansichtig werden? und wo ist er? Ein blasses Gesichtchen taucht neben ihr auf aus dem dunkeln Gebüsch. Das kleine, lahme Walkmüllers-Gretle ist die Warnerin. Sie stößt die Krücke in den weichen Boden fest ein und streckt sich, mit dieser sich stützend, auf ihrem gesunden Beine, so hoch sie kann. Mit dem mageren Ärmchen zeigt sie nach dort, wo der Bach quer über den Weg läuft. »Dort, auf dem Ulrichssteg, dort steht er und lauert schon eine Stund' lang. Macht geschwind, sonst wird er Euch noch gewahr!« Ein flüchtiger Blick des Mondes durch eine Lücke im leichteren Gewölk streifte jetzt dienstfertig den Steg und die dunkle Gestalt, die darauf steht. Es ist, als wolle auch der Mond das Schreckliche nicht geschehen lassen. Im nächsten Augenblick ist's wieder so dunkel dort, als vorher; aber sie sieht ihn noch, der auf dem Stege steht: und wär's ganz Nacht, sie würde ihn noch sehen. Einen Tumult der entgegengesetztesten Gefühle wühlt der Anblick aus ihrem tiefsten Herzen auf; dazwischen zucken wie Blitze fieberhafte Gedanken durcheinander hin. »Also ist's doch? Also doch lauert er mir auf? Und was hab' ich ihm getan? Warum gerad' er?« Alle diese Warnungen, Träume und Vorzeichen, alle Schreckgeschichten der letzten Nacht wachsen aus dem Boden vor ihr auf wie riesengroße Schattengestalten und dräuen sie zurück. Sie sieht die Haube der Valtinessin, aber sie kann nicht lachen. Dazu die Reden der Bäuerin vorhin im Ulrichsholz. Sie sieht das Kind, das sie weinend zurückhalten will. Sie sucht Hilfe in ihrem Innern und findet nur den Gedanken: »Ein Weib ist doch kein Mann!« Sie weiß, sie wird sich des Gedankens schämen im nächsten Augenblicke. Aber sie fühlt, jetzt ist er ihr Herr. Sie biegt schon mit den Augen in den Weg ein, den das Gretle ihr geraten hat. Aber wie die Füße folgen wollen, sieht sie, der Schneider kommt den Weg her; sie müßte ihm begegnen. Da schlägt ihr die Scham wie eine Flamme ins Gesicht. Sie hört seinen, des Schmiedes und des Webers Gelächter und Spott schon in Gedanken. Unwillkürlich tut sie einige Schritte weiter dem Verfolger entgegen. Über die Mündung des andern Weges einmal hinaus, kann sie nicht mehr zurück. Das würde den Spott erst gewiß machen. Aber ist's nicht besser, sterben, wenn's sein muß, denn leben, der nimmer endenden Furcht und Selbstverachtung preisgegeben? oder drinnen in der Stube dem Hungertod doch eine gewisse Beute? Denn die Warner bringen Rat dahin, aber kein Brot. – Als ob man sterben müßte! als ob es ausgemacht wäre, der Holders-Fritz sei stärker als sie! Und wenn er's wäre! Und trotz seinem Beil! Naht sie ihm, dicht am Bache hinfahrend, von den Erlen versteckt, kann er sie nicht sehen, das Beil nicht heben, bis sie an ihm ist. Im weichen Grase rollt der Karren nicht, klirrt das Eisen nicht. So mit dem Vorteile des ungeahnten Angriffs, mit ihrer ganzen Kraft, durch Verzweiflung des Augenblicks verdreifacht, Gedanke und Ausführung eins! Da müßte es doch – – – – Ja, und es geht auch nicht mit unrechten Dingen zu. Der Verfolger liegt im Bache, und die Heiteretei ist schon weit über den Steg hinaus, ehe es ihr gelingt, den Karren und sich selber anzuhalten. * Wir müssen nun einen Rückblick auf das Treiben des wilden Fritz werfen seit dem Gründer Markt, um zu erfahren, ob er sein trauriges Schicksal verdient hat, und ob er's um die Heiteretei verdient hat, durch welche es ihm geworden. Wir folgen dem lärmenden Haufen seiner Kameraden und dem Holders-Fritz selbst vom Hohlwege vor der Stadt, wo wir, nach dem Zank über den Karren hinüber, sie sich selbst überlassen haben, nach »der Schwane«. Nicht weit von unserem Ausgangspunkte klingt uns schon Musik entgegen. Zuweilen wird diese von dem Geschrei vieler durcheinander zankenden Stimmen übertönt. Dann macht ein lustiger Juchheruf Frieden, der aber nicht von langer Dauer ist. Der Adams-Lieb schüttelte sich vor Lust beinah' aus seinen Kleidern heraus, die ebenso wie sein gewöhnliches altkluges Wesen auf den Zuwachs berechnet schienen. Die sind schon übereinander. »Mach zu, Fritz! Wir kommen gerade recht.« »Aber wie bist du nur heint?« unterbrach er sich selber. »Ich mein, du hast deine Ohren bei deinen Gedanken stecken, und die sind, wer weiß wo. Den ganzen Tag schon weiß man nicht mehr, wie man mit dir dran ist.« Der Fritz schwieg und bejahte dadurch, ohne es zu wissen. Nun biegen wir um eine Straßenecke. Das Haus, das uns gegenüberliegt und aus allen Fenstern lichte Scheine auf das nasse Pflaster wirft, über welches umschlungene Schattengestalten sich lautlos drehend, hinweghuschen, ist »die Schwane«. »Fritz!« schrie ein andrer, »du wirst doch nicht in das Deichle laufen?« An einem Hause hin dehnte sich gemächlich und ungehindert eine Art Pfuhl, dicht von schwimmenden Brunnenröhren bedeckt, die entweder den Hineingeratenden vor dem Untersinken oder sich selber vor dem Verlechzen bewahren sollten. Davon stieg eine Verbindung von Jauchen- und faulem Holzduft auf, welche die Warnung des Kameraden hätte entbehrlich machen sollen. Wenige Schritte noch und sie sind, in die Torfahrt eingetreten, an der Wirtsstubentür »der Schwane«. »Gehn wir nicht gleich 'nauf in den Saal?« fragte der Adams-Lieb halb verwundert, halb ärgerlich, als der Fritz die Tür öffnete. »Ja, du willst erst einmal trinken,« beruhigte er sich selber. Und so war's. Die Kameraden intonierten das klassische Lied: »Bier her, Bier her, oder ich fall' um«. Sie meinten, nur schnell im Durchgehn einen Trunk zu nehmen; aber auch darin erregte der Fritz wiederum ihren Ärger und ihre Verwunderung zugleich, daß er sich setzte, und zwar mit einer Entschiedenheit, als wollte er nie wieder aufstehen. »Bier, Käterle,« rief der Holders-Fritz; »aber gleich sechs Maß für mich allein. Das Bestellen allemal ist mir zuviel.« »Du bist doch gar nicht mehr wie sonst,« sagte der Adams-Lieb; »damit hätt's Zeit gehabt bis hernachen.« Aber der Fritz entgegnete: »Dumm's Zeug!« und begann dem inzwischen vor ihn auf den Tisch gestellten Getränke fleißiger zuzusprechen, als ein bloß menschlicher Durst rechtfertigen konnte. »Er ist noch auf die Heiteretei wild,« sagte ein andrer. »Der wird er's schon zeigen,« meinte der Adams-Lieb. »Aber daß du den Lärm oben kannst hören und machst nicht mit, Fritz, das weiß ich nicht, wo ich's hintun soll. Du bist doch immer ein Kerl gewest. Schon in der Schul', sagen sie, bist du der G'scheitst', aber auch der Allerwild'st gewest. Und so hast du's hernachen fortgemacht in der Lehr' beim Meister Schramm, und hernachen, wie du Meister bist gewest, erst recht. Na, der mag geschüttelt haben!« »Gelt,« fragte ein andrer, »mit dem Morzenschmied bist du in die Schul' gangen? Hernach ist der Kaspers-Andres dein Kamerad gewest. Und nach diesem der Tuchscherer in der Weidengass'.« »Das sind alles alte Philister geworden,« lachte der Adams-Lieb. »Und dein letzter vor uns, der Schleiermüller, der tut auch schon, als wenn er den alten Schloßturm auf seinen Armen hätt' getragen, wie der noch ein Wickelkind ist gewest. Und ist kein fünf Jahr älter wie ich. Die haben sich alle vor den Leuten gefürcht't, und was die sagen. Du bist ganz allein frisch und jung geblieben. Du bist doch ein ganzer Kerl. Du machst dir aus allen Leuten nix, und so muß ein rechter Mann sein. Aber nu' geh' zu, daß wir 'naufkommen in den Saal. Den mußt du heint noch räumen; das sag' ich dir. Wenn du noch lang' machst, geh ich erst einmal allein. Ich muß wenigstens erst sehen, was es gibt.« Unterdes beginnt der Holders-Fritz alles mögliche, in das alte Wildtun hineinzukommen. Aber es gelingt ihm nicht. Wild und toll ist er genug, aber auf andre Weise, als er es sein möchte. Er ist toll auf die Heiteretei, daß sie keinen Respekt vor ihm hat; und daß er sich gestehen muß, sie habe recht daran, das macht ihn noch wilder auf sie. So deutlich ist's ihm noch nie geworden, daß der rechte Respekt nicht durch die Kraft seiner gewaltigen Arme und sein gewohntes Wildtun zu erzwingen ist. Darum ist er toll auf dieses Wildtun selber, das ihm nun wie das Treiben dummer Jungen vorkommt. Seit er im Jüngling steckengeblieben und Geschlecht um Geschlecht an ihm vorüber in die Reihen der Männer gerückt, hatte es an Selbstvorwürfen und innern Mahnungen nicht gefehlt. Sie waren immer häufiger und dringender geworden; auf der andern Seite hatte aber auch die Gewohnheit das alte Geleise immer mehr ausgetieft. Je nötiger es erschien, aus diesem herauszukommen, um so schwerer erschien es auch. Eine solche Anwandlung hatte ihn heute vom Besuche des Gründer Marktes abgehalten, die alte Gewohnheit aber wiederum den Kameraden in die Hände geführt. Er sagte sich nun: »Ich hab' anders wollen werden und wär's geworden, aber nun die Heiteretei denken müßt', ich tu's, weil sie's hat gewollt, nun geht's nicht!« Das will er sich aufreden, eben weil er fühlt, daß die äußere Anregung durch sie notwendig war, daß diese erst seinen Stolz gegen seine Kameraden aufrufen müssen, um ihn loszulösen aus den festhaltenden Armen der Gewohnheit. »Ich hab' mehr so dumme Gedanken gehabt,« sagte er zu sich selbst, »aber ich hab' sie nicht lassen aufkommen. Hernachen bin ich noch wilder gewest, bis ich sie losworden bin.« Und das will er eben wieder, aber es gelingt ihm nicht mehr. Der alte Zauber ist gebrochen. Ein neuer zwingt ihm den Gesichtspunkt der Heiteretei unentrinnbar auf. Er sieht sich um. »Wenn doch einer käm' und was tät', daß ich wild werden müßt', ich möcht' wollen oder nicht!« denkt er. Er tritt sich selber auf den Fuß, er fährt alle Augenblicke zausend mit der Hand durch sein Haar, weil's ihm kein andrer zu Gefallen tun will. Er trinkt immer hastiger und wird nur immer nüchterner davon. Jetzt kam der Adams-Lieb wieder und jubelte. »Die haun sich da oben und wissen nicht, warum! So ein Spaß ist noch nicht gewest. Da sind keine zwei Parten, die's aufeinander halten, sondern jeder haut, was ihm vor die Faust kommt.« Und gleich hinter dem Adams-Lieb her kam ein Zimmergeselle wie aus einer Kanone in die Wirtsstube hereingeschossen. Aus eigner Macht, ohne fremde Nachhilfe, hätte er nimmermehr so schnell hereinfahren können. Sobald er das Gleichgewicht wiedergefunden hatte, sah er sich herausfordernd um und schien die Anwesenden für die hilfreichen Geister anzusehen, deren Beistand ihn hereinbefördert. »Nur her,« schrie er, »wenn ihr das Herz habt, ihr Lumpenpack!« Der Adams-Lieb und die übrigen Kameraden zogen sich hinter die mächtige Gestalt des Holders-Fritz zurück. Der Adams-Lieb bewies dem Holders-Fritz, er dürfe eine solche Herausforderung nicht abweisen um seines Namens willen. Er begriff den Holders-Fritz nicht mehr. Unterdes waren dem widerwilligen Eindringling mehrere gefolgt. Der Holders-Fritz hörte das »Hetz! hetz!« der Heiteretei wieder in seinen Ohren. Er sah, wie der Adams-Lieb und seine übrigen Kameraden sich zuwinkten. Das hatte er hundertmal gesehen, aber halb aus Gutmütigkeit, halb aus Bedürfnis ihrer Gesellschaft nicht gerügt. Dadurch waren sie sicher geworden. Jetzt kam ihm der Zorn. Er begriff, sie legten ihm seine Gutmütigkeit für Einfalt aus. Und wer weiß, was geschehen wäre, fiel ihm nicht ein: »Das war's ja, was die Heiteretei hat haben wollen!« Die ganze Stadt und sie selber müßte glauben, er folge ihr wie ein gescholtener Schulbube seinem Lehrer. »Greif nur einer den Holders-Fritz an,« schrie indes der Adams-Lieb hinter dem Holders-Fritz hervor, »wenn er das Herz hat!« Er erreichte seine Absicht Denn die Eingedrungenen kamen auf den Holders-Fritz los, der noch immer an sich spornte. Die Kameraden ließen den Sitzenden und hielten sich die Türe frei. Der zuerst Hereingeschossene machte mit der rechten Faust eine keineswegs zweideutige Bewegung nach dem Kopfe des Holders-Fritz. Da fuhr dieser empor. Eine kleine Weile schien die Wirtsstube in eine Walkmühle verwandelt. Das ging klipp, klapp! Bald verengte, bald erweiterte sich der Knäuel, bis er auseinanderflog und stückweise durch die Tür verschwand. Der Holders-Fritz war alles, was davon übrig blieb. Wunderbarerweise hatte er in den Zimmerern eigentlich auf seine Kameraden losgeschlagen. Wenigstens war es erst nur der Zorn über diese gewesen, den er an jenen ausließ. Aber der Kampf gebiert einen neuen Zorn aus sich, wie ein Gewitter einen heftigern Sturm aus sich entwickelt, als der es zusammengeblasen. Es wäre schwer zu sagen, auf wen der Fritz eigentlich zornig war. Er war's auf die Heiteretei, auf die Kameraden, auf die Zimmergesellen, auf die ganze Stadt, auf sich selber; er war zornig auf das alte Leben, das ihn anekelte, aber auch auf das neue, das er beginnen mußte, wollte er jenes lassen. Er schämte sich vor sich und aller Welt, zu bleiben, wie er war; aber er schämte sich auch vor sich und aller Welt, anders zu werden. Es war wiederum mehr der Drang, sich durch die Betäubung des Kampfes von allem dem wenigstens auf Augenblicke zu befreien, was ihn hinauftrieb in den Saal, der bereits den Anblick eines Schlachtfeldes bot. Das war ein wildes, buntes Durcheinander, das sich, in einen Schleier von Staub und Tabaksrauch verstrickt, hin- und herwälzte. Da sah man, was man nie gesehen. Da waren Beine, die wie Arme in der Luft herumgriffen, Arme, die wie Beine auf dem Boden umherliefen, dazwischen Köpfe, die den Mund oben, und andre, die ihn unten hatten, menschliche Rümpfe in allen Stellungen, die nur möglich. Welches sterbliche Auge hätte bestimmen mögen, was zusammengehörte? Mit überraschender Behendigkeit tanzten Stuhlbeine dazwischen und flogen Bierkrüge in allen Richtungen wie aufgescheuchte Vögel darüber hin. Wunderbar war die gegenseitige Anziehungskraft von Köpfen und Fäusten, die Zutulichkeit, womit ganze Haarbüschel sich um fremde Finger schlangen, die Ausdauer, mit welcher gekrümmte Fingerknöchel anpochend untersuchten, ob unter einem Schädel nicht hier oder da eine hohle Stelle sich finde, oder was eine menschliche Nase eigentlich auszuhalten imstande sei. Die Musikanten hatten der Versuchung nicht widerstehen können, auf dem Orchester all die Kunstfertigkeiten, die sie unten im Saale üben sahen, nachzuahmen. Trompete und Posaune, Klarinette und Geige wollten sich von bloßen Stuhlbeinen nicht beschämen lassen. Über Mangel an Musik dabei zu klagen, wäre keinem menschlichen Gehör eingefallen. Eher war der Musik zuviel. Für die wenigen Instrumente, die unter die Stuhlbeine gingen, ward jedes Stuhlbein zu einem musikalischen Instrumente. Das ganze Getümmel war ein großes, sausendes und quiekendes Hackbrett, das sich selber mit Stuhlbeinen schlug. Aus dem Gewoge der kämpfenden Männer ragten Tische und Bänke, wie die letzten Bergspitzen aus den steigenden Wassern der Sündflut. Auf diese hatten die Töchter der Riesen sich geflüchtet. Mit Entsetzen sahen sie, wie die Köpfe ihrer Tänzer, hineingerissen in die brausenden Wellen, vergeblich sich emporzuheben rangen; zuweilen spülte eine Woge die Schreienden von der Klippe herab und zog, die Scheitel mit den Gewändern der Stürzenden gekrönt, sie drehend in den Strudel hinein. Aber wie die Arche Noah, hoch über allen, zogen Schultern und Haupt des wilden Fritz ihre Spur. Vor ihm bäumten sich die Gewässer und hinter ihm zeigte sich Land. Nicht eine halbe Stunde, und er stand in dem weiten Saale unter Stuhlbeinen, gescheiterten Tischen, zerbrochenen Bierkrügen und Fensterscheiben verschnaufend allein. Die kühle Nachtluft, die durch die zerschlagnen Fenster hereinblies, mit dem Staube ein kleines Nachtspiel aufführte, und die wenigen Lichter, welche die Schlacht verschont, in ein angstvolles Zittern versetzte, sagte zu ihm: »Wir beide sind die Sieger.« Aber schlimmer, als außer ihm, sah es im Innern des wilden Holders-Fritz aus – weit öder noch, weit wüster und nüchtern überwachter. Dem »Schwanewirt« mußte es viel leichter werden, seine Stuhlbeine wieder zusammenzubringen, als das dem Fritz mit seinen zerrißnen und verworrenen Gedanken gelang. Und es war ihm nicht etwa wie jenem an der Erhaltung des noch Vorhandnen gelegen. Er wäre lieber seine ganzen Erinnerungen und sich selbst mit losgeworden. Mechanisch sah er sich nach seinen Kameraden um; aber es fiel ihm ein, in der Hitze des Kampfes hatte er vergessen, daß er sie schonen müsse, solle die Heiteretei nicht triumphieren. So hatten sie das Los der Zimmergesellen geteilt. In der Tür tat er noch einen Blick zurück. Der Saal gemahnte ihn wie sein altes Leben. Nichts als Trümmer nutzlos vergeudeter Zeit und Kraft. Und darüber brütend, statt Staubes und Tabakrauches, Ekel, wüster, öder, grenzenloser Ekel. »Bursch!« fuhr er auf, indem er sich an der Brust packte mit einem Griff, der einen andern aus dem Gleichgewicht gebracht haben würde, »nun ist's aus mit dem Wildtun, das sag' ich dir! Die alte Zeit hat aufgehört. Hierher kommst du mir nicht wieder!« Und so warf der Fritz, nachdem er das mit all den andern aus dem Saale der Schwane getan, sich selber zugleich aus dem alten, wüsten Leben hinaus. * Es war nicht mehr früh, als der Holders-Fritz erwachte und sich auf einer Schnitzbank in den Stadeln sitzen fand. Eben klang die Glocke vom Kirchturm; er zählte neun Schläge. Er sah sich nach seinen Gesellen um, die eigentlich schon seit drei Stunden in voller Arbeit sein sollten. Er war allein. Endlich kam der Lehrling und öffnete das Stadeltor. Er sah überwacht aus. Dem Holders-Fritz fiel zum erstenmal auf das Gewissen, wie sehr zu seinem Nachteil der Junge sich verändert hatte, seit er bei ihm war. Er hatte in voller Jugendlust und Gesundheit geblüht: jetzt erschien er verdrießlich und sein verbleichtes Gesicht trug unverkennbar die Spuren einer wilden Nacht. Die Stimmung, in welcher der Holders-Fritz sich befand, war der Spiegel, den des Lehrjungen Zustand ihm vorhielt, nicht zu verbessern geeignet. Der Junge warf sich gähnend und dehnend in eine Ecke und bot, da der Schrecken über den unvermuteten Anblick seines Meisters ihn in seiner Stellung versteinerte, ein seltsames Schauspiel dar. »Wo sind die Gesellen?« fuhr ihn der Meister an. »Ist's etwa sechs, daß du erst kommst?« Der Junge raffte sich auf und sagte noch immer in staunendem Schrecken: »Herrje, der Mäster ist schon auf!« Der Holders-Fritz las ohne Mühe die Antwort aus dem Ausrufe heraus: »Ja, wir richten uns nach dem Meister. Früher kommt der auch gewöhnlich nicht.« Er begriff, warum keine Arbeit mehr fertig werden wollte. Das hätte er schon früher einsehen können; aber ihm war das Handwerk zum Ekel geworden, seit ihm die Arbeit keine Freude mehr machte. Die Arbeit freute ihn nicht mehr, seit sie ihm nicht mehr gelang, und sie gelang ihm immer schlechter, je weniger sie ihn freute. Er mußte sich zur Arbeit zwingen, das machte sie ihm völlig verhaßt. Und was er nicht gern tat, daran dachte er auch nicht gern. Er ließ die Sache gehen, wie sie ging. Zum Überflusse fand er einen Brief von seinem bedeutendsten Kunden vor, der schrieb: wenn man nicht bessre Arbeit liefre, müsse er weitergehn. Sonst war des Holders-Fritz Stolz gewesen, der wildeste, aber auch der geschickteste Meister zu heißen. Er sah, er konnte nur noch für den wildesten gelten; das regte ihn noch mehr auf. Alles Unangenehme, das er bis jetzt, sich in Wildheit betäubend, abgehalten hatte, drang nun unabwehrbar zugleich auf ihn herein. Die Gesellen, von denen wir den Saalfelder bereits kennen, waren ebenso erstaunt, als es der Lehrling gewesen, wie sie, langsam und mit Gähnen daherschlendernd, den Meister schon vorfanden, und zwar mit zornigem Gesicht. Der Saalfelder meinte, sich ihn zu gewinnen, wenn er dessen gestrige Heldentat in der Schwane, die schon bekanntgeworden war, durch Lob und Preis verherrlichte. So war es ihm schon öfter gelungen, wieder gut Wetter zu machen. Dieses Mal geschah das Gegenteil. Der Meister stellte eine strenge Untersuchung an. Es fand sich, daß ein großer Teil des ehemals übervollständigen Werkzeuges gänzlich fehlte, ein andrer in den traurigsten Umständen war. Das Ende davon fiel dahin, daß der Saalfelder auf der Stelle fortgeschickt wurde, und der Hanauer, der sich in manchen Dingen nicht rein wußte, die noch zur Sprache kommen konnten, selber ging. Wiederum hatte der Holders-Fritz Gelegenheit gehabt, sein eignes Bild in zwei treuen Spiegeln zu sehen. Das lange, wilde Haar besonders, das beide Gesellen nach dem Beispiele des Meisters trugen, das Symbol seiner bisherigen Lebensweise, war ihm so widerwärtig geworden, als diese selbst. Ihm schien's, als beseitige er alles, wovor ihm ekelte, als er mit dem Schnitzer durch seine dicken Locken fuhr und ihrer wilden Hoffart ein Ende gab mit Schrecken. Ein ähnliches Schicksal traf die Baumelquasten und das lange weichselne Pfeifenrohr; die erstern wurden gänzlich vernichtet, des letztern Länge auf ein bescheidenes Maß zurückgeführt. Der Holders-Fritz war nur eben fertig und hatte sich zur Arbeit auf seine Schnitzbank gesetzt, als der alte Meister Schramm in die Werkstatt trat. Wir wissen, welchen Erfolg seine Mahnung hatte. Die Änderung, welche der Holders-Fritz mit seiner Lebensweise vorzunehmen im Begriffe war, sollte das Werk seines freien Entschlusses scheinen. Sie sollte womöglich den Leuten zum Trotze geschehen. Die Leute hatten natürlicherweise von Anfang an schon sein Treiben nicht rühmenswert gefunden. Es war ihm leichter geworden, ihre Mißbilligung zu verachten, als zu benutzen; und wie der Mensch in seiner unbewußten Beifallsbedürftigkeit endlich in jeden Tadel einen Beisatz von abgezwungnem Lob oder gar Bewundrung hineinhört, so war es dem Holder mit dem Namen des wilden Fritz gegangen. In dem Kreise seiner Kameraden verlor er allmählich vollends das Ohr für rechtes Lob. Eine Reibung führte zur andern; seine erst eigenwillige Absonderung zwang ihn endlich, die Gewalt der öffentlichen Meinung, der kein ehrgeiziges Gemüt sich entziehen kann, da ihm der Weg freiwilligen Einstimmens nicht mehr offen stand, durch den Trotz anzuerkennen, den er ihr geflissentlich bei jeder Gelegenheit entgegensetzte. Die Ermahnung des alten Meisters mußte deshalb das Gegenteil von dem bewirken, was dieser damit beabsichtigte. Wirklich hätte der Trotz, wider die Meinung der Leute zu schwimmen, den Holders-Fritz fast zu einem Rückfall in sein altes Treiben verleitet, wenigstens zu einer auffallenden Kundgebung gegen sie. Er wäre dem alten Meister nachgerannt, um vor seinen Augen in das erste beste Wirtshaus einzutreten. Aber zur rechten Zeit fiel ihm ein, daß er dann in seinen geschornen Haaren nur einen Beweis für das Gegenteil zur Schau tragen würde. Der Lehrjunge mußte mit seiner Arbeit vor den Stadel hinaus. Er selber riegelte das Tor hinter ihm zu. Die offne Tür in dem Stadelgarten gab ihm Licht genug. Niemand sollte ihn sehen, bevor seine Haare wieder zu der alten wilden Herrlichkeit herangewachsen waren. Draußen hielt mancher Vorübergehende eine Weile an, um bei dem Lehrjungen nach dem Fritz zu forschen. Es kam auch mancher, um nach bestellter Arbeit zu fragen oder neue zu bestellen. Hörte der Fritz sein wildes Wesen loben und bewundern, dann freute er sich und sagte: »Ja, denen zum Trotz soll's anders werden.« Tadelten sie ihn aber und wünschten, er möge sich bessern, dann war es gut für den neuen Entschluß des Fritz, daß er gegen seine Haare gewütet hatte. Zum Glück geschah das erstere öfter als dieses. »Wenigstens sollen sie nicht denken,« sagte er, »daß ich's tu.« Vor Zorn und Langerweile bei der Arbeit, die nicht geraten wollte, schnitt er zuweilen wie rasend in die Reife hinein. Dann sagte er sich: »Pfui, Bursch! Das ist immer wieder das alt Wildern, und der Heiteretei und allen Leuten zum Trotz werd' ich ein andrer!« Mittags ließ er sich das Essen holen. Er konnte sich denken, die Großmutter, die ihm sein Hauswesen besorgte, werde selber kommen, um zu sehen, was er mache, weil sie an seinem unberührten Bett bemerken mußte, er sei über Nacht außen geblieben. Er ließ es ihr verbieten. Er fürchtete auch, ihre Freude, wenn sie ihm seinen Änderungsentschluß anmerkte, würde ihm diesen verleiden. Allmählich begann die Arbeit, mit der er sich zuerst nur zu betäuben gesucht, ihn zu zerstreuen. Darüber fand er seine Lust daran wieder. Dann sah er mit Freude, wie sie ihm besser gelang, immer schneller ihm von den Händen ging. Abends freute er sich über die kräftige Müdigkeit, die ihm eine Nacht gesunden Schlafes versprach. Das war eine ganz andre Empfindung als die geistige Abspannung von dem wilden Müßiggang. Er fühlte, sogar die Folgen der letzten wilden Nacht hatte die Arbeit und die wieder erwachte Freude daran beseitigt. Nach dem Feierabend ging er nicht heim. Die Werkstatt begann ihm so lieb zu werden, daß er sich nicht von ihr trennen mochte. Aus Stroh machte er sich ein Lager zurecht. Der Lehrling mußte ihm sein Kopfkissen und seine Decke herbeiholen. Ehe er sich darauf zur Ruhe begab, ging er durch die Hintertür in den großen Gras- und Baumgarten, der zum Stadel gehört, hinaus, um die Abendkühle zu genießen. Er hatte die schöne Ruhe in der Brust, womit ein fleißig durcharbeiteter Tag zu lohnen pflegt. Alles sonst mag stehen, wie es will, der Arbeiter fühlt, daß er sich ein Asyl erworben hat, in welches selbst die Sorge um den nächsten Morgen nicht mit Heftigkeit eintreten darf. Er hat das Seine getan, für die Seinen getan; er kann und darf an einen andern glauben, der auch das Seine für ihn tun wird als für den Seinen. Vielleicht war es dieses Gefühl, das alles, was ihm naht, verklärt, warum dem Holders-Fritz der Garten so schön vorkam, wie nie vorher. Was war das für eine andre Luft als in den dumpfen, rauchigen Bierstuben! Er ging unter den blühenden Bäumen hin durch das grüne Gras. Er empfand, nur wer sein Bestes gegeben hat, besitzt den Sinn, wiederum das Beste andrer zu empfangen. Wie er den Tag tätig war, ist am Abend alles tätig für ihn. So haben ihm sonst die Blüten nicht geduftet, so weich hat das Gras ihm die wandelnden Füße nicht gebettet, so emsig hat die Luft ihn nicht gekühlt. Es arbeitet alles um den Preis, den er bereits in der Brust trägt. Alles will so zufrieden sein können, als er es ist. Der Trotz gegen die Heiteretei, gegen die Leute schlummert; er hat ihn mit den Leuten vergessen. Hat er auch die Heiteretei vergessen? Sie wird schon sorgen, ihn an sie zu erinnern. Und an den wilden Fritz dazu, den er froh ist, vergessen zu haben. Denn das ist sie doch, die umschlingend und umschlungen da drüben mit dem Nagelschmiede geht? Der ist's, es ist sein Stadelgarten, der zweite nach Reick zu von dem des Holders-Fritz. Und die Heiteretei ist's auch; es gibt nur ein Mädchen so hoch und schlank in Luckenbach. Es ist ihr kleiner Kopf, der lange Oberleib und die schmale Mitte; es ist der rote Unterrock, und es ist auch ihr federnder Gang, ihre trotzige Nackenhaltung, der dicke Zopf, der ihr bis auf den Hals hinabwuchert. Es sind ihre Bewegungen, das Wegwerfen der rechten Hand, die Wendung, als wenn sie sich der ganzen Welt entgegenstemmen wollte. Dem Holders-Fritz schießt mit Gewalt das Blut vom Herzen herauf in das Gesicht. Er hatte den schlanken, glatten Wuchs eines Bäumchens mit der umfassenden Hand verfolgt; die Krone fällt ihm auf die Schulter; er hat den Stamm, ohne es zu wissen, umgeknickt. Er ist zornig, ohne zu wissen, warum. »Also so ist die?« lachte er grimmig vor sich hin. »Ich geh' in die Schwane und trink' die ganz' Nacht. Heint sollt' den Zimmergesellen ihr Tanz erst sein, hernachen ...« Aber das sagt er nur, um seinen Zorn auszutoben. Es ekelt ihm vor dem wilden Leben noch so sehr als vorhin. Er kommt zu sich und wundert sich. Das ist ja, als wäre er der Heiteretei zu Gefallen im Begriffe, ordentlich zu werden, und um ihre Gunst zu gewinnen. Und das ist ihm nie eingefallen. Nein, aber daß sie so ist! Aber das ist auch wunderlich. Was geht's ihn denn an, wie sie ist? Aber dann soll sie auch andern nichts vorwerfen wollen. Wie er sich wieder wendet, sind beide fort. Er muß über sich selber lachen. Er hat nie nach einem Mädchen gefragt, nach der am allerwenigsten. Aber das eigne nagende Gefühl im Herzen wird er nicht los. Es ist sonderbar! Er will nichts mit ihr haben, aber ein andrer soll's auch nicht. Nun, so soll er erst merken, was gesunde Müdigkeit für ein schönes Ding ist. Ohne sie hätte er weder so zeitig, noch so ununterbrochen die ganze Nacht hindurch schlafen können, als er tat. Am Morgen ist er mit der Sonne auf und wieder an der Arbeit. Was ist das für ein andrer Morgen, als er seit vielen Jahren erlebt hat! Aber eigentlich hat er seit vielen Jahren gar keinen Morgen erlebt. Es ist ihm wie eine neue Entdeckung, daß die Sonne früh aufgeht und daß die Vögel singen. Das Behagen, womit er auf seiner Schnitzbank schafft, oder die glatten Dauben in den Schnürleib der Reife zwingt, hört sich aus jedem Schnitt, aus jedem Hammerschlag heraus. Nur dann fallen die Schläge unregelmäßiger und mit unlustigem Klange, wenn er sich der Leute erinnert oder der Heiteretei, wie er sie gestern belauscht hat. Aber das kommt immer seltner und geht immer schneller vorüber. Die Stadeltür öffnete er noch nicht. Hört er draußen Vorübergehende mit dem Lehrling reden, dann bekommt er vielleicht Lust, noch eine Wand mehr zwischen sich und jene zu ziehen. Zuweilen fragt einer seiner bisherigen Kameraden nach ihm; dann muß er sich Gewalt antun, daß er nicht sein Verfahren von vorgestern in der Schwane an ihm wiederholt. So geht es Tag für Tag. Die Ordnung und Mäßigkeit im Genuß von Speise und Getränk, der Schlaf vor Mitternacht, die wachsende Lust an der Arbeit, der regelmäßige Fleiß geben ihm eine Frische und Freudigkeit, die er noch nie gekannt. Das Schwerste gelingt ihm, das Gelungene baut einen ganz andern Stolz in ihm auf, als sein früherer auf das Wildtun gewesen. Für die Stunden der Ruhe findet er einen ganz andern Gefährten in sich, als seine ehemaligen Kameraden. Er macht sich über alles seine eignen Gedanken. Es genügt ihm nicht mehr, das so und das so zu machen, weil's sein Lehrmeister so gemacht hat, dem's wiederum sein Lehrmeister so vorgemacht. Er versucht manches anders. Eins mißlingt, dafür gibt ihm das Gelungne, das ganz sein Werk ist, doppeltes Behagen. Wenn er etwas vollendet vor sich stehen sieht, dann sagt er wohl: »Es geht doch kein Handwerk über die Büttnerei. So ein Ding, das steht auf sich selber da, so rund, so glatt und so fest, und man kann seine Freud' daran sehn, wie's gefügt ist, daß man keine Fuge sieht. Dagegen, was hilft dem Schneider und dem Schuster das Schönst', was sie machen? Der Kerl, der hernachen darin steckt, ist er häßlich, so verschimpfiert er das Werk, und ist er schön, so denkt man wieder, der macht's. Ich möcht' wissen, wie ein Schreiber an seiner Arbeit könnt' seine Freud' haben, oder ein Kaufmann, denn die Taler, die der erwirbt, die hat er nicht selber gemacht. Dem Musikanten seine Sach', die ist vollends in die Luft geblasen. Er sieht's keinmal ganz vor sich, was er hat gemacht, daß er sich könnt' drüber freuen.« Das Denken über alles, was ihm vorkommt, bedeckt wenigstens die Leere, die dem vereinsamten Menschen nicht ausbleiben kann, wenn es sie auch nicht erfüllt. Allmählich aber empfindet er doch, daß ihm etwas fehlt, weiß er auch nicht, was es ist. Eines Tages hört er ein paar fremde Stimmen draußen vor dem Stadel. Sie bewundern seine letzte fertige Arbeit, die draußen steht. »Na, ich bin doch auch ein Büttner,« sagte der eine, »und ich mein', nicht der ungeschicktst'. Aber so was von Arbeit hab' ich doch noch nicht gesehn. Mein alter Lehrmeister ist der geschicktst' gewest im ganzen Land, aber das hat er nicht können machen. Weiß der Kuckuck, wie das gemacht ist! Das ist eine ganz neue Mode.« Sie wollen den Meister sprechen, der das gemacht hat. Der Lehrling, dem Befehle des Fritz gehorsam, sagt, der Meister sei nicht daheim, und in seine Werkstatt dürfe er niemand lassen. Sie bieten dem Jungen vergeblich Geld, wenn er sie hineinlasse; sie seien Freunde, dem Meister könne es nicht schaden. »Ja,« sagt der andre, indem beide gehen, »glaub's schon, daß er niemand in seiner Werkstatt leiden mag, und Büttner am wenigsten. Da muß manch's abzugucken sein.« Was ist das für ein ander Gefühl, als wenn ihn die Kameraden um Dinge lobten, um die er sich hätte schämen müssen! »Ja, Denken,« sagt der Fritz vor sich hinlachend auf seiner Schnitzbank, »Denken macht den Mann, und nicht, daß er starke Arm' hat am Leib. Stärk' und Gesundheit sind viel wert, wenn sie richtig gebraucht werden. Und dazu ist das Denken da. Wie oft hab' ich meine und andern ihre Stärk' und Gesundheit um nix in die Gefahr bracht, weil ich nicht weiter Gedanken hab' gehabt, als zu albernem Zeug. Aber hier will ich mir mein heilig Wort drauf geben, in meinem Leben will ich nicht wieder handgemein werden. Wenn ich nun die Hand einbüßt oder nur einen Finger davon, ich wär der elendst' Mensch; und hätt' ich einen andern drum bracht, ich könnt' nimmermehr wieder ruhig werden! Und die Leut' sind doch auch nicht so dumm, wenigstens die fremden nicht.« Aber auch die Luckenbacher lernt er allmählich ruhig reden hören; freilich, weil er sich außerhalb der unmittelbaren Berührung mit ihnen und in seinen Gedanken über sie gestellt hat. Und es ist ein eigen Ding! In seinen Gedanken kann der Mensch sich frei machen; aber sowie er mit Menschen lebt, wird er ihr Sklave, und wenn er sich zu ihrem Beherrscher aufschwänge. Dann muß er den allgemeinen Gedanken anerkennen, sei's durch Fügen, sei's durch Trotz. Wenn er nach vollbrachter Tagesarbeit in das Gärtchen geht, dann wird das eigne, aus Schmerz und Zorn gemischte Gefühl wieder wach, daß ihn die Heiteretei in ihrem Kosen mit dem Nagelschmied hat kennen gelehrt. Er könnte ihm entgehen; seine Schnitzbank und die weite Gedankenwerkstatt, die ihm die Einsamkeit geöffnet, sind ihm eine ganze Welt. Aber er geht absichtlich heraus, jenes Gefühl zu erneuern. Er möchte Ursache finden, es noch wilder und tiefer zu empfinden. Seit dem ersten Abendspaziergange in dem Gärtchen hat er das Paar nicht gesehen. Daß sie beisammen sein können, wo er sie nicht sieht, daß es ihn zwingt, ihr Gehaben dabei auf alle mögliche Art sich bis ins Einzelnste auszumalen, das erregt ihn weit stachelnder, als sie zu sehen. In dem Augenblicke, wo sie ruhig zusammensprachen, hat er wenigstens nicht denken müssen: »Jetzt küßt er sie, jetzt streichelt sie ihn!« Heute endlich soll er sie wiedersehen, und zwar in größerer Nähe als jenesmal. Sie kommen, einander jagend, aus der Tür von des Nagelschmieds Stadel in den Garten heraus. Sie läuft vor ihm bis fast an die andre Planke, der Tür gegenüber, dann schmiegt sie sich um ein schlankes Blütenbäumchen und wendet sich schnell in der Richtung nach dem Fritz zu, der hinter einem großen Mehlfäßchenstrauch steht. Im Mutwillen springt sie über den Haag in den Nachbarsgarten; der Nagelschmied immer nach. Sie läuft weiter. Eben wie sie über den Haag in den Garten des Holders-Fritz hinein will, ergreift sie der Nagelschmied. Sie will sich losmachen; er hält sie fest. Sie ringen miteinander. Sie macht sich doch wieder los. »Nun warte nur, Annedorle!« droht der Nagelschmied. »Du bist schuld, daß ich in einen Dorn bin getreten, oder was es ist, aber es tut verdammt weh.« Sie meint erst, es ist eine List von ihm, durch die er sie beilocken will. Aber als er in das Gras sinkt, da kommt sie näher. Sie muß doch glauben, er hat sich beschädigt. Sie kniet bei ihm nieder und sagt herzlich und bedauernd: »Ich bin auch recht dumm.« »Ja,« lacht der Nagelschmied, indem er sie umschlingt, »das bist du, sonst hätt'st du dich nicht lassen fangen.« Aber noch lauter lacht der Holders-Fritz hinter seinem Mehlfäßchenstrauch – so laut, daß die beiden erschrecken und in Eile wieder dahin zurücklaufen, wo sie hergekommen sind. »Sie ist's ja nicht, es ist ja gar nicht die Heiteretei!« wiederholt er wohl sechsmal und lacht immer wieder dazwischen. Er lacht, daß sie's nicht ist, wie er sich geärgert, weil er meinte, sie sei's. Sonst hat er keinen Grund. Er geht in den Stadel zurück und beginnt im Mondenscheine zu arbeiten, weil er nicht weiß, was er sonst vor Freude tun soll. Aber die Tür gibt nicht Licht genug. Er muß wieder aufhören. Er bleibt auf der Schnitzbank sitzen, legt die Hände auf seine Knie. »Ob das nicht die junge Frau ist gewest?« sagte er vor sich hin. Es hat schon lang geheißen, der Nagelschmied holt eine Fremde in die Stadt. Dergleichen hat den Holders-Fritz sonst wenig gekümmert, drum hat er's vergessen. Jetzt fällt's ihm wieder ein. »Ja,« meint er, »der Nagelschmied ist nicht dumm. Wenn er den Tag gearbeitet hat, dann hat er jemand, mit dem er reden kann. Und das Denken ist doch nur eine halbe Sach', wenn man niemand hat, dem man's sagt. Und ich wär' noch hundertmal so vergnügt, wenn ich eins hätt', das sich mit mir könnt' freuen. Ja, nun begreif ich's freilich, warum meine alten Kameraden das Wildtun müde geworden sind, wenn sie haben geheiratet gehabt. Und hätt' ich auch geheiratet, ich könnt' schon lang da sein, wo ich jetzt bin, und braucht's nicht heimlich zu sein«. Nun weiß er auf einmal, was ihm fehlt. Und wiederum, nun er's weiß, nun fehlt's ihm erst recht. Das Denken, womit er die Leere seither verdeckt hat, hilft, nun er sie sieht, auch nur sie noch größer machen. Und es freut ihn nicht mehr, weil er's niemandem mitteilen kann. »Wenn du mich noch hättst zur Frau, da könnt' noch ein Mann aus dir werden!« Das klingt ihm immer noch vor den Ohren. »Ja, sie hat auch darin recht gehabt, die Heiteretei. Und sie hat's doch wohl eigentlich gut gemeint mit allem, was sie mir am Gründer Markt gesagt hat. Und es war gut, daß sie das hat getan. Und wenn ich mir's recht überleg', so hab' ich doch immer an ihre Reden gedacht. Ich wär' doch nicht anders worden ohne die Heiteretei. Weil ich ihr hab' folgen müssen, das hat mich wild auf sie gemacht. Und so wild ich auf sie war, ich hab' doch nicht anders können. Wenn ich ihr das selber könnt' sagen, es war' doch ein ganz ander Ding. Und sie tät' sich drüber freuen.« Solche Gedanken hätte er noch vor wenigen Wochen mit Spott verjagt und sich ihrer geschämt. So erweichend wirkt Einsamkeit und Einfluß des Aufenthaltes in freier Natur. Aber auch nur vor sich selber konnte er sich in solchen unbewußten Geständnissen ergeben; dachte er sich in die Welt, unter die Leute zurück, dann schämte er sich in der Denkart, die er ihnen unterlegte und die er widerwillig teilen mußte, solcher Gefühle desto mehr. Am andern Morgen kam seine Großmutter in den Stadel. Sie wollte sich nicht länger zurückhalten lassen, nach ihm zu sehen. Die Gerüchte, die über ihren Fritz in der Stadt umherliefen, konnten ihr nicht fremd bleiben. Sie kam zitternd vor ängstlicher Erwartung und war ganz glücklich, als sie den geliebten Enkel weder still wahnsinnig, noch über schlimmen Plänen brütend fand. Sie erstaunte über die an Eigensinn grenzende Ordnung, die in seiner Werkstatt herrschte, über seinen Fleiß – denn er allein schaffte den Tag über mehr, als früher mit seinen beiden Gesellen zusammen – am meisten und freudigsten über sein heiteres, gesundes und freundliches Aussehen. Bedenklich freilich war es ihr, wenn sie ihn mit dem Lehrling reden hörte. Dann glich er in der Tat dem Bilde, wie ihn die Gerüchte malten. Das geschah auch zuweilen, wenn Bekannte draußen vorbeigehen. Das »Fräle« schüttelte den Kopf, als er ihr seine Gründe dazu mitgeteilt hatte, aber sie kannte ihn zu gut und war zu klug, ihm ihre Meinung zu sagen. Auch von den Gerüchten über ihn schwieg sie, um ihn nicht noch mehr gegen die Leute aufzureizen. »Weißt du denn, Tichterle (Enkel), was ich eigentlich bei dir will? Ja, du weißt's net. Guck, Fritzle, es wäre freilich besser gewest für dich, wenn dein Vater oder deine Mutter selig länger wär' am Leben geblieben. Wie du kaum bist zwölf Jahre alt gewest, da hast du armer Jung schon nix mehr gehabt als dein alt Fräle. Ja, wenn du doch noch wen'gstens hättst Geschwister gehabt; mit denen hättst du dich verstanden, und es wär manch's von euch geredt worden, was gut wär' gewest. Aber was kann ein junger Bursch mit einem alten Fräle reden? Siehste, das ist, als wenn ein Franzos und ein Pariser miteinander wollten reden. Da red't der ein' französisch und der ander' pariserisch, und hernachen weiß keiner, was der ander eigentlich hat gewollt. Siehste, da hab' ich immer gedacht, wenn das Fritzle nur einmal so weit aus dem Gröbsten war, daß er könnt' frein. Und guck', wenn einer auch ist wie ein Baum, wo einen Stamm hat, wer weiß, wie dick, und einen Wust von Blättern, eine rechte Wurzel kriegt er doch erst, wenn er hat gefreit. Jed' Kind ist hernachen ein Würzle mehr, das ihn mit der Erden zusammenhält, wo drin er steht. Nu, du wirst dir das alles besser ausdenken, wie's ein alt Fräle dir kann sagen. Und wenn dir's nicht recht ist, so ist's eben auch ein Wort gewest. Man red't gar viel den Tag, was man nicht in den Kalender schreibt. Nun sind Mädle genug in der Stadt, wo dich möchten. Es ist schon eine Zeit her, daß mir die Valtinessin hat merken lassen, ihre Ev' gäb' dir keinen Korb. Die Valtinessin ist eine große Frau, und wo viel Geld hat und viel Sachen; es wär' davon zu reden. Ich hab' freilich Gedanken für mich gehabt, und ich weiß nicht, ob's auch deine könnten sein. Guck', ich bin ein arm' Mädle gewest, wie mich dein Härle (Großvater) selig hat genommen, er hat's aber keine Stund' bereut. Ich will nicht weiter davon reden, aber ich hab' gedacht, eine Reiche müßt's nicht sein, wenn's nur eine wär, wie sie für dich passen tut. Es ist nix leichter, als Frau heißen, aber damit ist's noch nicht getan. Guck, die Heiteretei hast du immer so gut können leiden, und wenn ich eine Tichterlesfrau nach meinem Gustum finden müßt', ich braucht' nicht lang' zu suchen.« Der Fritz saß rittlings auf seiner Schnitzbank. Er streckte seine Beine gerade aus in die Luft und lachte, damit die Großmutter nicht merken sollte, ihm sei derselbe Gedanke schon gekommen. Wohl auch aus Freude über das unvermutete Zusammentreffen. »Ihr seid nicht gescheit,« sagte er dann. »Ihr habt Einfäll', wie ein alt Haus, Fräle. Von mir red' ich gar nicht, und bei der Heiteretei, da kämt ihr auch schön an.« »Ja, du meinst,« entgegnete die Alte, »wegen ihrem Getu'? Es ist aber gar ein ander Ding, wenn einem Mädle wird gesagt: willst du frein? Oder wenn einer sagt: Willst du mich frein? Und einem armen Mädle klingt sell (jenes) wie Spott. Und so haben's die Leut' ihr oft gesagt. Frag du sie nur, Fritzle: willst du mich? Du fragst gewiß nicht fehl.« Der Fritz zog die Beine wieder an sich und setzte die Füße vor sich auf die Schnitzbank. »Ihr seid ein dumm's Fräle,« lachte er noch einmal. »Ihr meint, weil sie arm ist. Ja, seht Ihr, Ihr denkt nicht. Und ein alt Fräle, wie Ihr seid, hat's auch nicht nötig. Aber ein Mann, den macht erst das Denken. Wer fleißig ist, der ist nicht arm. Das sind nur die Leut', die nix machen und sich umsehn, wo von selber was kommen könnt für sie. Na, Ihr versteht das nicht. Wenn ich einmal will frein – ich hab' noch Zeit genug. Und nu geht heim und laßt Euch nicht merken, wie Ihr mich habt angetroffen. Der alt' Schramm und die ganzen Leut' sollen nicht meinen, sie sind schuld. Und wenn Ihr sagt, ich bin anders geworden, hernachen werd' ich gleich wieder wild.« Die Großmutter ging, das alte, ehrliche Herz so froh, wie seit vielen Jahren nicht. Der Fritz nahm das Schnitzmesser wieder zur Hand; aber er legte beide nur auf seine Knie; dafür schnitzte er im Kopf an einem Entschlusse. Das Holz, daraus der Entschluß werden sollte, war verdammt hart und voll Äste. Es gab ihm manchen Ruck, wenn das Messer darüber hinrutschte, ohne zu packen. »Wenn du mich zur Frau hättst,« begann sein Selbstgespräch – »ja, wenn sie das nicht im Zorn hätt' gesagt! Und das: du denkst, dich möcht' ich? dich? das war ein dicker Ast. Und wenn du einen Rock anhättst, und der wär' aus lauter Talern gemacht, und an jeds Haar wär' ein Dukaten gespießt, dich möcht' ich nicht. Der ärmst' Bettelmann wär' mir lieber, als du, wenn ich einen möcht'. Aber ich mag gar keinen! Aber das hat sie eben auch im Zorn gesagt. Der Adams-Lieb und die andern waren dabei und ich selber, und ich hab' sie erst in den Zorn hineingebracht gehabt. Ich hätt's ebenso gemacht an ihrer Stell', und ich tät's heut' noch, wenngleich ich innerlich nicht so dächt'. Ja, wenn man wüßt', was sie sich innerlich dabei gedacht hat hernachen! – Und das, was das Fräle hat gesagt wegen ihrem Getu'? Solch ein alt' stumpf' Fräle hat manchmal auch eine Stell', wo sie schneid't. Den Reif da, wo noch seine Rinden hat und ungespalten ist, den mach' ich auch nicht so um die Stutzen herum. Und ich hab' damals freilich noch meine ganze Rinden um mich gehabt und ich bin noch nicht gespalten gewest. Sie hat gemeint, wie ich damals bin gewest, und da verdenk ich ihr's jetzt selber nicht, wenn sie mich nicht hat gewollt. Hergegen, wenn sie wüßt', wie ich jetzt bin, und daß man schon könnt' sagen: Wer was gescheit will anfangen, der muß den Meister Holder fragen! Und wenn sie's nun wüßt' und möcht' mich doch nicht und tät' sich groß damit; der Holders-Fritz ist wie dem Herrnmüller sein Spitz; er tut, was ich will, aber einen Spitz nehm' ich doch nicht? Oder so; denn sie hat verwünschte Reden, wenn sie anfängt.« Ohne es zu wissen, zerhieb er mit dem Schnitzmesser den Reif, der vor ihm lag. »Oho!« sagte er dann; »das Wildern ist vorbei.« Er packte sich selber mit der nervigen Faust vorn beim Hemdekragen. »Ich will doch über dich Herr werden, Bursch! Du sollst doch nicht der einzig' sein, den ich nicht unterkriegt'! Na, da wär ja der alte Fritz wieder! Das ist was Rechts, einen an der Gurgel packen. Das ist's nicht, sondern Denken macht den Mann!« »Ja, wenn man halt wüßt', was sie innerlich meint,« setzte er sein Selbstgespräch in einem Tone fort, der mit seiner Aufregung absichtlich im Gegensatze stand. »Aber wie soll man das erfahren? Da sind wie der die verwünschten Leut'!« Er vergaß, daß er ja selber die Wand zwischen den Leuten und sich aufgeführt. Es ging ihm wie allen, die sich vereinsamen. Er meinte, die Leute machten Opposition gegen ihn, während er dies gegen die Leute tat. Den Leuten ist's bloß um vorübergehenden Zeitvertreib zu tun. Wäre er wieder unter sie getreten, hätt' er offen um die Heiteretei geworben und gezeigt, daß er anders sei, als sonst, man hätte ihn gelobt und getadelt und – nach wenig Tagen über etwas andrem vergessen. Aber er setzte seinen Groll bei allen voraus, er meinte, ihnen sei es ebenso eine Sache des innersten Menschen, ein Ehrenpunkt, wie ihm. In geringerm Maße begegnet jedem etwas Ähnliches. Er kann nicht drüber hinwegkommen, was andre über seine Reden und Handlungen denken mögen, die längst von jenen vergessen sind. Er meint, sie sind so angelegentlich mit ihm beschäftigt, als er selbst es ist. »Das Fräle mag ich nicht schicken,« dachte er weiter. »Sie kann nicht gut hören, und ich schämt' mich, wenn ich ihr's sollt' auftragen. Ich könnt' die Heiteretei an einen Ort bestellen lassen; das ist auch nix. Wenn ich ihr aufpaßt'? Sie ist immer die letzt' herein vom Feld. So daß sie meinen müßt', ich kam' so zufällig den Weg. Und im Zwielicht; und ich müßt' passen, wenn sie einmal allein wär', und auch niemand in den Weg kommen könnt'. Ja, ich tu's! Und die Barten da nehm' ich mit. Wenn mir doch jemand begegnet, daß er meint, ich geh' Weiden hauen. Finster ist's genug! wenn ich noch den Rock umwend', kennt mich keine Seel'. Und merken sie doch, und die Heiteretei mag mich nicht, hernachen geh' ich nach Amerika!« Wir wissen, wie wenig es ihm glückte, seinen Vorsatz auszuführen. Einmal wartete er vergeblich; sie war wo anders gewesen, als er gemeint; ein andermal war sie nicht allein, ein drittes Mal mußte er seinen Lauerposten verlassen, um nicht entdeckt zu werden. Je öfter er vergeblich gegangen war, desto verseßner wurde er darauf, sie zu sprechen. Arbeit und Denken freuten ihn nicht mehr; er dachte bald nur noch an die Heiteretei, und wenn er fleißig arbeitete, so geschah es nur, um das Denken, das immer qualvoller wurde, loszuwerden. Und wozu arbeitete er, wenn er nicht für sie mitschaffte? Auch auf die Leute, die zwischen dem Mädchen und ihm hindernd standen, ward er immer zorniger. Und dieser Zorn entfernte ihn wiederum immer mehr von dem einfachsten Wege, das Mädchen durch seine Großmutter ausforschen zu lassen, oder sie offen in ihrem Häuschen oder sonst wo aufzusuchen. Am schlimmsten wurde es mit ihm, als er zu bemerken glaubte, sie weiche ihm geflissentlich aus. Wir können uns nun leicht erklären, wie es ihn packte, als er dem Schmied glauben mußte, es wisse die ganze Stadt, er sei ein andrer geworden, und zwar aus Gehorsam gegen die Heiteretei, und er bemühe sich um sie, die ihn verschmähe. Sein ganzer alter Stolz wachte wieder auf. Es war ihm nicht genug, sich den Anschein zu geben, als verfolge er die Heiteretei in böser Absicht. Er wollte nun wieder der alte werden, wieder der völlig wilde Fritz, der Heiteretei, der ganzen Stadt und sich selber zum Trotze. Er stand schon in der Kegelbahn im Schwanengarten, als er zu sich kam und begriff, es sei der verkehrte Weg, sich an der Heiteretei und den Leuten zu rächen, wenn er nun wieder wild würde, da die Leute wußten, er tat es nur, weil die Heiteretei ihn verschmähte. Nein, ihnen zum Trotz mußte er nun ordentlich bleiben, und die Heiteretei mußte Respekt vor ihm bekommen und bereuen, was sie getan. Der Schwanengarten stieß unmittelbar an die lange Reihe der Stadelgärten. Wenn er etwa über zehn Hage wegstieg, kam er unbemerkt wieder in seiner Werkstatt an. In wenig Minuten war der Gedanke ausgeführt. Schon stand er an dem letzten Zaune, der ihn noch von seinem Garten schied. »Ja, wenn's auf mich ankäm',« hörte er da die Stimme der Heiteretei sagen. Er merkt, sie steht im Garten des Nagelschmieds bei diesem und seiner jungen Frau. »Meinetwegen,« sagt er trotzig zu sich selbst, »ich geh' in meine Werkstatt.« Er tat das wirklich; es war nur seltsam, daß er dazu einen Umweg wählte durch den Nachbarsgarten, und zwar einen, der ihn hinter dichten Weichselbüschen ganz nahe an den Sprechenden vorbeiführte; und noch seltsamer, daß er dort stehen blieb. Und doch war das letztere gar nicht seltsam, denn das Rauschen seiner Schritte im tiefen Gras mußte ihn den Sprechenden verraten, wenn er weiter ging. »Ja, wenn's auf mich ankäm',« hatte die Heiteretei gesagt. »Ich könnt' bei guter Zeit mit dem Eisen da sein. Aber im Zainhammer ist's immer, als machten sie das Eisen erst, das man holen will. Da läuft ein Schmiedeknecht nach dem Buchhalter. Der ist nach Reick gegangen. Hernachen finden sie die Schlüssel nicht, und wer weiß, was noch!« »Das Annedorle muß nur recht tribulieren,« entgegnete der Nagelschmied. Jetzt kann der Holders-Fritz die Heiteretei mit der jungen Frau vergleichen, die er neulich für sie gehalten hat. Und er begriff nun kaum, wie die Verwechslung möglich war. Wer die junge Frau allein sieht, der kann sie wohl für hübsch halten; doch der Heiteretei gegenüber! Aber er hat eben selber gar nicht gewußt, wie hübsch die Heiteretei ist. Das sieht er jetzt erst. Die Heiteretei ist an jedem Gliede voller, als die Nagelschmiedin, und doch im ganzen schlanker. Die Nagelschmiedin hat viel in der Art, sich zu halten und sich zu bewegen, mit der Heiteretei gemein; aber es sieht so zufällig an ihr aus, als könnte sie es auch anders machen; bei der Heiteretei dagegen begreift man nicht, wie eine Bewegung an ihr anders sein könnte, als sie ist. Sie gehört zu jenen seltenen Gestalten, die ganz und nur sie selbst sind, wo jeder Zug, jede Bewegung ein notwendiger Bestandteil des Ganzen ist, eine Ausstrahlung ihres innersten Wesenkerns. Der Holders-Fritz stellt sich vor, wie sie aussehen müßte, wenn sie geputzt an seiner Seite ginge. »Du bist mir der recht' Denker!« sagt er zu sich. »Da hättst du gleich daran denken sollen, daß der Morzenschmied ein Duckmäuser ist, der dich bloß hat ausholen wollen und dich gegen die Heiteretei aufbringen. Das ist dumm, daß die, der Nagelschmied und seine Frau, mit der Heiteretei gehn, sonst probiert ich's heut noch, dem Duckmäuser zum Trotz, ob ich mit ihr sollt zum Sprechen kommen. Aber nun geschieht's morgen ganz gewiß. Die werden sie ja im Zainhammer wieder aufhalten bis zu Abend.« Und mit dem Beginne des nächsten Zwielichts ist er auf dem Wege. Die Bäuerin, die er am Eingange in das Ulrichsholz fragte, ist ihr nicht begegnet. Herein in die Stadt kann sie noch nicht sein. »Wenn sie aber den Bühel fährt,« meint er, »verpaß ich sie doch. Den Weg an der Herrnmühl' vorbei, den geht sie nicht; der wär' ihr zuviel um. Wenn ich auf dem Ulrichssteg wart, da kann ich sie nicht verfehlen.« Und auf dem Ulrichssteg steht er nun schon eine ganze Stunde lang. Alles ist still um ihn, kein Mensch zu sehen und zu hören, das ganze Tal hin und her. Wie ist's so schwül und so ängstlich! Die Weiden flüstern wehmütig und winken ihn vom Steg weg. Der Bach hüpft, als möchte er nur schnell vorüber sein, und der Fritz sollt's auch so machen. Gar nicht fern rauscht das Walkmüllerwehr. Zuweilen blickt der Mond aus den Wolken, als wolle er sehen, ob denn der Holders-Fritz noch immer auf dem Unglückssteg stehe. Dann verhüllt er schnell wieder sein Antlitz, wie einer, der sich seine Angst nicht will ansehen lassen. Wenn er herunter sieht, dann blinkt das Wasserrad der Walkmühle wie die Silberstickerei von einem Leichentuche auf dem Dunkel der Nacht. Eine Singdrossel singt so ängstlich eifrig, als wollte sie einem Scheidenden noch schnell soviel von ihrer süßen Stimme mit auf den Weg geben, als sie kann. Nur der, dem all dieses ängstliche Bemühen gilt, teilt es nicht, obgleich es allmählich, ohne daß er weiß warum, seine warmen Gedanken anfröstelt. »Heint muß ich erfahren, wie sie meint,« sagt der Holders-Fritz vor sich hin. »Will sie mich, hernachen laß ich Leut' Leut' sein und führ ein Leben mit ihr, wie der lustig Herrgott von Frankreich, einen Tag schöner wie den andern. Da sollen die Leut' einmal sehn, was ein Büttner eigentlich kann machen, der seine Sach' versteht, und was einer kann erwerben, wenn er nur fleißig will arbeiten. Und am Sonntag gehn wir zusammen nach den Felsenkellern, oder zum Tanz wohin. Die Leut' sollen Respekt haben, sie mögen wollen oder nicht. Und wenn wir den Saal hinauf tanzen zusammen – still! ist das nicht ihr Schiebkarren, was so geklirrt kommt vom Ulrichsholz her? Den soll sie mir nicht mehr anrühren. Sie soll nix als kochen zu Haus, und was sie selber sonst will tun. Wenn ich einmal sterb, soll sie denken: so lieb hätt' mich doch kein andrer gehabt! Oh, ich will's schon machen, daß sie den Fritz nicht soll können vergessen. Wie ich aber jetzt nur aufs Sterben komm'? Ein Kerl wie ich, da geht's nicht so leicht damit, wie mit einem Schneider, und wenn ich das Annedorle hab', vollends nicht! Ja freilich: wenn ich sie hab'!« – »Aber das ist sie endlich doch, was dort gefahren kommt? Ja, jetzt im Mondschein. Wie das kurios aussieht. Alles drum 'rum ist finster, und nur das Annedorle und ihr Schiebkarren sind hell. Es ist ordentlich, als wenn sie selber leuchten tät. Und noch ein Arm daneben, und es ist, als deutet der Arm nach mir. Wem der Arm muß gehören? Das wär verwünscht, wär sie wieder nicht allein. Jetzt – ja nu ist's weg. Nu ist's dort wieder so finster wie überall sonst. Aber nunmehr müßt' ich sie doch den Weg sehen kommen daher, wenn auch nicht mehr so deutlich wie vorhin. Oder den dort, wo nach der Herrenmühl' geht. Und klirren hört man auch nix mehr. Die Bauersfrau hat so wunderlich getan. Hat sie's dem Annedorle doch gesagt, daß sie mir ist begegnet und ich hab' nach ihr gefragt? Und weicht die mir doch mit Fleiß aus? Und hat mich da auf dem Steg gesehn? Aber hernachen müßt' sie umgewandt sein und wieder zurück. Oder hab' ich mir's bloß eingebildet, daß ich sie sah? Die Leut' reden von Ahnungen, wie sie's heißen. Soll ich sie nicht kriegen? Dann geh ich übermorgen nach Amerika. Jetzt war's doch, als klirrt was im Gras unter den Erlen her? – Oder – am allerliebsten wär' mir's hernachen, ich stürb', und lieber heint als morgen. Hernachen wollt' ich, es wär' eine Ahnung gewest, und die mich hätt' bedeutet. Da unten das dunkle Wasser unter mir ...« Der arme Holders-Fritz! Er hat sie wirklich gesehen; aber er darf's immer für eine Ahnung nehmen, die ihn bedeutet. Denn nun klirrt es wirklich und laut und hart an ihm auf dem Steg. Er will sich nach dem Klirren wenden, aber ein gewaltiger Stoß reißt ihn um. Er fühlt keinen Halt mehr unter den Füßen. Im Fallen wirkt die Bewegung noch, mit der er sich wenden wollte. Einen Augenblick sieht er das bleiche Gesicht der Heiteretei über sich; so wild und bleich, so rollend die braunen Augen, so gepreßt die vollen Lippen; es ist immer noch schön. So lange hört er ihr schnelles, tiefes, lautes Atmen. Jetzt spritzt das Wasser um ihn auf. An allen Gliedern faßt es ihn wie mit kalten Händen an. Mit dem ganzen Leibe aufschlagend, fühlt er wieder festen Boden unter sich; ein Schmerz zuckt vom ersten Finger der rechten Hand nach seinem Herzen zu. Das tut noch ein paar wilde Schläge. In seinen Ohren braust es, als läg er unterm Walkmüllerwehr. Um seine Brust ringelt sich pressend eine ungeheuere grüne Schlange; über seine Augen legt sich ein dunkelrotes Tuch. Er schnappt nach Luft, und zieht ein kaltes, schweres nasses, gurgelndes Ding durch den Mund hinein in die tiefste Brust, das er nicht wieder herauszustoßen vermag. Das rote Tuch wird schwarz mit durcheinander wimmelnden gelben Sternen. Der Boden unter seinem Kopfe versinkt, der Kopf nach in eine endlose Tiefe. Und diese eigne Empfindung, die schon in Bewußtlosigkeit übergeht, weiß er, ist die Empfindung, die jeder Mensch kennen lernt, aber keiner mehr als einmal. Nicht lange, und keine Blase mehr spritzt auf über dem Liegenden. Der Wasserspiegel schließt sich und zeigt gleichmütig der stillen Nacht ihr Bild. * So, zu langsam und doch zu schnell, war der Heiteretei noch keine Nacht vergangen. Dagegen war die vorige mit all ihrer Furcht vor den Träumen, mit all ihrem Angstschweiß noch eine Ruhenacht, eine Erquickungsnacht gewesen. Da gaukelten nur unbestimmte Erwartungen um sie, was ihr vielleicht Schlimmes begegnen könnte. Heute stand es gewiß, furchtbar gewiß vor ihrer Seele, was sie selber Schlimmes wirklich getan. Immer und immer wieder zwang es sie, sich zurückzurufen, was sie gern vergessen hätte, und hätte sie alles mit vergessen müssen, was sie in andern, glücklichen Nächten so gerne gedacht. Und mit unbarmherziger Gewissenhaftigkeit Zug für Zug. Keiner wurde ihr geschenkt. Erst die Genugtuung des Sieges und der Rettung, dann mit der wiederkehrenden ruhigern Besinnung die Angst vor der Art, die Furcht vor den Folgen der Tat. Wie es sie getrieben, zu dem Stege zurückzulaufen, um zu sehen, ob er noch lebe! Und warum sollte er nicht? Das Bächlein war ja in den heißen Tagen so seicht und floß dort auf weichem, moorigem Grunde. Sie hätte es nicht überleben mögen, wenn er tot war. Ein so tiefes Mitleid entband sich so seltsam und plötzlich aus seinem Gegensatze. Ein beredterer Anwalt sprach dies jetzt für ihn, als alle Stimmen, die ihn früher angeklagt hatten. Ja, ihr war, als habe sie selber eigentlich gar nie geglaubt, er verfolge sie, und als müsse sie sich verwundernd besinnen, was sie doch nur getrieben habe zu der feindlichen Tat. Er hatte nichts gegen sie gebrütet; sie hatte nicht Notwehr geübt. Nein, ohne alle Ursache hatte sie sich an ihm vergriffen. Es war ihr ein Bedürfnis, eine selbstmörderische Lust, ihrer Tat die geringfügigsten Ursachen unterzulegen, damit sie selber sich nur recht hassenswert erschien. Aber war jetzt Zeit zu solchen Gedanken? jetzt, wo jeden Augenblick jemand sie sehen konnte? Und wenn sie dennoch wendete, ihn zu retten, wenn es noch möglich ist – stehen nicht schon Menschen um den Steg? wohl gar schon die Gerichte? Wenn sie jenen Umweg unter den Erlen einschlägt, kommt sie von der entgegengesetzten Richtung nach der Stadt. Aber weiß man nicht dennoch, daß sie im Zainhammer gewesen? Hat der Schneider sie nicht gesehen? Die letzten Einwände treffen sie schon auf dem Erlensteig. Der Umweg wird ihr nicht helfen. Und ist es ihr nicht gleichgültig, ob man sie sieht? ob man sie ergreift? Wäre ihr in diesem Augenblicke die Todesstrafe nicht Wohltat? »O, ich wollt',« stöhnte sie vor sich hin, »sie machten mich auch tot!« Warum flieht sie denn? Warum schlägt sie den Unterrock herauf über den Kopf, um sich unkenntlich zu machen? Ja, wäre es einen Augenblick nur! Müßte sie jetzt, jetzt niederknien, und das breite Schwert durchzischte ihr den Nacken! Aber wenn sie mit Ketten geschlossen über die Straße geführt wird, und die Leute weichen scheu vor ihr und flüstern auch nicht eher miteinander, bis sie vorbei ist! Und das Gefängnis! Zwischen den engen Steinwänden soll sie stillsitzen, wer weiß, wie lange! Sie, der es wie dem Reh und dem Vogel nur im Weiten wohl ist! In der Gerichtsstube muß sie stehn und sich von Männern ins Gesicht sehen und sich fragen lassen, wer weiß was! stundenlang! Und dazwischen ist's so still, daß man nur die Federn knarren hört, die aufschreiben, was sie getan. Und die Leute – aber die Leute wissen ja, daß er sie verfolgt hat; sie alle können's bezeugen, sie alle haben's gesehen. Und so oft sie im gezwungenen Wieder-und-immer-wieder-Durchleben der Ereignisse der schrecklichen Nacht an diesen Gedanken kommt, dann wünscht sie den Tag herbei, den sie doch fürchten muß. Dann sind die Frauen wieder da, und an der Dringlichkeit ihrer Warnungen wird sie gewiß, daß sie die Tat tun mußte, daß sie in Notwehr war, und Notwehr ist erlaubt. Ja, sie hat nur Notwehr geübt. Hatte die Bäuerin nicht die Axt blinken sehen? Hatte er nicht gegen den Schmied gedroht? Sollte sie in ewiger Angst leben? Nein! lieber sterben, wenn es sein muß! Aber muß es denn sein? Soll sie sich nicht wehren? Und wieder stand der Fritz auf dem Steg. Und wieder fährt sie mit dem Mute der Verzweiflung auf ihn los. Und wieder stürzt der Fritz in den Bach. Und wieder fragt sie sich: »Ich hab's doch wohl eigentlich gar nicht geglaubt, daß er mir was will tun; ich möcht' nur wissen, was mir gewest wär', daß ich ihm das hab' getan!« Und wieder endeten und wieder begannen die Ereignisse der Nacht ihren schwindelerregenden Reihentanz vor den fieberisch glühenden Augen des Mädchens. Der gehoffte und gefürchtete Tag kommt – und kommt ebenso wie jeder andre. Die Heiteretei begreift nicht, daß sein erster Strahl auf den zerbrochnen Spiegel fallen kann wie immer, da in ihr alles so anders ist. Sie meint, heute muß die Sonne wo anders aufgehen und auch anders aussehen als sonst. Aber der Tag kommt eben daher, wo seine ältern Brüder herkamen, und er zögert auch nicht und eilt auch nicht; gleichgültig wie jeder andre, ob man ihn fürchtet, ob man ihn erhofft. Und er kommt nicht einmal in Wolken gehüllt, er kommt so blau und golden, als wüßte er sich bloß erhofft. Und wenn es an das Häuschen pocht, so ist's auch nicht ein Bote des Kriminalgerichtes, so ist's nur der alte Holunderbusch, der sich behaglich in sich hineinschüttelt im lustigen Morgenwind, als wüßte auch er nichts von den Ereignissen der schrecklichen Nacht. Die Heiteretei sieht jedes Kleidungsstück, das sie anlegt, darauf an, ob es nichts davon weiß. Der Bach, in dem sie sich wäscht, erzählt immer noch die alten Geschichten und nichts von der gestrigen Nacht. Wie sie alles andre so fest sieht im alten Geleise, möchte sie an sich selber zweifeln. War alles, was sie erlebt zu haben meint, eben das, vor dessen ihr unbekanntem Wesen sie sich immer gefürchtet, ein Traum? Aber da steht ihr Karren noch mit dem Eisen. Das hat sie doch gestern vom Zainhammer gebracht. Sie hat es nicht an den Nagelschmied abliefern können, weil sie auf dem Umwege so spät heimkam. Und warum hatte sie den Umweg gemacht? So war doch alles wirklich geschehen. Aber wie kam es denn, daß man sie nicht ins Gefängnis holte? War es ihr gelungen, allem Verdacht auszuweichen? Das Eisen muß zum Nagelschmied. Auf dem Wege dahin wird sie Leuten begegnen, und die müssen's ihr doch ansehen, daß sie es ist, die es getan hat. Die Gassenjungen müssen ihr nachlaufen und mit den Fingern auf sie zeigen: »Die, die da ist's! Die ist's gewesen, die hat's getan!« Oder war's nicht so gefährlich für den Holders-Fritz ausgefallen, als sie gefürchtet? Sollte sie nicht sterben oder ein ganzes Leben hindurch das erdrückende Gewicht der Untat auf ihrer Seele tragen müssen? So will sie wenigstens die Ungewißheit loswerden. »Hab' ich's getan, so mögen sie mich einsetzen,« sagte sie; »hernachen mag ich auch nicht mehr am Leben bleiben. Muß ich sterben, so will ich's wenigstens nicht am Fürchten. Und so ist's, und nu ist's fertig.« Aber in dem alten Tone sprach sie das nicht. Nun hört sie die alte Annemarie die Treppe herunterkommen, um ihr Wächteramt anzutreten. Die Heiteretei muß eilen; sie fühlt die Blicke der Alten auf ihrem Rücken brennen. Das starke Mädchen vermochte kaum, den Schiebkarren zu heben. Es war, als läge ihre Tat mit darauf. Und wie langsam kommt sie diesmal von der Stelle! Jeder Vorübergehende wird sehen, wie sie zittert, und bedenklich stehnbleiben, um sie recht zu besehen. Und destoweniger wird sie eilen können. So dachte sie, wie sie um die Ecke biegend in die Weidengasse kam. Und dort steht schon einer am Fenster und beobachtet sie. Er öffnet das Fenster und ruft: »Die ist's!« Nein; er ruft dem Bader, der aus einem andern Hause kommt, zu eilen! Aber weshalb? Soll er ihm helfen, sie beobachten oder sie aufhalten? »Er barbiert wohl den Wirten ihre Fässer, und seine Kunden können sich den Bart mit der Scher' abschneiden?« So zankt der Geleitsreiter aus dem Fenster, und der Bader entgegnet lallend und stolpernd: »Keinen Tropfen, Herr Geleitsreiter!« »Das ist ja auch wie jeden Tag,« sagte wieder aufatmend die Heiteretei. Sie kommt durch Gassen und Gäßchen; da hat jedermann mit sich selbst zu tun; wenn einer auf sie redet, so ist's mit einem herkömmlichen Spaße. Niemand sieht ihre Tat ihr an. Nirgends stehen Leute beisammen, die miteinander flüstern und sich erzählen, was da wieder einmal Schreckliches ist geschehen. Die Gassenjungen schlendern der Schule zu; keiner läuft hinter ihr her und zeigt mit den Fingern auf sie: »Die ist's, die hat's getan.« Ihre Last wird immer leichter, ihr Schritt federnder. »Ich mein', das Annedorle ist über Nacht geblieben im Zainhammer,« sagt der Nagelschmied, der in seiner Tür steht. »Die ist gut nach dem Tode schicken.« Die Heiteretei weiß nicht, soll sie sagen, sie sei die Nacht zu spät heimgekommen, um das Eisen noch zu überliefern. »Ich denk',« sagt sie, »damit wartet ihr noch ein Jährle oder ein paar. Meinen Schiebkarr'n kann ich wohl da bei Euch lassen steh'n, dann brauch' ich nicht erst noch einmal heim. Rückwärts von meiner Bäs ihrem Lein nehm' ich ihn wieder mit.« »Na, da laßt nur nicht etwa das Unkraut stehn und rupft den Lein 'raus, Annedorle.« Damit geht der Schmied wieder hinein. Die Heiteretei ruft ihm noch nach: »Seht Ihr nur Eure Nasen nicht für einen glühenden Nagel an.« Dann geht sie ohne Schiebkarren weiter nach dem Ulrichstore zu. Sie lebt zwei Leben zugleich nebeneinander. Mit dem einen ist sie in der alten Umgebung die alte Heiteretei, mit dem andern eine Verbrecherin, die jeden Blick auf sich gerichtet meint und vor jedem Tritt, vor jedem rauschenden Blatt erschrickt. Bald scheint ihr dieses, bald jenes Wirklichkeit und das andre ein Traum. Nun ist sie aus dem Tor; der Weg, den sie geht, ist der Ulrichsweg, derselbe Weg, auf dem sie gestern die Tat verübt. Fast möchte sie umkehren, wenn ihr das einfällt, und doch zieht sie's wie gewaltsam und wie der Vollendung ihres Verhängnisses entgegen. Wie ist das heute anders als gestern! Wieviel Menschen beleben die Gegend, die gestern so einsam war! »Bist du auch einmal die letzt', Annedorle?« ruft ihr eine Stimme zu. Es sind ihre Mitjäterinnen auf der Base Leinfeld, die stehn blieben, weil sie die Heiteretei sich nachkommen sahen. Die Heiteretei holt sie ein. Nun gehen sie zusammen weiter. Die Mädchen erzählen sich allerlei, necken sich und lachen; von dem Holders-Fritz wissen sie, scheint es, nichts. Nun sind sie nahe am Ulrichssteg; immer kommen ihnen Leute nach und entgegen. Im Vorbeigehn wird ein scherzender Gruß ausgetauscht, und noch immer hat kein Mensch des Holders-Fritz gedacht. Sie möchte schon wieder glauben, ein Traum habe sie zum besten gehabt, aber rechts vom Stege, wo der Bach einen breiten Sumpf bildet, sind die Wassergräser menschenleibs lang niedergedrückt, und darüber steht eine Pfütze. Kein Mensch sieht danach; die Heiteretei nur mit einem einzigen scheuen Blicke. Zugleich fragt sie: »Aber was ist das für ein Rauch da links in den Bergen?« »Ein Rauch? Möcht' ich wissen, wo! Was du auch manchmal siehst, Annedorle?« Die Heiteretei hat alle Blicke von der Richtung nach dem Steg abgewandt; nun fehlt ihr der Mut, die gelungene List zu nutzen. Sie fürchtet, die Blicke der andern werden dem ihren folgen, wenn sie nach der Pfütze sieht. Nun sind sie über den Steg. Die Heiteretei trägt ihren Hut an den langen Bändern und läßt ihn fallen. Sie geht wie in Gedanken noch einige Schritte, damit sie sich zurückwenden muß, wenn sie ihn aufhebt. Aber sie hat nicht an die Erlen gedacht – dieselben tief herabhangenden Zweige, die gestern ihr Heranfahren auf den Holders-Fritz versteckten, verdeckten ihr jetzt die Aussicht nach dem Bache. »Möcht' ich nur wissen, wer mir den Hut beschrien hätt'!« lacht die Heiteretei und martert sich während des ganzen Scherzgesprächs, das sich an diese Worte knüpft, ab, das Erinnerungsbild von jenem flüchtigen Blicke sich zu vergegenwärtigen. Aber so deutlich vermag sie es sich nicht zurückzurufen, daß sie daran zur Gewißheit käme, ob Blut auf der Pfütze stand oder nicht. Innerlich damit beschäftigt, ist sie schon auf dem Leinfelde und mit ihren Gefährtinnen lange in der Arbeit begriffen, und meint noch auf dem Wege zu sein. Da weckt sie die Stimme eines Vorübergehenden. Es ist die Stimme ihres Verhängnisses selbst. »Wißt ihr's schon?« Die Mädchen richten sich auf und sehen nach dem Fragenden. Die Heiteretei, die dem Weg am nächsten steht, muß an sich halten – sonst merken alle, sie weiß es schon, was der erst sagen will. Wie lange nun das währt, bis er weiter spricht! Aber nur der Heiteretei, den andern nicht, so neugierig sie sind. Doch wer weiß, wie ewig die Erzählung dauern wird! Und währenddessen muß sie zehn Augen verbergen, was in ihr vorgeht! Das müssen die andern nicht. »Der Holders-Fritz,« fährt die Stimme fort, und die Heiteretei zuckt zusammen, »ist aufgehoben worden vom Gericht dort im Sumpf am Ulrichssteg.« Die Angst der Heiteretei eilt dem Erzähler voraus: »Die Heiteretei hat ihn ...« Aber nein! Der fährt anders fort. »Man weiß nicht,« sagt er, »ob er selber ist hineingestürzt, oder ob ihn jemand anders hat hineingeworfen, aber tot ist er.« Die Heiteretei vergißt, Atem zu holen; fast hätte sie vergessen, zu leben. Aber – »Ja, so tot, wie wir sind!« lacht eine andre Stimme. »Der recht' Arm ist gelähmt, sonst nix. Er ist damit auf einen spitzigen Stein gefallen, wie er hat Weiden wollen hau'n. Ich hab' ihn selber gesehn.« »Auf dem Gericht?« fragt der erste. »Hast dir's auch lassen weismachen?« Wenn sich die auch noch einmengen wollten, wenn einer von selber in den Bach fällt und ganzbeinig wieder aufsteht und geht allein noch heim, das tät gerad' noch fehlen! Weiter hörte die Heiteretei nichts. Die andern wußten nicht, was ihr begegnet war, daß sie plötzlich in die Knie fiel und mit beiden Armen in den grünen Lein griff, als wenn sie jemanden umarmen wollte, und in einem Atem weinte und lachte. »Was ist dem Annedorle?« fragte die Base erschrocken. »Nix,« sagte die Heiteretei, noch immer zugleich lachend und weinend. »Nix, Bas, nix. So ein verwünschtes Viergebein (Eidechse)! Ich jät' der Bas ihren Lein mein Lebtag nicht wieder mit, wenn Sie nicht die Viergebein' abschafft auf ihrem Feld. Nein, Bäs, laß Sie nur die Viergebein'; sie wollen auch leben auf der Welt. Und die Welt ist so eine lustige Welt! – –« »Seht,« sagt der Gurken-Kaspar, von seinem Kartoffelfeld auf die Heiteretei deutend, die heimwärts daran vorbei ging. »Wie das geht! Sprung auf Sprung. Heiteretei, Heiteretei! Die tanzt wieder einmal ihren Namen.« Auf einem andern Felde stand ein Bursche. Man sah, er suchte ein Gespräch, um einen Vorwand zum Feiern zu haben. »Annedorle!« rief er, »du tanzt wohl schon auf die Kirchweih los?« »Ja,« sagte die Heiteretei. »Hernachen bin ich fertig, wenn du anfängst. So bleiben wir im Geschick.« Auf einer Wiese lachte man den Abgefertigten aus. »Wann wird der einmal eine gescheite Antwort fehlen!« rief einer. »Wenn du einmal eine hast,« entgegnete die Heiteretei. »Das geschieht in sieben Jahren nicht.« Der Gurken-Kaspar sagte noch hinter ihr her: »Die Tag' war mir's immerfort, als wär' der Kreuzberg nicht mehr an seiner Stell', es war mir was, und ich hab' doch nicht gewußt, wo ich's hintun soll. Nun merk' ich's erst; das ist gekommen, weil die Heiteretei nicht mehr so getanzt ist wie sonst.« * Wir kehren zum Holders-Fritz zurück, den wir, durch den Anprall der Heiteretei vom Ulrichssteg herabgestürzt, im Zehntbach untersinkend verließen. Nicht lange, und keine Blase stieg über ihm auf, der Wasserspiegel schloß sich über ihm und zeigte gleichmütig der stillen Nacht ihr Bild. Zu plötzlich war er aus seinen Sehnsuchtsgedanken herausgerissen worden, zu unvermutet war der Angriff des Mädchens gekommen, zu schnell der betäubende Sturz und das erstickende Einatmen des schlammigen Wassers darauf gefolgt. Er wußte kaum, was ihm geschehen und wo er war, und auch der letzte Rest der Besinnung mußte ihn verlassen, hob ihm nicht in dem Augenblicke, der über Leben und Tod entscheiden sollte, ein instinktivmäßiges Aufstemmen der Hände auf dem seichten Grund des Sumpfes, Kopf und Brust über die Wasserfläche empor und hielt sie da fest, bis das Eingeschluckte durch Mund und Nase wiederum herausgestoßen war. Das Dunkel vor den Augen schwand; die grüne Schlange wälzte sich von seiner Brust herab, so wie diese statt des harten, kalten, gurgelnden Dinges wiederum die weiche Sommernachtluft einsog, und ringelte sich glitzernd und riesenlang von ihm weg, bis er gewahr wurde, sie sei nichts andres als der altbekannte Zehntbach, und er selber liege bis an die Brust in des Baches Wassern. Was über ihm schwarz vom blauen Nachthimmel sich abschnitt, war der Ulrichssteg, auf dem er kaum vor einer Minute noch gestanden. Er besann sich, was er eben getan und wie er heruntergekommen sei, und konnte erst nichts finden, als über ihm vorbeirasend ein bleiches, wildes Mädchengesicht mit rollenden braunen Augen und zusammengepreßten Lippen, durch die weitgeöffneten Nüstern schwer, rasch und hörbar atmend. Er griff mit beiden Händen nach dem Steg, um sich auf ihn hinaufzuschwingen; aber der Schmerz, der von der rechten Hand bis zum Herzen flutend zuckte, machte ihm das unmöglich. Er mußte eine Stelle suchen, wo das Ufer seichter war, und über einen Teil der Wiese, um wieder auf den Weg zu kommen, Mühsam fand er endlich zusammen, was an und in ihm vorgegangen in dem Augenblicke zwischen seinen harrenden Sehnsuchtsgedanken und dem Sturz in das Wasser. Er hatte dem so plötzlich auf ihn zuklirrenden Schiebkarren unwillkürlich den Arm entgegengestreckt, und war durch den Stoß des Fuhrwerks gegen seine Hand über den Rand des Steges gedrängt worden. Die Verletzung an dem ersten Finger derselben abgerechnet, konnte der Hergang nicht glücklicher für ihn ausgefallen sein. Aber seine erste tief heraufschwellende Empfindung war: »Wärst du doch liegen blieben im Bach!« Er wußte nicht, war der pressende Schmerz im Herzen und krallte bis in die Hand, oder war er in dem Finger und zuckte von da bis in die Brust hinein. Wie seine Seele rang zwischen Zorn und Schmerz, er fand nur die Frage: »Was hast du ihr getan?« Er empfand mit einer Art schmerzlicher Lust ihr ganzes Unrecht an ihm durch, und anstatt ihn frei zu machen von seiner Liebe zu ihr, trieb es diese nur zu größerem Wachstum. Es scheint dies wunderlich, aber es ist's nicht. Oft macht, was wir voraus haben vor andern, uns sie zu lieben geneigt, während wir, im Bewußtsein, gegen andre im Unrecht zu stehen, in ihnen das Gefühl unseres Zurückstehens hassen. Aber seinem Stolze kam eine unerwartete Hilfe. Er hörte schadenfroh lachen. Zornig wandte er sich und fand den Läpplesschneider hinter sich stehen. So hatte das Tier, das dem Holders-Fritz alles zum Possen tat: die Leute, auch hier ein Auge und ein Ohr gehabt. Und was dieses heute gehört, das wußte morgen das ganze Tier. Da stand der alte Groll wieder auf seinen Beinen und machte den Holders-Fritz dem Schmerz der Liebe streitig. »Nu kann man wohl lachen,« sagte der Schneider; »denn wie man sieht, hat dir das« – er machte die Bewegung des Schwingens – »nix geschadet. Ja, das ist ein Teufelsmädle, das!« »Wer?« fragte der Fritz, der nicht geahnt, einen Zeugen seines Sturzes zu haben, wild. »Dächt' ich doch,« meinte der Schneider, noch stärker lachend, »du wüßt'st, wen ich mein'. Spürst sie wohl noch in allen Gliedern, denk' ich. Kreuzelement, muß dir die einen Schwung gegeben haben, daß du so weit vom Steg bist geflogen! Mach' mir nix weis, Fritz. Weiß die ganz' Stadt, du hast ihr aufgelauert schon eine Wochen lang. Sie hat einmal sollen sehn, sie ist nicht die allerstärkst' und nimmt's mit jedem Mannsbild auf. Sie hat sollen sehn, du bist doch stärker. Du brauchst dich nicht zu ärgern, daß dir's quer ist gangen. Da am Gründer Markt hat sie's dem Morzenschmied und dem Weber vom Säumarkt nicht besser gemacht. Sei nicht wild, wenn ich noch immerfort lach'. Muß das ein Griff gewest sein! Ja, die hat Arm' wie Buchenäst', das Teufelsding! Ich bin doch auch einer und kein Pfefferkuchenmännle« – er hob den Rechen, den er auf der Schulter trug, um recht groß auszusehen –, »ich hab' Stärk' wie einer da in meinen Armen, aber bei der ist der stark' Holders-Fritz nix. Wir wollen ihr eins einbrocken, Fritz! Das wird angezeigt. Sie soll schon Respekt kriegen vor uns Mannern.« »Ich weiß nicht,« entgegnete der Fritz, »was du mit deiner Sie willst und wen du damit meinst! Ich hab' Weiden wollen haun und mich zu weit übergebogen; da hab' ich das Geschick verloren und bin gestürzt. Kann sein, es ist eins just über den Steg gegangen; das weiß ich nicht. Und wer weiß, wie dir's da vorgekommen ist!« Er wußte selber nicht, was ihn zu diesem Vorgeben trieb. Er meinte, es sei nur die Scham vor den Leuten, und doch war ebensoviel Sorge um das Mädchen mit dabei. »Ja,« sagte der Schneider, »du willst nicht, daß es heißt: den starken Holders-Fritz hat ein Mädle in den Bach gerannt. Aber das geht mich nix an. Ein rechter Bürger muß alles Unrecht anzeigen, wo er sieht.« Dem Holders-Fritz stieg der Zorn auf, daß er wieder zum alten Wildtun greifen mußte. »Ich sag', ich hab' Weiden wollen haun und bin selber gefallen, und du weißt nicht, was du red'st. Wer's anders sagt, der hat's mit mir zu tun!« »Ja,« meinte der Schneider, »da möcht' man fast dem Morzenschmied recht geben, du hätt'st ihr bloß aufgepaßt, du wärst in sie verschameriert und hätt'st deine Sach' wollen anbringen, weil du ihr nix willst lassen tun. Und da ist die Geschicht' noch närrischer. Ich hör' die Manner schon im Gringel lachen. Hahaha!« Dem Fritz lohte die Scham ins Gesicht. »Ja, es gibt weiter keine in Luckenbach! Und wenn ich wart, wo die Valtinessin-Ev vorbeigeht oder sonst eine, so geht das keinen Schneider was an.« »So? hast du's auf die gemünzt, und die Heiteretei hat gemeint, es gilt ihr? Du hast mit der Ev' wollen karessieren, und die Heiteretei meint, du willst ihr deine Stärk' zeigen; das ist verwünscht!« »Du bist still mit der Heiteretei!« rief der Fritz zornig, aber eigentlich nur, weil der Schneider, das Stück Leute, sie nicht mit diesem Namen und überhaupt gar nicht nennen sollte. »Und ich sag' dir's noch einmal, wer die Lügen aussprengt, die du da hast gesagt, der soll sehen ...« Der Fritz schwang den gewaltigen Arm, um seiner Rede mit einem Schlag auf einen imaginierten Wirtstisch Gewicht zu geben, und zuckte zusammen vor dem Schmerz im Finger, den er in der Hitze des Gespräches vergessen. »Hm,« meinte der Schneider, »deine Ursach' mußt du doch haben. Ja, von der Ev und dir ist die Red' gewest, und an so ein arm Mädle, wie die Heiteretei ist, – na, ich sag' nichts wieder von der Heiteretei, brauchst nicht so aufzufahren, – an so eine ist da nicht zu denken. Donner, die Ev, die hat ein paar Kasten und Zeugs darin! Und da meinst du auch, die Ev wird's erfahren, und du verlierst den Respekt. Ja, und Respekt muß im Haus sein; darauf halt' ich auch. Du mußt nicht etwa denken, ich fürcht' mich vor dir und bin still aus Furcht. Da kennst du den Schneider schlecht. Ich red' so nicht von Sachen, wo mich nix angehn. Das schickt sich nicht für einen, wo ein Mann ist. Deswegen kannst du ohne Furcht sein, Fritzle; da kannst du dich trösten.« Sie waren im Gespräche an einen Ort gekommen, wo ihre Wege sich schieden. Wie er allein war, fühlte der Holders-Fritz erst, daß ihn fröstelte. Aber er war innerlich zu erregt, um darauf etwas zu geben. Er sagte zu sich: »Ich wollt', mir wär' was anders eingefallen, als das Ordentlichsein. Das ist schuld an der ganzen Geschicht'. Nu wird der Schneider reden und der Schmied. Und das ist verwünscht, daß es wieder die Wahrheit ist. Ich könnt' gleich wieder in das alt' Wildtun hineinkommen. Ich wollt', ich wär' nie anders gewest. Das Denken ist dumm Zeug; deshalb ist das Vieh so vergnügt, weil's nicht denkt. Jetzt gleich geh' ich in die Schwane und geh' nicht eher wieder heraus, bis ich die vergessen hab'.« Er hielt den schon schneller gewordenen Schritt wieder an und biß die Zähne zusammen. »Ja, daß sie mich auslachen da und sagen: Er ist wieder wild, weil ihn die nicht mag und hat ihn in den Bach gerennt. Und wenn sie ihn nicht in den Bach hätt' gerennt, wär' sie ihn nicht losgeworden: so ist er ihr überall nachgelaufen. Und daß sie selber sagt: Er ist gewest wie dem Herrnmüller sein Spitz, und so einem muß man einen Tritt geben, sonst hat man keine Ruh' vor dem Vieh. Element! Daß ich ihr nicht aufsässig kann sein, und wenn sie noch schlimmer wär' und noch niederträchtiger tät'! Und den Finger da; wenn ich nicht mehr kann arbeiten, hernachen hab' ich erst Zeit zum Aufpassen, da kann ich ihr ja nachlaufen den ganzen Tag, da kann sich der Spitz lassen treten, soviel er Lust hat. Das wird anders, Bursch, das sag' ich dir! Die Ev sollst du frein, so wahr ich der Holders-Fritz bin. Das soll dir nicht umsonst eingefallen sein. Der Schneider hat mir's auch geglaubt; da werden's die Leut' schon erfahren, daß ich der Ev aufgepaßt hab' und nicht jener! Und die Heiteretei ...« Er blieb wieder stehen. Es fiel ihm ein, da die Heiteretei nichts mit ihm haben wolle, werde sie sich nicht ärgern, nähm' er die Ev. »Und wenn ich's ihr nicht zum Trotz tu', so tu' ich's dir selber zum Trotz,« sagte er dann wieder zu sich, »weil du sie nicht aus den Gedanken kannst bringen. Wild tu' ich nicht mehr, das weißt du, aber unterkriegen will ich dich wohl noch, Bursch! Du sollst mir die Ev heiraten. Warum willst du jene nicht vergessen!« Er hatte sich selber am Kragen gepackt, so war's ihm ernst. Es war das eine sehr mittelbare Weise, sich an der Heiteretei in seiner eigenen Liebe zu ihr zu rächen. Aber er hielt sie fest. »Fräle,« sagte er zu der Großmutter, »Ihr habt mir neulich von der Valtinessin-Ev gered't, Ihr wißt schon, was. Das könnt Ihr fertigmachen. Sagt mir nix weiter davon; in acht Tagen muß die Sach' fertig sein. Ich bin ihr schon lang zu Gefallen gegangen, – das könnt Ihr sagen – und hab' sie nicht allein können antreffen.« Die Großmutter wunderte sich, ihn einmal wieder in seinem Hause zu sehen, wenn auch in tiefer Nacht. Da sie seinen Zustand gewahr wurde, seine Kleider naß und voll Schlamm, ihn frösteln und von seinem verletzten Finger Blut fließen sah, geriet sie außer sich. »Es ist nix,« sagte er; »beim Weidenschneiden bin ich in den Zehntbach gefallen.« Die Alte, voll Furcht, er könne sich erkälten, wollte ihn im Hause behalten und bewegen, schnell zu Bette zu gehn oder wenigstens die Kleider zu wechseln. Er könne den Tod haben davon. »Wär' mir just recht,« dachte der Fritz. Er blieb darauf, so wie er sei, nach seiner Werkstatt zu gehn, und wenn sie ihm den Bader etwa nachschicke, der solle sehen, seine andere Hand sei noch gesund. Sie meinte ihn dadurch zu überreden, daß sie sagte: »Aber, du bös Tichterle, wenn du krank wirst, oder der Finger wird schlimm, daß du nicht kannst arbeiten?« »Ich mag nicht arbeiten mehr! Ich seh' nicht wozu! Ich seh' nicht, wozu einer leben will!« fuhr der Fritz auf. »Wenn Ihr was wollt' tun, Fräle, so macht das geschwind fertig, ich hab' Euch gesagt, was. Oder ich geh' übermorgen nach Amerika.« Die Vorstellung, daß einer nach Amerika auswandere, war der Großmutter immer schrecklicher gewesen, als die des Sterbens. Da, meinte sie, komme man zu seinen Leuten und dort zu lauter Fremden. Die Valtinessin-Ev schien ihr nicht die Frau, die sie ihrem Enkel wünschen sollte. Doch versprach sie ihm, die Sache möglichst bald in Richtigkeit zu bringen, wenn sie auch bei sich dachte: »Das ist die best' Eil', die nix übereilt, und Gott sei's gedankt, der Menschen Gedanken in ihren Köpfen sind auch nicht so fest, als die Erd' unter ihren Füßen.« Sie konnte nicht schlafen. Es fiel ihr nun erst recht ein, wie er gefiebert, wie er bald dunkelrot, bald totenbleich gesehen, sein ganzes zerstörtes Wesen, wie er zuweilen gewankt; wieviel Blut er auf dem Heimwege schon verloren haben müsse. »Besser ist besser,« meinte sie. Sie nahm ihren blauen Mantel um die alten Schultern, trippelte nach der Weidengasse und weckte den Bader. Mit diesem kam sie eben noch rechtzeitig in ihres Enkels Werkstatt an. * Den andern Abend saß der Morzenschmied ganz still im »Gringel«. Er hatte sich beiseite gemacht und schien wenig von dem zu hören, was gesprochen wurde. Es galt dies dem Holders-Fritz; man wollte wissen, er sei krank. Der Morzenschmied meinte: »Ja, einen Schnupfen mag er schon gekriegt haben davon.« Dann kroch er ganz in sich hinein und versank völlig in die Betrachtung seiner Pfeife. Er hielt sie wieder und wieder einmal so nah vor seine Augen, als wär' er plötzlich kurzsichtig geworden. Dann kniff er die Augen auf die Weise zusammen, die nur ihm gehörte, bis sie ganz schief zu stehen schienen, und immer öfter meldeten sich Anwandlungen des eigenen Schluchzens, das wir schon an ihm kennen. Endlich erhob er sich, lange vor seiner gewöhnlichen Aufbruchszeit, bezahlte schweigend und duchste hinaus. Ebenso duchsig trat er daheim in die Stube. Ein unmerkbar flüchtiger Blick zeigte ihm, daß seine Morzenschmiedin in der Ecke an der Wiege des Gottliebles saß. Sie nahm sich aus wie ein Pfahl, an den das Kind vielleicht gebunden war, damit kein Geier es wegtragen konnte. Und nun dehnte sich sein vorher ganz zusammengeschobenes und gefaltetes Gesicht ebenso in die Länge. Wiederum fingerte er zitternd an der eben aufgehängten Jacke herum. Die Schmiedin sah ihm eine Weile zu. Die Neugierde schraubte sie mit unsichtbarer Schraube immer höher vom Stuhle empor; es kostete Mühe, das Gleichgewicht zu erhalten. Das Gottlieble war nie so langsam eingeschlafen, als diesen Abend. Als es endlich doch geschehen, stand sie mit zwei Schritten hinter dem Schmied und fragte: »Aber was ist denn? Was hast du nur wieder einmal?« »Du bist da?« gegenfragte der Schmied über seine Schulter. Dann, indem er sich wandte: »Hast du denn auch Tee genug daheim für die Nacht?« »Wie kommst du auf den Tee, Morzenschmied? Hast's etwa wieder einmal in der Achsel? Ach, deinen Schlucker hast du einmal wieder!« Der Morzenschmied antwortete nicht, sondern sagte wie zu sich selbst: »Ich bin nur froh, daß ich froh bin.« Dann wandte er sich zu der Schmiedin: »Ich sag' dir, es gibt nix Gescheiters auf der Welt, als wenn einer so eine gescheite Frau hat wie ich. So gut ist heut nicht ein jeder dran. Ja, ja. Das wird eine schöne Geschicht'! Ich hab's mir gedacht, was mit der Wachtstuben noch müßt' herauskommen. Na, wir beiden können lachen. Aber die daran schuld sind! Ja, du weißt's wohl noch gar nicht? Die Heiteretei hat den Holders-Fritz vom Steg gerennt. Und ich möcht' nicht unter denen sein, die ihr so lang' haben angst gemacht, bis sie desperat ist geworden.« »Die Heiteretei hat ihn hineingerennt? Aber er lebt ja noch, und es ist gar so gefährlich nicht mit dem Holders-Fritz. Das Holders-Fräle selber hat mir's gesagt.« »Ja,« sagte der Schmied, »daß er noch lebt, das ist nicht denen ihre Schuld; das Gericht sieht darauf, wie's hätt' können werden. So steht's im Gesetz. Sie hat ihn doch in den Bach gerennt, daß er sollt' ertrinken, und dazu haben sie die verrückten Wachtstubenweiber gebracht. Sie haben ihr weisgemacht, der Fritz hätt' ein Beil bei mir bestellt, und was noch sonst für dummes Zeug.« »Ja, hast du's denn nicht selber gesagt?« fuhr die Schmiedin auf, wild vor Angst. »Und nu sollen's die armen Weiber, du greulicher Mann?« Der Schmied schien die Rede seiner Frau für einen Ausbruch von Heiterkeit zu nehmen. »Ja, wir beiden können lachen,« fuhr er fort. »Ich hab' freilich auch so was gedacht, aber Denken ist ein andrer Mann, wie Sagen. Und der Morzenschmied ist kein Esel seines Namens, daß er so schrecklich gefährliche Ding' auf den Markt ausschreit, ich hab's niemand gesagt, als dir, Lene, und hab' dir das Weitersagen obendrein verboten. Sag' nix, ich weiß ja, das war unnötig. Du bist das vernünftigst' Weib in der Stadt und verbrennst dir von selber nicht die Finger. Weil ich so hab' gesehn, wie die andern Manner in Angst sind gewest, da hab' ich erst gemerkt, was ich an dir hab'. Und da hab' ich dir ein ganz Päckle Aniskuchen vom dicken Semmelbeck mit bracht, weil du die so gern ißt. Freilich, Lene, ich weiß ja, dir hätten sie mit glühenden Zangen nix davon abgezwackt, was ich dir hab' gesagt, du sollst's heimlich halten. Und da ist auch Zeug zu einem Schöpple für dich. Du hätt'st längst gern so eins gehabt. Siehstu? Einem vernünftigen Weib kann man nicht zuviel zulieb tun. Mach' doch und iß, Lenele. Sie sind wohl nicht süß genug? Sind von den besten, wo er hat. Denn siehstu, wenn auch die Heiteretei nicht desperat wär' geworden, so haben die verrückten Wachtstubenweiber doch gesagt, der Fritz will sie umbringen. Ja, das will das Gericht nun bewiesen haben; wer weiß, müssen die Weiber einen leiblichen Eid schwören vor einem Tisch, der ganz schwarz aus ist geschlagen, und da liegt ein Totenkopf drauf und die Geistlichkeit steht dabei und der Meister Schramm, ihr Hinterviertel, und unten auf der Gass' singt der Kantor mit seinen Jungen. Der verwünscht' Schlucker! Iß doch, Lenele. Ich mein', es ist ein Jahr her, daß ich dir keinen Schmatz hab' geben. Komm' her, Lenele; tu' nicht so schämerig; eine Frau braucht nicht so zu tun. Und wie dir das Schöpple wird stehn! Ja, es heißt, das Gericht will wieder ein neues Trillerhaus dazu lassen baun, weißtu? Wo die armen Sünder herum werden getrillert. Also Tee hastu für die Nacht. Ich bin schrecklich müd. Was schlägst du denn die Hand da unterm Tisch zusammen? Ich meint', du wärst ordentlich verblaßt? Dich dauern wohl die Wachtstubenweiber? Warum sind die so dumm!« Damit duchste der Schmied in seine Kammer. Die Schmiedin rang nun über dem Tisch die Hände. Sie stand schon halb vor dem schwarzbeschlagenen Tische, halb stak sie im Trillerhause. »Hast auch Öl für morgen früh?« fragte der Schmied schon über dem Auskleiden in der Kammer. Die Schmiedin hörte es nicht. Sie setzte ihr Zifferblatt auf ihr Haupt, und nachdem sie die Haltebänder geknüpft, was nicht so schnell ging, da Händezusammenschlagen und Schleifenbinden Dinge sind, die zu vereinigen man ein Taschenspieler sein muß, nahm sie ihr Gehäuse um und verschwand in der Finsternis der Hausflurs. * Hätte der Gurken-Kaspar der Heiteretei länger nachsehen können, der Kreuzberg hätte sich wieder um ein Stück aus seiner Stelle bewegt. Bis jetzt hatte sie nur den einzigen Gedanken gejubelt: »Der Fritz lebt! Du hast ihn nicht auf deinem Gewissen! Du wirst nicht geschlossen über die Gasse geführt, daß die Leute ausweichend schweigen, wenn du vorbeikommst, und nicht eher flüstern, als bis du vorüber bist! Nicht im engen Gefängnis lange Monden lang sitzen, du sollst frei bleiben wie die Vögel unter dem Himmel und die Hirsche in dem Walde!« Der Glanz des Ganzen, der so plötzlich die Finsternis vertrieb, hatte sie fürs einzelne geblendet. Nun ihr Auge sich an ihn gewöhnte, trat auch dieses hervor. »Der Fritz lebt, aber sein Arm ist gelähmt, und das hast du getan. Wie soll er schaffen ferner mit dem gelähmten Arm? Und dennoch hat er dich nicht angeklagt; er ist selber gefallen, hat er gesagt.« Von ihrem Herzen durch den linken Arm bis in die Fingerspitzen hinein zieht ein Schmerz, der doch etwas Süßes hat. »Er schont dich: und du hast ihm das getan,« meinte der Schmerz; das Süße daran ist der Gedanke: »er schont dich.« Denn heißt das nicht: »er ist dir nicht feindselig; er hat dir nicht aufgepaßt, dir Böses zu tun, vielleicht gar –?« Aber dieses voreilige Vielleicht mit seinem blauen Himmel schwindet. »Denn, freilich,« sagt sie, »sollt' es heißen, ein Mädle hat den starken Fritz überwunden? Dazu ist er zu stolz auf seine Stärk'. Und ich hätt's an seiner Stelle auch nicht können gestehn.« – Warum aber ist sie nun traurig? Ja, der Gurken-Kaspar schüttelte den Kopf, säh' er sie so vor sich hingebückt gehen, als läse sie ihre Gedanken von der Erde auf. So ist's. Aber ist es nicht noch unendlich gut, daß es nur so ist? und nicht so unendlich schlimm, als es sein könnte? Die ununterdrückbare Jugendkraft hob ihre Augen und ihre Gedanken von der Erde auf. Und als sie emporsehend ihr Häuschen erblickte und den alten Holunderbusch, wie er schon wieder unter einer flatternden Perücke von Kaffeewölkchen prangte, da jagte ein Lächeln die ganze Farbe aus der Mundgegend nach den prallen Wangen hin. »Sind die dummen großen Weiber schon wieder da beisammen? Nun ist's doch mit dem Warnen aus und dem andern dummen Zeug. Wie viel haben die nicht gered't, was sie müßten versäumen meinetwegen! Da sollt' man meinen, sie sind nun beim Nachholen daheim. Ja, prost! ums Plaudern ist's den Weibern zu tun gewest, und das Häusle steht so just am End', da kann man hineinwischen, und es sieht's kein Mensch, der es könnt' bereden. Nu, ich will mir's noch ein Tager etliche lassen gefallen. Aber hernachen hört's auf; hernachen kehr' ich aus. Und so ist's und nu ist's fertig!« Man kann sich denken, mit welcher Freude die Heiteretei von den »Wachtstubenweibern« empfangen wurde. Und auch Stolz war dabei. Der Himmel hatte die Heiteretei gerettet, indem er den boshaften Auflauerer in die eigene Schlinge fallen ließ. Denn es war kein Zweifel, der Holders-Fritz hatte die Heiteretei in den Bach werfen wollen, in den er selber nun gestürzt. Aber es fragte sich sehr, ob der Himmel ohne die Wünsche, Sorgen und Gebete der vereinigten Frauen ein solch Exempel statuiert hätte? Und diese konnten wiederum daran die Größe des Steines erkennen, den sie bei dem Himmel im Brette hatten. Alle Stimmen feierten das Walten der Gerechtigkeit; nur die kleine verschämte Baderin, die kurz vor der Heiteretei in das Stübchen getreten, schien von andern Gefühlen beseelt. Aber in ihrer Blödigkeit und ihrer ängstlichen Demut vor den großen Weibern wagte sie kein Wort und schien nur mit stummen Blicken und gefalteten Händen die jedesmalige Rednerin um Barmherzigkeit für den ja ohnehin vom Himmel Gestraften zu flehen. Die Weberin spann mit beiden Händen und verklärtem Auge der höheren Fügung, welche die verfolgte Unschuld geschützt, ein Ehrenkleid. »Ja,« schloß sie ihre Rede, »den Bösewicht hat so recht der Finger der Vorsehung vom Steg getippt.« »Da mög' einer,« machte die Tischlerin begeistert die Nutzanwendung, »Bonapart heißen oder Rinaldo Rinaldini oder Holders-Fritz; denn warum? das ist der Vorsehung egal.« »Denn jeder,« fügte die Tüncherin hinzu, »treibt's nur so lang', als es geht, und hernachen geschieht was, worüber sich Menschen und Vieh verwundern.« »Und wenn die Zeit gekommen ist,« sagte die Beutlerin, »hernachen ist sie da.« »Und hernachen,« nahm die Weberin ihren Faden wieder auf, »sagt alle Welt: So ist's einmal recht! So hat's einmal müssen kommen.« Bewirkte es nun der stumme Flehblick der Baderin, oder war die Genugtuung über die Bestrafung des Sünders zu dem höchsten Punkte gestiegen, wo sie notwendig in Mitleid umschlagen mußte, die Tischlerin sagte sanfter: »Ja, aber dauern tut es einen doch; denn warum? Man ist doch ein Mensch.« »Und,« meinte die Weberin, die auch in der Milde keiner nachstehen wollte, »er hat doch eigentlich auch seine schlimme Tat noch nicht verübt gehabt. Der Himmel kann strafen, aber die Menschen sollen mitleidig sein.« »Zumal,« bestätigte die Tüncherin, »wenn einer hernachen so bußfertig ist, wie der Holders-Fritz. Denn das muß man sagen, obschon er ein Bösewicht ist, so ist er doch eine recht christliche Seel'. Wie ein Lamm ist er, hat das Holders-Fräle gesagt. Und er hat auch gar kein bißle Reu' über das, was er hat getan, sondern er erträgt's als ein frommer Christ, der da aus seinem Katechismus weiß, der Gottlose muß viel leiden. Und glücklich ist, wer das vergißt, was einmal nicht zu ändern ist, hat der Apostel Paulus gesagt.« Dem durchdringenden Blicke der Weberin war indes nicht entgangen, daß die kleine Baderin mit einer wichtigen Eröffnung geladen war, aber nur den Mut nicht hatte, in Gegenwart der großen Weiber loszugehn. »Die Frau Baderin muß doch eigentlich wissen, wie's mit dem Holders-Fritz steht?« Die Baderin erschrak, daß sie reden sollte. Sie errötete über und über und stotterte eine Entschuldigung. Es kam ihr wie eine Anmaßung vor, etwas zu wissen, was so große Weiber nicht wußten. Und die Nachricht, die sie geben konnte, hätte sie in jedem andern Munde für wichtig und mitteilenswert gehalten; in ihrem eigenen aber schien sie ihr so unbedeutend, als sie sich selber vorkam. »Es muß sehr gefährlich sein,« spann die Weberin. »Die gute Frau hat nicht das Herz, es zu sagen.« »Dumm's Zeug!« lachte die Heiteretei, um sich selber die Furcht zu vertreiben. »Er ist auf den Arm gefallen; daran stirbt so einer nicht, wie der Holders-Fritz.« Die Tischlerin wollte beiden recht geben. »Nein, daran gewiß nicht,« sagte sie, »wiewohl's ihm kein Mensch könnt' wehren, daran zu sterben, wenn er's absolut will. Denn warum? Der Mensch ist wie ein Gras; das hat gar keinen Arm und muß doch sterben.« »Ihrer ist geholt worden?« fragte die Weberin. »Ja,« entgegnete die arme kleine Frau und zupfte verschämt an ihrem Mantel herum, daß es nur ihrer war, der geholt wurde. Dann faßte sie sich ein Herz und fuhr fort: »Das Fräle ist zu Nacht gekommen mit ihrer Latern' und hat Meinen in die Werkstatt geholt. Da hat der Holders-Fritz gelegen und war von sich. Aber es ist nix –« »Was soll's denn auch sein?« zankte die Heiteretei mit ihrer Angst. »Bei so einem Jungen!« »Ich mein,« fuhr die Baderin fort, und wußte nicht, wo sie hinsehn sollte, »daß ich's sag; ich weiß, daß ganz andre Weiber da sind, und es ist nicht, weil ich dächt', es wär' was, weil ich's hätt' gesagt, und ...« »Mit wem ist nix?« gab die Weberin der allgemeinen Spannung die Frage. »Mit dem Holders-Fritz seiner Krankheit?« Die Baderin hatte sich's ja gedacht, daß sie die großen Weiber beleidigen würde. Sie seufzte eine Rede, die an Kleinheit und Vergehn in Angst und Selbstverschmähung ihr völliges Ebenbild war: »Mit mir.« »Und der Holders-Fritz ist wirklich von sich gewest?« Die Baderin nickte und zuckte die Achseln, daß sie's nur war, die entgegnete: »Und so ist's geblieben. Meiner hat sich alle Mühe gegeben, aber so ist's geblieben ...« Die Tüncherin brach aus: »Ja, er hat noch gesagt: Ich bin allen Menschen gut gewest, drum will ich nu in Gott begraben sein.« »Es ist nicht wahr,« sagte die Heiteretei zornig und wollte sich mit Gewalt glauben machen, es könne nicht sein, wenn sie's nicht zugäbe. »Es ist der Marasmus gewest,« hat meiner gesagt, fuhr die Baderin fort. »Und so ist's geblieben ...« Die Tüncherin konnte sich nicht mehr halten. Wie in schmerzlichem Triumph über die ungläubige Heiteretei wiederholte sie mit schrecklichem Nachdruck nickend: »Das hat der Holders-Fritz gesagt. Ich will am Schmarasmus sterben, hat er gesagt, und hernachen hat er auch noch gesagt: wie's mit der Leich' soll werden.« Darüber geriet die Beutlerin außer sich. »Da soll's wohl eine große Leich' geben?« fragte sie hastig. »Wann wird er denn begraben? Die Wochen muß ich nach Tambich; das war' doch dumm, wenn's gerad' die Wochen wär'! Ich mach' mir weiter nix draus, aber man heult doch auch einmal gern mit. Wenn so die Kurrendschüler singen und der alt' Meister Schramm, der Leichenbesorger, wackelt so barmherzig mit dem Kopf, und der Vikares sieht oben 'nauf, wo alles Gute kommt, vom Vater des Lichts. Und der Meister Schramm nimmt seine Pfeifen aus dem Mund und legt sie auf den Teller, und hernachen geht's fort, so schwarz und weiß, da muß es einen Hund erbarmen, und so einer ist doch gleichsam nur eine Vieh, geschweig' einen Chri–hi–stenmenschen.« Aber nicht die Beutlerin allein schluchzte; die Frauen schluchzten alle, und die Baderin, die mit einem Worte den ganzen Jammer ein Ende machen konnte, vergaß dieses Wort und vermochte nicht, dem mächtigen Beispiel zu widerstehen. Wie gewaltig dies sei, wußten die Frauen recht gut. Denn so oft ihnen die Rührung ausgehen wollte, sahen sie einander an und erquickten sich durch das Bewußtsein der Gesellschaftlichkeit zu neuem, stärkerem Schluchzen. Die Heiteretei war wie ein Marmorbild; ihr spannte die Muskeln an, was die der Frauen auflöste. Die Weberin ließ den unsichtbaren Rocken, denn sie hob die Arme wie tröstend. »Sterben müssen wir alle.« »Aber so jung!« schluchzte die Tischlerin. »Er kann noch keine zweiunddreißig sein. Er ist gerad' so alt, wie mein Traugöttle selig. Na, wenn die Stadt wieder brennt, da wird die Kirch' nicht wieder gerett't. Und wenn's einen Wolkenbruch tut, muß der alt' Gerber ertrinken. Denn warum? Wenn ein Mensch tot ist, muß man sagen, was wahr ist.« Es entstand eine Stille allgemeiner Ermattung. Die Baderin konnte in ihrer Erzählung fortfahren: »Bis meiner ihm einen Topf kalt Wasser hat über den Kopf gossen. Hernachen ist er aufgewacht.« Das war für die Frauen selber kalt Wasser über den Kopf. Die Wendung kam zu unerwartet. Was den übrigen die Augen trocknete, machte die Heiteretei erst weinen. Vorhin war ihre Seele im Krampf gefangen; jetzt fühlte sie erst seinen Tod und ihren Schmerz über diesen und daß sie ihn verschuldet, als wär' er wirklich, da sie wußte, er lebte noch. Die Beutlerin dagegen sah auf mit halb unwilliger Verwunderung. »Was?« sagte sie. »Da ist er noch gar nicht einmal gestorben? Da hab' ich für nix geflennt?« »Nun, und wenn er auch noch nicht gestorben ist,« schluchzte die Tischlerin, die sich nicht so leicht aus dem Jammer herausarbeiten konnte, »denn warum? Den Leuten ihre Schuld ist's nicht.« »Ach,« sagte die Baderin leise, »ja, er hat auch dem Annedorle gar nix zuleid wollen tun. Er ist auch schon lang gar nicht mehr wild gewest. Das Holders-Fräle hat gesagt: So ordentlich und so die Guttat selber ist gar keiner mehr wie mein Tichterle.« Das gab ein neues Erstaunen. Aber wie man einmal über dieses hinaus war, wunderte man sich, daß man hatte erstaunen können, und fand, daß man ja eigentlich nie an die böse Absicht des Holders-Fritz geglaubt. Und nachdem die Frauen einmal so weit vorgerückt waren, bedurfte es nur noch eines kleinen Schrittes weiter, und sie besannen sich, jede hatte diesen Unglauben auch ausgesprochen. Es war wunderbar, mit welchem Scharfsinn man zuletzt bewies, daß nur ein ganz überspannter Mensch auf eine solche Albernheit habe kommen oder ihr Beifall geben können. »Aber so sind die Leut',« sagte die Tischlerin. »Denn warum? Wenn's nur nix Gut's ist vom lieben Nebenmenschen; je schlimmer es ist, je lieber glauben's die Leut'.« »Freilich! freilich!« spann die Weberin mit beiden Händen. »Weil er ein Beil bestellt hat? Ich hab' gleich gemeint, er will es zu den Weiden haben. Es ist zu verrückt. Da dürft' zuletzt kein Mensch mehr ein Beil bestellen. Und er hat's ja selber gesagt, er ist über dem Weidenhauen in den Bach gefallen. Na, wenn ein Büttner keinen Reif mehr soll hauen, womit soll er denn binden?« Die Tüncherin war zornig über das Unrecht, das dem unschuldigen Holders-Fritz widerfahren war. »Lieber Gott!« rief sie; »über die Leut'! Und wenn er nu vollends am hellen lichten Tag Weiden gehauen hätt', wo's alle Leut' hätten gesehn? Was wär' da erst draus gemacht worden, wenn er's nicht einmal bei Nacht hat dürfen tun, ohne daß die Leut' reden!« »Es ist schrecklich,« sagte die Tischlerin noch zorniger. »Wenn ich's nicht immer gesagt hätt', wenn's hat geheißen: Nu hat er wieder da gelauert! Nu hat er wieder dort gelauert! Denn warum? hab' ich gesagt. Es darf gar keiner mehr ordentlich werden auf der schlechten Welt. Denn warum? Wenn einer den ganzen Tag ärbet, wenn soll er denn Weiden hauen gehn als wie bei Nacht? Da hat's geheißen: Er lauert, wo das Annedorle vorbei muß kommen. Da hätten die Leut' ebensogut könnt sagen, das Annedorle lauert dem Holders-Fritz auf. Denn warum? Weil sie immer da hat geärbet't, wo Weiden stehn.« »Ja,« sagte die Baderin ängstlich verlegen. »Aufgepaßt hat er dem Annedorle schon. Aber nur, weil er sie hat wollen freien und hat's nur vor den Leuten nicht wollen tun.« Das wäre schon wieder Stoff zum Erstaunen gewesen. Aber das Unerwartete war diesen Abend so oft gekommen, daß es keine Wirkung mehr tat. Vielmehr lachte die Weberin laut auf und sah die andern Frauen der Reihe nach an. »Was hab' ich gemeint, wenn ich's auch nicht hab' wollen sagen?« »Ja,« entgegnete die Tischlerin beistimmend. »Denn warum? Man wär' ausgelacht worden. Aber darauf wird sich jede noch können besinnen, was ich für ein Gesicht gemacht hab', wie zum erstenmal ist die Karten gelegt worden. Denn warum? Da hat die Eichelzehn und das Eicheldaus beim Annedorle gelegen.« »Ja,« fuhr die Tüncherin fort, »und wie die Tischlerin das Gesicht hat gemacht, da hab' ich die Tischlerin angesehn und hab' gesagt: Das ist eine Hochtzig!« »Und hernach hab' ich genickt und zwei Lacher getan,« sagte die Beutlerin. »Na, die Frau Weberin und die andern werden sich noch können erinnern an die zwei Lacher, wo ich da hab' getan. So: Hahaha! Hahaha!« Und wenn's sonst niemand ihnen glaubte, sie hatten sich so hineingeredet, daß jede wenigstens von sich überzeugt war, so habe sie getan. Die Baderin hatte davor mit ihrem Bericht kaum zu Ende kommen können, daß für das Leben des Holders-Fritz keine Gefahr mehr vorhanden sei. Nur freilich! der verletzte Finger konnte steif bleiben. Aller Kraft ihrer ungeschwächten Jugend bedurfte die Heiteretei, den plötzlichen Wechsel der stärksten Gefühle zu verwinden. Und wunderlich! Auch ihr ging's wie den Frauen. Ihr war, als hätte sie, selbst in der Aufregung, die sie zu der wilden Tat getrieben, im Innersten ihres Herzens gewußt, was der Fritz eigentlich von ihr wollte. Um so entschuldigungsloser und schwärzer stand nun die wilde Tat vor ihr. Sie konnte der Freude nicht froh werden davor. Und nun schoben die Frauen, indem sie ihr früheres Warnen und Aufregen verleugneten, die ganze Schuld ihr ins Gewissen. Das allein zwar hätte sie nicht so sehr aufgebracht gegen jene; diese Verleugnung erzeugte im Gegenteil das Gefühl der Verachtung in der stolzen Seele der Heiteretei. Sie vergaß aber, daß sie damals die Frauen nicht so gekannt als jetzt. Und so kam zu der Reue über das Unrecht und die Unentschuldbarkeit ihrer Tat auch noch der Zorn auf sich selbst, daß sie von solchen Menschen sich habe dazu verleiten lassen. Dazu verleiten! Ujnd durch solche Menschen! Die Heiteretei, die auf ihre Klugheit und Selbständigkeit so stolz war! Es bedurfte nur noch einer kleinen Reizung, um ihren Zorn von ihr selbst auf die Frauen hinzulenken. Und diese blieb nicht aus. Dazu tat sich jetzt die Tür auf. Herein trat die Gringelwirts-Valtinessin im Sturmschritt. Hinter ihr her die Schlosserin drüben von den Weiden und die Russen-Sattlerin. Das geschah mit so eigenen Gebärden und mit so beredtem Schweigen, daß die bereits Anwesenden vor Neugier und Verwunderung verstummten. Da ließ von all den Vorwänden und Versicherungen, die sonst zum Zeremoniell der »Wachtstube« gehörten, sich nichts vernehmen. Keine Rede davon, wieviel die Valtinessin daheim zu tun hätte, daß sie eigentlich kaum aus dem Hause gucken sollte und doch käme, weil sie einmal »so« sei. Es hatte etwas Beängstigendes, wie die drei guten Frauen nur ge kommen zu sein schienen, um hier Kaffee zu trinken. Aber auch das mußte ein eigenes Verhängnis nicht geschehen lassen wollen. Sie führten die angebotenen Tassen mit zitternder Hand zum Munde, und stellten sie doch, ohne getrunken zu haben, wieder auf den Tisch. Und mit Gesichtern! mit Gesichtern! Wunderbar war es anzusehen, wie in der Spannung von Angst und Neugier die übrigen Frauen unwillkürlich die Mienen und Gebärden der eben angekommnen nachahmten. Endlich ächzte die Valtinessin: »Ei, du Gerechter!« Die Schlosserin von drüben seufzte: »Nein, so was!« Die Russen-Sattlerin stöhnte: »Sollt' man's denn meinen!« Dann war wieder alles still. Und wieder begann das Achselzucken, wieder wurde der Kopf seitwärts geworfen, wurden die Hände zusammengeschlagen. So eigen, man möchte sagen: melancholisch-resigniert und doch zugleich mit einer schmerzlichen Anklage des Himmels hatte die Haube der Valtinessin noch nie über ihrem rechten Ohr geschwebt. »Man soll nicht denken,« sagte die Valtinessin endlich, als sie saß, aber mehr zu der Stubendecke, als sonst zu jemand, »man soll nicht denken, man hat alles erlebt, wenngleich man am Gründonnerstag sechzig ist gewest. Der Holders-Fritz ist ins Wasser gefallen? O, es fallen mehr Leute ins Wasser! Er hat Weiden wollen haun? Ja, prost die Mahlzeit.« Sie schlug erst mit beiden Händen auf ihre Knie, dann fuhr sie in Tönen fort, wie sie der Gringel im Einfallen hören lassen würde: »Obschon mein Vater selig ein Weber ist gewest, hier sitz' ich und sag': Da liegt eine Kriminaljustiz! Ins Wasser gerennt ist er worden, der Holders-Fritz!« Tausend Ausrufe des Schreckens und Erstaunens, ebensoviel Fragen waren im Entstehen. Sie alle erstickte die Valtinessin erbarmungslos in der Geburt, indem sie fortfuhr: »Einem Stuhl und einem Tisch sieht man an, wozu sie gemacht sind, einem Menschen aber nicht. Oftmalen sieht einer aus wie Marzipan und ist aus eitel Galgenholz geschnitzt. Und da findet sich hernachen, daß das, was man für einen Engel hat gehalten, der Gottseibeiuns selbst ist gewest, und wiedrum umgekehrt. Man meint, wenn einer wild heißt, muß er auch wild sein, und wenn eine fröhlichen Herzens ist, so ist kein Falsch an ihr. Ja, prost die Mahlzeit! Und wenn eine hinter dem Schiebkarren hertanzt wie weiland der König David seliger vor der Bundeslad' – aber der Mensch red't sich nicht in Ungelegenheiten hinein, wenn er am Gründonnerstag sechzig ist gewest.« Sie brauchte den Täter nicht namentlich zu bezeichnen. Alles sah erstaunt auf die Heiteretei. »Aber,« fuhr die Valtinessin fort, indem sie ihre Haube auf das linke Ohr schwang, »aber es ist nix so fein gesponnen, es kommt doch endlich an die Sonnen. Und wenn nur ein Schneider in der Näh' ist gewest. Denn der Vorsehung ist keine Kreatur zu gering. Und kommt so was nicht vor die Gericht', so ist's von wegen der Schererei und nicht etwa, als ob man ein Gewissen hätt'. Aber darum soll keine meinen, nun ist ihr's geschenkt. Denn dort über dem Häusle da –« sie zeigte hinauf, wo man eben den Holunder am Strohdach kratzen hörte – »dort oben, da ist einer, und dem ist's egal, ob einer König oder Kaiser oder auch ein ledig Weibsbild ist. Und der sieht mit dem einen Aug' nach Amerika und mit dem andern auf den Ulrichsteg. Und wenn schon mein Vater seliger ein Weber ist gewest, und die Leut', die's trifft, mögen leugnen, wie sie wollen, hier sitz' ich und sag': So ist's!« Nun blieb den Frauen eigentlich kein Zweifel mehr; dennoch versicherten alle, sie könnten's nicht glauben, sie könnten's wirklich nicht, daß so eine, die man für die Best', für die Guttat selber gehalten, so was ganz Schrecklich's sollte getan haben. Die Valtinessin schlug auf ihre Knie und wiederholte: »Ja, mög's leugnen, die's getan hat, wie sie will; hier sitz' ich und sag': So ist's!« Die Heiteretei aber sprang wie eine Stahlfeder von ihrem Schemel auf, daß die Frauen einen Schritt zurückwichen und nur die tapfere Valtinessin ruhig sitzen blieb.»« »Leugnen,« sagte sie zornig. »Und vor wem? Vor euch? Was seid ihr denn, wennschon ich ein arm' Mädel bin, und ihr seid reich und denkt, ihr seid Wunder was? Und gut; wenn's so einen gibt über dem Häusle da, wie die Valtinessin sagt, so weiß er auch, wer schuld daran ist, und wenn ihr euch noch hundertmal mehr wundert. Was ich getan hab', das hab' ich getan! Und wär's was Schlimmer's, so bin ich nicht, daß ich nun tät', als wüßt' ich nix davon, wie's andre machen, die einen reizen dazu, daß man's tut, und hernach verklagen sie einen noch.« »Die einen reizen?« rief die Valtinessin voll Erstaunen, als die andern verlegen schwiegen. »Hier sitz' ich und frag': Wer hat einen gereizt?« Da erhob sich eine Stimme, in deren Ton sich Angst und Zorn wunderbar ineinander verbissen hatten. Alle sahen nach der Tür; in dieser erschien die Schmiedin eben wie ein Komet. Ihr Antlitz schimmerte in bläulichem Glanz, und hinter ihm rauschte Unglück verkündend das lange Haubenband als Schweif. »Und da meint die dort,« schrie sie, »daß man vor Gericht das glauben wird? und denkt, sie will sich weißbrennen, wenn sie ehrbare Frauen verleumden tut? Die, sag' ich, muß einen leiblichen Eid leisten, und nicht arme unschuldige Weiber! Und für die wird das Trillerhäusle gebaut. Ich sag' nur, mich sollen sie nicht trillern, eher lauf ich in den Zehntbach. Ich hab' nix weiter getan, als was alle haben getan, wo hier sind. Und wenn sie's dahin bringt, und die Weiber da lassen sich's alle gefallen ...« »Wenn man wüßt', was sie eigentlich will, die Schmiedin!« unterbrach sie die Valtinessin. »Ich für meinen Teil, was das auch mög' sein, hier sitz' ich und sag': Ich lass' mir's nicht gefallen!« »Und da wundert ihr euch noch!« entgegnete die Schmiedin. »Zum leiblichen Eid und ins Trillerhäusle will die uns bringen da! Aber sie soll nur vor Gericht sagen, ich hätt' sie angestift't!« »Angestift't?« schrien alle zusammen. »Vor Gericht?« fragte erblassend die Tischlerin. »Zum leiblichen Schwur?« rief entsetzt die Tüncherin. Die Beutlerin schlug schreiend die Hände zusammen: »Ins Trillerhaus?« »Und dessentwegen,« sagte die Valtinessin vorwurfsvoll, langsam die Haube schwingend, »sind wir so gewest? und haben uns aufgeopfert? blutig aufgeopfert? sind alle Tag' hergekommen und sind nicht so gewest und haben das Unsrig' versäumt?« »Ich hab' euch nicht verlangt,« entgegnete die Heiteretei. »Ja,« sagte die Valtinessin und schlug den Takt dazu auf ihren Knien, »freiwillig sind wir gekommen, unverlangt sind wir gekommen, nicht um gute Wort' und auch nicht um Lohn. Das ist unser Ruhm und Ehrenkleid. Ich hab' gewußt, je größer der Dienst, je größer der Undank: ich bin nicht umsonst am Gründonnerstag sechzig gewest; und bin dennoch kommen. Aber jede Stuben hat ihre Tür, und wer fortgeht, der braucht deshalb nicht wiederzukommen.« Die Valtinessin erhob sich, warf die Haube auf das rechte Ohr und schritt der Tür zu. Viele schlossen sich ihr an. Aber an der Tür wandten sich alle unwillkürlich zurück, die Valtinessin nicht ausgenommen. Sie erwarteten, die Heiteretei werde sie nicht gehen lassen. Unverkennbar sah aus allen Gesichtern die Wehmut, den Ort für immer verlassen zu sollen, wo man so bequem sich täglich gesehen, zusammen geplaudert und Kaffee getrunken hatte. Die Valtinessin versteckte diese Anwandlung unter feierlichem Ernst und sagte: »Die Schmiedin ist zu ängstlich. Das Annedorle wird sich hüten, solche unkluge Ding' zu machen. Und wenn sie's demohnerachtet tut, hier steh' ich und sag': Meine Hand' wasch' ich in Unschuld. Hier hab' ich gestanden, und den meinen Finger von der meiner Hand hab' ich aufgereckt, wie ich gesagt hab': Annedorle, der Fritz paßt ihr auf, aber das braucht Sie sich nicht zu Herzen zu nehmen.« »Ja und wahrhaftig,« bestätigte die Schlosserin von drüben, »so hat die Valtinessin gesagt, und wie ich dazu hab' gesagt: Wenn's die Valtinessin spricht, kann sie's glauben, Annedorle, und da hat der Wind das Fenster aufgerissen. Das ist mir, als wär's gestern erst gewest.« »Hernachen,« beteuerte die Russen-Sattlerin, »hat der Kaffee angefangen zu kochen, und da hab' ich gemeint, es ist, als sagt der Kaffee ja.« »Hundertmal klecken nicht,« rief die Tischlerin, »daß ich gesagt hab': Sei sie gescheit, Annedorle; das ist ja lächerlich da mit ihrer Furcht.« Der Heiteretei kam das Gehaben der Frauen verächtlich vor. Sie hatte nicht gewußt, ob sie zornig werden oder lachen sollte. Aber das Wort Furcht überhob sie der Wahl. Der Tischlerin Rede traf sie da, wo sie am kitzligsten war. »Furcht?« lachte sie zornig. »Furcht? Ihr red't von Furcht? Ich fürcht' mich vor niemand. Ich hab' mich nicht vor dem Holders-Fritz gefürcht't und fürcht' mich nicht vor euch. Ihr habt Furcht gehabt und habt mich zu fürchten wollen machen. Und jetzt habt ihr wieder Furcht, ich könnt' vor den Gerichten sagen, ihr seid schuld, daß ich's hab' getan. Und nun wollt ihr alles auf mich allein schieben, und das ist erbärmlich. Nicht, weil mich's betrifft, aber daß die Leut' so sind, das könnt einem wehtun, wenn man nicht müßt' lachen. Ja, und wenn ich nu vor den Gerichten so spräch', wie ihr meint, da würden die sagen: Es ist nicht das Gescheitst', was sie hat gemacht, aber wenn sie denen gefolgt wär', hernachen wär's erst recht dumm. Ja, wenn ich sagen tät': Ich hab' den Wachtstubenweibern gefolgt, da wär's für mich nicht besser, und ich würd' noch ausgelacht dazu.« Die Valtinessin beschwichtigte die Empfindlichkeit der Frauen durch einen jener Blicke, die die Annemarie nicht »aussagen« konnte.»« »Wenn die Sach',« begann sie dann, »nur der Müh' wert wär', daß der liebe Kaffee drüber kalt wird. Ich sag': Ein Wort ist kein Donnerwetter, und guter Rat kommt über Nacht. Morgen wird das Annedorle schon wieder vernünftig sein. Ich mein', wir setzen uns noch ein bißle. So jung kommen wir nicht wieder zusammen.« »Ja,« sagte die Heiteretei, indem die weißen Druckflecken ihr um Mund und Wange spielten. »Setzt euch, wann ihr wollt und wo ihr wollt, nur in meinem Stüble nicht. Ihr sagt, morgen wird das Annedorle schon vernünftig sein, aber das Annedorle ist schon heint. Ihr denkt, ich soll mich in meinem eignen Häusle schlecht lassen machen und soll euch noch Topf und Holz geben zu euerm Kaffee? So wär' ich doch noch dummer, als ihr meint. Mit solchen Leuten will ich nicht zusammen sein, die heint so reden und morgen so. Und so ist's und nu ist's fertig.« Die Frauen hatten sich's schon wieder bequem gemacht und glaubten an den Ernst der Heiteretei nicht eher, als bis diese mit entschlossenem Schritt dem Herd sich näherte und den Topf ergriff. Was half's, daß die Annemarie sie von hinten umschlang, um sie aufzuhalten, was half's daß Tüncherin und Beutlerin heldenmütig ihre Leiber dazwischen warfen, daß die Valtinessin beschwörend ihren Arm gegen sie aufhob! Das starke Mädchen schob sie mit leichter Mühe beiseite. Sie achtete der Wehmut im Gesichte der Beutlerin nicht, nicht des Zorns im Antlitz der Schmiedin. Hoch hob sie den Topf, und die braune Flut strömte unaufgehalten in das Feuer. Ein vielstimmiger Schrei, in dem zugleich das Erschrecken kreischte, der Schmerz ausstöhnte und der Zorn drohte, klang in das Prasseln der erlöschenden Kohlen. Drei Funken irrten zuletzt noch ratlos an den zischenden Scheitern hin, Mann, Weib und Kind, die letzten Flüchtlinge aus dem Greuel einer Wassersnot. Und nun erreichte auch diese das Verhängnis, und sie verschwanden spurlos unter den Wogen der Flut. Und schwarz stand der Herd, die Opferstätte traulicher Geselligkeit noch vor einer Stunde, schwarz, als hätte nie ein Kaffeeflämmlein ihn beleuchtet, öde wie ein ausgebrannter Vulkan. Über ihm aber erhob sich die Valtinessin, die Oberpriesterin des gestürzten Opferdienstes, in ihrer ganzen häuserbreiten Majestät. Man sah, noch immer war sie geneigt, Gnade für Recht ergehen zu lassen, wenn das Annedorle Vernunft annahm. Sie wollte eben ihre Haube auf das rechte Ohr schwingen, aber ihr fiel ein, sie müsse diese bedeutungsvolle Handlung aufschieben, um ihrem etwaigen baldigen Abgange damit den erforderlichen Nachdruck zu geben. Die abgeschiedenen Geister des erstickten Kohlenfeuers aber waren auferstanden zu einem neuen Leben und glühten rachefordernd aus den Augen der Beleidigten die Heiteretei an. Das erhöhte nur den Trotz des Mädchens. »Ich will die Tür zumachen,« sagte sie befehlend. Aber nun konnte keine Macht des Himmels und der Erde mehr die Haube der Valtinessin auf ihrem linken Ohr schwebend erhalten. Die Valtinessin schlug mit beiden Händen auf die Schürze und sprach: »Nun wohlan! Woher wir gekommen sind, dahin gehen wir wieder, wenn auch mit anderm Herzen. Aus andern Stuben sind wir gekommen in das arme Stüble da. Aber wir sind nicht für uns gekommen. Das christliche Mitleid zu üben sind wir gekommen mit Warnung und mit gottseligen Lehren. Aber wem die Ohren seines Herzens verstockt sind, der macht auch die Ohren seines Leibes zu. Obschon mein Vater seliger ein Weber ist gewest, hier steh' ich und sag': Das Annedorle wird wohl sehen, was sie hat gemacht. Und sie sollt' lieber sehn, wie sie ihre Sach' könnt verdunkeln (verstecken), als daß sie den Leuten selber auf ihre Sprüng' hilft kommen. Der Holders-Fritz hat ihr aufgelauert? Weiden gehaun hat er. Wo soll einer anders Weiden haun, denn wo welche stehn? Das Annedorle hat wohl auch Weiden gehaun, weil sie immer um die Weiden herum ist gewest? Nun begreift man wohl, warum das Annedorle hat gelacht, wenn's hat geheißen, der Holders-Fritz lauert ihr auf.« Die Heiteretei lief nach der Tür und öffnete sie so weit, als sie sich öffnen ließ. Schade, daß kein Maler das Mädchen sah, wie sie so schlank und hoch an der Tür stand, mit einem Holzscheit in der ausgestreckten Hand den Frauen zeigend, wohin sie sollten. Die Lippen geschlossen, daß die Farbe bis in die vollen Wangen hineinwich; funkelnde Augen unter herabgezogenen Brauen, eine Stirn darüber, die in ihrer Höhe und Reinheit von dem Zorne unter ihr nichts zu wissen schien, leidenschaftslos und heiter wie der blaue Himmel über Wetterwolken. Er hätte kein schöner Modell zu dem Engel finden können, der die ersten Sünder aus dem ersten Paradiese treibt. Neben den kleinen Bewegungen ängstlicher Hast die großlinige ruhige Gestalt. Der Arm, vor der Spannung der eigenen Kraft erbleichend, brauchte kein kriegerisch Werkzeug; es war ein Arm, in dessen Hand das unschuldigste Holz zum flammenden Schwert werden konnte. Wenn etwas an der Heiteretei zu diesem Bilde gebrach, so war es der Zug mitleidigen Lächelns. Aber Mitleid und Lächeln im Zorne geziemt nur den Unsterblichen. Und die Heiteretei war sterblicher als andere, weil sie mehr Leben besaß. Die Valtinessin fuhr einen Schritt zurück vor dem Wandeln des austreibenden Engels, und wäre rücklings aus der Tür gefallen, wenn sie diese anders als mit einer Schwenkung halb rechts hätte passieren können. Sie verstopfte sich und den andern auf einen Augenblick die Passage, so daß diese im unwillkürlichen Weichen vor der Heiteretei weiter nach der Tiefe des Stübchens zurückgedrängt wurden. Aber nur einen Augenblick. Denn sie war trotz ihrer Häuserbreite eine rasche Frau, wenn es sein mußte. Erst als sie den Bereich des scheitbewaffneten Armes überschritten hatte, fand sie den Faden ihrer Rede wieder. »Nun begreift man wohl,« fuhr sie fort, indem sie draußen Front machte gegen die Tür, als wollte sie sich mit dem Häuschen messen, »nun begreift man wohl, wer eigentlich derjenig' ist gewest, der dem andern aufgelauert hat. Freilich hat sie müssen lachen, wenn wir unschuldigen Lämmer haben gemeint, wir müssen sie warnen vor demjenigen, den sie selber hat verfolgt.« »Ja,« sagte die Weberin, indem sie eilig bei der Heiteretei vorbeischlüpfend das Freie gewann, »ja, weil sie selber die ganz' Geschicht' hat erfunden, daß der Holders-Fritz ihr auf tät' lauern. Es weiß jeder, daß sie toll auf ihn ist gewest.« Die Tüncherin war unterdes dem Beispiel der letzten Sprecherin gefolgt. Auch sie war im sichern, als sie begann: »So was Schrecklichs ist noch nicht dagewest von einem ledigen Mädle.« »Ja,« fuhr die Russen-Sattlerin fort, noch atemlos vom Sprunge, »am Gründer Markt einem ledigen Bursch zu sagen, er soll sie frein! Und sie könnt' einen Mann aus ihm machen!« »Und wie er nicht will,« ergänzt die Schlosserin von drüben noch im Vorbeiwischen, »rennt sie ihm den Schiebkarrn an die Bein'.« »Denn warum?« sagte die Tischlerin, als sie wieder Boden fand. »Weil wir nicht haben mitgetan, wie sie den armen Bursch hat wollen verhetzen.« »O,« seufzte die befreite Baderin vor sich hin, »er sagt, er ist selber gefallen, und zum Lohn rennt sie ihn vom Steg.« Die Angst der noch in der Stube Weilenden stieg natürlich bei jeder Rede, durch welche die bereits Befreiten den Zorn der Heiteretei noch reizten. Als die Schmiedin, an die jetzt die Reihe kam, weil sie der Tür zunächst stand, ihren Sprung fassen wollte, hängte sich die Nächstfolgende an sie an, und an diese wieder eine andere. Das Gewicht der ganzen Kette mit sich fortzureißen, war die Schmiedin denn doch zu schwach. So kam's, daß sie in der Tür zu fallen kam, und die übrigen im wilden Knäuel über die Schmiedin hin! Mit Mühe wirrten sie sich auseinander; übereinander rollend und krabbelnd kamen sie um so langsamer aus dem Bereiche der Heiteretei, als sie das überschnell ins Werk zu setzen sich bemühten. Die Heiteretei mußte im bittersten Zorne lachen. Als die letzte aus der Tür war, warf sie diese zu. Sie fühlte, daß ihr Zorn im Lachen schmolz. Die Weiber draußen, hörte sie, gingen noch nicht. »Drum soll sie doch ja nicht meinen,« sagte die Tischlerin noch, »es möcht eine noch dableiben, wo einer der Kaffee wie vergiftet müßt vorkommen. Und wer weiß? Denn warum? Es gibt Leut', denen auch das ist zuzutraun.« »Aber nu soll die ganze Stadt wissen, wie die Sach' eigentlich ist gewest,« sagte die Weberin. Eine schrie dazwischen auf: »Man holt sich da nix als Unrat und Geschmeiß.« Der alte Holunderbusch wirtschaftete wie toll. Er warf Raupen, Schnecken und dürre Blätter den Gehenden auf die Köpfe. »Und wenn sie's dahin will lassen kommen,« scholl die Stimme der Schmiedin bereits von den Weiden herauf, »die Gericht' werden ihr's schon zeigen, Verleumder gehören ins Trillerhaus.« Von der halben Höhe des Schloßberges erklang es: »Ja, hier steh' ich und sag': So eine Hochtzig, wie sie hat wollen zunichte machen, soll noch nicht in Luckenbach sein gewest.« »Und nun wird sich zeigen,« rief noch entfernter die Beutlerin, »ob das ihrer Schwester Kind ist oder ihr's.« Ganz zuletzt kam noch, halb verhallend, vom Gipfel des Schloßberges herab: »Und obschon mein Vater selig ...« Und nun war nichts mehr zu vernehmen, als das Rütteln des Holunderbaumes am Häuschen und das Sausen der Weiden im Winde. * »Ich wollt' wer weiß was drum geben,« sagte die alte Annemarie, indem sie ihr Lämpchen anzündete, »wenn Ihr das nicht hättet gemacht, Annedorle. Die größten Weiber, wo in der ganzen Stadt sind, habt Ihr auf Euch verbittert. Ich kann nix dazu. Wenn ich Euch wollt' abhalten, seid Ihr nur immer noch wilder geworden.« »Weil ich recht hab' gehabt!« Die Alte schüttelte den Kopf. »Davon wär' noch zu reden,« sagte sie, »und wenn man auch nicht am Gründonnerstag sechzig ist gewest.« Die Heiteretei sah sich nach der Alten um, ob diese die Redensart der Valtinessin anwende, um sie zu verspotten. Da diese aber völlig ernsthaft, ja, mit Andacht weitersprach, öffnete die Heiteretei das Fenster, um nichts weiter zu hören. »Ja, wenn's Euresgleichen wär' gewest, spann die Alte an dem unsichtbaren Rocken der Weberin.« »Die armen Leut' haben nur gegen arme Leut' recht. Die großen Leut' sind wie das Wetter, das muß man nehmen wie's kommt, und wenn's gut ist, so ist man froh und bild't sich doch nicht ein, es hätt' gut Wetter müssen sein. Denn warum? wenn's schlecht ist, muß man immer denken, es könnt' noch schlechter sein, und man müßt' sich's auch lassen gefallen.« Die Heiteretei wandte sich heftig vom Fenster nach ihr um. »Und da meint Ihr, die armen Leut' müssen denen ihre Wetterhähn' sein und müssen sich drehn, wie die blasen! Ja, Ihr seid so eine, die krumm läßt gerad' sein, wenn nur die Valtinessin einen gnädigen Nicker macht, wenn Ihr an ihr vorbeigeht und Euch bis auf die Erden verneigt. Meinethalben sind sie die größten Weiber in der Stadt; ich bin ich und fürcht' mich vor der ganzen Stadt nicht, geschweig' vor Euern dummen großen Weibern. Und nu geht und macht mich nicht vollends noch wild.« »Ich wollt',« sagte die Annemarie, »ich wollt' lieber, Ihr wär't vier Jahr' lang in keine Kirchen gekommen.« Sie setzte die Lampe, die sie eben aufgenommen hatte, wieder auf den Tisch. Aber die Heiteretei sagte ungeduldig: »Der Diktes hat getüt't; macht, daß Ihr 'naufkommt in Euer Stüble.« Die Alte nahm die Lampe wieder und sagte vor Kummer und Verletztheit in ihrem eigenen Ton: »Ich wollt' – ich wollt' – aber Ihr – nicht einmal den Neiger habt Ihr mir zulieb' getan – Ihr seid – na, ich mach ja schon. Ich wollt' – nu gute Nacht, Annedorle – schlaft wohl.« Die Annemarie ging hinauf. Die Heiteretei öffnete die Stubentür, um an den Bach zu gehen. Sie dachte unwillkürlich daran, unter wie so ganz andern Gefühlen sie dies noch vor wenigen Tagen, ja, daß sie es da so spät vielleicht gar nicht getan haben würde. »Und wenn sie mich setzen,« sagte sie, indem sie hinausging, »an dem Fritz hab' ich's zehnmal verdient, und es ist doch tausendmal besser als der Fritz wär' tot und wüßt' auch keine Menschenseel', daß ich's hätt' getan.« Zwischen den Weiden am Bach kauerte sie nieder, schöpfte mit der hohlen Hand von seinem Wasser und warf es sich in das brennende Gesicht. Darüber vertiefte sie sich in Gedanken, was der Fritz nun daheim machen und denken möchte. Je freudiger sie sich ihrer Kraft und Selbständigkeit der Welt gegenüber bewußt war, desto tiefer wurde ihr Mitleid mit dem Holders-Fritz. Sie konnte alle Welt auslachen; sie konnte arbeiten, aber er? Mit dem gelähmten Finger? Sie malte sich aus, wie er vergeblich sich mühte, Schnitzmesser und Beil zu handhaben, und so lebendig, daß sie unwillkürlich die Hand ausstreckte, wenn sie bald diese, bald jene Hilfeleistung nötig sah. Die Arbeit konnte bis morgen nicht fertig werden, wovon sollt' er morgen leben? Und wenn Hunger und Sorge ihn noch mehr schwächten! Sie wußte wohl, der Fritz war eher reich als arm, und auch im großen und ganzen, Reichtum sei eine schöne Sache, und die Reichen hätten gut leben; aber indem sie sich in die Einzelheiten seines unglücklichen Zustandes hineindachte, nahmen diese die Gestalt an, unter der das Unglück sich vorzustellen, ihr in ihrem eigenen engen Kreise am nächsten lag. Den Schmerz seiner vermeintlich mit Haß erwiderten Liebe ihm in ihren Gedanken nachzuempfinden, hätte ihr noch weniger gelingen können, da diese Gefühle ihr fremder waren als die innere Gestalt des Lebens in einem reichen Hause. So stand es mit ihm und das war ihre Schuld. Und er hatte es gut gemeint und mußte denken, sie hat sich aus Haß an ihm vergriffen. Wenn ich's ihm nur wenigstens könnt' sagen: »Es ist nicht gern geschehn, und ich macht's gern ungetan, wenn ich's könnt'!« Wenn er freilich so klug wär', und mich doch noch freit'. Er sollt's nicht spüren, daß ihm der Finger fehlt, und es sollt' trotzdem noch ein Rechter aus ihm werden. Aber ich bin selber daran schuld; warum hab' ich mich von den dummen großen Weibern lassen verleiten! Vielleicht, wenn er's erführ', daß ich's nicht apart aus Bosheit gegen ihn hab' getan. Aber wer sollt' ihm das sagen? Und wenn ich mir so was ließ' merken, wie würden die Weiber erst reden. Und ich weiß nicht einmal, was er selber meinen tät'. Er dächt' wohl gar, es wär' mir um ihn zu tun! Ich brauch' keinen, ich kann's noch selbst ermachen. Mir ist's nur darum, daß er mich dauert, und ich bin schuld daran. Ich wollt', ich könnt's machen, und er wüßt' gar nichts davon. Sie sann vergeblich auf das Wie. Ein Windstoß arbeitete sich eben aus der Erlenkrone über ihr los, welche ihn mit den krausbelaubten Ästen kämpfend festhielt wie ein Spinngewebe eine lärmende Bremse. Er erinnerte sie weckend, daß sie noch am Bach kauerte, und warf ihr von der Erle herab einen Einfall zu. Da am Erlensteig –! Es war ziemlich dunkel, der Mond kam erst gegen Morgen. Da gar nicht weit, am Erlensteig, hatte der Holders-Fritz einen Acker mit Kartoffeln. Sie hatte heute noch im Vorbeigehn gesehen, der Acker war voll Unkraut, das die Kartoffeln fast erstickte. Mit drei Schritten den Abhang hinauf hatte sie das Häuschen erreicht. Einen flüchtigen Blick warf sie auf das Kind, das im sanftesten Schlummer lag. Dann nahm sie die Haue vom Nagel und eilig mit schnellem Schritt ging's erst an den Weiden, dann den Weg querfeldein hin. Ebenso flüchtig als gestern um diese Stunde eilte sie durch das Tal. Ebenso hatte sie den Unterrock über den Kopf heraufgeschlagen, daß niemand sie erkennen sollte. Wie gestern erschrak sie, wenn es hinter ihr rauschte. Wie gestern wuchs der Laut von jedem fallenden Blatte zum Hall eines Verfolgertrittes im furchtgeschärften Ohr. Ebenso laut pochte ihr Herz, und doch von wie ganz andern Empfindungen als gestern. Nun war der Acker erreicht. Am Raine blieb sie stehn und gab dem Blute Zeit, sich zu beruhigen. Wie sah der Acker aus? Das stand noch schlimmer mit dem Unkraut, als es ihr heut vom Weidenwege aus vorgekommen war. Der Holders-Fritz mußte seine Kartoffeln ganz vergessen haben. Sie schüttelte immer von neuem wieder den Kopf. Wie nötig brauchte der Fritz eine tüchtige Frau! Wie aufs Geratewohl hingesät standen die Zeilen, ein Stock wie auf einem Berge, ein andrer wie in einem Tale. »Das muß der Lehrer (Lehrling) gemacht haben, und der hat dabei die Augen so fest zugehabt, als müßt' er die Räusch' verschlafen, die der Meister und die Gesellen sich trinken.« Der Holders-Fritz kam ihr in der Verwahrlosung seines Gutes noch mitleidsbedürftiger vor. Es war ihr unlieb, daß der Wind jetzt nachließ. Sie hatte darauf gerechnet, daß man vor seinem Sausen das Geräusch ihrer Arbeit nicht hören würde. Ein leiseres Lüftchen strich nur mit den äußersten Flügelspitzen an den Erlen hin. Drüben, wo die Wiese sumpfig ist, läuteten Unken. Und wie das Rauschen des nahen Wehrs, das sie übertönend verbergen sollte, bald leiser, bald lauter erklingend, hielten die gedämpften Schläge von der Haue der Heiteretei die Nacht hindurch den Takt zu der heimlichen Musik des Tales. Dazwischen tönte hie und da einmal der ferne Stundenschlag vom Kirchturme der Stadt, den die Rathausglocke wie ein ferneres Echo wiederholte, und des alten Diktes' Nachtwächterhorn. Endlich bot die wachsende Helle dem heimlichen Geschäft der Heiteretei Feierabend. Der Mond erhob sich, in bleiche, regenkündende Dünste gehüllt, wie im bloßen Hemde aus seinem Lager hinter dem Perleberg. * Der Einfall der Großmutter, den Bader zu wecken und mit ihm nach ihres Enkels Werkstatt in seinen Stadel zu gehen, erwies sich als ein sehr glücklicher. Aber leicht auszuführen war er nicht. Das alte Fräle tat zwar, so schnell sie konnte, die Haube auf und den Mantel um; das Laternenanzünden wurde um so leichter, als der Mond durchs Küchenfenster herein ihr dazu leuchtete. Die Sorge um ihren Fritz spannte sich hilfreich ihren schwachen Beinen vor, und das Häuschen in der Weidengasse mit den grünen Fensterläden konnte sie schon beim Hinaustreten aus ihrer Haustür sehen. Aber den Bader aus dem Bett zu bringen, das er gewöhnlich mit einem Räuschchen teilte, und ihn zu verständigen, wohin und was er dort sollte, das hatte seine Schwierigkeit. Indes war diese zu überwinden gewesen, wenn auch auf dem Wege nach dem Stadel noch mancher Mangel an richtigem Verständnis zutage kam. Die Alte schritt voran, sorgfältig dem Meister Schnödler leuchtend; sie schien zu meinen, sein unsicherer Gang rühre daher, daß das Mondlicht ihm noch zu dunkel sei. Dafür glaubte er wohl ihren Zuruf: »Da ist ein Loch! da ist ein Stein, Meister Schnödler!« so verstehen zu müssen, als meine sie, er solle in das Loch fallen und sich an den Stein stoßen; wenigstens führte er den vermeinten Auftrag mit größter Gewissenhaftigkeit aus. Es war der Wahrheit gemäß, was wir seine kleine verschämte Frau in der Wachtstube erzählen hörten. Die alte Großmutter und Meister Schnödler fanden den Fritz in bewußtlosem Zustande auf seinem Lager. Die Alte war außer sich, aber der Meister Schnödler sagte, um sie zu beruhigen, geringschätzig lachend: »Da gibt's noch ganz andre Ding' auf der Welt, Frau Holderin. Das ist noch lang' kein Schieferdecker, der den Hals gebrochen, 's ist bloß, daß sein Blut ist herausgelaufen.« Er nickte der Jammernden wie schelmisch zu: »Den wollen wir schon kriegen, Frau Holderin!« In der Siegesgewißheit wäre er fast über den Liegenden gefallen. Um einem möglichen Vorurteile von seiten der Frau Holderin vorzubeugen, sagte er: »'s ist bloß aus Durst, Frau Holderin. Keinen Tropfen! Keinen Tropfen heint den ganzen Tag!« Dabei griff er nach dem Arm des Holders-Fritz und fühlte diesem den Puls, was mit einigen Schwierigkeiten verknüpft war, weil er ihn in der Gegend des Ellenbogens suchte. Die Alte hing in Angst an des Meister Schnödler Mund. Sie fürchtete zu hören: »Es ist aus mit ihm«. Dieser nickte ihr wieder schelmisch lachend zu und sagte: »Ein verwünschter Kerl! Nicht einmal sein Puls schlägt mehr, aber wir wollen ihn schon kriegen.« »Aber, Meister Schnödler, wo greift Er denn hin?« Der Meister wurde seinen Irrtum gewahr, er rutschte suchend vom Ellenbogen zum Handgelenke des Holders-Fritz. Um seinen Zustand nicht eingestehen zu müssen, erklärte er der Alten, so ein Kerl, wie der Fritz, sei nicht wie jeder. Am Handgelenke einen Puls haben, das sei keine Kunst, das könne jeder Schneider. Aber von einem Kerl, wie der Fritz einer sei, verlange man mehr. Nicht weit vom Kopfende des Lagers stand ein Krug. Den faßte der Bader. Aber er roch erst hinein. »Es ist eine Schande, daß so ein Kerl Wasser säuft. Das ist nur dazu gut.« Er goß es dem Holders-Fritz über den Kopf. Dann nickte er pfiffig der Alten zu, sie sollte nun aufmerken. Das tat die Großmutter, und mit einer Spannung als meinte sie, der Fritz könne von ihrem Aufmerken gesund werden. Und wirklich gab dieser nun ein Zeichen des Lebens von sich. Der Bader nickte der Alten wiederum blinzelnd zu. »Was? Schüttelt's ihn tüchtig? Das muß noch ganz anders kommen. Wir wollen ihn schon kriegen. Nur nicht ängstlich, Frau Holderin. Wenn er den Hals hätt' gebrochen, das war' ein ganz ander Ding.« Der Alten fiel der verletzte Finger ein; sie machte den Bader darauf aufmerksam. »Ach, Meister Schnödler, wenn nur der Finger dem Fritz nix schad't!« »Schad't?« entgegnete der Meister. »Da schneiden wir ihn 'runter.« Die Alte sah ihren Enkel schon verstümmelt und schluchzte laut. Der Meister aber lachte, um sie zu beruhigen, wie ein Teufel und sagte: »Was da ein Finger? Der hat noch Knochen und Fleisch genug am Leib, und tät' man ihm alle zehn runterschneiden und die Füß' dazu. Das geht wie ein Donnerwetter: wo hab' ich nur mein Messer hingebracht? Sieht Sie: Eins, zwei! drei! Nur nicht ängstlich, Frau Holderin.« Die Alte hielt dem Meister in ihrer Angst beide Hände fest. Sie schien ihm zuzutrauen, er schnitt dem Fritz einen Finger ab, nur um ihr zu zeigen, wie leicht das ginge und daß sie darüber nicht ängstlich zu sein brauche. »Was?« sagte der Meister. »Das ist die Hauptsach', daß man den Leuten Herz macht. Und wenn der da im Sterben liegt, es soll Ihr nicht angst werden; dafür bin ich da. Was ist's denn ums Sterben? Und für so einen Kerl? Der stirbt nur so; das hat gar keine Schwierigkeit; wenn er den Hals bräch', das wär' noch ein ganz ander Ding. Nur nicht ängstlich, Frau Holderin.« »Ach, du lieber Gott, er stirbt!« brach die Alte aus. »Was denn?« sagte der Meister. »Der? dem fällt's noch nicht ein.« »Aber Er hat's ja selber gesagt, der Meister Schnödler.« »Ja, zum Exempel,« entgegnete der Meister, »wie ich Sie beruhigen tät', wenn's der Fall wär', er stürb'. Aber das ist ja Kinderei mit dem. Höchstens ein tüchtigs Nervenfieberle und einen steifen Finger, weiter ist's mit dem nix. Nur nicht ängstlich, Frau Holderin.« Dabei streifte er sich die Ärmel auf, und es kamen zwei Mitteldinge von zottigen Bärenfüßen und menschlichen Händen zum Vorschein. Er schüttelte sie erst, um sich zu versichern, er habe alles weggeräumt, was ihre freie Bewegung hindern könne. Dann kramte er sein Verbindzeug hervor und faßte die verletzte Hand des Holders-Fritz. »Der Finger wird steif, weiter ist's nix,« lachte er dann der Alten zu, als meint' er ihr Wunder welche Freude mit der Nachricht zu machen. »Aber soll denn gar nix weiter da sein als Wasser? Ich hab' heint noch keinen Tropfen getrunken.« »Mein Tichterle,« sagte die Alte, »trinkt nix anders mehr als Wasser.« »Na und da sind die Folgen davon! Hätt' er ruhig im Gringel gesessen und eins getrunken, da wär' er nicht in den Bach gefallen!« Der Kranke zuckte auf. Er mußte es entgelten, daß der Meister Schnödler auch durch die sorglose Art, mit der er den Verband umlegte, dem Holders-Fräle zeigen wollte, sie habe keine Ursache, ängstlich zu sein. »Wenn ich einmal so einen unter mein Messer hätt' gekriegt, weil ich in Dresden die Chirurgie hab' studiert! Was das für ein Brustkasten ist, und wie der heraufgezogen ist! Ja, da ist's keine Kunst, wenn einer eine Mitten hat wie ein Mädle. Da ist die Heiteretei, das ist auch so eine!« Der Name Heiteretei wirkte stärker auf den Kranken, als vorhin der Überguß mit kaltem Wasser. Er erhob sich halb und sagte mit matter Stimme: »Was geht die mich an? Der Gringelwirts-Ev hab' ich aufgepaßt. Meint' ich doch, ich wär' in meiner Werkstatt,« setzte er besinnend hinzu. Wer war glücklicher, als das gute, alte Holders-Fräle, ihren Fritz wieder bei Besinnung zu sehen! Sie liebkosete ihm wie einem kleinen Kinde. »Ihr seid's, Fräle? Habt Ihr das richtig gemacht, Ihr wißt schon was?« »Aber, Fritzle,« entgegnete die Alte, »du hast mir's die Nacht erst gesagt. Was denkst du denn? Ich kann doch zu Nacht nicht zu den Leuten gehn, wenn sie schlafen?« »So tut's morgen,« sagte der Fritz, »redet mit der Valtinessin.« Er sank wieder aufs Lager zurück. »Ja doch, Fritzle, gleich morgen früh,« versicherte die Alte. Dann sah sie den Meister Schnödler wiederum ängstlich fragend an. Das Umsinken des Kranken beunruhigte sie von neuem. Der Meister aber machte ihr ein Zeichen, daß er entfernter von diesem ihr antworten wollte. »Das Stehen wird mir sauer,« sagte er, als sie an die Schnitzbank kamen. »Ich hab' heint noch keinen Tropfen getrunken.« Er setzte sich und fuhr fort: »Ich hab' morgen im Gringel zu tun, ich könnt's besorgen.« Die Alte erschrak. »Ja, was denn?« »Das Richtigmachen mit der Valtinessin-Ev.« Die Alte wollte ihn noch nicht verstehen. Er erzählte ihr, um zu zeigen, er sei eingeweiht, was er unter dem Siegel der Verschwiegenheit von einem erfahren, den er nicht nennen dürfe. Er meinte den Schneider. Dadurch erfuhr das Holders-Fräle erst die ganze Geschichte von dem Auflauern ihres Enkels und wie man erst geglaubt, er wolle der Heiteretei etwas Böses zufügen, dann, er sei ihr zu Gefallen gegangen, bis er selbst erklärt, es habe der Gringelwirts-Valtinessin-Ev gegolten. Das letzte kam ihr, wie sie bei sich selber meinte, kurios vor. Freilich die ganze Geschichte klang kurios. Das Holders-Fräle war gar nicht schwer im Begreifen. Nachdem sie, was sie noch nicht wußte, dem Bader geschickt abgefragt hatte, so daß sie das Ganze der Begebnisse, so weit sie bekannt waren, übersehen konnte, begriff sie den Zusammenhang. Das beste schien ihr, den Fritz sich erst wieder beruhigen zu lassen; denn sein heftiges Verlangen, die Sache mit der Valtinessin-Ev richtig gemacht zu sehen, ging, das sah sie wohl, aus dem Zorne hervor, von der Heiteretei verschmäht zu sein. Wenn sie ihn nur so lange in dem Wahne lassen, sie gehorche ihm, bis er ruhiger geworden war! Bis dahin klärte sich manches auf, was jetzt noch verwirrte, und alles fügte sich so, wie sie überzeugt war, daß es für den Fritz am wünschenswertesten sei. Das konnte der Meister Schnödler mit seiner Vermittlerzudringlichkeit vereiteln. Drum sagte das kluge Fräle nach einigem Besinnen: »Ja, Meister Schnödler, was denkt Er denn? Ich will gar nicht meinen, daß mein Fritzle jetzt gar nicht so recht bei sich ist; das muß der Meister Schnödler besser wissen, als ich. Aber bei so einer Frau, wie die Valtinessin, ist's nicht, als wollt' ich ein Mäd' dingen: da könnt' ich Euch wohl schicken. Aber zu der, da muß ich selber. Und hernachen wird der Meister Schnödler auch gegen andre Leut' still sein von der Sach'. Mein Fritzle ist gar ein Wunderlicher. Weil die Leut' meinen, er hat der Heiteretei aufgepaßt, so will er den Leuten zum Trotz die Valtinessin-Ev. Sagen aber die Leut', es ist ihm um die Valtinessin-Ev, hernachen verfällt er gewiß wieder auf die Heiteretei. Und wenn Er meint, daß die Valtinessin meinem Fritzle keinen Korb geben wird, so wird die Valtinessin dem Meister Schnödler keinen Dank sagen, wenn er die Sach' verderbt hat. Wenn mein Fritzle Euch vielleicht fragt, so sagt nur: ich bin dort gewesen, und die Sach' wär so gut, wie fertig. Aber was meint Er denn zu meinem Fritzle? das ist's eigentlich gewest, was ich Ihn hab' fragen wollen.« »Ein Fieberle kriegt er, und das ein tüchtiges,« entgegnete der Meister. »Wenn eine Krankheit in so einen Kerl kommt, da ist's nicht, wie wenn sie in einen Schneider gerät. Hernachen ist's eine Lust, wie sie drin herum hantiert. Nur nicht ängstlich, Frau Holderin. Morgen komm' ich wieder, und den wollen wir schon kriegen!« Die Alte mußte ihm hinaushelfen. Sie sah ihm besorgt nach. Er bemerkte das. Zwanzig Schritte von der Stadeltür kam ihm sein Beruhigungseifer noch einmal. Er wandte sich mühsam und versicherte: »Keinen Tropfen, Frau Holderin, keinen Tropfen!« Des Mondes Prophezeiung erfüllte sich. Die Heiteretei war noch nicht eingeschlafen, als es schon zu rieseln begann. Wie sie erwachte, hörte sie die fallenden Tropfen im Strohdach rauschen und auf den Blättern des Holunders zerplatzen. Und noch ehe die Stunde schlug, wo sie gewöhnlich auf den Tagelohn ging, goß es mit Kannen. Ein kleines Mädchen kam, ihr für heut die bestellte Arbeit abzusagen. »Morgen wird's schon anders Wetter sein,« meinte die Heiteretei. Das Mädchen sagte im Weggehen: »Das Annedorle braucht nicht eher zu kommen, bis die Mutter mich wieder nach ihr schickt.« Die Heiteretei sah ihr einen Augenblick befremdet nach. Dann sagte sie: »Schad't nix. Ist's nicht da, so ist's woanders. Arbeit gibt's genug.« Die Annemarie tat diesen Morgen ganz einsilbig, als sie herabkam, die Heiteretei in der Wartung des Kindes abzulösen. Eben ließ die Valtinessin die Stühle und Tassen abholen, welche die Frauen bei ihrem gezwungenen schleunigen Abzuge nicht hatten mitnehmen können. Das zu sehen, tat der guten Alten in der tiefsten Seele leid. Jedem einzelnen Stücke blickte sie einen wehmütigen Abschied nach. Die vornehmen Besuche und deren Sorgen und Bemühungen um die Heiteretei hatten dieser in ihren Augen eine Art Wichtigkeit gegeben, ein Glanz, von dem ein Teil verklärend auf sie selber fiel. Sie hatte die Empfindung eines alten angeerbten Dieners, der in dem Ansehen seiner heruntergekommenen Herrschaft sein eigenes scheiden sieht. Sie hatte die Heiteretei lieb und meinte sich darum im Rechte, in dem Bruch der Heiteretei mit den großen Weibern noch eine besondere Lieblosigkeit gegen sie selber zu sehen. Es hatte sie schon bekümmert, daß die Heiteretei nicht einmal den einzigen Neiger ihr zuliebe getan. Und wenn sie auch den großen Weibern nicht unbedingt recht gab, so begriff sie doch in ihrem Respekt vor ihnen nicht, wie ein Armes gegen sie könnte recht haben wollen. Daß die Heiteretei dies gewollt, kam ihr ordentlich wie ein Majestätsverbrechen vor. Da die Heiteretei zu Hause blieb, war sie überflüssig und tappte kopfschüttelnd wieder in ihr Stübchen hinauf. Das Mädchen hatte sich mit einer Näherei an das vordere Fenster gesetzt – das hintere behielt sich der Holunderbusch ganz allein zum Hereinsehen vor – und bemerkte, in Gedanken vertieft, den Abgang der Alten nicht. * Nie hatte ein Tag dem andern so unähnlich gesehen, als seit die Heiteretei zum letztenmal nach dem Zainhammer gefahren war. Der heutige hatte wieder sein ganz eigenes Gesicht. Es war, als wäre das Stübchen seit seiner Erbauung zum ersten Male leer, seine Wände rückten immer weiter auseinander. Der Holunderbusch sah wie glatzköpfig aus; so sehr war man daran gewohnt, ihn den ganzen Tag aus einer tausendlockigen Perücke herausblicken zu sehen. Das Kind, das um die Heiteretei spielte, hielt unbewußt noch den kleinen Raum ein, der allein ihm wochenlang zur Benutzung geblieben, und wich noch immer all den Knien aus, die nicht mehr vorhanden waren. Um die Stelle, wo die Valtinessin gesessen, bewegte es sich noch nicht anders, als in einem weiten Kreisabschnitte. Vermied doch die Heiteretei selber, im Vorbeigehn mit der seitwärts schwebenden Haube der Valtinessin zusammenzustoßen. Außerdem vergaß sie alles über den Gedanken an den Fritz. Die Befürchtungen und Gespräche der früheren, die Angst und das Mitleid der letzten Tage hatten sie so sehr gewöhnt, an ihn zu denken, daß sie es nicht mehr wußte, wenn sie es tat. Eine eigene Wirkung hatte dieses Denken an den Fritz. Das Bewußtsein ihrer Verschuldung, ihr Sinnen, wie sie das, was nicht mehr ungetan zu machen war, wenigstens zum Teil ausgleichen könnte, weckte vertiefend die innere Welt, die bis jetzt in dem handfertigen Mädchen unter der fortwährenden Richtung ihrer Kräfte auf ermüdende Körperarbeit und die äußeren Dinge des Lebens geschlummert hatte. Das zeigte sich bald auch in ihrem äußeren Ansehen. Ihr Blick wurde tiefer. Dem Kenner wären die Anfänge eines neuen Daseins in ihr lesbar gewesen. Es hätte ihn an jene topographischen Pläne erinnert, wo neben und über dem gegenwärtig Vorhandenen mit schwächeren Linien die beabsichtigten Umgestaltungen eingezeichnet sind. Und Zeit hatte sie und sollte immer noch mehr Zeit haben für die ruhige Entwicklung dieses neuen Daseins. Während der Nacht hatte der Regen eine Pause gemacht; noch vor der Sonne des nächsten Tages begann er wieder seine eintönige Musik. Den ganzen dritten Tag zitterten die Blätter des Holunders unter den zerplatzenden Tropfen. Am vierten geriet der Regen in Zorn, daß die Ringe, die er unermüdlich grau in grau auf die wachsenden Pfützen zeichnete, immer wieder zerflossen; er nahm seinen schärfsten Stift und schien nicht eher ruhen zu wollen, als bis es ihm gelänge, sie unzerstörbar einzugraben. Das Wachen selber konnte die Augen nicht offen erhalten, die Fröhlichkeit selber wurde schwermütig bei dem eintönigen Liede, das er sich dabei sang. Stunde um Stunde verging, Tag um Tag, Woche um Woche; was allein blieb im ewigen Wechsel, das war der Regen. Aber wer keine Uhr besaß, für den gab es bald nicht mehr Nacht und Tag. Himmel und Erde unterschieden sich nur noch durch das Oben und Unten. Erst sah man jede Stunde nach dem Wetterglase, dann jeden Tag, zuletzt gar nicht mehr. Es war, als könnte es nun nicht mehr anders werden. Erst sehnte man sich, wieder Grün und Blau zu sehen, zuletzt hatte man vergessen, daß es noch andre Farben gab, als Grau; man sah die Zeit kommen, wo Rechen und Haue zu fabelhaften Altertümern wurden, über deren einstige Bestimmung man sich den Kopf zerbrach, wo man nicht mehr an das Kartoffelhacken glaubte und das Heueinernten für ein schönes Märchen alter Tage galt. Die besonnensten Leute mußten konfus werden, wie sie sich in der neuen Welt einrichten sollten, wo das Wasser an die Stelle der Luft zu treten schien. Denn die alte, in der man bisher gelebt, war abgetan. Wenn man nur auch hätte vergessen können, daß man einen Magen besaß! Von der Herzgrube aus eroberte sich das Ehemals wiederum die Welt. Der Hunger war das erste Glied der Kette von Schlüssen, durch die die Gegenwart von neuem an die Vergangenheit festgemacht wurde. Wenn nun ein solches Wetter zur Zeit der Heuernte selbst den großen Leuten Sorge machte, wie mußte es einem alleinstehenden Mädchen das Herz bedrängen, das heute brauchte, was es gestern verdient. Und doch war die Heiteretei sonst auch bei solchem Wetter nie zu feiern gezwungen gewesen. Als Tag um Tag verging und niemand ihrer begehrte, weder zum Waschen, noch zum Scheuern, noch zu sonstiger Haus-und Stubenarbeit, da lag es ihr nahe genug, einzusehen, was sie, wie die Valtinessin gesagt, angerichtet hatte. Aber sie wollte es lieber den Umständen in die Schuhe schieben, als sich selbst. Freilich, wer soll jetzt waschen, wo keine Aussicht auf Trockenwerden? wer scheuern lassen, wo jeder Eintretende die halbe Luckenbacher Flur an den Schuhen mit in die Stuben schleppt? Und ihre Unzulänglichkeit als Nähterin gestand sie sich selber willig ein. Denn sie sah das Gegenteil für keinen großen Vorzug an. Nähen galt ihr für keine Arbeit. Eine Nähterin stand bei ihr nicht in viel größerer Achtung, als ein Schreiber. Es ging ihr wie den meisten Leuten ihres Standes. Wenn diese selber einmal einen Brief oder sonst etwas zu schreiben haben, dünkt sie das so schwer und peinlich, daß sie für jeden Buchstaben gern ein Scheit Holz sägten oder hackten; an einem andern kommt es ihnen dennoch wie nichts, wie eine Art bevorwandeten Müßigganges vor. Und sie halten es für unnötig, obgleich es ihnen nötig genug vorkam, sich darum stundenlang zu quälen. »Und an solcher Faulenzerei,« fuhr die Heiteretei dann in Gedanken fort, »hab' ich selber keinen Spaß. Aber laßt nur wieder schön Wetter werden!« Sie weiß ja, daß sie in Luckenbach mit zu dem guten Wetter gehört. Sie ist so wesentlich und unentbehrlich zur Heuernte, als Sonne und trocknender Wind. Freilich! Bis dahin ist verzehrt, was sie für ein mögliches Krankenlager bisher sich abgedarbt hat; nicht für sich – daß sie krank werden könnte, ist ein Gedanke, der niemand einfallen wird, am wenigsten der Heiteretei selbst – aber für das Liesle, das Kind. Die Annemarie ist dafür auf einmal desto gesuchter. Bald wird sie zu der Valtinessin gerufen, bald zur Weberin, bald zu einer andern großen Frau. Sie kommt wenig mehr nach Haus. Sie spricht jeden Tag vornehmer, sie fängt schon an, die Haube zu balancieren wie die Valtinessin, aber natürlich im richtig bemessenen Grade ihrer Unterordnung. Ihr Haubenwerfen verhält sich zu dem der Valtinessin, wie ein Schweineschwänzchen zu einem Löwenschweif. Und geht sie breiter, denn sonst, so ist ihre Grazie gegen die massive, steinerne der Valtinessin nur eine aus Holz und Lehm, und sie selber nur ein bescheidenes bretternes Hintergebäude. Nur selten kann sie die Zeit erübrigen, im Vorbeigehen unten hereinzusehen, und dann läßt sie gutmütig, so viel in der Eile möglich ist, von ihrem neuen Glanze auf die verdunkelte Gestalt der Heiteretei fallen. Ihr etwas anzubieten, hat sie nicht den Mut, wenn auch die Lust. Denn sie kennt die Heiteretei. Und die gibt sich auch nicht das Ansehen, als ob sie etwas bedürfe. Ja, sie treibt noch Possen mit der Annemarie. Sie spielt die Person der Valtinessin und der Weberin gegen sie, und weiß das mit solcher Geschicklichkeit der Nachahmung zu tun, daß die Annemarie zuweilen ihr süßsaures Lachen vergißt und, in unwillkürlicher Täuschung befangen, sich verneigt und ihr antwortet, als wäre die Heiteretei wirklich jene große Frau selber. Eines Regentages kam die Annemarie zur Zeit der Dämmerung, das heißt, wo es noch dämmeriger war, als den ganzen übrigen Tag, zu der Heiteretei in das Stübchen herein. Aus allerlei Vorbereitungen ersah die Heiteretei, die Annemarie hatte etwas auf dem Herzen, das nicht über die Zunge wollte. »Ich bin keine von Euern großen Weibern,« sagte sie, »daß Ihr erst vom Wetter müßt anfangen, wenn Ihr mir was wollt sagen. Da ist nur eins zu machen, entweder Ihr red't oder Ihr red't nicht. Und so ist's, und nu ist's fertig. Ihr wollt vielleicht damit warten, bis ich die Lampen hab' angezündt.« »Vor meinetwegen brennt die Lampen ja nicht an, Bäs Dorle,« entgegnete die Annemarie, die noch immer das Trumm suchte zu ihrem Vorbringen. »Nu, doch wegen dem Liesle da, damit sich die nicht stößt.« »Das Liesle sitzt ja so ruhig, und das Öl, das wird schrecklich teuer bei der Witterung.« »So will ich's noch lassen gehn, aber nu hätt' ich gedacht ...« »Ja,« sagte die Annemarie. Sie dachte, einmal muß es sein, und gab sich selber einen Stoß, daß sie gleich mitten in die Sache hineinfuhr. »Weil Ihr das Kind mit auf die Arbeit wollt nehmen,« sagte sie, »und es ist groß genug dazu; sonst übrigens außerdem blieb' ich lieber bei Euch wohnen, als wo anders.« »Ihr wollt fort aus meinem Häusle?« fragte die »«Heiteretei. »Ja,« sagte die Annemarie, »und der Holunderbusch droben, wenn der blüht, das kann ich auf meiner Brust nicht mehr ertragen.« »Der hat abgeblüht,« entgegnete die Heiteretei ruhig. »Und wenn er's einmal hat getan, so tut er's das ganze Jahr nicht zum zweitenmal.« »Und der Bach,« fuhr verlegen die Annemarie fort. »Ja, der Bach,« half die Heiteretei der Alten, weil sie sah, diese wurde nicht allein mit dem neuen Vorwande fertig. »Der Bach, der ist halt schrecklich naß. Habt Ihr heint schon ans Ausziehn gedacht, wie Ihr mittag seid dagewest?« Die Alte bejahte nur und geriet schon vorläufig in Verlegenheit, wozu die Heiteretei ihre Antwort benutzen könnte. »Ja, nu weiß ich,« sagte diese, »warum das Öl so teuer ist, und warum Ihr gerad' jetzt kommt, wo's finster ist. Ihr habt gedacht, ich seh's Euch sonst an, daß Ihr Vorwänd' macht. Wär't Ihr zur Nacht gekommen, wo ich hätt' geschlafen, da wär's noch besser gewest; da hätt' ich's auch nicht gehört. Und nu will ich's Euch auch nicht zuleid tun und die Lampen anbrennen, eh' Ihr wieder fort seid. Ich bin freilich nicht so höflich wie Ihr. Damit's nicht zu grob herauskommt, wenn Ihr einmal die Wahrheit red't, wollt Ihr mir lieber zwei Lügen weismachen. Bei Euren großen Weibern ist das vielleicht das Recht', zumal, wenn Ihr noch einen schönen Neiger dazu macht. Aber ich mein', wenn mir einer Lügen weis will machen, so ist das die größt' Grobheit, wo er mir kann antun. Ihr seid Euer eigner Herr und könnt in der Valtinessin ihre Brillenscheiden ziehen, wenn Ihr wollt. Ich hab' Euch nix zu sagen und mithin auch nix übelzunehmen. Was das Liesle da angeht, so muß die Sach gehn, wie sie kann. Mir kann's einerlei sein und ist's auch, und nu ist's fertig.« Bei der Annemarie war's aber noch nicht fertig. Sie hätte gar zu gern gehört, die Heiteretei könne es nicht ermachen ohne sie. Nicht als hätte sie gewünscht, die Heiteretei vermöchte das wirklich nicht. Dazu hatte die Annemarie das Mädchen, so sehr sie ihr schon entfremdet war, im Grunde ihres Herzens doch noch zu lieb. Sie ging ja bloß aus Furcht, die großen Weiber könnten's für eine Sünde halten, wenn sie bei der Heiteretei wohnen bliebe. Aber ein Haus zu verlassen, darin man so lange gewohnt, ohne die Bekräftigung und Anerkennung, daß man auch etwas darin gewesen, daß man ihm fehlen werde, das ist so leicht nicht. Sie wickelte ein großes, großes Papier auseinander, worin eine kleine Zuckerbrezel auch fast gar nichts gewesen, und gab diese dem Liesle. Es war wohl nicht die entfernte Ähnlichkeit ihres Schicksals mit dem dieser Brezel, was sie dabei so mit Wehmut erfüllte. »Wenn Ihr doch das nicht hättet gemacht, das mit den großen Weibern, Annedorle!« begann sie mit zitternder Stimme, in der Tür sich noch zurückwendend. »Und wenn Ihr mir nur wenigstens den Neiger zulieb' hättet getan vor meinem End', aber so ...« Den Anstrengungen ihrer Hand gelang's nicht, die vom Schluchzen unterbrochene Rede zeigend und winkend zu ergänzen, wohl hauptsächlich deshalb, weil man die Hand vor der völlig eingetretenen Nacht bereits nicht mehr sehen konnte. Der Klang der in das Schloß fallenden Tür zeigte an, daß sie gegangen war. Draußen stand sie noch eine Weile, mit den Augen in den Regen regnend. Die wunderliche Alte vermißte ein Zeichen der Anhänglichkeit, indem sie selber keine bewies. Aber die Heiteretei hatte sich ebenso seltsam widersprochen, da sie gegen die Unwahrheit der Annemarie geeifert. Sie dachte nicht daran, daß sie selber in demselben Augenblick unwahr wurde. Denn einerlei war's ihr gewiß nicht, daß die Annemarie fort wollte. Nicht deshalb, weil sie daraus, daß selbst die treue Alte sie verließ, erkannt hätte, wie schlimm man in dem ganzen Städtchen von ihr denken mußte. Diese hatte über ein Menschenalter lang da gewohnt. Sie hatte lange vorher schon da gewohnt, ehe die Mutter der Heiteretei hereingeheiratet hatte. Eins nach dem andern neben der Heiteretei hatte das Häuschen verlassen. Vater und Mutter und ihre eigenen jüngeren Geschwister hatte sie hinaustragen sehen; die ältere Schwester hatte sie selbst hinaustreiben müssen. Nun, da auch die Annemarie ging, ward's erst leer, trug man ihr die Mutter noch einmal hinaus. Damals hatte es auch schon so lange geregnet und regnete noch. Und der alte Holunder rauschte jetzt wieder eben so eigen, wie damals, als seine Zweige den Sarg nicht hinauslassen wollten. Wie wenn die Leute in der Kirche nach dem Gebet aufatmend sich leise setzen. Das alles war ihr beim Abschied der Alten gekommen, und sie hätt' es der Annemarie gesagt. Diese wäre entweder geblieben oder beruhigter gegangen. Aber die Heiteretei fürchtete, ihre Stimme werde brechen, wenn sie rede. Und ehe sie die Wahrheit ihrer Empfindung durch »jammeriges Wesen« selber verdächtigte, blieb sie lieber schweigend an ihrem Fenster sitzen. * Verfolgte nun das Schicksal die Heiteretei, so nahm es sich ebenso sichtbarlich der Annemarie an. Den Entschluß, das Häuschen der Heiteretei zu verlassen, schien es selber ihr eingegeben zu haben. Denn eben zur rechten Zeit hatte sie ihre wenigen Habseligkeiten in ihre neue Wohnung hinübergeschafft. Das baufällige Strohdach des Häuschens an den Weiden bot diesem gegen den endlos herabfallenden Regen immer ungenügenderen Schutz. Selber bis in sein Innerstes von dessen Wassern durchdrungen, aufgequollen wie ein vollgesogener Badeschwamm, vermehrte es durch sein Gewicht nur die Unannehmlichkeiten, mit denen Regen und Wind das arme Häuschen heimsuchten. Die alten Lücken der Lehmwand nahmen den Feind mit offenen Armen auf, der sie aus Erkenntlichkeit dafür nach Vermögen vergrößerte. Das Beispiel der belohnten Verräter mehrte ihre Zahl. Was die Heiteretei hineinklebte, nahm der Regen in derselben Stunde wieder hinweg. Von den Nachbarn kam keiner, wie sonst wohl geschehen. Und ging einer vorüber, so geschah es nur, eine offene Schadenfreude zu befriedigen. Der Holunder konnte nichts, als ratlos seine Zweige zusammenschlagen; sie wurden ihm immer schwerer. Von Zeit zu Zeit pochte er an die Wände, wie um zu sehen, wie fest sie noch seien, und nach jedem Pochen schüttelte er ängstlicher das Haupt und griff immer zitternder in den Regen hinein, ihn zu beschwören, er solle nun endlich nachlassen. Der hatte keine Antwort für ihn, als sein ewiges plätscherndes Hohngelächter. Der Fels dicht an der linken Flanke des Häuschens aber war des Häuschens allerschlimmster Nachbar. Er goß Öl ins Feuer oder vielmehr Wasser ins Wasser. Er sammelte all den Regen, der auf seine Scheitel fiel, und hinderte nicht, daß die gesammelten Wasser sich ein Bett nach dem Häuschen hin schufen und von seiner Kante darauf herabstürzten, als hielten sie das Häuschen für ein Mühlrad, das sie in Bewegung setzen müßten. Jetzt sank die linke Seitenwand des Häuschens unter ihrem Gewichte. Das Dach wäre nachgesunken, hätte nicht der Fels mit zu spätem Erbarmen jene ersetzt und das wankende mit der eigenen Schulter gestützt. Und nun begann auch der größte Teil der Vorderwand zu weichen. Sie bog sich matt vornüber, als wollte sie um die Ecke nach Hilfe sehen. Als keine kam und immer und immer noch keine kam, da sank ihr, ein Bild stiller Ergebung, das Haupt auf die Knie; dann brachen auch diese ein, und der Tod löste zu früh, wenn auch mit sanfter Hand, einen so innigen Bund, als Holz und Lehm nur je geschlossen. Nun glich das Häuschen einer Wasserkunst. Über die Furchen des Strohdaches ergossen sich die Wasser vom Felsen herab in hüpfenden Kaskaden. Unzählige Öffnungen schluckten sie gierig ein, ebensoviel andere spien sie in schönen Bogen wieder von sich. Dabei grünte das verwitterte Stroh im größten Elend so lustig wie eine Wiese, und der alte Holunder stand daneben abgespannt und schlaff, wie ein durchnäßter Regenschirm in einer Ecke und schlug die Zweige über seinem Kopf zusammen aus Entsetzen vor solchem Frevel. Die Valtinessin tat, als der Bader die Nachricht von dem Schicksal des Häuschens in den Gringel brachte, etwas Ähnliches. Sie schlug mit beiden Händen auf die Knie. »Da sieht man doch, daß man richtig hat geweissagt,« meinte sie. »Es hat wohl öfter schon geregnet, aber der Regen da, das ist ein sichtbarlich Strafgericht vom Himmel. Und das ganze Luckenbach muß mit darunter leiden, wer den Gründonnerstag sechzig ist gewest, der weiß, was er red't. Hier sitz' ich und sag': Ein Regen soll das sein? Eine Sündflut ist's.« »Ja,« sagte der Meister Schnödler mit unsicherer Zunge, »die Heiteretei, das ist so ein Kerl, wie die Töchter der Riesen sind gewest. Aber ich will euch schon kriegen.« »Und der Herr hat wieder einen unschuldigen Noah gerett, wie selb'mal,« fuhr die Valtinessin fort. »Die Annemarie da, das ist der ander Noah.« Die Annemarie, die an der Tür Leuchter putzte, tat einen Neiger. Sie lächelte, aber innerlich seufzte ihr Herz über das Schicksal des Häuschens. »Ja, es ist kurios,« sagte der Morzenschmied mit einem kleinen Anfall von Schluchzen. »Es scheint, das ganz' Alte Testament geht noch einmal für in unserm Luckenbach. Erst ist die Austreibung aus dem Paradies gewest; jetzund ist die Sündflut; nu muß der babylonisch Turm noch kommen und der Auszug der Kinder Israel aus Ägyptenland.« »Der ist gewest, der Auszug,« sprach die Valtinessin. »Aber nu ist er erst fertig. Der Pharao, der sein Herz hat verstock gehabt, nu liegt er im Roten Meer. Ich hab' manchmal beinah gemeint, man hätt' ihr zuviel getan, aber nu hat der Himmel selbst gered't.« »Zuviel getan?« beruhigte der Meister Schnödler nachträglich. »So ein Kerl, wie die Frau Valtinessin, die kann schon eine Sünd' mehr tun. Wozu wär' denn einer reich auf der Welt? Das ist noch immer nicht den Hals gebrochen. Nur nicht ängstlich, Frau Valtinessin. So eine kann gar nicht zuviel tun.« »Ja,« meinte der Schmied, »das Zuvieltun ist andern Leuten ihre Sach'.« Der Meister Schnödler sah den Morzenschmied an; er konnte nicht einig werden, ob der ihn meine. Aus Vorsicht für jeden Fall sagte er dann: »Keinen Tropfen, Meister Langgut. Der Tropfen, den ich heut getrunken hab' ...« Er wollte sich eben eines hohen Schwurs vermessen, aber die Valtinessin unterlief seine Zunge, indem sie feierlich warnend die Haube schwang. »Meister Schnödler! Aber was ist denn da in Seinem Glas gewest?« »Das ist Bier gewest, Frau Valtinessin. Wenn ich sag: Einen Tropfen, hernachen mein' ich einen Bittern.« Die Valtinessin sagte: »Ja, wenn Er's so meint!« Der Schmied und die übrigen gingen. Der Meister Schnödler rannte die Valtinessin an. In seinem weißlichen Rocke schien er mit ihr Nachtfalter und Pfingstrose spielen zu wollen. Es ergab sich aber, er hatte beabsichtigt, der Valtinessin etwas ins Ohr zu flüstern. »Von wegen,« sagte er und zeigte auf die Ev', die eben hereintrat. »Ev'!« rief die Valtinessin. »Nu, wie ist's denn mit dem?« fragte die Ev leichthin, als sie herangekommen war. »Ja, so ein Kerl,« lachte der Meister Schnödler. »Das ist eine Lust, wenn so ein Kerl das Fieber hat! Die Frau Valtinessin, wollt' ich, kräg's einmal. Die sollt's herumreißen. Das ist noch lang nicht den Hals gebrochen. Nur nicht ängstlich, Frau Valtinessin. Wir wollen Sie schon kriegen. Ja, wenn's ihn hat, da red't er von nix als der Heiteretei. Ich kann sie nicht loswerden, schreit er. Da steckt sie fest. Jetzt ist sie da, jetzt da. Und deutet bald auf seinen Brustkasten, bald an seinen Schädel. Ein verwünschter Kerl, aber wir wollen ihn schon kriegen. Und wenn er einmal zu sich kommt, dann fragt er: Fräle, habt Ihr's richtig gemacht mit der Valtinessin? So ist er auf die Jungfer Ev' versessen.« Die Gringelwirts-Ev' schien anderer Meinung. Aber: »Wenn ich ihn nur erst hab',« sagte sie zu sich. »Ich will sie ihm schon herausbringen.« Der Meister Schnödler war innerlich der Meinung der Ev', wenn er es auch aus Galanterie oder sonst einem andern Grund nicht wollte merken lassen. Der Valtinessin allein fiel es nicht ein, der Fritz könnte eine Neigung zum König Pharao haben, oder es schien ihr nicht der Mühe wert, sich so etwas einfallen zu lassen. »Und das Fräle?« fragte die Ev', und ein liebevoller Zug um den Mund sagte, sie brauche eigentlich gar nicht zu fragen. »Sie will's absolut nicht, daß ich's in Ordnung bring. Das ist ein Kerl! Aber ich will ihn schon kriegen. Wenn's eine Mäd zu dingen gält', meint sie, das könnt' ich verrichten. Aber zu einem Kerl, wie die Frau Valtinessin, da müßt' sie selber kommen. Und das geschäh', sowie sie's nicht mehr in den Beinen hätt', daß sie den Schloßberg könnt' steigen. Und weiter sagen soll ich nix. Der Fritz wär' ein Wunderlicher. Wenn die Leut' sagten: Er freit den Kerl – die Gringelwirts-Ev', da könnt' er aus Trotz die Heiteretei noch nehmen.« »Hm!« dachte die Gringelwirts-Ev'. Das Mordmädle erriet richtig, daß das Holders-Fräle sie nicht haben wollte. Sie dachte: »Wenn's nur erst fertig ist, der will ich's schon eintränken.« »Ich meint', er wär' selber alt genung,« sagte sie, »und könnt' schicken, wen er wollt'. Die Alte kann mich nicht erriechen. Meinetwegen. Sie kann ihn zusammentun mit dem rohen Ding da unten und kann sie noch in Baumwollen einwickeln bis über ihr unverschämtes Gesicht. Wenn's einer machen tät', einen großen Kuppelpelz kräg' er nicht von mir.« Der Meister Schnödler verstand wohl, daß es hieß: »der kräg' einen großen Kuppelpelz von mir.« Er schmachtete sie an und sagte: »Ein Schieferdecker, der den Hals gebrochen hat, das ist noch ein ganz anderr Kerl als das Holders-Fräle.« Aber die Valtinessin schwang ihre Haube, so daß diese auf ihrem Wege einen Strich durch die Rechnung der Tochter zu machen schien. »Das Holders-Fräle hat recht. So einen schickt man nicht zu der Gringelwirts-Valtinessin,« sagte sie, »in solcher Sach'. Das Holders-Fräle weiß, wie man eine große Frau zu respektieren hat. Und es wird ihr schon aus den Beinen herauskommen, daß sie den Schloßberg kann ersteigen. Hier sitz' ich und sag': Der Gringel wirft sein Mordmädle niemand an den Kopf.« Das Mordmädle griff nach einer Flasche, darauf geschrieben stand: »Spanisch Bitter«, und schenkte dem Meister Schnödler unverlangt zweimal nacheinander davon in ein Glas. Sie verweigerte die Bezahlung hinter dem Rücken ihrer Mutter und sagte: »Der Meister Schnödler braucht sich mit der Sach' nicht weiter unnütz zu beschweren. Wie meine Mutter meint, so mein ich auch.« Der Meister Schnödler verstand; er nickte der Ev' mit lachendem Gesicht zu und gab, nach der Valtinessin hindeutend, zu verstehen: »Ein verwünschter Kerl, die Frau Valtinessin! Aber wir wollen sie schon kriegen.« Der Meister ging, und die Valtinessin wandte sich zu der Annemarie, die eben den blauen Mantel umnahm und auch gehen wollte. »Ja,« sagte sie, »Annemarie, wär' der gerecht' Zorn der großen Weiber nicht gewest, ganz Luckenbach hätt' mit dem König Pharao müssen ersaufen. Und wären wir noch anders aufgetreten, so wär' vielleicht der ganz' Regen nicht gewest. Was denkt sich die Annemarie dabei?« »Ach,« sagte die Annemarie; »aber was meint die Frau Valtinessin nur? So würd' ich mir doch das nicht zu schulden kommen lassen. Und wenn's zehnmal sich für arme Leut' schicken tat', daß sie was denken täten dabei, was die Frau Valtinessin sagt. Und die Frau Valtinessin weiß es schon einzurichten, wenn sie was sagt, daß nix dabei zu denken ist. Und wenn's sein könnt'; in der Frau Valtinessin ihrem Beisein mich's zu unterstehn, das wär' mir ja noch immer viel zu niederträchtig. Ja, wer so reich ist, wie die Frau Valtinessin, und ist am Gründonnerstag Sechzig gewest!« »Die Annemarie ist eine recht vernünftige Person für ihre Umständ',« genehmigte die Valtinessin dieses Ersterben in Demut, »drum hat der Herr sie auch so sichtbarlich mit seinem Arm behüt't. Und an dem Exempel kann sie's ersehn, daß der liebe Gott die Welt nicht so in den Tag hinein hat erschaffen, sondern hat sich was dabei gedacht, warum er reiche Leut' und arme Leut' hat erschaffen.« Die Valtinessin dachte, als sie die Rächerhand des Himmels feierte, nicht daran, daß sie noch vor kurzem den Unfall des Holders-Fritz ebenso bestimmt den Gästen des Gringels als ein solches Strafgericht verkündet hatte. Dennoch schien sie recht zu haben. Denn kaum war die Rache des Himmels an dem Häuschen der Heiteretei so weit vollzogen, als wir geschildert haben, und schon machte sich ein Morgenwind auf, dem weiteren Regen zu steuern. »Ja,« sagte die Valtinessin, als zum erstenmal wieder das blaue Auge des Himmels durch die grauen Regenwimpern sah, »das ist sichtbarlich. Ordentlich gewart't hat der Wind, daß er nicht eher ist losgebrochen, bis das Strafgericht ist vollend't gewest. Und daß er nicht hat müssen warten, bis das Häusle ganz verstört wär' gewest, daraus kann man ersehn, daß der Himmel den König Pharao nicht hat ganz wollen vertilgen, sondern hat ihn nur wollen demütigen und hat ihn durch Demütigung zum Rechten wollen führen. Und wenn der lieb' Gott so was vorhat, so sollen die Menschen behilflich sein. Und was mich anbetrifft, hier sitz' ich und sag': was ich kann tun, daß der König Pharao wird gebessert, das soll ehrlich und getreulich geschehn.« So triumphierte die Valtinessin in der Seele des Schicksals und faßte den Entschluß, ihm zum Besten der Heiteretei unter die Arme zu greifen. Die alte Annemarie dagegen in ihrem Taubenschlag – denn als solcher hatte ihre neue Wohnung früher gedient – war zwar stolz auf die unmittelbare Gnade des Himmels, aber heimlich mußte sie doch über das Schicksal des alten Häuschens und die Verstocktheit und Lieblosigkeit des Königs Pharao weinen. Sie konnte sich nicht eingewöhnen, weder in die neue Gunst, die doch ihr Stolz war, noch in ihren Taubenschlag, das sie beides allein genießen mußte. Im dicksten Regen wandelte ihr alter blauer Mantel, wenn es dämmerte, scheuen Schrittes wie ein Gespenst um die Stätte früherer Traulichkeit. Es war, als müßte das Häuslein seinen Lauerer haben. Seit der Fritz diese Stelle niedergelegt hatte, versah die alte Annemarie ihre Obliegenheiten. Dabei marterte sie ihren alten grauen Kopf, nachträglich noch auszudenken, wie alles hätte so ganz anders werden müssen, hätte die Heiteretei ihr nur gefolgt. Und wunderbarerweise tat sie das in den vornehmsten und verbindlichsten Redewendungen, die sie der Valtinessin und der Weberin abgelauscht. hatte So hatte sie ja immer die Neiger gemacht, die eigentlich die Heiteretei hätte machen müssen, und jetzt war es, als könnte sie noch rückwirkend alles gutmachen, wenn sie die Artigkeit, durch deren Mangel die Heiteretei ihr Unglück verschuldet, nachträglich für sie ersetzte. Und so oft sie in ihrer Erinnerung auf den Grund des Papiers hinabtauchte, in dem die Abschiedsbrezel untergegangen war, schluchzte sie wiederum mit schmerzlichem Vorwurf: »Wenn sie nur wenigstens hätt' gesagt, ich wollt' lieber, Ihr bliebt! Aber die –! Nicht einmal den einzigen Neiger hat sie mir noch zulieb' getan vor meinem End'.« Der Morgenwind aber, wie anders wurde er heut vom ganzen Städtchen begrüßt, als wenn er in der Zeit der Kornblüte zu Besuch kam! So angenehm hätte nicht die Milde des süßesten Westlüftchens geschienen, als das rauhe Wesen des alten trockenen Gesellen. Denn rauh und streng mußte er sein, um all das heruntergekommene Wolkengesindel, das wochenlang mit strotzenden Wasserbäuchen von Abend hergekommen war, wieder dahin zurückzujagen. Unter seinem zornigen Schnauben raffte es sich zusammen aus seiner Zerfahrenheit und floh zurück nach seiner Heimat, dem alten Meer. Was davon zurückgeblieben war, als er sich zum Ruhen legte nach der schweren Arbeit, das hing hoch wie schneeweiße Baumwollenrocken am blauen Himmel. Da spann es die Sonne ab in langen zarten Fäden mit rosiger Hand. Wie war das nun ein ander Leben, als aus dem zerborstenen Leibe des Grau all' die Farben wieder er standen, die es verschlungen hatte! Wie Scharlachspinnchen auf grünem Papier rannten auf den grünen Wiesen die roten Unterröcke durcheinander, dazwischen dunkle Jacken und Beinkleider wie schwarze Käferchen oder wie lebendig gewordene Tintenkleckse. Wie vorher der Regen vom Himmel zur Erde gefallen war, so in tausend Strömen stieg jetzt der Heuduft von der Erde zum Himmel hinauf. Anstatt des grauen Regenplätscherns erklangen unermüdlich die buntesten Vogelstimmen. So verlassen hatten noch nie der Webstuhl und die Brücke gestanden in der dumpfigen Stube, die Schere gehangen und die Säge am alten langweiligen Nagel. Wer Sense oder Rechen zu führen wußte, konnte schwitzen ohne Holundertee. Kein Paar gesunder Arme blieb in dem Städtchen zurück. Und doch eins, und vielleicht das gesundeste, regte sich nicht in der freien Luft, wo es hingehörte. Freilich war das Häuschen, in dem es stak, dank den Anstrengungen des Regens luftig genug geworden, luftig bis fast zur Durchsichtigkeit. Die Heiteretei hätte sich beim Ein- und Ausgehen das Türöffnen ersparen können. Es war fast komisch, daß sie nicht neben der Tür durch die Wand ging. Die hätte sie nicht erst zu öffnen gebraucht. Ja, sie schloß die Tür sorgfältiger als je, wennschon sie nicht weiter als nach ihrem Gärtchen ging, das, etwa hundert Quadratfuß groß, über dem Schloßweg drüben, ihrem Häuschen gegenüber lag. Und wenn sie dies jetzt mit noch leichteren Schritten und aufgerichteteren Hauptes tat und dabei ein lustiger Liedchen sang, als je zuvor, so sah man wohl, daß es aus Trotz gegen den Spott der Vorübergehenden geschah. Wäre sie neben der Tür durch die Lücke gegangen, so hätte sie diese förmlich anerkannt, und den Triumph darüber gönnte sie den Spöttern nicht. Selbst ihr Zurückziehen bei Tage in ihr unversehrtes Schlafgemach hätte sie als ein Zugeständnis angesehen, durch das erst der Zustand ihres Häuschens eine feste Tatsache geworden wäre. So saß sie den ganzen Tag über, da niemand ihrer begehrte, allen Vorübergehenden sichtbar an ihrem Tische. Aber sie schien niemanden zu sehen; für sie war keine Lücke in der Wand. Das war ein rechtes Fest für alle Spottmäuler des Städtchens. Jeder suchte der notwendigen Arbeit wenigstens so viel Zeit abzustehlen, als er brauchte, die Heiteretei so dasitzen zu sehen, und irgendeinem Nachbar oder Gevatter eine Bemerkung zuzuflüstern, eben noch laut genug, um von der Heiteretei selber verstanden zu werden. Aber nur, wenn sie etwa in der Tür stand oder durch das eine übriggebliebene Fenster sah, nahm sie von dergleichen Notiz. Dann hatte sie, ohne irgendein Zugeständnis in Rücksicht des delikaten Punktes zu machen, auf jedes Wort der Spötter ein frisches Lachen und eine witzigere Antwort. Nachts in dem kleinen Kämmerchen war's freilich anders. Zunächst half ihr's noch, daß sie sich erst an das Bewußtsein gewöhnen mußte, nicht mehr jedem Vorübergehenden sichtbar zu sein, und jedes Geräusch rief augenblicklich ihren ganzen Trotz wieder wach. Aber wenn nun so lange draußen alles still gewesen war, und ihr Stolz die unnötige Wacht endlich aufgegeben hatte, dann erlag die müde Seele dem Drucke der Gegenwart und dem Drohen der Zukunft. Dann zeigte sich aber auch, wie sehr zu ihrem Glück der Gedanke an den Fritz ein so unzertrennlicher Gefährte ihrer einsamen Stunden geworden war; und wiederum wurde er dies dadurch noch immer mehr. Als einmal die Heiteretei aus dem kurzen, erst spät gekommenen Schlaf erwachte und den Tag im Anbrechen fand und den Wiederschein seines ersten Strahles aus ihrem kleinen Spiegel vermißte, da trieb der fast verdorrte Baum ihrer Hoffnung neue Knospen. Schnell sprang sie aus dem Bette, und wirklich! sie sah den ganzen Himmel umzogen von grauem Gewölk. Dazu flogen die Schwalben hastiger als sonst und so niedrig, daß sie fast das Wasser des Baches berührten. »Nu werden sie doch müssen kommen,« lachte sie in sich hinein. »Das viele Heu, das noch draußen liegt! Und so ein Gewitter vor der Sonn' kommt jederzeit vor Abend wieder. Das weiß alle Welt. Wird nicht lang' dauern, so werd' ich geholt, aber hernachen tu' ich gewiß nicht, als wär' mir viel dran gelegen. Und bin ich einmal wieder dabei gewest, hernachen ist mir nicht bang. Wenn sie nur einmal wieder gesehn haben, was ich ermachen kann.« So schnell war sie nie fertig geworden mit Anziehen und Waschen. Sie hatte ihren leichtesten Rock angetan, um recht ausbündig schaffen zu können. Und bald pochte es auch, erst einmal, dann wieder und wieder, aber es war immer einer und derselbe, der gepocht hatte; es war kein Bote, der zur Arbeit rief; es war nur der alte Holunder. Von einem so wertgehaltenen Freunde wahrlich ein schlechter Spaß! Sie war nahe daran, zu glauben, auch den alten Busch hätten ihr die Weiber verhetzt. Und je höher die Sonne stieg, desto ruhiger und höher über der Erde flogen die Schwalben. Die Waldberge tranken so gierig die Wolken ein, daß bald der blaue Grund ihres Bechers durchschien. Jetzt war er leer, und seine Ränder liefen von jenem eigenen graurötlichen Dufte an, den man den Herauch nennt und der dauernde Trockne prophezeit. Der Heiteretei Gedanken flogen nicht mit den Schwalben in die Höhe, ihr innerer Himmel umzog sich, wie der äußere sich aufklärte, und es fehlte nicht viel, so regneten ihre Augen. Da näherte sich durch das Gras draußen schleifend ein schwerfälliger, hinkender Schritt. So viel war nun gewiß, der Schritt gehörte keinem jener Boten, die sie am frühen Morgen erwartet hatte. Seinen ganzen lebendigen Inhalt hatte das Städtchen auf die Wiesen hinausgeschüttet. Wer konnte es sein, der jetzt daherkam, dem Häuschen zu, als ein Dienstbote oder Lehrling, der, etwas Vergessenes nachzuholen in die Stadt geschickt, sich unterwegs an dem Anblicke des Häuschens eine Schadenfreude machen wollte? Im Nu war der Stolz der Heiteretei wieder oben; sie saß in straffer Haltung und sang ein lustiges Liedchen. Jetzt hielt der Schritt dicht vor der Lücke in der Vorderwand an. Die Heiteretei tat nicht, als hörte sie den schweren Atem des nun Stillstehenden, sie sah nicht nach ihm um. Der Atem klang ihr wie der der Valtinessin; das Blut drängte sich nach den Augenbrauen, aber sie sang noch besser, als vorhin. Draußen erklang nun ein Räuspern, aus dem Verwunderung und Unwille herauszuhören war. Endlich sagte zürnend die Stimme der Reicker Wirtin: »Aber, Mädle, bist du denn der Verzeihmirsgott? Was ist denn das für eine Aufführung da?« Die Heiteretei verdroß in ihrer Gereiztheit der Ton, in dem die Frau das sagte. »Sie ist eben auch eine von den Großen, oder will's wenigstens sein,« dachte sie bei sich; sie soll aber nicht denken, ich knie vor ihr nieder. Dann rief sie laut, als wenn die Dotin durch die Lücke nicht das leiseste Wort hätte verstehen können: »Ist jemand da draußen vor der Tür?« Diese Komödie verdroß wiederum die Dotin, die allerdings für eine große Frau gehalten und danach behandelt sein wollte. »Mit mir stellst du keine Faxen an,« sagte sie. »Du bist nicht der Mann danach!« Trotzdem ging die Heiteretei erst ans Fenster und öffnete es auch noch mit großer Umständlichkeit. »Ihr seid's, Frau Dotin? Aber warum kommt ihr nicht herein ins Häusle? Ich lass' das Fenster nicht gern auf; das Liesle hat's mit den Zähnen, und da kann's die Luft nicht vertragen. Und wenn das Fenster zu ist, kann man's nicht gut hören, wenn jemand draußen spricht.« Die Reicker-Wirtin schüttelte mit dem Kopf und dachte: »Sollt's mit der nicht richtig sein hinter der Stirn? Aber danach ist sie doch nie gewest, daß das mit dem Häusle sie so sehr hätt' sollen angreifen.« Sie wollte durch die Lücke hinein, da sie aber die Tür aufschließen hörte, meinte sie: »Wenn sie wirklich so ist, solchen Leuten muß man den Willen tun, sonst können sie einem was zufügen in ihrer Wut.« Jetzt ging die Tür auf, und die Wirtin hinkte unwillkürlich einen Schritt rückwärts, als sie die Heiteretei so nahe vor sich stehen sah. Ihr fielen in dem Augenblick allerlei Geschichten von Verrückten ein. Als sie aber die Heiteretei genauer betrachtet und von verwirrtem Wesen, wenigstens von den Anzeichen eines nahen Wutausbruches nichts gefunden hatte, hinkte sie hinter dem Mädchen in die Stube hinein. »Guten Tag herein,« sagte sie dann, »wenn man dir nämlich was Gut's zu wünschen braucht. Deinem Gesicht nach sollt' man meinen, es wär' nicht nötig.« »Ach,« entgegnete die Heiteretei lustig. »Gut's kann man immer brauchen. Und wenn man gleich keiner ist von denen, die nix genug können kriegen. Aber Ihr fürcht Euch wohl gar vor mir?« »Du denkst, du bist die einzig', die sich vor gar nix fürcht't,« lachte die Wirtin in ihrer Erleichterung. Denn sie sah wohl, die Heiteretei war noch ganz die alte. Indem sie sich in dem Stübchen umsah, ärgerte sie sich wiederum, wenn auch in anderer Meinung, darüber, daß die Heiteretei nach solchen Erlebnissen und Taten noch die alte sein konnte. Drum fuhr sie fort, und nicht mehr im Tone des Scherzes: »Aber nu läßt du mir deine Faxen. Ich bin da, ein ernsthaft Wort mit dir zu reden. Aber ich kann auch wieder fortgehen ohne das, das sag' ich dir!« Die Dotin setzte sich auf die Ofenbank und legte ein Bündel, das sie mitgebracht, vor sich auf den Tisch. Die Heiteretei holte ihren Stuhl vom Fenster und nahm der Dotin gegenüber Platz. Die Dotin zog ihre Brille aus dem Busentuch; das gehörte zu den nötigen Vorbereitungen, wenn sie jemandem eine Predigt halten wollte. Dann strich sie die Schürze glatt, lehnte sich hintenüber, setzte die Brille auf und begann: »Aber Mädle! Mädle! was machst du mir da für Ding'! Rennst den Holders-Fritz vom Steg, weil er dich nicht will frein, und wie dir die großen Weiber deine Unart verweisen, bist du noch so unsinnig und jagst sie aus dem Häusle!« »Weil er mich nicht will frein?« unterbrach sie die Heiteretei zornig. Die Wirtin nahm die Brille ab, wie jederzeit, solang' sie nicht selber sprach. Die Heiteretei aber fuhr fort: »Das habt Ihr Euch weis lassen machen und hättet doch daran sollensehn, was zu Euern großen Weibern ist. Und sie sollen erst an ihre eigne Unart denken, wie sie mir so lang in den Ohren haben gelegen, der Fritz paßt mir auf und wollt' mir was tun, bis ich's hab' geglaubt.« »Das mög' sein,« entgegnete die Wirtin, nachdem sie die Brille wieder aufgesetzt hatte, »das mög' sein, wie's will. Und daran liegt auch nix, wie die Sach' ist gewest. Das Ding ist so: du bist ein arm Mädle, und das sind große Weiber. Das ist die Sach', und nicht, wer schuld ist und wer nicht schuld ist. Denn Reden, siehste, das sind nur Wörter, und es kommt nix drauf an, was einer red't, sondern ob einer Geld hat und Sachen oder nicht. Und wenn, siehste, die Weiber den Fritz selber 'neingerennt hätten, das bleibt sich gleich; aber ein arm' Mädle darf einer großen Frau nicht so kommen, wie du gekommen bist. Ich hab' mir immer gedacht, daß das mit deinem Wesen einmal schlimm wird ablaufen. Armut und Hochmut, die führen zusammen eine schlechte Eh', und wird nicht gut, bis sie sich scheiden und die Armut freit die Modestigkeit. Der Hochmut hat dir alle Leut' erbittert und hätt' dir das Häusle eingerennt, hätt's auch nicht der Regen getan. Aber die Modestigkeit, siehste, wenn du die gehabt hätt'st, da wär' die Wand wieder zugewachsen, du hätt'st selber nicht gewußt, wie. Und wer weiß, was nicht noch kann werden, wenn du dich beizeit bekehrst! Drum gehst du heint noch herum und bitt'st den großen Weibern dein Unart ab. Die Valtinessin ist eine herzensgute Frau, wenn sie nicht einer mit Gewalt reizt, wie du's hast gemacht. Hernachen ...« Auf der Heiteretei Backen hatte schon während der ganzen Rede der Dotin ein weißer Druckflecken den andern gejagt; jetzt fiel sie jener in das Wort. »Ich dächt' auch, Ihr hättet noch ein Hernachen oder zwei. Das geht nun in einem hin, und wer einmal den Mund vollnimmt, da kommt's auf ein oder zwei Hernachen nicht an. Ich sag' Euch nur so viel: In meine Ohren geht nicht das Zehntel, als in Euern Mund!« Die Wirtin setzte die Brille wieder auf und sagte ruhig: »Das ist deine Sach'. Mach' du, was du willst; hör' oder hör' nicht. Ich red', weil's meine Schuldigkeit ist, und es soll mir kein Mensch einmal nachsagen, ich hätt' meine Schuldigkeit nicht getan, und du selber nicht, wenn dich's einmal reut. Da mit dem Liesle, das wär recht gut und schön, was du an der tust, wenn du kein arm Mädle wärst, das genung für sich selber zu sorgen hat. Ich weiß, wem's ist, aber das wissen nicht alle Leut', und manchmal will einer nicht wissen, was er weiß. Und du denkst, du meinst's gut mit deiner Schwester, wenn du ihr die Ruten abnimmst, die sie sich aufgebunden hat? wenn du ihr die Sorg' abnimmst, die sie vernünftig machen könnt', besser als deine Reden, damit sie so leichtsinnig fort kann machen, wie sie angefangen hat?« Die Heiteretei hatte unwillkürlich das Liesle, das eben vor ihr stand, mit beiden Armen umschlungen. Als die Dotin die Brille abnahm, wie um nicht zu sehen, was die Heiteretei auf ihre Reden sagen könnte, entgegnete diese mit leiserer Stimme, als gewöhnlich: »Ich red' nicht gern davon!« Und indem sie das Liesle auf ihren Schoß setzte, fuhr sie, mehr zu dieser als zur Dotin gewandt, fort: »Es muß jeder seine Leut' kennen und muß wissen, ob das Elend nicht noch schlimmer kann machen, statt besser; und wenn eine schlimm wird, ist's besser, sie wird's allein, als daß sie noch ein anders mit schlimm macht. Gelt, Liesle, wir bitten nix ab, wo uns die andern sollten abbitten, und auseinander bringt uns auch keiner, es müßt' denn der Totengräber sein. Und so ist's, und nu ist's fertig. Ihr habt mir auch noch gar nicht gesagt, Frau Dotin, was der Mann macht, den ich Euch hab' mitgebracht vom Gründer Markt. Wär's nur ein lebendiger gewest, der hätt' Euch aufgefressen, statt Ihr ihn. Und eine rote Nase hätt' er nunmehr auch von Euerm Bier.« »Ja,« sagte die Wirtin, indem sie ihre Brille wiederum im Busentuch unterbrachte, »lernt einen Bär tanzen, er fällt doch wieder auf seine alle Vier. Und wenn man denkt, du bist einmal vernünftig, da bist du geschwind mit deinen Faxen wieder dahinter her. So groß und stark du bist, so bist du doch nix, als ein pures Kind. Ich hab' dir gesagt: mach', was du willst; aber denk' nicht, daß du an mir einen Rückhalt haben willst, wenn du mir nicht folgst. Nicht, daß ich's mit den Weibern in der Stadt nicht möcht' verderben um deinetwegen; wiewohl ich nicht wüßt', warum ich das sollt' tun. Aber es soll auch nicht heißen, die Reicker-Wirtin hat sie in ihrem Trotz bestärkt. Und nun will ich auch einmal sagen: und so ist's, und nu ist's fertig. Behüt' dich Gott!« »Ja, wie Ihr's sagt, da klingt's auch nach was!« lachte die Heiteretei. Sie sah die Dotin ungewiß, ob sie durch die Lücke gehen sollte, oder durch die Tür. Es ist eigen, daß man gern wieder durch den Eingang fortgeht, durch den man hereingekommen ist. Hätte nicht unbewußterweise auch die Reicker-Wirtin diese Nötigung gefühlt, die Heiteretei wäre mit dem Türöffnen zu spät gekommen. Die Wirtin wartete darauf und schüttelte doch selber verwundert darüber den Kopf, und schüttelte ihn noch, als die Heiteretei sie nicht mehr sehen konnte. Der Heiteretei war es nicht so ums Herz gewesen, als sie die Wirtin glauben machte, daß ihr wäre. Sie war vor dem Häuschen stehengeblieben, bis die Alte über die Strecke ihres Weges hinweggehinkt war, die sie durch eine Lücke in den Weiden hindurch sehen konnte. Die Dotin war die einzige, von der sie noch Teilnahme und Hilfe erwarten durfte gegen die Not, die mit schnellerem Schritte dem Häuschen zueilte, als die Alte sich davon entfernte. Mehr als einmal meinte sie, sie noch errufen zu müssen. Aber die Alte wäre auf ihrer Rede bestanden, und abbitten konnte sie nicht, wenn sie auch gewollt hätte. Der Spott der am Abend auf der Heimkehr aus dem Heuen an ihrem Häuschen Vorbeikommenden hatte sie dann nur noch in ihrem Trotze bestärkt. Waren das böse Nächte gewesen seither für die Heiteretei, so zeigte sich die heutige um nichts besser. Die Not drohte näher, ihre Empfindlichkeit war gereizter als je. Sie war nie erbitterter auf die Menschen gewesen, die so unbillig mit ihr verfuhren, und doch hatte sie nie dringender gefühlt, wie nötig sie sie hatte. »Meinetwegen?« sagte sie, kummervoll aufsitzend im Bette, denn nichts verstärkt das Gefühl innerer Bedrängnis empfindlicher, als die äußere Hilflosigkeit der liegenden Stellung. »Meinetwegen? Oh, wenn ich allein wär', sie sollten mich zu nix zwingen, so lang's Wurzeln gibt auf den Wiesen und Wasser im Bach. Aber mit dem Liesle da, wo ich froh bin, daß ich's so aufgebracht hab' mit Ziegenmilch und Tee! Und hätt' ich's nur wenigstens ermachen können, daß ich die Geiß behalten hätt'! Und sie geben mir keine Milch auf Borg; ich muß froh sein, wenn ich für Geld welche krieg'. Und das ist nun auch alle. Aber abbitten tu' ich doch nicht! Mich anbieten zur Ärbet, das will ich meinetwegen noch. Und ich weiß nicht, wie ich das anfangen soll, daß ich zu den Leuten soll sagen: Gebt mir Ärbet, wo sie sich vorher haben gerissen um mich. Ja, anbieten, das will ich noch tun um dem Liesle seinetwegen. Und das tu' ich morgen, aber jetzt denk' ich nicht mehr dran. Die Gedanken machen einen desperat. Gut; lachen sie äußerlich, so lach' ich innerlich. Am End' müssen die Leut' sich schämen und nicht ich. Und tun sie das nicht, so tun sie was anders. Ich schlaf' aber nun, und nun seid still, ihr Gedanken, ich sag's euch zum letztenmal, und so ist's, und nu ist's fertig!« Dazu machte die Heiteretei eine entschiedene Wendung auf die Seite, um ihren Worten den Nachdruck der Gebärde zu leihen. Aber es schien vergebens. Der Schlaf, den sie gerufen, kam ihr noch nicht zu Hilfe. Instinktmäßig suchte sie nach einem Punkte, an den sich eine andere Gedankenreihe knüpfen ließe. Ihr Blick fiel auf das Händchen des Kindes, das im vollen Mondlicht auf der Decke neben ihr lag. Unwillkürlich fiel ihr ein, wie ihre Schwestern und Bettgenossinnen sich schon als Kinder gemüht, aus den Verzweigungen des Geäders auf dem Händerücken die Anfangsbuchstaben des Namens ihrer künftigen Männer herauszulesen. Sie selber hatte dann dieses Treiben verspottet; die Schwestern behaupteten, weil auf ihrer Hand nichts geschrieben stehe, so werde sie einmal gar keinen bekommen. Jetzt, wo ihr's darum zu tun war, nur nicht wieder in jene Gedanken zu geraten, tat sie, was sie damals nicht getan. Und seltsamerweise, als sie eben dieses Treibens halb sich vor sich selber schämen wollte, meinte sie, ganz leserlich ständen zwei verschlungene Schriftzüge auf ihrer Hand. Sie fühlte sich über und über erröten und wollte nicht wieder hinsehen; denn so keck und frisch vor den Leuten, so schamhaft war sie vor sich selbst. Und wie nun das Liesle, plötzlich erwachend, die Pflegerin munter sah und nach seiner Weise mit ihr zu reden begann, da fürchtete sich die Heiteretei vor sei nen klugen Augen. Es war, als wolle das Kind die Namen nennen, die sie eben entdeckt hatte. Sie wußte, daß das Kind noch kein Wort sprechen konnte, dennoch suchte sie es auf andere Gedanken zu bringen. »Sei nicht dumm, Liesle,« sagte sie schnell, um ihr zuvorzukommen; »es ist ja nicht wahr. Der Mond guckt 'rein, ob du ein gut Kind bist und schläfst, und hernachen sagt er's seinen kleinen Brüderlen am Himmel. Guck', er ist schon auf dem Gringel da oben; da trinkt er erst eins, hernachen legt er sich auch nieder und schläft.« Das Kind war schon wieder im Entschlummern und sank zurück. Und nun bedurfte es keiner Anstrengung mehr, sich der Sorgen von vorhin zu erwehren; denn es knüpfte sich eine Gedankenreihe an, die stark genug war, sich gegen jede andere zu behaupten. Es war, als wenn die Heiteretei sich bei sich selber entschuldigen müßte, daß ein F. und ein H. auf ihrem Handrücken stand. Denn daß am Ende aus den Verschlingungen des Geäders zu lesen war, was man wollte, daran dachte sie in ihrer Unbefangenheit nicht. »Dummes Zeug,« sagte sie zu ihrem Handrücken, »ich brauch' keinen Mann. Nicht den und auch einen andern nicht! Wenn ich was möcht', so wär's ein Bruder. Schön sein muß es doch, wenn man einen Menschen hat, dem man alles kann sagen. Ja, und zu einem Bruder, da ließ' ich mir meinetwegen den Hol ders-Fritz gefallen. Wenn er mein Bruder wär', und ich wohnt' bei ihm, wie wollt' ich ihm seine Sach' zusammenhalten! Da wollt' ich den ganzen Tag in seiner Werkstatt mit ihm sein und ihm helfen. Er sollt' nicht merken, daß er einen Finger weniger hat. Hernachen, wenn er nieder wär', da macht' ich Ordnung in der Werkstatt und scheuert und macht, was zu machen wär'. Und wenn mir das Blut unter den Nägeln vorlief, ich wollt' nicht meinen, ich tät' zu viel. Zuerst müßt' er ein ordentlich Halstuch haben, denn das Krägeleszeug kann ich nicht leiden, und die langen Quasten schnitt ich gleich den ersten Tag von seiner Pfeifen. Rauchen möcht' er meinetwegen; es ist, als wenn's einmal zu einem Mannsbild gehört. Und ohne Westen, wie ein Schlenkerlesjörg, dürft' er mir auch nicht mehr auf die Gass'. Es ist ein Jammer, wenn so ein hübscher gewachsener Mensch so gar nix auf sich hält. Er ist der schönst' Bursch', den ich gesehen hab'. Aber die langen wilden Haare, da weiß ich auch nicht, wozu das helfen soll; wird nur der Rockkragen schmutzig davon. Und sein Maß Bier den Tag, das wollt' ich ihm auch nicht verwehren. Das Geld freilich, das müßt' ich haben. Er ist die Guttat selber, und wenn er welches hat, so haben's eigentlich andre Leut', und wo selber genug haben im Haus.« So sinnt sie. Aber schon versagen ihr die Worte, bald auch die Gedanken vor Schläfrigkeit. Ihre Augen fallen zu. Kaum noch, daß sie hört, was zwei am Häuschen Vorübergehende eben sprechen. Der eine sagt: »Ja, jetzt hat er eine tüchtige Frau notwendiger, denn zuvor, mit seinem gelähmten Finger.« Die Heiteretei denkt im Einschlummern: »Die meinen den Fritz.« »Und wenn die Ev ist,« entgegnete der andere, »wie ihre Mutter, die Valtinessin! Das ist eine Tüchtige. So eine könnt' ihn zusammenhalten.« »Die Ev –« denkt die Heiteretei noch, dann nichts mehr. Sie ist eingeschlafen. Und wie lang' schläft sie dasmal! Als sie erwacht, ist's schon hoher Tag. Sie hört reden in der Stube. Sind die dummen Weiber doch wieder da? Aber sie hat keine Zeit, sich zu verwundern; sie hört das Walkmüllers-Gretle drinnen sagen: »Die Heiteretei soll aber ja gleich kommen. Heint muß die Ulrichswiesen noch 'rein.« Sie zieht sich eilend an, während die Valtinessin dem Gretle antwortet. »Jetzt schlägt die Valtinessin auf ihre Knie,« denkt die Heiteretei, »und nun geht's los. Richtig!« »Denn obschon mein Vater seliger ein Weber ist gewest, hier sitz' ich und sag': sie wird gleich kommen, das Annedorle.« »Denn warum?« fügte die Schreinerin hinzu, »sie will ja noch auf der Ev ihre Hochzeit.« »Aber daß das Annedorle sich in acht nimmt!« sagt die Schmiedin. »Er hat schon wieder ein Beil bei mein'm bestellt.« »Dummes Zeug!« sagt sie selber, nämlich die Heiteretei. »Ich fürcht' mich vor zehn solchen nicht. Dabei wundert sie sich über sich selber und denkt: Das ist ja eigentlich alles lang' vorbei.« Aber schon ist sie draußen und wundert sich wiederum, daß sie den Schiebkarren mit sich führt. Den braucht sie doch eigentlich nicht. Und sie ist auch schon weit über des Walkmüllers Ulrichswiese hinaus. Sie ist schon im Ulrichsholze; sie fährt schon wieder heimwärts. Sie hört noch den Karren der Bäuerin mit den weißen Bündeln hinter sich. Die Tannennadeln duften so stark, es nimmt ihr fast den Atem. Da tritt auf einmal der Fritz hinter einem Baum hervor, aber nicht im Ulrichsholz, sondern in ihrem Gärtchen drüben über dem Schloßweg. Er nimmt sie bei der Hand. Sie hat den Schiebkarren nicht mehr. »Laß mich los,« sagte sie; »ich hab' gern meine Hand' frei.« Sie sieht ihm ins Gesicht; das ist blaß, aber so gut, daß es ihr in der Seele weh tut. Und was ist das auch für ein Blick, mit dem er sie ansieht! Sie denkt: »Wenn ich immer so dastünd', und er säh' mich immer so an!« »Gelt,« sagt sie zu ihm, »du hast mich gewollt? Du hast dir kein Beil bestellt? Ich hab' ja auch immerfort gedacht, du sollst mich nehmen, damit dein' Sach' gut gehalten wird. Daß ich so bei dir könnt' stehn und könnt' dir das selber sagen, das hätt' ich mir nimmermehr eingebildt, und es wundert mich noch, indem ich's zu dir sag'. Aber daß du nun die Ev willst frein!« »Ja,« sagt der Fritz und sieht sie immerfort dabei an, »das ist freilich schrecklich schlimm! Aber das Fräle hat einmal ihre Laden zugemacht, da kann das Zeug zum Brauthemd nicht mehr wieder hineingetan werden. Ja, da ist's nun nicht mehr zu ändern.« Das begreift die Heiteretei. »Wenn's so ist,« meint sie traurig, »da ist's freilich zu spät. Aber halt' mich nicht so närrisch bei der Hand.« »Tut dir's weh? Ja, ich bin stark. Ich bin der wilde Fritz.« »Deswegen? Und wenn du noch zehnmal stärker wärst, vor dir fürcht' ich mich noch nicht. Aber die Flämmle, die aus deinen Fingerspitzen kommen und schlängeln so heiß den ganzen Arm herauf bis ins Herz. Mir ist Angst, die tun mir was daran. Es pocht auch so sehr; ich kann kaum Atem kriegen! Und sieh mich auch nicht mehr so an, ich kann's nicht mehr erleiden. Ach Gott, Fritz, was willst du mit der Gringelwirts-Ev? Guck', so eine ist nix für dich. Du kannst keine brauchen als mich. Hätt' ich dich doch nicht vom Steg gerennt; nun denkst du, ich mag dich nicht. Du meinst, weil sie ein hübsch Gesichtle hat? Und es ist nicht einmal so hübsch. Nein, hübsch ist's gar auf der Welt nicht, der Gringelwirts-Ev ihr Gesicht! Wenn ich mir denk', wie's einmal aussehen soll bei dir, wenn die einmal ein ganz Jahr den Schmutz unter den Schränken hat lassenliegen. So ist ihre Mode; sie kehrt nix weg, als was von selber geht. Du denkst, ihre Leut' haben Geld; aber sie haben auch Kinder genung; und, wer weiß, leben sie noch wie lang! Ach, du weißt nicht, Fritz, wie leid du mir tust! Und dein Handwerkszeug! Wenn ich nur wüßt', ob dein Stadel wieder offenständ'. Das wird sie hin und her werfen aus einer Ecken in die ander', wie sie's macht. So ging ich hin, damit's säh', wie's mich dauert. Aber ich sag' dir's noch einmal, laß mich los! So um die Achsel laß ich mich nicht angreifen. So leid ich's von meiner Schwester nicht, geschweig' von einem Mannsbild! Wer weiß, was ich sonst tu. Ach Gott, ich weiß nicht, wie mir's ist! So ist mir's mein Lebtag nimmermehr gewest. So müßt's im Himmel sein, wenn nicht die Angst dabei wär'!« »Vor was denn?« »Ja, das weiß ich nicht.« »Wenn nun das Liesle da im Bett dein Kind wär', oder du hätt'st ein ander Kind, aber es wär' dein?« »Aber das von deinem Fräle gefällt mir nicht, daß sie nur ein Bein hat. Da kann sie nicht in den Himmel kommen; das geht hoch hinauf.« »So?« sagte der Fritz. »Hat sie nur eins? Das hab' ich nicht gewußt. Aber sie kann besser damit laufen als andre mit zwei!« »Das ist alles so närrisch,« meint die Heiteretei. »Aber so närrisch' Zeug hab' ich ja die ganz' Zeit erlebt. Und warum soll ich das nicht glauben? Hab' ich doch das ander geglaubt.« »Aber da kommt gar der Holunderbusch an mein Häusle. Wo der nur dem alten Schramm seinen roten Kirchenfrack her hat gekriegt! Und er bringt die Valtinessin geführt. Wie die geputzt ist! Das ist auch noch nicht passiert, daß eine alte Frau bei ihrer Tochter ist Brautjungfer gewest. Ach, nimm sie nicht, Fritz! Nimm sie nicht, die Gringelwirts-Ev! Und laß mich los, sonst muß ich dich ja drücken, bis du tot wirst, und hernachen kannst du die Gringelwirts-Ev nicht frein!« »Drück' mich tot! Drück mich tot!« sagt der Fritz, umschlingt sie und legt seinen Mund auf ihren. »Laß mich los,« ruft sie zornig und hält ihn doch selber fest. Da wallt ihr der Stolz und die Scham mit einem Druck vom Herzen ins Gesicht. Sie gibt ihm einen Stoß, daß er weit fortgeschleudert wird, wie damals vom Ulrichssteg; daß sie selber gegen einen Baum fällt mit dem Kopf. Wie hat der Baum eine kalte Rinde! Und es ist fast, als wär's gar kein Baum, als wär's eine Kalkwand. Sie tastet daran herum, denn es ist plötzlich Nacht geworden; nur ein kleiner viereckiger Raum dort gegenüber ist etwas heller! sonst ist die ganze Gegend finster um den Garten herum. Ja, es ist eine Wand, an der sie sitzend lehnt. Der Boden unter ihr ist weich, wie ein Bett. Neben sich hört sie einen leisen Atem. Sie fühlt, sie ist im bloßen Hemde. Die Scham brennt ihr immer heißer im Gesicht. Der Fritz hat sie geküßt! Und wie hat sie mit ihm geredet! War sie denn das selber? So kann sie ja nicht gesprochen haben! Von einem Manne kann sie sich ja nicht haben küssen lassen! Aber sie fühlt ja noch den Druck, mit dem sie ihn an sich preßte, an ihrer Brust. Sie fühlt seine Wärme noch auf ihrem Munde, das Gefühl noch, das sie vorher nicht gekannt, in ihrem Herzen. Und doch gehört der leise Atem neben ihr dem Liesle. Der viereckige Raum, der etwas heller erscheint, als die übrige Umgebung, ist ihr Kammerfenster. Sie sitzt in ihrem Bette. Es kann doch wohl noch gar nicht wieder Tag gewesen sein, seit sie zum letzten Male einschlief. Ob das ein Traum gewesen ist? Ja, so hat sie sich das Träumen immer gedacht, daß man tun und leiden müßte, was man wachend nicht täte und nicht litte. Wie wär' das gut! Da wär' auch das nicht wirklich, daß der Fritz die Gringelwirts-Ev freite. Denn das könnte sie nicht ertragen. Aber auch, daß er sie, die Heiteretei, lieber hätte, war dann nur ein Traum. Und das muß sie wiederum schmerzen. Wenn sie von neuem einschliefe, träumte sie vielleicht so fort, und die seltsame Angst, die sie noch wachend fühlt, würde noch größer, und wer weiß, was sie noch täte im Traum! Und ihr Gesicht brennt noch über das, was sie schon getan hat. Was muß der Fritz denken von ihr? Was werden die Weiber nun erst reden! Sie weint vor Entrüstung über sich selbst, daß sie die Gefühle nicht wieder loswerden kann, ja nicht loswerden möchte, um alles nicht! »Ich will nichts vom Fritz,« sagt sie laut. »Mag er die Gringelwirts-Ev frein. Ich mag ihn nicht! Ich mag keinen! Und so ist's, und nu ist's fertig.« Sie kann sich zwingen, so zu reden, aber nicht, daß sie so fühlt, wie sie spricht. Sie wird aus sich selber nicht klug. Immer wieder verwechselt sie Traum und Wirklichkeit. Sie weiß nicht, wo der eine aufhört und die andere beginnt. Sie sieht aus dem Fenster, um sich zu kühlen; die Luft scheint ihr so heiß wie ihr Gesicht. »Wenn ich baden ging',« sagt' sie zu sich, »dann müßt's anders werden.« Das Liesle, das weiß sie, wacht vor dem Morgen nicht wieder auf. Sie zieht sich an. Denkt sie ihrer Empfindungen, wie der Fritz gefragthatte: »Wenn du ein ander Kind hättest, aber es wär' dein?« da schmerzt sie das in der Seele des kleinen Liesle, als hätte sie's verleugnen wollen. Sie bittet's der Schlafenden ab. Dann eilt sie dem Bade zu. Und wie sie nun an der heimlichen Stelle steht, wo sie so oft um diese Nachtzeit gebadet hat, da kann sie's nicht über sich gewinnen, nur das Halstuch abzulegen. Sonst entkleidete sie sich so unbefangen wie ein Kind und stürzte sich in die kühle Flut. Und nun – sie weiß, es sieht sie niemand, dennoch kann sie sich nicht entkleiden. Sie schämt sich vor den Bäumen, vor dem Himmel, vor dem Wasser, vor der Nacht und vor sich selbst. Hat sie denn etwas Böses getan? Denkt sie der Gringelwirts-Ev, so schnürt's ihr die Seele zu. Da steht sie, die vertraute Tiefe lockt sie mit tausend heimlichen Lauten, sich hineinzustürzen, wie sie geht. Ein leiser Windstoß erschreckt sie, erst sucht sie sich in sich selber zu verstecken, dann flieht sie heimwärts wie ein scheues Reh. Hat sie der erste Traum so ganz geändert? Sonst fürchtete sie niemanden. Aber es ist auch nicht die Furcht vor fremder Stärke; die Furcht vor der eigenen Schwäche ist's. Und diese hat sie noch vor einer Stunde nicht gekannt. Das erste Rot des jungen Morgens glüht ihr aus dem kleinen zerbrochenen Spiegel entgegen, als sie, heimgekehrt, atemlos wieder in ihre Schlafkammer tritt. Sie sieht nach dem Kinde. Das war doch aufgewacht während ihrer Abwesenheit. Es hatte sich aufgesetzt und geweint; das fühlte sie an der Bettdecke, wo sein Köpfchen lag; dann war es, im Sitzen wieder entschlummernd, mit dem Oberleibe nach vorn gesunken. Ihr war's, als könnte das Liesle über nichts geweint haben als über sie selber. Sie kniete an das Bett hin und schlang den einen Arm leise um das Kind. »Glaub' mir's doch nur, Liesle,« sagte sie zu der Schlafenden, aber flüsternd, um sie nicht zu wecken, »ich laß' dich gewiß nicht, solang' ich lebe. Ich brauch' kein Kind weiter, als dich. Und ich werd' auch gewiß nicht schlecht. Sowas, wie vorhin, tu ich gewiß nicht, wenn ich bei mir bin, das glaub' mir nur, Liesle; und die Mutter selig vom Himmel wird helfen, daß ich's auch nicht im Traum wieder muß tun!« * Die gute Natur des Holders-Fritz hatte unterdes seine Krankheit überwunden. Er durfte wieder an die freie Luft. »Ja,« sagte er, als er auf einem Stuhle in seinem Stadelgarten saß, »es ist doch kurios, wie alles will gelernt sein, auch das Kranksein, und hernachen auch das Wiedergesundsein. Ja, wenn man läuft und red't und hantiert, da denkt man gar nicht, daß man jedes Wörtle und jede Bewegung erst hat einzeln auswendig müssen lernen, wo man jetzt gar nicht mehr dran denkt, daß man sie will machen, als wenn's halt von selber geschäh'. Und wenn ich wieder gesund bin, hernachen werd' ich's auch nicht begreifen, daß ich erst ins Gesundsein gar nicht recht hab' hineinkommen, und daß ich's erst wieder hab' müssen lernen. Es heißt, wer gesund wär', der tät' nicht wissen, daß er einen Magen hat. Da möcht' ich meinen, er müßt auch nicht wissen, daß eine Sonn' ist und ein Himmel und Gras und Bäum'. Jetzund spür ich das alles, wie ein Kranker seinen Magen. Die Bäum' drücken mich, der Himmel ist, als wenn er sich auf mich legen wollt' oder schon läg' mit seiner schrecklichen Blauheit, und das grüne Gras, das benimmt mir ordentlich den Odem, so grün ist's. Das Lüftle vom Kreuzberg her, da ist's als müßt ich mich dagegen stemmen, und die Hummel da macht mich bis in den Magen hinein konfus. Das ist erwünscht; jedes Steinle, wo da liegt, und jedes Mückle, das sich seine Flügel putzt, und jeden Grashalm spür' ich einzeln. Da sieht man erst recht, was das für dumm Zeug mit dem Wildtun ist gewest. Gegen das da helfen die Fäust' nix, da kann man sich nur mit den Gedanken erwehren. Und wenn einer kein Glied kann regen, so kann er doch ein Mann sein und ein rechter dazu. Den Mann macht's, daß einer denkt und bleibt ganz ruhig fest auf dem, was er einmal hat gesagt.« Jetzt sah er seine Großmutter vor sich stehn. Sie weinte. »Was weint Ihr denn, Fräle?« fragte der Fritz. Die Alte schluchzte: »Ach du lieber Gott, du arm Fritzle! Daß du nu wieder dasitz'st und bist gesund, das dauert mich so.« Es ist eigen, oft fühlen wir das Mitleid erst recht, wenn der Grund dazu schon hinter uns liegt. Das glückliche Lächeln, mit dem ein Armer die geschenkte Suppe ißt, rührt uns viel tiefer als vorher der Hunger auf seinem Gesichte. Vielleicht, weil wir nun erst an dem Glücke der Befriedigung den Schmerz des vorhergegangenen Entbehrens ermessen. Oder weil uns das gegenwärtige Leiden zu sehr erschreckt, als daß wir den Mut hätten, seiner Mitempfindung uns hinzugeben. »Ihr seid ein dummes Fräle,« sagte der Fritz. – »Habt Ihr das nu fertiggemacht, da mit der – Ihr wißt schon was?« »Mach' nur erst, daß du wieder stark bist und deinen Besuch kannst abstatten!« »Weiter fehlt nix?« fragte der Fritz. »Und sie wissen, daß ich auf die Ev gepaßt hab', ob ich sie allein könnt' sprechen?« »Freilich, Fritzle, freilich,« entgegnete die Alte. »Es ist aber doch närrisch mit den Menschen. Guck', sag' mir einmal, Fritzle, hast du dich einmal recht gewundert, daß bei dir aufgeräumt ist gewest in der Werkstatt?« »Ihr meint, in der alten Zeit?« So nannte der Fritz die Zeit vor seiner Änderung. »Ja,« entgegnete die Großmutter. Dem Fritz fiel's ein. Ihr habt einmal heimlich das Zeug 'reingeräumt, weil Ihr gemeint habt, ich werd' wild, wenn ich's weiß. Damals bin ich auch wild gewest; ich hab' nix können finden. »Ja,« meinte die Alte, »glaub's wohl; weil du unter den Spänen und in allen Ecken hast deine Sach' aufgehoben gehabt. Wenn du dein Beil nicht erst eine halbe Stunde hast vergebens müssen suchen, da hast du gemeint, es schneid't nicht.« »Ja,« sagte der Fritz. »Es ist den Morgen nach dem letzten Gründer Markttag gewest, wo ich – Ihr wißt schon, was; ich denk nicht gern an die alt Zeit. Im Anfang bin ich wild gewest, daß ich die Sachen dort hab' müssen suchen, wo sie haben hingehört. Auch die Stadeltür ist angelehnt gewest.« »Und rat einmal, wer das hat gemacht gehabt, Fritzle! Aber ich bin's nicht gewest.« Der Fritz besann sich und sagte dann zornig vor sich hin: »Muß mir denn allemal zuerst die einfallen? Und wenn's was Unmöglich's wär', die fiel' mir dabei ein, als hätt' sie's gemacht. Und das ist auch unmöglich, daß die das soll gewesen sein.« »Nu, ich will dir's sagen, Fritzle, die Heiteretei ist's gewest.« »Also doch?« Dem Fritz stieg Dunkelröte in die bleichen Wangen. Er merkte es und fuhr aus Scham vor der Großmutter zornig auf: »Von der Valtinessin-Ev habt Ihr wollen sprechen!« So sagte er, und doch hätte er gern gewußt, war's wahr, was die Alte gesprochen? Aber hatte er nicht in seiner verbundenen Hand einen unwiderleglichen Gewährsmann für das Gegenteil? Über seine Schwäche zornig, fuhr er fort: »Wenn's nicht richtig ist, bis ich wieder kann ausgehn, zieh ich nach Amerika.« Die Alte erschrak. Sie fing an zu glauben, sie werde ihren Plan nicht durchsetzen. Damit es nicht auffiele, wenn sie plötzlich von der Heiteretei abbräche, und weil sie meinte, sie müsse nun noch das mögliche versuchen, den Fritz von seiner Meinung abzubringen, die Heiteretei verschmähe ihn, plauderte sie wie unabsichtlich weiter: »Aber was red'st du nur immer noch, Fritzle? Die Sachen ist abgemacht. Es ist alles fertig. Die Valtinessin hat auf die Knie geschlagen und hat gesprochen: Hier sitz' ich und sag': So ein Paar wie mein Mordmädle und der Frau Holderin ihr Tichterle, die hat der Himmel selber zusammengefügt. Er soll nur kommen, der Meister Holder. Sie ist eben guter Laune gewest über der Heiteretei ihr Häusle, wo der Regen beinah' hat eingeworfen. Die Weiber haben der Heiteretei so lang' Angst gemacht – nu kann ich dir's schon sagen, Fritzle –, du tät'st ihr mit dem Beil auflauern und wollt'st ihr wer weiß was tun, bis die Heiteretei ist desperat geworden, und du weißt schon, was hernachen ist passiert. Und wie die Heiteretei gemerkt hat, es ist nicht wahr, was ihr die Weiber haben gesagt, da ist sie noch einmal desperat worden und hat die Weiber aus ihrem Häusle gejagt, die sie haben dazu haben verleitet gehabt. Nu gönnen die ihr das mit dem Häusle.« Es war ein Wagnis von der Großmutter, jetzt schon vor dem Fritz der Heiteretei Tat an ihm zu erwähnen und so ihn merken zu lassen, man wisse trotz seiner Bemühungen, ihn zu verschleiern, den wirklichen Verhalt der Sache. Das wußte die Alte recht gut. Und doch konnte sie auf andere Weise ihm nicht beibringen, daß die Heiteretei, von der er sich aus Haß angegriffen meinte, nur Notwehr hatte üben wollen. Sie hatte damit zu warten gedacht, bis er ruhiger geworden, sich freuen müßte, daß ihre Versicherung, sie unterhandle mit der Valtinessin, ein bloßes Vorgeben gewesen. Aber sein jetzt noch ebenso heftiges Dringen auf das Fertigmachen der Heirat und seine Drohungen erlaubten den Aufschub der Mitteilung nicht länger. Es braucht daher keiner Erwähnung, mit welcher Spannung der Großmutter Augen am Gesichte ihres Enkels hafteten, während sie, nur wie beiläufig, des nötigen und doch bedenklichen Punktes erwähnte; wie sie miterblaßte, als sie ihn noch bleicher werden und an den Lippen nagen sah. Sie mußte nun die Voraussetzung, auf die ihr Plan gegründet war, und damit alles Gelingen aufgeben. Auch keine Spur von Freude, daß er sich in der Heiteretei geirrt, zeigte sich in des Enkels Gesicht. Sie wußte nicht, daß der Zorn, den sie darin aufsteigen sah, eben von dem Gedanken kam, welche Freude die Gewißheit, er habe sich in der Heiteretei geirrt, hätte bringen müssen, käm sie nicht zu spät. Es war Zorn auf sich selber, daß er den unglücklichen Einfall gehabt habe mit der Ev, den er nun festhalten mußte, mit so großer Beschämung er auch einsah, er sei zugleich ein alberner gewesen. Das Glück mochte er sich nicht ausmalen, dessen ihm lächelndes Gesicht er nun erkannte, da er es auf Nimmerwiederkehr von sich gewiesen. Die Leute wußten nun doch, daß die Heiteretei ihn in den Graben geworfen, sie wußten sogar, warum sie es getan hatte. Er meinte, sie müßten über sein schulknabenhaftes Vorgeben, er habe an dem Häuschen und auf den Wegen der Heiteretei der Ev aufgepaßt, ebenso verächtlich denken, als ihn selber Trotz und Scham zwangen, zu tun. Aber er mußte es festhalten; und da er dies als einen Zwang empfand, den nicht er selbst, sondern den die Leute ihm antäten, fuhr er im Zorne darüber auf: »Mit Euern Leuten! Was wissen die? Die sagen, ich hätt' der Heiteretei aufgelauert, damit sie ihren Ärger und ihren Hohn recht könnten auslassen!« »Na,« suchte die Alte ihn zu begütigen, »du denkst, Fritzle, sie haben dir's verdacht, wie sie haben gemeint, du bist dem Annedorle zu Gefallen gegangen? Aber guck, Fritzle, so ist's nicht gewest. Darum haben sie dich gelobt. Aber daß du's so wunderlich hast angefangen, das, haben sie gemeint, wär' nicht das Richtig' gewest. Wer die Leut' wollt' blind machen, der tät' ihnen erst die Augen auf. Und wenn einer was wollt' verstecken, so meinen sie, es müßt' auch danach sein, daß man's müßt verstecken; und was Gut's versteckt man nicht. Daß du dir so viel aus den Leuten hätt'st gemacht, und wär'st so heimlich gangen, und hätt'st die Heiteretei selber mit desperat gemacht, und hernachen wieder der Leut' wegen gesagt, du wär'st der Gringelwirts-Ev zulieb gangen, das wär' nicht das Gescheit'st gewest. Auf die Leut' dürft man nix geben, haben sie gemeint.« Die Sorge der Großmutter wandte sich auf seinen augenblicklichen Zustand. Sie war bekümmert und unwillig auf sich, daß sie diesen veranlaßt habe. War ihr doch vom Bader auf die Seele gebunden worden, alle Ursache zu Zorn und Ärger von ihm fernzuhalten. Sie ging, ihm einen niederschlagenden Trunk zu besorgen. Dem Fritz aber war es lieb, daß die Großmutter ging. Es wurde ihm schwer, im Zorne zu bleiben; und ein traurig Gesicht ihr zu zeigen oder Gedanken an die Heiteretei darin lesen zu lassen, das litt sein Trotz nicht. »Es wär' verkehrt gewest, daß ich zuviel auf die Leut' hätt' gegeben?« sagte er zu sich, indem sie ging. »Und wer hat das gemeint? Die Leut'? Wer sind denn nun eigentlich die Leut'? Die da sagen, man soll nix auf die Leut' geben, das sind ja selber wieder die Leut'. Himmelelement! Wer da nicht konfus soll werden! Und das ist verwünscht, daß sie wieder recht haben. So wär' doch wirklich ein Narr, der auf die Leut' was gäb'. Und der ihnen was zum Trotz will tun, noch mehr, als wer ihnen will zu Gefallen leben. Im Fieber, da hab' ich immer mein link' Bein für einen Hund angesehn, der mich hat angebellt, und wenn ich nach ihm hab' wollen treten, da hab' ich mich selber getreten. Die Leut' sind nix, wie so ein verwünschter Fieberhund. Du hast gemeint, die Leut' bellen dich an und hast sie wollen treten, und hast dein ganzes Glück zertreten. Und da hast du gemeint, du bist ein andrer Kerl worden und ein rechter Denker, und – halt nur still, Bursch, du sollst mir nix mehr vormachen, das sag' ich dir! Ist das alles, was du seither hast gemacht, was anders gewest, als dein alt' Wild- und Dummtun, wo du hast gemeint, du bist darüber hinaus? Und hast nicht wieder gemeint, das ist was Apart's, wo du bist auslachenswert gewest, und wo du was Gescheits hast wollen tun, da hast du dich geschämt? O Himmelelement! Und wenn ich's noch wenigstens könnt' verlaufen oder ausarbeiten; aber so muß ich sitzenbleiben bei meiner Dummheit, wie das Kind bei dem, was es hat gemacht.« »Ja, wenn's wär', was ich mir da denk'! Aber es könnt' auch wieder so ein Fieberhund von Denkerei sein, wie das die Zeit her ist gewest. Das Fräle hat keinmal recht damit herausgewollt, ob sie die Sach' mit der Ev hat fertiggemacht, und hat immer von dem Annedorle gered't, daß es sollt' herauskommen, als wär's zufällig gewest. Ja, so ein alt Fräle hat auch noch ihre Äst'. Das war' gar nicht unmöglich, daß das Fräle nur so hätt' gesagt und wär' noch gar nicht bei der Valtinessin gewest. Weiß ich nicht, was ich tat' vor Pläsier, wenn's so wär'. Aber sagen könnt' ich dem Fräle nicht, wie lieb mir's wär'. Wenn doch am End schon alles fertig wär', und eher freit' ich den Teufel, als daß ich könnt' sagen, wie ein klein' Kind: Vorhin ist mir sell nicht recht gewest, jetzund ist mir wieder das nicht recht. Das Wildtun, das soll mir nicht noch einmal kommen, es mög sich stellen, wie's will; den Fieberhund kenn ich nu schon. Aber die Mannesehr', die freilich muß ein rechter Kerl aufrechterhalten. Was einer einmal hat gesagt, dabei muß er bleiben, und sollt' ihm darüber das Herz entzweigehn im Leib. Und so was wird hernachen auch werden. Wenn ich das Annedorle hätt', ich wär' morgen wieder gesund. Sie hat gemeint, ich will ihr was tun; das dauert mich. Und muß nun denken, sie hat mich um nix in den Bach gerennt. Wenn ich nur sollt' wissen, was sie dächt', wenn die Leut' sagen, ich hab' sie gewollt! Ob sie's recht sehr reuen tät? So recht sehr? Ob sie wohl könnt weinen darüber? Wenn mir doch nur das Fräle hätt' was weisgemacht! Ich weiß nicht, was ich könnt tun darum. Da kommt der Schnödler. Wenn ich den könnt' ausholen! Aber der ist auch pfiffig genung. Es wär' verwünscht, wenn ich die Ev nu müßt' nehmen; ich könnt' nicht wieder recht gesund werden danach; das weiß ich. Und ich möcht's auch nicht!« Der Meister Schnödler merkte, trotzdem daß er den Tag noch keinen Tropfen getrunken hatte, was der Fritz wissen wollte. Es lag im Vorteil der Valtinessin-Ev, wenn er so antwortete, wie das Fräle von ihm verlangt hatte. Er stellte also die Sache mit der Ev' als ganz fertig dar und zugleich als völlig stadtbekannt. Die Leute hätten die Heirat längst vorausgesehen; deshalb finde die Rede einiger wenigen, die sich ein weises Ansehen zu geben suchten, wenn sie behaupteten, des Fritz Werbung habe eigentlich der Heiteretei gegolten, nicht nur keinen Anklang, man mache sich auch noch über die weisen Leute lustig. Ein so wunderliches, grundloses Hin und Her mit seinen Absichten und Entschlüssen traue man einem solchen Manne, wie der Holders-Fritz, nicht zu. Den Fritz hatte endlich weniger der noch nicht wieder gewohnte Aufenthalt im Freien, als die Bewegung seines Gemütes in Zorn, Freude und Schmerz angegriffen. Er ließ sich wieder zu seinem Lager führen. Der Bader benutzte auch diesen Umstand. Er suchte die Alte auf und brachte sie durch wohlangebrachte Beruhigungsreden bald in die größte Angst. Der Fritz, sagte er ihr beiläufig, scheine zu glauben, daß sie ihn zum besten habe mit vorgespiegelter Erfüllung seines Wunsches. Das habe er, der Bader, gemerkt. Er wolle nicht meinen, daß die bedenkliche Wendung, die der Zustand des Genesenden wieder zu nehmen drohe, von dem Zorn und dem Schmerz, getäuscht zu sein, herrühre. Sie solle, da ein gefährlicherer Rückfall in Aussicht sei, ein Gespräch darüber mit ihm vermeiden. »Was der verwünschte Kerl sagt, daß er übermorgen nach Amerika will, da wollen wir ihn schon kriegen. Was? Der braucht auch noch die Seekrankheit dazu? Der kann so sterben. Er braucht kein Schiff; wenn's gerät, braucht er nicht einmal seine Beine und wandert noch wo ganz anders hin, als bloß nach Amerika. Aber wer weiß, geht er zu Schiff, kuriert ihn vielleicht die Seeluft. Das ist ein ganz andrer Kerl als so ein Landwindle. Ich soll sehn, ob's wahr ist, das mit der Valtinessin, daß das fertig wär'. Und ist's nicht, soll ich's machen. Nur nicht ängstlich, Frau Holderin; auf der See gestorben, das ist noch lang kein Schieferdecker, der den Hals hat gebrochen.« »Ja, Meister Schnödler,« begann die Alte. Aber der Meister konnte sich wohl denken, die Großmutter werde ihn nur bereden wollen, mit der Ausführung seines erdichteten Auftrages noch zu zögern. Einen scheinbaren Vorwand dafür zu finden, traute er der Klugheit der Alten zu. Dann, erkannte er voraus, werde er es entweder mit ihr verderben, oder den Vorteil, den des Enkels Angegriffenheit ihm in die Hände gab, ungenutzt fallen lassen müssen. Da beide Aussichten ihm nicht behagten, tat er entsetzlich eilig, sprach von der Heiligkeit, den der Auftrag eines vielleicht Sterbenden habe, und rannte davon, ehe er sie hatte zu Wort kommen lassen. Da stand nun das gute Holders-Fräle und wußte ihres Leibes keinen Rat. Der Bader ging wahrscheinlich geraden Weges nach dem Gringel. Seine Rede von der Heiligkeit des Auftrages eines vielleicht Sterbenden hatte sie vollends niedergeschlagen. Sie hatte das Vertrauen eines solchen betrogen, der noch obendrein ihr ganzes Leben war, und hatte damit nichts erreicht, was die Täuschung rechtfertigen oder auch nur entschuldigen konnte. Hatte der Bader aus einem Grunde, der nahe genug lag, den Zustand ihres Fritzle ihr bedenklicher vorgestellt, als er wirklich war – wir wollen es der Alten nicht verdenken, daß sie sich nicht ganz vergaß –, so lief sie Gefahr, ihre Stellung zu dessen künftigem Haushalte selbst zu untergraben. Und so schwere Dinge dies waren, das Mißfallen an der Ungeschicklichkeit einer Werbung durch den betrunkenen Bader hatte Gewicht genug, sich neben ihnen geltend zu machen. Jene Möglichkeit, der Bader habe sie bloß schrecken wollen, wuchs zu einem Hoffnungskeim in ihrem betrübten Herzen, den aber der Anblick des Fritz, als sie ihn bleich und matt wieder auf seinem Bette liegen sah, sogleich wieder erstickte. Im Eintreten hörte sie ihn noch mit schwacher Stimme von einem Fieberhunde reden. »Ach Gott,« dachte sie, »der Bader hat doch recht gehabt: das Fritzle faselt schon wieder. Wenn er wirklich sollt sterben, ich könnt's nicht verwinden, daß ich ihm die letzte Lieb' nicht hätt' getan mit der Valtinessin-Ev'. Und ich wär' noch obendrein damit schuld an seinem Tod.« »Da, Fritzle,« sagte sie, indem sie mit zitternder Hand den Cremortartaritrank neben ihn stellte. Im Fritz war die Hoffnung, seine Großmutter habe ihn zu seinem Besten getäuscht, noch nicht ganz erstorben. »Der Schnödler,« meinte er, »kann von dem Fräle angestellt sein.« Zwar schienen die einzelnen Reden des Baders nicht mit dem Plane zu stimmen, den er bei der Großmutter voraussetzte; aber im ganzen ließen sie sich nach seinem Wunsche auslegen. Er nahm sie so, obgleich er wußte, wenn er sich ernstlich fragte, müßte er sich antworten: »Ich glaub es freilich doch nur, weil ich möcht, es wär so.« »Fräle,« sagte er, »Ihr habt's nicht fertiggemacht das, Ihr wißt schon, was. Ihr seid wie der Fieberhund ...« Die Alte schlug in Gedanken die Hände über den Kopf zusammen. »Aber, Fritzle . . .« »Die Leut', mein ich. Ihr seid wie die Leut'. Ihr wollt's nicht haben. Ihr wollt mir mit Gewalt eine andre aufdringen!« Der zornige Ton, mit dem er es sprach, klang so von Schwäche angewelkt, daß er die Alte mehr erschütterte, als der Inhalt seiner Rede selbst. Sie hörte im Geist die Sterbeglocke dazu läuten. »Aber Fritzle, wie kannst du das denken?« sagte sie weinend. Sie sah schon den Meister Schramm im schwarzen Mantel an der Tür stehn, und es schien ihr nun selber, als habe sie das tun wollen, was er ihr vorwarf. Sie nahm sich vor, sobald es möglich sei, noch nachträglich wahrzumachen, was sie ihm bisher vorgespiegelt hatte. »Es ist ja fertig, und guck' Fritzle, was noch dran fehlen sollt, das ist ja mit einem Wörtle gemacht. Ich will auch zum Superdent. Sei nur nicht zornig, sonst wird's schlimmer mit dir.« Der Fritz sah sie ihren Mantel nehmen und begann nun mit Recht zu fürchten, er zwinge sie vielleicht erst, das zu tun, wovon er so sehnlich wünschte, es sei noch ungetan. Gleichwohl wollte er sich nicht bloßgeben. »Wenn's noch nicht ist,« fuhr er daher fort, »so läßt's bleiben, Fräle. Hört Ihr?« Sie traute ihren alten Ohren nicht; sie wandte sich und nahm die Augen zu Hilfe. Ihr scharfer Blick zeigte ihm, er sei im Begriff, sich zu verraten. Er meinte, ihr müsse es ebenso verächtlich scheinen, wenn sie sehe, er sei mit seinem Zorn und seiner Reue ein kleines Kind, als ihm selber das, durch die Augen beschämten Trotzes angesehen vorkam. »Ich kann's schon selber. Ihr meint, ich bin ein klein Kind, dem man weismacht, was man will. Ihr sollt meinetwegen nix tun, was Ihr nicht gern mögt.« Diese Milde traf das Fräle in das Herz hinein. »Hört Ihr, Fräle? Und wenn ich's nicht selber kann, ich find schon einen.« »Den Bader,« dachte die Alte mit einer Art eifersüchtigen Schmerzes. »Vielleicht komm ich doch noch eher als der; es sind wer weiß wieviel Schenken an dem Weg bis zum Gringel.« »Von Euch will ich's nu nicht. Ihr sollt's nu nicht. Hört Ihr? Sonst verdrießt mich's noch mehr.« »Was du redst, Fritzle! Ja, wenn's nicht wirklich schon fertig wär! Aber es ist ja schon. Und du wirst noch ganz krank von dem unnützen Reden. Wenn du lieber könntest ein bißle schlafen!« Sie setzte sich auf einen Stuhl und schien sich in ihr Gestrick zu vertiefen. Sie wollte sein Einschlafen abwarten. Die letzten Reden der Großmutter hatten den Fritz fast wieder irrgemacht. Er sah ein, daß er in der Weise, wie er begonnen, nicht hinter den wirklichen Verhalt der Sache kommen könne. Nach einem harten Kampfe seiner Sehnsucht mit seiner trotzigen Scham wurde ihm deutlich, daß auch diese Scham nichts weiter sei, als sein altes Wild- und Dummtun, als nur wieder ein Fieberhund, indem er in dem Gemüte der Großmutter seine eigenen Grillen fürchte. Er triumphierte wiederum mit seinem Denkerstolz, um seinem Gedankenergebnis die nötige Wucht zum Todesstoß auf die widerstrebenden Gefühle zu geben. Wäre er geübter im Denken, so mußte er freilich innewerden, daß dieses selbst weder in seinem Ausgangspunkt noch in seiner Richtung den Einfluß der Gefühle gänzlich verleugnen kann. Da er merkte, wenn es ihm gelingen sollte, Trotz und Scham zu überwältigen, dürfte er sein Gesicht den klugen Augen der Großmutter nicht aussetzen, so wandte er sich nach der andern Seite. »Fräle, ich will Euch was sagen, aber – ja, wenn ich wüßt' – na, seid nicht etwa dumm –« Er fühlte die Scham schon auf seinen Backen brennen, daß die Großmutter ihm nicht gleich erleichternd in die Rede fiel. Da dies aber gar nicht geschah, so fiel ihm ein, die Alte könnte, von ihm in seinen Gedanken unbemerkt, leise aus der Tür gegangen sein. Er kehrte sich, so rasch als ihm möglich war, wieder um. Die Alte war fort. Auch der Mantel hing nicht mehr an seiner Stelle. Erschrocken setzte der Fritz sich im Bette auf. »Nun ist sie erst zur Valtinessin gegangen!« fiel ihm ein. »Nu ist's aus mit dem Annedorle!« Er fühlte nun erst recht, wie in dieser all sein Glück beschlossen war. »Und ich muß die Valtinessin-Ev frein! Fräle, Fräle! Ihr müßt noch da sein! Hört doch nur!« Aber das Fräle hörte nicht; es war wirklich auf dem Wege zur Valtinessin. Hätte er hoffen können, daran zu verbluten, wenn er von dem verletzten Finger den Verband abriß, er hätte es getan. »Es wird so werden,« tröstete er sich grimmig, »ohne das!« Indem er vor die Stadeltür hinauslief, gab er sich das Wort, von Stund' an ernstlich alles Wild- und Dummtun abzuschaffen und unter keiner Maske mehr an sich zu lassen, sie sei so verführerisch als sie wolle. Auch vor dem Stadel war die Alte nicht mehr. Es ist eine Eigenheit guter Entschlüsse, daß sie gewöhnlich zu spät kommen. * »Glaub mir's nur, Liesle,« sagte die Heiteretei, vor dem Bette kniend und den linken Arm um das Kind geschlungen, leise zu dem schlafenden. Sie mußte es dem Kinde noch einmal sagen, und da sie es doch nicht wecken wollte, so flüsterte sie: »Ich laß' dich gewiß nicht, solang ich leb'. Ich brauch kein Kind weiter als dich. Und ich werd' auch gewiß nicht schlecht. So was, wie vorhin, tu' ich gewiß nicht, wenn ich bei mir bin, das glaub mir nur, Liesle! und die Mutter selig vom Himmel wird helfen, daß ich's auch im Traum nicht wieder muß tun.« Sie fühlte, daß es ihr heiliger Ernst war mit diesen Vorsätzen; das gab ihr neue Kraft. Den nüchternen Blick des hellen Morgens konnten die Gebilde des Traumes ohnehin nicht ertragen; sie fielen eines um das andere vor seiner Gewalt zusammen, und die Heiteretei sah halb froh halb traurig die Gestalt der Wirklichkeit aus den sinkenden bunten Hüllen Glied um Glied wiederum hervorgehen. Bald vermochte sie nicht mehr zu begreifen, wie sie solch »verrücktes Zeug« nur einen Augenblick lang hatte glauben können. Es wurde ihr immer gewisser, die wachende Heiteretei hatte für das, was die träumende getan hatte oder noch tun konnte, nicht einzustehen. Nur etwas davon blieb zurück und war durch kein Mittel zu verscheuchen: die Wirklichkeit, die dem Traume zugrunde lag. Bis zu dieser Nacht war die Seele des gesunden, kräftigen Mädchens in geschlechtlicher Hinsicht noch ein Kind gewesen. Wenn sie erst den Fritz ungern in seiner Verwilderung gesehen hatte, so war das eine Folge ihrer natürlichen Gutmütigkeit gewesen. Dann hatte das endlose Warnen und Raten der Wachtstubenweiber sie gewöhnt, ihn zum steten Gegenstand ihrer Gedanken zu machen. Furcht, Mitleid, Angst und Selbstanklage hatten dieses Denken an ihn zu inniger Teilnahme gesteigert und ihre Seele vertieft, die aber noch immer geschlechtslos blieb, bis die Eifersucht endlich das Weib in ihr weckte. Die Bilder des Traumes waren nur die Blumenblätter gewesen, die nach Befruchtung der Blüte abfallen konnten ohne Nachteil für das Wachstum der Frucht. Und diese reifte schnell zu der schwellenden Fülle, die sie auf so saftvollem Stamme erreichen mußte. Bald war ihr einziger Gedanke: »Wenn nur das mit der Ev bloß geträumt ist gewest! Hernachen ist alles gut.« Die Milch zum Frühstück für das Kind kostete der Heiteretei ihre letzten Kreuzer. Das berührte sie nicht. Diese tiefen, strömenden Gefühle dehnten ihr Herz bis zum Zerspringen und ließen keiner Sorge darin Platz. Das Elend, das nun, Gesicht an Gesicht, vor ihr stand, verlor, von ihnen angestrahlt, alle seine Schrecken. Ohne daß sie es selbst wußte, kleidete sie sich, als wär' ein hoher Festtag. Auch darin zeigte sich ihre Wandlung. Wie sie an dem kleinen Spiegel stand, den sie auf und ab wenden mußte, um ihre ganze Gestalt darin sehen zu können, wurde sie zum ersten Male in ihrem Leben gewahr, wie hübsch sie aussah. Gegen diese volle und doch schlanke hohe Gestalt ist die Ev nur ein Schatten. Und auch solche Haare hat sie nicht, so klar und dicht, wie sie jetzt der Heiteretei über die Schulter fallen, herab bis fast auf die Knie, und sie einhüllen, daß sie eigentlich keines Gewandes weiter bedürfte. Nur ein dunkles Gefühl ist's in diesem Augenblick, als wären doch nicht alle Sorgen vorbei, welches sie dem Liesle zurufen läßt: »Es wird alles gut!« Sie wundert sich, daß dessenungeachtet das Liesle noch wird Milch trinken wollen. »Nimm's doch nicht übel, Liesle, daß ich so lustig bin!« Sie fühlt schon, daß sie es auch bald nicht mehr sein wird. Und wirklich, es ist nun hohe Zeit, wenn sie gehen will, sich anzubieten; sonst trifft sie niemanden mehr zu Haus. Sie ist fertig und nimmt das Liesle auf den Arm; denn allein kann sie's nicht im Häuschen lassen. Daß es um den Fritz wär' – wie leicht würde ihr das Sich-Anbieten sein! Um den Fritz könnte sie den großen Weibern kniend abbitten, und der Schmerz des zerbrechenden Stolzes würde nur die Wollust des In-ihn Sich-Verlierens erhöhen. Wie ist das alles so anders in ihr, als nur gestern noch! Sie drückt das Kind an ihre Brust; sie fühlt halb mit Schrecken, sie ist ihm Ersatz schuldig, denn sie hat den Fritz lieber als das Kind. Um das Häuschen herum ist sie schon in der Stadt. Sie fragt sich, wohin sie zuerst will. Daß sie zu keiner von den Wachtstubenweibern gehen wird, ist natürlich. Da steht ein Haus, die obere Hälfte grün angestrichen, die untere blau; die Besitzer der beiden Hälften sind sich feind und verkünden das solchergestalt jedem Vorübergehenden. Der unten hat viel Felder und Wiesen; er fährt auch selbst mit seinen Kühen; vor dem Hause steht ein Leiterwagen. Der Mann ist beschäftigt, die Achsen daran zu schmieren; die Frau sieht aus dem Fenster und spricht mit ihm. »Einen guten Morgen,« sagt die Heiteretei in ihrer gewohnten Weise. Der Mann entgegnet ihr halblaut, als wünsche er, es möge es niemand hören. Die Frau sieht auf die Seite. »Weil ich einmal da vorbeigeh'. Ihr habt noch Heu draußen. Heint, denk ich, gibt's noch ander Wetter. Da werd't Ihr mehr Leut' müssen anspannen.« Es kommt ihr keine Antwort zu Hilfe, kein: »Ja, wenn Ihr könntet helfen!« Der Heiteretei schwillt das Herz. Ein Blick auf das Liesle läßt sie sich bezwingen. »Ich wär' imstand und hälf Euch den Vormittag aus,« fährt sie fort. »Ich meint',« sagt dagegen die Frau zu ihrem Manne, »dort käm' der Bas Valtinessin ihr Knecht. Mach', daß du 'reinkommst.« Die Heiteretei sieht wohl, die Leute fürchten sich vor der Valtinessin. Um nicht Zeit zu verlieren, geht sie weiter und sagt im Gehen: »Ja, es wird mir doch nicht passen. Ihr müßt euch schon allein behelfen dasmal.« Der Mann, der schon in der Tür war, sieht, daß sie geht, und kommt wieder heraus, um seine Arbeit fortzusetzen. »Was kann's helfen!« sagt die Heiteretei; »du mußt Milch haben und Brot, du arm's Liesle. Und wenn nur das mit der Ev' ein Traum ist gewest, so will ich mir gern noch mehr lassen gefallen!« Da kommt der Gurken-Kaspar daher. Ehe er der Heiteretei ansichtig wird, zankt er mit seiner Frau, die ihm mit ihren Töchtern folgt, alle mit Rechen bewaffnet. »Das kommt von deinen Anstalten! hätt'st du beizeit dazu getan, so hätten wir nun Leut'. Aber dir fällt's nicht eher ein, daß du eins willst bestellen, als wenn's schon versprochen ist.« »Da komm' ich gerad' recht,« denkt die Heiteretei. »Glück zu ins Heu!« sagt sie laut und setzt hinzu, als wenn sie spaßte: »Das Annedorle möchtet ihr gern mit haben; ich seh's euch an. Ihr habt nur nicht das Herz, weil ihr wißt, ich bin immerfort schon auf Wochen hinaus vertan.« Der Gurken-Kaspar erschrickt und stottert verlegen: »Da, manchmal, da möcht' man wohl – wunderlich Wetter, das ist – wenn nicht – so aber – hat man sich beinah zuviel vorgesehn ...« Der Heiteretei schlägt die Glut ins Gesicht. »Ich glaub' doch gar,« lacht sie, »er denkt, ich biet' mich an?« »Ja so,« sagt der Gurken-Kaspar erleichtert. Er war im Zuge, noch einen Scherz mit ihr zu wechseln; seine Frau aber rannte ihm absichtlich unabsichtlich den Rechen an den Kopf. Der Gurken-Kaspar war der Mann, der einen Wink verstand, und wenn er noch feiner war. Er schluckte hinunter, was er hatte sagen wollen, und ging schweigend fürbaß. Eine von seinen Töchtern aber wandte sich im Gehen: »Weißt du's noch nicht, Annedorle? Sonntag über acht Tag' macht der Holders-Fritz Hochtzig mit der Gringelwirts-Ev'.« Der Heiteretei wankten die Knie. So war das doch nicht geträumt? In den Schmerz hinein, der sie mit hundert Krallen faßt, hört sie die Mädchen kichern. Sie rafft sich mit aller Kraft zusammen und lacht: »Das wißt ihr heut erst? Ich hab's beinah schon wieder vergessen!« Eine junge Frau, die ihr begegnet, sagt zu einer andern: »Wie das Annedorle sich geputzt hat! Die hat gewiß gedacht, heint schon ist die Hochtzig.« Die Heiteretei drückt unwillkürlich das Kind gegen das schwellende Herz, daß es zu weinen beginnt. »Werd' ich doch noch was Bessers anzuziehn haben zur Ev ihrer Hochtzig,« lacht sie der jungen Frau über der Schulter nach. Dann wendet sie sich zum Liesle auf ihrem Arm: »Pfui, Liesle, wir weinen nicht. Wir tun den Leuten nicht die Lieb'. Sie denken, sie wollen uns weh tun damit. Lach, Liesle, lach! Und wenn's uns weh tät' bis in den Tod, wir lassen's doch niemand merken. Daß die Gringelwirts-Ev 's erführ und schnitt ein Gesicht, wie sie's macht? Daß den großen Weibern ihr Jubel erst recht fertig werden tät? Was geht mich der Fritz an? So ein dummer Traum wird doch zu vergessen sein? Ich hab' ihn nicht gemocht und möcht ihn noch nicht, wenn er hundertmal noch ledig wär'. Ich mag den nicht. Ich mag gar keinen! Und so ist's, und nu ist's fertig!« Aber sie sagt das nur mechanisch. Sie sieht sich verwundert um, wo sie ist. »Ich hab' doch was vorgehabt? Daß ich nur nichts Dummes mach, solang' mich die Leut' sehn! Ja, anbieten hab' ich mich wollen. Komm, Liesle, aber gute Worte geben wir nicht!« Das wurde denn ein wunderlich Anbieten, wie es in Luckenbach wohl nicht gesehen worden ist, seit das gute hölzerne Städtchen auf seinen steinernen Füßen steht. Man meinte, wer nach solchen Sünden etwas von den Leuten haben wollte, der müsse auch Reue zeigen und sich demütigen. Aber das tat die Heiteretei nicht. Sie betrieb die Sache mit einem Übermute, der größer und beleidigender erschien als ihr früherer, weil er mühsam erkünstelt war. Hinter jedem Lachen stak ein mühsam zurückgedrängtes Weinen, und jenes gebärdete sich nur deshalb so wild, damit dieses nicht den Mut gewinnen sollte, hindurchzubrechen. Wenige waren so ehrlich, zu gestehen, daß sie in dem Gewebe von Vetter-, Basen- und Arbeitskundschaft mit Armen und Beinen gefangen seien. Der Hohn, der ihr an andern Orten unversteckt entgegenkam, steigerte ihre künstliche Laune nur immer höher. Es war, als sei ihr eigentlich an der Arbeit gar nichts gelegen und sie verlange, man müsse sich bedanken, wenn sie sie nur annähme. Und wenn es jemand nicht über sich gewinnen konnte, ihr geradeaus abschlägig zu antworten, half sie ihm selber Vorwände zu erfinden. Es schien, sie sei froh, keine Arbeit finden zu können. So äußerlich fiebernd im Übermute und innerlich zusammenbrechend in Schmerz und Sorge, traf sie auf dem Heimwege mit dem Meister Schramm zusammen, der ihrer Mutter Kurator gewesen war und nun ihrer war. Der Meister sah sich kopfschüttelnd um. Er war derselbe, dessen roten Kirchenfrack der alte Holunder angehabt, und ging vielleicht nur deshalb in Hemdärmeln und blauer Schürze, weil der Leiher ihm das Gewand noch nicht wieder zurückgegeben hatte. Er war, wie wir wissen, das lebendige Lokalblatt des Städtchens, was die Meldung von Hochzeiten und Todesfällen betraf. Bei letzteren spielte er – wir haben das aus der poetischen Beschreibung im Munde der Beutlerin erfahren – eine große und erbauliche Rolle. Dieser Mann sah sich fast ängstlich um, als er von der Heiteretei eingeholt wurde, und da er keines Zeugen ansichtig geworden, sagte er: »Ich bin eigentlich sozusagen auf dem Weg zu Ihr.« Die Heiteretei nahm keine Rücksicht darauf, daß er sich über sein eigenes Vorhaben zu wundern schien; sie sagte: »Da haben wir einen Weg,« und schritt voran. Der Meister wußte es so einzurichten, daß kein Vorübergehender merken konnte, er folge der Heiteretei. Er hätte dies ohnehin nicht gekonnt, ohne seiner Gravität etwas zu vergeben; so schnell lief das Mädchen vor ihm her. Als er sie an ihrem Häuschen endlich einholte und die Heiteretei erst nach dem Schlüssel suchen und dann die Tür aufschließen sah, da schien seine stehende Verwunderung in betreff der unnötigen Zeremonie mehr als gerechtfertigt. Drinnen setzte die Heiteretei das Kind, das ihr nie so schwer geworden, auf den Boden nieder und gab ihm ein paar Kartenblätter zum Spielen, die einzigen Überbleibsel des Wachtstubenglanzes. Der Meister verwunderte sich auch hierüber und sagte dann: »Sie ist heut herum gewesen wegen Arbeit, Annedorle; ich bin nicht heimgewest, wie sie in mein Haus ist gekommen. Arbeit hätt' ich Ihr freilich auch nicht geben können – von wegen ...« »Weiß wohl,« half ihm die Heiteretei. »Er hat der Leut' schon zuviel. Ich dacht' auch nur, weil ich eben vorbei bin gangen.« »Der Leut' wegen so just eigentlich gerad nicht. Und wenn ich schon genug zur Arbeit hab', vom Essen hätt' immer noch was können abfallen. Nur freilich halt zwar müßt' Sie sich das bei Abend holen von wegen der Leut' halben.« Dieses Anerbieten war der Heiteretei kränkender als aller Hohn, den sie heut erfahren hatte. Der weiße Druckflecken zeigte sich auf ihren Wangen, ehe sie lachend erwiderte: »Essens wegen?« Der Meister aber schien dasmal nicht aus bloßer Verwunderung den Kopf zu schütteln. »So wär's doch wahr,« sagte er halb unwillig, halb bedauernd, »was die Leut' sagen, daß Sie zu essen weiß, ohne zu arbeiten? Und daß man Ihr angesehen hätt', Sie ging so ordentlich recht just bloß zum Schein um Ärbet, und Ihr wär's um Ärbet gar nicht zu tun? Und ich seh', Sie hat auch keinen Mangel an Kleidern, das wär' am Sonntag gut genung in die Kirchen, was Sie anhat da. Sie ist nicht von mein'n Leuten, aber daß Ihr Vater und Mutter seliger sich im Grab sollen umwenden, daß so was aus Ihr wär' geworden, da hab' ich doch erst noch eine Vormahnung wollen versuchen.« Die Heiteretei hielt sich mit solcher Gewalt zurück, daß ihr ganzer Arm erbleichte. Sie schob dem Ausbruche, den sie selber fürchtete, eine Frage als Riegel vor, um ruhiger zu werden. »Er merkt wohl, wo solche Reden hingehören,« sagte sie. »Was steckt Er denn da in der Ecken? Da ist ein Stuhl und eine Ofenbank.« Der Meister Schramm aber drückte noch inniger die Wand an sich oder an die Wand. »Ich meint' doch,« sagte er, »es ist just gerad recht genung, daß ich daher bin gekommen, und ich müßt' mich nicht noch durch die Wetterlücken den Leuten zeigen und meine Reputation verlieren. Sagen doch die Leut', Ihr ist's gar just gerad recht gewest, daß der Regen die Wand' hat verschwemmt; so könnten's die Leut' in der Nachbarschaft nicht am Türauf- und -zugehen hören, wenn's zu Nacht etwa Besuch gäb' bei Ihr. Ich will ja nicht meinen, die Leut' hätten recht. Aber eine ledige Weibsperson, wo allein wohnt, sollt's gar nicht dazu kommen lassen, daß so eine Frag' nur überhaupt ohnehin überdies könnt' entstehn. Das Annedorle, mein' ich, kann nix Besseres tun, als daß Sie sieht, wie Sie je eher je lieber unter die Hauben kömmt. Denn man vernimmt ja, daß der und jener noch Lust hat, sie drunter zu bringen. Und die können sich weiterhin auch noch der Sach' bedenken. Wo Gelegenheit, da, meinen die Leut', wird sie auch benutzt. Ein'm ledigen Mädle wird überhaupt ohnehin überdies von selber schon scharf nachgerechnet, und wo die Leut' gern das Schlimmst' glauben, da geben sie sich nicht noch Müh', die Sach' erst nachzusehn, ob ihr wirklich so an dem ist. So machen's die Leut'. Ich meinesteils, was mich betrifft, will gern nix Schlimmes von Ihr meinen, und drum wär mir's recht, wenn sie den Beck nähm'. Der hat mir's schon lang' lassen merken, daß er Lust hat, das Annedorle zu frein, so gut und schlimm, wie sie ist. Aber das Kind da, das müßt' Sie freilich erst von sich tun.« Die Heiteretei fuhr vor Entrüstung von dem Stuhl empor, auf den sie sich gesetzt. »Den?« sagte sie mit Verachtung. »Der sein eigen Kind nicht haben will? Er will nichts Schlimms von mir glauben und meint, ich nähm' den?« Der Meister Schramm schüttelte jetzt unzweifelhaft vor Verwunderung den Kopf. »Bei dem,« meinte er, »bedächt' sich die Valtinessin selber nicht. Er hat acht Küh' und kann's kaum erbacken, was er verkauft.« »Warum heirat er«, fuhr das Mädchen fort, »die Küh' nicht selber, wenn er sich so in sie verschameriert hat? Ich mag keine Kuh und auch kein Ochsen. Ich kann's noch allein ermachen. Ich brauch' keinen, und wär' er der Herrgott selber. Und mit seinen Leuten? Als wenn ich den'n was Lieber's tun könnt', als daß ich schlecht tät' werden.« »Mög' das sein, wie es will,« sagte der Meister, indem seine Verwunderung einen Amtsrock anzog. »Aber überhaupt ohnehin überdies darf das Annedorle nicht denken, daß wir von Gerichts wegen so ein Ärgernis werden dulden, wie das Häusle da jetzund der ganzen Stadt gibt. Und Sie wird wohltun, wenn sie's nicht dahin läßt kommen, daß wir von Gerichts wegen einen Polizeier zu ihr schicken.« Der Heiteretei erblaßte der ganze Arm. »Es soll mir nur einer kommen,« sagte sie, »ich will's ihm schon sagen! Das Häusle ist mein. Es gibt mir niemand nix dazu. Und wenn ich die ganzen Wänd' herausmach' und nix laß' stehn als die bloßen Decken. Ich will's ihm schon sagen, daß er für sich soll sorgen und andre Leut' in Ruh' soll lassen.« »Ihr red't wie ein Weibsbild,« entgegnete der Meister und wunderte sich über die geistige Überlegenheit, die er der Heiteretei gegenüber entwickelte. »Ihr red't wie ein Weibsbild, und einem Weibsbild nehmen wir von Gerichts wegen nichts übel. Denkt Ihr denn, der Polizeier kommt für sich? Ihn schickt die Obrigkeit, und die Obrigkeit hat die Gewalt, das heißt, wir von Gerichts wegen dürfen Ärgernis nicht leiden, und nicht der Polizeier, der nur kommt, wenn er wird geschickt. Na, ich hab' Ihr gesagt, was ich als Ihr Kurator Ihr hab' müssen sagen. Tu Sie nun, was Sie will, aber mir kann Sie hernachen keine Schuld geben!« Damit knöpfte der Meister die Weste unter seiner Schürze zu und schien sich über die Anzahl der Knöpfe zu verwundern. Dann verwunderte er sich über den Weg, den er ging, und war noch nicht damit fertig, als er aus der Heiteretei Augen verschwand. Die Heiteretei hatte keine Zeit, Betrachtungen über seine Verwunderung anzustellen, ja nicht einmal über ihre eigene Lage. Das Kind forderte ungestüm das Stückchen Brot, das es nach der bisherigen Hausordnung schon vor einer Stunde hätte haben sollen. Sonst, wenn es so vor ihr stand und mit drolliger Ernsthaftigkeit eine Strafrede in unbekannten Sprachen hielt, pflegte sie es lachend zu küssen. »Recht so, Liesle,« sagte sie dann wohl; »du wirst auch einmal eine Heiteretei und bleibst den Leuten keine Red' schuldig!« Dasmal, nachdem sie vergeblich alles durchsucht, wo noch ein Kreuzer sich verkrochen haben konnte, riß sie das Kind mit plötzlichem Entschlusse in die Höhe und lief aus dem Häuschen, ohne es zu verschließen. Fast hätte sie unwillkürlich das Vorhandensein der Lücke durch die Tat anerkannt. Sie hatte nicht weit bis zu dem stattlichen Hause des Becken. Die Heiteretei hatte sich von der Wahrheit der Meinung ihres Kurators überzeugen können, der Semmelbeck könne kaum erbacken, was er verkaufe. Der Laden neben der Haustür war förmlich belagert. Zwei Arme, welche die äußersten der ganzen Armwelt vorstellen konnten, fuhren bald mit Backwerk aus dem Ladenfenster heraus, bald mit Geld hinein und kamen dabei zuweilen unabsichtlich in Kollision miteinander. Der eine gehörte einem unreifen Lehrjungen, der andere einer überreifen Magd. Aber die Heiteretei hatte für das alles keine Augen und keinen Sinn. Sie rannte an diesen Beweismitteln vorüber und mit solcher Hast durch die Hausflur in die Stube, daß man wohl sah, sie eilte, einen Entschluß auszuführen, ehe er sie gereuen könnte. Der dicke Meister war eben in der Stube und saß behaglich beim Frühstück. Er sah aus wie die gesegnete Mahlzeit selber und schwitzte leise vor Wohlsein. Alles an ihm war behaglich, ja mehr als behaglich, seine weiße Jacke dehnte sich ordentlich um den wohlgenährten Leib, der Schweiß auf seinem kahlen Vorderhaupt, der Mehlstaub, mit dem er eingepudert war, die weiten Hausschuhe, alles zerfloß vor Üppigkeit. Erst schien er sich über das Kommen der Heiteretei zu verwundern, aber auch die Verwunderung zerfloß in ein lüsternes Lächeln. Er nickte halb dem Gedanken, der ihm kam: »Hm, ist das wilde Ding endlich mürbe?« halb der Heiteretei selber vergnüglich zu. Sein bloßer Blick machte die Heiteretei vor Scham und Unwillen erröten. »Er braucht nicht so zu nicken,« sagte sie zwischen Verachtung und Zorn. »Das Kind da will essen. Weiter ist's nix.« Sie ergriff ein dortliegendes Brot, und man sah an der Bewegung, mit der sie es anfaßte, daß ihr der Ekel vor dem Mann auf seine Ware überging. »Ja,« rief ihr der Bäcker nach und zerfloß in die Worte: »Wenn das Dorle bei mir bleibt, soll das Kind zu essen haben, was es mag, und das Dorle mit. Und meinetwegen kann's auch dableiben.« Die Heiteretei wandte sich in der Tür. Das Kind kam ihr beschmutzt vor, wenn er es nur nannte. »Das Kind ist mein, und Er soll's nicht auf die Zunge nehmen!« sagte sie. Der ganze Bäcker zerfloß in ein Lachen. »So seh' ich nicht,« entgegnete er, »warum ich ihm zu essen geben soll, wenn's mich nichts angeht.« Die Heiteretei stand einen Augenblick überrascht. Die Wahrheit der Äußerung traf sie so stark, daß sie das Brot wieder auf den Tisch legen mußte. Aber mit einem Ausdrucke, als wär' es nicht darum, sagte sie: »Daß Er meint, es wär' gestohlen? Von Seinem Brot soll's gar nicht essen. Und es mag's nicht einmal!« Der Bäcker lachte ihr nach, dann dehnte er sich vor behaglicher Gewißheit. »Elend macht ein schön Feuer unter die Leut'. Wenn das Küchelchen noch nicht gar ist, mir ist's gar nicht bang, daß sie's nicht noch wird!« Die Heiteretei aber sang und scherzte mit dem Liesle den ganzen Weg zurück, bis sie allein mit dem Kinde in ihrem Kämmerlein war. Dann aber brach's wie ein Gewitterregen aus ihren Augen. Daß ein solcher ein braves Mädle nur in seinen Gedanken schlecht machen und beschmutzen konnte! Daß man's ihm nicht wehren konnte, von einer wie von der andern zu denken! Aber draußen hatte es schon einige Male gepocht und gelacht. Jetzt wurde das Pochen und Lachen so laut, daß sie es durch den inneren Tumult hindurch hören mußte. Mechanisch drückte die Heiteretei ein angehauchtes Tuch gegen die Augen, als die Kammertür hinter ihr aufging. Zorn, daß es jemand wagen konnte, in ihr innerstes Heiligtum einzudringen, verwischte schnell jede Spur des Jammers. Hatte die Verleumdung ihres Rufes schon einem Wüstling Mut gemacht? Alle Muskeln der großen, schlanken Gestalt schwollen an, wie sie's herumriß nach der Tür. Weiß wie ein Marmorbild am ganzen Leibe vor Spannung der Haut stand sie da. »Guten Tag herein,« sagte eine leichtfertige Stimme. In der Tür erschien eine weibliche Gestalt, kleiner als die Heiteretei und ihr zugleich so ähnlich und so unähnlich, als ein Mädchen dem andern sein kann. Es waren zwei ganz verschiedene Worte, aber mit denselben Schriftzügen geschrieben. Eben das, worin ihre Ähnlichkeit lag, machte sie sich unähnlich. Wie anderer Natur war das Kinderartige, Trotzige, Mutwillige an der Heiteretei, wie anderer an ihrer Schwester! Wie spröde, geschlossen und abwehrend in den Zügen und Bewegungen der Heiteretei, wie sorglos hingegeben und doch absichtlich lockend im Ansehen und Wesen der Schwester; die Heiteretei immerwährende Spannung, steter Nachlaß die Schwester. Dasselbe Auge ließ dort kaum den Augapfel völlig sehen und zeigte hier sein ganzes Weiß; von jenem Mund entblößte das Lachen kaum die weißen Zähne, hier machte es das ganze rosige Zahnfleisch zugleich sichtbar. Und ähnlich verhielt es sich mit Denkart, Stimme, mit dem ganzen Wesen. Die Heiteretei erkannte die Schwester und trat ihr ernst abwehrend entgegen. »Du hast vor fünf Jahren nicht wieder ins Häusle sollen kommen,« sagte sie; »was willst du schon, wo das zweit' erst angefangen hat? Und weißt, daß ich auch das leichtfertig Lachen nicht leiden kann. Schickt dich deine Herrschaft zu mir und was willst du?« »Als wenn man immer geschickt müßt' sein,« entgegnete die Schwester, indem sie sich geschmeidig hereindrehte aus der Tür in die Kammer. »Und eine Herrschaft hab' ich eben nicht.« »Sie hat dich fortgeschickt?« fragte ernst die Heiteretei. Die Schwester tritt erst unwillkürlich vor dem Blicke der Heiteretei einen Schritt zurück, dann sagt sie trotzig, aber sie weiß, daß der Trotz sie hübscher macht: »Ich bin selber gangen. Die Leut' meinen, Tanzen ist Sünd', und ich will meine jungen Jahr' genießen. Andre machen's auch, so heilig sie sich stellen.« – Das ganze Zahnfleisch wurde sichtbar, als sie lachend an der Heiteretei sich vorbeischmeicheln wollte. »Und nun sei nicht mehr dumm. Was macht's? Ist's gesund?« Die Heiteretei vertrat der Schwester den Weg zu dem Kinde. Es sah aus, als wenn ein üppiges Schlingkraut sich um eine hindernde Marmorsäule herum vorbeiwinden wollte. »Wärst du ordentlich worden,« sagte die Heiteretei; »aber so, ich sag' dir, du rührst's nicht an!« »Hm, weil du so ordentlich bist?« lachte die Schwester, und nie sah sie der Heiteretei unähnlicher. »Ich war einmal so dumm, daß ich anders hab' werden wollen, weil ich gedacht hab', du wärst so; weil ich nicht gewußt hab', daß du dich nur so stellst. Du brauchst mich nicht so von oben anzusehn. Wenn's was Schlimm's ist, so ist die, die vor den Leuten nicht besser will sein als sie ist, immerfort noch nicht die Allerschlimmst'. Und zumal, wenn's die Leut' doch wissen.« »Was wissen die Leut'?« fragte die Heiteretei, indem sie einen Schritt nach der Schwester zu tat. Die wich zurück und sagte nicht so mutig als vorhin: »Frag' sie selbst; aber ich denk', du wirst's immer noch besser wissen als die Leut'.« »Du gehst hinaus,« sagte die Heiteretei gebietend. »In dem Häusle da waren immerfort brave Leut'.« Die Schwester fügte mit noch kleinmütigerem Trotze hinzu: »Kann sein, einmal.« »Einmal und immer noch, und drum sollst du hinaus. Wen die Leut' schlecht machen, der ist darum noch nicht schlecht.« Die Schwester wollte in gleichem Tone antworten. Es verdroß sie, daß die Schlimmere noch den Sittenrichter spielen wollte. Überdies war sie die ältere und hatte darum mehr Recht, hier zu gebieten. Aber es kam doch nur wie verbissen heraus: »Aber wer's selbst tut, meinst du, und drum bist du's nicht.« »Ich sag' dir's noch einmal,« fuhr die Heiteretei fort; »die selig Mutter hat sich meiner noch nicht geschämt, wenn sie hat heruntergesehn. Und drum lach ich nur, was die Leut' sagen.« Die Schwester sammelte ihren ganzen Trotz, um nach dem Kinde vorzudringen. Sie wollte es küssen. Es schrie und langte nach der Heiteretei, die es aufnahm und unwillkürlich mit der Hand abwischte, was die Schwester an ihm berührt hatte. »Ich sag',« drohte die Heiteretei, »und das Kind soll wieder brav werden, wie seine Großmutter war. Die Kinder haben einen Engel; der macht's, daß es nicht zu dir mag. Und nun gehst du und kommst nicht wieder, bis du brav worden bist, daß es zu dir mag und du darfst es angreifen. Weil ich's hab' genommen, daß es soll brav werden, und plag' mich seinethalben Tag und Nacht, sagen die Leut', es ist mein Kind. So sind die Leut', und du weißt, wem es ist, und könntest dran erkennen, wie die Leut' sind. Red' wie du willst; du mußt mir's noch einmal danken. Du müßtest sagen: So ist sie nicht, wie sie die Leut' machen, aber dir wär's recht, wenn alle wären wie du, daß du nicht brauchest zu denken, du sollst auch besser werden. Und drum glaubst du's mit Gewalt, obschon du weißt, es ist nicht wahr. Und – nun kennst mich zu gut, als daß du nicht auf der Stell' fortgingst. Kommst du brav wieder, soll ich deine Schwester sein und das dein Kind. Und so ist's, und nu ist's fertig!« Die Schwester machte noch eine vergebliche Anstrengung, sich der Heiteretei gegenüber so stolz aufzurichten, als diese tat; dann brach sie zusammen vor der Kraft der Wahrheit. Sie hatte nicht den Mut, noch ein leichtfertig Wort zu sprechen, aber noch Trotz genug, ihr Unrecht nicht einzugestehn. Einen Augenblick stand sie unschlüssig, ohne das Ansehen der Heiteretei ertragen zu können. Sie warf noch einen Blick auf ihr Kind und ging weiter. War es die Erinnerung an die Zeit, wo sie besser war und glücklicher, die ihr der alte Holunder zurauschte, oder der Zustand des Häuschens, in dem sie Kind gewesen war: etwas traf dieses leichtsinnige Herz, stark genug, ihm eine Träne abzupressen.. Sie rang noch einen Augenblick stillstehend mit ihrem Trotze, dann kam sie zurück und bot der Heiteretei die Hand. Die gab die ihre nicht. Sie sagte: »Wenn du wieder brav bist, hernachen komm.« Die Schwester wollte lachen, aber es gelang ihr nicht. Eine kurze Weile und sie war in den Weiden verschwunden. So lange wartete die Heiteretei, dann schloß sie die Kammertür hinter sich und ließ ihren Gefühlen freien Lauf. Ihr Stolz brach zum ersten Male völlig zusammen im Geständnisse: »Ein ledig Weib ist das elendst' Ding auf der Welt! Wie anders hat's da ein Mann! Nicht allein, daß sie recht tut, sie muß auch sorgen, daß ihr's recht ausgelegt wird. Ein ledig Weib ist wie ein Mäuschen, dem alle Welt auflauert, und wenn es niemand ein Weh zufügt. Was hilft ihr all ihre Kraft? Gegen die Schläge der Verleumdung kann sie der stärkste Arm nicht schützen. Der schwächste Mann ist stark gegen sie. Nicht einmal ihr etwas übelzunehmen hält man der Mühe wert. Ein Mann kann aufstehn, auf den Tisch schlagen und zur Rechenschaft ziehen, wer ihn schlechtmachen will. Und woran wär' er so tief zu verletzen, als ein Weib an seiner Ehre? so unwiderbringlich? Mit einem bloßen Blick, einem bloßen Gedanken?« Und was nun beginnen! Um Arbeit betteln? Das kann sie nicht. Lieber sterben! Das Häuschen, ihr letztes, fällt ein; sie kann's nicht stützen. Das Häuschen, darin sie als Kind gelacht und geweint, und die Mutter sie liebgehabt. Hätte sie nur ein Herz, von dem sie wüßte, es trüg unausgesprochen an ihren Schmerzen mit! Denn klagen könnte sie nicht! Die Mutter liegt draußen im Gottesacker; die Annemarie ist fortgezogen; ihre Schwester hat dem Häuschen Schande gemacht; mit dem Kinde hat sie täglich gesprochen, aber es hat ja doch noch kein Herz, das ihre Lage fassen kann. An den alten Holunder, der eben über ihr kratzt und rauscht, als wolle er sie an ihn erinnern, denkt sie nicht; und wenn sie an ihn dächte, er hat andere Leiden und Freuden, und sie muß ihm erst die Seele leihen; seine Seele ist ihr eigen Mitleid und ihre eigene Mitfreude mit sich selbst. Und was soll aus dem Kinde werden? Wird sie's erhalten können und brav erziehen, wie ihre Mutter sie? Wenn sie stirbt, was soll aus ihm werden, wo niemand es lieb hat, und so arm, ohne Mutterpflege und Vaterschutz? »Am End' ist's besser für dich und das Kind, weg von der Welt, wo einen die Leut' durchaus schlecht wollen haben!« Immer lockender rieselt draußen der Bach, so viel Mühe sich auch der alte Holunderbusch gibt, ihn zu überrauschen. Immer lockender wird das Bild der heimlichen Stelle darin, wo sie so oft und erst diesen Morgen noch kaum die Lust überwunden hat, sich hineinzustürzen, nicht bloß zum flüchtigen Bad. Diesen ganzen Tag hat sie's immer in ihre Gedanken hineinrauschen hören, als riefe es sie; sie wußte nicht, warum; jetzt weiß sie es. Und der Fritz – der sie jetzt vielleicht verhöhnt mit der Gringelwirts-Ev – wenn er's hört, es muß ihn schmerzen, er muß an sie denken, so oft er Weiden haut; jeder Reif auf seiner Schnitzbank muß ihn an die Stelle erinnern, wo die schönsten Weiden stehen und wo ... Es packt sie wie ein Schwindel. Sie reißt das Liesle vom Boden auf mit wildem Entschlüsse. Sie wendet sich, die Kleine auf dem Arme, nach der Tür. Da meint das Kind, die Pflegemutter will mit ihm spaßen. Es schlägt die Hände zusammen und jauchzt laut auf. Sie läßt es sinken und sinkt ihm nach in die Knie und küßt es und weint laut, und küßt es und weint immer wieder, bis sie alles von dem Herzen heruntergeweint hat, was es belastet. Wie schüttelte sich der alte Holunder vor Freude und Schmerz zugleich, als der Heiteretei einfiel: Es ist noch Welt außer Luckenbach, wo's nicht mehr heißt: Respekt muß sein im Haus vor den dummen großen Weibern! Warum heißen sie mich die Heiteretei? Warum hat mir der lieb Gott die starken Arm' gegeben und das lustig Herz, wenn ich's nicht sollt brauchen für das Liesle und mich selber?! Wieder nimmt sie das Kind auf den Arm: sie jauchzt mit dem Kind um die Wette. »Guck, Liesle, wie wir dumm sind gewest! Der reiche Metzger am Markt, wie oft hat er gefragt: Was will das Annedorle für ihr Häusle? Komm, Liesle, wir gehn gleich hin!« Als sie mit dem Kinde hinaustritt durch die Lücke – denn nun ist ihr's gleich, was die Luckenbacher denken davon – in die heitere Mittagssonne, langt das Liesle nach einem gelben Schmetterling. Der ist eben auf dem Weg vom Holunderbusch in das Gärtchen drüben. Dort setzt er sich auf eine rote Bohnenblüte gleich neben dem großen Stachelbeerbusch. An diesem bleibt das Auge der Heiteretei, das ihm folgte, haften. »Wenn die Stachelbeeren reif wären! Du bist hungrig, du arm's Liesle, und ich auch. Das merk' ich jetzt erst. Ja, die alt' Annemarie hat recht gehabt. Wenn's nur den Menschen einmal wieder hungert, hat sie gesagt, hernachen ist dem Tod sein Heu verregnet. Dazu kommt dort – aber er ist's doch nicht? Ja, er ist's doch! Der Holders-Fritz ist's; der Holders-Fritz ist's wirklich, der dort von den Weiden heraufkommt. Wie sieht er anders aus, als sonst! Er hat eine weiße Weste unter seinem Rock und auch ein ordentlich Halstuch an. Was will er –?« Fast wäre die Heiteretei so töricht gewesen, vergeblich zu erschrecken. Was sollte er bei ihr wollen? Den Schloßweg hinauf will er. Es ist der kürzeste Weg zu seiner Braut; der hochmütige Giebel da oben, der ist ja vom Gringelwirtshaus. Aber sie ist schon erschrocken, so töricht das ist. Wenn er sähe, daß sie über ihn erschrocken ist – das darf er nicht wissen, wie ihr's um das Herz ist. Niemand darf's wissen. Um alles nicht! Das wär' erst ein gefunden Fressen für die Leut', für die Gringelwirts-Ev', für die Valtinessin, für alle die großen Weiber und – für ihn selber mit! Und wenn sie aller Welt Spott jetzt tragen kann, den seinen könnte sie nicht tragen; nicht einen Blick von ihm, der so aussähe, keinen Laut von ihm, der so klänge! Sie setzte das Kind an den Stachelbeerbusch nieder; zum ersten Male vergißt sie, daß es unreife Beeren abreißen und essen kann. Sie selber sieht sich vergeblich nach einer Zuflucht um, wo er sie nicht gewahr werden soll. Aber schon kommt er näher. Sie bückt sich, entfernter vom Zaune, abgewandt vom Wege, den er kommt, nach einem Gelblackstöckchen, das mitten in der Petersilie steht. Der Atem vergeht ihr fast; sie sieht auf die gelben Blumen herab mit einer Angst, als hinge Tod und Leben für sie an der Zahl ihrer Blätter. Die Angst wächst, wie ihr der Traum einfällt. Hier stand sie ja im Traume mit dem Fritz. So hell war's und so warm, und so ein fröhlich Rauschen zog durch Büsche und Kräuter. Der Holders-Fritz ist indes an den Zaun gekommen. »Sieh,« sagte er, »was ich dir hab' mitgebracht, Liesle!« Er hält einen Stromweck in die Höhe, so gelb gebacken und glänzend, daß das hungrige Kind die unreifen Beeren fallen läßt, die es eben in den Mund stecken wollte. Es kommt ans Staket und langt danach. Der Holders-Fritz gibt ihm den Stromweck, und es fürchtet sich so wenig vor dem »wilden« Fritz, als wär's alle seine Tage mit ihm zusammen gewesen. Der weiß aber auch nicht, was er sagt, der ihn jetzt noch den wilden Fritz nennt. Er ist ein ganz anderer als sonst. Da ist nichts mehr von dem übernächtigen, gedankenlosen Blick, von der dunkeln Röte in seinem Gesicht; nichts mehr von dem herausfordernden, schlagfertigen Wesen. Er hat vielmehr etwas Ruhiges, Sinnendes in seinen Zügen, das lange Haar ist bedeutend kürzer geschnitten und fliegt ihm nicht mehr so wild verworren um das Gesicht. Der Blick, die Stimme kommen tiefer aus seinem Innern hervor; die Stimme ist nicht mehr so heiser und gewaltsam in die Höhe getrieben. Er ist schlanker als sonst; alles an ihm ist milder und bescheidener und dennoch männlicher. Er ist ein ganz anderer; er ist nun erst der richtige Fritz, den der liebe Gott in ihm erschaffen wollte. Das hungrige Liesle beißt tüchtig in den Stromweck ein; der Fritz spricht erst mit ihr und übersetzt sich die Reden, die sie in unbekannten Sprachen hält, so gut es gehen will; währenddes ist er näher herangetreten an den Zaun; nun sagt er ganz leise: »Dorle!« »Das ist doch dieselbe Stimme, wie den Morgen im Traum,« denkt die Heiteretei in ihrer wachsenden Angst. »Und wie er so freundlich mit dem Liesle ist, das alle Leut' sonst scheel ansehn! Das ist schön von dem Fritz; das will ich dem Fritz nicht vergessen, und wenn er ...« »Dorle,« sagt er noch einmal. Aber sie läßt ihn noch zweimal rufen, ehe sie tut, als würde sie ihn eben erst gewahr. Und sie kommt auch nicht näher an den Zaun; kaum daß sie die Augen nach ihm hinzuwenden scheint. »Wer weiß, ob ich dich noch einmal allein find',« fährt er nun fort. »Ich wollt' dich nur was fragen!« Mit einem Blicke übersieht sie die ganze Veränderung, die mit ihm vorgegangen ist. »Mich?« fragt sie so gleichgültig und verwundert, als sie kann. »Ja, dich,« entgegnete er. »So frag'. Aber mach'; ich hab' nicht viel Zeit.« »Du hast bei mir aufgeräumt ...« »Aufgeräumt? Wer? Ich bei dir?« »Ja, du; und bei mir. In meiner Werkstatt in den Stadeln, da am Gründer Weg.« Wenn doch nur ein Baum da herum Ja spräche! Die Heiteretei kann's nicht, und hinge wer weiß was davon ab. »Guckt doch,« lacht sie. »Ich hab' weiter nix zu tun, als daß ich jedem Schlenkerlesjörg da aufräum!« Der Holders-Fritz wird dennoch sichtlich freudiger. »Wenn du nicht rot würd'st, wollt ich's glauben,« sagt er schnell. »Und du wirst noch immer röter!« »Er tät' sich freun,« denkt sie, sagt' ich Ja. Warum nur? Was hat er damit? Aber sie sagt: »Freilich, weil ich mich schäm', daß du so einfältig redst. Und weil ich mich gebückt hab'. Der Bader sagt immer, ich soll Aderlassen. Wenn du deinen Spott haben willst, geh' zu deiner.« Der Holders-Fritz sagt, so ernst er kann: »Ich spott nicht. Ich denk eben, du sollst die Mein' sein.« Ein kleines bißchen Schelmerei war unter den Ernst gemischt, mit dem er fortfuhr: »Ich hab' gedacht, du brauchst's nicht bei Nacht zu machen; du könntst's am Tage tun.« Die Heiteretei hörte den Ernst nicht vor der Schelmerei. »Ich hab' dir nix gemacht,« sagte sie gereizt, »und dein Gered' leid' ich nicht. Und nun gehst du deiner Weg'. Ich hab' noch nichts mit einem ledigen Bursch gehabt, geschweig' mit einem versprochenen; am wenigsten mit dir. Ich dächt', du weißt's gut genung. Und ich hab' mehr zu tun, als Maulaffen feilhalten, und du läßt mich gehn; und so ist's, und nu ist's fertig!« Der Holders-Fritz schwieg einen Augenblick. Dann begann er wieder: »Dorle, hörst du?« Und als sie hartnäckig schwieg und tat, als meine sie, er sei schon gegangen, setzte er hinzu: »Na, nix für ungut. Ich hab' nur wollen wissen, wie du denkst, 's war nur gefragt, und eine Frag' ist kein Donnerschlag.« – Dennoch wartet er eine Weile. Wie er sieht, sie antwortet doch nicht, geht er weiter. Sie kauert währenddes wieder am Lackstock und rauft unbarmherzig in die Petersilie hinein, damit es scheinen soll, sie habe wirklich notwendig zu tun. Aber sie fragt sich: »Ich denk' eben, du sollst die Mein' sein – was will er damit?« Der Holunder nickt ihr von drüben zu: »Laß ihn nicht fort.« In den Bohnen vor ihr flüstert die Luft: »Er will dich ja, nur dich; aber weil er denkt, du willst ihn nicht, muß er ja zur Gringelwirts-Ev. Schon aus Stolz ja muß er das nun!« Doch sie weiß ja selber, ihr ganzes Leben geht mit ihm von ihr, aber sie kann ihn nicht aufhalten, nicht durch einen Wink, nicht durch einen Vorwand, wenn sie auch einen wüßte. Ja, ständ er vor ihr und fragte noch einmal, sie könnte ihn nichts merken lassen. Um so weniger, je mehr sie fühlt. Es ist, als führte gar kein Weg mehr aus ihrer Seele in die Welt! Immer weiter außen ist die Welt, immer tiefer drin die Seele. Auf dem Schloßweg, auf der Stelle, wo der alte Diktes die Stunde zu rufen pflegt, bleibt er stehn, der Fritz. Will er wieder zurück? Nein, das Gehen wird ihm schwer. Er ist ja noch krank, und daran ist sie schuld. Jetzt geht er weiter. Ruft ihn denn niemand zurück? Und doch erschrickt sie, wie sie rufen hört: »Fritz!« Das Kind ist's, das gerufen hat. Das Kind, das nicht reden kann. Und ganz deutlich hat es »Fritz!« gerufen. Und er hat es gehört; er bleibt wieder stehn, er kehrt um. Wer hat das Kind Fritz sagen gelehrt? Die Heiteretei selber, ohne daß sie es wußte, wenn sie vom Fritz mit ihm sprach. Das wird er nun erraten. Er muß denken, sie hat's dem Kinde angelehrt, ihn zu rufen. Und schon steht er wieder am Zaun. Den rechten Arm in der Binde lehnt er in die Blätter und Blüten des Zauns. »Du hast mich gerufen, Dorle,« sagt er matter als vorhin. »Ich konnt's ohnehin nicht glauben, daß du mich wirst gehen lassen!« »Ich?« entgegnete sie, das brennende Gesicht abwendend. »Was dir einfällt! Ich hab' nicht an dich gedacht!« »So war's das Liesle!« »Das?« lacht sie. Er fragt das Kind, das er mühsam auf den linken Arm nimmt. Sie läuft hinzu und hält dem Kinde auf seinem Arm die Hand vor den Mund. »Sei nicht so dumm,« sagt sie hastig zu ihm. »Das Kind kann kein Wort reden!« »Als nur Fritz?« fragt er blasser als vorhin, aber wieder mit einem Anfluge von Schelmerei. »Das ist doch kurios!« »Das ist nicht kurios,« sagt sie noch hastiger. »Weil dem Nachbar sein Kater Fritz heißt.« »Der dort?« fragt der Fritz und lockt ihn: »Komm, Fritz, Fritz, komm. Der muß anders heißen,« fährt er fort, »oder er hat seinen Namen vergessen. Das Vergessen scheint überhaupt hier Mode!« Die Heiteretei ist ganz verwirrt, blutrot, zornig vor Scham. »Der Kater,« sagt sie, »hört bloß auf seine Leut' und nicht auf jeden Narren!« Der Fritz scheint sich an ihrem Zustande zu ergötzen. Wenn auch immer bleicher und leiser redend, man sieht, er wird immer heiterer. »Warum hältst du dem Liesle den Mund zu?« fragt er; »es will mir noch was sagen.« »Es ist nicht wahr, was es sagen will,« spricht sie. In immer noch wachsender Verwirrung traut sie dem Kinde nicht allein die Sprache, auch die Absicht zu, sie zu verraten. Und nun wird sie auch noch gewahr, sie zeigt dem Fritz, indem sie dem Kinde den Mund zuhält, ihren Handrücken. Er muß die blauen Buchstaben darauf lesen und mit diesen alles, was sie dabei gedacht. Sie will ihm das Kind vom Arm reißen. Da blutet des Fritz' kranker Finger. Er wird noch blässer als vorher. Er macht eine Bewegung. Sie meint, er wird umsinken und hält ihn mit dem Kinde zugleich. Ihr tiefstes Herz schwillt in Mitleid auf und Liebe, aber der Gedanke: »wenn es jemand sähe!« beherrscht ihr Äußeres. Es war gut, daß der Zaun zwischen ihnen stand, sonst wär' sie mit umgesunken. In einem Arm hat sie den Fritz und das Kind, den andern stützt sie auf den Zaun. Und, wie eigen! Eines von dessen wilden Röschen schwebt wie ein Symbol ihrer Neigung zwischen beiden und zittert zugleich vom Atem beider. Ebenso, Wange an Wange, lagen sie in ihrem Traume; sie fühlt, daß sein Auge, das sie vor der zu großen Nähe nicht sehen kann, mit eben dem Ausdrucke auf ihr ruht. Es ist dieselbe Stelle wie im Traume. Dieselbe Wonneangst dehnt und preßt ihr zugleich das Herz. Sie sieht hinüber nach dem Holunderbusch und könnte sich verwundern, ihn nicht in des Meisters Schramm rotem Kirchenfrack herüberkommen zu sehen. »Wenn ich könnt sitzen,« sagt der Fritz! »Es wird gleich vorüber sein. Wegen dem Finger hat's nix zu bedeuten; du brauchst dir kein Gewissen deshalb zu machen. Der Bader sagt, es wird bald wieder ganz gut sein, daß ich kann arbeiten wie vorher. Es ist auch nicht der Finger, der mich krank hat gemacht.« Die Heiteretei sollte sich darüber freuen, und doch kann sie es nicht. Er wird ihr fremder, er ist ihr wie genommen. Das Gefühl ihrer Verschuldung gegen ihn, ihr Selbstvorwurf war ein Band gewesen, das sie an ihn gebunden hat. Sie fühlt nur, daß ein Liebesband gelöst war. In diesem Gefühle sagt sie, und das Drängende des Augenblicks gibt den Ton dazu: »Geh zu deiner Braut.« »Braut?« fragt der Fritz. »Das ist dummes Zeug!« »Zur Gringelwirts-Ev,« fuhr die Heiteretei wie im Zorn auf, um nicht weinen zu müssen, und dachte nicht, daß der Zorn ebensogut ein Verräter war, als Tränen. »Die Ev?« fuhr der Fritz fort. »Ja, der Fieberhund, die Leut' mein' ich, hätten mich beinah' dazu gebracht. Weil ich hab' geglaubt, du hast mich aus Zorn in den Bach gerennt –« »Und du willst doch zu der,« sagte das Mädchen, dem das Atmen so schwer wurde wie damals im Traume. »Zu dir wollt' ich,« sagte der Fritz. »Ich wollt' wissen, wie ich mit dir dran bin von wegen dem Aufräumen.« »Schon wieder?« »Und noch um was.« (Die Heiteretei fürchtete, er müsse ihr Herz schlagen hören.) »Warum du mich vom Steg hast gerennt.« »Weil ich dacht', du wolltst mir was tun.« »Ich?« »Du hast mir doch aufgepaßt,« sagte sie, von neuem rot, »und die Leut' –« »Freilich aufgepaßt, aber nicht –« »Sagten, du wärst wütend,« eilte sie, um über das Geständnis hinauszukommen, daß sie sich doch gefürchtet habe. »Ja, freilich erst,« entgegnete er. »Ja; nach deinen Reden da im Hohlweg am Gründer Markt hab' ich erst nicht gewußt, was ich dir sollt' tun. So war ich des Teufels vor Desperatheit auf dich, und noch den ganzen andern Tag.« »Was ich hab' gered't, das ist die Wahrheit gewest.« »Eben darum,« entgegnete der Fritz. »Guck', Annedorle, was ich dir jetzt will sagen, das hätt' ich noch vor ein Tager acht nicht können sagen, dir nicht und auch einem andern Menschen nicht. Ich hab's erst dem Nagelschmied seinem Hund, hernachen hab' ich's meinem Fräle vorerzählt, alle Stunden ein paarmal, bis ich das unrecht' Schämen hab' verlernt und nicht mehr hab' gestottert und bin rot geworden dabei. Du hast eben in allem recht gehabt, und auch darin, daß du hast gesagt, wenn ich dich freit', da – könnt' – noch einer aus mir werden. Da ist mir's doch wieder in die Backen gekommen. Und wenn dir's die Haar' versengen tät', Bursch, du redst weiter! Wir wollen dich schon kriegen, wie der Bader sagt. Schäm dich, daß du dich schämst, wo's verkehrt ist. Ja, da hab' ich dich wollen fragen, Annedorle, ob du mich wöllt'st nehmen. Aber da bin ich heimlich gewest wegen der Fieberleut' und bin nachts mit dem Beil gerennt, bis du dich hast gefürchtet.« »Gefürchtet?« lachte die Heiteretei. »Und wohl vor dir?« »Ja, du bist eben noch, wie ich damals bin gewest,« entgegnete der Fritz. »Du bist deinen Fieberhund noch nicht los. Du schämst dich noch, daß du dich sollst schämen!« »Du hast dumm Zeug genung gemacht,« sagte die Heiteretei, »du hast Ursache genung. Ich hab' nix Dummes gemacht, daß ich mich brauch zu schämen!« »Nu, meinetwegen,« entgegnete der Holders-Fritz. »Ich will nicht den Leuten ihren Schulmeister machen, wo ich noch an mir selber genung zu ziehen hab'. Ja, das war alles dumm, was ich damals hab' ge macht; und wie ich gemeint hab', nu bin ich gescheit, das Allerdummst', das erzähl ich dir ein andermal. Zuletzt ist das alt' Wildtun noch einmal gekommen und hat gesagt: ich bin das alt Wildtun nicht mehr; ich heiß jetzt Mannesehr', und weil du ein dumm Wort hast geredt, so verlang' ich nu von dir, du mußt auch einen dummen Streich machen. Es ist nur gut gewest, daß ich den alten Dieb in dem neuen Röckle noch zur rechten Zeit hab' weggekriegt, und daß ich trotz dem Fieber noch besser bin zu Fuß gewest, wie mein alt Fräle. Guck, Annedorle, ich schäm' mich nicht, daß ich muß sagen: Du hast recht gehabt, und es ist alles gut gewest, was mir von dir gekommen. Auch daß du mich in den Bach hast gerennt. Es ist schon gut, wenn sich einer einmal in der Einsamkeit auf sich selber besinnt, aber er darf kein Stadeltor zwischen sich tun und die Welt. Denn in der Welt und unter die Menschen ist er hineingeschaffen, und dahinein gehört er auch. Ich wär' immer verbissener geworden in meinem Fieber und hätt' immer mehr gemeint, die Leut' täten mir alles zum Trotz, je mehr ich den Leuten hätt' alles zum Trotz wollen tun. Und ich weiß nicht, wie ich wieder in die Welt hinein hätt' soll'n kommen, wenn du mich nicht mit Gewalt hätt'st hineingerennt. Hernachen bin ich krank worden, aber nicht an dem dummen Finger und auch nicht von dem bißle kalten Wasser, sondern weil ich hab' gemeint, du kannst mich nicht leiden. Und wär' ich nicht krank worden, so säß' ich jetzt drüben in Amerika und dächt' immer noch, du hast's auf mich. Aber du weißt nicht, was ich mein', und das braucht's auch jetzund nicht. Genug! Ich bin noch hüben, und wenn du mir hast aufgeräumt, gehn wir noch heut zum Superdent. Wenn du mich aber nicht willst haben, so bleib ich ein Junggesell; eine andre nehm' ich nicht als dich, und werd' ich noch hundert Jahr.« Wieder barg die Heiteretei ihre Weichheit in Zorn. »Aufgeräumt hab' ich einmal nicht,« sagte sie. »Wer weiß, wer das ist gewest! Und du denkst vielleicht, weil ich ein Häusle hab', ich hab' mehr als wahr ist. Und das Liesle da ...« »Nehm ich gleich mit,« sagte der Fritz triumphierend. »Du mußt nicht denken, du hast's allein gern!« »Und die Leut' im Städtle sind mir erbittert; das ließen sie hernachen an dir aus!« »Was frag ich nach denen! Das sind Fieberleut'. Eigentliche Leut' gibt's gar nicht!« Da war ja das Herz, nach dem sie sich gesehnt. Der ganze Himmel ihrer Seele wurde blau. Aber sie sagte wie zornig: »Nu, wenn du denkst, es ist dein Best's, und du willst's durchaus; aber ich dring' mich nicht auf. Wahr ist's, du hast mich gedauert wegen der Gringelwirts-Ev, und ich hab' dir eine Frau gegönnt, wie du eine brauchst. Aber wegen mir – daß ich dich etwa haben wollt', das ist mir nicht eingefallen. Tust du's, meinetwegen; tust du's nicht, auch meinetwegen. Brauchst nicht zu denken, daß ich einen muß haben. Ich hab's nicht nötig. Ich kann's noch selber ermachen.« Der Fritz hatte seine eigenen Gedanken bei dieser Rede der Heiteretei. Er brauchte nur in seine eigene letzte Vergangenheit zurückzublicken, um zu wissen, wie er sie verstehen müsse. Er meinte: »So ist's recht. Der Mann muß der Frau voraus sein: das macht den Respekt von ihrer Seite und die Lieb' von seiner.« So dachte er, aber er sagte: »Da kannst du gleich mit angreifen bei mir, wenn du willst. Ich kann wegen dem Finger noch nicht viel mitmachen im Heu, und das Fräle weiß ihrer Sorg' kein End', wie sie's allein soll durchsetzen mit dem Angeben und Kochen; sie ist alt. Sie liebt dich immer und hat von Anfang ein Aug' auf dich gehabt, daß du meine Frau sollt'st werden. Es freut sich kein Mensch so, wie das Fräle, wenn du kommst. Das Liesle nehm' ich gleich mit!« »Du denkst auch,« lachte die Heiteretei, »ich hab' auf dich gepaßt und hab' sonst nix zu tun und komm' gleich wie ein Spitz, wenn man ruft: Hierher kommst du?« »Wie sich's dir schickt,« sagte der Fritz schon im Gehen. »Du wirst schon deiner Fieberleut' wegen nicht gleich mitmögen. Aber das Liesle, das ist nun mein, das ist das Draufgeld, das wirst du nicht im Stich lassen, wenn dich's auch sollt' reu'n.« Die Heiteretei hielt sich noch immer am Zaun. »Ich komm schon nach,« sagte sie. »Denn das kannst du gleich wissen, despektierlich behandeln laß ich mich nicht und laß mir nix sagen, wo ich selber seh', was zu tun ist. Und nun gehst du, und so ist's, und nu ist's fertig!« Aber wunderlich! Wie der Fritz an den Weiden war und eben umbiegend verschwinden wollte, da fehlte wenig, sie wär' ihm nach, hätt' ihm das Draufgeld abgenommen und den ganzen Kauf aufgesagt. Ihr war, als sollte ein Eisen um ihren Hals gelegt und sie damit irgendwo angeschmiedet werden. Alles das, was sie noch vorhin so heiß ersehnt und dann so selig als ihr Eigentum begrüßt hatte, lag ihr plötzlich als eine Last auf dem Herzen, die ihm das Schlagen wehren wollte. Es war, als wäre sie auf einmal wieder ganz die alte Heiteretei geworden, die in jedem Manne einen Feind sah, gegen den sie sich wehren müßte. Sie bereute, daß sie nicht gleich den Entschluß, mit dem Liesle in die Welt zu gehen, ausgeführt hatte, ehe der Fritz kommen konnte. Das fremde Haus, in das sie sollte, kam ihr wie ein Gefängnis vor. Sie wußte nicht mehr, ob sie den Fritz lieb hatte, oder ob er ihr zuwider war. Sie sollte nun nicht mehr tun, was und wie ihr's ein fiel; sie sollte tun, was und wie ein Mann es wollte; und bedachte sie, daß der Fritz eben dieser Mann war, dann wußte sie, es war nur Widerwille, was sie gegen ihn empfand. Und doch fühlte sie zugleich, wie sorgenlos und schön sich ihr Leben wandte. Das Häuschen hätte sie doch lassen müssen, und die fremden Leute, zu denen sie ging, sie mochten wohnen, wo sie wollten, es wären eben doch nur Leute wie die Luckenbacher auch. Ihr eigenes freies Wesen hätte auch jene ihr zu Feinden gemacht. Die Menschen wollen sich nach andern richten und verlangen, daß diese sich nach ihnen richten sollen. Wer sich auf irgendeiner Weise loslöst, der muß auch in anderer nicht mehr von ihnen abhängen dürfen. Wer die Menschen braucht, der muß sein, wie sie ihn wollen. Sie fürchtete auch am Ende weniger den neuen Zustand, als den Übergang dazu. Ihr ging es wie den Kindern, die selber gern aus ihrem Eigensinn heraus wären und aus Ärger darüber, daß sie's nicht können, nur noch eigensinniger werden. So schwer war der Heiteretei noch kein Weg geworden, als nach dem Hause, in dem sie in Gedanken schon geschaltet hatte. Sie ersann hundert Vorwände, um nur den Augenblick des Hineintretens zu verzögern. Noch vor der Tür wäre sie fast wieder umgekehrt. Erst hatte sie sich geschämt, hinzugehn, nun schämte sie sich, wieder umzukehren. Am liebsten war ihr gewesen, es hätte sie irgendeine Gewalt ohne ihr Zutun hineingeführt, oder sie wäre schon drin, schon seit Jahren drin. Es war gut, daß sie nun auch anfing, sich des langsamen Gehens zu schämen. »Sie können mir doch nix tun drin, als was ich leiden will, und ist's nicht, als dächt' ich, ich müsse drin leiden, was sie mir tun wollen, wenn ich so langsam geh? Hab' ich mich vorher vor dem Fritz nicht gefürcht', so werd' ich's jetzt nicht erst anfangen. Mögen die drinnen sein, was sie wollen, ich bin ich; nun geh ich hinein, und so ist's, und nu ist's fertig.« Die Gesellen und der Lehrling hatten schon gegessen und die Wohnstube wieder verlassen; das Liesle ließ sich's noch schmecken, aber der Fritz und das Fräle warteten noch auf die Heiteretei. Die kam endlich, und nicht, wie man's von ihr hätte erwarten sollen, wenn man sie sonst kannte. Sonderbarerweise schien's, als habe sie nicht den Mut, hörbar aufzutreten. So freundlich das Fräle und der Fritz sie empfingen, so fröhlich das Liesle, das schon ganz hier zu Hause schien, ihr entgegenjubelte, ihr war immer, als hätte sie wenigstens einen Arm oder ein Bein draußen lassen sollen, als wär's unhöflich, daß sie so mit ihrem ganzen Körper hineingetreten war. In des Herrgotts großer Stube, im Freien, und in ihrem Häuschen war sie wie in ihrem Eigentums. Auch wenn sie, bei großen Leuten in Arbeit, zum Essen in die Stube kam, erschien sie nichts weniger als verlegen. Aber da wollte sie auch nichts als essen, dann ging es wieder hinaus oder heim. Hierher dagegen kam sie mit dem Anspruche, hier zu bleiben, das alles, was sie sah, als ihr Eigentum zu besitzen. Sie konnte den Gedanken nicht loswerden, die Leute müßten meinen, sie dränge sich auf, wenn sie's auch nicht merken ließen. Der Fritz wurde ihr immer fremder unter den fremden Umgebungen. Selbst mit dem Liesle konnte sie sich nicht gehaben, wie draußen oder daheim; es war ihr, als hätte das mehr Recht, hier zu sein, als sie, und doch fiel ihr hier jede Eigenwilligkeit des Kindes auf, die sie in ihrem Häuschen gar nicht bemerkt haben würde. Das Fräle brachte nun das Essen und nötigte so gutmütig und freundlich, als nur möglich war; aber die Heiteretei war nicht zu vermögen, einen Bissen anzurühren. Sie sagte, sie habe zu Haus schon gegessen. Den eigentlichen Grund verschwieg sie. Es war kein anderer, als das Gefühl, daß sie hier noch kein Essen verdient habe. Darum drückte sie auch die Freundlichkeit der Alten. Sie sollte so viel haben und hatte nichts dafür getan, und zweifelte, ob sie's würde können. Sie konnte nicht über den Gedanken eines Verhältnisses hinauskommen, das ihrem bisherigen mit großen Leuten entsprach. Als die Alte wieder an ihre Arbeit ging und die Heiteretei ihr an die Hand gehen konnte, da ward ihr besser zumute. Was war da alles in der Küche vorhanden! In ihrem Stübchen sich all diese Dinge, dieses Steingut, dieses Zinn, dieses blecherne Geschirr einen Augenblick lang als das ihre zu denken, hätte sie jubeln gemacht wie ein Kind, aber die wirkliche körperliche Gegenwart bedrückte sie. Es war nicht, als wenn sie diese Dinge, sondern als wenn diese Dinge sie besitzen sollten. Eine solche Beschränkung der persönlichen Freiheit liegt in jedem Besitze, und es ist begreiflich, daß Naturvölker das bleibende Eigentum als eine Last ansehen. Dann war die Alte langsam und mußte sich immer mühsam besinnen. Die Heiteretei konnte nicht, wie sie gewohnt war, rasch und in einem Zuge schaffen; es war, als müßte sie einem Stotternden zu Gefallen mitstottern. Das Mißverhältnis zwischen dem, was zu tun war, und der Langsamkeit, mit der das Schaffen vor sich ging, war bis zum Lähmenden beängstigend. Sie sah nicht, wie sie auf diese Art sollte verdienen können, was man ihr bot, und zugleich war damit der einzige Weg abgeschnitten, auf dem sie überhaupt sich von etwas Bedrängendem zu befreien wußte. Sie empfand, was ein seinem Bauer entflogener Vogel empfinden muß, als sie am Abende in ihr Häuschen zurückkehrte. Diese Nacht sollte sie noch mit dem Liesle darin schlafen, von morgen an beim Holders-Fräle. Sie hatte selbst begriffen, daß der längere Aufenthalt in dem von dem Regen her noch ganz feuchten Häuschen das Kind krank machen müsse; jetzt reute sie's, nachgegeben zu haben. Es war ihr nichts geheißen worden; was sie getan hatte, hatte sie freiwillig getan; dennoch kam sie sich vor, wie in fremder Gewalt, und selbst in dem Vorschlage, die seitherige Schlafstelle zu verlassen, schien ihr nun der Fritz schon den Herrn gespielt zu haben. Als sie ihr Häuschen und den alten Holunderbusch wiedersah, jubelte sie dem Kinde auf ihrem Arme zu: »Nu sind wir wieder zu Haus, Liesle! Wenn die Welt recht schön sollt' sein, müßt ich das Häusle da auf meinem Schiebkarrn in die Welt hinein können fahren. Und wo's recht weit und lustig ist, da müßt' ich's können hinstellen, einmal in einen Wald, ein andermal auf eine Wiesen. Und wo's uns nicht mehr gefiel', heidi! wären wir fort und lachten alle Leut' aus! Der Fritz könnt' bei uns sein und auch das Fräle; das wär' noch schöner. Aber ich müßt' können machen, was und wie ich selber will; es sollt' ihr Schaden gewiß nicht sein. Und ich müßt jeden Augenblick fort können!« »Du bist ein närrisch Kind, Liesle,« sagte sie, als sie die Kleine, die schon halb schlief, ins Bett brachte, eigentlich zu sich selber. »Es ist ja noch gar nicht so weit; wir können ja jeden Tag noch fort. Das Häusle trägt uns niemand davon, Das mußt du dir nur immer vorstellen, und du wirst sehn, wie leicht die Sach' hernachen geht.« Und sie ging wirklich den andern Tag schon leichter. Der Fritz hatte mit dem Fräle gesprochen. Das sagte, als die Heiteretei kam: »Wenn ich wüßt', daß du die Sach' allein möchtst machen, das wär' mir eine große Lieb'. Du hast einen jungen Kopf, der kann sich leichter besinnen, und junge Händ' greifen rascher an. Aber es müßt' dir nicht zur Last sein.« »Aber was denkt Ihr denn, Fräle?« entgegnete die Heiteretei froh. »Ich muß nur sehn, daß ich's auch so mach', wie Ihr's gern habt, und das könnt Ihr immerfort sagen.« Nun ging ein ander Schaffen an, als das gestern war. Und je mehr die Heiteretei sah, wie das Fräle ihre Kraft und Geschicklichkeit bewunderte und sich darüber freute, desto besser ging's ihr von den Händen. Sie versorgte nicht allein den ganzen Haushalt daheim, sie gewann Zeit, ganze Stunden auf den Wiesen dabei zu sein, und da gefiel ihr's doch am besten. Sie dachte sich den Fritz als ihren Bruder und das Fräle als ihre Mutter. Diese nahm die Pflege des Kindes über sich, und das gedieh sichtbar. So ging's von Tag zu Tag besser, bis der Fritz sie bat, zu bestimmen, wann die Hochzeit sein sollte. Sie hatte absichtlich den Gedanken daran sich ferngehalten. Sie begriff, der Leute wegen müßte dazu getan werden. Man kam überein, in acht Tagen sollte die Hochzeit sein. Aber von da an wachten all die alten Bedenken und Gefühle in ihr auf. An ihrem Fleiße wurde man keine Veränderung gewahr; er nahm eher zu, weil sie sich im Schaffen zu zerstreuen suchte. Aber es zeigte sich eine Empfindlichkeit, die in jedem gleichgültigsten Worte einen Vorwurf sah, weil sie sich bewußt war, Vorwürfe zu verdienen. Sich selber tröstete sie immer mit der Zuflucht, die ihr in ihrem Häuschen blieb. Dennoch konnte sie es dem Fritz in Gedanken übelnehmen, daß er so wenig ihre Nähe suchte. Er hatte viel mit einem Zimmermanne zu verkehren, er war viel auswärts, und ihr schien es, er verlängere die Unterredung mit ihm absichtlich über das Nötige hinaus, um nur solange ihrer los zu sein. Und es waren nur so wenig Tage mehr übrig, die sie noch beisammen sein sollten. Dazu bemerkte sie, daß man ein Geheimnis vor ihr hatte; bald ertappte sie einen Gesellen, bald den Lehrling auf einem Winke, den sie nicht bemerken sollte. Sie kam sich vor wie verraten und verkauft. Dann kränkte es sie, daß der Fritz keine Dienstleistung von ihr verlangte; zuweilen war sie auf dem Sprunge, ungerufen etwas zu bringen, Pfeife, Ausgehrock und dergleichen. Wenn er sie einmal bat, dachte sie: »wenn er dich lieb hätt', tät' er nicht so fremd.« Und doch – verlangte er einmal etwas, ohne zu bitten, trat ihr das Blut ins Gesicht, daß er schon den Herrn spielen wollte, und fast täglich sagte sie ihm einmal den ganzen Handel auf und drohte mit ihrer Flucht in ihr Häuschen. Das reute sie dann wieder, und in ihrem Ärger über sich selbst sagte sie ihm: »Ihr habt wohl recht, ich gehör nicht in so ein Haus. Ich kann's den großen Leuten einmal nicht recht machen!« Dann sagte der Fritz: »Das ist uns nicht eingefallen, zu meinen, du gehörtest nicht in unser Haus. Das weißt du selber recht gut. Und du bist doch nicht von selber gekommen; wir haben dich hergeholt. Aber du tust, als müßtest du dich gegen den Himmel wehren, wenn er nicht sollt' auf dich fallen. Das ist nix als dein Fieberhund. Du selber machst dir all die Vorwürf, über die du bös wirst, wir nicht. Ich tu' dir keine Gewalt; und wären wir schon getraut, es wär' nicht anders. Was du mir nicht zulieb tun magst, das verlang' ich nicht.« – Sie fühlte dann, daß er recht hatte, sie fühlte seine Liebe in seiner Geduld, und das vermehrte nur ihren Unwillen auf sich selbst und dadurch wiederum ihre Empfindlichkeit. * War das ein Erstaunen in dem guten Luckenbach, als bekannt wurde, der Holders-Fritz wolle die Heiteretei heimführen. Ein Fragen und ein Erstaunen und wieder ein Fragen und Erstaunen. Wie früher die Heiteretei, so hatten nun der Holders-Fritz und das Fräle von gutem Rat, Warnungen und Unglücksprophezeiungen zu leiden. »Es wundert mich,« pflegte der Fritz zu sagen, »wenn ich hinauskomm', daß nicht die Bäum', die Zäun' und die Grenzstein' gelaufen kommen mit gutem Rat. Aber so weit, wie sie das Annedorle damit haben gebracht, so weit sollen sie's bei mir nicht bringen!« Und das Wort hielt er. Nicht, daß er zornig die Warner abgewiesen hätte, denn es war ja jetzt sein Wahlspruch nicht mehr Wildtun, sondern Überlegung und ruhige Festigkeit mache den Mann. Er hatte sich eine eigene Methode erfunden, auf die er sich bei sich selbst nicht wenig wußte. Sagte ihm einer, er solle sich wohl bedenken, eh' er den Schritt tue, dann entgegnete er: »Ja, bedenken muß man freilich alles. Mancher machte keinen dummen Streich, wenn er sich erst bedacht hätt'. Das mein' ich auch.« »Ihr könntet jede kriegen im Städtle,« fuhr dann jener fort, »und da sind reiche Mädle genung. Die Valtinessin hat's nah' genung gegeben, wenn er käm', ein Nein tät' nicht fallen. Und ich wüßt' hundert reiche Bursch', die sich die Hand' lecken täten nach der Gringelwirts-Ev'. Die hat Geld und Sachen; da kann's heißen: ›Goldmädle, ich mag dich‹!« Dann sagte der Fritz: »Ja, Reichtum ist eine Hauptsach', und die Valtinessin, das ist eine ganze Frau.« Und in dieser Art ging es weiter, so daß der andere am Ende nichts mehr zu sagen wußte und ging. Das Holders-Fräle hatte sich eine andere Art, die Leute mit guter Manier loszuwerden, beigelegt. Sie war immer etwas schwerhörig gewesen. Sagte ihr eine: »So ein arm' Mädle wird doch Ihr Fritz nicht nehmen,« dann entgegnete sie wohl: »Grämen, meint Ihr? Ja, ich hab' mich schon genung gegrämt darum, und gedoktert hab' ich, aber es hat alles nichts wollen helfen!« »Ihr versteht mich falsch,« sprach dann wohl die Warnerin, mit lauterer Stimme; »ich mein von wegen der Heiteretei –« »Ja,« nickte das Fräle. »Einerlei; 's ist alleweil einerlei gewest, was ich auch hab' angewendt. Ja, die letzt' Zeit ist's immerfort noch schlimmer gewest.« Dann sagte die andere schreiend, mit Armen und Beinen hantierend, um den Augen verständlich zu werden, wenn nicht den Ohren: »Ihr habt mich nicht verstanden, ich mein', von wegen Euerm Fritz –« Das Fräle hatte Mund und Augen aufgerissen dabei, dennoch kam zum Vorschein: »Hitz'? Ja; das ist's eben. Hitz' hab' ich die ganz' Nacht in den Ohren gehabt; und ich wunder' mich nur, daß ich heut einmal wieder so gut hör. Ja, manchmal ist das so, aber hernachen wird's wieder so schlimm wie zuvor.« »Wenn das gut gehört heißt!« meinte dann die andere bei sich und gab ihren Vorsatz auf. Das Reden der Leute hätte das Fräle nicht irr gemacht, der Heiteretei wunderliches Benehmen tat mehr dazu. »Guck, Fritzle, guck wohl, was du da machst,« sagte sie zuweilen zu ihrem Enkel. »Mir ist das Annedorle immerfort im Kopfe gelegen, und ich hab' gemeint, sie paßt just zu dir. Aber wie sie jetzt ist, da wird mir's manchmal angst: das wird immer schlimmer, je mehr's auf die Hochzeit losgeht; was soll da hernachen erst werden!« »Laßt's nur gut sein, Fräle,« sagte dann der Fritz. »Manchmal möcht' ich auch mit den Fäusten dreinhaun, aber hernachen würd's erst recht schlimm und nicht wieder gutzumachen. Und das ist nix, sondern Verstand macht den Mann. Paßt auf, es ist weiter nix, als die alt' Heiteretei, die sich noch geschwind in ihr aus will toben. So einem alten Fritz oder Christlieb oder meinetwegen so einen alten Adam hat jeder Mensch in sich stecken; der muß einmal heraus. Und das weiß ich aus Erfahrung; der alt' Fritz hat auch am ärgsten in mir gewirtschaft', wie er hat gesehn, nun wird's Ernst, daß er 'raus muß. Bleibt Ihr nur immer wie bisher. Der alten Heiteretei wär's selber lieber, man braucht' Gewalt; da könnt' sie sich erst recht verstocken.« Aber nicht allein von der Heiteretei kam ihm Anreizung, seiner Philosophie zu vergessen und wieder vom »alten Fritz« besessen zu werden, welchen bösen Geist er mit so viel Kraft seither hatte von sich abzuhalten gewußt. Hat man einen Popanz in die Kirschen gesetzt, damit er die Sperlinge abhalten soll, dann lähmt das graue Diebesvolk erst ein allgemeiner Schrecken. Sein bloßer Anblick scheucht sie schon davon. Nur hie und da findet sich ein kecker oder durchtriebener Kopf, der sich nahe genug wagt, das Schreckbild genauer anzuschauen. So grimmig dem Popanz der verbogene Hut sitzt, bald kommt der Wagling auf den Gedanken, es möge wohl kein Kopf darunter stecken. Einmal, zweimal flieht er wohl unwillkürlich, wenn der Popanz sich zornig schüttelt. Aber er sieht, der schüttelt sich nur, wenn der Wind weht; wie nahe liegt der Schluß, der Wind bewegt ihn, er nicht sich selbst! Und warum kommt der Popanz nicht und verfolgt den Wagling, der nur schon in kleiner Entfernung vor seinen Augen, wenn er welche hat, Kirschen nascht? Aber nur ein wenig näher, und der Wagling sieht, er hat keine, er hat gar keinen Kopf, er hat wirklich keinen Kopf. Der Wagling macht durch sein Beispiel an dern Mut, diese wieder andern. Nicht lange, und das ganze graue Volk verhöhnt den Popanz, den es im Kreise umzirpt, und bald sitzt der Furchtsamste darunter dem armen Popanz auf der schlagenden Hand und läßt sich triumphierend mit ihr vom Winde schaukeln. Ähnlich wie dem Popanz mit den Sperlingen ging es dem Fritz mit den Burschen seiner ehemaligen Kameradschaft; der Unterschied lag nur darin, daß der Fritz kein Popanz war. Daß er von einem Mädchen sich in den Morast rennen lasse, das hatte den Burschen die Augen geöffnet über das Wahnbild seiner vermeintlichen Kraft. Sie hatten sich's so lange und so laut in allen Wirtshäusern vorgeschrien, bis sie es selber glaubten: nicht die Kraft des Fritz, sondern die Macht der Meinung von ihr hatte die Wundertaten vollbracht, die man jener sonst zugemessen. Es hatte sich keiner ihm ernstlich gegenübergestellt, weil man gemeint hatte, es sei doch vergeblich. Und wo man nicht in dieser Täuschung befangen war, da hatte man es mit dem besten Erfolg getan. Der und der hatte den Fritz bezwungen, aber niemand hatte es ihnen geglaubt. Und diese waren bei weitem nicht einmal die Stärksten gewesen. Das alles war dem Fritz nicht fremd geblieben. Es ist leicht, bescheiden auf einen Vorzug zu sein, der allgemein anerkannt ist. Als seine Stärke bezweifelt wurde, stieg sie ihm wieder im Preise, und seine neue Philosophie hatte schwere Proben zu bestehen, um so schwerere, je mehr er seine Gesundheit wiederkehren fühlte. Es gab Augenblicke, wo er das Wort bereute, das er sich selbst gegeben hatte, nie wieder an einem Schenkorte handgemein zu werden. Die schwerste Probe stand ihm heute bevor. Zum ersten Male wieder seit dem Gründer Markt besuchte er einen öffentlichen Ort. Die Heiteretei begleitete ihn, und es war ein schöner Anblick, als die beiden hohen, blühenden Gestalten geputzt nebeneinander nach dem Schützenhofe gingen. Die Musik tönte ihnen schon von weitem entgegen. In der Heiteretei war ein wunderlicher Kampf. Von dem schönsten Burschen zum Tanze geführt zu werden, schien ein Vorzug, der einem Mädchen schmeicheln konnte. Aber die Leute mußten sagen: »Seht, da kommt die, die immer die Männer verhöhnt hat und die Mädle, die Männer genommen, und nun nimmt sie selber einen. Solang' hat sie stolz getan, als sie keinen hat gehabt; da sieht man, es war nur Neid und Ärger.« Unwillkürlich ging sie immer so entfernt vom Fritz, als nur möglich war, und tat, als ob sie gar nicht zu ihm gehöre. Im oberen Stübchen neben dem Tanzsaale war nur noch ein Tisch frei. Daran setzte sich der Fritz und ließ etwas zu trinken bringen. Die Heiteretei nahm an dem andernandern Ende Platz. Sie trank keinen Tropfen und kehrte sich wenig an den Fritz, An den übrigen Tischen trank man, um sich Mut zu machen, desto mehr, und nicht lange, so begann das Mittel zu wirken. Von allen Seiten wurden Spottreden laut. Der schlimmste unter all den Sprechern war der Adams-Lieb. Jeder Rede folgte erst ein halbunterdrücktes, und da der Fritz ruhig blieb, als hörte er nichts, ein immer lauteres Lachen. »Ich möcht' wissen, wie sich's im Zehntbach lag,« lachte der Adams-Lieb. »Ich sollt' doch meinen, es müßt' sich weich darin liegen,« sagte einer von einem andern Tische. »Und kühl,« meinte einer aus der Ecke heraus. »Sonst würd' sich einer nicht hineinlegen lassen,« lachte der Adams-Lieb wieder. Der Fritz stand auf. Wie die hohe, kräftige Gestalt dastand, war es doch, als hätte sich der alte Respekt wiedergefunden. Einen Augenblick hielt ängstliche Erwartung aller Atem an. Der Heiteretei braune Augen lachten einmal wieder wie von Stolz und Freude. Aber draußen hatte eben ein neuer Tanz begonnen. Der Fritz war nur aufgestanden, die Heiteretei in den Saal zu führen und sich mit ihr unter die Tanzenden zu mischen. Die Spottredner faßten neuen Mut, aber auf der Heiteretei Wangen zeigten sich im bunten Wechsel die weißen Druckflecken mit dunkelm Rot. Hinter dem Paare her tönte wiederum das Gelächter über des Adams-Lieb und seiner Genossen Spaße. In der Tür riß sich das Mädchen von seinem Arm los und sagte leise aber heftig: »Ich geh' nach Haus. Du kannst dableiben. Du hörst wohl solche Reden gern!« Es war, als schüttelte eine unsichtbare Hand die Gestalt des Holders-Fritz zusammen. Es war ein Ruck, vor dem seine Brust den ganzen Atem ausstieß in einem hörbaren Hauche. Dann sagte er mühsam leise, indem er die Hand gegen die Brust stemmte, wie um keinen zu lauten Ton herauszulassen: »Wenn du auch noch hilfst, du solltst mich lieber helfen halten!« Die Heiteretei lachte halb zornig, halb geringschätzig: »Sieht nicht aus, als brauchst du einen, der dich hielt. Du bist ja der stark' Fritz, mein' ich, der wird sich doch allein können halten. Ich geh' aber nu, und mich hält niemand, das sag' ich dir!« Der Holders-Fritz hielt sich wirklich mit beiden Händen an den Rockklappen vor seiner Brust fest. »Das ist die Prob',« redete er in Gedanken auf sich ein, »ob du ein andrer Kerl worden bist wie vordem. Und wenn du die nicht hältst, hernachen ist deine ganze Änderung nix als ein Dummerjungenstreich gewest, wie die vorher, nur wieder ein andrer. Dein Wort mußt du halten. Das sag' ich dir; du bleibst ruhig, und wenn der Teufel selber in die Heiteretei führ. Sie soll sehn, und alle sollen's sehn, daß der Mann nicht im Wildtun steckt!« Dann wandte er sich so ruhig zur Heiteretei, daß die sich darüber ärgerte: »Wenn du willst gehn, ich bezahl nur, und hernachen geh' ich mit.« »Ich kann auch allein gehn; ich fürcht' mich nicht,« entgegnete sie. »Brauchst nicht zu spotten,« sagte der Fritz. »Ich sag' dir nur, ich hab' den Saal da wohl zwanzigmal geräumt und schäm' mich jetzt deshalb, und du selber hast mir's verdacht, und wenn du mir's jetzt verdenkst, daß ich's nicht tu', so sag' ich dir doch: so stark bin ich in dem Saal noch nicht gewest als jetzund!« Draußen trug der Fritz dem Schützenwirt auf: »Ihr könnt den Burschen drin sagen, sie sollen morgen abend in meinen Garten in den Stadeln kommen. Es ist der Vorabend vor meiner Hochtzig, und Ihr könnt ein paar Eimer Bier hinbringen.« Der Wirt ging in den Saal, und der Fritz und die Heiteretei konnten noch einen Flintenschuß weit davon das Jubelgeschrei der Burschen hören über die Einladung. Diese legten die Burschen natürlich so aus: Der Fritz wolle sich wieder beimachen. Sie stolzierten um einen ganzen Kopf gestreckter als zuvor vor ihren Mädchen einher. Er hatte die Herausforderung, den Ruf seiner Kraft wiederherzustellen, mit der Flucht beantwortet. Morgen aber sollte er Stich halten müssen. Da wollten sie ihm zeigen, daß es noch andere Leute gäbe, die's eher verdienten, der Starke zu heißen, als der Holders-Fritz. Die Heiteretei erlebte das alles in ihren Gedanken mit. Sie ließ sich nicht vom Fritz führen und war so übermütig, aber auch so bitter als noch nie. Wenn sie ihn wie ein Kind behandelte und ihm über kleine Gräben weghelfen wollte oder ihn fragte, ob er auch noch heil und ganz sei, und ob sie ihn nicht halten solle, damit er dem Stein, über den er gestrauchelt war, nichts tue, da faßte der Fritz noch mehr als einmal nach seinen Rockaufschlägen. Das Fräle daheim wußte heute noch weniger als die Tage her, wie sie mit der Heiteretei daran war. * Die Nacht war vorüber, der Vorabend der Hochzeit war gekommen. Die Heiteretei erschien den ganzen Tag in derselben Laune, wie gestern, bei sich hielt sie immer den Gedanken fest, wenn's ihr einfiele, heute noch in ihr Häuschen zu gehn und nicht wiederzukommen. Morgen war sie dann vor Sonnenaufgang mit dem Liesle auf dem Weg. Die eingeladenen Burschen fanden sich alle ein und waren erstaunt, auch die älteren Kampfhähne der Gegend, die früher mit dem Fritz um den Preis der Stärke gewetteifert hatten, da zu finden. Der Fritz und seine Gesellen hatten den Tag über mit in den Grasboden eingeschlagenen Stecken und darauf genagelten Brettern Tische und Stühle aus dem Stegreif hergestellt. Es war lustig, beim Biere – denn auch der Schützenwirt und das bestellte Getränk blieben nicht aus – in dem großen Gras- und Baumgarten zu sitzen. Es dauerte auch gar nicht lange und ein herausforderndes Wort um das andere ließ sich vernehmen. Der Fritz konnte sich kaum all derer erwehren, die ihn zu einem Ringkampfe im Spaße auf dem weichen Rasen einluden. Vergebens gab er sein neues Glaubensbekenntnis zum besten: wer stark sei, solle Gott danken und seine Stärke zur Arbeit anwenden, und wenn etwa ein Unglück oder ein Unrecht an ihm oder an anderen Abwehr fordere. Sein Widerstreben machte sie nur dringender. Die Heiteretei war am schlimmsten. Und da man ihn sonst dazu gezwungen hätte, seine Kraft mit den Angreifern zu messen, so machte er den Vorschlag, damit wenigstens bis vorm Nachhausegehen zu warten. Und dieser wurde endlich, doch nicht ohne Widerstand, angenommen. Wie man im besten Schreien und Trinken war, trat der älteste Geselle des Fritz in der Heiteretei alten Kleidern, die er zu erhaschen gewußt, wunderlich verkleidet, unter die Gäste. Er sagte, er sei das Annedorle und habe vom Zainhammer heim seinen Schiebkarren in dem weichen Boden unten am Bache festgefahren. Ob ihm nicht einer der Anwesenden, der stärker sei, den Karren herausholen wolle. Da entstand ein allgemeiner Aufbruch. Man sah, es sollte eine Kraftprobe gelten, da war jeder dabei. Nur der Fritz schien ungehalten, daß des Gesellen alberner Einfall das Fest störe. Er redete seinen Gästen zu, hier zu bleiben und ihn allein wieder gehen zu lassen. Aber sein Zureden half nichts, und halb willenlos wurde er mit den Abhang hinuntergezogen, wo der Schiebkarren, schwer bepackt, wirklich im weichen Rasen festgefahren erschien. Jeder wollte nun der erste sein, den Karren wieder herauszuholen. Darüber kam keiner dazu, und ein Älterer machte den Vorschlag, die Reihe des Zutritts durch Lose zu bestimmen. Das geschah; nur der Fritz schloß sich aus. Und nun begann ein ähnliches Schauspiel, als am Abende des Gründer Marktes das Reicker Wirtshaus gesehen hatte. Eine wahre Musterkarte aller beim Aufheben eines Schiebkarrens möglichen Stellungen entfaltete sich. Da sah man die Siegesgewißheit lachend zu dem Karren eilen und den Ärger der getäuschten Hoffnung, fluchend und die Gelenke zurechtrückend, wieder davonhinken und endlich mit lautem Gelächter über das gleiche Schicksal anderer sich trösten. Dem Fritz mochte der Anblick nicht behagen: er ging wieder hinauf, wo man erst gesessen hatte, und man verlor ihn aus den Augen. Nun hatten sich die sämtlichen Gäste ohne Erfolg an dem Karren versucht, und einstimmig war man der Meinung, es sei ein Vexierspiel. Den Karren vermöge kein einzelner herauszuheben, und sei er der Stärkste. »Vielleicht,« lachte die Heiteretei, die den vergeblichen Bemühungen mit Jubel zugesehen, »ist der Karren so verhext, daß ihn nur ein Weibsbild kann herausbringen!« Alle redeten ihr zu, es zu versuchen. Man hätte gern noch eine Weile auf fremde Kosten gelacht, um sich für den Hohn, den man soeben erlitten, zu entschädigen. Die Heiteretei tanzte in den Karren. Sie dachte an ihren Triumph über Schneider, Weber und Schmied. Aber der Karren war doch schwerer, als der ihre damals gewesen. Gelang ihr schon mehr als den andern, hob sie ihn auch, von der Stelle rückte sie ihn doch nicht. Indem brachten der Adams-Lieb und noch einige den Fritz den Abhang heruntergeführt. »Was einem recht ich, das ist dem andern billig,« schrie der Adams-Lieb. »Wir sind alle ausgelacht worden, das muß sich der Fritz auch lassen gefallen!« »Ja,« schrie ein anderer, »er soll hernachen nicht können sagen: Wenn ich nur gewollt hätt', ich hätt' ihn 'rausgebracht.« Der Fritz wehrte sich vergebens, die Kinderpossen mitzumachen, wie er sagte. »Und was wär's denn nun? Ob ich ihn 'rausbrächt oder nicht, deshalb wär' ich um nichts besser und um nichts schlimmer, als ich bin, und ihr alle miteinander nicht!« »Ja,« sagte der Adams-Lieb, »dann hieß es: Das sind alles Jungen gewest, der Holders-Fritz ist allein einer!« Ein anderer meinte: »Und hernachen glaub' ich auch, der Fritz hat's selber angestellt, damit die Leut' über uns könnten lachen!« »Soll ich?« fragte der Holders-Fritz die Heiteretei, die neben ihm stand. »Nein,« entgegnete die zornig. »Was Schlimmer's kann nicht werden,« sagte der Fritz, »als daß sie mich auslachen. Und da kann keiner mir was vorwerfen, sie sind alle ausgelacht worden.« »Aber ich kann's nicht leiden,« erwiderte die Heiteretei noch zorniger. »Dich sollen sie nicht auslachen!« »Ja, er hat's selber angestellt! Er hat's selber angestellt!« schrie alles durcheinander. »Da kriegt's einer wohlfeil, daß es heißt, er ist allein der Starke. Er soll sich auch auslachen lassen, oder er ist kein ehrlicher Kerl.« »Ja, wenn ihr mir so kommt!« sagte der Fritz; »laß mich nur, Dorle, vielleicht lachen sie nicht!« Er stand schon im Karren und bückte sich. Die Mäuler, die schon zum Lachen aufgerissen waren, blieben vor Verwunderung offen, wie man den Karren gehoben sah, und als ihn der Fritz nun vollends noch quer den Abhang herauffuhr, da öffneten sie sich noch weiter. Aber es war kein Gelächter, was herauskam, sondern ein Ausruf des Staunens. Dem Fritz aber schien es so wenig um ihre Bewunderung zu tun, als er sich vor ihrem Lachen gefürchtet hatte. Oben ließ er den Schiebkarren aus den Händen und sagte: »Ich hab' euch euren Willen getan, nun laßt das Bier nicht noch matter werden!« Alles setzte sich schweigend vor Ärger, Scham und Bewunderung. Von einer ferneren Einladung zum Ringkampfe war den Abend nichts zu vernehmen. Vielmehr erhob sich, da man dem Biere wiederum zugesprochen, der alte Preis des starken Fritz so laut, als je zuvor. Aber dem Fritz gewann er nicht das leiseste Lächeln ab. »Laßt das dumme Zeug,« sagte er; »wie ich gestern eure Reden ruhig angehört hab' und 'gangen bin, das war hundertmal mehr, als das mit dem Karrn!« Die Braut aber saß schweigend dort, und die Druckflecken zeigten sich wie gestern mit dunkler Röte auf ihren Wangen. Als alles aufgebrochen war und der Fritz sie nach Hause führen wollte riß sie sich los. »Daß du's schon anfängst?« sagte sie, mühsam das Weinen vor Zorn unterdrückend. »Ich bin nicht, wie meine Mutter war, das sag' ich dir, und gefallen laß ich mir nix. Jetzt hol' ich das Liesle; die Nacht schlaf ich in meinem Häusle; mach' du, was du willst; ich mach's auch. Und so ist's, und nu ist's fertig!« »In deinem Häusle kannst du nicht schlafen,« sagte der Erstaunte, indem er sich an seinen Rockaufschlägen faßte. »Und das Liesle schläft nunmehr. Das wirst du nicht aus dem Schlaf aufwecken. Ich halt' dich nicht, das hab' ich dir tausendmal gesagt; daß mir's wehtut, wenn du gehst, das weißt du selber. Und deshalb kannst du immer die Nacht noch bei meinem Fräle bleiben. Da bist du so gut aufgehoben, wie du's in deinem Häusle wärst. Wenn du's willst, gehn wir an deinem Häusle vorbei; ich hab' so im Sinn gehabt, daß ich dich morgen hin wollt' führen vor der Trauung.« Das Mädchen erwiderte nichts, sie ging aber voran nach ihrem Häuschen zu, sie sehnte sich danach; vierzehn Tage lang hatte sie es nicht gesehen. Der Fritz, in dem eine neue Hoffnung aufgegangen war, drang ihr seinen Arm nicht auf, sondern folgte der Eilenden schweigend. Es war eine jener lauen Sommernächte, wo man meint das Gras wachsen zu hören. Die Halme, von der Hitze des Tages auf die Erde niedergebeugt, tranken sich im Tau wieder frisch und richteten sich leise knisternd in die Höhe. Was unter dem weichen Mantel der Nacht Lebendiges sein Wesen treibt, das raschelte am Boden hin oder durchschnitt in zackigem Fluge die Luft. Da trommelte der Otternbrutfänger Igel, der stachelgeharnischte, sich selber zu seinem Marsche den Takt, die Nachtfalter rannten mit ungeschickter Galanterie die Blumen an, denen das Ständchen galt, das sie mit schweren Flügeln absummten. Die Grillen durchstachen der Nacht die schwarzen Ohren mit ihrem spitzigen Gesänge. Der geizige Hamster zankte seine eigene Frau von seiner Haustür hinweg. Hie und da stieg ein Kater im Grase umher und schüttelte vornehm nach jedem Tritte den Tau von den hochgehobenen Pfoten. Von all diesem Leben und Treiben an seinem Wege bemerkte unser eilendes Paar, in seine Gedanken versunken, nichts. Eine Weile schritten sie zwischen grünen Hecken hindurch, dann an der alten grauen Stadtmauer hin. Jetzt kamen sie unter die Weiden. Die Heiteretei blieb plötzlich stehn. Dort, wo sie ihr Häuschen wußte, schimmerte etwas hell durch die Nacht. Das alte graue Häuschen konnte das nicht sein. Was aber war es sonst? Hätte der Mond hoch am Himmel gestanden, sie hätte gemeint, er vergolde mit einem Streiflichte das alte Dach; aber er kam erst hinter dem Felsen an dem Häuschen in die Höhe. Der Fritz teilte ihr Erstaunen nicht; er lächelte, wie einer, der eingeweiht ist in das Geheimnis, dessen Eröffnung einen anderen überraschen soll. Wenn er noch schneller eilte als die Heiteretei, so geschah's, um, was in ihr vorgehen möchte, in ihrem Gesichte zu lesen. Und es war doch ihr Häuschen! Und war es doch auch nicht. Seine äußeren Umrisse waren es aber auch nicht, die es seit seiner traurigen Veränderung durch den letzten Regen gezeigt hatte. Es hing nicht mehr im Innersten zerknickt an dem Fels, es stand mit wagerecht abschneidendem First gerad' empor, so gerad, als sich die Heiteretei' nicht erinnern konnte, daß es gestanden hätte. Je näher sie kam, desto mehr Neues fiel ihr daran auf. Nicht allein die Lücke in der Lehmwand, die ganze alte Wand war fort. Dafür zeigte sich ein Netz aus schlanken Balken gewebt und die Maschen mit Feldern von rotschimmernden Ziegelsteinen ausgefüllt, oben darauf ein lustiges Ziegeldach. Sie stand wie selbst versteinert davor, bis der alte Holunder aufrauschte wie vor Freude oder Schmerz des Wiedersehens. Da brach ihr ein Strom von Tränen aus den Augen, und sie rang die Hände und rief nur immer wieder aus dem tiefsten Schmerze heraus: »Ach, mein gut, alt Häusle! Ach, mein gut, alt Häusle!« Erst meinte der Fritz bei sich: »Nu adje, alte Heiteretei! Nu muß sie heraus!« Als aber das Mädchen nicht aufhörte, über ihr altes Häuschen zu jammern, da ging's ihm selber nahe und er bereute fast, was er so gut gemeint. »Aber Dorle,« sagte er begütigend, »es ist ja dein alt' Häusle noch, wenn's auch einen neuen Rock an hat gekriegt. Inwendig ist's noch gerad' so, wie es gewesen ist. Und der alt Holunderbusch, der hat nicht ein Ästle eingebüßt. Den hab' ich bewacht, wie wenn er mein Bruder wär'. Auch nicht das Rotschwänzchennest darauf ist weg!« »Nein!« sagte das Mädchen, »mein Häusle ist das nicht mehr. Das geht mich nix an. Ich hab' gedacht, wenn's nicht mehr geht, zieh ich wieder in mein alt' Häusle, und nu hab' ich keins mehr. Nun hab' ich nix mehr auf der Welt. Nun kann ich fort in die Fremd'. Da hab' ich nu nix mehr zu suchen.« Der Fritz bewegte die eine Hand schon halbwegs nach den Rockklappen, indem er erwiderte: »Ich hab' freilich nicht gedacht, daß du die Sach' so wirst ansehn. Aber das ist's auch nicht. Du weißt's recht gut, daß ich's nur hab' aus Lieb' getan!« »Ja,« sagte die Heiteretei, »damit du mich recht könnt'st plagen, und ich wüßt' nicht wohin! Deshalb hast du's getan. Du hast's fortgetan, damit ich nix mehr hätt' und dich müßt' nehmen!« Der Fritz redete in sich hinein: »Das ist die alte Heiteretei, und du willst ein Mann sein!« Mit Gewalt an sich haltend, fuhr er gegen das Mädchen gewandt fort: »Das wirst du doch einsehn, daß das Häusle so nicht hat können bleiben. Der nächst Regen hätt's vollends weggeschwemmt.« »Ja,« sagte die Heiteretei immer zorniger. »Du hast dich geschämt, daß das Häusle ein arm' Häusle ist gewest. Da hast du müssen zeigen, daß du ein Reicher bist. Ich hab's allein nicht gewußt, daß ich arm bin, und da hast du mir noch mein Häusle müssen nehmen, damit ich's nur recht soll fühlen, daß du ein Reicher bist, und ich bin arm.« Der Fritz hatte Mühe, sich zu halten. Er sagte sich: »Wenn das Eis geht, da gibt's auch ein Geprassel; hernachen wird's von selber still. Guck', Dorle, hätt' ich mich geschämt des Häusles wegen, so hätt' ich's lassen gehn. Und dich zwingen, wie du vorhin hast gemeint, das ist mir auch nicht eingefallen. Eben darum, weil du immer mit deinem Häusle hast gedroht, und du hast sollen sehen, daß ich dir keine Gewalt hab' wollen antun.« »Ja,« sagte die Heiteretei noch zorniger, »sag', was du willst; was ich seh', das seh' ich. Du hast mich wollen loswerden. Ich bin einmal nicht wie andre Leut', drum bin ich auch überall zuviel. Du hätt'st mich's nicht so merken zu lassen gebraucht. Ich wart' von selber nicht, bis die Leut' sagen: Nu kannst du gehn. Und ich geh' auch, wennschon du mir mein Häusle hast genommen. Du denkst wunder, was du bist. Ich brauch' keinen, und dich gar nicht. Mach', was du willst, ich mach's auch. Und so ist's, und nu ist's fertig!« Der Fritz hatte sich wiederum erst mit beiden Fäusten fest gepackt. Aber er sah, die alte Heiteretei spottete aller milden Mittel. »Nun muß es biegen oder brechen. Nu mög' draus werden, was da will. Das ist kein Fieberhund jetzund; das ist die wahr' Mannesehr', und die muß aufrecht erhalten werden. Aber ruhig, Bursch, und ohne Wildtun!« So dachte der Fritz bei sich, spuckte in Gedanken in die Hände und brach los: »Ich denk' wunder, wer ich bin? Und was denkst du denn, was du bist? Ich will dir sagen, was du bist. Ein alberns Mädle bist du, das selber nicht weiß, was es will. Das da meint, nu ist's was Recht's, wenn du nur immer was anders willst, als andre Leut'. Armut ist keine Schand', wenn man sie nicht selber hat verschuld't; aber sie ist auch nix, womit man groß kann tun, wie du's machst. Aber ein Arm's kann sonst Tugenden haben. Und die sind's hernachen wohl, worauf du so stolz bist? Nein, du meinst, der Stolz selber ist eine Tugend; und da bist du stolz, daß du stolz bist. Oder ist's, weil du meinst, du bist stark und kannst ärbeten? So stark du bist, ein Pferd ist noch sechsmal so stark und ärbet dich sechsmal weg. Da kann's auch noch sechsmal so stolz sein als du. Das macht den Menschen aus, daß er Vernunft hat; aber Vernunft hast du nicht viel mehr wie ein Pferd, sonst wärst du nicht stolz. Ja, du meinst, das ist Vernunft, daß du schnippisch kannst tun und machen, daß die Leut', die auch nicht mehr denken als du, über Ding' lachen, wo du und die Lacher erst euch die Müh' geben solltet, sie zu begreifen. Das ist Vernunft, daß einer sucht, die Welt zu verstehn, und was er darin soll sein und soll ärbeten, daß er das auch wirklich wird. Aber nicht, daß einer wider den Strom will schwimmen und sich einbilden, er ist allein gescheit, und die ganz' Welt ist konfus, und er ist noch groß im Recht, wenn nicht der ganz' Strom umwend't und schwimmt mit ihm bergauf. Das ist Vernunft, wenn man den Leuten erweist, was man ihnen schuldig ist, und ist nicht unbillig gegen sie in seinen Gedanken. Die Leut' aber, gegen die du's hast, das sind Fieberleut', und die sind nirgend als in deinem Kopf. Und auch daran ist dein Hochmut schuld. Die wirklichen Leut' haben mehr zu tun, als daß sie Tag und Nacht nur an dich dächten und was sie dir zum Trotz wollten tun. Die wirklichen Leut' sind freilich auch nicht alle vernünftig, und man wär's selber nicht, wollt' man sich nach allen richten. Die Unvernünftigen läßt man gehn. Denen tut man zuviel Ehr', man mag ihnen zu Gefallen oder zum Trotz wollen leben. Und wer ihnen alles zum Trotz will tun, der richtet sich eben auch nach ihnen, wie der zu Gefallen, und ist recht mit Wissen und Willen ihr Knecht. Das, was die Vernünftigen von uns meinen, das sollen wir nicht verachten. Aber wir sollen's auch nicht zu sehr achten, denn die Vernünftigen sind noch nicht die Vernunft selber. Man muß nix darauf geben, was sie überhaupt sagen, sondern darauf, was sie sagen täten, wenn sie unsre Sach' so kännten, wie wir selber. Darum müssen wir eben selbst vernünftige Leute werden und dürfen keinen Fieberhund für einen wirklichen oder gar für was noch Besseres ansehn, er mög' sich gebärden und sagen, was er will. Du meinst, das ist was Rechts, wenn du ein Erdäpfelfeld umhackst, aber an dir selber hackst du nicht, und wenn du in deinem Unkraut tätst ersticken. Über das Unkraut auf einem Feld schimpfst du, und auf das Unkraut in deinem Kopf, da bist du stolz. Du willst die Männer verachten und die Weiber; wenn du doch verständst, was das ist: ein Mann und ein Weib! Hernachen würdst du nicht darüber spotten, sondern gäbst dir Müh', daß du eins wirst. Deine Fieberhünd' hab' ich mir seither lassen gefallen, weil ich gemeint hab', du wirst sie selber abschaffen. Aber nu seh' ich, es werden ihrer nur immer mehr, je geduldiger ich bin. Du sollst Respekt haben können vor mir, und ich will Respekt haben vor dir; sonst müßt' ich dich nicht liebhaben, wenn mir's gleichgültig wär', wie du bist. Ich zwing mich dir nicht auf, aber ich bettel mich dir auch nicht auf. Das Häusle da ist dein; ich hab' nix dran zu suchen. Du kannst wieder hineinziehen. Du kannst machen, was du willst. Dir weh tun wollen hab' ich nicht und würd's nicht,' und wenn wir hundert Jahr' lang wären getraut; aber wenn ich heirat', will ich der Mann sein. Nu weißt du, was ich von der Sach' denk' und von dir. Danach kannst du dich entschließen. Und so ist's, und nu ist's fertig!« Noch im Sprechen hatte er jeden Augenblick gemeint, jetzt werde die Heiteretei aufbegehren und ihr Verhältnis vollends zerreißen. Er fühlte, er habe sie so lieb, als ein Mann ein Weib nur haben könnte. Er fühlte das um so stärker, je gewisser er meinte, er spreche ihrem Zusammensein jetzt das Todesurteil. Um so überraschter war er, als sie auch nun noch schwieg, da er seine Rede geendet hatte. In ihrem Gesichte konnte er, da der Mond sich in dicke Wolken gehüllt hatte, nicht lesen. Er horchte auf ihren Atem; sie atmete nicht rascher als sonst. Erwartete sie, daß er doch noch sich aufbetteln würde? Dann hatte sie sich geirrt. Er war sich bewußt, so viel Geduld gezeigt zu haben, als ein Mann nach seiner Meinung zeigen durfte. Und die Strafrede war er sich und ihr schuldig gewesen. Deshalb schwieg er auch. Sie wandte sich endlich langsam, zu gehen, und er folgte ihr. Auf dem ganzen Heimwege sprachen beide kein Wort. Das Fräle hatte mit dem Zubettegehen auf die Heiteretei gewartet. Der Fritz sagte gute Nacht und ging stolz und doch herzensbedrängt nach seiner Werkstatt in den Städeln. Er fühlte, daß seiner Erklärung heute kein anderweitig Gespräch mehr folgen dürfe, sollte sich ihr Eindruck nicht verwischen. Draußen aber hoben sich immer noch tauerfrischte Halme, trommelte der Igel, trieben die Nachtfalter ihre ungeschickte Galanterie fort, die Grillen zirpten, die Hamster zankten, die Kater schüttelten noch immer den Tau von den gehobenen Pfoten. Jedes hatte mit sich zu tun. Das Häuschen schimmerte unbekümmert; nur der Holunderbusch schien zu ahnen, was diese Nacht in zwei liebenden Menschenherzen vorging. Er rauschte leiser, wie um sie nicht zu stören. * Der folgende Morgen fand das ganze Haus des Holders-Fritz schon wach. Es war ja der Trauungstag seines Hauptes. Er selber kam mit der Sonne von der Werkstatt herein. Nur die Braut ließ sich nicht sehen. Die Trauung sollte früh vollzogen werden. Das Holders-Fräle fand die Heiteretei noch schlafend, als sie ihr den gestrigen Anzug von dem Stuhl an ihrem Bett hinwegnahm und das Brautkleid dafür hinlegte. Auch für das Liesle war ein festliches Gewand besorgt worden. Das schlief in einem besonderen Bette. Der Holders-Fritz konnte seine Unruhe kaum verbergen, als Viertelstunde um Viertelstunde verging und das Mädchen nicht zum Vorschein kam. Das Holders-Fräle merkte ihm seinen Zustand an und ging, nach ihr zu sehen. Gleich darauf kam sie erschrocken wieder. Sie schlug die Hände zusammen und sagte: »Die Schand'! die Schand'!« Der Fritz fragte nicht. Er begriff, das Fräle hatte sie nicht gefunden. »Wenn sie nicht unten am Brunnen ist,« unterbrach er sie. »Ich hab' mir's seit jenem Tag vorgestellt,« sagte das Fräle, »wo sie so wunderlich ist worden. Und die ganz' Nacht hab' ich sie hören lachen. Daß das meinem Tichterle muß geschehn!« Der Fritz wurde fast zornig. »Aber sie ist da,« behauptete er, »und sollt sie in jenem Schrank dort stecken.« Er wollte die Gewißheit so lange von sich abhalten, als ihm möglich wäre. »Und macht kein Lärmens davon. Das wär' manchen Leuten just recht, wenn's herumkäm'. Und es wär' doch nicht wahr! Macht eure Sach' ruhig fort, Fräle. Es ist noch eine Viertelstund' Zeit. Bis dahin ist sie wieder da.« Und so war es wirklich. Aber die Klinke ging lange vorher, ehe die Tür sich auftat, und die Tür stand lange auf, ehe jemand darin erschien. Und die Heiteretei, denn sie war der Jemand, wäre, wer weiß noch länger auf der Schwelle stehengeblieben, hätte das Fräle sie nicht hereingeholt. Dem Fritz war es schwerer, als es zu sagen ist, seinen inneren Jubel zu verbergen. Er gab ihr schweigend die Hand und fühlte die ihre in der seinen zittern. Das Fräle begriff nicht, wie ihr das Kleid zu geworden sei. Die Heiteretei entgegnete, die alte Annemarie habe sie aufgesucht und ihr diesen Dienst geleistet. »Und wo ist sie denn?« fragte der Fritz. »Ist sie draußen? Fräle, hol sie doch herein!« »Wie ich 'runter an den Brunnen bin 'gangen,« sagte die Braut scheu, »da ist sie wieder heim.« »Und da sagst du,« warf ihr der Fritz vor, der begriff, was die Heiteretei dachte, »wir schämen uns deiner, und du bist's, die sich unser schämt. Und wenn wir so wären, wie du meinst, dann hätt'st du auch Ursach' dazu. – –« So klein der Fritz, seinen Grundsätzen getreu, seine Hochzeit hielt, mehr Aufsehen konnte die größte nicht machen. Die Straßenecken, wo das Brautpaar vorbeikam, hatten das Ansehen eines Bienenstockes, der eben schwärmen will. Die Kirche war so voll, wie nur selten während des Gottesdienstes. Da die Warnungen nicht gefruchtet hatten, ging nun das Prophezeien los und das prophezeite Unglück wär' für zehn Paare zuviel gewesen, geschweige für eins. Wir schweigen von allem dem und versichern nur, daß vielleicht nie ein schöneres Paar in Luckenbach zusammen in die Kirche gegangen ist. Die Braut hatte schon oft den Bräutigam angesehen, ja schon die Lippen geöffnet gehabt, dem Bräutigam etwas zu sagen, und doch geschwiegen und wenn der Fritz fragte: »Du willst mir was sagen, Dorle?« die Augen wieder weggewandt und leise geantwortet: »Wart' nur. Jetzt noch nicht!« Als sie nach beendeter Trauung wieder aus der Kirche heraustraten, fiel ein leichter Wolkenduft wie ein zarter Schleier in kleinen, leisen Tröpfchen auf sie herab und regnete Gold in den Kranz der Braut, wie der Volksmund sagt. Jetzt flüsterte sie: »Ich weiß nicht, ob sich's schickt und ob du's auch magst; ich möcht' gern an meinem Häusle vorbei zu dir.« »Warum zu mir?« fragte der Fritz, indem er zur Antwort den Weg nach dem Häuschen einschlug. »Du kannst nun ebensogut sagen: zu dir oder auch zu uns. Wenn du nur allemal denkst, daß du zu mir willst, wenn du heimgehst in unser Haus, da will ich zufrieden sein.« Es war kein unnützer Einfall, der dem Fritz jetzt kam, nach dem Häuschen zu einen Umweg zu machen. So verloren sie die Gaffer endlich und kamen allein und unbeachtet bei dem Häuschen an. Ein schönerer Vormittag ist nicht leicht gewesen. Kein Wölkchen am Himmel, und der alte Holunderbusch hat von dem leisen Sprühregen her ein Hochzeitskleid an, weit prächtiger als der rote Kirchenfrack des Meisters Schramm; das blinkt und funkelt durcheinander wie tausend Diamanten, wenn er nach seiner Art in sich hineinlacht; und so herzlich und selig in sich hineingelacht, wie heute, hat er noch nie. Das erneute Häuslein unter seinen Flügeln glänzt, als wär es selber eine Braut. Der Fels an seiner linken Flanke hatte über sein graues Hemd einen Rock angetan, aus den schönsten rotesten Pechnelken gewebt, auf seinem Haupte einen grünen Hut wie ein Tiroler. »Siehst du,« redete er mit hundert rauschenden Stimmen auf das Häuschen hinein, »all den Glanz dankst du mir, und hast mir's übelgenommen, wie ich dir das alte Gewand auszog, wie ein ungebärdig Kind auf dem Knie der Mutter, die es putzen will. Es wird nichts Neues und Gutes, wenn das alte nicht ausgetrieben wird, frag nur den Holders-Fritz und seine Braut; denen ist's gangen, wie dir.« – Und auch an Musik fehlte es nicht. Der alte Holunderbusch stellte in seiner wunderbaren Vielseitigkeit den Brautführer und das Musikorchester zugleich vor. Ein Grasmückchen darauf sang die Melodie zu dem ewigen Lied von der glücklichen Liebe, und zwei selige Herzen schlugen den Takt dazu. Denn drüben im Gärtchen über dem Schloßweg, da lehnt die Braut leise ihr Angesicht an des Bräutigams Brust und sagt: »Ich muß dir's doch sagen, Fritz; ich wollt', ich müßt's nicht sagen und du wüßtest es schon.« »Und wenn ich's weiß, ich hör's noch tausendmal gern,« erwiderte der Fritz nur mit seinen Augen. Es ist der Blick, der ihr im Traume so wehgetan hat. Und da standen sie ja auch hier im Schatten von dem alten Apfelbaum. Sie wollte weitersprechen, aber sie sieht sich erst noch einmal scheu um, ob niemand in der Nähe ist, und seinen Augen weichen ihre aus. »Ich war ein dummes Mädle und bin nur immer dummer worden, statt gescheiter, und gestern war ich am allerdummsten. Die ganz' Zeit her, seit wir zum letztenmal haben hier gestanden – aber guck, es ist auch nix Gerings, daß alles auf einmal anders soll werden, und man soll sein eigner Herr nicht mehr sein, zumal für ein arms Mädle, das nix hat, als daß es sich nix braucht sagen zu lassen.« Sie schweigt wieder. Die dunkle Rose gleich neben ihr findet Zeit, den Schmetterling zu fragen: »Nun sag', ob sie röter ist als ich!« Der würdigt sie keiner Antwort und setzt sich auf die Bohnenblüte, wo er dem Mädchen ins Gesicht sehen kann. Aus dem ist die alte Heiteretei völlig verschwunden; über Nacht ist die Blume der Innigkeit völlig aufgebrochen, die in der Traumnacht die Knospe gesprengt hat. Unten in den Weiden rauscht es so heimlich, daß man seine Gedanken darüber vergessen kann. »Ich hab' dir nicht gesagt,« fuhr die Braut fort, »wie mir's war, ich hab's nicht gekonnt und kann's auch jetzt nicht, obschon ich will. Ich hab' damals, wie du an das Gärtle bist kommen, getan, als wär' mir nix an dir gelegen; aber wenn du wärst gangen, wie dir das Liesle gerufen hat, guck', ich wär' gestorben. Daß ich den Männern bin feind gewesen, das ist von meinem Vater seliger gekommen. Als ein klein Kind hab' ich müssen sehn, wie er meine Mutter hat geschlagen, daß sie manchmal beinah ist liegen blieben. Da hab' ich meine Arm' um die Mutter geschlungen, daß er mich mit hat müssen treffen, weil ich's auch nicht hab' besser haben wollen, als die Mutter 's hat gehabt. Ich hab' ihn auch nie liebgehabt, verzeih' mir's Gott. Ich hab's nicht gekonnt, es mag recht sein oder nicht. Und da hab' ich's eingesogen, daß das Heiraten ein Unglück für ein Mädchen wär', und daß ich den Männern hab' zum Hohn getan, was ich hab' gekonnt. Drum hat mich's gleich gereut, wie ich mich dir hab' zugesagt. Wie ich hernachen in dein Haus bin kommen, da hab' ich erst begriffen, daß du reich warst und ich war arm. Daran hab' ich vorher nicht gedacht gehabt, und das hat mich noch mehr gedrückt; und meine Angst ist immer größer worden, weil ich in meinen Gedanken immer weniger bin geworden gegen dich. Wenn du mein Bruder wärst gewest, ich wär' nicht darauf gekommen, daß ich wieder in mein Häusle wollt. Und wenn ich gangen wär', ich hätt's nicht einmal können erleiden; ich wär' gewiß bald gestorben. Ich hab' nun freilich eingesehen, daß du viel besser und vernünftiger bist, als ich; aber da bin ich mir nur immer kleiner geworden in meinen Gedanken, und ich hab' mir nicht können denken, du hätt'st mich lieb. Und auch das war dumm, daß ich mir immer noch so viel aus den Leuten gemacht hab, und hab' doch gewußt, wie sie sind. Du darfst nicht ungeduldig werden, wenn ich dir alles durcheinander erzähl; gerad so sind immer meine Gedanken untereinander herumgefahren. Die ganzen Nacht' hab' ich mich im Schlaf gewehrt gegen dich; da hab' ich mich endlich getröstet und hab' mir eingebild't, ich bin stärker als du, wie du den Burschen ihre Reden so ruhig hast angehört. Aber hernachen war mir das wieder nicht recht, daß ich einen Mann haben sollt', der schwächer wär' denn ich, daß ich keinen Respekt haben könnt', und ich hätt wieder so gern Respekt müssen haben vor dir. Da hab' ich vollends dumm getan, und wie sie gespottet haben, noch immer dummer, und wie du den Schiebkarren heraus hast gehoben, noch dummer, weil ich hab' geglaubt, du willst mich damit verspotten. Und weil ich gesehn hab, daß du doch stärker bist als ich, da ist meine erste Angst wieder gekommen. Am allerdummsten bin ich gewest wegen dem Häusle, wo du's hast so gut gemeint. Nein, das ist nicht dumm gewest; schlecht ist das gewest von mir. Ich hab' das gleich gewußt, ich hätt' dir's mögen sagen, und hab' doch nicht gekonnt; ich hab' auch gedacht, du hast mich nicht mehr lieb; bis du bös bist geworden und hast mich heruntergemacht, da hat mir das Herz dabei gelacht im Leibe, denn an deiner Zornigkeit hab' ich erst recht gesehn, wie lieb du mich hast. Und nun hab' ich's erst recht gewußt, daß alles dummes Zeug war, was ich hab' gedacht, und du bist besser als ich, und du hast mich lieber als ich's verdien', und ich sollt' lieber denken, wie ich gegen dich müßt' sein, als wie's sein könnt', daß du einmal gegen mich wärst.« Sie schwieg an seiner Brust, und der Fritz jubelte: »Sie ist 'raus, sie ist 'raus, die alt' Heiteretei.« »Aber ich muß dir noch was sagen,« fuhr sie nach einer Weile zögernd fort. »Sag's nur, sag's!« lachte der Fritz. »Kein Stückl' alte Heiteretei soll drinbleiben!« »Ja,« sagte sie, »guck, Fritz, und wer aufgeräumt hat bei dir, das bin ich doch gewest!« * Und so sprachen sie weiter. Wir übergehen, was sie noch sagte und er noch antwortete. Die Besserung, zu dem eines dem andern verholfen, hat sich bleibend bewährt. Ihr Wort, bei dem er sie genommen, hat sie gehalten; sie hat es wahr und ihn zum Manne gemacht und ihm keine Ursache mehr gegeben, den Grundsätzen untreu zu werden, die er ihr verdankt. Die öffentliche Meinung hat sich abermals überschlagen und steht nun wieder richtig auf den Füßen. Denn von Spott und gutem Rat ist keine Rede mehr; das Holders-Fräle hört wieder so gut als vorher. Den guten Rat trägt man nicht mehr hin, sondern man holt ihn beim Meister Holder und seiner Meisterin. Ja, er ist nun förmlich zum Ratsherrn gewählt und kann's bis zum Bürgermeister bringen. Die Frau Valtinessin und die übrigen großen Weiber haben Freundschaft mit der Heiteretei geschlossen, denn sie ist nun auch eine große Frau, und wenn sie, seit sie dies geworden ist, noch von allen großen Weibern denkt wie früher, so tut sie wenigstens einer unrecht. Die ist sie selbst. Sie ist schlicht und bescheiden, ihre Wahrhaftigkeit und ihr braves Gemüt hat sie sich erhalten. Die alte Annemarie, die nun im Holders-Hause den eigenen Kindern der Heiteretei das ist, was sie früher dem Liesle gewesen, tut sich auf den neuen Glanz der Heiteretei, über den sich niemand aufrichtiger freut als sie, mehr zugute als die Heiteretei selbst. Sie hat die Redensart: »Und so ist's, und nu ist's fertig!« an sich genommen, seit die Heiteretei ihr Eigentumsrecht daran aufgegeben hat, und diese kontrastiert wunderlich genug mit dem bescheidenen Tone, in dem sie jetzt vorgetragen wird. Die Dotin in Reick ist gestorben und hat die Heiteretei in ihrem Testament ansehnlich bedacht. Die Schwester der Heiteretei ist verheiratet, und man hört nichts Übels mehr von ihr. Die Jungen des Paares jagen zwar nicht, wie der Weber prophetisch gehustet hatte, den Kirchturm von der Kirche und aus der Stadt, aber sie machen den Eltern keine Schande. Oft spielen sie um das verjüngte Häuschen, und der alte Holunder hat seine Freude, wenn die älteren auf ihm herumklettern, eine Freude, welche die ängstliche Annemarie nicht teilt. Die Heiteretei sagt, so oft sie das wohlhabige Hauswesen und ihren zufriedenen Mann anschaut, immer noch: »Ich bin nur froh, daß du mich hast!« Und das ist nicht ruhmredig gemeint und er versteht es auch nicht so. Wir aber schließen unsere Erzählung mit dem Wunsche, daß der Leser jetzt nicht etwa, gelangweilt, die nun der Annemarie angehörige Redensart auf unsere Bemühung anwende, indem er sie umkehrt und verändert: »Und nun endlich ist's fertig, und das ist gut.«