Diego Hurtado Mendoza Leben des Lazarillo von Tormes (La vida de Lazarillo de Tormes y de sus fortunas y adversidades) Erster Teil Erstes Kapitel Erstes Kapitel Lazaro erzählt sein Leben und wessen Sohn er sei. Vor allen Dingen erfahre Eur Gnaden, daß ich Lazaro von Tormes heiße und der Sohn des Thomas Gonzalez und der Antonia Perez bin, beide von Tejares, einem Dorfe im Gebiete von Salamanca, gebürtig. Meine Geburt ereignete sich auf dem Flusse Tormes, weshalb ich den Zunamen erhielt, und es ging damit auf folgende Art zu: mein Vater, dem Gott gnädig sein möge, hatte das Geschäft über sich, eine Mühle zu versehen, die über diesen Fluß gebaut ist und in welcher er über fünfzehn Jahre Müller war. In einer Nacht, als sich meine Mutter, die eben mit mir schwanger ging, in der Mühle befand, überfielen sie die Geburtsschmerzen, und sie gebar mich da. Deshalb kann ich mit Wahrheit sagen, daß ich auf dem Flusse geboren bin. Als ich ein Kind von acht Jahren war, beschuldigte man meinen Vater gewisser Aderlässe, die er boshafterweise an den Säcken der Mahlkunden gemacht hätte. Er wurde deswegen eingezogen, bekannte alles, leugnete nichts und litt so Verfolgung um der Gerechtigkeit willen; deshalb hoffe ich zu Gott, daß er sich in der Herrlichkeit der Seligen befindet, da das Evangelium solche Unglückliche selig nennt. Zu dieser Zeit rüstete man eine Armee gegen die Mauren, zu der sich mein Vater, der damals wegen seines schon erwähnten Unsterns des Landes verwiesen war, als Mauleseltreiber eines Offiziers begab; und er endigte auch, als ein treuer Diener, mit seinem Herrn sein Leben. Da sich nun meine Mutter, als Witwe, ohne Mann und Stütze sah, beschloß sie, bei guten Menschen Schutz zu suchen, um selbst unter ihre Zahl gerechnet zu werden. Sie zog in die Stadt, mietete ein kleines Haus und fing an, für mehre Studenten das Essen zu kochen, auch die Wäsche für einige Stallknechte des Kommenturherrn vom Magdalenenorden zu besorgen. Da sie deshalb oft in die Ställe kam, machte sie mit einem Mohren, der die Pferde wartete, vertraute Freundschaft. Dieser kam bisweilen abends in unser Haus, und ging erst des Morgens wieder weg; auch kam er manchmal am hellen Tage vor unsre Tür, unter dem Vorwande, Eier zu kaufen, und trat so ins Haus. Anfangs war er und sein Kommen mir zuwider, und ich fürchtete mich vor seiner Farbe und häßlichen Gestalt; da ich aber sah, daß sich mit seinen Besuchen unsre Mahlzeiten verbesserten, so gewann ich ihn bald lieb; denn immer brachte er Brot, Stücke Fleisch und im Winter Holz, damit wir uns wärmen konnten. Indem sie solchergestalt ihren Umgang und ihre Vertraulichkeit fortsetzten, schenkte mir meine Mutter ein niedliches Mohrchen, das ich tänzelte und wärmen half. Ich erinnere mich noch, daß mein schwarzer Stiefvater eines Tages mit dem Jungen spielte, das Kind aber, da es meine Mutter und mich weiß, ihn hingegen nicht so erblickte, vor Furcht von ihm zur Mutter lief, mit dem Finger auf ihn wies und sagte: Mutter! Fratzengesicht! – Er lachte und sagte: Du Hurensohn! – Obgleich ich noch ein kleiner Knabe war, so bemerkte ich doch die Worte meines Brüderchens und sagte bei mir selbst: Wie viele Menschen mag es doch auf der Welt geben, die vor andern fliehen, weil sie sich selbst nicht sehen! Unser Schicksal wollte, daß der Umgang des Zayde (so hieß der Mohr) zu den Ohren seines Haushofmeisters kam, man stellte eine Untersuchung an und fand, daß er über die Hälfte des Hafers, den man ihm für die Pferde übergeben, gestohlen hatte, daß Kleie, Holz, Striegel, Stallschürzen und Pferdedecken verschwunden waren und daß er, wenn er nichts anderes gefunden, den Pferden die Eisen abgebrochen und dies alles meiner Mutter zugetragen hatte, um mein Brüderchen zu pflegen. Es ist ja kein Wunder, wenn ein Priester oder ein Klosterbruder, der eine die Armen, der andere sein Kloster für die ihm ergebenen Seelen oder zur Hilfe irgendeiner Person bestiehlt, geschweige dann, wenn einen armen Sklaven die Liebe dazu antreibt. Dies alles, wie gesagt, bewies man ihm, und sogar noch mehr; denn man drang mit Drohungen in mich, und ich, als ein Kind, bekannte und entdeckte aus Furcht alles, was ich wußte, sogar auch, daß ich auf Befehl meiner Mutter verschiedene Hufeisen bei einem Schlosser verkauft hätte. Mein armer Stiefvater wurde gestäupt und mit siedendem Öle betropft und meiner Mutter bei Strafe der gewöhnlichen hundert Rutenstreiche von Rechts wegen auferlegt, hinfort weder die Wohnung des erwähnten Kommenturs zu betreten noch den armen Zayde in die ihrige aufzunehmen. Um also nicht dem verlorenen Eimer auch das Seil nachzuwerfen, ergab sich die arme Frau in ihr Schicksal, und erfüllte den Rechtsspruch; und um alle Gefahr zu vermeiden und aus dem Gerede böser Zungen zu kommen, ging sie in Dienste zu den damaligen Besitzern des Gasthofs zur Solana, wo sie tausend Unannehmlichkeiten zu ertragen hatte. Sie brachte mein Brüderchen so weit, daß es allein laufen konnte, und mich zog sie zu einem wackern Knaben auf, so daß ich den Gästen Wein und Licht, und wonach sie mich sonst schickten, holen konnte. Zweites Kapitel Zweites Kapitel Wie Lazaro sich anschickte, in Dienste zu gehen und einen Blinden zu führen. Zu dieser Zeit kehrte in dem Gasthofe ein Blinder ein, dem ich tauglich schien, ihn zu führen. Er begehrte mich von meiner Mutter, und diese übergab mich ihm auch, indem sie ihm sagte, daß ich der Sohn eines rechtschaffenen Mannes sei, der in Verteidigung seines Glaubens in einer Schlacht gegen die Mauren geblieben, und daß sie auf Gott vertraue, ich würde nicht schlimmer werden als mein Vater. Sie bat ihn noch, daß er mich gut behandeln und sich meiner als einer Waise annehmen möchte. Er antwortete ihr, daß er so tun würde und daß er mich nicht zum Diener, sondern als seinen Sohn annähme. So fing ich an zu dienen und meinen neuen alten Herrn zu führen. Wir blieben noch einige Tage in Salamanca, da aber der Gewinn nicht nach seinem Wunsche ausfiel, beschloß er weiter zu gehen. Als wir abreisen wollten, ging ich, um Abschied von meiner Mutter zu nehmen. Wir weinten beide, und sie gab mir ihren Segen und sagte: Mein Sohn, ich weiß wohl, daß ich dich nie wiedersehen werde; aber bestrebe dich, immer gut zu bleiben, und Gott wird dich geleiten. Ich habe dich gut erzogen und dir einen guten Herrn verschafft: nun mußt du dir selbst forthelfen. – Und so ging ich zu meinem Herrn, der auf mich wartete. Wir verließen Salamanca, und als wir zur Brücke kamen, an deren Anfang ein Tier von Stein steht, das so ziemlich die Gestalt eines Stieres hat, befahl mir der Blinde, zu diesem Tiere hinzugehen. Wie ich dabeistand, sagte er zu mir: Lazaro, lege einmal dein Ohr an diesen Stier, und du wirst ein großes Getöse in ihm hören. – Ich, in meiner Einfalt, ging hin, indem ich glaubte, daß dem also sei, und wie er merkte, daß ich den Kopf an den Stein hielt, streckte er schnell die Hand aus und gab mir einen so starken Stoß gegen den Satan von Stier, daß ich den Schmerz davon länger als drei Tage fühlte, und sagte zu mir: du Gimpel, merke dir, daß der Führer eines Blinden einen Punkt mehr wissen muß als der Teufel selbst. – Und nun lachte er sehr über den Streich. Es kam mir vor, als ob ich in diesem Augenblicke aus meiner Einfalt, in der ich als Kind bisher geschlummert hatte, aufwachte, und ich sagte bei mir selbst: Er hat ganz recht, daß ich, da ich nunmehr allein bin, die Augen öffnen, mir selbst raten und auf mein Fortkommen denken muß. Wir traten nun unsern Weg an, und in wenig Tagen lehrte er mich Rothwälsch, und da er merkte, daß ich viel Verstand besäße, freute er sich sehr und sagte: Weder Gold noch Silber kann ich dir geben, aber ich werde dir viele Regeln geben, die zum Leben nötig sind. – Und so geschah es auch; denn nächst Gott gab er mir das Leben, und obgleich er blind war, so erleuchtete er mich dennoch und brachte mich auf den wahren Lebensweg. Es macht mir Freude, Eur Gnaden diese Kleinigkeiten zu erzählen, um zu zeigen, wie rühmlich es sei, sich aus einem niedrigen Stande zu erheben, und wie schimpflich im Gegenteil, aus einem hohen Stande herabzusinken. Ich kehre nun zu meinem guten Blinden zurück, und indem ich seine Lebensweise erzähle, sollen Eur Gnaden erfahren, wie, seit Gott die Welt erschuf, niemand verschlagener und schlauer geboren wurde als er. In seinem Gewerbe war er ein wahrer Habicht. Hundert und mehr Gebete wußte er auswendig, die er mit einer tiefen, ruhigen und sehr schallenden Stimme betete, von der die Kirche, wo er sie sprach, widerhallte; dabei machte er ein sehr demütiges und andächtiges Gesicht, das er, so lange er betete, zu erhalten wußte, ohne mit dem Munde oder den Augen Gebärden zu machen, wie es andere zu tun pflegen. Außerdem hatte er noch tausenderlei Manieren und Mittel, Geld zu ziehen. Er wisse, sagte er, für vielerlei Fälle wirksame Gebete, für unfruchtbare Weiber, für Weiber, die sich in Kindesnöten befänden, für solche, die unglücklich verheiratet wären, um die Liebe ihrer Männer zu erwecken; auch sagte er den Schwangern vorher, ob sie einen Sohn oder eine Tochter gebären würden. In der Arzneikunde, versicherte er, habe Galenus nicht die Hälfte von dem gewußt, was er verstände; er kenne Mittel wider Zahnschmerzen, wider Ohnmachten und Mutterweh. Kurz, es durfte niemand über irgendeinen Schmerz klagen, daß er nicht sogleich gesagt hätte: tut das und das! kocht das Kraut! nehmt die und die Wurzel! – Darum lief ihm auch alle Welt nach, vorzüglich die Weiber, die alles glaubten, was er ihnen sagte. Von diesen zog er nun mittels der erwähnten Künste vielen Nutzen und gewann in einem Monate mehr als hundert andere Blinde in einem Jahre. Gleichwohl muß Eur Gnaden wissen, daß, bei all seinem Erwerb und Besitztum, ich nie einen filzigeren und geizigeren Menschen gesehen habe. Er war es so sehr, daß er mich beinahe vor Hunger umkommen ließ, indem er mich nicht einmal mit den nötigsten Bedürfnissen versorgte. Es ist reine Wahrheit, daß ich hundertmal Hungers gestorben sein würde, wenn ich mir durch meine List und mein Geschick nicht bisweilen zu raten gewußt hätte; denn bei aller seiner Schlauheit und Feinheit überlistete ich ihn doch, dergestalt, daß immer, oder doch größtenteils, das Größte und Beste für mich abfiel, indem ich ihm Teufelsstreiche spielte, die freilich nicht alle zu meinem Vorteil ausfielen, von denen ich aber einige erzählen will. Er trug das Brot und alle seine übrigen Sachen in einem linnenen Quersacke, dessen Öffnung mit einem eisernen Ring und einem Vorlegschloß und Schlüssel verschlossen wurde. Wenn er etwas hineinsteckte oder herausnahm, tat er es mit so vieler Vorsicht und Behutsamkeit, daß kein Mensch auf der Welt imstande gewesen wäre, ihm auch nur eine Brotkrume zu entwenden. Ich nahm die elenden Brocken, die er mir gab und die ich mit weniger als zwei Bissen abfertigte; wenn er dann das Schloß abgeschlossen hatte und, in der Meinung, daß ich auf etwas anderes dächte, ganz unbesorgt war, zapfte ich durch eine Naht, die ich an einer Seite des Sackes auftrennte und danach wieder zunähte, den geizigen Bettelsack an, indem ich nach Belieben Brot, aber die besten Stücke, Schinkenschnittchen und Würste herausholte, und dann nahm ich eine gelegene Zeit wahr, nicht den Fehler, sondern den verteufelten Mangel, in welchen mich der böse Blinde setzte, wieder gutzumachen. Alles, was ich unterschlagen und stehlen konnte, trug ich in halben Blanken bei mir, und wenn man ihm zu beten befahl und Blanken gab, welches er in seiner Blindheit nicht sehen konnte, so hatte sie der, der sie gab, kaum hingereicht, als ich sie in den Mund warf, und eine halbe schnell in Bereitschaft hielt; so geschwind er nun auch die Hand ausstreckte, so war sie doch schon durch meine Auswechselung auf die Hälfte ihres wahren Wertes herabgesetzt. Der verwünschte Blinde beklagte sich bei mir darüber, denn durchs Gefühl erkannte und merkte er augenblicks, daß es keine ganze Blanke war, und sagte: Was Teufel ist denn das, daß man mir, seit du bei mir bist, nur halbe Blanken gibt, da man mir sonst eine ganze Blanke und oft sogar einen Maravedi gab? Du mußt ganz gewiß an diesem Unglück schuld sein! Er von seiner Seite kürzte seine Gebete ebenfalls ab und sprach nicht die Hälfte derselben; denn er hatte mir befohlen, daß ich ihn am Mantel zupfen sollte, wenn der, der ihn beten ließ, wegginge. Ich tat es, und er fing dann von neuem mit lauter Stimme zu rufen an: Wer begehrt, daß ich dieses oder jenes Gebet bete? – so wie es der Blinden Brauch ist. Wenn wir aßen, pflegte er einen Krug Wein neben sich zu stellen. Ich hob ihn schnell auf, gab ihm ein paar heimliche Küsse und setzte ihn dann wieder an seinen Platz. Dies dauerte aber nicht lange; denn indem er trank, bemerkte er bald den Abgang, und um seinen Wein besser zu bewahren, ließ er nachmals den Krug nicht mehr von sich und hielt ihn beständig am Henkel. Aber so gut zieht kein Magnet an sich als ich mit dem langen Strohhalme, den ich mir zu diesem Behuf zurechtgemacht; ich steckte ihn in den Hals des Kruges und sagte so dem Weine, indem ich ihn aussog, gute Nacht. Da aber der Schurke so schlau war, so hörte er mich, wie ich glaube und änderte von nun an sein Verfahren. Er stellte nämlich den Krug zwischen die Beine, deckte ihn mit der Hand zu und trank nun in voller Sicherheit. Mein Leben hätte ich hingegeben für den Wein, so hatte ich mich an ihn gewöhnt; da ich also sah, daß jenes Mittel mit dem Strohhalme mir nichts mehr half noch frommte, beschloß ich, in den Boden des Kruges ein kleines Loch zu bohren und das Brünnlein ganz säuberlich mit einem feinen Stückchen Wachs zu verstopfen. Um die Essenszeit stellte ich mich, als fröre ich, und kroch dem argen Blinden zwischen die Beine, um mich an unserem ärmlichen Feuer zu wärmen: und nachdem bei der Hitze desselben das bißchen Wachs geschmolzen war, fing das Brünnlein an, mir in den Mund zu rinnen, den ich dergestalt zu richten wußte, daß auch nicht ein Tröpfchen verloren ging. Wenn nun der arme Tropf trinken wollte, so fand er nichts. Er erstaunte, fluchte und wünschte Krug und Wein zum Teufel, da er nicht begreifen konnte, wie das zugegangen. Nun, Vetter, sagte ich zu ihm, werdet Ihr doch nicht mehr behaupten, daß ich ihn trinke, da Ihr ihn nicht aus den Händen laßt! Er betastete den Krug so lange von allen Seiten, bis er die Quelle fand und hinter den Streich kam; er stellte sich aber, als ob er es nicht bemerkt hätte. Gleich den folgenden Tag wollte ich wieder nach meiner Gewohnheit meinen Krug tröpfeln lassen, ohne daß ich nur im geringsten das Unglück ahnte, das mir bereitet war, oder daran dachte, daß der verwünschte Blinde mich belauerte. Ich setzte mich, wie ich pflegte, nieder, das Gesicht nach dem Himmel gekehrt und die Augen halb geschlossen, um die liebliche Flüssigkeit besser zu genießen, und tat jene süßen Züge: da bemerkte der verzweifelte Blinde, daß es jetzt Zeit sei, Rache an mir zu nehmen. Er hob deshalb den süßen und bittern Krug mit beiden Händen und mit aller Macht in die Höhe und ließ ihn auf meinen Mund fallen, indem er, wie gesagt, all seine Kräfte dabei anwendete, dergestalt, daß der arme Lazaro, der sich dessen am wenigsten versah, sondern wie oftmals ganz sorglos und in vollen Freuden war, wahrhaftig glaubte, der Himmel und alles, was in ihm ist, wäre auf ihn herabgefallen. Der kleine Schlag war von der Art, daß er mich betäubte und mir alle Besinnung nahm und daß die Scherben des Kruges in mein Gesicht eindrangen, es an vielen Orten zerfetzten und mir die Zähne einschlugen, die mir noch bis auf den heutigen Tag fehlen. Von dieser Stunde an faßte ich einen Haß gegen den vermaledeiten Blinden, und obgleich er sich um mich bemühte, mich liebkoste und mich heilte, so bemerkte ich doch, daß er sich über die grausame Züchtigung innig freute. Er wusch die Wunden, die er mir mit den Scherben des Kruges geschlagen hatte, mit Wein, und sagte lachend: Was bedünkt dich, Lazaro? dasselbe, was dich krank machte, heilt dich nun und macht dich wieder gesund! – Und so brachte er noch mehr ähnliche Scherze an, die nach meinem Geschmack gar nicht lustig waren. Als ich von meinen bösen Wunden und Beulen halb genesen war und erwog, daß der blutdürstige Blinde mir durch wenige ähnliche Streiche den Garaus machen würde, beschloß ich, ihn lieber zu verlassen. Ich führte dies aber nicht sogleich aus, um es mehr zu meinem Vorteil und ohne meinen Schaden zu tun. Obgleich ich mir es vornahm, meinen Haß zu beruhigen und ihm den Streich mit dem Kruge zu verzeihen, so hinderte mich doch die üble Behandlung, die der arglistige Blinde mir seitdem erzeigte, daran; denn er schlug mich immer ohne Ursache, gab mir Kopfstöße und raufte mich an den Haaren. Wenn ihn jemand fragte, warum er mich so schlecht behandele, so erzählte er sogleich die Geschichte mit dem Kruge, indem er sagte: Glaubt ihr denn, daß dieser Bube so unschuldig ist? So hört denn, ob der Teufel selbst einen boshafteren Streich hätte aussinnen können! – Die ihn so reden hörten, bekreuzigten sich und sagten: Sehe einer, wer hätte in einem so kleinen Knaben so viel Bosheit erwartet! – Dann lachten sie über meine List und sagten weiter: Schlagt ihn nur, schlagt ihn! Gott wird es Euch lohnen! – Dies tat er denn auch, ohne Aufhören, getreulich. Ich führte ihn dagegen immer auf die schlechtesten Wege, in der Absicht, ihm Schaden und Leid zuzufügen. Wenn es wo Steine gab, so mußte er darüber; war irgendwo Kot anzutreffen, so mußte er hindurch, wo er am tiefsten war; und obgleich ich selbst dabei nicht trocknen Fußes wegkam, so freute ich mich doch darüber und hätte gern selbst ein Aug verloren, wenn ich den, der keins mehr hatte, um zwei hätte bringen können. Dafür sondierte er immer mit dem Knopfe seines Stockes meinen Hinterkopf, der beständig voller Beulen und von seinen Händen kahl gerupft war; und ungeachtet ich schwur, daß ich es nicht aus Bosheit täte, sondern weil ich keinen bessern Weg fände, so nützte es mir doch zu nichts, und er glaubte mir nicht: so scharf war das Gefühl und die Spürkraft dieses Schurken. Damit Eur Gnaden erfahren, wie weit sich der Scharfsinn des durchtriebenen Blinden erstreckte, will ich nur einen Fall von vielen andern, die mir mit ihm widerfuhren, erzählen, bei welchem er, wie mir scheint, seine große Schlauheit hinlänglich zu erkennen gab. Als wir aus Salamanca wanderten, war es sein Plan, in das Gebiet von Toledo zu gehen, weil, sagte er, daselbst die Leute reicher, wenn auch nicht mildtätiger wären. Er hielt sich nämlich an das Sprichwort: Der Hartherzige gibt mehr als der Nackte. Wir durchzogen auf dieser Wanderung die besten Dörfer, und wo er gute Aufnahme und guten Verdienst fand, hielten wir uns auf; sonst zogen wir schon den dritten Tag weiter. Als wir nun, es war gerade zur Zeit der Weinlese, in ein Dorf kamen, welches man Almorox nennte, trug es sich zu, daß ein Winzer ihm eine Weintraube als Almosen schenkte; und weil die Trauben in den Körben gewöhnlich sehr schlecht zugerichtet werden, besonders zu dieser Zeit, wo sie überreif sind, so beerte sich auch diese in seiner Hand ab. Hätte er sie in den Sack tun wollen, so wäre sie gar zu Most geworden und hätte alles, was ihr nahe gelegen, verdorben. Er entschloß sich deshalb, einen Schmaus davon zu geben, teils, weil er sie nicht fortbringen konnte, teils auch, um mich zu entschädigen; denn denselben Tag hatte er mir viele Stöße und Schläge gegeben. Wir setzten uns an einen Zaun nieder, und er sagte: Lazarillo, jetzt will ich einmal recht freigebig gegen dich sein, und das soll darin bestehen, daß wir diese Traube miteinander verzehren, und du ebensoviel davon erhalten sollst als ich. Die Teilung wollen wir auf folgende Art vornehmen: Du langst das eine Mal zu und ich das andere, doch unter der Bedingung, daß du mir versprichst, jedesmal nicht mehr als eine Beere zu nehmen; ich werde dasselbe tun, bis wir damit fertig sind, und auf diese Weise kann kein Betrug stattfinden. – Nach dieser Übereinkunft machten wir uns an die Arbeit; aber schon beim zweiten Griffe besann sich der Spitzbube anders und fing an, immer zwei Beeren auf einmal zu nehmen, weil er glaubte, daß ich dasselbe tun würde. Da ich sah, daß er die Verabredung brach, so begnügte ich mich nicht damit, gleichen Schritt mit ihm zu halten, sondern ich ging noch weiter und aß zwei und zwei, und drei und drei, und soviel ich nur konnte, auf einmal. Nachdem die Traube verzehrt war, saß er, ihren Kamm in der Hand, ein Weilchen stille und sagte, indem er den Kopf schüttelte: Lazaro, du hast mich betrogen! ich wollte zu Gott schwören, daß du die Beeren zu drei und drei gegessen hast. So aß ich sie nicht, sagte ich; aber warum argwöhnt Ihr dies? Der durchtriebene Blinde antwortete: Weißt du, woraus ich sehe, daß du sie zu drei und drei gegessen hast? Weil ich zwei und zwei gegessen habe und du dazu schwiegst. – Ich lachte heimlich darüber, und, obgleich noch ein Knabe, merkte ich doch die scharfsinnige Bemerkung des Blinden. Aber um nicht weitschweifig zu werden, unterlasse ich es, von einer Menge lustiger und bemerkenswerter Fälle, die mir mit diesem meinem ersten Herrn zustießen, Erwähnung zu tun, und will nur noch den Abschiedsstreich erzählen und damit beschließen. Wir befanden uns in Escalona, der Residenz des dasigen Herzogs, in einem Wirtshause, und er gab mir ein Stück Wurst, das ich ihm braten sollte. Als ich die Wurst schon mit Fett begossen und er die davon betropften Brotschnittchen verzehrt hatte, nahm er einen Maravedi aus dem Beutel und schickte mich in die Schenke, Wein dafür zu holen. Der Teufel führte mir aber eine gute Gelegenheit vor die Augen, und die macht, wie man sagt, Diebe; sie bestand darin, daß neben dem Feuer eine kleine, längliche, verdorbene Rübe lag, die man, weil sie nicht mehr für den Kochtopf taugte, dahin geworfen haben mochte. Da eben niemand zugegen war als er und ich, und ich mich bei sehr lüsternem Appetit fand, der durch den lieblichen Geruch der Wurst, das einzige, was ich davon zu kosten erwarten konnte, geweckt worden war, entschlug ich mich aller Furcht, nicht bedenkend, was daraus für mich erfolgen könnte. Um meine Lüsternheit zu befriedigen, zog ich, während der Blinde das Geld aus dem Beutel holte, die Wurst vom Bratspieß und steckte die ebenerwähnte Rübe mit der größten Geschwindigkeit daran. Nachdem mir mein Herr das Geld zum Wein gegeben hatte, faßte er den Bratenwender und fing an, ihn über dem Feuer zu drehen, indem er das braten wollte, was wegen seiner Unbrauchbarkeit dem Kochen entgangen war. Ich ging nach dem Weine und zögerte nicht, die Wurst abzufertigen. Als ich zurückkam, fand ich den alten blinden Sünder, wie er eben die Rübe, die er noch nicht erkannt, weil er sie nicht mit der Hand berührt hatte, zwischen zwei Brotschnittchen hielt. Wie er aber die Brotschnitte nahm und hineinbiß, in der Meinung, er würde auch einen Teil der Wurst bekommen, überlief ihn ein kalter Schauer über die kalte Rübe. Er geriet in Zorn und sagte: Was heißt das, Lazarillo? O wehe mir! schrie ich; Ihr geht darauf aus, mir etwas aufzubürden! Komm' ich denn nicht soeben erst mit dem Weine zurück? Es wird wohl jemand dagewesen sein, der dies getan hat, um sich einen Spaß zu machen. Nein, nein! sagte er; ich habe den Bratenwender nicht aus der Hand gelassen; es ist nicht möglich! Ich fuhr fort zu beteuern und zu schwören, daß ich an diesem Betruge und Tausche unschuldig sei; aber das half mir wenig, denn der Schlauheit des verwünschten Blinden verbarg sich nichts. Er erhob sich, packte mich beim Kopfe und fing an, mich nach Art eines guten Windhundes zu beriechen und nach meinem Atem zu wittern. Und um sich desto gewisser von der Wahrheit zu überzeugen, faßte er mich, von dem erlittenen Herzeleid getrieben, mit beiden Händen, riß mir den Mund über die Maßen auf und steckte mir auf eine unverschämte Weise seine sehr lange und spitzige Nase hinein, die sich jetzt noch vor Zorn um eine Spanne verlängert hatte, so daß er mir mit ihrer Spitze bis ans Zäpfchen reichte. Dies, die große Furcht, in der ich schwebte, die Kürze der Zeit, während welcher die unglückliche Wurst noch nicht in dem Magen hatte Platz nehmen können, und am meisten der Schauder vor der ungeheuern Nase, die mich beinahe erstickte: alles dies zusammen war Ursache, daß mein Streich und meine Naschhaftigkeit an den Tag kam und daß meinem Herrn das Seinige zurückgegeben wurde. Denn ehe noch der verruchte Blinde seinen Elefantenrüssel aus meinem Munde zurückgezogen hatte, kam mein Magen so in Aufruhr, daß er das gestohlene Gut gegen ihn schleuderte, dergestalt daß die Nase und die leidige, schlechtgekaute Wurst zu gleicher Zeit aus meinem Munde flogen. Großer Gott! wer doch damals begraben gewesen wäre; denn tot war ich schon. Der Zorn des heillosen Blinden war so groß, daß er mich, glaube ich, nicht am Leben gelassen haben würde, wären nicht auf den Lärm Leute herzugelaufen. Man riß mich, das Gesicht zerkratzt und den Nacken und die Kehle zerschunden, aus seinen Händen, in denen die wenigen Haare, die ich noch hatte, zurückblieben. Er hätte dies aber weit mehr verdient, denn durch seine Schuld erlitt ich solche Trübsal. Der boshafte Blinde erzählte nun allen denen, die dazukamen, meine Unglücksfälle und gab ihnen wiederholt Nachricht von meinen Streichen, von dem mit dem Kruge, dem mit der Traube und dem gegenwärtigen. Das allgemeine Gelächter war so groß, daß alle auf der Straße Vorbeigehenden hereinkamen, um die Lust zu sehen. Er erzählte meine Taten mit so viel Anmut und Laune, daß ich, so übel zugerichtet ich auch war und so heftig ich auch weinte, doch glaubte ein Unrecht zu tun, wenn ich sie nicht selbst mit belachte. Während dies vorfiel, wurde ich auf einmal auf die Feigheit und Kleinmütigkeit aufmerksam, die ich gezeigt hatte, weshalb ich mir selbst fluchte: sie bestand darin, daß ich ihn nicht um seine Nase gebracht hatte, da sich mir doch eine so gute Gelegenheit dazu darbot; denn die Hälfte des Weges war schon gemacht, und ich hätte nur die Zähne zu schließen gebraucht, so wäre sie in der Falle steckengeblieben: und da sie diesem verruchten Menschen angehörte, so würde sie vielleicht mein Magen besser behalten haben als die Wurst, und ich hätte auch dann, wenn sie nirgends zu finden gewesen wäre, die Beschuldigung ableugnen können. Wollte Gott, ich hätte es getan, es hätte nun daraus erfolgen mögen, was gewollt hätte. Die Wirtin und die übrigen Anwesenden stifteten endlich zwischen uns Frieden und wuschen mir das Gesicht und den Hals mit dem Weine, den ich zum Trinken geholt hatte, worüber der Blinde wieder seine Späße machte, indem er sagte: In der Tat, der Bursche verbraucht mir zum Kopfwaschen in einem Jahr mehr Wein, als ich in zweien trinke! Wahrhaftig, Lazaro, du hast dem Wein mehr zu verdanken als deinem Vater; denn dieser erzeugte dich nur einmal, aber der Wein hat dir schon tausendmal das Leben gegeben. Und nun erzählte er, wie oft er mir den Kopf zerschlagen und das Gesicht zerkratzt und wie ich dann durch Wein gleich wieder hergestellt worden sei. – Ich versichere dir, fuhr er fort, wenn ein Mensch auf der Welt durch Wein sein Glück macht, so bist du es! – Darüber lachten dann die, welche mich damit wuschen, ich aber fluchte heimlich. Die Prophezeiung des Blinden war auch nicht lügenhaft, und ich erinnerte mich in der Folge dieses Menschen noch oft, der zweifelsfrei einen prophetischen Geist haben mußte. Ich bereute auch die dummen Streiche, die ich ihm gespielt hatte, obgleich ich sie teuer genug hatte bezahlen müssen. Das, was er mir an jenem Tage vorhersagte, ging pünktlich in Erfüllung, wie Eur Gnaden in der Folge hören werden. Dies und die argen Spötteleien, die der Blinde über mich machte, bestimmten mich immer mehr und mehr, ihn zu verlassen, und vorzüglich der letzte Spaß befestigte meinen Entschluß, den ich schon längst ausgedacht und den ich auszuführen willens war. Es begab sich so: den folgenden Tag durchzogen wir die Stadt, um Almosen zu sammeln. Es hatte die Nacht zuvor stark geregnet und regnete auch noch den ganzen Tag; deshalb stellte sich mein guter Blinder unter einen bedeckten Gang, den es in dieser Stadt gab, in welchem er seine Gebete hersagte und wo wir nicht naß wurden. Da es endlich anfing Nacht zu werden und der Regen noch immer nicht nachließ, sagte der Blinde zu mir: Lazaro, das Wetter dauert noch immer fort, und je später es wird, je schlimmer wird es, wir wollen beizeiten in die Herberge zurückgehen. Um dahin zu kommen, mußten wir über einen Bach, der vom Regen sehr angeschwollen war. Vetter, sagte ich, der Bach ist sehr breit; wenn Ihr es haben wollt, will ich einen Ort suchen, wo wir besser darüber können, ohne uns naß zu machen; denn dort wird er viel schmäler, und wir werden trockenen Fußes hinüberspringen können. Mein Rat dünkte ihn gut, und er sagte: Du bist ein gescheiter Bursche, und ich habe dich auch deshalb recht lieb; bringe mich nur an den Ort, wo der Bach schmäler wird; denn in dieser Winterszeit ist Nässe nichts nütze, und am wenigsten nasse Füße. Da ich sah, daß er meinem Vorhaben entgegenkam, führte ich ihn hervor unter dem Säulengange, stellte ihn einem steinernen Pfeiler, der, wie mehre andere auf demselben Platz, zur Unterstützung der Balkone diente, gerade gegenüber und sagte zu ihm: Vetter, das ist der schmälste Platz, der am ganzen Bache zu finden ist. – Weil es stark regnete, der blinde Schurke schon ganz durchnäßt war und wir ins Trockene zu kommen eilten, oder vielmehr, weil Gott ihm seinen Scharfsinn verdunkelte, damit ich mich an ihm rächen könnte, glaubte er mir und sagte: Stell mich nur zurecht und spring du über den Bach. Ich stellte ihn gerade gegen die Säule, tat einen Sprung und trat hinter den Pfeiler wie einer, der den Stoß eines Stieres erwartet. Nun springt, so weit Ihr könnt, sagte ich zu ihm, damit Ihr über das Wasser kommt. – Kaum hatte ich das ausgesprochen, als der arme Blinde gleich einem Bocke ansetzte und mit aller Kraft hinübersprang, nachdem er vorher einen Schritt zurückgetreten war, um mit diesem Anlauf einen größern Sprung zu tun. Er rannte mit dem Kopfe so wider die Säule, daß es einen Klang gab, als wenn man mit einem großen Kürbis dagegen geworfen hätte, und fiel sogleich halbtot und mit zerschlagenem Kopfe rücklings nieder. Wie, sagte ich, die Wurst habt Ihr doch riechen können, warum denn nicht auch den Pfeiler? So riecht doch nur! – Und so ließ ich ihn in den Händen mehrer Leute, die ihm zu Hilfe herbeikamen, und nahm in einem beständigen Trabe meinen Weg durch das Stadttor, kam auch noch, ehe es Nacht wurde, nach Torrijos. Ich weiß nicht, was Gott aus ihm gemacht hat, und habe mir auch gar keine Mühe gegeben, es zu erfahren. Drittes Kapitel Drittes Kapitel Wie Lazaro bei einem Pfarrer in Dienste ging und was ihm bei demselben zustieß. Da ich mich hier noch nicht sicher glaubte, ging ich den folgenden Morgen nach einem Dorfe namens Maqueda, wo mich meine Sünden einen Geistlichen antreffen ließen, der mich, als ich ihn um ein Almosen ansprach, fragte, ob ich bei der Messe zu dienen verstände? Ich antwortete ihm Ja, wie es auch die reine Wahrheit war; denn obgleich mich der blinde Sünder übel behandelt hatte, so hatte er mich doch tausend nützliche Dinge gelehrt, unter die auch dies gehörte. Kurz, der Pfarrer nahm mich in seine Dienste. Ich kam aber aus dem Regen in die Traufe; denn der Blinde, obgleich er der Geiz selbst war, wie ich erzählt habe, war im Vergleich mit diesem ein Alexander magnus. Ich will weiter nichts sagen, als daß sich alle Filzigkeit der ganzen Erde in ihm vereinigte; ob sie ihm aber angeboren war, oder ob er sie mit dem Priesterrocke angezogen hatte, weiß ich nicht. Er hatte eine alte große Kiste, die verschlossen war und deren Schlüssel er beständig an einem Riemchen seines Rockes bei sich trug. Wenn nun das Opferbrot aus der Kirche kam, so tat er es sogleich mit eigner Hand hinein und schloß den Kasten wieder sorgfältig zu. Im ganzen Hause war nicht das geringste Eßbare zu finden, da man doch in andern Häusern in den Schornsteinen aufgehängten Speck sieht, auf dem Tisch oder in einem Schranke vielleicht einen Käse oder irgendein Körbchen voll Brosamen, die von der Mahlzeit übriggeblieben sind; und wenn ich mich desselben auch nicht hätte bedienen dürfen, so bin ich doch überzeugt, daß ich mich schon beim bloßen Anblick getröstet hätte. Eine einzige Schnur Zwiebeln war vorhanden, die sich auf dem Hausboden in einer Kammer unter Verschluß befand und von denen ich als viertägige Portion eine erhielt. Bat ich in Gegenwart eines Fremden um den Schlüssel, damit ich mir sie holen könnte, so zog er ihn aus seinem Brustlatze hervor, band ihn mit aller Gemächlichkeit ab, gab ihn mir und sagte: Nimm, und bring mir ihn gleich zurück. Du tust doch nichts als an Leckerbißchen denken! – gleich als ob unter ihm alle Konfitüren von Valencia verschlossen gewesen wären, da ich doch einen Eid darauf schwören kann, daß sich, wie ich schon gesagt, in der erwähnten Kammer nichts befand als die Zwiebeln, die an einem Nagel hingen und über die er so genau Rechnung führte, daß mir es teuer zu stehen gekommen sein würde, wenn ich es für meine Sünden hätte wagen wollen, meine Taxe zu überschreiten. Kurz, ich hätte vor Hunger sterben mögen. Je weniger er aber Mitleid mit mir trug, desto mehr übte er gegen sich selbst. Für fünf Blanken Fleisch war sein gewöhnliches Mittags- und Abendbrot. Wahr ist es, von der Fleischbrühe gab er mir einen Teil, vom Fleische aber nicht so viel, als ich im Auge habe, wohl aber ein Stückchen Brot, wobei ich noch Gott gedankt hätte, wenn ich nur halb satt geworden wäre. Es ist in diesem Lande gebräuchlich, Sonnabends Hammelköpfe zu essen, und er schickte mich immer nach einem, der drei Maravedis kostete. Ich kochte ihn, und er aß davon die Augen, die Zunge, das Gehirn und das Fleisch vom Hinterschädel und den Kinnbacken und gab mir dann alle abgenagten Knochen mit der Schüssel, indem er sagte: Nimm, iß und jubele! denn dein ist die ganze Welt. Du führst ein besseres Leben als selbst der Papst! – Gott mag dir immer ein solches geben! sagte ich leise bei mir. Nach Verlauf dreier Wochen, die ich bei ihm zugebracht hatte, war ich aus bloßem Hunger so schwach geworden, daß ich mich nicht mehr auf den Beinen erhalten konnte. Ich sah offenbar, daß ich auf dem Weg zum Grabe sei, wenn Gott und meine List mir nicht Hilfe schafften. Es war mir aber unmöglich, mich meiner Geschicklichkeit zu bedienen, weil nichts da war, woran ich sie hätte versuchen können; und wenn auch etwas da gewesen wäre, so hätte ich doch diesen meinen Herrn nicht blind machen können, wie das bei dem der Fall war, welchem Gott gnädig sein möge, wenn er anders an jenem Kopfstoße gestorben ist; denn obgleich auch dieser sehr schlau war, so konnte er mich doch nicht sehen, weil ihm dieser kostbare Sinn fehlte: ein schärferes Gesicht als der jetzige aber hatte, besitzt niemand auf der Welt. Wenn wir am Opfertische standen, so fiel keine Blanke in die Opferschale, die er nicht genau bemerkt hätte, da er immer ein Auge auf die Leute und das andere auf meine Hände gerichtet hielt. Seine Augen tanzten ihm beständig im Kopfe herum, als ob sie von Quecksilber wären. Alle Blanken, die einkamen, zählte er, und nach Beendigung der Opferung nahm er mir sogleich das Opferbecken ab und setzte es auf den Altar. Solchergestalt war es mir nicht möglich, während der ganzen Zeit, wo ich bei ihm lebte, oder vielmehr starb, ihm auch nur eine einzige Blanke zu entwenden. Niemals ließ er mich Wein aus der Schenke holen, und das wenige, was vom Opfer übrigblieb, verschloß er in die Kiste und wußte es so gut einzuteilen, daß er die ganze Woche damit ausreichte. Um seinen schmutzigen Geiz zu verbergen, sagte er zu mir: Sieh, lieber Knabe, ein Priester muß sehr enthaltsam im Essen und Trinken sein, und deshalb überschreite ich nie das Maß, wie es wohl andere tun mögen. – Aber der Schurke log auf das schändlichste; denn bei Gelagen der Brüderschaften und bei Leichenschmäusen, wo wir beteten, aß er, da es auf fremde Kosten ging, wie ein Wolf und trank mehr als ein Hochzeitbitter. Da ich eben von Leichenschmäusen rede, so mag mir Gott verzeihen, daß ich damals ein Feind der menschlichen Natur wurde, der ich sonst nie war. Es geschah deshalb, weil wir bei jenen sehr gut aßen und ich recht gesättigt wurde. Ich wünschte und bat sogar Gott, daß er nur jeden Tag einen Menschen sterben lassen möchte. Wenn wir den Kranken die Sakramente reichten, vorzüglich die letzte Ölung, und der Pfarrer allen Anwesenden zu beten befahl, so war ich gewiß nicht der letzte beim Gebete. Willig und von ganzem Herzen flehte ich zum Herrn, nicht daß er nach seinem Willen mit ihm verfahre, wie man gewöhnlich zu beten pflegt, sondern daß er ihn aus dieser Welt nehmen möge. Genas einmal einer, so wünschte ich ihn (Gott verzeihe mir es!) tausendmal zum Teufel; dem aber, der starb, wünschte ich tausend Segen nach. Während der ganzen Zeit, die ich mich hier befand, was ungefähr sechs Monate sein mögen, starben nicht mehr als zwanzig Personen, und diese, glaube ich, brachte ich ums Leben, oder, um mich richtiger auszudrücken, sie starben auf meine Bitte; denn da Gott der Herr meinen fürchterlichen und immerwährenden Tod sah, so glaube ich, daß es ihm gefiel, sie sterben zu lassen, um mir dadurch das Leben zu erhalten. Für das aber, was ich dennoch damals litt, fand ich kein Mittel; denn wenn ich an dem Tage, wo wir jemanden zu Grabe trugen, lebte, so fühlte ich an den Tagen, wo es keinen Toten gab, nur um so heftiger den alltäglichen Hunger wieder bei mir einkehren, weil ich an bessere Mahlzeiten gewöhnt war. Ich sah auch gar keine Rettung mehr für mich als den Tod, den ich oft ebensosehr für mich wie für andere wünschte; aber ich sah ihn nicht, obgleich ich ihn beständig in mir trug. Oft nahm ich mir vor, von diesem meinem filzigen Herrn wegzulaufen, ich unterließ es aber aus zwei Ursachen: erstens, weil ich mich auf meine Füße nicht verlassen konnte, indem ich meine Schwäche fürchtete, die mir der bloße Hunger zugezogen hatte, und zweitens, weil ich überlegte und mir sagte: zwei Herren habe ich nun gehabt: der erste brachte mich durch Hunger auf den Weg des Todes, ich verließ ihn und fand den andern, der mich auf dieselbe Art schon bis ans Grab gebracht hat; wenn ich mich nun auch von diesem trenne und einen andern, wohl noch schlimmern, finde, was wird dann anders aus mir werden, als daß ich vollends sterbe? – Deshalb wagte ich es nicht, mein Vorhaben auszuführen; denn ich glaubte sicherlich, ich würde bei jedem Schritt mehr Elend finden und immer tiefer sinken. Nichts wäre dann vom Lazaro laut geworden, und die Welt hätte nichts von ihm erfahren. Wie ich mich nun in solchem Herzeleid befand, vor welchem Gott der Herr jeden frommen Christen bewahren möge, ohne zu wissen, wie ich mir raten sollte, indem ich sah, daß es immer schlimmer und schlimmer wurde, kam eines Tages, als eben mein filziger, unseliger und verruchter Herr aus dem Dorfe gegangen war, zufällig ein Kesselflicker an meine Tür, den ich für einen mir von Gottes Hand in dieser Kleidung gesandten Engel hielt. Er fragte mich, ob ich nichts auszubessern hätte. – An mir würdest du wohl auszubessern finden, sagte ich leise, so daß er es nicht hören konnte, und du würdest nicht wenig tun, wenn du mich wieder herstelltest. Da es aber nicht Zeit war, sie mit witzigen Einfallen zu verlieren, so sagte ich zu ihm, erleuchtet durch den heiligen Geist: Meister, ich habe den Schlüssel zu dieser Kiste verloren, und ich fürchte, daß mein Herr mich deshalb ausprügelt. Seht doch ums Himmels willen zu, ob sich unter denen, die Ihr da bei Euch habt, nicht einer befindet, welcher schließt; ich will ihn Euch bezahlen. Der englische Kesselflicker fing an, einen nach dem andern von einem großen Bunde, das er bei sich trug, zu versuchen, ich aber stand ihm mit meinem schwachen Gebete bei, und ehe ich es nur vermutete, sah ich in der Gestalt der Brote, die in der geöffneten Kiste lagen, wie man zu sagen pflegt, das Antlitz Gottes. Ich sagte nun zu ihm: Geld habe ich nicht, um Euch den Schlüssel zu bezahlen, aber nehmt Euch hier die Bezahlung. – Er nahm eins der Brote, das er für das beste hielt, gab mir den Schlüssel, ging sehr zufrieden weg und ließ mich noch zufriedener zurück. Ich rührte jetzt aber nichts weiter an, damit man den Abgang nicht gewahr würde, und weil ich mich nun Herr solcher Reichtümer sah, so dünkte mich, der Hunger würde es nicht mehr wagen, mich auzufallen. Mein unglücklicher Herr kam zurück, und Gott wollte es, daß er den Abgang des Opferbrotes, welches der Engel mit sich genommen hatte, nicht bemerkte. Den andern Tag, als er kaum aus dem Hause gegangen war, öffnete ich mein Brotparadies, nahm ein Brot zwischen Hände und Zähne und machte es in Zeit von zwei Credos unsichtbar, vergaß aber dabei die offengelassene Kiste nicht. Dann fing ich vor lauter Freude an, das ganze Haus zu kehren, indem ich glaubte, durch dieses Mittel mein trauriges Leben von nun an verbessert zu haben. So brachte ich diesen und den folgenden Tag sehr vergnügt hin; aber mein Geschick wollte nicht, daß mir dieses Vergnügen lange dauere; denn schon den dritten Tag überfiel mich das dreitägige Fieber, als ich den, der mich durch Hunger tötete, zur ungewöhnlichen Zeit an der Kiste stehen sah, wie er eben die Brote hin und her legte, sie überzählte und abermals zählte. Ich ließ mir nichts merken und sprach in heimlichen Seufzern und Gebeten: O heiliger Johann, laß ihn doch erblinden! Nachdem er sich lange Zeit dabei aufgehalten hatte, indem er die Rechnung nach Tagen und nach Fingern machte, sagte er: Wenn diese Kiste nicht an einem so sichern Ort stände, so würde ich sagen, daß man mir Brote herausgenommen habe. Aber von heute an, bloß um allem Argwohn die Tür zu verschließen, werde ich genau Rechnung darüber führen. Es bleiben neun und ein Stückchen. – Neun Übel möge Gott über dich schicken! sagte ich bei mir selbst. Es schien mir, als ob er mir mit diesen Worten das Herz wie mit dem Pfeile eines Jägers durchbohrte, und mein Magen, der sich wieder auf die sonstige Diät eingeschränkt sah, fing wieder an vor Hunger zu bellen. Er ging nun aus, und ich, um mich zu trösten, öffnete die Kiste, und da ich das Brot sah, begann ich es anzubeten (denn zu nehmen wagte ich es nicht), und ich zählte nach, ob sich der Schurke vielleicht verzählt habe, fand aber seine Rechnung richtiger, als ich wünschte. Alles, was ich tun konnte, war, ihnen tausend Küsse zu geben und dann so zart als möglich ein kleines Schnittchen von dem Stücke, an demselben Orte, wo es angeschnitten war, abzuschneiden. Hiemit brachte ich diesen Tag hin, freilich nicht so vergnügt wie den vorigen. Da aber mein Hunger wuchs, vornehmlich weil ich den Magen in den zwei bis drei vorerwähnten Tagen an mehr Brot gewöhnt hatte, glaubte ich eines elenden Todes sterben zu müssen; daher ich, wenn ich mich allein sah, nichts weiter tat, als die Kiste auf und zu zu schließen und meine Augen an diesem Antlitz Gottes, wie es die Kinder nennen, zu weiden. Aber der Gott, der den Betrübten zu Hilfe eilt, gab mir, als er mich in solcher Not sah, ein kleines Mittel ein. Diese Kiste, überlegte ich und sagte ich zu mir selbst, ist alt, groß und an mehren Orten zerbrochen, und obgleich die Löcher klein sind, so könnte er doch leicht glauben, daß Mäuse hineinkröchen und das Brot benagten; denn ein ganzes Brot zu nehmen, ist gar nicht ratsam, weil der den Mangel sogleich bemerken würde, welcher mich in solchem leben läßt. Dies möchte wohl so hingehen. Und nun fing ich an, von dem Brot auf ein nicht sehr kostbares Tischtuch, das in der Kiste lag, Brosamen abzubröckeln, und indem ich nur einige vornahm, die andern aber unangerührt ließ, kratzte ich von drei bis vier Broten ein wenig ab und aß es, wie man Zuckerkörner ißt. Damit tröstete ich mich einigermaßen. Als aber mein Herr zu Tische kam und die Kiste öffnete, sah er den Schaden und glaubte ohne Zweifel, die Mäuse hätten ihn angerichtet, da es so natürlich nachgemacht war, als wenn es von ihnen herrührte. Er besichtigte die Kiste von vorn und von hinten, und da er einige Löcher fand, durch die sie, wie er vermutete, hineingekommen waren, rief er mich und sagte: Lazaro, sieh, sieh, welche Verfolgung sich in dieser Nacht wider unser Brot erhoben hat! – Ich stellte mich sehr verwundert und fragte ihn, was das wohl wäre. – Was wird es denn sein, erwiderte er, Mäuse sind es, die nichts verschonen. – Wir setzten uns nun zum Essen, und Gott wollte, daß ich auch noch bei diesem Vorteil daraus ziehen sollte; denn es fiel mir mehr Brot zu als die Kleinigkeit, die er mir gewöhnlich zu geben pflegte. Er putzte nämlich mit einem Messer alles das ab, was er für benagt hielt, indem er sagte: Iß es nur! die Maus ist ein reinliches Tier. Und so wurde an diesem Tage meine gewöhnliche Portion noch durch die Arbeit meiner Hände, oder eigentlich meiner Nägel, vermehrt. Wir hörten nun auf zu essen, obgleich ich niemals anfing. Bald darauf überfiel mich eine neue Bestürzung, als ich sah, daß er emsig herumlief, Nägel aus den Wänden zog und Brettchen zusammensuchte, mit denen er alle Löcher der alten Kiste vernagelte und verstopfte. Mein Herr und Gott! sagte ich jetzt, welchem Elend, welchen Zufällen und Drangsalen sind wir arme Sterblichen doch ausgesetzt, und wie kurze Zeit dauern die Freuden unsers mühevollen Lebens! Ich war auf dem Punkte, zu glauben, ich würde durch dieses elende, armselige Mittel mein Elend mildern und verbessern, und ich war schon darüber recht vergnügt und glücklich; aber mein Mißgeschick hat es anders beschlossen! Es weckt diesen meinen verruchten Herrn auf und vermehrt nur noch die Tätigkeit, die er für sich schon besitzt (obgleich solche Elende größtenteils keinen Mangel daran leiden), und indem er die Löcher der Kiste verschließt, so verschließt er mir auch die Tür des Trostes und öffnet die meiner Drangsale! So beklagte ich mich, während mein emsiger Zimmermann mit vielen Nägeln und Brettchen sein Werk beendigte, wobei er sagte: Nun, ihr verfluchten Herren Mäuse, müßt ihr wohl euer Vorhaben aufgeben; denn in diesem Hause wird wenig mehr für euch zu holen sein! Sobald er ausgegangen war, besah ich sein Werk und fand, daß er in dem elenden alten Kasten nicht das kleinste Loch gelassen hatte, wodurch auch nur eine Mücke hätte hineinkommen können. Ich öffnete ihn mit meinem unnützen Schlüssel, ohne Hoffnung, Vorteil daraus ziehen zu können, sah die zwei oder drei angeschnittenen Brote, die mein Herr für benagt hielt, und nahm ein klein wenig von ihnen, indem ich sie, wie ein geschickter Fechtmeister, kaum berührte. Da aber die Notwendigkeit eine gute Lehrmeisterin ist, so sann ich, weil ich wieder großen Hunger verspürte, Tag und Nacht auf eine Art, mein Leben zu er halten, und ich glaube, daß der Hunger mir Licht gab, diese schwarzen Mittel zu finden, da er, wie man sagt, den Verstand schärft, so wie Völlerei gerade das Gegenteil bewirkt. So geschah es wenigstens für gewiß an mir. In einer Nacht, wo mich dieser Gedanke wach erhielt und ich eben überlegte, wie ich der Kiste am besten beikommen könne, um Nutzen aus ihr zu ziehen, merkte ich, daß mein Herr schlief, was man aus seinem Schnarchen und lauten Atmen, das er im Schlafe hören ließ, leicht abnehmen konnte. Ich stand leise auf, und da ich am Tage schon reiflich überlegt, was ich zu tun hätte, und mir ein altes Messer, das sich hie und da herumtrieb, an einen Ort hingelegt hatte, wo ich es leicht finden konnte, ging ich zur traurigen Kiste und fiel sie da, wo sie nach meinem Bedünken am wenigsten Widerstand würde leisten können, mit dem Messer an, dessen ich mich wie eines Bohrers bediente. Die hochbetagte Kiste, die ich wegen ihres Alters ohne Kraft und Mut und sehr mürbe und wurmstichig fand, ergab sich mir sogleich und erlaubte es, daß ich, zu meiner Rettung, ein ziemliches Loch in ihre Seite machen durfte. Nachdem dies geschehen, öffnete ich die verwundete Kiste ganz leise und verfuhr mit dem schon angeschnittenen Brote, das ich tappend fand, nach meiner schon erwähnten Gewohnheit. Dadurch einigermaßen getröstet, schlich ich, nachdem ich wieder gehörig zugeschlossen, nach meinem Stroh zurück, auf welchem ich nun ein wenig ruhte und schlief. Dies war mir bisher nur sehr selten gelungen, welches ich der Nüchternheit zuschrieb; und so mußte es auch sein, denn in Wahrheit, diesmal würden nicht einmal die Sorgen des Königs von Frankreich imstande gewesen sein, mich aus dem Schlafe zu wecken. Den folgenden Tag ward mein Herr und Gebieter den Schaden gewahr, sowohl den am Brote als auch den durch das Loch angerichteten, und fing an, die Mäuse zum Teufel zu wünschen. – Was soll man dazu sagen, sprach er; noch niemals habe ich Mäuse in diesem Hause gemerkt als jetzt. – Ohne Zweifel mochte er auch die Wahrheit sagen; denn wenn es im ganzen Königreiche ein Haus mit einem Privilegium gegen sie gegeben hätte, so wäre es dieses ganz gewiß gewesen, indem sich die Mäuse da nicht aufzuhalten pflegen, wo es nichts zu beißen gibt. Er fing nun von neuem an, Nägel und Brettchen an den Wänden und im Hause herum zu suchen, mit denen er die Löcher verstopfte. Als aber die Nacht und ihre Ruhe gekommen war, war ich mit meinem Werkzeug sogleich wieder auf den Füßen, und so viel er am Tage verstopft hatte, riß ich des Nachts wieder auf. Ja, wir betrieben es mit so viel Eifer und Eile, daß man recht passend davon sagen konnte: wo eine Tür gesperrt wird, da öffnet sich eine andere! Kurz, es schien, als ob wir beide es übernommen hätten, das Gewebe der Penelope auszuführen; denn was er am Tage webte, trennte ich des Nachts wieder auf. In wenigen Tagen richteten wir die arme Vorratskiste so zu, daß der, welcher recht eigentlich von ihr hätte sprechen wollen, sie eher einen alten Küraß aus der Vorzeit als eine Kiste hätte nennen müssen: so war sie mit Nägeln und Zwecken beschlagen. Da mein Herr sah, daß ihm sein Mittel zu nichts nützte, sagte er: Diese Kiste ist so zugerichtet und ist aus so altem und mürbem Holze, daß sie nicht einmal mehr einem Mäuschen Widerstand leisten kann, und wenn wir es noch eine Weile so mit ihr treiben, so wird sie uns bald gar nichts mehr nützen. Das Schlimmste ist, daß ich ihrer, so wenig sie auch wert ist, wenn sie fehlt, doch so sehr bedürfen werde und daß sie mir einen Kostenaufwand von drei bis vier Realen verursachen wird. Das beste Mittel, welches ich noch zu finden weiß, da das jetzige nichts mehr hilft, ist, sie von innen gegen diese verfluchten Mäuse zu waffnen. Er bemühte sich sogleich, eine Mausefalle geborgt zu erhalten, und ließ diese, nachdem er sie mit Käserindchen, die er sich von den Nachbarsleuten ausbat, aufgestellt, beständig in der Kiste stehen. Dies war für mich eine neue Hilfe; denn obgleich ich nicht viel Würze nötig hatte, um Appetit zu bekommen, so freute ich mich doch über die Käserindchen, die ich aus der Mausefalle herausnahm, ohne jedoch deshalb das Brotbenagen zu unterlassen. Wie er nun das Brot wieder benagt und den Käse verzehrt fand, ohne daß die Maus, die ihn gefressen hatte, gefangen war, so wünschte er sie zu allen Teufeln und fragte die Nachbarn, wie es nur möglich wäre, daß die Maus den Käse aus der Falle herausholen und auffressen könne, ohne sich zu fangen, da er doch die Falle immer zusammengeschlagen fände? Die Nachbarn meinten einstimmig, daß es durchaus keine Maus sein könne, die diesen Schaden anrichte; denn sie würde sich wenigstens einmal gefangen haben. Ein Nachbar sagte ihm aber: Ich erinnere mich, daß sich sonst in Euerm Hause eine Otter aufzuhalten pflegte, und diese muß es ohne Zweifel sein; es ist ja augenscheinlich, daß sie, da sie langgedehnt ist, die Lockspeise herausholen kann und daß sie sich, obgleich die Falle über ihr zusammenschlägt, dennoch wieder herauswindet, da sie ja nicht ganz hineinkriecht. – Was er sagte, schien allen einleuchtend und versetzte meinen Herrn in keine kleine Unruhe. Von nun an schlief er nicht mehr so sorglich, daß er nicht bei jedem Holzwurm, der sich des Nachts regte, glaubte, es sei die Otter, die ihm die Kiste zernage. Schnell war er auf den Beinen und gab mit einem Knittel, den er von der Zeit an, wo man ihm das gesagt, beständig neben seinem Kopfkissen liegen hatte, der armen Kiste fürchterliche Schläge, indem er glaubte die Otter dadurch zu schrecken. Durch den Lärm, den er machte, weckte er alle Nachbarn auf und ließ mich nicht schlafen. Er kam auch oft zu meinem Stroh und warf es sogleich mit mir um und um, indem er glaubte, daß sie sich ins Stroh oder in meinen Überrock verkrochen habe; denn man hatte ihm gesagt, es geschähe oft, daß diese Tiere, die des Nachts die Wärme suchten, in die Wiegen der Kinder kröchen und diese bissen und in große Gefahr brächten. Gewöhnlich stellte ich mich, als ob ich schliefe, und des Morgens sagte er immer zu mir: Junge, hast du diese Nacht nichts gehört? Ich bin nach der Otter gegangen, und ich fürchte, sie kriecht in dein Bett, denn diese Tiere sind sehr frostig und suchen die Wärme. Gott gebe nur, daß sie mich nicht beißt! sagte ich; ich habe davor große Furcht. Solchergestalt war er so munter und wachsam, daß es Wahrhaftig die Otter, oder der Otter, um mich richtiger auszudrücken, nicht wagte, des Nachts zu nagen noch nach der Kiste zu gehen; aber am Tage, während er in der Kirche oder im Dorfe war, machte ich meine Sprünge. Er sah diesen Schaden, ohne ein Mittel da gegen zu wissen, und begnügte sich deshalb, wie gesagt, damit, des Nachts gleich einem Poltergeist umzugehen. Bei seiner großen Aufmerksamkeit fürchtete ich, er möchte am Ende den Schlüssel finden, den ich unter meinem Stroh versteckt hielt, und es schien mir deshalb am sichersten zu sein, ihn des Nachts in den Mund zu nehmen; denn so lange ich mit dem Blinden lebte, hatte ich meinen Mund so als Beutel gebraucht, daß ich oft zwölf bis fünfzehn Maravedis in halben Blanken in ihm verbarg, ohne dadurch am Essen gehindert zu werden. Sonst wäre ich auch nicht Herr einer Blanke gewesen, ohne daß der verwünschte Blinde sie gefunden hätte, da er keine Naht und keinen Flicklappen an mir undurchsucht ließ. So steckte ich, wie gesagt, jede Nacht den Schlüssel in den Mund und schlief ohne Furcht, daß mein Herr Hexenmeister ihn finden würde. Wenn aber das Unglück einmal kommen soll, so ist alle Vorsicht vergebens! Mein Verhängnis oder vielmehr meine Sünden fügten es, daß in einer Nacht, während ich schlief, der Schlüssel in meinem Munde, den ich offen halten mochte, in eine solche Lage kam, daß die Luft und der Atem, den ich schlafend von mir gab, in das Loch des hohlen Schlüssels drang und nach dem Willen meines Unsterns so laut pfiff, daß mein erschrockener Herr es hörte und glaubte, es sei zweifelsfrei das Pfeifen der Otter, dem es auch sehr gleichen mochte. Er stand leise auf, mit seinem Knittel in der Hand, und indem er im Finstern tappend dem Pfeifen nachging, kam er in aller Stille, damit es die Otter nicht hören sollte, zu mir hin. Als er nun ganz nahe war, vermutete er, daß sie in das Stroh, worauf ich lag, meiner Wärme nachgegangen sei; er hob deshalb, in der Meinung, sie sei gerade darunter, den Knittel auf, und indem er hoffte, sie durch einen tüchtigen Schlag zu töten, gab er mir aus Leibeskräften einen so ungeheuren Schlag über den Kopf, daß ich besinnungslos und mit zerschlagenem Kopfe dalag. Als er aus dem lauten Winseln, das ich wohl wegen des unbarmherzigen Schlages ausstoßen mochte, merkte, daß er mich getroffen habe, kam er, wie er mir nachher erzählte, zu mir hin und rief mich mit lauter Stimme, um mich zu ermuntern; da er mich aber mit den Händen berührte und das viele Blut fühlte, das ich vergoß, und den Schaden gewahr wurde, den er mir zugefügt, lief er eiligst nach einem Lichte. Als er damit zurückkam, fand er mich stöhnend, noch immer mit meinem Schlüssel, den ich nicht hatte fahren lassen, im Munde, die eine Hälfte herausstehend, gerade in derselben Lage, die er gehabt haben mochte, als ich darauf pfiff. Der Schlangentöter, verwundert, was dies für ein Schlüssel sein könne, betrachtete ihn, nachdem er ihn mir ganz aus dem Munde gezogen hatte, und merkte nun, was er zu bedeuten habe, da er in der Form des Bartes von dem seinigen gar nicht verschieden war. Er probierte ihn auf der Stelle und fand dadurch die Gewißheit meines Verbrechens bestätigt. Darauf mag der grausame Jäger wohl gesagt haben: Nun habe ich doch die Maus und die Otter endlich erwischt, die gegen mich Krieg führten und mein Vermögen aufzehrten. – Was in den drei folgenden Tagen mit mir vorging, weiß ich nicht zu sagen; denn ich brachte sie in einem Walfischbauche zu, und das, was ich eben erzählt habe, hörte ich, als ich wieder zur Besinnung gekommen war, von meinem Herrn, der es allen denen, die zu ihm kamen, ausführlich erzählte. Nach Verlauf dreier Tage kam ich wieder zu mir selbst und fand mich auf meinem Stroh liegend, den Kopf mit Pflastern belegt und voller Öle und Salben. – Was ist denn das? fragte ich ganz verwundert. – Der grausame Pfarrer gab mir zur Antwort: Bei meiner Treu! es sind die Mäuse und Schlangen, die mich zugrunde richteten und die ich nun erjagt habe. – Ich besah mich und fand mich so übel zugerichtet, daß ich sogleich mein Unglück ahndete. Jetzt trat ein altes Weib herein, das durch Zauberei Krankheiten heilte, und mit ihm noch einige Nachbarn. Sie fingen an, mir die Lappen vom Kopfe zu wickeln und die Wunden zu verbinden, und da sie fanden, daß ich wieder bei Besinnung war, freuten sie sich sehr und sagten: Da er nun wieder zu sich gekommen ist, so hat es mit Gottes Hilfe nichts mehr zu bedeuten! – Und nun fingen sie von neuem an, mein Unglück zu erzählen und es zu belachen, und ich armer Sünder beweinte es. Dennoch gaben sie mir, da ich vor Hunger ganz erschöpft war, etwas zu essen, und kaum konnten sie mich ersättigen. So erholte ich mich nach und nach innerhalb vierzehn Tagen und befand mich außer Gefahr, obschon nicht ohne Hunger, und halb genesen. Gleich den Tag darauf, als ich aufgestanden war, nahm mich mein Herr bei der Hand, führte mich vor die Tür, und als wir auf der Straße waren, sagte er zu mir: Lazaro, von heute an gehörst du dir selbst an, nicht mir! Suche dir einen andern Herrn, und geh mit Gott; denn mich verlangt nicht danach, einen so fleißigen Diener in meiner Gesellschaft zu haben! Es ist gar nicht anders möglich, du mußt bei einem Blinden in Diensten gewesen sein! – Er kreuzigte sich vor mir, gleich als wäre ich vom Teufel besessen, kehrte ins Haus zurück und verschloß seine Tür. Viertes Kapitel Viertes Kapitel Wie Lazaro einem Edelmann diente und was ihm bei demselben begegnete. Ich sah mich also genötigt, aus Schwäche Stärke zu ziehen, und kam nach und nach, mit Hilfe guter Leute, in die berühmte Stadt Toledo, wo, Gott sei es gedankt! meine Wunde in vierzehn Tagen zuheilte. Während ich krank war, gab man mir immer einige Almosen, seit ich aber wieder gesund war, sagten mir alle: Du bist ein Taugenichts und Landstreicher! Suche dir einen Herrn, dem du dienen kannst! – Und wo soll ich denn diesen finden, fragte ich heimlich, wenn Gott ihn nicht erst erschafft, wie er die Welt erschuf? Als ich so mit sehr wenig Trost von Tür zu Türe ging (denn die Mildtätigkeit war schon wieder in den Himmel gestiegen), ließ mich Gott auf einen Edelmann stoßen, der, gut gekleidet und die Haare wohl gekräuselt, mit gravitätischen und abgemessenen Schritten über die Straße ging. Er sah mich an, und ich ihn, und sagte zu mir: Junge, suchst du einen Herrn? Ich antwortete ihm: Ja, mein Herr! Nun, so folge mir, erwiderte er. Gott hat dir eine große Gnade verliehen, daß du mich getroffen hast. Du mußt heute ein wirksames Gebet getan haben. Ich folgte ihm und dankte Gott für das, was ich ihn sagen hörte, und auch, weil er mir, nach seiner Kleidung und seinem Anstand zu schließen, gerade der Mann schien, den ich nötig hatte. Es war des Morgens, als ich diesen meinen dritten Herrn fand, und er führte mich durch den größten Teil der Stadt hinter sich her. Wir gingen über die Marktplätze, wo man Brot und andere Lebensmittel feil hatte, und ich glaubte und hoffte, er würde mich hier mit diesen Waren beladen, da es eben die rechte Zeit zum Einkaufen war; aber er ging mit großen Schritten vor allen diesen Dingen vorbei. Vielleicht, sagte ich, steht ihm dies nicht an, und wir werden wohl an einem andern Ort einkaufen. So gingen wir herum, bis es elf schlug. Jetzt trat er in die Domkirche, und ich hinter ihm her, und hier sah ich ihn sehr andächtig die Messe hören und dem übrigen Gottesdienst beiwohnen, bis alles geendigt war und die Leute sich wegbegaben. Nun traten auch wir aus der Kirche und gingen mit starken Schritten eine Straße hinunter. Ich war der vergnügteste Mensch von der Welt, da ich sah, daß wir uns gar nicht damit befaßten, Lebensmittel zu suchen, indem ich mir einbildete, mein neuer Herr müsse ein Mann sein, der sich mit allem im Ganzen versähe, und das Mittagsmahl würde schon angerichtet sein, wie ich es nur immer wünschen könnte und nötig hatte. Währenddes schlug es ein Uhr nachmittag, und wir kamen zu einem Hause, vor welchem mein Herr stehen blieb, und ich mit ihm. Nachdem er den Zipfel seines Mantels über die linke Schulter geschlagen hatte, holte er einen Schlüssel aus dem Ärmel und schloß die Tür auf. Wir traten in das Haus, welches einen so finstern und düstern Eingang hatte, daß es dem Eintretenden Furcht erweckte, wiewohl inwendig ein kleiner Hof und einige anständige Zimmer waren. Nachdem wir eingetreten, tat er seinen Mantel ab und fragte mich, ob ich saubere Hände habe; dann stäubten wir ihn ab, schlugen ihn zusammen, und als er eine steinerne Bank, die daselbst stand, rein abgeblasen hatte, legte er ihn darauf. Hierauf setzte er sich daneben und fragte mich sehr weitläufig aus, woher ich sei und wie ich in diese Stadt gekommen. Ich gab ihm ausführlichere Nachricht, als mir lieb war; denn es schien mir eher Zeit zu sein, den Tisch zu decken und die Suppe anrichten zu lassen, als diese Fragen an mich zu tun. Nichtsdestoweniger leistete ich ihm mit der Erzählung über meine eigene Person vollkommene Genüge und belog ihn, so gut ich konnte, indem ich ihm alles Gute von mir sagte und hingegen alles andere, was sich meinem Bedünken nach in einer Stube zu erzählen nicht ziemte, verschwieg. Hierauf verhielt er sich eine Zeitlang ganz stille, was ich sogleich für ein schlimmes Zeichen hielt; denn es war schon beinahe zwei Uhr, und ich sah ihn ebensowenig als einen Toten Lust zum Essen äußern. Außerdem überlegte ich auch, daß er die Tür verschlossen hielt und daß man weder oben noch unten im Hause Schritte einer lebendigen Seele hörte. Alles, was ich gesehen hatte, waren kahle Wände; es gab weder Stuhl noch Schemel, weder Bank noch Tisch, nicht einmal eine solche Kiste wie die bekannte. Kurz, es schien ein bezaubertes Haus zu sein. Nach einer Weile sagte er zu mir: Junge, hast du schon gegessen? – Nein Herr! antwortete ich; es hatte ja noch nicht acht geschlagen, als ich Eur Gnaden antraf. Obgleich es noch früh war, fuhr er fort, so hatte ich doch schon gefrühstückt, und ich muß dir sagen, wenn ich um diese Zeit etwas esse, so dauere ich damit bis abends. Deshalb sieh zu, wie du dich hinbringst; nachher wollen wir zu Abend essen. Eur Gnaden kann glauben, daß, als ich dies hörte, nicht viel fehlte, daß ich nicht in Ohnmacht gefallen wäre: nicht sowohl aus Hunger, als weil ich sah, daß mein Geschick immer mehr und mehr ungünstig wurde. Es stellten sich mir jetzt alle meine erlittenen Mühseligkeiten wieder vor Augen, und ich beweinte von neuen meine Drangsale. Es kam auch die Betrachtung in mein Gedächtnis zurück, die ich machte, als ich den Pfarrer zu verlassen gedachte, wo ich sagte, daß ich, obschon dieser filzig und geizig wäre, doch vielleicht einen noch schlimmern finden könnte. Ich beweinte mein vergangenes kummervolles Leben und meinen künftigen nahen Tod; doch suchte ich mich, so gut ich konnte, zu verstellen und sagte: Gnädiger Herr, ich bin ein Bursche, der sich, Gott sei Dank! aus dem Essen so gar viel nicht macht. Ich kann mich vor allen meinesgleichen vorzüglich der Mäßigkeit rühmen, und alle meine Herren, die ich bis jetzt gehabt habe, haben mich deshalb gelobt. Das ist eine große Tugend, sagte er, und du bist mir deshalb noch weit lieber; denn Gefräßigkeit ziemt den Schweinen, Mäßigkeit aber gesitteten Menschen. Ich habe dich wohl verstanden, sprach ich bei mir selbst; aber verflucht sei die Arznei und die Ergötzlichkeit, die alle meine Herren, welche ich treffe, im Hungern finden! Ich stellte mich in eine Ecke des Eingangs und zog einige Stückchen Brot aus dem Busen, die mir noch von dem, was ich um Gottes willen erhalten hatte, übriggeblieben waren. Wie er mich essen sah, sagte er: Komm einmal her, Knabe! was issest du denn? – Ich ging zu ihm hin und zeigte ihm das Brot. Er nahm mir von drei Stücken, die ich hatte, das beste und größte weg, indem er sagte: So wahr ich lebe, das scheint gutes Brot zu sein! – Wie, Herr, sagte ich, sollte es wohl noch gut sein? – Bei meiner Treu, es ist es! antwortete er; wo empfingst du es denn? ob es wohl von reinen Händen geknetet ist? – Das weiß ich nicht, gab ich ihm zur Antwort; aber sein Wohlgeschmack läßt mich nicht an Ekel denken. – Gott gebe, daß es so sei! fuhr mein armer Herr fort, und indem er es zum Munde brachte, fing er an, ebenso große Bisse hineinzutun als ich in das andere Stück. Bei Gott! sprach er dann, dieses Brot ist sehr schmackhaft. Wie ich gewahr wurde, wo ihn der Schuh drücke, eilte ich mit meiner Arbeit; denn ich merkte, daß er wohl imstande wäre, wenn er eher fertig würde als ich, sich herabzulassen, mir auch noch bei dem zu helfen, was ich übrig hätte. So wurden wir beinahe zugleich fertig. Hierauf schüttelte er einige kleine Brosamen ab, die auf seiner Halskrause liegen geblieben waren, ging in ein Kämmerchen, das sich in der Nähe befand, und holte einen nicht sehr neuen Krug mit abgebrochenem Halse heraus, und nachdem er getrunken hatte, bot er ihn mir dar. Ich, um den Enthaltsamen zu spielen, sagte: Gnädiger Herr, ich trinke keinen Wein. – Du kannst schon trinken, antwortete er mir, es ist Wasser. – Nun nahm ich den Krug, trank aber nicht viel; denn aus Durst entsprangen meine Leiden nicht. So blieben wir bis in die Nacht beisammen, von mancherlei Dingen sprechend, über die er mich befragte und die ich ihm, so gut ich konnte, beantwortete. Nun führte er mich in die Kammer, wo der Krug stand, aus welchem wir getrunken hatten, und sagte zu mir: Junge, tritt hierher und gib acht, wie das Bett gemacht werden muß, damit du in Zukunft betten kannst. – Ich stellte mich an das eine Ende und er sich an das andere, und so machten wir das schmutzige Bett, an dem nicht viel zu machen war. Es bestand nämlich aus einer Rohrmatte, die auf einigen Bänken lag; darüber war der Bettsack ausgebreitet, der zur Matratze diente, obgleich er nicht so aussah, da er nicht oft gewaschen sein mochte und viel weniger Wolle enthielt, als nötig war. Diesen dehnten wir, indem wir versuchten, ihn aufzulockern; das war aber unmöglich, denn das Harte läßt sich schwer weich machen. Der verfluchte Sack hatte so wenig in sich, daß, wenn er über der Rohrmatte lag, alle einzelnen Rohrhalme durchschienen und recht eigentlich dem Rückgrat eines abgezehrten Schweines glichen. Über dieser ausgehungerten Matratze lag eine Bettdecke von ähnlicher Beschaffenheit, deren Farbe ich nicht unterscheiden konnte. Das Bett war nun gemacht und die Nacht eingebrochen. Lazaro, sagte er zu mir, schon ist es spät, und von hier bis zum Markte ist es weit; überdies gibt es in dieser Stadt viele Spitzbuben, welche zur Nachtzeit Mäntel stehlen. Behelfen wir uns, so gut wir können; morgen früh wird Gott schon sorgen. Weil ich bis jetzt allein gelebt habe, so habe ich mir keinen Vorrat angeschafft, und ich habe auch diese Tage außer dem Hause gegessen; aber von jetzt an wollen wir es anders einrichten. Gnädiger Herr, erwiderte ich, meinetwegen machen sich doch Eur Gnaden ja keine Sorgen. Eine Nacht werde ich wohl ohne zu essen hinbringen, und wenn es nötig wäre auch noch mehre. Du wirst auch weit gesünder leben, antwortete er mir; denn, wie wir heute schon gesagt haben, es gibt, um lange zu leben, kein besseres Mittel auf der Welt, als wenig zu essen. Wenn dem also ist, sagte ich bei mir selbst, so werde ich niemals sterben; denn diese Regel habe ich aus Zwang immer befolgt, und ich hoffe auch, daß ich sie, bei meinem Unstern, mein ganzes Leben lang befolgen werde. Er ging nun zu Bette und machte aus seinen Hosen und aus seiner Weste ein Kopfkissen; mir befahl er, mich zu seinen Füßen zu legen, welches ich auch tat. Aber der Schlaf soll verwünscht sein, den ich genoß; denn die Rohrhalme und meine hervorstehenden Knochen waren die ganze Nacht hindurch miteinander in Zank und Streit. Ich hatte nämlich bei meinen Drangsalen und Unglücksfällen und bei meiner Hungersnot kein Pfund Fleisch mehr auf dem Leibe: und noch überdies, da ich diesen Tag beinahe gar nichts gegessen hatte, glaubte ich vor Hunger, der mit dem Schlafe in gar keiner Freundschaft steht, rasend zu werden. Den größten Teil der Nacht hindurch verwünschte ich (Gott verzeihe mir es!) tausendmal mich und mein Mißgeschick, und was das Schlimmste war, da ich es nicht wagte, mich umzuwenden, um ihn nicht aufzuwecken, so bat ich Gott vielmals um den Tod. Als der Tag angebrochen war, standen wir auf, und er fing sogleich an, seine Hosen, Weste, Rock und Mantel abzuputzen und auszustäuben. Er kleidete sich dann mit Bequemlichkeit und Muße an, und ich half ihm bei Kleinigkeiten und reichte ihm Waschwasser. Hierauf kämmte er sich, steckte seinen Degen in das Gehänge und sagte, während er dies tat: O Knabe, wenn du wüßtest, was für ein kostbares Stück dieser Degen ist! es gibt keine Mark Goldes auf der Welt, für die ich ihn hingäbe; denn bei keinem einzigen von allen denen, die Antonio verfertigt hat, ist ihm das Härten des Stahls so gut gelungen wie bei diesem! – Er zog ihn aus der Scheide und fuhr mit dem Finger darüber hin, indem er sagte: Besieh ihn nur einmal! ich mache mich verbindlich, mit ihm einen Rocken Wolle zu durchhauen. – Und ich, sagte ich heimlich, mit meinen Zähnen, obschon sie nicht von Stahl sind, ein Brot von vier Pfunden. Er steckte ihn wieder in die Scheide, gürtete sich ihn um, hing einen Rosenkranz mit großen Korallen an seinen Gürtel und ging mit gravitätischen Schritten und geradem Körper, mit welchem er, so wie auch mit dem Kopfe, sehr angenehme Bewegungen machte, zur Tür hinaus. Er schlug dabei das Ende des Mantels bald über die Schulter, bald über den Arm, setzte die rechte Hand in die Seite und sagte zu mir: Lazaro, gib auf das Haus acht, während ich ausgehe, die Messe zu hören, mache das Bett und hole in dem Kruge Wasser aus dem Flusse, der gleich hier unten fließt; schließe aber die Tür mit dem Schlüssel zu, damit man uns nichts stiehlt, und stecke den Schlüssel hier unter die Türangel, daß ich hereinkommen kann, wenn ich unterdessen zurückkommen sollte. Er ging die Straße hinauf mit einem so vornehmen Anstand und Wesen, daß, wer ihn nicht kannte, hätte glauben sollen, er wäre ein sehr naher Verwandter des Grafen von Arcos oder doch wenigstens sein Kammerdiener. Gebenedeit seist Du, o Herr! sagte ich, indem ich zurückblieb, der Du die Krankheit gibst, aber auch das Mittel dagegen. Wer, der meinem Herrn begegnet, sollte nicht, bei der Zufriedenheit, die er zeigt, denken, daß er gestern abend herrlich zu Nacht gegessen, daß er in einem vortrefflichen Bette geschlafen und, obgleich es noch früh ist, köstlich gefrühstückt habe? Groß, o Herr, sind die Geheimnisse, die Du wirkest und die den Menschen verborgen sind! Wen sollte dieses gute Ansehen, dieser ansehnliche Mantel und Rock nicht täuschen, und wer sollte es wohl glauben, daß dieser Kavalier den ganzen gestrigen Tag mit einem Stückchen Brot hingebracht hätte, das sein Bedienter Lazaro einen Tag und eine Nacht in dem Schrein seines Busens herumtrug, worin sich wohl nicht viel Reinliches befinden konnte? – Ganz gewiß wird es niemand argwöhnen, daß er heute, nachdem er sich die Hände und das Gesicht gewaschen, aus Mangel eines Handtuches sich eines Zipfels seines Rockes bediente. O Herr! wie viele solcher Menschen sind wohl in der Welt zerstreut, die für das Ungeheuer, welches sie Ehre nennen, weit mehr erdulden, als sie selbst für Dich ertragen würden! So stand ich, diese Dinge erwägend und betrachtend, an der Haustür, bis mein Herr und Gebieter die lange, schmale Straße hinunter war. Ich ging in das Haus zurück und in Zeit eines Credo durchlief ich es von oben bis unten, ohne mich aufzuhalten und ohne etwas zu finden, wobei ich es gekonnt hätte. Ich machte das schmutzige, harte Bett, nahm den Krug und ging nach dem Flusse, von wo aus ich meinen Herrn in einem Garten im zärtlichen Liebesgespräche mit zwei verschleierten Frauenzimmern erblickte, die dem Ansehen nach von denen waren, welche an diesem Orte nicht selten sind. Viele von ihnen haben die Gewohnheit, an den Sommermorgen längs dem kühlen Gestade des Flusses zu lustwandeln, um sich zu erfrischen und um zu frühstücken, wenn sie gleich nichts dazu mitbringen, mit dem Vertrauen, daß es nicht an jemand fehlen werde, der ihnen etwas anbietet, so, wie es auch bei den Edelleuten dieser Stadt Sitte ist. Mein Herr stand, wie gesagt, als ein zweiter Macias 1 zwischen ihnen, indem er ihnen mehr Süßigkeiten vorsagte, als selbst Ovid schrieb. Als sie sahen, daß er zärtlich wurde, schämten sie sich nicht, ihn für die gewöhnliche Bezahlung um ein Frühstück zu bitten. Da er sich aber in dem Beutel ebenso kalt als in dem Magen heiß fühlte, so überfiel ihn Hitze und Frost so heftig, daß er die Farbe seines Gesichtes veränderte; er fing an, sich in seinen Reden zu verwirren und kahle Entschuldigungen vorzubringen. Die Damen, die gut unterrichtet sein mochten, ließen ihn, als sie seine Krankheit bemerkten, für den, der er war, stehen. Ich hatte unterdessen in aller Schnelle zu meinem Frühstücke einige Kohlstrünke verzehrt und eilte nun, als ein neuer Bedienter, ohne von meinem Herrn bemerkt worden zu sein, nach Hause. Ich wollte einen Teil desselben auskehren, dessen es sehr bedürftig war, fand aber nichts, womit ich es hätte tun können. Ich überlegte nun, was ich vornehmen könnte, und es schien mir das Ratsamste zu sein, auf meinen Herrn bis Mittag zu warten, um zu sehen, ob er käme und etwas zu essen mitbrächte. Meine Hoffnung war aber vergebens. Wie ich daher sah, daß es schon zwei Uhr war und er noch nicht kam, und wie der Hunger mich zu sehr quälte, schloß ich meine Tür zu, legte den Schlüssel dahin, wohin es mir befohlen worden, und kehrte zu meinem alten Gewerbe zurück. Mit leiser und schwacher Stimme, die Hände auf die Brust gelegt, Gott vor Augen und seinen Namen auf der Zunge, fing ich an, vor den Türen und den Häusern, die mir die größten schienen, Brot zu betteln. Da ich dieses Gewerbe gleichsam mit der Muttermilch eingesogen hatte, oder vielmehr, da ich aus der Schule meines großen Meisters, des Blinden, als ein so geschickter Schüler gekommen war, so wußte ich doch, obgleich in dieser Stadt die Mildtätigkeit sehr selten und das Jahr nicht sehr ergiebig war, meine Geschicklichkeit so gut anzuwenden, daß ich, ehe noch die Glocke vier schlug, schon eben so viele Pfunde Brot in meinen Magen und mehr als zwei andere in die Ärmel und den Busen in Sicherheit gebracht hatte. Ich kehrte nun nach Hause zurück und sprach, da ich über den Kuttelnmarkt ging, eine Kaldaunenhökerin um Almosen an. Sie gab mir ein Stück Kuhfuß und etwas gekochte Kaldaunen. Als ich nach Hause kam, war mein guter Herr schon daselbst, hatte seinen Mantel zusammengeschlagen und auf die Bank gelegt und ging im Hofe spazieren. Wie ich hineintrat, kam er auf mich zu, wie ich glaubte, um mich wegen meines langen Ausbleibens auszuzanken; aber Gott schickte es besser. Er fragte mich, woher ich käme, und ich antwortete ihm: Gnädiger Herr, bis um zwei Uhr habe ich hier gewartet, und wie ich sah, daß Eur Gnaden nicht kamen, ging ich durch die Stadt, um mich guten Leuten zu empfehlen, die mir auch das gegeben haben, was Ihr hier seht. – Ich zeigte ihm das Brot und die Kaldaunen, die ich im Rockzipfel trug. Er machte jetzt ein sehr freundliches Gesicht und sagte: Nun, ich habe mit dem Essen auf dich gewartet, wie ich aber sah, daß du nicht kamst, habe ich gegessen. Du handelst aber hierin wie ein rechtschaffener Mann; denn es ziemt sich weit eher, etwas um Gottes willen zu erbitten, als es zu stehlen; und so helfe mir Gott, wie ich dies für gut halte. Nur das einzige befehl' ich dir an, laß es um meiner Ehre willen niemand merken, daß du bei mir lebst, wiewohl ich glaube, daß es geheim bleiben wird, da ich in dieser Stadt, in die ich niemals hätte gekommen sein mögen, so wenig bekannt bin. Sein deshalb der gnädige Herr ohne Sorgen, antwortete ich ihm; niemand hat mich um diese Auskunft zu fragen, und ich brauche sie ja nicht zu geben. So iß nun, armer Schelm, fuhr er fort; bald werden wir uns, so Gott will, außer aller Not sehen. Ich muß dir aber sagen, daß mir, seit ich in dieses Haus getreten bin, nichts nach Wunsch gegangen ist. Es muß auf einen schlechten Grund gebaut sein; denn es gibt solche unselige, schlecht gegründete Häuser, die über die, welche darin wohnen, nichts als Unglück bringen. Dieses muß ohne Zweifel ein solches sein; aber ich verspreche dir, daß ich nach Ablauf dieses Monats nicht länger darin bleiben werde, wenn man mir es auch gleich schenken wollte. Ich setzte mich nun ans Ende der steinernen Bank, und damit er mich nicht für einen Vielfraß halten möchte, verschwieg ich das schon verzehrte Vesperbrot und fing an, zu Abend zu speisen und in die Kaldaunen und in das Brot zu beißen. Verstohlnerweise blickte ich dabei nach meinem unglücklichen Herrn, welcher kein Aug' von meinem Schoße verwendete, der mir damals als Teller diente. Gott möge ebensoviel Mitleid mit mir haben, als ich mit ihm hatte; denn ich fühlte, was er empfand, und hatte dasselbe oft genug an mir selbst erfahren und erfuhr es noch täglich. Ich überlegte, ob es wohl schicklich wäre, ihn zu Gaste zu bitten; da er mir aber gesagt hatte, er habe schon gegessen, so fürchtete ich, er würde meine Einladung nicht annehmen. Ich wünschte aber sehr, daß der arme Sünder seinem Übel durch meine Arbeit abhelfen und mit mir frühstücken möchte, wie er den Tag zuvor getan hatte, besonders da ich besser darauf eingerichtet war; denn meine Gerichte waren besser und mein Hunger geringer. Und Gott wollte meinen und, wie ich glaube, auch seinen Wunsch erfüllen. Als ich nämlich zu essen anfing, spazierte er auf und ab; dann trat er zu mir und sagte: Ich versichere dir, Lazaro, du hast den herrlichsten Anstand beim Essen, den ich je in meinem Leben an einem Menschen sah, so daß dir niemand zusehen kann, dem du nicht Appetit machtest, wenn er schon auch keinen hat. Der vortreffliche, den du schon hast, sagte ich bei mir selbst, wird dich wohl meinen Anstand so schön finden lassen. Nun glaubte ich aber ihm helfen zu müssen, da er sich selbst zu helfen suchte und mir den Weg dazu öffnete, und sagte deshalb zu ihm: Gnädiger Herr, eine gute Zurüstung macht einen guten Künstler! Dieses Brot ist außerordentlich schmackhaft, und dieser Kuhfuß ist so vortrefflich gekocht und gewürzt, daß es wohl niemanden geben wird, den er nicht durch seinen Geschmack einlüde. Einen Kuhfuß hast du? fragte er mich. Ja, gnädiger Herr, erwiderte ich ihm. Das ist der beste Bissen auf der Welt, sag' ich dir, fuhr er fort, und kein Fasan ist mir so lieb. Nun, so koste ihn der gnädige Herr, sagte ich dar auf, und er wird finden, daß es so ist. Ich gab ihm den Kuhfuß und drei bis vier Stücke von dem weißesten Brote in die Hand. Er setzte sich neben mich und fing an zu essen wie einer, der sehr guten Appetit hat, indem er jedes Knöchelchen abnagte, besser als ein Windhund es würde getan haben. Mit einer Knoblauchbrühe, sagte er, ist dies ein ganz köstliches Essen. Du ißt es mit einer noch bessern Brühe, sagte ich heimlich. Bei Gott! fuhr er fort, es hat mir geschmeckt, als ob ich heute noch keinen Bissen gegessen hätte. So gewiß als dies der Fall ist, sprach ich zu mir, so gewiß möge ich glückliche Jahre erleben. Er verlangte nun den Wasserkrug, und ich reichte ihm denselben, wie ich ihn geholt hatte, ein Beweis, daß sich mein Herr mit seiner Mahlzeit eben nicht überladen haben mochte, da an dem Wasser nichts fehlte. Wir tranken und gingen sehr vergnügt schlafen, wie die vorige Nacht. Und um nicht weitschweifig zu werden, solchergestalt lebten wir acht bis zehn Tage miteinander, indem der arme Sünder des Morgens mit jener Zufriedenheit und jenem gravitätischen Gange durch die Straßen spazierte, um frische Luft zu schöpfen, während er an dem armen Lazaro einen wahren Wolfskopf besaß 2 . Ich stellte öfters über mein Mißgeschick Betrachtungen an, wie ich, nachdem ich den schlechten Herren, die ich gehabt hatte, entlaufen war, um Verbesserung zu suchen, gar einen gefunden hatte, der nicht nur mich nicht ernährte, sondern den ich auch noch ernähren mußte. Bei alledem war er mir dennoch sehr lieb, weil ich sah, daß er nicht mehr hatte noch konnte, und ich fühlte mehr Mitleid als Haß gegen ihn. Oftmals lebte ich selbst schlecht, um etwas nach Hause zu bringen, wovon er leben könnte. Denn eines Morgens, als der arme Schelm im Hemde aufstand und auf den Hausboden ging, um etwas Nötiges zu verrichten, durchsuchte ich unterdes, um darüber aus allem Zweifel zu kommen, seine Weste und Hosen, die er auf dem Kopfkissen zurückgelassen hatte, und fand darin ein Beutelchen von glattem Sammet, in hundert Falten gedrückt, in welchem sich weder eine einzige Blanke befand noch ein Merkmal, daß seit langer Zeit eine darin gewesen war. Dieser, sagte ich, ist arm, und niemand kann etwas geben, wenn er selbst nichts hat; aber der geizige Blinde und der verruchte Filz von Pfarrer, denen beiden es Gott gab, dem einen durch einen Handkuß und dem andern durch eine gewandte Zunge, ließen mich Hungers sterben. Diese verdienen Haß, aber jener Mitleid. Gott ist mein Zeuge, daß ich noch heutigen Tages, wenn mir einer mit ähnlicher Kleidung oder mit seinem Schritt und Anstand begegnet, Mitleid mit ihm habe, weil ich mir einbilde, daß er eben das leidet, was ich den ertragen sah, welchem ich, bei aller seiner Armut, weit lieber gedient habe als den andern, aus schon erwähnten Ursachen. In einem einzigen Stücke mißfiel er mir. Ich hätte nämlich gewünscht, er möchte nicht so viel Stolz besitzen und seinen Eigendünkel ein wenig herabstimmen, da doch seine Not so groß war. Wie mir es aber scheint, ist es unter dieser Art von Menschen angenommene und befolgte Regel, von der sie nicht abweichen, daß, wenn sie gleich keinen Cornado zu wechseln haben, doch das Barett an seinem Orte stehen muß. Dafür mag Gott der Herr helfen, sonst sterben sie noch alle an diesem Übel! So stand es mit mir, und so lebte ich, wie ich eben erzählt habe; aber mein widerwärtiges Schicksal, das noch nicht satt war, mich zu verfolgen, wollte nicht, daß diese mühselige und entehrende Lebensart für mich von längerer Dauer wäre. Es begab sich nämlich folgendermaßen: da in der dasigen Gegend ein brotarmes Jahr war, wurde in der Ratsversammlung der Beschluß gefaßt, daß alle fremden Armen die Stadt verlassen sollten, und es wurde zugleich bekannt gemacht, daß der, der von nun an ertappt würde, gestäupt werden sollte. Dieser Befehl wurde so streng vollzogen, daß ich schon den vierten Tag nach seiner Bekanntmachung eine Prozession solcher Armen unter Staupenschlägen durch die Straßen führen sah. Dies erfüllte mich mit so großer Furcht, daß ich es nicht wagte, den Befehl zu übertreten und zu betteln. Nun hätte man die Enthaltsamkeit in unserm Hause und die Traurigkeit und Stille seiner Bewohner sehen sollen! Es ging so weit, daß wir zwei bis drei Tage zubrachten, ohne einen Bissen zu essen und ohne ein Wort zu reden. Mir erhielten ein paar Weiber das Leben, die Baumwolle spannen und Mützen machten und gleich neben uns wohnten. Mit ihnen unterhielt ich Nachbarschaft und Bekanntschaft, und sie gaben mir von dem wenigen, was sie verdienten, etwas weniges ab, womit ich mich sehr kümmerlich hinbrachte. Ich hatte aber mit mir selbst weniger Mitleid als mit meinem armen Herrn; denn in acht Tagen verzehrte er nicht einen einzigen Bissen; wenigstens zu Hause aßen wir nichts, und ich weiß auch nicht, wann und wohin er ging und was er aß. Um Mittag sah ich ihn immer die Straße herunterkommen, mit gedehntem Körper und dünner als ein Windspiel von echter Rasse. Seiner nichtigen sogenannten Ehre wegen nahm er dann einen Strohhalm von denen, die in unserm Strohsack gerade nicht überzählig waren, trat in die Tür und stocherte seine Zähne, in denen doch nichts war, indem er sich dazu immer über die schlechte Wohnung beklagte. – Es ist doch schrecklich, sagte er, was für Unglück uns dieses Haus bringt. Wie du siehst, ist es düster, traurig und dunkel, und so lange wir hier wohnen, werden wir noch manches Ungemach zu ertragen haben; deshalb wünsche ich, daß nur dieser Monat zu Ende sein möchte, damit wir herausziehen können. Während wir nun diese Verfolgung des Elends und Hungers ertrugen, gelangte mein Herr eines Tages, ich weiß nicht durch welchen Zufall oder durch welches Glück, zu dem armseligen Besitz eines Reals, mit welchem er so vergnügt nach Hause kam, als ob er den Schatz von Venedig besäße. Mit einem fröhlichen und lächelnden Gesichte gab er ihn mir und sagte: Nimm, Lazaro! Gott fängt schon an seine Hand aufzutun! Geh auf den Markt, kaufe Brot, Wein und Fleisch, wir wollen einmal dem Teufel ein Auge ausschlagen. Und damit du dich noch mehr freust, so wisse, daß ich ein anderes Haus gemietet habe und daß wir in diesem unseligen nicht länger als bis zu Ende des Monats bleiben werden. Verflucht sei es und auch der, der den ersten Stein dazu gelegt hat; denn zu meinem Unglück bin ich in dasselbe gekommen! Bei Gott, unserm Herrn! seit ich hier wohne, habe ich weder einen Tropfen Wein getrunken noch einen Bissen Fleisch gegessen, noch habe ich sonst einen guten Tag gehabt: ein solches Ansehen, eine solche Dunkelheit und Düsterheit hat es. Nun laufe und komme bald zurück; wir wollen heute wie Grafen schmausen! Ich nahm meinen Real und Krug, und indem ich meine Füße in Bewegung setzte, ging ich eilig und über die Maßen vergnügt und wohlgemut die Straße hinauf, dem Markte zu. Aber wozu nützte mir es, da es in meinem unglücklichen Geschick beschlossen war, daß keine Freude ohne Leid bei mir einkehren sollte? Und so war es auch diesmal; denn als ich die Straße hinaufging und meine Berechnung machte, wozu der Real am besten und vorteilhaftesten anzuwenden wäre, und dabei Gott tausendfachen Dank sagte, daß er meinen Herrn mit Geld versehen hatte, kam mir ganz unerwartet eine Leiche entgegen, die man, von der Geistlichkeit und vielem Volke begleitet, auf einer Bahre trug. Ich drückte mich an die Mauer an, um ihnen Platz zu machen. Als die Leiche vorbei war, kam gleich hinter der Bahre ein Weib in tiefer Trauer, das die Frau des Verstorbenen sein mochte, und mit ihr noch viele andere Weiber. Sie weinte laut und rief: Mein Herr und Gemahl, wohin bringt man dich! In das traurige, unglückselige Haus, in die dunkle, düstre Wohnung, in das Haus, wo man weder ißt noch trinkt! Als ich dies hörte, verwirrte sich vor mir Himmel und Erde, und ich schrie: Ach ich Unglücklicher! in mein Haus tragen sie den Toten! – Ich kehrte sogleich um, drängte mich mitten durch die Leute und lief, so schnell ich konnte, die Straße wieder hinunter nach unserm Hause. Ich sprang hinein, verschloß mit der größten Eile die Tür und rief meinen Herrn um Hilfe und Beistand an, indem ich ihn flehentlich bat, mir den Eingang verteidigen zu helfen. Er wurde darüber etwas bestürzt, weil er glaubte, es möchte etwas anderes sein, und sagte zu mir: Was gibt es denn, Junge? Was schreist du? Was hast du denn, daß du die Tür mit einer solchen Wut verschließest? O gnädiger Herr! antwortete ich ihm, helft mir nur! Sie bringen uns einen Toten herein. Wieso? sagte er. Dort oben bin ich ihm begegnet, fuhr ich fort, und seine Frau rief immer: Mein Herr und Gemahl, wohin bringt man dich? In das düstre und finstre Haus, in die traurige, unglückselige Wohnung, in das Haus, wo man weder ißt noch trinkt! – Hieher bringen sie ihn uns, gnädiger Herr! Als mein Herr dies hörte, lachte er, obgleich er eben keine Lust zu lachen hatte, so sehr, daß er lange Zeit kein Wort vorbringen konnte. Ich hatte indes die Tür verriegelt, auch noch zu stärkerer Verteidigung meine Schulter davorgestemmt. Die Leute zogen mit ihrem Toten vorüber, aber ich besorgte noch immer, sie möchten ihn uns ins Haus bringen. Als endlich mein guter Herr satt war, mehr vom Lachen als vom Essen, sagte er zu mir: Es ist wahr, Lazaro, nach dem, was die Witwe sagte, hattest du ganz recht, das zu glauben, was du geglaubt hast; da es aber Gott besser geschickt hat und sie weitergezogen sind, so öffne, öffne und hole etwas zu essen! Gnädiger Herr, erwiderte ich ihm, laßt sie nur erst die Straße vollends hinunter. Endlich kam mein Herr an die Haustür und öffnete sie mit Gewalt, was auch bei der Furcht und Angst, die ich hatte, nötig war. Ich machte mich nun von neuem auf den Weg. Obgleich wir diesen Tag sehr gut speisten, so hatte ich doch keinen Appetit, und ich erhielt kaum in den drei folgenden Tagen meine Farbe wieder. Mein Herr konnte sich des Lachens nicht enthalten, wenn ihm meine Angst in den Sinn kam. Auf diese Weise lebte ich mit diesem Edelmann, meinem dritten, armen Herrn, mehrere Tage und wünschte immer die Ursache seiner Ankunft und seines Aufenthaltes in dieser Stadt zu wissen; denn vom ersten Tage an, wo ich bei ihm in Dienste trat, merkte ich aus der wenigen Bekanntschaft und dem seltenen Umgang, den er mit den Einwohnern hatte, daß er ein Fremder war. Endlich wurde mein Wunsch erfüllt, und ich erfuhr das, was ich gern wissen wollte. Als wir nämlich eines Tages wacker geschmaust hatten und er ziemlich aufgelegt war, erzählte er mir seine Vermögensumstände und sagte mir, daß er aus Altkastilien gebürtig wäre und daß er sein Vaterland aus keiner erheblichern Ursache verlassen hätte, als weil er vor einem Edelmann, seinem Nachbar, den Hut nicht habe abziehen wollen. Gnädiger Herr, sagte ich, wenn er das war, was Ihr sagt, und dazu mehr besaß als Ihr, so war es nicht unschicklich, daß Ihr zuerst den Hut abtatet, besonders da jener, wie Ihr sagt, ihn auch für Euch abtat. Das ist alles wahr, fuhr er fort; er grüßte mich wohl auch, aber unter so vielen Malen, als ich meinen Hut vor ihm zuerst zog, wäre es doch kein Unglück gewesen, wenn er sich einmal bequemt hätte, mir zuvorzukommen. Mich deucht, gnädiger Herr, sagte ich, ich würde gar nicht darauf achten, vornehmlich wenn einer mehr wäre und mehr hätte als ich. Du bist noch ein Knabe, entgegnete er, und hast noch kein Gefühl für Ehre, in der heutzutage der ganze Reichtum rechtschaffener Männer besteht. Du mußt wissen, ich bin, wie du siehst, ein armer Edelmann; aber ich schwöre dir bei Gott, daß ich, wenn ein Graf mir auf der Straße begegnet und nicht, wie sich's gebührt, den Hut vor mir abzieht, das nächste Mal, wenn ich wieder auf ihn stoße, in ein Haus trete, indem ich tue, als ob ich darin ein Geschäft habe, oder in eine Seitengasse gehe, wenn es eine gibt, ehe er mit mir zusammentrifft, um ihn nicht zu grüßen. Ein Edelmann ist außer Gott und dem Könige niemand etwas schuldig, und es ist nicht recht, wenn ein rechtschaffener Mann es nur einen Augenblick versäumt, seine Person zu achten. Ich erinnere mich, daß ich einmal in meiner Heimat einen Handwerksmann beschimpfte und im Begriff war, Hand an ihn zu legen; denn so oft er mir begegnete, sagte er zu mir: Gott behüte Eur Gnaden! – Grober Bauer! fuhr ich ihn an, warum hast du dich nicht besser erziehen lassen? Gott behüte Euch, willst du zu mir sagen, gleich als ob ich, ich weiß nicht, wer wäre? – Von der Zeit an zog er seinen Filz schon von weitem vor mir ab und sprach, wie sich's gehörte. Ist es denn keine gute Art, fragte ich, wenn ein Mann den andern mit Gott behüt' Euch! grüßt? Wisse ins Henkers Namen, Junge, sagte er, gemeine Leute kann man auf diese Art grüßen; aber zu Männern von Stande, wie ich bin, kann man nicht weniger sagen als: Ich küsse Eur Gnaden die Hände! oder zum wenigsten: Sennor, ich küsse Euch die Hände! – wenn nämlich der, welcher zu mir spricht, auch Edelmann ist. Deshalb wollte ich es nicht von dem in meiner Vaterstadt, der mich mit einem Behüteuch begrüßte, leiden, und litt es nicht, und werde es auch von keinem Menschen auf der Welt, vom König an, leiden, daß man mir sage: Behüt' Euch Gott! O weh! sagte ich; deshalb trägt Gott so wenig Sorge, dich zu behüten, weil du nicht leiden willst, daß ihn jemand darum für dich bitte. Und noch überdies, fuhr er weiter fort, bin ich auch nicht so ganz arm; denn ich besitze in meinem Vaterland einen Bauplatz. Wenn auf diesem wohleingerichtete Häuser standen und sechzehn Meilen von meinem Geburtsort entfernt, an dem Hügel von Valladolid lägen, würden sie mehr als zweimal hunderttausend Maravedis wert sein: zumal da man sie groß und stattlich bauen könnte. Auch einen Taubenschlag besitze ich, der, wenn er nicht eingestürzt wäre, jährlich mehr als zweihundert junge Tauben liefern würde; und noch andere Dinge verschweige ich, die ich um meiner Ehre willen im Stiche ließ. Ich kam in diese Stadt, in der Hoffnung, eine gute Anstellung zu erlangen; es ist mir aber nicht geglückt, wie ich dachte. Canonici und geistliche Herren fand ich genug; das ist aber ein so beschränktes Volk, daß die ganze Welt es nicht aus seinem Gleise bringen kann. Edelleute vom Mittelschlage sprechen mich wohl an; aber diesen zu dienen, ist eine schwere Arbeit. Denn wenn Ihr am Ausspielen seid, wollen sie, daß Ihr die Manille haben sollt: wo nicht, so sagen sie Euch: Geh mit Gott! Und noch dazu schieben sie größtenteils ihre Zahlungen auf die lange Bank, und ihre sicherste Zahlung ist die Kost für den Dienst. Wenn sie ja einmal ihr Gewissen reinigen und Euch Euern Schweiß vergelten wollen, so geben sie Euch eine Anweisung auf ihre Kleiderkammer, auf eine verschwitzte Weste oder einen abgeschabten Mantel oder Rock. Wer aber bei einem großen Herrn Dienste erlangen kann, der läßt sein Elend hinter sich. Oder vielleicht habe ich nicht so viel Geschicklichkeit, einen solchen zu seiner Zufriedenheit zu bedienen! Bei Gott! wenn ich zu einem kommen könnte, ich würde bald sein größter Vertrauter sein und würde ihm tausend Dienstleistungen zu erzeigen wissen; denn ich wollte ihn belügen so gut als ein anderer und mich fest in seine Gunst setzen; seinen Witz, seine Gewohnheiten, wenn sie auch eben nicht die besten von der Welt wären, würde ich sehr belachen; ich würde keiner Sache erwähnen, die ihm unangenehm sein könnte, wenn sie auch von noch so großer Wichtigkeit für ihn wäre. In seiner Gegenwart würde ich in Worten und Werken sehr emsig sein; ich würde mich aber nicht zerreißen, Dinge, die er nicht zu sehen bekäme, vorzüglich gut zu machen. Das Hausgesinde wollte ich da, wo er es hören könnte, ausschelten; denn es würde scheinen, als ob ich mich um seine Sachen sorgfältig bekümmere. Wenn er mit einem Bedienten zankte, würde ich ihm einige scharfe Stiche geben, um seinen Zorn zu entflammen, auf eine Art, daß es scheinen müßte, als täte ich es zugunsten des Schuldigen. Von dem, dem er geneigt wäre, würde ich alles Gute sagen, so wie ich im Gegenteil der boshafteste Spötter sein würde. Das Hausgesinde und Fremde würde ich verleumden: auch würde ich es mir angelegen sein lassen, die Lebensweise anderer Leute zu erfahren, um sie ihm wiederzuerzählen, und ich würde mich noch außerdem tausenderlei Ränke befleißigen, deren man sich heutzutage in den Palästen bedient und an denen die Großen Wohlgefallen finden. Denn sie mögen in ihren Häusern keine redlichen Menschen leiden, ja sie hassen und verachten sie und nennen sie Dummköpfe und sagen, sie seien Menschen, die sich zu keinem Geschäft schickten und die ihren Herren die Langeweile nicht zu vertreiben wüßten. Solcher Mittel bedienen sich, wie gesagt, heutzutage die Schlauköpfe, deren auch ich mich bedienen würde; leider aber läßt mich mein Mißgeschick keine solche Gelegenheit finden. Dergestalt beklagte mein Herr sein widriges Schicksal und gab mir Auskunft über seine würdige Person. Indem traten ein Mann und ein altes Weib zur Tür herein; der Mann verlangte die Miete für das Haus, und die Alte für das Bett. Sie machten ihre Rechnung, und es kam ihnen für zwei Monate so viel zu, als er in einem ganzen Jahre nicht hätte zusammenbringen können: ich glaube, es waren zwölf oder dreizehn Reale. Er gab ihnen eine sehr artige Antwort und sagte, er wolle auf den Markt gehen, um eine Dublone zu wechseln, und sie möchten nur gegen Abend wiederkommen. Sein Ausgang war aber ohne Wiederkehr, so daß, als sie später wiederkamen, es zu spät war. Ich sagte ihnen, daß er noch nicht zurückgekehrt sei. Als die Nacht kam und er nicht, fürchtete ich mich, allein im Hause zu bleiben; ich ging deshalb zu den Nachbarinnen, erzählte ihnen den Vorfall und schlief bei ihnen. Des andern Morgens stellten sich die Gläubiger wieder ein und erkundigten sich an der Nachbarstür nach ihm. Die Weiber sagten ihnen: Hier ist sein Junge und der Schlüssel zur Haustür. Sie fragten mich nun nach ihm, und ich gab ihnen Antwort, daß ich nicht wüßte, wo er wäre, daß er auch nicht wieder nach Hause gekommen sei, nachdem er ausgegangen, das Geld zu wechseln, und daß ich vermutete, er habe sich mit der gewechselten Münze von mir und von ihnen fortgemacht. Als sie dies von mir hörten, liefen sie nach einem Alguazil und einem Notar, mit welchem sie sogleich zurückkamen. Sie nahmen den Schlüssel, riefen mich, riefen Zeugen und öffneten die Tür. Dann gingen sie hinein, um auf das Hausgeräte meines Herrn Beschlag zu legen, bis sie die Bezahlung ihrer Schuld erhalten hätten. Sie durchliefen das ganze Haus und fanden es leer, wie ich schon erzählt habe. Darauf sagten sie zu mir: Wo sind denn die Sachen deines Herrn, seine Kisten und Teppiche, sein Hausgeräte? Das weiß ich nicht! antwortete ich. Ohne Zweifel, sagten sie darauf, haben sie diese Nacht alles ausgeräumt und an einen andern Ort geschafft. Herr Alguazil, haltet nur diesen Burschen fest; der weiß es, wo es steckt. Der Alguazil trat zu mir und faßte mich beim Halskragen, indem er sagte: Junge, du wirst ins Gefängnis gebracht, wenn du nicht bekennst, wo das Vermögen deines Herrn steckt. In einer solchen Lage hatte ich mich noch nie befunden; denn wenn ich gleich vielmals beim Kragen gefaßt worden war, so war ich doch nur ganz sanft an demselben gehalten worden, um dem, der nicht sah, den Weg zu zeigen. Ich hatte daher große Furcht und versprach weinend, alles zu sagen, was sie mich fragen würden. – Wohl, sprachen sie, so sage frei, was du weißt, und sei ohne Furcht. Der Notar setzte sich auf eine steinerne Bank, um das Inventarium zu schreiben, indem er mich fragte, was denn da wäre. Meine Herren, sagte ich, alles was mein Herr besitzt, ist, wie er mir gesagt hat, ein sehr schöner Bauplatz und ein verfallener Taubenschlag. Gut, sagten sie; so wenig das auch wert ist, so reicht es doch zu, uns für die Schuld bezahlt zu machen. Und in welcher Gegend der Stadt besitzt er denn dies? fragten sie weiter. In seiner Heimat, erwiderte ich ihnen. Bei Gott! sagten sie, jetzt steht es vortrefflich mit unserem Geschäfte. Und wo ist seine Heimat? Er sagte mir, daß er aus Altkastilien wäre, gab ich zur Antwort. Der Alguazil und der Notar lachten sehr und sagten: Wir haben nun Bericht genug, um eure Schuld einzuziehen, und wenn sie noch größer wäre. Die Nachbarinnen, welche zugegen waren, sagten: Ihr Herren, der Bursche ist ein unschuldiges Kind und nur erst seit einigen Tagen bei diesem Edelmann; er weiß von ihm nicht mehr als Eur Gnaden. Der arme Schelm kam hieher in unser Haus, und wir haben ihm oft um Gottes willen zu essen gegeben, so viel wir konnten, und des Nachts ging er zu seinem Herrn schlafen. Als sie sich von meiner Unschuld überzeugt hatten, ließen sie mich los und gaben mich frei. Der Alguazil und der Notar forderten von dem Manne und der Frau ihre Gebühren, worüber diese einen großen Zank und Lärm erhoben; denn sie behaupteten, sie wären nichts zu bezahlen schuldig, weil nichts da wäre, wovon dies geschehen könne, und weil man auf nichts Beschlag gelegt habe. Jene entgegneten aber, sie hätten, weil sie hieher gegangen wären, ein anderes Geschäft versäumt, das ihnen mehr würde eingebracht haben. Endlich, nach langem Zanken, lud ein Gerichtsdiener das alte Bett der Alten auf, woran er nicht schwer zu tragen hatte, und alle fünfe zogen unter lautem Schreien fort, und ich weiß nicht, was für einen Ausgang es genommen hat. Ich glaube aber, daß das arme Bett für alle bezahlen mußte, und das hatte es auch wohl verdient; denn zu der Zeit, wo es sich hätte von seinen erlittenen Mühseligkeiten erholen und ausruhen sollen, mußte es noch als Mietstück herumwandern. Solchergestalt verließ mich, wie ich eben erzählt habe, mein dritter, armer Herr, wobei ich mein widriges Schicksal recht aus dem Grunde kennen lernte; denn indem es alles gegen mich aufbot, was es nur konnte, machte es, daß es mir mit meinem Tun so verkehrt ging, daß, wenn gewöhnlich die Herren von ihren Bedienten verlassen werden, es bei mir umgekehrt war, indem mich mein Herr verließ und von mir lief. Fußnoten 1 Macias, mit dem Beinamen der Verliebte , war ein galicischer Dichter und Ritter, der in der ersten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts lebte und sich als tapferer Streiter gegen die Araber in Granada auszeichnete. Er war ein Freund schwärmerischer Liebe in Versen und im wirklichen Leben, die ihm zuletzt den Tod durch die Hand eines eifersüchtigen Ehemannes zuzog. 2 In Spanien ist es gewöhnlich, daß der, welcher einen Wolf erlegt, dessen Kopf in den Dörfern herumträgt und Geschenke dafür erhält. Fünftes Kapitel Fünftes Kapitel Wie Lazaro einem barmherzigen Bruder diente und was ihm bei diesem widerfuhr. Ich mußte nun den vierten Herrn suchen, welcher ein barmherziger Bruder war, den die beiden erwähnten guten Weiber mir zuführten und den sie ihren Verwandten nannten. Er war ein großer Feind vom Chore und von der Konventtafel, liebte es hingegen leidenschaftlich, auswärts herumzugehen, und war der größte Freund von weltlichen Geschäften und von Besuchen, so daß ich glaube, er zerriß mehr Schuhe als das ganze übrige Kloster. Er gab mir die ersten Schuhe, die ich in meinem Leben zerrissen habe; aber sie hielten nicht acht Tage aus, und auch ich konnte bei seinem Herumrennen nicht länger aushalten. Deshalb und noch wegen mancher anderer Kleinigkeiten, die ich nicht erwähnen will, verließ ich ihn. Sechstes Kapitel Sechstes Kapitel Wie sich Lazaro zu einem Bullenkrämer in Dienste begab, und von den Vorfällen, die ihm bei demselben zustießen. Der fünfte, den mich mein Glück finden ließ, war ein Verkäufer päpstlicher Bullen, der unverschämteste, frechste Mensch und ein so großer Mäkler mit diesen Dingen, als ich jemals sah, noch zu sehen hoffe, noch glaube, daß ihn jemand gesehen hat; denn er besaß dazu die feinsten Eigenschaften, Kniffe und Anschläge und suchte sich solche zu eigen zu machen. Wenn er in Dörfer kam, wo er die Bullen ausbieten wollte, so machte er zuerst den Pfarrherren oder Priestern Kleinigkeiten von wenig Wert und Gehalt zum Geschenke, als ein Gericht Lattich aus Murcia, wenn es gerade die Jahreszeit dazu war, ein paar Zitronen oder Pomeranzen, eine Quitte, oder ein paar Pfirsichen, oder irgend einige Birnen. So suchte er ihre Gunst zu gewinnen, damit sie aus Dankbarkeit sein Geschäft unterstützten und ihre Pfarrkinder ermahnten, Bullen zu kaufen. Er zog auch immer Erkundigungen über ihre Geschicklichkeit ein. Wenn man ihm sagte, daß sie Lateinisch verständen, so sprach er kein Wort in dieser Sprache, um keine Blöße zu geben, sondern er bediente sich eines zierlichen und sehr reinen Spanisch, das er vollkommen gut sprach; wußte er aber, daß die erwähnten Pfarrherren von den Hochwürdigen waren (ich meine von denen, die mehr durch Geld als wegen ihrer Wissenschaft und Verdienste geweiht werden), so war er unter ihnen ein heiliger Thomas und sprach ein paar Stunden lang Latein, wenigstens schien es dies, wenn es auch keins war. Wenn man die Bullen nicht auf guten Wegen nahm, so schlug er die schlimmsten ein, um sie loszuwerden, fügte deshalb dem Volke viel Drangsal zu und bediente sich zuweilen der sinnreichsten Kunstgriffe. Weil es zu weit führen würde, alle, die ich ihn anwenden sah, zu erzählen, so will ich nur einen erwähnen, der sehr fein und lustig war und womit ich sein Geschick hinlänglich beweisen werde. In einem Dorfe im Sprengel von Toledo hatte er zwei oder drei Tage gepredigt und alle seine gewöhnliche Kraft aufgeboten, ohne daß jemand eine Bulle gekauft oder nach meinem Dafürhalten Lust gehabt hätte, eine zu kaufen. Er glaubte deshalb verzweifeln zu müssen, und nachdem er darüber nachgedacht, was er tun müsse, beschloß er, das Volk zusammenzurufen, um den nächsten Morgen mit den Bullen abzureisen. Denselben Abend nach dem Abendessen setzte er sich mit seinem Alguazil, um die Mahlzeit auszuspielen, und über das Spiel kamen sie miteinander in Streit und sagten sich Schimpfworte. Er nannte den Alguazil einen Spitzbuben und dieser ihn einen Betrüger. Der Herr Kommissär, mein Herr, nahm einen Spieß, der in der Stube, wo sie spielten stand, und der Alguazil griff nach seinem Degen, den er an seiner Seite trug. Über den Lärm und das Geschrei, das wir alle machten, liefen die Wirtsleute und die Nachbarn herzu und stellten sich zwischen sie; diese aber, sehr zornig, suchten sich von denen, die sich zwischen sie gestellt hatten, loszumachen, um sich umzubringen. Da aber viel Volk auf den Lärm herzulief und das Haus ganz voll war, und da sie sahen, daß sie mit den Waffen nicht aneinander kommen konnten, so stießen sie Schimpfreden gegeneinander aus; unter anderm sagte der Alguazil zu meinem Herrn, er sei ein Betrüger, und die Bullen, die er ausböte, wären falsch. Als endlich die Leute sahen, daß sie sie nicht zur Ruhe bringen konnten, beschlossen sie, den Alguazil aus dem Gasthofe an einen andern Ort zu bringen. Mein Herr blieb sehr aufgebracht zurück, und nachdem ihn die Wirtsleute und Nachbarn gebeten hatten, daß er sich doch beruhigen und sich schlafen legen möchte, legten wir uns alle nieder. Den folgenden Morgen ging mein Herr in die Kirche und ließ zur Messe und zur Predigt läuten, um seine Bullen noch einmal auszubieten. Das Volk versammelte sich, und man fing an über die Bullen zu murmeln, indem man sagte, sie wären falsch, und der Alguazil selbst hätte es im Streit entdeckt, so daß, da man schon außerdem keine Lust hatte, sie zu nehmen, man sie jetzt gar verabscheute. Der Herr Kommissär bestieg die Kanzel und fing an seine Predigt zu halten und die Leute zu ermahnen, daß sie doch ja das viele Gute und den kräftigen Ablaß, den die heilige Bulle mit sich führe, nicht verabsäumen möchten. Als er eben im besten Predigen war, trat der Alguazil zur Kirchtür herein, und nachdem er gebetet, stand er auf und fing mit lauter und langsamer Stimme beherzt zu sprechen an: Ihr guten Leute, hört nur ein Wort von mir, und dann hört wen ihr wollt! Ich kam mit diesem Betrüger, der euch jetzt predigt, hieher. Er hat mich schändlich hintergangen und mir versprochen, wenn ich ihn bei diesem Geschäfte unterstützte, den Gewinn mit mir zu teilen. Jetzt sehe ich aber den Schaden ein, den er meinem Gewissen und euerm Vermögen würde zugefügt haben, und voll Reue über das schon Geschehene erkläre ich euch offen, daß die Bullen, die er euch anpreist, falsch sind, damit ihr ihm nicht glaubt und sie nicht kauft, daß ich weder mittelbar noch unmittelbar daran Teil habe und daß ich von jetzt an meinen Gerichtsstab niederlege und zerbreche; und wenn dieser hier einmal wegen seiner Betrügerei gestraft werden sollte, so rufe ich euch als Zeugen auf, daß ich nichts mit ihm gemein habe noch ihn dabei unterstütze, sondern im Gegenteil euch den Betrug entdecke und seine Gottlosigkeit offenbare! – So endigte er seine Rede. Einige der ehrbarsten Zuhörer wollten aufstehen und den Alguazil aus der Kirche werfen, um Ärgernis zu vermeiden; aber mein Herr hielt sie zurück und befahl allen bei Strafe des Kirchenbannes, ihn nicht zu unterbrechen, sondern ihn vielmehr alles sagen zu lassen, was er wolle. So war auch er stille, während der Alguazil alles das sprach, was ich eben erzählt habe. Als er schwieg, sagte mein Herr zu ihm, daß, wenn er vielleicht noch mehr vorzubringen hätte, er es nur sagen möchte. Darauf erwiderte der Alguazil: Noch sehr viel wäre über Euch und Eure Betrügerei zu sagen, aber für jetzt mag es genug sein. Der Kommissär, mein Herr, kniete jetzt auf der Kanzel nieder, faltete die Hände, hob die Augen gen Himmel und sprach folgendermaßen: Gerechter Gott, dem keine Sache verborgen bleibt, sondern dem alles offenbar ist, dem nichts unmöglich, sondern alles möglich ist: Du kennst die Wahrheit und weißt, wie ungerecht ich beschimpft worden bin! Was mich anbetrifft, so verzeihe ich ihm, damit auch Du, o Herr, mir verzeihen mögest; achte nicht auf den, der nicht weiß, was er tut und spricht! Aber die Dir zugefügte Beleidigung, darum flehe ich und bitte Dich demütig um Deiner Gerechtigkeit willen, dulde nicht länger; denn wenn unter diesen Gegenwärtigen vielleicht einer war, der sich dieser heiligen Bulle bedient hätte, so wird er es jetzt unterlassen, indem er den trügerischen Worten dieses Menschen Glauben beimißt. Und da dies meinem Nächsten so sehr zum Schaden gereicht, so flehe ich Dich an, o Herr, verhehle es nicht länger, sondern offenbare es sogleich durch ein Wunder! Und dies bestehe darin: wenn es wahr ist, was dieser spricht, und wenn ich der Bosheit und Betrügerei schuldig bin, so stürze diese Kanzel mit mir in den Abgrund und versinke sieben Klaftern tief unter die Erde, so daß weder von ihr noch von mir jemals wieder etwas zu sehen ist. Ist aber das wahr, was ich rede, und dieser Mensch, vom Teufel dazu angestellt (um die gegenwärtigen Zuhörer eines so großen Gutes zu berauben), lügt, so werde auch er gestraft, und seine Bosheit sei allen offenbar. Kaum hatte mein frommer Herr sein Gebet geendigt, als der sündige Alguazil umfiel und einen so starken Schlag auf den Boden tat, daß die ganze Kirche davon widerhallte. Er fing an zu brüllen und Geifer aus dem verzerrten Munde von sich zu geben, indem sein Gesicht sich zu widrigen Gebärden verzog; er schlug dazu mit Händen und Füßen und wälzte sich auf der Erde von einer Seite zur andern. Der Lärm und das Geschrei des Volkes war so groß, daß keiner den andern hörte. Einige waren voll Furcht und Entsetzen; andere sagten: Gott der Herr helfe ihm und sei ihm gnädig! – und andere: er hat es wohl verdient, weil er ein so falsches Zeugnis abgelegt hat! Endlich näherten sich ihm einige der Umstehenden, wie mir schien nicht ohne große Furcht, und banden ihm die Arme, mit denen er denjenigen, die ihm zunächst standen, schreckliche Stöße gab; andere zogen ihn bei den Beinen und hielten sie fest; denn es kann auf der Welt keine so falsche Mauleselin geben, die so fürchterlich hinten ausschlüge. So hielten sie ihn eine Zeitlang, und es waren mehr als fünfzehn Menschen über ihn her, und dennoch gab er allen die Hände voll zu tun, und wenn sie nicht aufmerksam waren, hatten sie sogleich einen Schlag ins Gesicht. Während dieses ganzen Vorfalles lag mein Herr auf der Kanzel auf den Knien, Hände und Augen gen Himmel gerichtet und so verzückt in das göttliche Wesen, daß das Lärmen, Jammern und Schreien, das in der Kirche erhoben wurde, nicht imstande war, ihn aus seiner himmlischen Betrachtung zu reißen. Einige mitleidige Seelen näherten sich ihm, weckten ihn auf, indem sie ihn anredeten, und baten ihn inständigst, diesem Unglücklichen beizustehen, der eben verscheiden wolle, und auf das, was geschehen wäre, nicht zu achten, so wenig als auf seine Schmähungen, da er ja dafür schon seinen Lohn hätte; wenn er aber etwas tun könne, ihn von den schweren Leiden und aus der Todesgefahr zu befreien, so möchte er es doch tun, um Gottes willen: sie sähen ja nun ganz deutlich die Schuld des Frevlers und seine eigne Wahrhaftigkeit und Rechtschaffenheit, da auf seine Bitte und zu seiner Rechtfertigung Gott der Herr die Strafe nicht aufgeschoben hätte. Der Herr Kommissär, gleich einem, der aus einem süßen Schlafe erwacht, sah erst sie, dann den Verbrecher an und alle, die ringsherum standen, und sagte sehr ruhig: Ihr guten Leute, ihr solltet nicht bitten für einen Menschen, in welchem sich Gott so augenscheinlich offenbaret hat. Da uns aber der Herr befiehlt, daß wir nichts Böses mit Bösem vergelten und Unrecht verzeihen sollen, so können wir ihn mit Zuversicht bitten, daß er selbst das erfülle, was er uns befiehlt, und daß seine Majestät dem verzeihe, der sie beleidigte, indem er dem heiligen Glauben an sie Hindernisse in den Weg legte. Laßt uns alle beten! So stieg er von der Kanzel und ermahnte alle, Gott unsern Herrn inbrünstig zu bitten, daß er doch gnädigst beschließen möchte, diesem Sünder zu verzeihen, ihm seine Gesundheit und Besinnungskraft wiederzuschenken und den Teufel aus ihm zu treiben, wenn seine Majestät es gestattet hätte, daß einer, um seiner großen Sünde willen, in ihn gefahren wäre. Alle warfen sich auf die Knie nieder und begannen mit den Geistlichen am Altare mit leiser Stimme eine Litanei zu singen. Darauf trat mein Herr mit Kreuz und Weihwasser vor, nachdem er es gesegnet hatte, hob die Hände und die Augen gen Himmel, so daß von letztern nichts als ein wenig vom Weißen zu sehen war, und fing ein Gebet an, das ebenso lang als andächtig war und mit welchem er alle Zuhörer zum Weinen brachte, wie es bei den Passionsreden von einem andächtigen Prediger und in einer andächtigen Versammlung zu geschehen pflegt. Er bat Gott unsern Herrn, daß er, da er nicht den Tod, sondern das Leben und die Buße des Sünders wolle, diesem vom Teufel Besessenen und vom Tod und der Sünde Geblendeten verzeihen und ihm Leben und Gesundheit wiedergeben möchte, damit er es bereuen und seine Sünden beichten könne. Hierauf ließ er die Bulle bringen und legte sie ihm auf den Kopf, und der sündige Alguazil fing sogleich an, sich nach und nach zu erholen und wieder zu sich zu kommen. Als er seine Besinnung völlig wiedererlangt hatte, warf er sich zu den Füßen des Herrn Kommissärs, bat ihn um Verzeihung und bekannte, daß er alles dies durch den Mund und auf Eingebung des Teufels gesagt hätte, teils um ihm dadurch ein Leid zuzufügen und sich wegen der erlittenen Beleidigungen zu rächen, teils auch vorzüglich deshalb, weil der Teufel vielen Verdruß durch das Gute erlitte, welches hier durch Lösung der Bullen gestiftet würde. Mein Herr verzieh ihm, und es wurde wieder Freundschaft unter ihnen gestiftet. Man eilte nun so sehr, die Bullen zu kaufen, daß kaum im ganzen Dorfe eine lebendige Seele ohne eine solche blieb: Mann und Frau, Söhne und Töchter, Knechte und Mägde. Die Neuigkeit dieses Vorfalls verbreitete sich in den benachbarten Dörfern; und wenn wir irgendwo ankamen, war es nicht nötig, eine Predigt zu halten oder in die Kirche zu gehen: man kam zu uns ins Wirtshaus, um welche zu kaufen, gleich als ob es Birnen wären, die man umsonst austeilte. Solchergestalt verkaufte mein Herr in zehn bis zwölf Dörfern, die im Umkreise lagen, ebenso viele Tausend Bullen, ohne nur ein einziges Mal zu predigen. Als dieses Schauspiel aufgeführt wurde, ich muß meine Sünden bekennen, so entsetzte ich mich davor, und glaubte, wie viele andere, daß es wirklich so wäre. Wie ich aber nachher das Gelächter und Gespötte hörte, das mein Herr und der Alguazil über diesen Handel machten, wurde ich inne, daß er von meinem erwerbsamen und erfinderischen Herrn angestellt gewesen war; und obschon ich noch ein Knabe war, gefiel es mir doch sehr, und ich sagte bei mir selbst: wieviel ähnliche Streiche mögen wohl diese Betrüger dem leichtgläubigen Volke vormachen! Bei diesem meinem fünften Herrn hielt ich beiläufig ohngefähr vier Monate aus, während welchen ich ebenfalls genug Beschwerlichkeiten zu ertragen hatte. Siebentes Kapitel Siebentes Kapitel Wie Lazaro bei einem Kapellan in Dienste ging und was ihm bei demselben begegnete. Nachher nahm ich Dienste bei einem Maler, der Handtrommeln malte, um ihm die Farben zu reiben, bei welchem ich aber tausend Unannehmlichkeiten erlitt. Ich war damals ein hübscher Bursche, und als ich einmal in die Domkirche ging, bemerkte mich ein Kapellan derselben und nahm mich in seine Dienste. Er übergab mir einen guten Esel, vier große Krüge und eine Peitsche, und damit fing ich an, Wasser durch die Stadt zu führen. Dies war die erste Stufe, die ich erstieg, um zu einem guten Leben zu gelangen, denn meinem Munde fehlte es an nichts. Ich gab meinem Herrn täglich dreißig Maravedis von dem Gewinne, und was ich an den Sonnabenden einnahm, gehörte mir, so wie auch das, was ich die Woche hindurch über dreißig Maravedis gewann. Ich stand mich bei diesem Geschäfte so gut, daß ich nach Verlauf von vier Jahren, während denen ich es betrieb, indem ich den Gewinn gewissenhaft sammelte, so viel erspart hatte, daß ich mich auf dem Trödel sehr anständig kleiden konnte. Ich kaufte mir eine alte Barchentweste, einen abgeschabten Rock mit besetzten Ärmeln und Taschen, einen aufgekratzten Mantel und einen Degen, eine von den besten alten Klingen von Cuellar. Da ich mich in so anständigen Kleidern sah, sagte ich zu meinem Herrn, er möchte seinen Esel nun wieder zurücknehmen, ich hätte keine Lust mehr, dieses Geschäft fortzusetzen. Achtes Kapitel Achtes Kapitel Wie Lazaro bei einem Alguazil Dienste nahm und was ihm bei diesem zustieß. Nachdem ich Abschied von dem Kapellan genommen, verdingte ich mich als Gehilfe bei einem Alguazil; aber ich blieb nicht lange bei ihm, weil mir dieses Geschäft zu gefahrvoll schien, vornehmlich als einmal des Nachts einige Schelme, die sich in einen Schlupfwinkel versteckt hatten, mich und meinen Herrn mit Steinwürfen und Knütteln verfolgten. Meinem Herrn spielten sie, wie ich vermute, übel mit, mich aber konnten sie nicht erreichen. Aus dieser Ursache gab ich dieses Gewerbe auf, und indem ich darauf sann, welche Lebensweise ich ergreifen müßte, um Ruhe zu finden und etwas für das Alter zurückzulegen, gefiel es Gott, mich zu erleuchten und mir den Weg dazu und die vorteilhafteste Art zu zeigen. Und so wurden mir durch die Begünstigung meiner Freunde und Gönner alle meine bis jetzt erlittenen Drangsale und Beschwerden vergolten, indem ich das erlangte, wonach ich strebte: dies war ein königliches Amt; denn ich sah, daß außer denen, die ein solches bekleiden, niemand zu etwas kömmt. Das Amt, dem ich noch bis auf den heutigen Tag vorstehe und das ich zu Gottes und Eur Gnaden Ehre verwalte, besteht darin, daß ich den Wein öffentlich ausrufe, der in dieser Stadt verkauft wird, daß ich bei Auktionen ausrufe und es bekannt mache, wenn etwas verlorengegangen ist, und die, welche die Gerechtigkeit bestraft, begleite und laut ihr Verbrechen kund tue: kurz, ich bin auf gut deutsch ein Ausrufer. Es ist mir auch so gut geglückt, und ich habe diesen Dienst mit solcher Leichtigkeit verrichtet, daß fast alle Sachen, die in dieses Fach einschlagen, durch meine Hände gehen, so daß man in der ganzen Stadt, wenn man Wein oder etwas anderes verkaufen will und Lazaro von Tormes nicht die Besorgung hat, überzeugt ist, nicht den gehörigen Nutzen daraus zu ziehen. Als nun zu dieser Zeit der Herr Erzpriester von St. Salvador, mein Patron und Eur Gnaden Diener und Freund, dessen Wein ich ausrief, Nachricht von meiner Person bekam und meine Tüchtigkeit und meinen guten Lebenswandel sah, bemühte er sich, mich mit seiner Magd zu verheiraten. Ich sah ein, daß mir von einer solchen Person nichts als Ehre und Gutes erwachsen würde, und willigte ein. Ich verheiratete mich demnach mit ihr und habe es auch bis jetzt noch nicht bereut, denn unabgesehen, daß sie ein gutes, fleißiges und dienstwilliges Kind ist, so besitze ich auch noch in meinem Herrn Erzpriester alle mögliche Hilfe und Unterstützung. Etliche Male im Jahre gibt er ihr ungefähr einen Scheffel Weizen, Ostern ihr Fleisch und, wenn es ihm einfällt, Opferkuchen und auch die alten Beinkleider, die er ablegt: er ließ uns auch ein kleines Häuschen, dicht neben dem seinigen, mieten, und beinahe alle Sonn- und Festtage speisen wir in seinem Hause. Aber böse Zungen, an denen es nie fehlt, ließen uns nicht ruhig leben; sie sagten, ich weiß nicht was alles, daß sie meine Frau zu ihm gehen, sein Bett machen und ihm sein Essen zubereiten sähen. Aber Gott helfe ihnen mehr, als sie die Wahrheit sagen; denn außer dem, daß sie kein Weib ist, die an solchen Possen Gefallen findet, so tat mir auch mein Herr noch überdies ein Versprechen, das er, wie ich glaube, auch halten wird; denn er sprach eines Tages in ihrer Gegenwart sehr weitläufig mit mir und sagte: Lazaro von Tormes, wer auf das Geschwätz böser Zungen hört, der wird nie gedeihen. Ich sage dies, weil ich mich nicht wundern würde, wenn einer, der dein Weib in meinem Hause aus und ein gehen sieht, darüber murmelte. Sie kommt aber gewiß zu deiner und ihrer Ehre zu mir, dies verspreche ich dir. Deshalb merke nicht auf das, was man dir vielleicht sagen könnte, sondern auf das, woran dir gelegen sein muß, ich meine auf deinen Vorteil. Sennor, antwortete ich ihm, es ist mein Entschluß, mich zu braven Leuten zu halten. Wahr ist es indes, daß einige meiner Freunde mir etwas davon gesagt haben, und mehr als dreimal haben sie mich versichert, daß meine Frau, ehe sie mit mir verheiratet ward, drei Kinder gehabt habe; mit Ehrfurcht gegen Eur Gnaden sei es gesagt, da sie eben gegenwärtig ist. Jetzt stieß meine Frau Flüche über sich aus, so daß ich dachte, das Haus mit uns allen würde versinken; dann fing sie an zu weinen und brach in tausend Verwünschungen aus wider den, der sie mit mir verheiratet hätte: dergestalt, daß ich lieber hätte tot sein wollen, als daß dieses Wort über meine Lippen gekommen wäre. Endlich machten wir ihr, von der einen Seite ich und von der andern mein Herr, solche Vorstellungen und verhießen ihr so viel, daß sie ihre Tränen stillte. Mit einem Schwure versprach ich ihr, daß ich nie in meinem Leben diese Sache wieder erwähnen wollte, ja, daß ich sogar froh wäre und nichts dawider hätte, wenn sie bei Nacht und bei Tag aus und ein ginge, da ich von ihrer Ehrbarkeit völlig überzeugt wäre. Also blieben wir alle drei sehr einig. Bis auf den heutigen Tag hat uns auch niemand dieses Vorfalls wieder erwähnen hören, und wenn mir ja einmal einer über diesen Punkt etwas sagen will, so unterbreche ich ihn und sage zu ihm: Höre, wenn du mein Freund sein willst, so sage mir nichts, was mir unangenehm ist; denn den halte ich nicht für meinen Freund, der mir unangenehme Dinge sagt, und am wenigsten den, der mich mit meinem Weibe entzweien will. Sie ist die Sache, die mir auf der ganzen Welt am liebsten ist: ich liebe sie mehr als mich selbst, und Gott hat mir durch sie viel Gnade erwiesen, mehr noch als ich verdiene; denn das will ich auf die geweihte Hostie schwören, daß sie ein so braves Weib ist, als nur in den Mauern von Toledo eines lebt: und wer mir etwas anderes weismachen will, dem werde ich den Hals brechen! – Auf diese Weise sagt man mir nichts mehr, und ich habe Frieden in meinem Hause. Dies trug sich zu in demselben Jahre, in welchem unser glorreicher Kaiser in diese berühmte Stadt Toledo kam und daselbst Hof hielt, wobei es große Feierlichkeiten und Feste gab, wie Eur Gnaden gehört haben werden. Neuntes Kapitel Neuntes Kapitel in welchem Lazaro die Freundschaft erzählt, die er mit einigen Deutschen in Toledo unterhielt, und was ihm mit denselben begegnete. Zu dieser Zeit befand ich mich in meinem besten Wohlsein und auf dem Gipfel meines Glücks; und da ich immer in meiner Gesellschaft einen guten Weinkrug und einige gute Früchte führte, die in dieser Gegend wachsen, als Probe des, was ich ausrief, so gewann ich dadurch so viele Freunde und Gönner, sowohl Eingeborne als auch Fremde, daß, wohin ich auch kam, keine Tür für mich verschlossen war. Ja, ich sah mich so begünstigt, daß ich glaube, wenn ich damals einen Menschen getötet hätte oder mir sonst ein schrecklicher Unfall begegnet wäre, alle Welt würde auf meiner Seite gewesen sein, und ich würde bei diesen meinen Gönnern alle nur mögliche Hilfe und Unterstützung gefunden haben. Dafür ließ ich sie aber nie mit trocknem Munde und führte sie mit mir dahin, wo das Beste, was ich ausgerufen hatte, zu haben war, wobei wir ein gutes, herrliches und lustiges Leben führten. Da begegnete es uns oftmals, daß wir auf unsern Füßen hinein und auf fremden wieder herausgingen. Das Beste bei der ganzen Sache war, daß Lazaro von Tormes in dieser Zeit nicht eine einzige Blanke ausgab noch ausgeben durfte. Wenn ich ja einmal absichtlich die Hand nach dem Beutel ausstreckte, indem ich tat, als ob ich bezahlen wollte, so nahmen sie es für eine Beschimpfung, blickten mich zornig an und sagten: Nichts, nichts! Landsmann, laß! – womit sie tadelnd sagen wollten, daß, wo sie wären, niemand eine Blanke zu bezahlen hätte. Dafür hätte ich aber auch aus Liebe für solche Leute mein Leben gelassen; denn dabei blieb es nicht einmal, sondern sie füllten mir auch noch, so oft wir beisammen waren, die Taschen und den Busen mit geräucherten Schinken, mit Stücken Hammelfleisch, das in jenen herzstärkenden Weinen mit der feinsten Würze gekocht war, und mit Überbleibseln von gesalzenem Fleisch und Brot, überflüssig genug, zu Hause mich und mein Weib auf eine ganze Woche bis zum Überfüllen zu sättigen. Bei meinem jetzigen Überfluß erinnerte ich mich meiner vergangenen Hungersnot und lobte und dankte Gott, daß so die Dinge und Zeiten wechseln. Aber, wie das Sprichwort sagt: Wer Gutes dir erzeigt mannigfalt, der zieht hinweg oder stirbt bald! so ging es auch mit mir. Der Hof zog nach eingeführter Weise wieder fort, und bei der Abreise lagen mir diese meine wackern Freunde sehr an, mit ihnen zu ziehen, und versprachen mir goldne Berge. Ich dachte aber an das Sprichwort, welches heißt: Besser einen Spatz in der Hand als einen Storch auf dem Dache!, dankte ihnen für ihren guten Willen und nahm unter vielen Umarmungen und mit vieler Wehmut Abschied von ihnen. In der Tat, wenn ich nicht verheiratet gewesen wäre, ich hätte ihre Gesellschaft nicht verlassen; denn sie sind Leute ganz nach meinem Geschmacke und nach meinem Sinne. Sie führen ein herrliches Leben, sie sind nicht hochmütig oder anmaßend, gehen ohne Schwierigkeit und ohne Bedenken in die Kneipe, mit abgezogenem Hute, wenn es der Wein verdient. Sie sind offene brave Leute und immer mit allem Nötigen so gut versehen, daß mir Gott keine schlechteren zuschicken möge, wenn ich rechten Durst habe. Aber die Liebe zu meinem Weibe und zum Vaterlande, das ich schon für das meinige hielt, dann die Frage: Woher bist du denn, mein Freund? hielt mich zurück. Und so blieb ich einsam in dieser Stadt; zwar hinlänglich gekannt von den Einwohnern derselben, doch meiner Freunde und des fröhlichen Hoflebens beraubt. Ich war sehr zufrieden bei Vergrößerung meiner Freude und meines Stammes durch die Geburt eines sehr schönen Mädchens, das mein Weib mittlerweile zur Welt brachte; denn ungeachtet ich einigen Argwohn dabei hatte, so schwur sie mir doch zu, daß es das meine wäre. Dies dauerte so lange, bis es meinem Geschick einfiel, daß es mich vergessen hätte und daß es billig wäre, mir von neuem sein erzürntes, strenges und wildes Gesicht zu zeigen und mir diese wenigen Jahre eines angenehmen und sorgenlosen Lebens durch ebensoviel neue Drangsale und einen schmerzhaften Tod zu verbittern. O großer Gott! Wer könnte wohl solche höchst unglückliche Schicksale und so schreckliche Ereignisse beschreiben, ohne nicht vorher das Tintenfaß ausruhen zu lassen und die Feder beiseite zu legen? Ende des ersten Teils Zweiter Teil Erstes Kapitel Erstes Kapitel worin Lazaro erzählt, wie er von Toledo abreiste, um in den Krieg nach Algier zu ziehen. Die Veränderlichkeit, die eine von mir unzertrennliche Eigenschaft war, ließ mich nicht lange meines Glücks und sorgenfreien Lebens genießen. Es verbreitete sich damals das Gerücht von der nach Algier bestimmten Kriegsflotte, und ich beschloß, dem Beispiele meines Vaters zu folgen und die ungläubigen Mauren bekriegen zu helfen. Ich nahm deshalb Abschied von meinem Weibe und Töchterchen und von dem Herrn Erzpriester, dem ich die Sorge für meine Familie übertrug und der mir auch versprach, sich ihrer so anzunehmen, als ob sie seine eigene wäre. Ich reiste also von Toledo ab, vergnügt und voll der besten Hoffnung und begleitet von einer großen Zahl meiner Freunde und Nachbarn, die denselben Weg zogen. Wir kamen in Murcia an, um von da nach Cartagena zu gehen und uns daselbst einzuschiffen. Hier widerfuhr mir aber etwas, woraus ich deutlich bemerkte, daß das Schicksal schon anfing, mich von dem Gipfel meines Glücks in die Tiefe des Elends hinabzuschleudern. Ich fand nämlich im Wirtshause einen Menschen, der mehr einem Bocke glich, wegen der vielen Fasern und Wollflocken an seinen Kleidern. Er hatte den Hut, der keinen Boden hatte, tief ins Gesicht gedrückt, die Hand unter sein Kinn gestemmt und sein eines Bein auf den Degen gestützt, der in einer halben ledernen Scheide stak. Der elende Rock war nach französischem Schnitte und allenthalben so durchlöchert, daß man nicht für eine Blanke Kümmel darin hätte verwahren können. Sein Hemd war von Fleisch, welches man durch die Gitter seiner Kleider sehen konnte, und von den Strümpfen, die mit Stricken an die Beine gebunden waren, war der eine rot, der andere grün. Die Schuhe waren auf Barfüßerart. Nach einer Feder zu schließen, die er auf seinem Hute trug, hielt ich ihn für einen Soldaten und redete ihn deshalb an. So wie er aber sein Gesicht erhob, erkannte er mich und ich ihn. Es war der Kavalier, dem ich in Toledo gedient hatte. Als er mein Staunen bemerkte, sagte er: Es befremdet mich nicht, Freund Lazaro, daß du dich wunderst, mich in solch einem Aufzuge zu sehen; du wirst es aber nicht mehr, wenn ich dir erzähle, was sich mit mir zugetragen hat, von dem Tage an, wo ich dich in Toledo verließ, bis heute. Als ich mit der verwechselten Dublone nach Hause zurückkehren wollte, um meine Gläubiger zu befriedigen, begegnete mir unterwegs eine verschleierte Dame, die mich unter Tränen und Schluchzen bat, ihr in einer Not beizustehen. Auf meine Bitten, mich ihre Leiden wissen zu lassen, sagte sie mir mit jungfräulicher Schamhaftigkeit, ich möchte ihr doch den Liebesdienst erzeigen, sie nach Madrid zu begleiten, wo sich, wie sie erfahren, ein Kavalier aufhalte, der sie nicht nur, unter dem Versprechen, sie zu heiraten, ihrer Ehre, sondern auch ihrer Edelsteine beraubt habe. Ich tröstete sie und gab ihr mein Ehrenwort, ihr Genugtuung zu verschaffen. Kurz, wir reisten sogleich in die Residenz, bis wohin ich die Reisekosten trug. Die Dame, die gar wohl wußte, wohin sie ging, führte mich zu einem Trupp Soldaten, die sie mit Freuden empfingen und sogleich zu ihrem Hauptmann brachten, damit er sie in die Liste der Wiedergenesenen eintrüge. Sie wendete sich nun zu mir und sagte mit unverschämtem Lachen: Lebt wohl, Herr Gimpel! Ihr seid nun weiter nicht nötig. Schäumend vor Wut und fluchend ging ich fort, da ich doch an einem Weibe keine Rache nehmen konnte. Ich suchte nun ein Unterkommen; weil ich aber keins fand, als ich verdiente, befinde ich mich in diesem Zustande. Damit beschloß mein guter Herr seine Rede, und da er mir gesagt, daß er sich ohne alles Geld befände, so lud ich ihn auf die Hälfte meiner Abendmahlzeit und meines Bettes ein, welches er dankbar annahm. Als ich des andern Morgens aufstehen wollte und meine Hand nach den Kleidern ausstreckte, fand ich sie nicht. Der Schurke hatte sie mir gestohlen und sich fortgemacht. Ich schrie das ganze Haus wach, wurde, da sie mich nackt wie einen Schwimmer fanden, ausgelacht und mußte mich endlich bequemen, die Kleider des Eisenfressers anzuziehen. Das war aber ein Labyrinth, ohne Anfang und Ende. Zwischen den Hosen und dem Rocke war kein Unterschied; ich steckte die Beine in die Ärmel und zog die Hosen als Rock an. Die Strümpfe glichen Schreiberärmeln und die Schuhe Beinschellen, da sie keine Sohlen hatten. In diesem Aufzuge kam ich zu meinem Hauptmann. Dieser lachte anfangs über meine Maskerade, nachdem ich ihm aber die Ursache derselben erzählt hatte, ward er unwillig, tadelte mich wegen meiner Unvorsichtigkeit und warf mich aus dem Hause. Zweites Kapitel Zweites Kapitel Wie sich Lazaro in Cartagena einschiffte. Ohne Schuld hatte ich also diesen meinen Herrn verloren und wurde von allen, die mich sahen, verlacht und verspottet. Einige sagten zu mir: Es steht nicht schlecht, das Hütchen mit der falschen Tür; es sieht aus wie eine flamländische Weiberhaube! – Andere: Das Röckchen ist recht nach der Mode; es gleicht einem Schweinestall, vorzüglich wenn Eur Gnaden darin stecken. – Ein Troßbube sagte zu mir: Herr Lazaro, bei Gott! in Euern Strümpfen habt Ihr eine recht schöne Wade, und Eure Schuhe sind auf apostolische Art gemacht. – Das ist deshalb, weil der Herr den Mauren predigen will, entgegnete ein Häscherhauptmann. So erging es mir, und ich war beinahe entschlossen, wieder nach Hause zurückzukehren. Ich tat es aber nicht, weil ich glaubte, daß der Krieg sehr schlecht sein müsse, in dem man nicht mehr gewinnen könne, als ich verloren hatte. Wir schifften uns also ein. Anfangs ging die Fahrt sehr gut, bald aber erhob sich ein fürchterlicher Sturm, der die Wellen bis zu den Wolken schleuderte. Die Matrosen und Piloten hielten uns für verloren. Das Weinen und Schluchzen war so groß, daß ich glaubte, wir wären in einer Passionspredigt. Einige liefen dahin, andere dorthin, wie Kesselflicker. Alle beichteten, wo sie nur konnten, viele bei einer alten Kupplerin, die die Absolution so gut erteilte, als wenn sie schon hundert Jahre dieses Amt versähe. Im Trüben ist gut fischen! dachte ich, stieg in den Schiffsraum hinab und fand daselbst einen großen Überfluß von Brot, Wein, Zwieback und Eingemachtem, worum sich jetzt niemand bekümmerte. Ich fing an, von allem zu essen und meinen Magen zu füllen, um bis zum Tage des Gerichts Vorrat zu haben, und als ich genug gegessen hatte, machte ich mich an eine Tonne guten Weins und trank davon so viel, als nur mein Magen fassen wollte. Darüber vergaß ich den Sturm und auch mich selbst. Das Schiff scheiterte, und das Wasser drang von allen Seiten herein. Wie es zu meinem Munde kam, rief ich ihm zu: Zu einer andern Tür; diese öffnet sich nicht! Hätte sie sich aber auch geöffnet, so hätte es doch nicht hineindringen können; denn mein Körper war so voll vom Weine, daß er einem vollen Weinschlauche glich. Beim Krachen des Schiffes kam eine große Menge Fische herbei. Sie fraßen von dem Fleische der jämmerlich Ertrunkenen, gleich als ob sie auf einer Gemeintrift weideten. Auch an meine Person wollten sie sich machen; ich legte aber Hand an mein Schwert, und ohne mit diesem elenden Gesindel viel Worte zu wechseln, schlug ich um mich herum wie der Esel im grünen Rocken. Zischend sagten sie zu mir: Wir wollen dir ja kein Leid zufügen, sondern wir möchten nur wissen, ob du einen guten Geschmack hast! – In weniger als einer halben Viertelstunde hatte ich mehr als fünfhundert Thunfische getötet, die sich von diesem Sünderfleische einen Schmaus bereiten wollten. Die lebendigen Fische ätzten sich nun von den toten und verließen die für sie unvorteilhafte Gesellschaft des Lazaro. Ich sah mich jetzt Herr des Meers, ohne irgendeinen Widerspruch, begab mich da und dort hin und erblickte daselbst unglaubliche Dinge. Ich sah eine unzählige Menge Menschengerippe und Leichname; auch fand ich eine große Anzahl Kisten voller Edelsteine und Gold, viele Waffen, seidne und linnene Zeuge und Spezereien. Begierig, mich durch diese Schätze zu bereichern, füllte ich eine große Kiste mit Dublonen und den kostbarsten Edelsteinen, dann knüpfte ich mehre Seile aneinander und machte ein so langes daraus, daß es mir bis an die Oberfläche des Wassers zu reichen schien. So kann ich, sagte ich bei mir selbst, diese Schätze von hier heraufziehen, und es wird dann kein Garkoch in der Welt anzutreffen sein, der sich gütlicher tut als ich. Ich werde Häuser bauen, Renten stiften und Gärten kaufen; mein Weib wird Donna und ich Eur Herrlichkeit tituliert werden, und meine Tochter werde ich mit dem reichsten Pastetenbäcker meiner Vaterstadt verheiraten. Alle werden kommen, mir Glück zu wünschen, und ich werde ihnen dann erzählen, wie es mir viel Arbeit gekostet hat, es herauszuziehen, nicht aus den Eingeweiden der Erde, sondern aus dem Innersten des Meeres, und nicht naß vom Schweiße, sondern eingeweicht wie ein Stockfisch. In meinem ganzen Leben bin ich nicht so vergnügt gewesen als damals, und es fiel mir gar nicht ein, daß ich, wenn ich nur den Mund öffnete, hier in alle Ewigkeit mit meinem Schatze begraben bleiben würde. Drittes Kapitel Drittes Kapitel Wie Lazaro aus dem Meere kam. Ich zog nun die Lumpen aus, die mir mein Herr, der Kavalier, hinterlassen hatte, band mir das Seil an den Fuß und fing an zu schwimmen. Obgleich ich nichts davon verstand, so gab dennoch die Not meinen Füßen Flügel und meinen Händen Ruder. Die Fische, welche sich ringsumher befanden, kamen sogleich herzu, mich anzubeißen, und trieben mich durch ihre Bisse zum schnellern Fortbewegen an. So kamen wir, sie beißend und ich abwehrend, beinahe bis an die Oberfläche des Wassers, wo mir eine Sache widerfuhr, die Ursache alles meines nachherigen Unglücks wurde. Die Fische und ich kamen zusammen in Netze, die einige Fischer aufgestellt hatten, und wurden von diesen in ihre Kähne gezogen. Beim ungestümen Anziehen der Netze schoß mir das Wasser mit solcher Gewalt in den Mund, daß ich die Besinnung verlor und beinahe ertrunken wäre. Sie fanden den Strick, der an meinen Fuß gebunden war, und fingen an, an demselben zu ziehen; da dieser aber nicht nachgab und ihre Barke unters Wasser tauchte, schnitten sie, um sich aus der Gefahr zu befreien, das Seil ab, und mit ihm die schönen Hoffnungen des Lazaro. Sie stellten mich das Unterste zu oberst, damit ich das eingeschluckte Wasser von mir gäbe, und als sie sahen, daß ich nicht tot war (welches nicht das Schlimmste für mich gewesen wäre), reichten sie mir ein wenig Wein, wodurch ich wieder, wie eine Lampe durch Öl, zu mir selbst kam. Das erste, was ich sie fragte, war, daß ich mich nach dem Springstock erkundigte, den ich am Beine angebunden hatte, und sie sagten mir, daß sie ihn abgeschnitten hätten. Hier ging Troja unter, und Lazaros wohlberechnete Aussichten: hier fingen seine Schmerzen, seine Not und Drangsale an. Es gibt keinen größern Schmerz in der Welt, als, wenn man sich reich und bis zum Himmel erhoben gewußt hat, sich auf einmal arm und abhängig von Toren zu sehen. Alle meine Entwürfe gründeten sich im Wasser, und dies zerstörte sie auch alle wieder. Ich erzählte den Fischern, was sie und ich dadurch verloren hätten, daß sie mir das Seil abgeschnitten, und der Verdruß, den sie darüber empfanden, war so groß, daß sie zu verzweifeln glaubten. Einer von ihnen tat den Vorschlag, mich ins Meer zurückzuwerfen und hier so lange auf mich zu warten, bis ich wieder herauskäme, da ich ja den Weg schon kannte. Die Begierde nach Reichtum blendete sie so sehr, daß sie, ungeachtet der Gegenvorstellungen, die ich ihnen machte, schon im Begriff waren, mich hinauszuwerfen, als, zu meinem Glück oder Unglück, eine fremde Barke heranruderte. Damit die andern von dem Schatze nichts erführen, gaben sie für jetzt ihr böses Vorhaben auf und warfen mich, um mich zu verbergen, unter die übrigen Fische, in der Absicht, wenn sie könnten, zurückzukehren und den Schatz zu suchen. Sie trugen mich hierauf in eine Hütte, die in der Nähe war, und einer, der um das Geheimnis nicht wußte, fragte, wer ich denn wäre? Sie gaben ihm zur Antwort, ich sei ein Meerungeheuer, daß sie mit Thunfischen gefangen hätten. Als sie mich in der elenden Hütte niedergesetzt hatten, bat ich sie, mir einige Lumpen zu geben, womit ich meine Blöße bedecken könnte; sie gaben mir aber hierauf eine mir damals unverständliche Antwort. Der Ruf von dem Meerungeheuer verbreitete sich in der ganzen Nachbarschaft, und es kamen viele Menschen herbei, mich zu sehen. Die Fischer aber sagten, sie müßten erst die Erlaubnis des Herrn Bischofs und der Herren Inquisitoren erwarten, um mich zeigen zu können. Ich war darüber ganz bestürzt und wußte nicht, was ich sagen, noch was ich tun sollte, da ich ihr Vorhaben nicht erriet. Es ging mir wie einem Hahnrei, der immer der letzte ist, welcher erfährt, daß er es ist. Diese Teufel nun machten eine Erfindung, wie selbst der Satan keine ähnliche hätte aussinnen können und welche ein neues Kapitel und neue Aufmerksamkeit verdient. Viertes Kapitel Viertes Kapitel Wie Lazaro durch Spanien geführt wird. Gelegenheit macht Diebe! Als die Fischer bemerkten, daß sich ihnen eine so gute darbot, ergriffen sie solche mit beiden Händen. Sie sahen nämlich, daß eine große Menge Menschen herbeiliefen, den neuen Fisch zu sehen, und beschlossen deshalb, sich für den erlittenen Verlust zu entschädigen. Und so schickten sie danach, die Erlaubnis von den Herren Inquisitoren zu erbitten, einen Fisch mit einem Menschengesicht in ganz Spanien sehen zu lassen, und erhielten sie auch leicht, vermittelst eines Geschenks. Als nun der arme Lazaro Gott dankte, daß er ihn aus dem Walfischbauch hervorgezogen habe (denn das Wunder war um so größer, je kleiner meine Geschicklichkeit im Schwimmen war, das ich so gut verstand, wie eine Bleistange), machten sich viere von den Fischern, schlimmere Henker als die, welche Christum kreuzigten, über mich her, banden mir die Hände und setzten mir einen großen Bart und eine Mütze von Moos auf, so daß ich einem Waldmenschen glich. Die Füße umwickelten sie mir mit Wasserlilien. Ich beweinte mein Mißgeschick und sprach unter Tränen: O Geschick! was ist die Ursache, daß du mich so verfolgst? Ich habe mein ganzes Leben hindurch mancherlei Erfahrungen an dir gemacht und kenne dich dennoch nicht. Wenn sich aber aus den Wirkungen der Ursprung erforschen läßt, so glaube ich, daß es keine Sirene, keinen Basilisken, keine Natter, keine säugende Löwin gibt, welche grausamer wäre als du! Du hebst die Menschen durch Liebkosung und Schmeicheleien bis zum Gipfel deiner Wollüste und Reichtümer empor und läßt sie dann von demselben in den Abgrund alles Unglücks und Elends hinabstürzen, das um so größer ist, je mehr es deine Gunstbezeugungen waren! Dieses Selbstgespräch hörte einer jener Henker und sagte zu mir: Wenn der Herr Thunfisch noch ein Wort spricht, so werden wir ihn zu seinen Kameraden ins Salz legen oder wie ein Ungeheuer totschlagen. Die Herren Inquisitoren, fuhr er fort, haben befohlen, dich durch ganz Spanien zu führen und als ein Ungeheuer und Naturwunder sehen zu lassen. Ich schwur es ihnen zu, daß ich weder ein Thunfisch noch ein Ungeheuer wäre, sondern ein Mensch, so gut wie jedes andre Nachbarskind, der ins Meer gefallen sei; aber sie waren taub gegen meine Vorstellungen. Da ich sah, daß alle meine Bitten verloren waren wie die Lauge, mit der man dem Esel den Kopf wäscht, so beschloß ich, in Geduld auszuharren, bis die Zeit, die alles heilt, auch mein Übel heben würde. Sie legten mich mit gebundenen Füßen in eine Kufe, die so weit voll Wasser war, daß es mir bis an die Lippen reichte. Zwischen den Haaren meines falschen Bartes ging eine Schnur herunter; wenn ich mich nun beklagen oder reden wollte, so zog einer an derselben, wodurch ich genötigt war, wie ein Frosch unterzutauchen. Ich schloß den Mund, bis ich merkte, daß der, welcher zog, nachließ: dann reckte ich den Kopf, gleich einer Schildkröte, wieder hervor. In dieser Stellung zeigten sie mich allen, die mich zu sehen herbeiliefen und deren so viele waren, daß sie in einem Tage zweihundert Realen gewannen. Der mitleidigen Betrachtung des geneigten Lesers überlasse ich es, zu überlegen, was sich in solch einem Falle empfinden läßt. Gefangen, in einer so seltsamen Art von Kerker, meiner Freiheit auf dem Lande beraubt, gefesselt, und, was das Schlimmste war, genötigt, stumm zu sein, brachte ich sechs Monate lang, Tag und Nacht in diesem nassen Fegfeuer zu. Meine Speise war durchnäßtes Brot, welches mir die, welche mich zu sehen kamen, zuwarfen, um mich essen zu sehen, und mein Getränk Wasser aus der Kufe, das, wie man sich denken kann, eben nicht das reinste war. Fünftes Kapitel Fünftes Kapitel Wie sie Lazaro an den Hof brachten. Meine Henker führten mich aus den Städten in Flecken, aus Flecken in Dörfer und aus Dörfern in Meiereien, vergnügter über ihren Gewinn als Ostern über seine Blumen. Einer von ihnen hielt eine lange Rede, in der er die seltsame Art, wie sie mich gefangen hätten, meine Lebensart und tausenderlei Lügen erzählte. Wenn wir durch unbewohnte Gegenden reisten, so erlaubten sie mir zu reden: dies war die größte Gunst, die ich von ihnen empfing. Ich fragte sie, welcher Teufel es ihnen eingegeben hätte, mich auf diese Art in einem Wassertroge herumzuführen? Und sie gaben mir zur Antwort, wenn sie dies nicht täten, würde ich auf der Stelle sterben; denn da ich ein Fisch wäre, so könnte ich außer dem Wasser nicht leben. Da ich sie so hartnäckig auf ihrer Meinung beharren sah, so überredete ich mich endlich dessen, weil mich alle dafür hielten. Volksstimme, Gottesstimme! dachte ich und vermutete, daß mich das Meerwasser verwandelt haben müsse. Sie brachten mich an den Hof, wo ihr Gewinn groß war, weil daselbst die Menschen, die den Müßiggang zu ihrem ständigen Begleiter haben, große Freunde von Neuigkeiten sind. Unter vielen, die mich zu sehen kamen, waren auch zwei Studenten, welche, nachdem sie meine Gesichtszüge genau betrachtet hatten, halblaut sagten, sie wollten auf einen geweihten Altar schwören, daß ich kein Fisch, sondern ein Mensch sei, und wenn sie nur Diener der Gerechtigkeit wären, so wollten sie die Wahrheit schon an den Tag bringen, indem sie uns allen die Schultern mit einer Peitsche abfegen lassen würden. Ich bat Gott im Innersten meiner Seele, daß sie dies doch tun möchten, und suchte ihnen behilflich zu sein, indem ich ihnen sagen wollte: Die Herren Bakkalauren haben recht! Aber kaum hatte ich den Mund geöffnet, als ihn auch meine aufmerksame Schildwache mit Wasser füllte. Das Geschrei, das alle erhoben, als ich untertauchte, verhinderte die guten Lizentiaten, in ihrem Gespräche fortzufahren. Ich dachte über das nach, was diese gebenedeiten, weisen Männer gesagt hatten, und wurde darin bestärkt, daß ich ein Mensch sei, worüber ich zweifelhaft gemacht worden war; denn außer dem, daß man mich in Wasser gelegt herumführte, hatte auch meine Frau mir oftmals gesagt, ich sei ein Vieh; und die Knaben in Toledo pflegten mir immer zuzurufen: Herr Lazaro, setzt doch den Hut ein wenig tiefer, sonst sieht man die Hörner! – Aber von dieser Zeit an hielt ich mich nun immer für einen Menschen und suchte mich deshalb aus den Händen dieser Henkersknechte zu befreien. In einer Nacht, als ich sah, daß meine Wächter im tiefen Schlafe lagen, suchte ich mich loszubinden; da aber die Schnüre naß waren, so war es mir unmöglich. Ich wollte schreien, aber ich überlegte, daß mir dies zu nichts nützen würde; denn der erste, der es hörte, würde mir mit einem Nößel Wasser den Mund verstopft haben. Da ich also die Tür zu meiner Rettung verschlossen sah, so fing ich an, mich vor großer Ungeduld in meiner Lache herumzuwälzen, und machte es so arg, daß die Kufe umfiel und alles Wasser herauslief. Da ich mich frei sah, schrie ich und rief um Hilfe. Die erschrockenen Fischer, als sie gewahr wurden, was ich angerichtet hatte, sprangen herzu, verstopften mir den Mund mit Gras, und um mein Geschrei zu verbergen, erhoben sie ein noch größeres und riefen: Hilfe, Hilfe! Während sie so schrien, füllten sie die Kufe mit der größten Schnelligkeit wieder mit Wasser. Der Wirt kam herbeigelaufen, mit einer Hellebarde bewaffnet, und das ganze Hausgesinde, einige mit Bratspießen, andere mit Knitteln; auch die Nachbarn und ein Alguazil mit sechs Häschern, der von ungefähr vorbeiging, kamen herzu. Man fragte, was es gäbe, und die Fischer antworteten, es wären Diebe, die ihnen ihren Fisch hätten stehlen wollen. Alles rief nun: Diebe, Diebe! und man untersuchte, ob sie durch die Tür entkommen wären oder von einem Dache zum andern sprängen. Zufällig traf es sich, daß alles Wasser, was aus der Kufe verschüttet war, durch ein Loch in ein unteres Zimmer lief, gerade auf ein Bett, in welchem die Tochter des Wirtes schlief, die, durch Mitleid bewegt, einen Geistlichen in dasselbe aufgenommen hatte. Beide erschraken über die Sündflut, die sich über ihr Bett ergoß, und über das Geschrei, das alle ausstießen, so sehr, daß sie, ohne zu wissen, was sie tun sollten, zu einem Fenster hinaussprangen. Der Mond schien hell; sie wurden deshalb bald entdeckt, und alle schrien: Diebe! Haltet die Diebe! Der Alguazil und die Häscher setzten ihnen nach, holten sie bald ein, weil sie, da sie barfuß waren, auf den Steinen nicht schnell laufen konnten, und man brachte sie, ohne sie zu hören oder näher zu betrachten, ins Gefängnis. Die Fischer reisten sehr früh nach Toledo ab, ohne zu erfahren, was Gott aus dem gutherzigen Jüngferchen und dem frommen Geistlichen gemacht hatte. Sechstes Kapitel Sechstes Kapitel Wie sie Lazaro nach Toledo führten. Das Streben der Menschen ist eitel, ihr Wissen Unwissenheit und ihre Kraft Schwachheit, wenn Gott sie nicht stärkt und leitet. Meine Arbeit diente einzig dazu, die Aufmerksamkeit meiner Wächter zu vermehren, die, erzürnt über meinen Versuch der vergangenen Nacht, mir so viele Schläge gaben, daß sie mich beinahe dadurch töteten. Zerbläut, ausgescholten und halbtot vor Hunger brachten sie mich nach Toledo und kehrten in dem Hause einer Witwe ein, deren Wein ich ehemals ausgerufen hatte. Eine Menge Volk lief herzu, und unter diesem auch meine Elvira mit meiner Tochter an der Hand. Als ich sie sah, konnte ich zwei Nilströme von Tränen nicht zurückhalten, die sich aus meinen Augen ergossen. Ich weinte und seufzte, aber nur zwischen Fell und Fleisch, damit man mich nicht des Anblicks dessen berauben möchte, was ich so sehr liebte und welches zu sehen ich tausend Augen hätte haben mögen. Es wäre aber besser gewesen, wenn die, die mir die Sprache genommen hatten, dasselbe auch mit der Sehkraft getan hätten; denn indem ich mein Weib genau betrachtete, sah ich sie in gesegneten Leibesumständen. Ich war bestürzt und betäubt, und wenn ich auch Gericht hätte halten wollen, so wußte ich nicht über wen; denn der Herr Erzpriester hatte mir gesagt, als ich in den Krieg zog, er würde mit ihr verfahren, als ob sie sein eignes Weib wäre. Ich fing an, die Monate und Tage meiner Abwesenheit zu zählen, aber ich fand dabei den Weg zu meinem Troste verschlossen. Ich bildete mir ein, meine teure Ehehälfte sei wassersüchtig; aber auch diese Betrachtung dauerte nicht lange; denn kaum war sie weggegangen, als zwei alte Weiber zueinander sagten: Was haltet Ihr denn von der Frau Erzpriesterin? Sie bedarf ihres Mannes nicht! Von wem ist sie denn in diesen Umständen? fragte die andere. Von wem? fuhr die erste fort; vom Herrn Erzpriester. Er ist noch dazu so gut, damit es kein Ärgernis gibt, wenn sie in seinem Hause ohne Mann niederkömmt, sie nächsten Sonntag mit Pierres Gabacho zu verheiraten, der ebenso geduldig sein wird als mein Gevatter Lazaro. Das war der höchste Gipfel und das Nonplusultra meiner Standhaftigkeit. Ich fing an im Wasser zu schwitzen, fiel ohnmächtig in meinem schmutzigen Stalle nieder und gab alle Anzeichen des Todes. Die betrübten Fischer ließen alle hinausgehen und hoben schnell meinen Kopf aus dem Wasser. Sie fanden mich ohne Puls und ohne Atem, und sie selbst waren ohne denselben, beklagten sich und beweinten ihren großen Verlust. Sie fanden weder ein Rettungsmittel für mich noch Hilfe für ihren Kummer und Schmerz. Sie beschlossen endlich, mich in der kommenden Nacht nach dem Flusse zu bringen und mit einem Steine am Halse in denselben zu werfen, damit er mir als Grab dienen möchte. Siebentes Kapitel Siebentes Kapitel Was Lazaro auf dem Wege nach dem Tajo zustieß. Niemand verzweifle, so geängstigt er auch sein mag; denn wenn er es am wenigsten vermutet, wird Gott die Türen und Fenster seiner Barmherzigkeit öffnen und wird zeigen, daß ihm nichts unmöglich ist und daß er die Anschläge der Bösen kennt und sie in heilsame und zuträgliche Mittel für die, die auf ihn vertrauen, verwandeln kann und will. Da es diesen grausamen Henkern dünkte, daß der Tod nicht scherze (wie das auch gar nicht seine Gewohnheit ist), so steckten sie mich in einen Sack und legten mich quer über einen Maulesel, wie einen Schlauch mit Wein, oder, besser zu sagen, mit Wasser, womit ich bis an den Mund angefüllt war. So führten sie mich nach dem Tajo, trauriger als wenn sie ihren Vater, der sie gezeugt, oder ihre Mutter, die sie geboren, zu begraben gingen. Da ich mit dem Bauche auf dem Maulesel lag und mein Kopf herunterhing, so fing ich an, das verschluckte Wasser von mir zu geben, gleich als ob die Falltüre einer Schleuse aufgezogen wäre. Ich kam wieder zur Besinnung und bemerkte, daß ich mich außer dem Wasser befand und daß mir die verwünschten Haare abgenommen waren; doch wußte ich nicht, wo ich war und wohin man mich brächte. Indem hörte ich sagen: Es ist zu unsrer Sicherheit nötig, einen tiefen Strudel zu suchen, damit man ihn nicht so bald findet. An einem Faden zieht sich das ganze Knäuel nach. Ich wurde jetzt inne, was mit mir vorging, und indem ich die Gefahr erwog, in welcher ich mich befand, hörte ich Geräusch einiger vorübergehender Leute und schrie deshalb: Um Gottes willen, Hilfe! Hilfe! Es war die Runde, die das Getöse gemacht hatte und die auf mein Schreien mit entblößten Degen herzulief. Sie besichtigte den Sack, fand den armen Lazaro wie einen eingewässerten Stockfisch zusammengebogen und brachte uns alle zusammen ins Gefängnis. Die Fischer weinten, sich gefangen zu sehen, und ich lachte über meine Freiheit. Jene steckten sie in ein tiefes Loch und mich in ein gutes Bett. Den folgenden Morgen wurden wir verhört. Die Fischer gestanden, wie sie mich, in der Meinung, ich sei ein Fisch, mit Erlaubnis der Herren Inquisitoren durch Spanien geführt hätten, und ich sagte die Wahrheit von allem. Man ließ den Herrn Erzpriester und mein gutes Weib kommen, um zu erfahren, ob es wahr sei, daß ich Lazaro von Tormes wäre, wie ich versicherte. Mein Weib trat zuerst herein, und nachdem sie mich genau betrachtet hatte, sagte sie: es sei wahr, ich gliche ihrem lieben Manne ein wenig, sie glaube aber nicht, daß ich derselbe sei; denn ich sei von jeher sehr dumm gewesen und würde eher einen Ochsen als einen Fisch vorgestellt haben. Nachdem sie dies gesagt, machte sie eine tiefe Verbeugung und ging hinaus. Jetzt trat der Herr Erzpriester ein, der, als er mich so bleich und runzlig wie ein altes Weib sah, sagte, er kenne mich weder dem Gesichte noch der Gestalt nach. Ich erinnerte ihn aber an einige sehr geheime Vorfälle, welche sich unter uns ereignet hatten, und damit ich nicht fortführe mit meinen Beweisen, die er fürchtete, gestand er, es sei wahr, ich wäre Lazaro, sein guter Freund und Bedienter. Der Prozeß endigte sich mit dem Zeugnis des Hauptmanns, der mich aus Toledo mit sich genommen hatte und der aus dem Schiffbruch gerettet worden war. Ein jeder der Fischer wurde zu zweihundert Rutenstreichen verurteilt und ihr Vermögen eingezogen, ein Teil für den König, der zweite für die Gefangenen und der dritte für Lazaro. Es fanden sich zweitausend Realen, zwei Maulesel und eine Karre, wovon es mir, nach Abzug aller Kosten und Gebühren, zwanzig Dukaten trug. Die Fischer waren nun gerupft und zerhauen und ich reich und zufrieden; denn in meinem ganzen Leben hatte ich nicht so vieles Geld auf einmal besessen. Ich führte von nun an ein Leben wie ein Graf. Die vergangenen Leiden schienen mir ein Traum, das gegenwärtige Wohlsein ein Hafen der Ruhe und die zukünftigen Hoffnungen ein Paradies von Vergnügen. Ich hatte mir ein Kleid von geschnittenem Sammet und einen Mantel von Sersche aus Segovia gekauft und trug einen Degen, mit dessen Scheide ich das Steinpflaster aufriß. Es war mein Vorsatz, mein Weib durchaus nicht zu besuchen, teils um sie selbst nach meinem Anblicke verlangen zu machen, teils auch mich wegen der Beleidigung zu rächen, die sie im Gefängnis gegen mich ausgestoßen hatte. Ich glaubte zuversichtlich, wenn sie mich so gut gekleidet sähe, so würde es sie gereuen, und sie würde mich mit offenen Armen empfangen. Allein, an einem Mohren ist das Waschen verloren! Ich fand sie als Wöchnerin und seit kurzem verheiratet. Als sie mich erblickte, sagte sie laut schreiend: Schafft mir diesen eingewässerten Fisch, dieses gerupfte Gänsegesicht weg, oder, so wahr mein Vater gelebt hat, ich springe auf und kratze ihm die Augen aus. Mit vieler Gleichgültigkeit antwortete ich ihr: Gemach, gemach, Frau Laternenputzerin! Wenn Sie mich nicht für Ihren Mann erkennt, so erkenne ich Sie ebensowenig für mein Weib. Gebe Sie mir nur meine Tochter heraus, und wir sind gute Freunde wie zuvor. Ich habe mir ein hübsches Vermögen erworben, um sie auf eine ehrenvolle Art verheiraten zu können. Der Herr Erzpriester war aber meinem Verlangen entgegen und sagte, daß sie nicht meine Tochter sei. Zum Beweise zeigte er mir das Taufbuch, woraus sich, nachdem wir es mit meinen Ehepakten verglichen hatten, ergab, daß das Kind vier Monate, nachdem ich meine Frau hatte kennen lernen, geboren worden war. Jetzt fiel ich von dem Esel, den ich bis jetzt als Pferd geritten hatte, indem ich geglaubt, die sei meine Tochter, die es doch nicht war. Ich schüttelte den Staub von meinen Schuhen und wusch mir die Hände zum Zeichen meiner Unschuld und meines Abschiedes auf immer. Darauf wendete ich mich so getröstet um, als ob ich sie nie gekannt hätte. Ich suchte meine Freunde auf, erzählte ihnen den Fall, und sie suchten mich zu trösten, was gar nicht nötig gewesen wäre. Nach einiger Zeit begegnete ich einmal, als ich nach dem Tore von Visagra spazieren ging, einer alten Bekannten, die mir erzählte, wie meine Frau jetzt weit geschmeidiger wäre, nachdem sie erfahren, wieviel ich Geld besäße, und vornehmlich, da sie Gabacho mit Schlägen gemißhandelt und verlassen habe. Sie glaube ohne allen Fehl, fuhr sie fort, wenn ich Fürbitter an meine Elvira abschicken wollte, sie würde mich wie zuvor aufnehmen. Dies war eine Nachricht für mich, die mir das Oberste zu unterst kehrte, und ich war sogleich bereit, den Rat der guten Alten zu befolgen, doch wollte ich ihn vorher meinen Freunden mitteilen. Achtes Kapitel Achtes Kapitel Wie Lazaro mit seiner Frau prozessierte. Wir Menschen gehören zum Geschlechte der eierlegenden Hühner: wenn wir etwas Gutes tun wollen, so gackern wir und rufen es aus; ist es aber etwas Böses, so wünschen wir nicht, daß es jemand wisse, damit man uns nicht abrate und verhindere, was doch sehr gut wäre. Ich ging einen meiner Freunde zu besuchen, die sich, seit ich Geld hatte, wie Fliegen beim Obst vermehrt hatten, und fand deren drei beisammen. Ich eröffnete ihnen meinen Wunsch, zu meinem Weibe zurückzukehren und mich aus dem üblen Gerede zu bringen, weil ein gekanntes Übel besser sei als ein Gut, das man erst kennen lernen solle. Diese machten mir aber mein Vorhaben zuwider, indem sie sagten, ich wäre ein Mensch ohne alles Ehrgefühl, der kein Blut im Auge und kein Gehirn im Kopfe hätte, wenn ich mich wieder mit dieser Mähre, dieser Wärmflasche, dieser Laternenputzerin und Teufels Mauleselin (so nennt man in Toledo die Beischläferinnen der Geistlichen) zu verbinden gedächte. Solche Dinge sagten sie mir und redeten mir so zu, daß ich beschloß, weder zu bitten noch hinzuschicken. Als sie nun sahen, daß ihr Rat und ihre Überredungen wirksam waren, so gingen sie noch weiter und sagten, sie rieten mir als ihrem Herzensfreund, ich möchte den mir angetanen Schimpf abwaschen und den Flecken meiner Ehre auslöschen, indem ich gegen den Erzpriester und gegen mein Weib eine gerichtliche Klage führte, besonders da mir dies keine Blanke kosten würde, weil sie selbst Diener der Gerechtigkeit wären. Der eine, der ein Prokurator verlorener Prozesse war, bot mir hundert Dukaten für meinen Gewinn: der andere, der noch mehr Erfahrungen hatte (er war privatisierender Advokat), sagte, wenn er in meiner Haut stäke, er würde meinen Vorteil nicht für zweihundert hingeben: der dritte versicherte mir (da er Gerichtsdiener war, so wußte er es sehr gut), er habe andere, weit weniger klare und sehr zweifelhafte Prozesse gesehen, die denen, die sie geführt, unendlichen Gewinn gebracht hätten. Kurz, sie wußten mir so zuzureden und mich durch schöne Hoffnungen so lüstern zu machen, daß ich ihnen nicht mehr widerstehen konnte, obgleich es mich bedünkte, daß es besser sei, zu verzeihen und mich zu unterwerfen als die Sache aufs Äußerste zu treiben. Denn meinem Weibe hatte ich ja zu verdanken, daß ich zuerst mein Haupt erhob und ein Amt und gutes Auskommen erhielt; und ob die Tochter, von welcher der Erzpriester sagte, sie sei nicht die meinige, es war oder nicht, das weiß allein Gott, der Erforscher der Herzen; und es konnte wohl sein, daß ebensogut, wie ich mich täuschte, auch er sich täuschte, so wie auch der Fall möglich wäre, daß irgendeiner von denen, die, während sie meine Einfalt lesen, darüber lächeln, die Söhne irgendeines ehrwürdigen Herrn ernährt und arbeitet, schwitzt und ängstlich besorgt ist, die reich zu machen, welche seine Ehre arm machen, indem er für gewiß glaubt, daß, wenn es in der Welt eine rechtschaffene Frau gibt, es die seinige sei. Ich will aber jeden, und auch dich, geliebter Leser, bei seiner guten Meinung lassen, da alle diese herrlichen Betrachtungen nicht hinreichend sein würden, ihn davon abzubringen. Ich überreichte also meine Klage wider den Herrn Erzpriester und mein Weib, und da ich bares Geld hatte, so wurden beide binnen vierundzwanzig Stunden ins Gefängnis geworfen. So lange mein Geld dauerte, gingen meine Sachen vortrefflich, die Advokaten liefen emsig umher und taten keinen Schritt umsonst, und in weniger als acht Tagen war der Prozeß vorwärts und mein Beutel rückwärts gekommen. Da man jetzt die Magerkeit desselben bemerkte, so fingen meine Gegner an, ihr Haupt zu erheben, und sie glichen Uhrgewichten, die verhältnismäßig stiegen, wie die meinigen sanken. Kurz, binnen vierzehn Tagen kam es dahin, daß sie gegen geleistete Bürgschaft das Gefängnis verließen, und der arme Lazaro wurde, durch falsche Zeugen überführt, zur Abbitte und zum Kostenersatz verurteilt und auf ewig aus Toledo verwiesen. Ich tat die Abbitte, wie es auch billig war, da ich es mir hatte einfallen lassen, mit zwanzig Dukaten einen Prozeß anzufangen mit einem, der die Taler mit Körben maß, gab alles bis aufs Hemd zur Beisteuer der Kosten her und ging fort, nackt und bloß, um meine Verbannung zu erfüllen. So sah ich mich in einem Augenblicke reich, prozessierend mit einer würdigen Person der heiligen Kirche zu Toledo, geachtet von meinen Freunden, gefürchtet von meinen Feinden und im Rufe eines angesehenen Mannes, der sich nicht das geringste gefallen ließ: und in demselben Augenblicke verwiesen, zwar nicht aus dem irdischen Paradiese, die Scham mit Feigenblättern bedeckt, aber doch aus dem Orte, den ich am meisten liebte und wo ich so viele Ergötzlichkeiten und Vergnügen empfangen hatte, meine Blöße mit Lumpen bedeckt, die ich von einigen Kehrichthaufen zusammengelesen hatte. Ich war fest entschlossen, mich dem Gaunerleben zu ergeben, das müheloser ist als das der Könige, Kaiser und Päpste, und machte mich deshalb auf den Weg nach Madrid, indem ich Almosen bettelte, wodurch ich mich, da ich weder Weib noch Kind zu erhalten hatte, reichlich und gut nährte. Neuntes Kapitel Neuntes Kapitel Wie Lazaro ein Lastträger wurde. Nicht weit von Illescas stieß ich auf einen Erzgauner, als welchen ich ihn auf den ersten Blick erkannte. Ich ging zu ihm wie zu einem Orakel, um ihn zu fragen, wie ich mich bei meiner neuen Lebensart zu benehmen habe. Er gab mir zur Antwort, wenn ich rein von Staub und Spreu durchkommen wolle, so rate er mir, mit dem Müßiggang der Maria die Arbeit der Martha zu verbinden: das sollte heißen, daß ich bei meinem Gaunerhandwerk noch ein anderes Gewerbe, in der Küche, im Schlachthause, als Bedienter einer Kupplerin oder als Lastträger, nebenher betreiben solle, welches eine wahre Schutzwache für die Gaunerschaft wäre. Ich dankte ihm für seinen Rat und befolgte ihn. Bei meiner Ankunft in Madrid kaufte ich einen Strick, mit welchem ich mich mitten auf den Markt stellte. Die erste, die mich zur guten Stunde mietete, war eine Jungfer (man verzeihe mir, wenn ich lüge) von ungefähr achtzehn Jahren und sittsamer als eine Novize. Sie hieß mich ihr folgen und führte mich durch eine Menge von Gassen zu einem Hause, das ich an dem kleinen Hinterpförtchen, am Hofe und an den Mädchen, die darin tanzten, sogleich für das erkannte, was es war. Wir gingen in ihr Stübchen, wo sie mich fragte, ob ich wollte, daß sie mir meine Arbeit sogleich bezahle. Ich antwortete ihr, es wäre ja Zeit, wenn wir da angekommen sein würden, wohin ich ihr das Päckchen tragen sollte. Ich nahm meine Last auf, die sehr leicht war, da sie größtenteils aus Schminkbüchsen und Flaschen mit wohlriechenden Wassern bestand, und sie führte mich nach dem Tore von Quadalaxara. Hier, sagte sie, müsse sie sich auf einen Wagen setzen, um, ihrem Verdienst nach, auf den Jahrmarkt nach Nagera zu gehen. Auf dem Wege erzählte sie mir mancherlei von ihrer Lebensart, und wir kamen gerade beim Wagen an, als er eben abfahren wollte. Ich legte das Päckchen ab und bat sie um meinen Lohn. Sehr gern! sprach die Unverschämte, und indem sie mir eine so starke Ohrfeige gab, daß ich zur Erde taumelte, fuhr sie fort: Bist du noch so ein Neuling, daß du Geld von meinesgleichen verlangst? Und habe ich dich denn nicht gefragt, ehe wir aus dem Hause gingen, ob du von mir Lohn haben wolltest? – Damit sprang sie in den Wagen wie ein Reh und ließ mich erzürnt und beschämt stehen. Wenn das Ende dieses Geschäftes so ist wie sein Anfang, dachte ich, so werde ich mich am Ende des Jahres recht wohl dabei befinden. – Ich war noch nicht weggegangen, als ein anderer Wagen von Alcala de Henares ankam. Die darin saßen, stiegen ab. Es waren liederliche Mädchen, Studenten und Mönche. Einer der letztern vom Orden des heiligen Franziskus fragte mich, ob ich ihm die Liebe erzeigen wolle, sein Bündel bis zu seinem Kloster zu tragen? Mit Freuden sagte ich ja; denn da war doch vorauszusehen, daß er mich nicht betrügen würde, wie die liederliche Dirne. Die Last war so schwer, daß ich sie kaum ertragen konnte; aber die Hoffnung der guten Bezahlung machte mir Mut. Sehr ermüdet kam ich endlich an dem weitentlegenen Kloster an. Der Mönch nahm sein Bündel und schloß mit den Worten: Alles zur Ehre Gottes! die Türe hinter sich zu. Ich wartete, bis er wiederkäme, mich zu bezahlen; da ich aber sah, daß er ausblieb, klopfte ich an die Pforte. Der Pförtner kam heraus und fragte mich, was ich begehre. Ich sagte ihm, daß ich meinen Lohn verlange für das Bündel, welches ich getragen hätte. Geh mit Gott! erwiderte er; hier wird nichts bezahlt! – Damit schloß er die Tür wieder zu, indem er mir noch zurief, ich solle nicht mehr klopfen, denn es wäre jetzt Silentium, und wenn ich es dennoch täte, so würde er mir mit seinem Stricke hundert Hiebe geben. Ich war wie erstarrt. Ein Armer von denen, die an der Pforte standen, sagte zu mir: Guter Freund, Ihr könnt nur immer gehen; denn diese frommen Väter rühren kein Geld an und leben selbst nur vom Schmarotzen. Ei, sie mögen leben, von was sie wollen, sagte ich; sie sollen mir aber meinen Lohn bezahlen, oder ich müßte nicht sein, wer ich bin. – Hiermit fing ich voll Zorn wieder zu klopfen an. Ein rüstiger Laienbruder kam heraus, gab mir, ohne zu fragen, was ich wolle, einen Rippenstoß, der mich zu Boden streckte, versetzte mir ein halbes Dutzend Kniestöße und ebensoviel Hiebe mit seinem Stricke und ließ mich zerschlagen liegen. Länger als eine halbe Stunde lang konnte ich nicht aufstehen und hatte deshalb Zeit, über mein Unglück und über die so übel verschwendeten Kräfte dieses ungeistlichen Bengels nachzudenken. Er würde sich besser dazu geschickt haben, sagte ich, dem König, unserm Herrn, zu dienen, als daß er den Armen das Almosen entzieht; aber dazu taugen diese Herren nicht einmal, denn sie sind müßige Fleischklumpen. Kaiser Karl der Fünfte zeigte dies ja deutlich, als ihm der General der Franziskaner zweiundzwanzigtausend Mönche zum Kriege anbot, die alle nicht über vierzig und nicht unter zweiundzwanzig Jahre alt waren. Der unbesiegte Kaiser gab zur Antwort, daß er sie nicht haben wolle, weil er für sie täglich zweiundzwanzigtausend Kochtöpfe nötig hätte, um sie zu ernähren: womit er zu verstehen gab, daß sie sich besser zum Essen als zum Arbeiten schickten. Gott verzeihe mir es, daß ich von diesem Tage an diese frommen Laienbrüder so sehr verabscheute, daß es mir, wenn ich einen sah, immer vorkam, als wenn ich eine Wespe in einem Bienenstocke sähe. – Ich beschloß, dieses Gewerbe zu verlassen, doch wollte ich abwarten, bis die vierundzwanzig Stunden, wie bei einem plötzlich Gestorbenen, verstrichen wären. Zehntes Kapitel Zehntes Kapitel Was Lazaro mit einer alten Kupplerin widerfuhr. Entkräftet und halbtot vor Hunger ging ich die Straße hinunter, und als ich über den Kornmarkt kam, begegnete ich einer alten Betschwester, deren Augenzähne größer waren als die eines Ebers. Sie kam auf mich zu und sagte mir, wenn ich ihr einen Koffer in das Haus einer ihrer Freundinnen tragen wolle, die ganz in der Nähe wohne, so wolle sie mir vier Quartos bezahlen. Ich dankte Gott, als ich dies hörte, und lud den Koffer mit vieler Mühe auf, denn er war groß und schwer. Die gute Alte bat mich, ihn ja behutsam zu tragen, da sich mehrere Flaschen mit wohlriechenden Wassern darin befänden, die sie in hohem Werte hielte. Ich antwortete ihr, sie möchte nichts fürchten, ich würde Schritt vor Schritt gehen; denn wenn ich auch wollte, so konnte ich nicht anders, so hungrig war ich. Wir kamen an das Haus, wohin der Koffer getragen werden sollte. Er wurde mit großer Freude angenommen, besonders von einem jungen Mädchen, welches mit freudigem Gesichte sagte, sie wolle den Koffer in ihrem Kabinette aufbewahren. Ich trug ihn dahin, und die Alte gab ihr den Schlüssel, indem sie ihr sagte, sie möchte ihn aufheben, bis sie von Segovia zurückkehre, woselbst sie eine Verwandte besuchen wolle. Die Alte umarmte sie, nahm Abschied und sagte ihr zwei Wörtchen ins Ohr, worüber das Mädchen rot wurde wie eine Rose. Sie empfahl sich nun allen im Hause, indem sie Vater und Mutter des Mädchens wegen ihrer Freiheit um Verzeihung bat. Diese boten ihr an, sich ihres Hauses nach Belieben zu bedienen. Die Alte gab mir vier Quartos und sagte mir, ich möchte den nächsten Morgen wieder in ihr Haus kommen, sie würde mir wieder ebensoviel zu verdienen geben. Voller Freuden ging ich weg, verwendete drei Quartos zur Abendmahlzeit und behielt einen zurück, um damit das Nachtlager zu bezahlen. Ich stellte jetzt über die Tugend und Kraft des Geldes meine Betrachtungen an; denn nachdem mir die Alte die wenigen Quartos gegeben hatte, war ich leichter als der Wind, mutiger als Roland und stärker als Herkules. – O Geld! nicht ohne Grund hält dich der größte Teil der Menschen für ihren Gott! Du bist die Quelle alles Guten und der Urheber alles Bösen; du bist der Erfinder und Erhalter aller Künste! Deinetwegen werden die Wissenschaften geschätzt und Meinungen verteidigt, Städte befestigt und Festungen der Erde gleich gemacht, Königreiche gegründet und verloren! Du erhältst die Tugend, und du richtest sie zugrunde; um deinetwillen bleiben die Jungfrauen keusch, und um dich hören sie auf, es zu sein! Endlich gibt es keine Schwierigkeit in der Welt, die durch dich nicht gehoben würde, nichts Verborgenes, in das du nicht eindrängest, keinen Hügel, den du nicht ebnetest, keine Ebene, die du nicht erhübest! Mit anbrechendem Morgen begab ich mich in das Haus der Alten, die mich mit ihr zu gehen hieß, um den Koffer wieder abzuholen. Sie sagte den Hausbesitzern, daß sie des Koffers wegen käme, weil sie auf dem Wege nach Segovia, eine halbe Meile von Madrid, ihre Verwandte angetroffen habe, die in derselben Absicht, sie zu besuchen, gekommen wäre. Das Mädchen gab ihr den Schlüssel mit einer feurigeren Umarmung zurück, als die erste gewesen war; darauf zischelten sie einander wieder in die Ohren und halfen mir den Koffer aufladen, der mir viel leichter vorkam als den Tag zuvor, weil mein Bauch voller war. Als ich die Treppe hinunterstieg, stieß ich an einen Stock, den zweifelsfrei der Teufel hingelegt haben mochte, strauchelte und rollte mit dem Koffer bis auf den Treppenabsatz hinunter, wo die Eltern des unschuldigen Mädchens standen. Ich zerschlug mir die Nase und Lenden, und durch die Schläge, die er erhielt, sprang der verteufelte Koffer auf, und es erschien darin ein junger Liebhaber, der mit Degen und Dolch geschmückt war. Er hatte keinen Mantel; Hosen und Rock waren von grünem Atlas, die Hutfeder von derselben Farbe, die Strümpfe fleischfarben und die Schuhe weiß. Er sprang mit vieler Anmut auf die Beine, machte eine tiefe Verbeugung und ging zur Tür hinaus. Alle waren erstaunt über die plötzliche Erscheinung, und einer sah den andern an. Als sie sich von ihrer Bestürzung erholt hatten, riefen sie eilig ihre zwei ältesten Söhne und erzählten ihnen den Vorfall. Diese ergriffen ihre Degen, schrien: Tod und Teufel! und setzten dem Stutzer nach; da er aber sehr schnell davongelaufen war, konnten sie ihn nicht erreichen. Die Eltern, die im Hause zurückgeblieben waren, verschlossen die Tür, um sich an der Kupplerin zu rächen; diese aber war einstweilen durch eine Seitentür entsprungen, und die Neuvermählte war ihr gefolgt. Da sie sich nun betrogen sahen, fielen sie über mich her, der ich lendenlahm dalag, ohne mich rühren zu können. Die Brüder kamen zurück, schwitzend und keuchend, und schwuren und vermaßen sich, daß, da sie den Schurken nicht erreicht hätten, sie nun ihre Schwester und die Kupplerin umbringen würden; da man ihnen aber sagte, daß diese durch die Hintertür entkommen wären, so ging das Fluchen und Schwören erst recht an. Der arme Lazaro war in fürchterlicher Erwartung, daß das Ungewitter über ihn ausbrechen würde, und in noch mehr Furcht setzten ihn zehn bis zwölf Jungen, die zugegen waren. Groß und klein fielen sie auf einmal über mich her; die einen stießen mich mit Füßen, die andern mit Fäusten; diese zogen mich bei den Haaren, jene gaben mir Ohrfeigen, und die Knaben stachen und kneipten mich, daß ich zum Himmel aufschreien mußte. Kurz, das Hämmern war so stark, daß es schien, als ob sie Getreide dröschen oder Tuch walkten. Der Vater sagte endlich, sie möchten mich lassen, und versprach mir, wenn ich die Wahrheit sagte, wer der Räuber seiner Ehre sei, so solle mir kein Leid geschehen. Aber ich konnte ihren Wunsch nicht erfüllen; denn ich wußte nicht, wer er war, und hatte ihn auch in meinem Leben nicht gesehen, außer als er aus dem Koffer sprang. Da ich nun sah, daß der Sturm von neuem beginnen sollte, beschloß ich, sie zu betrügen, wenn ich könnte, und versprach, ihnen den Übeltäter anzugeben. Sie fragten mich, wie er hieße und wo er wohnte, und ich antwortete ihnen, ich wüßte weder seinen Namen noch den seiner Gasse; wenn sie mich aber tragen wollten (denn auf meinen Beinen zu gehen, war nicht möglich, so hatten sie mich gemißhandelt), so würde ich ihnen das Haus zeigen. Damit waren sie zufrieden, gaben mir ein wenig Wein, wodurch ich einigermaßen wieder zu mir kam. Zwei von ihnen nahmen mich auf ihre Schultern und trugen mich so in Madrid herum. Die, welche mich sahen, sagten: Diesen Menschen bringt man ins Gefängnis; andere: ins Hospital; aber keiner traf das Rechte. Ich war bestürzt und verwirrt und wußte nicht, was ich tun oder sagen sollte; denn wenn ich hätte um Hilfe rufen wollen, so würde mein Geschrei die Justiz herbeigeführt haben, die ich mehr als den Tod fürchtete, und zu entfliehen war unmöglich, nicht allein wegen der Verletzung aller meiner Glieder, sondern auch, weil ich mich in der Mitte des Vaters, der Söhne und Verwandten befand, die sich an acht bis neun Mann versammelt hatten und alle wie St. Georg bewaffnet waren. Wir durchkreuzten Gassen, durchzogen Gäßchen, ohne daß sie wußten, wohin es ging, noch ich, wohin ich sie führte. So kamen wir an das Sonnentor, wo ich aus einer Seitengasse einen geputzten Ritter herauskommen sah, der auf Zehenspitzen einherschritt, den Mantel durch den Arm geschlagen, in der einen Hand einen Handschuh und in der andern eine Blume trug und die Arme zierlich bewegte: kurz, er schien ein leiblicher Bruder des Herzogs von Asturien. Er machte tausend Bewegungen und Biegungen mit dem Körper, woraus ich sogleich erkannte, daß es mein Herr, der Kavalier war, der mir in Murcia meine Kleider gestohlen hatte und den mich ohne Zweifel irgendein Heiliger finden ließ; denn ich hatte keinen aus der Litanei anzurufen vergessen. Da sah ich, daß mir die Gelegenheit ihre Stirn bot, so ergriff ich sie bei den Haaren und suchte mit einem Steine zwei Würfe zu tun; denn ich wollte mich an dem Aufschneider rächen und mich zugleich von diesen Henkern befreien. Ich sagte deshalb zu ihnen: Jetzt, meine Herren, aufgepaßt! Da kommt der Schurke, der Räuber eurer Ehre, und hat nur eben die Kleider gewechselt. – Blind vor Zorn, wie sie waren, brauchte es weiter nichts. Sie stürzten über ihn her, faßten ihn beim Kragen und warfen ihn zu Boden, indem sie ihm tausend Stöße mit Füßen und Fäusten gaben. Einer von den Brüdern des Mädchens wollte ihm den Degen durch den Leib rennen; aber sein Vater tat ihm Einhalt. Sie riefen nach der Wache und banden ihm die Hände. Da ich nun die Karten gemischt hatte und alle beschäftigt sah, machte ich mich davon und versteckte mich, so gut ich konnte. Mein guter Kavalier hatte mich erkannt, und da er glaubte, es wären meine Verwandten, die ihm meine Kleider abforderten, so rief er: Laßt mich, laßt mich! ich will ja zwei Kleider bezahlen! – Aber sie stopften ihm den Mund mit Faustschlägen. Blutig, mit Löchern in dem Kopf und zerwalkt brachten sie ihn ins Gefängnis. Ich wanderte aus Madrid, dieses Geschäft und seine Erfinder verfluchend. Elftes Kapitel Elftes Kapitel Wie Lazaro nach seiner Heimat reiste und was ihm unterwegs zustieß. Ich wollte mich auf den Weg machen, aber meine Kräfte entsprachen dem Willen nicht, und so hielt ich mich noch einige Tage in Madrid auf. Ich brachte sie nicht unangenehm hin; denn ich nahm ein Paar Krücken und bettelte Almosen, von Tür zu Tür, von Kloster zu Kloster. Sobald ich mich wieder bei Kräften fühlte, trat ich meine Reise an und eilte um so mehr, da ich von einem andern Bettler die Geschichte mit dem Koffer erzählen hörte, so wie ich sie erzählt habe; nur fügte er noch hinzu, daß der Mensch, den man in den Kerker geworfen, in der Meinung, er wäre der, welcher in dem Koffer gesteckt hatte, das Gegenteil bewiesen habe. Die Eltern des Mädchens suchten aber einen Lastträger auf, der alles angestiftet habe, und sie hätten geschworen, daß ihn der erste, der ihn fände, niederstoßen solle. Ich riß beide Augen auf und legte mir ein Pflaster auf das eine, schor mir den Bart wie ein Mönch und war nun sicher, daß mich in diesem Aufzuge meine eigene Mutter nicht erkennen würde. So wanderte ich aus Madrid, in der Absicht, nach Tejares zu gehen, um zu sehen, wenn ich in meinen Geburtsort zurück kehrte, ob das ungünstige Schicksal meiner vergessen würde. Ich kam am Eskurial vorbei, einem Gebäude, das die Größe des Monarchen zeigt, der es errichtete, und das unter die Wunderwerke der Welt gezählt zu werden verdient. Eine halbe Meile davon stieß ich auf eine Schar Zigeuner, die in einem Dörfchen ihre Wohnungen aufgeschlagen hatten. Sie sagten mir, daß dies nicht der Weg nach Salamanca sei, wohl aber der nach Valladolid. Da mich meine Geschäfte nicht eben nach diesem oder jenem Orte zu gehen nötigten, so sagte ich ihnen, da es so wäre, so wollte ich, ehe ich in meine Heimat ginge, erst diese Stadt sehen. Einer der Ältesten fragte mich, woher ich wäre, und als er erfuhr, daß ich von Tejares sei, lud er mich zum Essen ein, wegen der Nachbarschaft, da er aus Salamanca war. Ich nahm die Einladung an, und sie baten mich hierauf, ihnen mein Leben und meine Abenteuer zu erzählen. Ich tat es, ohne mich lange bitten zu lassen, so kurz, als es so große Zufälle erlaubten. Als ich auf die Kufe kam und auf den Streich, der mir im Wirtshause zu Madrid widerfahren war, erhoben sie ein lautes Gelächter, besonders ein Zigeuner und eine Zigeunerin, die über die Gebühr lachten. Ich schämte mich und wurde rot; der Zigeuner, mein Landsmann aber, der meine Scham bemerkte, sagte: Schäme dich nicht, Bruder, denn diese Herren lachen nicht über dein Leben, das mehr Bewunderung als Lachen verdient; und weil du es uns so ausführlich erzählt hast, so ist es billig, daß wir dich mit gleicher Münze bezahlen. Du mußt wissen, daß die beiden hier, welche so sehr lachen, das Mädchen und der Geistliche sind, die aus dem Fenster sprangen, als die Sündflut aus deiner Kufe sie zu ersäufen drohte. Die junge Zigeunerin bat um die Erlaubnis, ihre Geschichte selbst erzählen zu dürfen, und begann darauf: Den Tag, als ich aus dem Hause meines Vaters lief, oder vielmehr sprang, brachten sie uns ins Gefängnis, mich in eine schlechte Stube und Herrn Vruez, der hier gegenwärtig ist, in ein dunkles Loch. Letztern führten sie, als er sagte, daß er ein Geistlicher sei, zum Herrn Bischof, der ihm einen derben Verweis gab und ihm zur Strafe auferlegte, einen Monat lang keine Messe lesen zu dürfen. Ich blieb unter der Aufsicht des Kerkerhauptmanns. Da dieser jung und verliebt und ich ein Mädchen von nicht schlechtem Ansehn war, so tat er mir alles zu Gefallen; und auf diese Weise war mir mein Gefängnis ein Garten und Aranjuez von Vergnügen. Der Herr Lizentiat Vruez schlich unablässig um das Gefängnis herum wie ein Spürhund, um zu sehen, ob er mich sprechen könne. Dies gelang ihm endlich mit Hilfe einer guten Kupplerin, die Meisterin in ihrem Gewerbe war, indem sie ihn wie ein Dienstmädchen kleidete und ein Tuch um seinen Bart band, als ob er Zahnweh hätte. Aus unsrer Zusammenkunft entsprang der Anschlag zu meiner Flucht. In der folgenden Nacht wurde nämlich im Hause des Grafen Miranda ein Ball gegeben, auf welchem die Zigeuner einen Tanz aufführen sollten. Mit diesen verstand sich Canil (so hieß jetzt der Herr Lizentiat), damit sie ihn bei seinem Vorhaben unterstützten, und sie taten dies so gut, daß wir mit ihrer Hilfe der ersehnten Freiheit und ihrer angenehmen Gesellschaft genießen. Leicht überredete ich den Herrn Hauptmann, den der kleine blinde Bube mit einem Pfeile verwundet hatte, mich den Ball sehen zu lassen. Damit ich desto weniger erkannt würde, kleidete er mich als einen Pagen, mit einer Jacke von grünem Damast, mit Gold verbrämt, einem Mäntelchen von grünem Sammet, einem Hute mit einer Reiherfeder und einem Bande von Diamanten; um den Hals hatte ich eine schöne Spitzenkrause; die Schuhe waren weiß und die seidnen Strümpfe gelb mit bunten Strumpfbändern aufgebunden. Außerdem gab er mir noch einen vergoldeten Degen und Dolch. Wir kamen in den Saal, in welchem sich viele schöne Damen und reichgekleidete Kavaliere befanden. Canil war wie ein Bauer angezogen und stellte sich, als er mich erblickte, an meine Seite, so daß ich zwischen ihm und dem Hauptmann stand. Die Zigeuner begannen zu tanzen, und während desselben gerieten sie in Wortwechsel, der so heftig wurde, daß einer dem andern einen Degenhieb über den Kopf gab, so daß das Blut dicht herabströmte. Alles kam in Bewegung, und man rief nach der Wache. Der Alguazil, der ebenfalls zugegen war, übergab dem Herrn Hauptmann den Verbrecher, ihn ins Gefängnis zu führen. Gern hätte der mich mit sich genommen, aber aus Furcht, man dürfte mich erkennen, flüsterte er mir zu, ich möchte mich in jenen Winkel, den er mir zeigte, zurückziehen, bis er wiederkäme. Kaum war er fort, als mich Canil, der immer an meiner Seite stand, bei der Hand nahm, und mit zwei Sprüngen waren wir auf der Straße. Als der Verwundete, den alle schon für tot hielten, vermutete, daß wir in Sicherheit wären, sprang er auf und sagte: Meine Herren, bis jetzt ist der Spaß gut gegangen. Ich bin frisch und gesund, und alles geschah nur zur Aufheiterung des Festes. – Er nahm eine Kappe ab, in der eine mit Blut gefüllte Ochsenblase versteckt war, die der Hieb durchschnitten hatte. Alle fingen an zu lachen, ausgenommen der Hauptmann, der mich nirgends finden konnte. Ehe wir Madrid verließen, hatten wir meine Kleider für zweihundert Realen umgesetzt und das Hutband für vierhundert Taler verkauft. Zweihundert davon zahlte ich, als wir hier ankamen, an diese Herren: denn so hatte es ihnen Canil versprochen. Dies ist die Geschichte meiner Befreiung; verlangt nun Herr Lazaro irgendeinen Dienst von uns, so darf er nur befehlen, wir werden ihm in allem zu dienen suchen. Ich dankte ihr für ihre Höflichkeit und nahm von allen Abschied. Der gute Alte begleitete mich eine Meile weit. Unterwegs fragte ich ihn, ob sie alle Zigeuner und in Ägypten geboren wären, worauf er mir antwortete, in ganz Spanien gäbe es nicht einen einzigen, sondern alle wären Geistliche, Klosterbrüder, Nonnen und Diebe, die sich aus den Klöstern und Kerkern geflüchtet hätten. Die ärgsten Betrüger wären aber die Flüchtlinge aus den Klöstern, die das spekulative Leben mit dem aktiven vertauscht hätten. – Er kehrte hierauf zurück, und ich setzte auf den Pferden des heiligen Franziskus meinen Weg fort. Zwölftes Kapitel Zwölftes Kapitel Was Lazaro eine Meile von Valladolid in einem Wirtshause begegnete. Auf dem Wege stellte ich über das Leben, die Gewohnheit und das Gewerbe der Zigeuner meine Betrachtungen an. Es befremdete mich sehr, wie die Justiz so offenbare Diebe öffentlich dulde, da doch alle Welt weiß, daß ihr Handel und Wandel nichts andres als Dieberei ist. Sie sind ein Asyl und Anlockung der Schurken, eine Kirche für Abtrünnige und eine Schule aller Übeltaten. Am meisten verwunderte ich mich darüber, daß die Klosterbrüder ihr ruhiges Leben verlassen, um dem elenden und beschwerlichen der Zigeunerei zu folgen. Eine Meile von Valladolid kam ich zu einem Wirtshause, vor dessen Tür die Alte aus Madrid und das Mädchen, für welches der Koffer bestimmt war, saßen. Es kam ein artiger Herr heraus, der sie zum Essen abrief. Sie kannten mich nicht, da ich durch die Bettlerkleider, die ich trug, und das Pflaster auf dem Auge sehr verstellt war; aber ich erkannte in dem Galan sogleich den Lazarus, der aus dem Sarge, der mir so teuer zu stehen kam, gestiegen war. Ich stellte mich vor sie hin, um zu sehen, ob sie mir etwas geben würden; sie konnten mir aber nichts geben, da sie selbst nichts hatten. Der Galan hatte für sich, für seine Geliebte und die alte Kupplerin ein wenig Schweinsleber in einer Brühe bereiten lassen. Alles, was in der Schüssel war, hätte ich mit weniger als zwei Bissen verschlungen. Das Brot war so schwarz wie das Tischtuch, welches der Kutte eines Büßenden oder einem Ofenwisch glich. – Iß, mein Leben, sagte der Galan, es ist ein Fürstenessen. – Die Kupplerin aß und schwieg, um keine Zeit zu verlieren, weil sie sah, daß nicht viel für solche Einladungen da war. Sie rieben die irdene Schüssel so aus, daß sie die Glasur abscheuerten. Da ich sah, daß es hier für mich nichts gab, fragte ich den Wirt, ob er etwas zu essen hätte. Er sagte, er würde mich nach der Bezahlung bedienen, und bot mir einen Lammbraten an, der dem Liebhaber nicht angestanden hatte, weil er zu teuer war. Ich wollte gegen sie aufschneiden, ließ mir ihn bringen und setzte mich damit unten an ihre Tafel. Jetzt war es sehenswert, was für Blicke sie warfen; mit jedem Blicke verschluckte ich sechs Augen, denn die des Galans, des Mädchens und der Kupplerin waren an das, was ich aß, wie angenagelt. Es war, als ob mein Lammbraten ein Magnet wäre; denn ehe ich es mir versah, zog er sie alle dreie zu meiner Schüssel. Die kleine Unverschämte nahm ein Stück und sagte: Mit Eurer Erlaubnis, Bruder! – und ehe sie diese erhalten hatte, war auch der Bissen schon in ihrem Mund. Auch die Alte nahm einen Bissen, um den Geschmack zu versuchen, und der Liebhaber sagte: Es scheint ihnen zu schmecken! – und steckte ein Stück Fleisch in den Mund, so groß als eine Faust. Da ich sah, daß sie sich zu viel Freiheit herausnahmen, nahm ich alles, was in der Schüssel war, auf einen Bissen, der aber so groß war, daß er weder vor- noch rückwärts konnte. Jetzt kam die Alte, welche bei einem Geräusche an die Tür getreten war, hereingelaufen, hielt die Hände vor das Gesicht und sagte leise und voll Angst: Wir sind verloren! Die Brüder Klärchens (so hieß das Mädchen) sind vor der Tür. – Das Mädchen fing an, sich die Haare auszuraufen und sich ins Gesicht zu schlagen, als ob sie besessen wäre; aber der Galan, dem es nicht an Mut fehlte, tröstete sie, indem er sagte, sie möchten ruhig sein, denn wo er wäre, hätten sie nichts zu fürchten. Ich horchte auf, den Mund noch voll von Lammbraten, und als ich hörte, daß diese Eisenfresser da wären, glaubte ich vor Furcht zu sterben. Da aber meine Kehle voll war, so kehrte meine Seele wieder zurück, weil sie keinen Ausweg fand. Die beiden Cids traten herein, und sobald sie ihre Schwester und die Kupplerin erblickten, schrien sie: Hier sind sie! hier haben wir sie! hier sollen sie sterben! – Ich stürzte vor Angst zu Boden, und die beiden Weiber versteckten sich hinter ihren Ritter wie Küchlein unter die Flügel der Henne, wenn sie den Geier fliehen. Er legte unerschrocken Hand an den Degen und trat ihnen so unerschrocken entgegen, daß sie vor Schreck zu zwei Bildsäulen wurden. Die Worte waren ihnen im Munde und die Degen in den Scheiden eingefroren. Er fragte sie, was sie wollten und was sie suchten, und indes er dies tat, fiel er über den einen her, riß ihm den Degen weg, hielt ihm denselben vor die Augen und dem andern seinen eignen. Bei jeder kleinen Bewegung, die er machte, zitterten sie wie Espenlaub. Die Alte und die Schwester, als sie diese beiden Rolande so zaghaft sahen, näherten sich ihnen und entwaffneten sie. Der Wirt kam bei dem Lärm, den alle machten, herein (denn auch ich war schon aufgestanden und hielt den einen am Barte) und schrie: Was ist das? Was untersteht ihr euch in meinem Hause? – Die Weiber, der Ritter und ich schrien zugleich, es wären Räuber, die uns gefolgt wären, um uns auszuplündern. Der Wirt, als er sah, daß sie entwaffnet und wir die Sieger waren, sagte: Was? Räuber in meinem Hause? – packte sie an und schleppte sie mit unsrer Hilfe in einen Keller, ohne daß ihnen ihre Rechtfertigungen zu etwas halfen. Ihr Bedienter, der indessen die Maultiere versorgt hatte, kam und fragte nach seinen Herren, und auch diesen steckte er zu ihnen. Er nahm hierauf ihre Mantelsäcke und schloß sie ein, gleich als ob sie ihm gehörten. Von uns forderte er gar keine Zeche, damit wir nur sein Verfahren gutheißen und ihm als Zeugen dienen möchten. Als Richter des Ortes, für welchen er sich ausgab, verurteilte er alle drei für ewig auf die Galeeren und jeden noch zu zweihundert Rutenhieben um das Wirtshaus herum. Er brachte sie hierauf mit dreien seiner Knechte nach Valladolid und stellte sie vor das Inquisitionsgericht, indem er in dem Prozesse einige Worte angeführt hatte, die sie wider die Richter der heiligen Inquisition ausgestoßen hätten: ein unverzeihliches Verbrechen. Man warf sie in einen tiefen Kerker, aus dem sie weder, wie sie hofften, ihrem Vater schreiben noch sonst jemanden um Hilfe anrufen konnten. Der verschmitzte Wirt sagte uns, daß die Herren Inquisitoren ihm aufgetragen hätten, die im Prozeß angeführten Zeugen vor ihnen erscheinen zu lassen, er riet uns aber als seinen Freunden, uns davonzumachen. Dies taten wir gern. Nach vierzehn Tagen wurde zu Valladolid ein öffentlicher Akt der Inquisition gehalten, wobei ich unter den übrigen Büßenden auch die drei armen Teufel erblickte, jeden mit einem Knebel im Munde, als Gotteslästerer, die es gewagt, ihre Zungen gegen die Diener der Inquisition, solche heilige und vollkommene Leute, zu erheben. Ein jeder trug eine Mitra und ein Sanbenito 1 , auf welchem sein Ver brechen und seine Strafe geschrieben stand. Es tat mir leid, den armen Bedienten dabei zu sehen, der das mit bezahlen mußte, was er nicht verschuldet hatte. Mit den andern hatte ich kein Mitleid, weil sie gegen mich keins gehabt hatten. Das Urteil des Wirts war übrigens bestätigt und noch dreihundert Rutenstreiche hinzugefügt worden, nach deren Empfang sie auf die Galeeren geschickt werden sollten. Fußnoten 1 Mitra oder Coroza ist eine drei Fuß hohe spitze Mütze von gemalter Pappe, die den Verbrechern aufgesetzt wird, welche die Inquisition bestraft. – Sanbenito , ein breites Stück Tuch mit einem Andreaskreuze, das vorn und hinten über die Schultern herabhängt und mit dem diese Verbrecher ebenfalls geschmückt waren. Dreizehntes Kapitel Dreizehntes Kapitel Wie Lazaro sieben Frauen zugleich als Escudero diente. Mit sechs Realen im Beutel kam ich in Valladolid an; denn jeder, der mich so schwach und bleich sah, gab mir mit freigebiger Hand Almosen, welche ich nicht ausschlug. Ich ging sogleich auf den Trödelmarkt, wo ich für vier Realen einen langen Friesmantel kaufte, der wohl einem Portugiesen gehört haben mochte, weil er so abgetragen und zerrissen war; auch kaufte ich für einen Real einen Hut, der hoch war wie ein Rauchfang und breitgekrämpt wie der eines Franziskanermönchs. In diesem Aufzug durchwanderte ich, mit einem dicken Stock in der Hand, den Ort. Nachdem ich einige Gassen durchzogen hatte, begegnete ich einer Frau im Reifrock. Sie hatte einen Taffetmantel um, der sie bis an die Brust verhüllte, trug hohe Schuhe und stützte die Hand auf den Kopf eines Knaben. Sie fragte mich, ob ich ihr keinen Escudero zuweisen könne, und ich gab ihr zur Antwort, ich wisse keinen andern als mich selbst, und wenn ich ihr anstände, so könne sie über mich befehlen. Wir wurden sogleich einig, und sie versprach mir täglich drei Quartillos als Lohn. Ich trat meinen Dienst an, indem ich ihr den Arm reichte und meinen Stock wegwarf, und sie führte mich zwei Stunden lang mit sich herum. Beim ersten Besuche befahl sie mir, wenn sie in irgendein Haus ginge, voraus einzutreten, nach der Frau oder dem Herrn vom Hause zu fragen und ihnen dann zu sagen: Sennora Juana Perez (so hieß sie) befindet sich hier und wünscht Eur Gnaden die Hände zu küssen. – Auch belehrte sie mich, daß ich mich niemals in ihrer Gegenwart bedecken dürfe, wenn sie irgendwo aufgehalten würde. Sie versprach mir, da mich ihr Dienst nicht genug beschäftigen würde, sich nach einigen Nachbarinnen umzusehen, die ich zugleich mit bedienen könnte und die mir ebenfalls den bedungenen Lohn zahlen würden. Sie fragte mich auch, ob ich ein Nachtlager hätte, und ich antwortete: Nein. – Das sollt Ihr haben, fuhr sie fort; mein Mann ist ein Schneider, und so könnt Ihr bei den Jungen schlafen. Ich war ganz erstaunt über das Ansehen dieses Weibes, die zum wenigsten die Frau eines angesehenen Kavaliers oder eines reichen Bürgers zu sein schien. Ebensosehr erschrak ich, daß ich, um täglich drei Quartillos zu verdienen, sieben Frauen dienen sollte. Ich überlegte aber, daß etwas besser sei als nichts, und daß es keine beschwerliche Arbeit sei, die ich wie der Satan scheute; denn immer wollte ich lieber Kohlstrünke und Zwiebeln essen und dabei müßiggehen, als Kapaunen und Hühner und dabei arbeiten. Als wir nach Hause kamen, gab sie mir ihren Mantel und ihre Überschuhe, damit ich sie der Magd einhändigen möchte, und bezahlte mir ihren Quarto, indem sie mir befahl, täglich zweimal bei ihr anzufragen, ob sie ausgehen wolle. Ich ging nun zu einem Pastetenbäcker, und mit einer kleinen Pastete war mein Sold aufgezehrt. Den Rest des Tages brachte ich hungernd wie ein Chamäleon hin. Als ich nachmittags wieder zu ihr kam, sagte sie, sie hätte nicht Lust, auszugehen, und erklärte mir zugleich, daß sie mir künftig die Tage, an denen sie nicht ausginge, nicht bezahlen würde, und ginge sie nur einmal aus, so könne sie mir nicht mehr als zwei Maravedis geben. Nach Verlauf von vier Tagen trat die Frau eines Gerbers mit in die Schwesternschaft, die über eine Stunde lang mit mir um den Lohn mäkelte, und nach fünf Tagen endlich hatte ich sieben Frauen zusammen und zum Lohn sieben Quartos. Nun fing ich an, köstlich zu essen und nicht den schlechtesten Wein zu trinken. Die fünf andern Frauen waren: die Witwe eines Häschers, eine Gärtnersfrau, die Nichte eines barfüßigen Karmeliters wie sie sagte, und eine Fleischersfrau, die ich am meisten liebte, weil sie mich oft auf eine Wurstsuppe einlud. Die letzte war eine Betschwester, welche mir mehr zu schaffen machte als alle übrigen; denn sie tat nichts anderes, als Mönche zu besuchen, mit denen sie sich gütlich tat. Ihr Haus glich einem Bienenstock, einige gingen hinein, andere heraus, und alle kamen mit vollen Taschen. Auch mir gaben sie Geschenke, damit ich ein treuer Sekretär sein möchte. Jede dieser meiner Frauen hatte ihre bestimmte Stunde, in der sie ausging, und die Zeit, wenn ich sie wieder abholen sollte, wurde mir bestimmt. Versäumte ich dies um einige Augenblicke, so regneten die fürchterlichsten Schmähworte auf mich herab, so daß der, welcher dies mit anhörte, ohne Zweifel glauben mußte, sie bezahlten mir täglich zwei Realen und jährlich noch obendrein dreißig Dukaten. Eines Tages trug es sich zu, daß die Nichte des Karmeliters und die Witwe des Häschers in einer Kirche zusammentrafen und beide zu gleicher Zeit nach Hause gehen wollten. Darüber, welche ich zuerst begleiten sollte, gerieten sie miteinander in so großen Streit, daß es schien, als ob wir auf einem Gevatterschmause wären. Die eine zog mich hierhin, die andere dorthin, und dies mit solcher Wut, daß sie mir meinen Mantel in Stücke rissen. Ich stand nun ganz nackt da; denn unter demselben hatte ich nichts an als die Lumpen eines Hemdes, das einem Fischernetze glich. Das Gelächter ward allgemein; einige machten sich über den armen Lazaro lustig, andere merkten auf die beiden Frauen, die sich alle ihre Fehler vorwarfen. Mittlerweile las ich die Stücke meines Mantels zu sammen, die als überreif abgefallen waren, und bat eine dabeistehende Frau um einige Stecknadeln, mit denen ich sie, so gut ich konnte, zusammenheftete. Ich ließ sie zanken und eilte in das Haus der Schneidersfrau, die mir befohlen hatte, sie um elf Uhr abzuholen, weil sie zu einer Freundin zu Tisch gehen wollte. Als sie meinen elenden Aufzug sah, schrie sie mir entgegen: Wie, Ihr wollt mein Geld verdienen und kommt wie ein Bettler, mich zu begleiten? Mit weniger, als ich Euch gebe, kann ich einen andern Escudero haben, mit langen Beinkleidern, Mantel und Mütze! Ihr tut nichts, als Euch mit dem, was ich Euch gebe, zu betrinken! – Ich mich betrinken! sagte ich bei mir selbst, mit sieben Quartos, die ich höchstens den Tag verdiene, da noch viele Tage mit unterkommen, an denen meine Frauen nicht ausgehen wollen, um einen Quarto zu ersparen! Sie ließ mir aber doch die Stücke meines Mantels zusammennähen; weil es aber mit so großer Eile geschah, so hefteten sie mir einige der untern Stücke zu oberst. In diesem Aufzuge begleitete ich sie. Vierzehntes Kapitel Vierzehntes Kapitel worin Lazaro erzählt, was ihm bei einem Gastmahle begegnete. Wir eilten nun im Schritte eines zu Gaste gebetenen Mönches; denn meine Frau fürchtete, sie möchte nicht genug mehr für sich finden. Wir kamen in das Haus der Freundin, wo wir mehre eingeladene Frauen fanden. Sie fragten meine Gebieterin, ob ich tauglich wäre, die Türe zu hüten, und da diese es bejahte, sagten sie zu mir: Bleibt hier, guter Freund, Ihr könnt heute einmal Euerm Magen ein Labsal verschaffen. Es kamen hierauf viele junge Herren, von denen jeder etwas aus seiner Tasche zog, der eine ein Rebhuhn, der andere eine Henne, dieser ein Kaninchen, jener ein paar Tauben, der eine einen Schöpsenbraten, jener ein Stück Schinken; einer brachte Würste und ein andrer eine große Pastete, die er in sein Schnupftuch gewickelt hatte. Sie gaben dies alles dem Koch und schäkerten einstweilen mit den Damen. Endlich kam das Essen. Sie zehrten alles auf, und auf der Tafel blieb nichts übrig; denn was sie nicht aßen, steckten die Frauen in ihre Taschen und wickelten es in ihre Schnupftücher. Die Herren räumten den Nachtisch auf, der aus Obst, Käse, Oliven und Konfekt bestand. Nun setzten sich die Bedienten zur Tafel, es war aber für uns nichts da als ein wenig Suppe, und ich wunderte mich sehr, daß die Damen nicht auch diese in ihren Ärmeln mit sich genommen hatten. Wir hatten kaum zu essen angefangen, als wir in dem Saale, wo unsere Herren und Frauen waren, einen großen Lärm hörten. Sie waren über den Rang ihrer Eltern und Männer in Streit und aus Worten zum Handgemenge gekommen. Es traf sich, daß die Justiz gerade durch diese Gasse zog und den Lärm hörte. Sie klopfte an die Tür und rief: Öffnet der Gerechtigkeit! Als sie dieses Wort hörten, flohen sie, einer hier-, der andere dorthin. Einige ließen ihre Mäntel, andere ihre Degen, diese ihre Schuhe, jene ihre Schleier zurück. Alle verschwanden und verbargen sich, so gut sie konnten. Ich allein wußte nicht, wohin ich fliehen sollte, und da ich Türhüter war, öffnete ich, damit man mir nicht Widersetzlichkeit gegen die Justiz zur Last legen könnte. Der erste Häscher der hereintrat, faßte mich beim Kragen und sagte, ich sei sein Gefangener. Darauf verschlossen sie die Tür und fingen an, die andern zu suchen, die den Lärm gemacht hatten. Kein Zimmer, Kabinett, Boden und Keller blieb undurchsucht; da sie aber niemand fanden, setzten sie mich zur Rede, und ich bekannte alles, vom Anfang bis zum Ende. Sie konnten nicht begreifen, wo so viele Menschen, als ich ihnen gesagt hatte, hingekommen wären, und in Wahrheit, ich selbst erstaunte darüber; denn es waren zwölf Männer und sechs Frauen. In meiner Einfalt sagte ich (und ich glaubte es auch), es müßten Poltergeister gewesen sein, die den Lärm gemacht hätten. Sie lachten über mich, und der Alguazil fragte die, welche in den Keller hinabgestiegen waren, ob sie auch alles genau durchsucht hätten. Sie bejahten es; er aber, nicht damit zufrieden, ließ eine Fackel anzünden und stieg selbst mit hinab. Als sie die Tür öffneten, sahen sie eine Tonne rollen. Die Häscher erschraken und wollten davonlaufen, indem sie schrien: Bei Gott, es ist wahr, was dieser Mann sagt; es sind Geister! – Der Alguazil aber, ein schlauer Herr, hielt sie zurück und sagte: Ich fürchte selbst den Teufel nicht! – Er ging zur Tonne, öffnete sie und fand einen Mann und eine Frau darin, die sich in dieselbe versteckt hatten und die zwei Häschern zur Bewachung übergeben wurden. Nun fing man an, die übrigen zu suchen. Der Alguazil entdeckte eine Kufe mit Öl, worin ein gutgekleideter Mann saß, so, daß ihm das Öl bis an die Brust reichte. Als man ihn endeckte, wollte er herausspringen; er machte es aber so ungeschickt, daß er die Kufe umwarf. Das Öl spritzte zu den Dienern der Gerechtigkeit empor und befleckte sie ohne alle Ehrfurcht. Diese fluchten, und da der Geölte sah, daß ihm niemand nachsetzte, sondern alle flohen wie vor einem Verpesteten, ergriff er die Flucht. Der Alguazil rief: Haltet, haltet ihn! – Aber alle machten ihm Platz. Er entkam durch eine Seitentür und ließ einen langen Streifen von Öl hinter sich. Die Gerechtigkeit war nun mit Öl gesalbt und fluchte, daß man sie hieher geführt habe. Sie stiegen aus dem Keller wie Pfannenkuchen aus der Bratpfanne und waren so in Zorn, daß sie bei Gott und bei den heiligen vier Evangelisten schwuren, alle, die sie finden würden, sollten an den Galgen. Sie kamen an eine Mehlkammer und traten hinein; aber in demselben Augenblicke wurde über der Tür ein Mehlsack ausgeleert, der alle, die darin standen, blind machte. Sie schrien: Widersetzung gegen die Gerechtigkeit! Aber sobald sie die Augen öffneten, wurden sie ihnen auch sogleich mit Mehl geschlossen. Die uns festhielten, ließen uns los, um dem Alguazil beizustehen, der wie ein Unsinniger schrie. Kaum aber waren sie hineingetreten, als auch ihnen die Augen mit Mehl gefüllt wurden. Sie liefen herum wie blinde Hühner, stießen aneinander und gaben sich Faustschläge und Stöße. Als wir sie in dieser Verwirrung sahen, fielen wir über sie her und brachten sie bald alle zu Boden. Nun regnete und hagelte es Schläge und Fußtritte auf sie herab, die so lange dauerten, bis sie nicht mehr schrien und sich nicht mehr regten. Wollte ja einer den Mund öffnen, so wurde er ihm gleich mit Mehl gefüllt. Wir banden ihnen Hände und Füße, schleppten sie in den Keller und warfen sie ins Öl wie gebackene Fische. Darauf verschlossen wir die Tür, und ein jeder ging nach Hause. Jetzt kam der Herr des Hauses, der auf dem Lande gewesen war, und fand die Tür verschlossen und niemand, der ihm öffnen wollte; denn seine Nichte, die das Haus zu dem Gastmahle hergegeben hatte, war aus Furcht zu ihrem Vater geflohen. Er ließ deshalb die Schlösser aufbrechen, und als er sein Haus mit Mehl besäet und mit Öl gesalbt fand, ward er so zornig, daß er wie ein Trunkener lärmte. Er ging in den Keller, wo er sein Öl verschüttet und die Gerechtigkeit sich darin herumwälzen sah. Der Verlust seines Eigentums brachte ihn so in Wut, daß er einen Knittel nahm und den Alguazil und die Häscher beinahe totprügelte. Er rief dann die Nachbarn zusammen und schleppte mit ihrer Hilfe seine Gäste auf die Straße, wo sie aufs neue von den Straßenbuben gemißhandelt wurden; denn sie waren so voll Mehl, daß sie niemand kannte. Als sie wieder zu sich kamen und sich auf der Straße und in Freiheit sahen, retteten sie sich durch die Flucht und ließen ihre Mäntel, Degen und Dolche zurück, ohne sie jemals wiederzuholen, damit niemand den Vorfall erfahren möchte. Der Herr des Hauses behielt alles für den Schaden, den er erlitten hatte. Als ich davonlief, fand ich einen Mantel, der gar nicht schlecht war; ich ließ deshalb den meinigen liegen, nahm diesen und dankte Gott, daß ich so gut davongekommen war, etwas ganz Neues für mich, da ich gewöhnlich Haare lassen mußte. Ich ging zur Schneidersfrau und fand das ganze Haus umgekehrt und den Schneider, ihren Mann, der sie mit Schlägen traktierte, weil sie allein, ohne Mantel und Schuhe und von mehr als hundert Jungen begleitet nach Hause gekommen war. Ich kam gerade zur guten Stunde; denn sobald der Schneider mich erblickte, ließ er von seiner Frau ab, fiel über mich her und gab mir einen Faustschlag, der mich aller der Zähne beraubte, die ich noch hatte. Wie, du alter Kuppler, schrie er, du schämst dich nicht, wieder in mein Haus zu kommen? Jetzt sollst du mir die alte und neue Schuld bezahlen! – Nun rief er seine Gesellen; diese holten ein Tuch, auf welchem sie mich zu ihrer Lust und zu meinem Wehe prellten. Ich war halbtot, und sie legten mich auf eine Bank und setzten mich vor die Tür. Es war Nacht, und als ich wieder zu mir kam und mich bewegte, fiel ich auf die Erde und brach vom Falle einen Arm. Mit Tagesanbruch schleppte ich mich nach und nach an eine Kirchtür und bettelte mit erbarmungswürdiger Stimme Almosen. Fünfzehntes Kapitel Fünfzehntes Kapitel Wie Lazaro ein Einsiedler wurde. So lag ich in der Kirchtür, betrachtete mein verflossenes Leben und erwog die Unglücksfälle, die mich betroffen hatten, von dem Tage an, wo ich dem Blinden zu dienen anfing, bis auf den Punkt, auf dem ich mich jetzt befand. Ich zog daraus den Schluß, daß es nicht früher tagt, wenn man früh aufsteht, und daß man um nichts reicher wird, wenn man viel arbeitet. Das Sprichwort sagt: Wem Gott hilft, der kömmt weiter, als der früh aufsteht! Ich empfahl mich ihm deshalb, damit das Ende meines Lebens besser sein möchte als der Anfang und die Mitte desselben. Neben mir stand ein ehrwürdiger Eremit mit weißem Barte; in der Hand hielt er einen Stock und einen Rosenkranz, an dessen Ende ein Totenkopf hing, so groß als der eines Kaninchens. Als der gute Vater mich so betrübt sah, tröstete er mich mit liebreichen Worten und fragte mich, woher ich wäre und was mich in dieses Elend gestürzt hätte. Ich erzählte ihm die vielen Unglücksfälle meines Lebens mit kurzen Worten. Er war erstaunt und gerührt und lud mich ein, ihm in seine Einsiedelei zu folgen. Ich nahm den Vorschlag an, und wir kamen, nicht ohne große Beschwerlichkeit, in seiner Kapelle an, die sich eine Meile weit von der Stadt in einem Felsen befand. Neben ihr war eine kleine Stube und Kammer mit einem Bette. Im Hofe entsprang eine Quelle, von der ein kleiner Garten bewässert wurde. Hier lebe ich, sagte der gute Greis, schon länger als zwanzig Jahre, fern vom Getümmel und von der Unruhe der Welt. Dies, mein Bruder, ist das irdische Paradies; hier betrachte ich göttliche und menschliche Dinge; hier faste ich, wenn ich satt bin, und esse, wenn ich hungere; hier wache ich, wenn ich nicht schlafen kann, und schlafe, wenn der Schlaf mich einladet; hier lebe ich in Einsamkeit, wenn ich keine Gesellschaft habe, und bin in Gesellschaft, wenn ich nicht allein bin; hier singe ich, wenn ich vergnügt, und weine, wenn ich traurig bin; hier arbeite ich, wenn ich nicht müßig bin, und bin müßig, wenn ich nicht arbeite; hier stelle ich über mein vergangenes böses Leben Betrachtungen an und beschaue mein gegenwärtiges gutes Leben; hier endlich ist es, wo einem alles unbekannt ist und wo man alles weiß. In meiner Seele freute ich mich, den lustigen Alten so reden zu hören, und bat ihn, er möchte mir noch einige Nachricht vom Eremitenleben geben, das mir das beste unter allen schien. Er sagte mir, daß es jetzt nicht Zeit sei, weil die Mittagsstunde gekommen wäre. Ich bat ihn, mir meinen Arm zu verbinden, der mich sehr schmerzte. Er tat es mit so viel Gewandtheit, daß der Schmerz sogleich nachließ. Wir aßen wie Könige und tranken wie Deutsche. Nach dem Essen hielten wir Siesta, und mitten im Schlafe fing mein guter Eremit zu schreien an: Ich sterbe! ich sterbe! – Ich sprang auf und fand, daß er eben verscheiden wollte. Da ich ihn in diesem Zustand sah, fragte ich ihn, ob er wirklich stürbe, und er antwortete: Ja, ja! Ich war bestürzt, indem ich überlegte, daß, wenn er ohne Zeugen stürbe, man mich für seinen Mörder halten möchte, welchem auch meine Kleidung gar nicht widersprochen hätte, die mehr der eines Straßenräubers als eines ehrlichen Mannes glich. Ich rief deshalb einige Schäfer herbei, die in der Nähe ihre Herden weideten. Sie traten in die Einsiedelei und fragten den Alten, ob er sterben wolle? Er antwortete: Ja. Aber er log; denn er wollte nicht, aber er mußte wider seinen Willen. Da ich sah, daß er immer hartnäckig auf seinem Vorsatz: ja! zu sprechen, beharrte, fragte ich ihn, ob er wolle, daß diese Hirten Zeugen und Vollstrecker seines Testamentes abgäben; und er antwortete: Ja! Ich fragte ihn, ob ich sein einziger und rechtmäßiger Erbe sein solle; er sagte: Ja! Ich fuhr fort: ob es sein Wille sei, daß ich alles, was er besäße, wegen der ihm geleisteten Dienste erhalten solle; er antwortete wieder: Ja! Ich hätte gewünscht, daß dies sein letzter Laut gewesen wäre; da ich aber sah, daß er noch Atem von sich gab, so fuhr ich mit meinen Fragen fort, damit man ihn nicht zu meinem Schaden verwendete, und bat einen der Schäfer, alles, was er antwortete, mit einer Kohle an die Wand zu schreiben; denn weder Tinte noch Feder war vorhanden. Ich fragte ihn, ob er wolle, daß der Schäfer seinen letzten Willen für ihn unterschriebe, da er selbst es nicht könne, und er antwortete, indem er verschied: Ja, ja, ja! Wir machten uns nun sogleich daran, für ihn in dem Garten ein Grab zu machen, und ich eilte, ihn so schnell als möglich unter die Erde zu bringen, weil ich fürchtete, er möchte wieder erwachen. Die Schäfer gingen darauf zu ihren Herden zurück, und ich verschloß die Tür der Einsiedelei und durchsuchte alles. Ich fand eine große Tonne mit Wein, eine andere mit Öl, zwei Krüge mit Honig, zwei Schinken, eine Menge eingesalzenes Fleisch und getrocknetes Obst. Alles dieses behagte mir sehr, aber es war nicht das, was ich suchte. Seine Kasten fand ich voll Wäsche und in einem derselben ein Frauenkleid. Darüber wunderte ich mich sehr, noch mehr aber darüber, daß ein so vorsichtiger Mann kein Geld haben sollte. Ich durchsuchte vergeblich alle Winkel und stieß endlich, wie durch eine Eingebung geführt, auf den Altar, der mir zum Verbergen am schicklichsten schien. Nachdem ich eine Platte, die von gebrannter Erde war, weggenommen hatte, entdeckte ich einen kleinen Ritz, durch den ein Real fallen konnte. Mein Blut fing zu kochen und mein Herz zu klopfen an. Ich nahm eine Hacke, und auf zwei Hiebe war die Hälfte des Altars niedergeworfen und die hier begrabenen Reliquien entdeckt. Ich fand einen Topf mit Geld, das ich zählte und das sechshundert Realen betrug. Meine Freude über den Fund war so groß, daß ich zu vergehen glaubte. Ich trug den Topf hinaus, machte außerhalb der Einsiedelei ein Loch und vergrub ihn, damit ich, wenn man mich etwa hinausjagen möchte, das schon außen hätte, was ich am meisten liebte. Nachdem dies geschehen war, zog ich die Kleider des Einsiedlers an und ging nach der Stadt, um dem Prior der Brüderschaft Nachricht vom Geschehenen zu geben. Ehe ich ging, hatte ich aber nicht vergessen, den Altar wieder so herzustellen, wie er zuvor gewesen war. Ich fand die ehrwürdigen Brüder, von denen die Vergebung dieser Einsiedelei abhing, welche dem heiligen Lazarus gewidmet war, eben versammelt, was ich als eine gute Vorbedeutung nahm. Da ich schon als Einsiedler gekleidet war und auch übrigens ein frommes Ansehen hatte, und da die Schäfer bezeugten, daß mich der Verstorbene zum Erben eingesetzt hatte, so fanden sie kein Bedenken, mir diese Kapelle zu übergeben. Sie ermahnten mich, einen ebenso erbaulichen Wandel zu führen als mein Vorfahr, den jedermann für einen Heiligen hielt. Ich versprach es und fing nun an, Almosen zu betteln, nicht aus Not, sondern aus Gewohnheit; denn wer einmal bettelt, kann es nicht unterlassen, immer mehr zu begehren. Die mich für die Kapelle des heiligen Lazarus betteln hörten und die Stimme nicht kannten, kamen an die Tür und fragten mich nach dem Vater Anselm (so hieß nämlich mein Vorfahr). Ich antwortete ihnen, daß er gestorben sei, und einige sagten darauf: Gott gebe ihm die ewige Seligkeit! – andere: Seine Seele genießt gewiß der himmlischen Freuden! Glücklich wer ein solches Leben führte! In sieben Jahren hat er nichts Warmes gegessen, und er lebte nur von Wasser und Brot. – Einige der Dümmsten warfen sich auf die Knie nieder und riefen den heiligen Vater Anselm an, andere schnitten mir Stücke von meinem Kleide ab, um eine Reliquie von diesem Heiligen zu besitzen. Von nun an bettelte ich nicht mehr für die Kapelle des heiligen Lazarus, sondern für die Verklärung des frommen Anselm. Sechzehntes Kapitel Sechzehntes Kapitel Wie Lazaro sich zum zweiten Male verheiraten wollte. Eines Tages ging ich nach meiner Gewohnheit durch die Straßen, um Almosen zu betteln, und kam an die Tür eines kleinen Hauses, wo ich dies ebenfalls tat. Da hörte ich, daß man mir von einer Treppe herunter zurief: Warum kömmst du nicht herauf, Vater? Komm doch herauf! Was für eine Neuerung ist denn das? – Ich stieg hinauf, und mitten auf der Treppe, die etwas finster war, fielen mir einige um den Hals, andre faßten mich bei den Händen, durchsuchten meine Taschen, und alle fragten, warum sie mich seit acht Tagen nicht gesehen hätten? Als wir die Treppe erstiegen hatten und sie mich bei der Hellung der Fenster sahen, waren sie alle erstaunt und versteinert und brachen in ein lautes Gelächter aus. Niemand sprach ein Wort, und der erste, der die Stille unterbrach, war ein Kind, welches sagte: Das ist ja nicht Papa! – Nachdem sich das Gelächter der Weiber, deren viere waren, ein wenig gelegt hatte, fragten sie mich, für wen ich Almosen sammle? Wie? sagten sie, befindet sich denn Vater Ansehn nicht wohl? – Sehr wohl, erwiderte ich, es tut ihm nichts mehr weh; denn es sind acht Tage, seit er gestorben ist. – Als sie dies hörten, fingen sie zu weinen an, und wenn vorher ihr Gelächter groß gewesen war, so war jetzt ihr Weinen noch größer. Die eine schrie: Was soll ich Unglückliche machen ohne Mann, ohne Stütze und Trost? Wie wird es mir ergehen? Wer wird sich meiner annehmen? O schreckliche Neuigkeit! – Eine andere fiel klagend ein: O mein Schwiegersohn und Herr! wie hast du uns verlassen können, ohne Abschied von uns zu nehmen? O meine verwaisten Enkelchen, wo ist euer guter Vater? – Die Kinder sangen den Diskant zu dieser mißtönenden Musik. Alle weinten, alle schrien; nichts als Klagen und Jammern. Als die Wasser dieser großen Überschwemmung ein wenig nachließen, fragten sie mich, wie und warum er gestorben sei? Ich erzählte es ihnen und gab ihnen Nachricht von dem Testamente, welches er gemacht, und wie er mich zu seinem rechtmäßigen Erben eingesetzt hatte. Jetzt änderte sich auf einmal die Szene. Die Tränen kehrten sich in Wut, das Geschrei in Flüche und das Jammern in Drohungen. Ihr seid ein Mörder, schrie die jüngste von ihnen, und habt ihn umgebracht, um ihn zu berauben. Aber Ihr sollt Euch dessen nicht erfreuen; denn dieser Eremit war mein Mann, und diese Kinder sind die seinigen. Wenn Ihr uns nicht sein ganzes Vermögen herausgebt, so sollt Ihr an den Galgen; und tut dies die Gerechtigkeit nicht, so gibt es Dolche und Degen genug, Euch tausend Leben damit zu nehmen, wenn Ihr sie hättet! – Ich sagte ihnen, daß ich gute Zeugen hätte, in deren Gegenwart er sein Testament gemacht habe. – Das sind lauter Lügen und Betrügereien, sagten sie; denn an demselben Tage, an welchem er, wie Ihr sagt, gestorben ist, war er hier und sagte, daß er ohne alle Gesellschaft sei. Da ich wußte, daß das Testament nicht förmlich durch einen Notar abgefaßt war, und da die Weiber mir mit einem Prozesse drohten, so beschloß ich, weil ich die Gerechtigkeit und die Prozesse schon kannte, gelinde mit ihnen zu sprechen, um zu sehen, ob ich auf diese Art das erhalten könnte, was ich bei Gerichte zu verlieren versichert war; auch hatten die Tränen der jungen Witwe mein Herz ganz umgewendet. Ich sagte ihnen also, sie möchten sich beruhigen, sie würden bei mir nichts verlieren; denn wenn ich auch die Erbschaft empfangen hätte, so wäre es nur geschehen, weil ich geglaubt, der Verstorbene sei nicht verheiratet, da ich niemals gehört, daß Einsiedler Weiber hätten. Sie legten jetzt alle Traurigkeit und Schwermut ab, lachten und sagten, sie sähen, ich müßte wohl ein Neuling und wenig in dieser Lebensart erfahren sein, da ich nicht wisse, daß, wenn man einen Einsiedler einsam nenne, sich dies nicht auf den Umgang mit Weibern erstrecke; denn es gebe nicht einen einzigen, der nicht zum wenigsten ein Weib hätte, mit dem er die Zeit hinbrächte, die ihm seine Betrachtungen übrig ließen. Und noch überdies seien es Leute, die am besten den Willen Gottes kennten, der verlange, daß der Mensch nicht allein sei; und so hätten sie, als gehorsame Söhne, ein oder zwei Weiber, die sie von ihren Almosen ernährten. Dieser Unglückliche habe sogar viere erhalten: diese arme Witwe, sie selbst, die sie ihre Mutter sei, diese zwei Mädchen, ihre Schwestern, und diese drei Kinder, seine Söhne. – Jene, die sie sein Weib nannten, verlangte, man solle sie nicht die Witwe dieses alten Geizhalses nennen, der sich ihrer nicht einmal an seinem Sterbetage erinnert habe, und sie wolle schwören, daß diese Kinder nicht sein wären. Ich war ganz erstaunt und wußte nicht, was ich sagen sollte. Sie öffneten mir aber den Weg zu meinem Wunsche; denn die Witwe fiel mir um den Hals und sagte: Hätte der Undankbare das Gesicht dieses Engels gehabt, ich hätte ihn ewig geliebt! – Und mit diesen Worten küßte sie mich. Durch diesen Kuß war mein ganzes Herz für sie eingenommen, und ich sagte zu ihr, wenn sie Lust hätte, aus dem Witwenstande zu treten und die Meinige zu werden, so würde ich den Heiratsvertrag des Verstorbenen erfüllen. Damit waren sie zufrieden und verlangten nur, ich möchte ihnen alles ausliefern, was sich in der Einsiedelei befände, damit sie es aufbewahrten. Ich versprach ihnen dies, war aber willens, das Geld auf alle Fälle zurückzubehalten. Die Vollziehung der Vermählung wurde bis zum folgenden Tage verschoben, und diesen Abend schickten sie eine Karre zur Einsiedelei, auf der sie alles bis auf die Nägel wegführten. Selbst das Altartuch und die Kleidung des Heiligen verschonten sie nicht. Nichts als eine elende härne Decke ließen sie mir, um darauf wie ein Hund zu schlafen. Als mein zukünftiges Weib, das mit der Karre gekommen war, sah, daß kein Geld da war, ward sie böse; denn der Alte hatte ihr gesagt, daß er Geld hätte, aber nicht wo. Sie fragte mich, ob ich nicht wisse, wo der Schatz läge, und ich antwortete ihr: Nein. Sie war aber schlau, faßte mich bei der Hand, ihr suchen zu helfen, und führte mich so in allen Winkeln der Einsiedelei herum. Sie stieß auch auf das Altargestelle, und da sie sah, daß es neuerlich ausgebessert war, schöpfte sie sogleich Verdacht, umarmte und küßte mich und sagte: Mein Leben, sage mir, wo das Geld steckt, damit wir damit eine recht fröhliche Hochzeit halten können. – Ich blieb dabei, ich wisse nichts vom Gelde. Sie nahm mich darauf bei der Hand und führte mich außen um die Einsiedelei herum, indem sie mir dabei unaufhörlich ins Gesicht sah. Als wir an den Ort kamen, wo ich es verborgen hatte, richteten sich meine Augen unwillkürlich dahin. Sie hob nun mit Hilfe ihrer Mutter den Stein auf, den ich daraufgelegt hatte, und fand es. Ich glaubte zu vergehen, verstellte mich aber und sagte: Nun, damit können wir ein gutes Leben führen. Sie machten mir tausend Liebkosungen, und da es schon spät war, kehrten sie nach der Stadt zurück, nachdem wir vorher übereingekommen waren, daß ich den nächsten Morgen in ihr Haus kommen sollte, um daselbst die fröhlichste Hochzeit zu feiern, die jemals gewesen wäre. Gott gebe es! sagte ich bei mir selbst und brachte die ganze Nacht in Hoffnung und Furcht, diese Weiber möchten mich betrügen, schlaflos hin, obschon es mir unmöglich schien, daß unter einem so guten Gesicht Betrug stecken sollte. Die Nacht schien mir eine Ewigkeit, und es dämmerte kaum, als ich meine Einsiedelei zuschloß und zur Hochzeit ging. Ich kam eben an, als sie aufstanden, und sie empfingen mich mit großer Freude, so daß ich mich für überglücklich hielt und alle Furcht ablegte. Ich fing an, im Hause auf- und umzuräumen, gleich als ob es schon mein eigen wäre. Wir aßen so gut und so vergnügt, daß ich glaubte, ich befände mich im Paradiese. Sie hatten noch sechs bis sieben Freundinnen eingeladen. Nach Tische wurde getanzt, und sie nötigten mich (obgleich ich nichts davon verstand), mitzutanzen. Es war zum Lachen, mich in meinen Eremitenkleidern tanzen zu sehen. Es wurde Abend, und nachdem wir recht gut gegessen und noch besser getrunken hatten, führten sie mich in ein wohleingerichtetes Zimmer, worin ein gutes Bett stand. Sie befahlen mir, mich darauf niederzulegen, und während sie meine Braut entkleideten, kam eine Magd, band mir meine Schuhe ab und sagte mir, ich müsse mich völlig ausziehen, weil dies zur Zeremonie nötig sei. Ich tat es, und sogleich traten alle Weiber auf einmal herein, und unter ihnen meine Braut im Hemde, der eine die Schleppe nachtrug. Viere von ihnen faßten mich hierauf, zwei bei den Beinen und zwei bei den Händen, warfen Schlingen über sie und banden die Stricke an die vier Bettpfosten an, so daß ich wie St. Andreas auf dem Kreuze ausgespannt dalag. Als ich festgebunden war, so daß ich mich nicht regen konnte, verspotteten sie mich, gossen einen Topf eiskaltes Wasser über mich her und steckten darauf meinen Kopf in heißes Wasser. Ich schrie, aber sie gaben mir so viele Schläge, daß ich es für das Ratsamste hielt, sie gewähren zu lassen. Sie zupften mir nun die Haare des Bartes und der Augenbrauen aus und sagten: Nur Geduld, die Zeremonien sind bald vorüber! Ich bat sie, sie möchten mich nun in Ruhe lassen; aber vergebens. Jetzt wendete ich, da sie immer schlimmer mit mir verfuhren, alle meine Kraft an, so daß ein Strick zerriß und ein Pfosten des Bettes brach. Damit ich nicht das ganze Bett zerbrechen möchte, banden sie mich los, legten mich auf ein Tuch und prellten mich so lange, bis ich halbtot dalag. Dies, Herr Eremit, sind die Zeremonien, womit sich unsre Hochzeit anfängt; morgen, wenn Ihr zurückkehren wollt, werden wir das übrige vollenden. Sie hoben mich nun auf, trugen mich fort und legten mich fern von ihrem Hause auf die Gasse, wo mich der Tag fand. Die Gassenbuben setzten mir so zu, daß ich, ihnen zu entfliehen, mich in eine Kirche, an den Hochaltar rettete, wo man eben eine Messe hielt. Als die Priester diese Gestalt sahen, die ohne Zweifel dem Teufel glich, den man zu den Füßen des heiligen Michaels malt, liefen sie davon und ich, um den Verfolgungen der Knaben zu entgehen, hinter ihnen her. Die Leute in der Kirche schrien: Das ist der Teufel! andere: Es ist ein Rasender! und ich schrie ihnen zu, ich sei weder der Teufel noch ein Rasender, sondern ein unglücklicher Mensch, den seine Sünden so weit gebracht hätten. Jetzt beruhigten sich alle, und die Priester kehrten zurück, ihre Messe zu beendigen. Der Küster gab mir einen Teppich von einem Grabmal, um mich damit zu bedecken. Ich kroch in einen Winkel, stellte über den Wankelmut des Glücks Betrachtungen an und beschloß, in dieser Kirche zu bleiben, um hier mein Leben zu beschließen, das, nach den unzähligen Unglücksfällen, die ich erlitten habe, nicht lange mehr dauern wird. Dies, geneigter Leser, ist der zweite Teil des Lebens des Lazarillo. Ich habe von dem, wie ich es von meiner Urgroßmutter erzählen hörte, nichts weggelassen und nichts hinzugetan. Wenn dir es Vergnügen gemacht hat, so freue ich mich darüber. Und damit Gott befohlen! Ende