Bei einer alten Kapelle (1772.) Dich wähl' ich mir zum Heiligtume, Du Tempel, den vor alter Zeit In Einfalt, seinem Gott zum Ruhme, Der fromme Vorfahr eingeweiht! Schon sinken alle deine Mauren; Und Dünkel, wie im öden Grab, Geußt von den Eiben sich herab, Die rings in deinem Schatten trauren. Zu fühllos der Melancholei, Die sich um dich herum verbreitet, Und unachtsamen Blickes, schreitet Bei dir der Wanderer vorbei; Vergißt der alten frommen Sitte, Die ihrem Schöpfer dich gebaut, Und selbst in einer niedern Hütte Nach einer bessern Welt geschaut. Mir aber sei der brave Mann Gesegnet, der den Bau begann! Längst ist die Hütte weggeschwunden, Die ihn in ihre Schirmung schloß, Wo ruhig ihm und tadellos Das fromme Leben hingeschwunden. Hier sah ihn jeder neue Tag Und jedes Abends Purpurröte, Wie er im feirenden Gebete Aufs Antlitz hingegossen lag. Die Engel Gottes stiegen nieder, Und lernten seine fromme Lieder, Und sangen sie im lauten Chor, Im Himmel ihren Brüdern vor. Sein einzig Glück auf Erden war Ein gutes, edles, frommes Weib, Und seines Lebens Zeitvertreib Ein wonnigliches Kinderpaar. Oft sah er in der Schattenkühle Von Bäumen, die er selbst gepflanzt, Im leichten, jugendlichen Spiele Von ihnen fröhlich sich umtanzt. Dann drückt' er fester sie, und freier An seinen warmen Busen hin, Und fühlte hoher Andacht Feuer In jeder seiner Adern glühn. Einst kam er mit verzognem Schritte, Das Auge bang und freudenleer, Aus seiner strohbedeckten Hütte Zu diesem kleinen Hügel her. »Allmächtiger! Du Gott der Götter!« So rief er, senkte sich aufs Knie, »Allmächtiger, du Gott der Götter, O hilf mir, Vater, rette sie! Mein armes Weib, von Qual umgeben, Sieht kaum des Tages Schimmer mehr, Und tausend Todes-Schrecken schweben Um ihr gebrochnes Auge her. O du, von meinen Jugendjahren Mein Schutz und Retter, höre mich! Mir meine Gattin zu bewahren, Du Gott im Himmel fleh' ich dich! Erhörest du, warum ich bete, Dann (meine Hände heb' ich auf, Und schwöre) hier, an dieser Stätte, Bau' ich dir einen Tempel auf. Und ihm entgegen soll sie wanken, Sobald des Todes Schrecken flieht, Und ihre Thräne soll dir danken Und ihres Herzens frommes Lied. Die Kinder sollen Blumen sammeln, Und sie auf deinen Altar streun, Dir frohe Freudenthränen weihn Und ihren Dank gen Himmel stammeln. Mein ganzes Leben auf der Erde Sei mir ein frommer Herzensdank, Und jeder neue Morgen werde Geweckt durch meinen Lobgesang! O höre, höre! was ich flehe! – Doch du bist Gott, dein Wille nur geschehe!« Und froher hoffend schlich er wieder Vom Hügel zu der Hütte nieder; Noch aber lag dem Tode nah Und schmachtend die Geliebte da, Und alle Hoffnung schwand ihm wieder. Noch unter Thränen floß ein Tag, Und eine Schreckensnacht ihm nach. Dann aber stieg von Gottes Thron Ein heller Friedensbote nieder, Und alle Todes-Schrecken flohn, Und alle Kräfte kehrten wieder; Und Feuer floß in ihren Blick Und Leben in ihr Herz zurück; Und mit dem ersten Morgenrot Ergossen seine Dankeslieder Sich mit dem Blumenduft zu Gott; Und mit dem ersten Morgenrot Bracht' er zum heiligen Altar Den ersten Stein der Gründung dar; Und eh' die Todesblässe wich, Und er gesund die Gattin sah, Stand aufgebaut der Tempel da – Vom Morgenhimmel senkte sich Der rosenfarbe Tag hernieder, Und alle Vögel sangen Lieder, Und Thal und Hügel freuten sich Als sie aus ihrer Hütte schlich. Der Wange Freudenthränen mischten Sich mit dem kühlen Morgentau; Und, schöner ihr zu blühn, erfrischten Sich alle Blumen auf der Au. Das Kinderpaar, das sie umgab, Brach die bethränten Blumen ab, Und brachte dankend am Altar Sie Gott zum süßen Opfer dar. Ein guter alter Priester stand Am Altar mit gefaltner Hand, Den kleinen Tempel einzuweihen, Und alle Nachbarn kamen dar, Sich mit dem neu belebten Paar In Eintracht brüderlich zu freuen, Und ihrer aller Lippe sprach Des Priesters Segen leise nach. Dann kehrten mit erhelltem Blick Sie nach dem Hüttendach zurück. So oft der Weihungstag erschien, Sah man das frohe Fest sie feiren, Mit Thränen sie am Altar knien, Und ihrer Liebe Bund erneuren. Durch Lehren bald, und bald im Spiel Ward aller Tugenden Gefühl Ins Herz des unschuldsvollen Knaben Vom frommen Vater eingegraben. Ein sanftes Mädchen zart und weich, An jedem Reiz der Mutter gleich, Mit jeder Tugend angethan, Wuchs, wie das Veilchen, still heran. Sie war der ganzen Gegend Freude, Und trieb der frommen Schäfchen Schar, Die ihr an Unschuld ähnlich war, Mit jedem Morgen auf die Weide; Und jeden frühen Morgen schlich Sie zu dem kleinen Tempel sich, Und betete mit frommem Beben, Für ihrer guten Eltern Leben. So waren sechzehn Sommer schon In Unschuld ihr dahin geflohn, Da ward ein süßer, sanfter Hirt Durch ihren stillen Reiz gerührt. Oft ungesehen war er schon Zum kleinen Tempel hingekommen, Und hatte still den leisen Ton Der frommen Beterin vernommen; Und alle seine Seufzer flohn Mit ihrem Wunsch zu Gottes Thron. Einst, als in Dämmerung verborgen Noch rings umher die Gegend lag, Und kaum ein goldner Strahl vom Morgen Durch den bewölkten Himmel brach; Schlich sie mit der geliebten Herde Sich nach dem nahen Tempel hin, Demütig vor dem Herrn der Erde An seinem Altar hinzuknien. Da scholl ihr Nam' ihr leis entgegen, Und Seufzer tönten in ihr Ohr, Und zitternd hub mit stärkern Schlägen Ihr junger Busen sich empor. Am Fuß des Altars hingegossen Lag er und sah das Mädchen nicht, Und sehnsuchtsvolle Thränen flossen, Ihm unverhohlen vom Gesicht. Lang blieb sie mit gerührtem Blick Noch am bebuschten Hügel stehen; Dann aber schlich sie ungesehen Mit ihrer Herde sich zurück, Und zog in einsam stillen Gründen Den ganzen lieben Tag umher, Und konnte keine Freude mehr Bei ihrer Lämmer Spielen finden. Am Abend, als sich allgemach Die Sonn' am Himmel niedersenkte, Als sie am klaren Wiesenbach Die müde Lämmerherde tränkte; Da sah sie aus dem Weidenthal Den Bruder nach der Hütte kehren, Und freundlich bat er sie einmal Ein frohes Liedchen ihn zu lehren. »Ein frohes Liedchen?« sagte sie, »O Bruder, möcht' es mir gelingen! Doch werden wohl Betrübte nie Von unbekannten Freuden singen.« Da sah er sie mit Staunen an, Und fragte: was sich zugetragen. Und offenherzig fing sie an, Mit Thränen alles ihm zu sagen. Wie sie zum kleinen Tempel kam, Und einen Trauerton vernahm, Und dann sich näher schlich, und da, Am Altar einen Jüngling sah; Und wie bei ihres Namens Ton Gen Himmel seine Seufzer flohn. »Ach Bruder, Bruder!« sagte sie, »Sollt' er um meinetwillen leiden? – Der gute Himmel weiß es, nie Verdarb ich eines Menschen Freuden!« – »Sei ruhig,« sprach er, »Schwesterchen; Du sollst den Jüngling morgen sehn!« – Und mit des Morgens erstem Blick Eilt' er, den Jüngling aufzufinden; Und bracht' ihn nach den Weidengründen, Wo seine Schwester war, zurück. »Hier,« sprach er lächelnd, »bring' ich dir Den Jüngling, den du nie betrübtest; O welche Wonne blühte mir, Wenn du den Tugendhaften liebtest! Schon lang ist seine Seele dein: Und würdig ist er, dein zu sein.« Er sprach's und sprang im Augenblick Zum nahen Buchenhain zurück. – Mit niederblickendem Gesicht Ließ sie den Jüngling vor sich stehen, Und wagt' es lange, lange nicht, Ihn nur verstohlen anzusehen. Doch endlich blickte sie auf ihn, Und ihre Seele war dahin; Und zitternd ging sie auf ihn zu, Und sprach: »O Jüngling, liebest du Mich und die stille Tugend rein: So bin ich ewig, ewig dein.« Und er umarmte sie und schwur, Und ewig war der Liebe Schwur. Noch lange standen sie umschlungen, Und hastig, wie ein junges Reh, Kam über den betauten Klee Der frohe Bruder hergesprungen; Und drückte wonnetrunken ihn Und sie an seinen Busen hin, Und sah zum Himmel dankend hin – Dann gingen alle zum Altar, Und brachten Dank und Thränen dar – Noch keinem Pärchen war so süß Das stille Leben hingeflossen, Aufs neue schien das Paradies Den Liebetrunknen aufgeschlossen, Und ihrer Eltern Thräne floß, Und dankend sprachen sie den Segen, Und ihre ganze Seele goß Sich ihrem frommen Wunsch entgegen. Bald ward zum feierlichen Bund Des Tempels Weihungstag erkoren, Und ewig war der Liebe Bund Am heiligen Altar beschworen. Und Engel stiegen unsichtbar Von ihren Silberwolken nieder, Und sangen mit der frommen Schar In ihre feierlichen Lieder. Und eh' ein wonnevolles Jahr Den Liebenden dahin geschwunden, Ward auch der Bruder am Altar Mit einer Schäferin verbunden, Die seiner Schwester ähnlich war. Und die beglückten Alten sahn Noch manchen Blumenlenz sich nahn, Und Enkel blühten frisch heran; Und ihrer frommen Kinder Schar Begleitete sie jedes Jahr Am Weihungsfeste zum Altar. Sanft, wie der Lampe bebend Licht, Der sterbend es an Öl gebricht, Hub ihre Seele sich empor Zu aller Auserwählten Chor, Und erntete vor Gottes Thron Der tugendhaften Thaten Lohn. Die Kinder weinten all und sahn Sich lang in tiefem Schweigen an, Und jedes wünschte sich von Gott Zu sterben der Gerechten Tod! – In banges, düstres Schweigen war Die ganze Gegend eingeschlossen, Und wehmutsvolle Thränen flossen, Wo nur ein zärtlich Auge war, Zu Ehren dem geliebten Paar. – Und endlich starb das fromme Paar. – In schwarzem Trauerflor erschien Ein langer feierlicher Zug Und eine Schar von Greisen trug Mit zitternden gebleichten Wangen Die beiden nach dem Grabe hin, Die ihrer Ruhe vorgegangen; Und senkten schweigend ihr Gebein Ins stille Land des Friedens ein; Und Zeuge sollte dieser Stein Dem späten Enkel noch von ihrer Tugend sein. – Lang ward auch noch vom Überrest Der Frommen dieser Tag gefeiret, Und jedes Jahr zum Trauerfest Ihr Angedenken noch erneuret. Allein die fromme Sitte schwand, Die lange dieses Volk besessen, Bald war die Tugend weggebannt, Und mit den Redlichen vergessen. Der Tempel sinkt in Trümmer hin, Und keine Hand erneuret ihn. Der Enkel hat die Redlichkeit Tief aus dem Herzen ausgerottet, Und überall ist Frömmigkeit Als Aberglaub' und Furcht verspottet; Und, wer noch Treu und Glauben hält, Und fromm ist, dessen lacht die Welt. O ihr, aus deren Brust noch nicht Die alte Sitte sich verloren; Die ihr vor Gottes Angesicht Mit mir der Tugend Bund geschworen, Ihr Freunde , deren Herz ich mir, So bald ich euch ersah, erkoren, O weint am stillen Tempel hier! Uns Hütten bauen wollen wir, Und von der schnöden Welt verbannt, Von keiner Thoren-Schar umgeben, Uns nur, und unserm Gott bekannt, In brüderlicher Eintracht leben! Laßt hier im stillen, unbemüht, Dem leeren Pöbel zu gefallen, Nur Herzensfreunden euer Lied Das noch die Tugend rühmt, erschallen. Laßt von des Schöpfers Milde nur Die sanften Silbersaiten tönen, Und jeden Bürger dieser Flur Zu hohen Tugenden gewöhnen. Verfolgt von keiner Reue Schwarm Werd' ich dies kleine Thal verlassen Und friedlich in des Freundes Arm Von allen euch beweint erblassen. Laßt still auf dieser milden Flur Mich unbekannt der Welt verwesen, Und rühmt den wenig Edlen nur, Daß ich auch euer wert gewesen. Und dann aus letzter Freundes Pflicht, Bepflanzt den Hügel noch mir mit Vergiß mein nicht !