Ein Menschenende An *** Ich sah dich, wie der wilde Lebensdrang Den Ruf des Weh's von meinen Lippen rang, Wie an des Schmerzaltares nassen Stufen Verblutend du die Gottheit angerufen. Wie dann, als dir die Hilfe ward versagt, Du Erd' und Himmel jammernd angeklagt; Und wie du kraftlos und verzweiflungstrunken Auf deines Glückes Grabmahl hingesunken! – Jetzt hat sich dieß geändert wunderbar! Aus heit'rem Antlitz strahlt dein Aug' so klar, Daß nur, wer selber schritt auf solchen Bahnen, Der milden Ruhe bittren Grund kann ahnen. Ein sorglos Lächeln spielt um deinen Mund, Als wär' die Seele kräftig und gesund; Und also harmlos klinget deine Rede, Als wär' geendigt jede Lebensfehde. So staunt die Welt in dir den Menschen an, Der kühn sein Glück dem Schicksal abgewann; Mein Aug' nur kann in deiner Seele lesen, Daß du so elend bist, wie du's gewesen. Die Ruhe, die aus deinem Angesicht, Aus deines Mundes stillem Lächeln spricht, Ist nicht des Friedens heil'ge Offenbarung: Sie ist der Seele tödtliche Erstarrung. Der letzte Schmerzenschrei, der als Gebet Um Rettung und Erbarmung heiß gefleht, Die letzte Klage ob der Schicksalswunde – Sie waren deines Herzens letzte Stunde. Und was seitdem geschah, ist Täuschung nur, Du lebst auf deines Ich's Ruinenspur! So wenig kann das Sein dich mehr bewegen, Daß du die Mühe scheust, es wegzulegen. So fern, so fremd, so fahl scheint dir die Welt, Daß keine Sehnsucht mehr die Brust dir schwellt, Schon längst erdrückt von qualvollem Entsagen Kannst du vor keinem neuen Leid mehr zagen. So wird durch deine Ruhe selbst mir kund Der ew'ge Schmerz in deines Busens Grund! Und wolltest meinen Ausspruch du verneinen Und stark vor mir wie vor den Andern scheinen So fragt' ich dich – die Frag' ist von Gewicht: Ob man bei dunkel mildem Abendlicht Durch eines Wiegenliedes schlichte Töne Nicht heiße Thränen dir entlocken könne?