Tagebuch
Ah! when by thee these lines are read
Perchance in some succeeding year,
Reflect on me as on the dead
And think: my heart is buried here.
Byron.
1.
O glaubet nimmermehr, daß ich in eitlem Wahn
Euch hier belehren will! das maß' ich mir nicht an.
Ausdeuten will ich nicht des Lebens Zauberstrahlen,
Nur schildern, wie sie sich in meinem Geiste malen.
Bestimmen will ich nicht, was Euch zu thun zukommt,
Nur künden treu und wahr, was meinem Sein gefrommt.
Nicht will zu Euerm Kampf die Waffen ich erlesen,
Nur sagen, welche mir am dienlichsten gewesen.
Und fühlet Euer Herz, daß es dem meinen gleicht,
Dann thut, was ich gethan, bis Gott den Sieg Euch reicht.
Wenn nicht, so kann's Euch doch in keinem Falle schaden,
Vertraut zu werden auch mit fremden Lebenspfaden.
Denn lehren wird es Euch, daß man auf jeder Bahn,
Zum hohen Wahrheitsziel hinangelangen kann.
2.
In diesen Blättern hier magst du es deutlich lesen,
Was meiner Seele du, der strebenden, gewesen.
Nicht nur, was du mir warst, auch was du mir noch bist,
Und stets mir bleiben wirst zu jeder Lebensfrist.
Durch dich fand ich den Muth, mich fordernd zu erheben,
Mit kühner Zuversicht nach höchstem Glück zu streben.
Durch dich fand ich den Stolz, zu fördern an den Tag
Das Große, das vordem verhüllet in mir lag.
Durch dich find' ich die Kraft, das Aergste zu ertragen,
Und, reich durch mich allein, dem Glücke zu entsagen.
Wohl lagen stets in mir der Muth, der Stolz, die Macht,
Doch zur Entwicklung hast du schneller sie gebracht.
Drum als Gelegenheit muß dankend ich dich loben,
In der den eignen Werth ich glorreich konnt' erproben.
3.
»Was hat mein armes Herz denn gegen Gott verbrochen,
Daß, da es kaum geheilt, von ihm auf's Neu gebrochen?
Wenn neu sich öffnete der alten Wunde Riß,
Die du vernarbt geglaubt, dann halte für gewiß:
Es war nur obenhin und schlecht geheilt dein Herz,
Ertrag' nun klug und stark gründlicher Heilung Schmerz.
4.
Daß mir, was ich gewußt, je half, kann ich nicht sagen,
Nur das, was ich gekonnt, hat rettend mich getragen.
Wohl zu beachten ist das Licht des Wissens auch,
Doch »können« nur allein ist wahrer Gotteshauch.
Doch ist mir's, als ob hier Zusammenhang bestände
Und Ein's nothwendig sich hin zu dem andern fände,
So, daß von Beiden kein's verdiene höhern Preis:
Man weiß so viel man kann, man kann so viel man weiß.
5.
Nicht können was man will, mag gelten als Bedrängniß;
Doch ist's bei weitem nicht das bitterste Verhängniß;
Denn hoffen dürfen wir, daß kommen wird die Zeit,
Die von den Hemmungen der Außenwelt befreit.
Die hohe, lichte Zeit, wo der Unmöglichkeiten
Bedrückend Eisenband zersprengt wird von uns gleiten.
Nicht können, was man will, das geht noch immer an,
Und ungleich schlimmer ist: nicht wollen, was man kann.
Willst du nicht, was du kannst in irdischer Beschränkung,
So wär' dir unnütz auch der höchsten Freiheit Schenkung.
Denn wäre hundertmal dir unterthan die Welt –
Was frommt's, wenn dir der Will', sie zu beherrschen, fehlt?
6.
Es ist ein schlechtes Spiel, ein Kampf mit falschen Waffen,
Den Fehler zu gesteh'n, um Duldung ihm zu schaffen.
Laß dein Geständniß, wenn es deinen Fehler nennt,
Ein Scheidwort sein, das dich auf ewig von ihm trennt.
7.
Sie sagten, du seist todt. Ich hört' es ohne Beben,
Entgegnend ernst und still: längst hab' ich ihm vergeben.
Doch dieß Gerücht, das dich wollt' wissen in der Gruft,
Ein bloßer Irrthum war's, den man nun widerruft.
Und ohne Freude jetzt, wie damals ohn' Erbeben,
Sag' ich wie damals nur: ich habe ihm vergeben.
8.
Ein's hab' ich heut gefühlt auf meinem Abendgang,
Als Frühlingsahnung mich beseligend durchdrang.
Wo ihren Scheidegruß die Sonne niederstrahlte,
Wo sich im tiefen Strom des Himmels Klarheit malte,
Wo mir begegnete manch fröhlich Angesicht,
Befried'gung auf der Stirn, im Auge heitres Licht.
Im Lächeln der Natur, im Lächeln jener Mienen
Ist meiner Zukunft Bild hold tröstend mir erschienen.
Denn als so mild der West das Antlitz mir gekühlt
Und fremde Lust mich hob, da habe ich gefühlt:
So lange noch ein Lenz mit seinem Blumenstabe
Das Leben blühen macht und Zier bringt selbst dem Grabe;
So lang die Sonne noch erglänzt am Firmament,
So lang am Horizont ein einz'ger Stern noch brennt;
So lang ein Grün noch keimt, so lang noch Wasser rauschen
Und Vögel singen noch, auf deren Lied zu lauschen;
So lang ein Menschenaug' noch strahlt im Freudenschein: –
So lange wird mein Herz nicht gänzlich elend sein.
9.
Wen einmal du geliebt, der sei für alle Zeit,
In jedem Lebensdrang dir heilig und geweiht.
Ob er der Liebe, die du einst für ihn getragen,
Auch werth gewesen sei? das hast du nicht zu fragen.
Steht doch das Eine fest, du hast ihn einst geliebt!
Das ist's, was ihm ein Recht, ein ew'ges auf dich gibt.
Wär' er der Schonung auch ganz unwerth zu erklären,
Du müßtest das Gefühl, das du ihm weihtest, ehren.
Und ehren kannst du's nur durch immer gleiche Huld
Für Jenen, dem es galt, wie groß auch seine Schuld.
Nicht lieben sollst du ihn, ist falsch und schlecht sein Wesen;
Doch auch vergessen nicht, daß er dir lieb gewesen.
Wenn eine ird'sche Kron' so große Macht schon hegt,
Daß unverletzlich wird, wer sie auch immer trägt:
Wie möchtest du ein Haupt wohl zu verletzen wagen,
Das einst das Diadem der Liebe hat getragen?
10.
Was du an mir gethan, als schlecht muß ich's erkennen:
Doch bin ich weit entfernt, dich selber schlecht zu nennen.
Denn jene That kam nicht aus deiner Wesenheit,
Und du begingst sie erst nach langem, inn'rem Streit.
Und hättst du treu befolgt dein innerstes Verlangen,
Des Herzens echten Trieb, sie wäre nicht begangen.
Thor, der den gift'gen Pilz mit Müh zu heften sucht
An seines Wesens Stamm, dem fremd so schlimme Frucht!
11.
O wisse du, der grollt voll böser Ungeduld:
Das Schicksal zahlt getreu Jedwedem seine Schuld.
Doch dir genügt es nicht, daß Zahlung du empfangest,
Ist's in der Münze nicht, die du nun just verlangest.
Viel klüger wär' es wohl, du nähmest frischweg an
Die Münzensort', in der es dich bezahlen
kann
.
Und wär' es Scheidemünz', nur immer angenommen;
Es läßt sich auch damit wohl durch das Leben kommen.
12.
»Des Schmerzes wandelnd Zelt, die Stirne tief im Staub,
Hab' ich dich jüngst geseh'n, der wild'sten Angst zum Raub.«
Wie schien dein Wesen da zerrissen, grambethört!
Die Wangen, wie so bleich, die Blicke, wie verstört!«
»Und jetzt bist du so klar, so ruhig, so besonnen!
Bist du dem mächt'gen Weh, das dir gedroht, entronnen?«
Entronnen bin ich nicht und hätt' es nicht vermocht,
Doch that ich Besseres: ich hab' es unterjocht.
13.
Wer möchte wohl die Flur, die reich an Segen schwillt,
Mit Vorsatz wandeln um zu blut'gem Schlachtgefild?
Wer in den Rosenkelch die ekle Raupe setzen? –
Die duft'gen Blätter wer mit gift'gem Thau benetzen?
Und thät es Einer doch, wie klagte man ihn an! –
Wie steht es dann um dich, der Schlimmres noch gethan?
Der seine Brust erschloß für alle Hassesplagen,
Der nur den Himmelsflor der Liebe sollte tragen!
Der ungleich edlerm Kelch, benetzt von heil'gem Born,
Sein eigen Herz entweiht durch Mißgunst und durch Zorn!
14.
Wenn Treu für Liebe bürgt, so sag' ich dir zur Frist:
Kein Freund ist dir so lieb, wie dir's dein Fehler ist.
Vorm Freund, der dich gebracht in Unglück und Gefahren,
Wie sorglich würdest du dich künftig vor ihm wahren!
Den Fehler doch, der dir schon so viel Noth gebracht,
Statt ihn zu fliehen, hältst du ihn in treuer Acht.
So ist dein Fehler denn dein liebstes Lieb auf Erden,
O möge baldigst doch ein besseres dir werden!
15.
Zerreiß der Erde Schooß mit spitzen Eisens Macht,
Du förderst nimmer Blei aus reinem Goldesschacht.
So auch, ob noch so tief vom Hassespfeil gespalten,
Wird sich aus edler Brust Unwürd'ges nie entfalten.
16.
Verschleiert Weh nannt' einst die Lust mein irrend Herz;
Verhüllte Lust nenn' ich nunmehr jedweden Schmerz.
Lust, die, um unser Äug' nicht blendend zu erschrecken,
Mit schwarzem Schleier muß zu hohe Schönheit decken.
O blick dem Schmerz nur fest in's dunkle Angesicht,
Dann dringst du durch den Flor und schauest Gottes Licht!
17.
Was trauerst du, wenn dich die falsche Welt betrog?
In dir liegt Besseres, als was sie dir entzog.
18.
Du sagst, es hab' durch mich dich Unglück nie betroffen?
Ich glaub's, hast jemals du auf mich gestellt dein Hoffen?
War ich dir je ein Ziel, nach dem dein Streben ging?
Das deines Sehnens Drang mit Glutgewalt umfing?
Da ich nun dieß nie war, so ist es leicht erklärt,
Daß nie dir Schmerz gebracht, was nie dir Lust gewährt.
19.
O schöner, bleicher Tod, du winkst mir mild und licht!
Doch, wie mich's sehnt nach dir, ich darf dir folgen nicht.
Denn noch hab' ich allhier mein Tagwerk nicht vollendet,
Den Auftrag nicht erfüllt, mit dem ich ausgesendet.
Verlassen nicht darf ich den Keim, den ich gesä't,
Als bis er frei und stark in kräft'ger Blüthe steht.
Doch ist dieß einst gescheh'n, und schwillt er reich an Segen:
Dann will mein wundes Haupt zur Ruh ich niederlegen.
So wie der Schnitter nach dem Tage heiß und schwül,
Erschöpft, entschlummernd sinkt auf seiner Garben Pfühl.
Doch wie er schlafend liegt in Abendsonnenstrahlen,
Weckt ihn der Ernte Herr, ihm seine Müh zu zahlen.
20.
Weil doch mein blanker Schild muß einen Wahlspruch haben,
Sei weltverachtend nun ihm dieser eingegraben:
Der Tadel dieser Welt, ihr Lob dient mir zum Spott;
Nur Gott blickt in mein Herz – mein Richter ist nur Gott!
21.
Gefährte mir zu sein auf sel'gem Liebeszug,
War dein Gemüth nicht schwach und war nicht stark genug.
Nicht schwach, um willenlos sich mir zu überlassen;
Nicht stark genug, mein Selbst gebieterisch zu fassen.
Du wußtest weder Herr noch Sclave mir zu sein,
Und so blieb einsam ich und so bliebst du allein.
22.
Du Born, d'raus Reiz und Tod in gleichem Schwalle quillt,
Womit vergleich ich dich? was gibt von dir ein Bild?
Dein wahrstes Bild seh ich in einem Dolch sich malen,
An dessen Griff Demant und Perlen leuchtend strahlen.
23.
Ob längst begraben sei, sie die mich hat geboren,
Entrückt nur ist sie mir, doch ewig unverloren;
Denn ewig lebet ja in mir der Liebe Geist,
Der segnend ihrer denkt und fromm gerührt sie preis't.
Und nimmer, nimmer ist ganz aus dem Sein geschieden,
Für den ein einzig Herz noch bebend schlägt hienieden.
Darum beirrt mich nicht des Erdentodes Schein:
Gestorben ist sie nicht, so lang noch Leben mein.
24.
Ich hör' in jedem Wort, an mich gerichtet lind,
Die Stimmen Derer nur, o Gott! die nicht mehr sind.
25.
Das tiefe, dunkle Meer, von Menschen »Tod« genannt,
Es spühlt die Leichen all' an Gottes heil'gen Strand.
26.
Mir zwang die Welt nichts ab. Was mangelt meinem Leben,
Ich habe es dem Grab, ich hab' es Gott gegeben.
27.
Wie hoch auch mancher Berg ragt in der Wolken Reich,
An Höh' ist keiner doch dem Grabeshügel gleich.
Denn stehest sinnend du auf seinen ernsten Höhen,
Wirst du das ganze Sein in dunkler Tiefe sehen.
Und überschau'n wirst du mit einem Blick die Welt,
Und Alles, was sie faßt und was ihr Kern enthält.
28.
Verklingen wird mein Sein als einzlner Laut, verwehen; –
Als Ton von Gottes Lied wird's ewig fortbestehen.
29.
Selbst auf geknicktem Ast mag froh der Vogel singen;
Ob auch das Zweiglein bricht, er hat ja seine Schwingen.
So lass' auch in Gefahr ertönen froh sein Lied,
Das Herz, das leichtbeschwingt zur Wolkenheimath zieht.
30.
Schlag auf das goldne Buch, in das dein Herz einst schrieb
Die Namen Jener ein, die dir vor Allen lieb.
Und preise glücklich dich in allen Schmerzensnöthen,
Wenn von den Namen all dich keiner macht erröthen.
31.
Der stillen Andacht Strahl im sanften Angesicht,
»Gott wend' es!« betest du mit frommer Zuversicht.
Gewendet hat er's schon, wenn er die Hoffnung spendet,
Es werde, was dir droht, durch ihn von dir gewendet.
32.
Was trauerst du darob, daß keine Seele dein,
Der du erzählen kannst von deiner Qual und Pein.
Merkt auch kein menschlich Ohr auf deiner Wehmuth Klagen,
Kannst du sie nicht dem Strom, dem blauen Himmel sagen?
33.
O blumenreicher Schmerz, der still zu nächt'ger Frist
Sein Haupt gen Himmel hebt und seinen Kelch erschließt!
34.
Ein himmlisch Saitenspiel dünkt mir das Herz des Frommen,
Von Gott allein berührt, von Engeln nur vernommen.
35.
In Gott ist unser Ziel; späh nicht nach andern Wegen;
Denn alle führen dich dem gleichen Ziel entgegen.
Und wandle, wie du willst, auf fernstem Pfad und Steg,
Du kommst stets nur zu Gott auf weiterm, rauherm Weg.
36.
Erhaben rühmst du dich, hoch über uns zu stehen,
Bis in die fernste Fern' mit Adlerblick zu sehen?
Du stehst auf nacktem Fels und starrest in die Wüste
Des todten Meers hinaus! Wer trägt danach Gelüste?!
37.
Das Auge, das dem Ruhm in's Antlitz durfte schauen,
Das schaut hinfort den Tod ohn' Angst und ohne Grauen.
Das Auge, das den Tod in nächster Näh' geseh'n,
Nach Ruhmes Traumgesicht wird's nicht mehr streifend geh'n.
Und wer sie beide sah, wie blieb ihm unverstanden,
Daß beid' ein Schattenbild in zweierlei Gewanden?
38.
Der Eule träger Flug umschwirret mich so schaurig;
Es braus't der dunkle Wald, die Wolken blicken traurig.
Es scheint, als ob Natur tief in das Menschenherz
Die Ahnung bringen wollt' von nahem, heißem Schmerz.
Als wollte ernst und streng sie Strafe aller Sünden,
Und allen Glücklichen des Glückes Tod verkünden.
Allein was kümmert mich dieß warnende Gesicht?
Ich weiß von keiner Schuld und glücklich bin ich nicht.
39.
Die letzte Stütze bricht, kein Herz ist für mich offen,
Die Welt verließ mich ganz; drum darf auf Gott ich
hoffen
!
40.
Mir tönt kein Mitleidswort, mir fließet keine Zähre –
Wie elend wär' ich, wenn ich, wie ich bin, nicht wäre!
41.
Wär' Menschenhuld und Lieb' nicht längst von mir geschwunden,
Hätt' ich den Freund in mir, den treu'sten, je gefunden?
42.
Glückselig, wem erblüht ein edler Schmerz im Leben
Es wird ihm süße Frucht und stillen Schatten geben.
43.
Ich bin ein Sonnenstrahl voll Licht und Liebesduft,
Der sehnend heim verlangt aus ird'scher Körpergruft!
44.
Ich hab genug gelebt, das Leben nicht zu scheuen;
Gelitten auch genug, mich auf den Tod zu freuen.
45.
Gern sprech' ich von dem Weh, das mich einst tief gebeugt,
So wie ein Sieger stolz die Ehrennarben zeigt.
46.
O lauter Jubelruf, o wilder Schmerzenschrei,
Wie seid ihr beid' in mir verklungen und vorbei!
47.
Die Blüthen welkten längst, es dorrten die Cypressen,
Und ruhig bin ich nun, vergessend und vergessen.
48.
Was grollend du benennst als tolle Schicksalslaunen,
Das scheint mir Gottes Witz, verblutend zu bestaunen.
49.
Du schreitest rüstig fort, um bald am Ziel zu sein;
Doch, was du dafür nimmst, ist nur ein Meilenstein.
50.
Hoffst du auf das Geschick, wie oft wirst du verzagen!
Hoffst du auf dich, wirst du das Aergste muthig tragen.
51.
Dieß Wort erwähle dir zum kräftigen Begleiter:
Und käm' das Schlimmste selbst, wohlan! was wär' es weiter?
52.
Der Hoffnung Flügelkleid ziemt nur den Jugendtagen;
Im Lebenskampfe laß dein Herz den Panzer tragen.
53.
Zu sichern deine Ruh, zu kräftigen dein Wesen,
Betracht', was nicht mehr ist, als wär' es nie gewesen.
54.
»
Ich kann nicht
!« rufst du aus? das heißt bequem verzagt!
Sprich! hast du denn auch schon einmal »
ich will
!« gesagt?
55.
Strebst du dem Höchsten nach, wird Höchstes dir gelingen;
Denn was du denken kannst, das kannst du auch vollbringen.
56.
Gefährlich heißt dieß Buch, weil leicht es zu mißdeuten –
Wohl! so verwahrt es denn vor unberufnen Leuten.
Allein den Dichter selbst verschont mit Bann und Acht!
Er hat an Kluge nur, an Thoren nicht gedacht.
57.
Unweibliche Idee? wie Ihr doch thöricht sprecht!
Was hat der Geist denn wohl gemein mit dem Geschlecht?
58.
Hat Einer so viel Geist, daß, selbst von Neid zernagt,
Die schlechte Welt ihn doch nicht dumm zu nennen wagt:
An seinem Herzen wird sie ihre Rache nehmen
Und sagen: dieß sei schlecht! Wer wird darob sich grämen?!
59.
Gelassen dulde ich der Albernheiten viel,
Nur eine einz'ge setzt selbst meiner Huld ein Ziel:
Wenn sich ein eitler Thor, von Eigenlieb' umnachtet,
Als Kern und Mittelpunkt des weiten Alls betrachtet.
60.
Es werden, wie vor Gott der Götter bunt Geschlecht,
Die Rechte schwinden einst vor dem gottein'gen Recht.
61.
Durch fremden Schaden wirst du Klugheit nie erringen;
Durch eignen aber kannst du's bis zur Weisheit bringen.
62.
Fühlst du dein Herz durch Haß von Menschen weggetrieben –
Thu ihnen Gutes! schnell wirst du sie wieder lieben.
63.
Ich denke,
dichten
heißt: aus dem, was niemals war,
Zu schaffen eine Welt, selbstschöpfrisch, wunderbar.
Du bist, wenn nicht im Wort, doch durch die That ein Dichter,
Wenn du als Schöpfer wirkst und nimmer als Vernichter.
64.
Was man von Macht der Zeit sagt, dünkt mir falsch und schlecht;
Verjährtes Unrecht wird's durch Jahre denn zum Recht?
65.
»Am Glauben halte fest, in dem du warst geboren!« –
Ich halt' an dem, was ich als Bestes selbst erkoren.
Und hätten so wie du, die Väter auch gedacht;
Wir lebten Alle noch in Heidenthumes Nacht.
66.
Was du als wahr erkennst, verkünd' es ohne Zagen;
Nur trachte, Wahrheit stets mit mildstem Wort zu sagen.
67.
Verschütten läßt sich nicht der Freiheit heil'ger Quell;
Durch alle Dämme bricht er doppelt stark und hell.
Weil dieß Euch nicht gelang, habt Aerg'res ihr gestiftet:
Den himmelklaren Born mit Blut und Mord vergiftet.
68.
Wir müssen Gottes sein, als Sclaven oder Kinder!
So wähle denn das Loos, das deinem Geist gelinder.
69.
Der du mich strenge nennst, merk', was mein Mund jetzt spricht:
Kränkungen nehm' ich hin, nur Unrecht duld' ich nicht.
70.
Ich brauch, um Gott zu schau'n, nicht erst den Flug zu lenken
Zum Himmel; nein, nur tief in mich den Blick zu senken.
71.
Sei du der feste Punkt, um den die Welt sich dreht,
Mein strahlenreiches Herz! sei Sonne, nicht Planet!
72.
»Ich folge jenem Stern in lichter Himmelshöhe.«
»Mein Aug' gewahrt ihn nicht!« »Genug, daß
ich
ihn sehe.
73.
Es ist der Fackel Tod die Helle, die sie beut:
Der hohe Mensch verglimmt an Strahlen, die er streut.
74.
Mit manchem Zweifel lag mein Glaube sonst im Streit –
Seit ich dich sterben sah, glaub' ich Unsterblichkeit.
75.
Sei nicht der Wasserfall, der tosend abwärts strebet,
Sei wie das Meer, das still sich himmelan erhebet.
76.
Was ist des Menschen Lust, was ist des Menschen Scherz?
Ein leis'rer Nachhall nur von halbverklungnem Schmerz!
77.
Was echte Tugend sei? – O glaub' es innig fest,
Ein Kampf, der hinter sich glorreiche Spuren läßt.
78.
Ihr denkt wohl, wenn Ihr mich verletzet ungelind:
»Was thut die eine mehr, wo so viel Wunden sind?«
79.
Der wilde Eber stürzt wild schnaubend auf den Jäger,
Zu rächen, wenn er's kann, sein Weh an dem Erleger?
Das wunde Reh flieht hin zum dunkeln Waldessee,
Still zu verbluten dort; – mein Herz, sei du das Reh!
80.
Wie willst du, daß ich soll an Menschenwerth verzagen?
Fühl' ich den eignen nicht? – mein Herz nicht edel schlagen?
81.
Ich habe mich, wie auch mein Loos sich angelassen,
Nie einem Feind gebeugt, nie einen Freund verlassen.
82.
Das Kreuz auf frommer Brust, das Schwert in starker Hand –
Wer so gerüstet zieht, erkämpft das heil'ge Land.
83.
Ertrage ernst und still des Lebens Grambeschwerde!
Des Himmels Kinder sind nur Waisen auf der Erde.
84.
So weichst auch du von mir? So mußt auch du erkalten?
Fahr' hin, auf ewig hin! ich werde dich nicht halten.
Allein beim Abschied jetzt fühl' ich noch mehr als Gram,
In meiner tiefsten Brust bewältigende Scham.
Scham, daß mich ein Gemüth, daß ich so hoch geehret,
Nun über meinen Wahn so schmählich hat belehret.
85.
Der Krieger wünscht den Tod von Jenem zu empfangen,
An welchem lebend er am innigsten gehangen.
Und sieh! auch mir, die sich in manchem Kampf bewähret,
Ward diese letzte Gunst als Kampfespreis bescheeret.
Auf Lebens Schlachtfeld lag ich wund und schmerzentbrannt,
Da sandte Gott den Tod mir von der liebsten Hand.
86.
Des glüh'nd'sten Hasses hab' ich mich gen dich beflissen;
Doch nur, um also heiß nicht lieben dich zu müssen.
87.
Erpreßt dir Thränen nicht ein Unglück, gleich dem meinen,
O sprich, worüber pflegst du denn wohl sonst zu weinen?
88.
Doch nein! mein bestes Glück in meinen Erdentagen,
Es war der heil'ge Schmerz, den ich um dich getragen!
89.
Der neuen Liebe Lust zum fröhlichen Geleit
Bedarfst du meiner nicht, ach, und entschwebst mir weit!
Kommt einst der Schmerz, wirst du mich schnell zu finden wissen;
Der Freundin treue Brust war stets dein Krankenkissen!
90.
Es war mein tiefster Wunsch, im innigen Verein
Mit dir, ein Theil von dir, von dir geliebt zu sein!
Doch weil mir dieß versagt, zähl' ich's den Himmelsgaben,
Den allerhöchsten bei, dich einst geliebt zu haben.
91.
Wie marternd war mein Traum voll Angst und Qual und Sorgen!
Jetzt wird er leichter schon – das macht der nahe Morgen.
92.
Die Gottheit hüllet sich in grauer Wolken Schein,
In kalten Blick und Ton hüllt sich mein Lieben ein.
93.
Du staunst, daß sanft ich blieb, als du mir feindlich grolltest!
Hab ich dich denn geliebt, daß du mich lieben solltest?
Ich habe dich geliebt, weil's so geheischt mein Ich,
Und blieb dir standhaft treu aus Treue gegen mich.
94.
Es gab die Welt mir nicht die Kraft zum Lieben, Glauben;
Drum soll, was sie nicht gab, sie mir denn auch nicht rauben.
95.
Die Welt gehorchet Gott, unwollend, unbewußt,
Ich aber folge ihm aus eigner Seelenlust.
96.
Was weigerst du mir kalt den letzten Abschiedsgruß?
Ist dir's denn unbewußt, daß ich einst sterben muß?
O mög' dir's dann zu bang nicht kommen in's Gedächtniß,
Daß frevelnd du verschmäht der Liebe letzt Vermächtniß!
97.
Entziehst du mir mein Glück mit stolzem Uebermuth,
So ist's, weil du nicht weißt, wie sehr es Noth mir thut!
98.
Noch sind wir ungetrennt, ob du mir auch entrannst,
Da du in Ewigkeit mich nicht vergessen kannst!
99.
Als meiner Leiden Preis fleh ich zu Gott bewegt:
Erlassen mög' er dir, was er mir auferlegt.
100.
Als Höchstes wünsch' ich dir, will scheidend ich dich segnen:
Daß dir ein zweites Herz wie meines mög' begegnen.
Und nun nimm hin dieß Lied, wie einfach schlicht es tönt!
Mich hats mit Gott und Welt und dir und mir versöhnt.