Der Fuchs und das Eichhorn Der Attila für Huhn und Hähne, Herr Fuchs, war alt und wohlbetagt; Er kam um alle seine Zähne Und ward vom Podagra geplagt. Das alte deutsche Sprichwort sagt: Der allerärgste Schelm auf Erden Muß noch zuletzt ein Mucker werden. Warum? Ist hier die Frage nicht; Genug, der alte Bösewicht Begann itzt seine Räubereyen Durch Seufzen, Fasten und Kasteyen, Vor allen Thieren zu bereuen. Mit thränenvollem Angesicht Trat er nach den zermalmten Knochen Von einem jungen Auerhahn, Dem er nur erst vor wenig Wochen Mit schlauer Wuth den Hals gebrochen, Voll Andacht eine Wallfahrt an. Er wählte sich die rauhsten Stege, Die man im Wald nur finden kann Und traf auf seinem weiten Wege Ein junges rasches Eichhorn an. Er sah es mit vergnügten Sprüngen Sich auf die höchsten Wipfel schwingen, Und schnell erhebt sich in der Brust Des Büßers eine fromme Lust, Sich an dem Tänzer zu erbauen Und ihn von nahem zu beschauen. Sey mir gegrüßet, lieber Sohn, So sprach er in gebrochnem Ton, Ich sehe mit vergnügtem Herzen Dich so beglückt, so sorgenfrey, Des Lebens Gram vorüberscherzen. Doch ich gestehe dir dabey, Daß ich auf meinen Pilgerzügen An der entfernten Wolga Strand Vorlängst ein weißes Eichhorn fand, Das in der seltnen Kunst zu fliegen Es dir noch weit zuvor gethan. Der Vorwurf kränkte Mäzchens Ehre. Ich dächte, hub es höhnisch an, Daß ich kein Klotz im Springen wäre. O! sprach der Alte, glaube mir, Du kannst mit jenem Wunderthier Auf keine Weise dich vergleichen. Es drückte fest die Augen zu Und konnte doch so flink wie du Die Wipfel tausendjährger Eichen Mit einem sichern Flug durchstreichen. Ha, sprach das Eichhorn, blöder Greis! Das kann ich auch, so viel ich weiß. Es schließet flugs die Augenlieder, Nimmt einen ungemeßnen Satz Und stürzet auf den Rasenplatz Zu Meister Fuchsens Füßen nieder, Der plözlich alle seine Kraft Verrätherisch zusammenraft, Um unsern Springer bey dem Nacken Mit scharfen Krallen anzupacken. Das Eichhorn schrie: Barmherzigkeit! Herr Fuchs, der Spaß geht allzuweit; Sie thun als wollten Sie mich fressen. Nur sachte, lieber kleiner Sohn, Sprach Reinecke mit bitterm Hohn, Ich habe längst den Spaß vergessen Und suche mir ein Abendessen. Auf diesen freundlichen Bericht Rief Mäzchen voller Angst und Grauen: O Zevs ... jedoch ich murre nicht; Ein zu gerechtes Strafgericht Giebt mich in dieses Heuchlers Klauen; Allein du falscher Bösewicht, Der lachend mir den Nacken bricht, Ich sah dich erst als Pilger wallen, Ich hörte dein Gebet erschallen, Und nun dankst du den Göttern nicht, Die dir ein fettes Mahl bescheren? Ein Heuchler will auch selbst zur Zeit, Wenn er den Arm dem Laster leiht, Die Welt durch falschen Schein bethören. Der alte Schelm war schon bereit Den Leckerbissen aufzuzehren; Doch itzt sieht er ein Haselhuhn In einem niedern Busche ruhn. Ich muß mich, denkt er, nicht verrathen, Hier giebt ein zweytes Meisterstück Vielleicht mir einen zweyten Braten. Voll Andacht kehrt er seinen Blick Nach des Olymps lazurnen Kreisen Und faltet, um den Zevs zu preisen, Der Pfoten blutgefärbtes Paar. Das Eichhorn nimmt des Zeitpunkts wahr, Und schneller als des Habichts Schwingen Durch die zertheilten Lüfte dringen, Erreicht es einen sichern Ast. Hier sah es unter tausend Flüchen Den Gaudieb sich vor Schaam verkriechen, Und rief ihm nach: Mein frommer Gast Willst du hinfort ein Eichhorn speisen, So mußt du nie die Götter preisen, Als bis du es verzehret hast.