Prolog zu Wilhelm Tell Vorgetragen auf dem Stadttheater zu Leipzig, am Schillerfest, 10. November 1845 Die ihr aus dichtgedrängten Räumen heut Dem Spiel entgegenlauscht, das wir bereiten: Erlaubt, daß ich mit flücht'gem Wort zuvor An dieses Tages festliche Bedeutung, Geneigte Hörer, euch erinnern darf. Denn hochbeglückt vor vielen seiner Brüder, Mit einem Namen, dessen Widerhall Lebendig tönt in jeder deutschen Brust, Mit Schillers Namen schmückt sich dieser Tag! Längst zwar ihn selbst, den Frühverklärten, deckt Die stille Gruft: doch leuchtend drüber hin, In unvergänglich jugendlicher Schöne, Vom Morgenglanz der Zukunft angestrahlt, Schreiten die Geister seiner Dichtungen, Sieghaften Gangs, und streun den Samen aus Der neuen Zeit. Ein Fest des Lebens denn Dem urlebendig Leben Spendenden! Vergessen sei, die ihn verhüllt, die Gruft, Und heitern Muts, gleichsam als lebt er noch, Als quölle noch, in unversiegter Fülle, Der Strom der Lieder aus lebend'ger Brust, Begehen wir, in feiernder Gemeinschaft, Den holden Tag, da er ins Leben trat. Den Meister ehrt zumeist sein eignes Werk. Drum auch des Schauspiels leichtgeschürzte Muse, Sie, die vor vielen ihm verpflichtet ist, Weil sie die schönsten Kränze, die sie schmücken, Die köstlichsten aus seiner Hand empfing – Welch bess'res Denkmal könnte sie ihm weihn, Als wie sein eignes, ewiges Gedicht?! – Gedenkt der Zeiten, da dies Werk entstand! Im trüben Anfang war es des Jahrhunderts, Da über Deutschland mitternächtig, drohend, Die Wolke hing des nahen Untergangs, Des selbst verschuldeten! Vom Neid der Fürsten Langsam zernagt, zerfetzt von seiner Bürger Selbstmörderisch wahnwitz'ger Eifersucht, In Trümmer sank des Reichs ehrwürd'ger Bau; Schon westwärts dröhnte des Erob'rers Fuß, Und jammervoll, ein preisgegebnes Weib, In Tränen lag, ohnmächtig hingegossen, Das Vaterland – und fühlte schon die Ketten, Die seine eignen Kinder schmiedeten! Und fühlte schon auf der erlauchten Stirn Die Eisenfaust fremdländ'scher Tyrannei! – Und da, da war's! Einsam, in enger Zelle, Bei nächt'ger Zeit, den Sternen zugekehrt, Aus denen er des Lebens Flamme sog, Da ließ der Dichter seinen Tell entstehn! Für die kein Raum mehr war auf deutscher Erde: Vaterlandsliebe, Mannesmut und Stolz, Die trotz'ge Würde eines freien Volks, Das aus dem Himmel seine Rechte holt – Sie flüchteten in des Poeten Herz Und schufen hier, damit die künft'ge Zeit Nicht ganz verarmt an großen Mustern sei, Der Freiheit Festtragödie, Wilhelm Tell! – Es war des teuern Dichters letztes Werk, Das Testament, mit dem er Abschied nahm Von dem geliebten, seinem deutschen Volk. In eigner Brust vorahnend seinen Tod, Dem Schwane gleich, der in Gesanges Wogen Melodisch ausströmt seines Blutes Quell, Ließ er den Pfeil des Lieds noch einmal steigen – Und traf zerschmetternd des Tyrannen Herz! In andern Bahnen wandelt andre Zeit. Die Schwerter ruhn, kein äußrer Feind bedroht Den holden Frieden unsers Vaterlands, Und fröhlich blühen Handel und Gewerb. Doch aneinander rüstig pralln die Geister, Hier ist das Schlachtfeld der verjüngten Zeit: Nacht kämpft mit Licht, die Wahrheit mit der Lüge, Und wiederum, die Völker zu betören, Steckt mancher Geßler manchen Hut empor! – In diesem Sinn empfangt heut unser Spiel! Und wenn der Dichtung zauberische Kraft Das tiefste Herz in Mitgefühl euch löst: Ihr seht die Zeichen flammen von den Bergen, Ihr murmelt leis den Schwur des Rütli nach, Und hört, was Attinghausen sterbend spricht, Das köstliche: Seid einig, einig, einig –! O seid gedenk, es hab euch auch gemeint! Es braucht die Wahrheit ihre Kämpfer auch, Der Sieg des Geists will auch errungen sein: O seid denn einig für den Kampf der Zeit, Seid einig, einig für des Volkes Rechte, Seid einig, einig, wo die Freiheit ruft! So wird in euch der Geist des Dichters wach, So, Freunde, wird's ein echtes Schillerfest! Denn alle Kunst ist Blüte nur und Saat: Die wahre Frucht des Lebens ist die Tat.