Das Buch von der Pilgerschaft Dich wundert nicht des Sturmes Wucht, – du hast ihn wachsen sehn; – die Bäume flüchten. Ihre Flucht schafft schreitende Alleen. Da weißt du, der vor dem sie fliehn ist der, zu dem du gehst, und deine Sinne singen ihn, wenn du am Fenster stehst. Des Sommers Wochen standen still, es stieg der Bäume Blut; jetzt fühlst du, daß es fallen will in den der Alles tut. Du glaubtest schon erkannt die Kraft, als du die Frucht erfaßt, jetzt wird sie wieder rätselhaft, und du bist wieder Gast. Der Sommer war so wie dein Haus, drin weißt du alles stehn – jetzt mußt du in dein Herz hinaus wie in die Ebene gehn. Die große Einsamkeit beginnt, die Tage werden taub, aus deinen Sinnen nimmt der Wind die Welt wie welkes Laub. Durch ihre leeren Zweige sieht der Himmel, den du hast; sei Erde jetzt und Abendlied und Land, darauf er paßt. Demütig sei jetzt wie ein Ding, zu Wirklichkeit gereift, – daß Der, von dem die Kunde ging, dich fühlt, wenn er dich greift. Ich bete wieder, du Erlauchter, du hörst mich wieder durch den Wind, weil meine Tiefen niegebrauchter rauschender Worte mächtig sind. Ich war zerstreut; an Widersacher in Stücken war verteilt mein Ich. O Gott, mich lachten alle Lacher und alle Trinker tranken mich. In Höfen hab ich mich gesammelt aus Abfall und aus altem Glas, mit halbem Mund dich angestammelt, dich, Ewiger aus Ebenmaß. Wie hob ich meine halben Hände zu dir in namenlosem Flehn, daß ich die Augen wiederfände, mit denen ich dich angesehn. Ich war ein Haus nach einem Brand, darin nur Mörder manchmal schlafen, eh ihre hungerigen Strafen sie weiterjagen in das Land; ich war wie eine Stadt am Meer, wenn eine Seuche sie bedrängte, die sich wie eine Leiche schwer den Kindern an die Hände hängte. Ich war mir fremd wie irgendwer, und wußte nur von ihm, daß er einst meine junge Mutter kränkte als sie mich trug, und daß ihr Herz, das eingeengte, sehr schmerzhaft an mein Keimen schlug. Jetzt bin ich wieder aufgebaut aus allen Stücken meiner Schande, und sehne mich nach einem Bande, nach einem einigen Verstande, der mich wie ein Ding überschaut, – nach deines Herzens großen Händen – (o kämen sie doch auf mich zu). Ich zähle mich, mein Gott, und du, du hast das Recht, mich zu verschwenden. Ich bin derselbe noch, der kniete vor dir in mönchischem Gewand: der tiefe, dienende Levite, den du erfüllt, der dich erfand. Die Stimme einer stillen Zelle, an der die Welt vorüberweht, – und du bist immer noch die Welle die über alle Dinge geht. Es ist nichts andres. Nur ein Meer, aus dem die Länder manchmal steigen. Es ist nichts andres denn ein Schweigen von schönen Engeln und von Geigen, und der Verschwiegene ist der, zu dem sich alle Dinge neigen, von seiner Stärke Strahlen schwer. Bist du denn Alles, – ich der Eine, der sich ergiebt und sich empört? Bin ich denn nicht das Allgemeine, bin ich nicht Alles, wenn ich weine, und du der Eine, der es hört? Hörst du denn etwas neben mir? Sind da noch Stimmen außer meiner? Ist da ein Sturm? Auch ich bin einer, und meine Wälder winken dir. Ist da ein Lied, ein krankes, kleines, das dich am Micherhören stört, – auch ich bin eines, höre meines, das einsam ist und unerhört. Ich bin derselbe noch, der bange dich manchmal fragte, wer du seist. Nach jedem Sonnenuntergange bin ich verwundet und verwaist, ein blasser Allem Abgelöster und ein Verschmähter jeder Schar, und alle Dinge stehn wie Klöster, in denen ich gefangen war. Dann brauch ich dich, du Eingeweihter, du sanfter Nachbar jeder Not, du meines Leidens leiser Zweiter, du Gott, dann brauch ich dich wie Brot. Du weißt vielleicht nicht, wie die Nächte für Menschen, die nicht schlafen, sind: da sind sie alle Ungerechte, der Greis, die Jungfrau und das Kind. Sie fahren auf wie totgesagt, von schwarzen Dingen nah umgeben, und ihre weißen Hände beben, verwoben in ein wildes Leben wie Hunde in ein Bild der Jagd. Vergangenes steht noch bevor, und in der Zukunft liegen Leichen, ein Mann im Mantel pocht am Tor, und mit dem Auge und dem Ohr ist noch kein erstes Morgenzeichen, kein Hahnruf ist noch zu erreichen. Die Nacht ist wie ein großes Haus. Und mit der Angst der wunden Hände reißen sie Türen in die Wände, – dann kommen Gänge ohne Ende, und nirgends ist ein Tor hinaus. Und so, mein Gott, ist jede Nacht; immer sind welche aufgewacht, die gehn und gehn und dich nicht finden. Hörst du sie mit dem Schritt von Blinden das Dunkel treten? Auf Treppen, die sich niederwinden, hörst du sie beten? Hörst du sie fallen auf den schwarzen Steinen? Du mußt sie weinen hören; denn sie weinen. Ich suche dich, weil sie vorübergehn an meiner Tür. Ich kann sie beinah sehn. Wen soll ich rufen, wenn nicht den, der dunkel ist und nächtiger als Nacht. Den Einzigen, der ohne Lampe wacht und doch nicht bangt; den Tiefen, den das Licht noch nicht verwöhnt hat und von dem ich weiß, weil er mit Bäumen aus der Erde bricht und weil er leis als Duft in mein gesenktes Angesicht aus Erde steigt. Du Ewiger, du hast dich mir gezeigt. Ich liebe dich wie einen lieben Sohn, der mich einmal verlassen hat als Kind, weil ihn das Schicksal rief auf einen Thron, vor dem die Länder alle Täler sind. Ich bin zurück geblieben wie ein Greis, der seinen großen Sohn nichtmehr versteht und wenig von den neuen Dingen weiß, zu welchen seines Samens Wille geht. Ich bebe manchmal für dein tiefes Glück, das auf so vielen fremden Schiffen fährt, ich wünsche manchmal dich in mich zurück, in dieses Dunkel, das dich großgenährt. Ich bange manchmal, daß du nichtmehr bist, wenn ich mich sehr verliere an die Zeit. Dann les ich von dir: der Euangelist schreibt überall von deiner Ewigkeit. Ich bin der Vater; doch der Sohn ist mehr, ist alles, was der Vater war, und der, der er nicht wurde, wird in jenem groß; er ist die Zukunft und die Wiederkehr, er ist der Schooß, er ist das Meer ... Dir ist mein Beten keine Blasphemie: als schlüge ich in alten Büchern nach, daß ich dir sehr verwandt bin – tausendfach. Ich will dir Liebe geben. Die und die .... Liebt man denn einen Vater? Geht man nicht, wie du von mir gingst, Härte im Gesicht, von seinen hülflos leeren Händen fort? Legt man nicht leise sein verwelktes Wort in alte Bücher, die man selten liest? Fließt man nicht wie von einer Wasserscheide von seinem Herzen ab zu Lust und Leide? Ist uns der Vater denn nicht das, was war ; vergangne Jahre, welche fremd gedacht, veraltete Gebärde, tote Tracht, verblühte Hände und verblichnes Haar? Und war er selbst für seine Zeit ein Held, er ist das Blatt, das, wenn wir wachsen, fällt. Und seine Sorgfalt ist uns wie ein Alb, und seine Stimme ist uns wie ein Stein, – wir möchten seiner Rede hörig sein, aber wir hören seine Worte halb. Das große Drama zwischen ihm und uns lärmt viel zu laut, einander zu verstehn, wir sehen nur die Formen seines Munds, aus denen Silben fallen, die vergehn. So sind wir noch viel ferner ihm als fern, wenn auch die Liebe uns noch weit verwebt, erst wenn er sterben muß auf diesem Stern, sehn wir, daß er auf diesem Stern gelebt. Das ist der Vater uns. Und ich – ich soll dich Vater nennen? Das hieße tausendmal mich von dir trennen. Du bist mein Sohn. Ich werde dich erkennen, wie man sein einzigliebes Kind erkennt, auch dann, wenn es ein Mann geworden ist, ein alter Mann. Lösch mir die Augen aus: ich kann dich sehn, wirf mir die Ohren zu: ich kann dich hören, und ohne Füße kann ich zu dir gehn, und ohne Mund noch kann ich dich beschwören. Brich mir die Arme ab, ich fasse dich mit meinem Herzen wie mit einer Hand, halt mir das Herz zu, und mein Hirn wird schlagen, und wirfst du in mein Hirn den Brand, so werd ich dich auf meinem Blute tragen. Und meine Seele ist ein Weib vor dir. Und ist wie der Naëmi Schnur, wie Ruth. Sie geht bei Tag um deiner Garben Hauf wie eine Magd, die tiefe Dienste tut. Aber am Abend steigt sie in die Flut und badet sich und kleidet sich sehr gut und kommt zu dir, wenn alles um dich ruht, und kommt und deckt zu deinen Füßen auf. Und fragst du sie um Mitternacht, sie sagt mit tiefer Einfalt: Ich bin Ruth, die Magd. Spann deine Flügel über deine Magd. Du bist der Erbe ... Und meine Seele schläft dann bis es tagt bei deinen Füßen, warm von deinem Blut. Und ist ein Weib vor dir. Und ist wie Ruth. Du bist der Erbe. Söhne sind die Erben, denn Väter sterben. Söhne stehn und blühn. Du bist der Erbe: Und du erbst das Grün vergangner Gärten und das stille Blau zerfallner Himmel. Tau aus tausend Tagen, die vielen Sommer, die die Sonnen sagen, und lauter Frühlinge mit Glanz und Klagen wie viele Briefe einer jungen Frau. Du erbst die Herbste, die wie Prunkgewänder in der Erinnerung von Dichtern liegen, und alle Winter, wie verwaiste Länder, scheinen sich leise an dich anzuschmiegen. Du erbst Venedig und Kasan und Rom, Florenz wird dein sein, der Pisaner Dom, die Troïtzka Lawra und das Monastir, das unter Kiews Gärten ein Gewirr von Gängen bildet, dunkel und verschlungen, – Moskau mit Glocken wie Erinnerungen, – und Klang wird dein sein: Geigen, Hörner, Zungen, und jedes Lied, das tief genug erklungen, wird an dir glänzen wie ein Edelstein. Für dich nur schließen sich die Dichter ein und sammeln Bilder, rauschende und reiche, und gehn hinaus und reifen durch Vergleiche und sind ihr ganzes Leben so allein ... Und Maler malen ihre Bilder nur, damit du unvergänglich die Natur, die du vergänglich schufst, zurückempfängst: alles wird ewig. Sieh, das Weib ist längst in der Madonna Lisa reif wie Wein; es müßte nie ein Weib mehr sein, denn Neues bringt kein neues Weib hinzu. Die, welche bilden, sind wie du. Sie wollen Ewigkeit. Sie sagen: Stein, sei ewig. Und das heißt: sei dein! Und auch, die lieben, sammeln für dich ein: Sie sind die Dichter einer kurzen Stunde, sie küssen einem ausdruckslosen Munde ein Lächeln auf, als formten sie ihn schöner, und bringen Lust und sind die Angewöhner zu Schmerzen, welche erst erwachsen machen. Sie bringen Leiden mit in ihrem Lachen, Sehnsüchte, welche schlafen, und erwachen, um aufzuweinen in der fremden Brust. Sie häufen Rätselhaftes an und sterben, wie Tiere sterben, ohne zu begreifen, – aber sie werden vielleicht Enkel haben, in denen ihre grünen Leben reifen; durch diese wirst du jene Liebe erben, die sie sich blind und wie im Schlafe gaben. So fließt der Dinge Überfluß dir zu. Und wie die obern Becken von Fontänen beständig überströmen, wie von Strähnen gelösten Haares, in die tiefste Schale, – so fällt die Fülle dir in deine Tale, wenn Dinge und Gedanken übergehn. Ich bin nur einer deiner Ganzgeringen, der in das Leben aus der Zelle sieht und der, den Menschen ferner als den Dingen, nicht wagt zu wägen, was geschieht. Doch willst du mich vor deinem Angesicht, aus dem sich dunkel deine Augen heben, dann halte es für meine Hoffahrt nicht, wenn ich dir sage: Keiner lebt sein Leben. Zufälle sind die Menschen, Stimmen, Stücke, Alltage, Ängste, viele kleine Glücke, verkleidet schon als Kinder, eingemummt, als Masken mündig, als Gesicht – verstummt. Ich denke oft: Schatzhäuser müssen sein, wo alle diese vielen Leben liegen wie Panzer oder Sänften oder Wiegen, in welche nie ein Wirklicher gestiegen, und wie Gewänder, welche ganz allein nicht stehen können und sich sinkend schmiegen an starke Wände aus gewölbtem Stein. Und wenn ich abends immer weiterginge aus meinem Garten, drin ich müde bin, – ich weiß: dann führen alle Wege hin zum Arsenal der ungelebten Dinge. Dort ist kein Baum, als legte sich das Land, und wie um ein Gefängnis hängt die Wand ganz fensterlos in siebenfachem Ringe. Und ihre Tore mit den Eisenspangen, die denen wehren, welche hinverlangen, und ihre Gitter sind von Menschenhand. Und doch, obwohl ein jeder von sich strebt wie aus dem Kerker, der ihn haßt und hält, – es ist ein großes Wunder in der Welt: ich fühle: alles Leben wird gelebt. Wer lebt es denn? Sind das die Dinge, die wie eine ungespielte Melodie im Abend wie in einer Harfe stehn? Sind das die Winde, die von Wassern wehn, sind das die Zweige, die sich Zeichen geben, sind das die Blumen, die die Düfte weben, sind das die langen alternden Alleen? Sind das die warmen Tiere, welche gehn, sind das die Vögel, die sich fremd erheben? Wer lebt es denn? Lebst du es, Gott, – das Leben? Du bist der Alte, dem die Haare von Ruß versengt sind und verbrannt, du bist der große Unscheinbare, mit deinem Hammer in der Hand. Du bist der Schmied, das Lied der Jahre, der immer an dem Amboß stand. Du bist, der niemals Sonntag hat, der in die Arbeit Eingekehrte, der sterben könnte überm Schwerte, das noch nicht glänzend wird und glatt. Wenn bei uns Mühle steht und Säge und alle trunken sind und träge, dann hört man deine Hammerschläge an allen Glocken in der Stadt. Du bist der Mündige, der Meister, und keiner hat dich lernen sehn; ein Unbekannter, Hergereister, von dem bald flüsternder, bald dreister die Reden und Gerüchte gehn. Gerüchte gehn, die dich vermuten, und Zweifel gehn, die dich verwischen. Die Trägen und die Träumerischen mißtrauen ihren eignen Gluten und wollen, daß die Berge bluten, denn eher glauben sie dich nicht. Du aber senkst dein Angesicht. Du könntest den Bergen die Adern aufschneiden als Zeichen eines großen Gerichts; aber dir liegt nichts an den Heiden. Du willst nicht streiten mit allen Listen und nicht suchen die Liebe des Lichts; denn dir liegt nichts an den Christen. Dir liegt an den Fragenden nichts. Sanften Gesichts siehst du den Tragenden zu. Alle, welche dich suchen, versuchen dich. Und die, so dich finden, binden dich an Bild und Gebärde. Ich aber will dich begreifen wie dich die Erde begreift; mit meinem Reifen reift dein Reich. Ich will von dir keine Eitelkeit, die dich beweist. Ich weiß, daß die Zeit anders heißt als du. Tu mir kein Wunder zulieb. Gieb deinen Gesetzen recht, die von Geschlecht zu Geschlecht sichtbarer sind. Wenn etwas mir vom Fenster fällt (und wenn es auch das Kleinste wäre) wie stürzt sich das Gesetz der Schwere gewaltig wie ein Wind vom Meere auf jeden Ball und jede Beere und trägt sie in den Kern der Welt. Ein jedes Ding ist überwacht von einer flugbereiten Güte wie jeder Stein und jede Blüte und jedes kleine Kind bei Nacht. Nur wir, in unsrer Hoffahrt, drängen aus einigen Zusammenhängen in einer Freiheit leeren Raum, statt, klugen Kräften hingegeben, uns aufzuheben wie ein Baum. Statt in die weitesten Geleise sich still und willig einzureihn, verknüpft man sich auf manche Weise, – und wer sich ausschließt jedem Kreise, ist jetzt so namenlos allein. Da muß er lernen von den Dingen, anfangen wieder wie ein Kind, weil sie, die Gott am Herzen hingen, nicht von ihm fortgegangen sind. Eins muß er wieder können: fallen , geduldig in der Schwere ruhn, der sich vermaß, den Vögeln allen im Fliegen es zuvorzutun. (Denn auch die Engel fliegen nicht mehr. Schweren Vögeln gleichen die Seraphim, welche um ihn sitzen und sinnen; Trümmern von Vögeln, Pinguinen gleichen sie, wie sie verkümmern ...) Du meinst die Demut. Angesichter gesenkt in stillem Dichverstehn. So gehen abends junge Dichter in den entlegenen Alleen. So stehn die Bauern um die Leiche, wenn sich ein Kind im Tod verlor, – und was geschieht, ist doch das Gleiche: es geht ein Übergroßes vor. Wer dich zum ersten Mal gewahrt, den stört der Nachbar und die Uhr, der geht, gebeugt zu deiner Spur, und wie beladen und bejahrt. Erst später naht er der Natur und fühlt die Winde und die Fernen, hört dich, geflüstert von der Flur, sieht dich, gesungen von den Sternen, und kann dich nirgends mehr verlernen, und alles ist dein Mantel nur. Ihm bist du neu und nah und gut und wunderschön wie eine Reise, die er in stillen Schiffen leise auf einem großen Flusse tut. Das Land ist weit, in Winden, eben, sehr großen Himmeln preisgegeben und alten Wäldern untertan. Die kleinen Dörfer, die sich nahn, vergehen wieder wie Geläute und wie ein Gestern und ein Heute und so wie alles, was wir sahn. Aber an dieses Stromes Lauf stehn immer wieder Städte auf und kommen wie auf Flügelschlägen der feierlichen Fahrt entgegen. Und manchmal lenkt das Schiff zu Stellen, die einsam, sonder Dorf und Stadt, auf etwas warten an den Wellen, – auf den, der keine Heimat hat ... Für solche stehn dort kleine Wagen (ein jeder mit drei Pferden vor), die atemlos nach Abend jagen auf einem Weg, der sich verlor. In diesem Dorfe steht das letzte Haus so einsam wie das letzte Haus der Welt. Die Straße, die das kleine Dorf nicht hält, geht langsam weiter in die Nacht hinaus. Das kleine Dorf ist nur ein Übergang zwischen zwei Weiten, ahnungsvoll und bang, ein Weg an Häusern hin statt eines Stegs. Und die das Dorf verlassen, wandern lang, und viele sterben vielleicht unterwegs. Manchmal steht einer auf beim Abendbrot und geht hinaus und geht und geht und geht, – weil eine Kirche wo im Osten steht. Und seine Kinder segnen ihn wie tot. Und einer, welcher stirbt in seinem Haus, bleibt drinnen wohnen, bleibt in Tisch und Glas, so daß die Kinder in die Welt hinaus zu jener Kirche ziehn, die er vergaß. Nachtwächter ist der Wahnsinn, weil er wacht. Bei jeder Stunde bleibt er lachend stehn, und einen Namen sucht er für die Nacht und nennt sie: sieben, achtundzwanzig, zehn ... Und ein Triangel trägt er in der Hand, und weil er zittert, schlägt es an den Rand des Horns, das er nicht blasen kann, und singt das Lied, das er zu allen Häusern bringt. Die Kinder haben eine gute Nacht und hören träumend, daß der Wahnsinn wacht. Die Hunde aber reißen sich vom Ring und gehen in den Häusern groß umher und zittern, wenn er schon vorüberging, und fürchten sich vor seiner Wiederkehr. Weißt du von jenen Heiligen, mein Herr? Sie fühlten auch verschloßne Klosterstuben zu nahe an Gelächter und Geplärr, so daß sie tief sich in die Erde gruben. Ein jeder atmete mit seinem Licht die kleine Luft in seiner Grube aus, vergaß sein Alter und sein Angesicht und lebte wie ein fensterloses Haus und starb nichtmehr, als wär er lange tot. Sie lasen selten; alles war verdorrt, als wäre Frost in jedes Buch gekrochen, und wie die Kutte hing von ihren Knochen, so hing der Sinn herab von jedem Wort. Sie redeten einander nichtmehr an, wenn sie sich fühlten in den schwarzen Gängen, sie ließen ihre langen Haare hängen, und keiner wußte, ob sein Nachbarmann nicht stehend starb. In einem runden Raum, wo Silberlampen sich von Balsam nährten, versammelten sich manchmal die Gefährten vor goldnen Türen wie vor goldnen Gärten und schauten voller Mißtraun in den Traum und rauschten leise mit den langen Bärten. Ihr Leben war wie tausend Jahre groß, seit es sich nichtmehr schied in Nacht und Helle; sie waren, wie gewälzt von einer Welle, zurückgekehrt in ihrer Mutter Schooß. Sie saßen rundgekrümmt wie Embryos mit großen Köpfen und mit kleinen Händen und aßen nicht, als ob sie Nahrung fänden aus jener Erde, die sie schwarz umschloß. Jetzt zeigt man sie den tausend Pilgern, die aus Stadt und Steppe zu dem Kloster wallen. Seit dreimal hundert Jahren liegen sie, und ihre Leiber können nicht zerfallen. Das Dunkel häuft sich wie ein Licht das rußt auf ihren langen lagernden Gestalten, die unter Tüchern heimlich sich erhalten, – und ihrer Hände ungelöstes Falten liegt ihnen wie Gebirge auf der Brust. Du großer alter Herzog des Erhabnen: hast du vergessen, diesen Eingegrabnen den Tod zu schicken, der sie ganz verbraucht, weil sie sich tief in Erde eingetaucht? Sind die, die sich Verstorbenen vergleichen, am ähnlichsten der Unvergänglichkeit? Ist das das große Leben deiner Leichen, das überdauern soll den Tod der Zeit? Sind sie dir noch zu deinen Plänen gut? Erhältst du unvergängliche Gefäße, die du, der allen Maßen Ungemäße, einmal erfüllen willst mit deinem Blut? Du bist die Zukunft, großes Morgenrot über den Ebenen der Ewigkeit. Du bist der Hahnschrei nach der Nacht der Zeit, der Tau, die Morgenmette und die Maid, der fremde Mann, die Mutter und der Tod. Du bist die sich verwandelnde Gestalt, die immer einsam aus dem Schicksal ragt, die unbejubelt bleibt und unbeklagt und unbeschrieben wie ein wilder Wald. Du bist der Dinge tiefer Inbegriff, der seines Wesens letztes Wort verschweigt und sich den Andern immer anders zeigt: dem Schiff als Küste und dem Land als Schiff. Du bist das Kloster zu den Wundenmalen. Mit zweiunddreißig alten Kathedralen und fünfzig Kirchen, welche aus Opalen und Stücken Bernstein aufgemauert sind. Auf jedem Ding im Klosterhofe liegt deines Klanges eine Strophe, und das gewaltige Tor beginnt. In langen Häusern wohnen Nonnen, Schwarzschwestern, siebenhundertzehn. Manchmal kommt eine an den Bronnen, und eine steht wie eingesponnen, und eine, wie in Abendsonnen, geht schlank in schweigsamen Alleen. Aber die Meisten sieht man nie; sie bleiben in der Häuser Schweigen wie in der kranken Brust der Geigen die Melodie, die keiner kann ... Und um die Kirchen rings im Kreise, von schmachtendem Jasmin umstellt, sind Gräberstätten, welche leise wie Steine reden von der Welt. Von jener Welt, die nichtmehr ist, obwohl sie an das Kloster brandet, in eitel Tag und Tand gewandet und gleichbereit zu Lust und List. Sie ist vergangen: denn du bist. Sie fließt noch wie ein Spiel von Lichtern über das teilnahmslose Jahr; doch dir, dem Abend und den Dichtern sind, unter rinnenden Gesichtern, die dunkeln Dinge offenbar. Die Könige der Welt sind alt und werden keine Erben haben. Die Söhne sterben schon als Knaben, und ihre bleichen Töchter gaben die kranken Kronen der Gewalt. Der Pöbel bricht sie klein zu Geld, der zeitgemäße Herr der Welt dehnt sie im Feuer zu Maschinen, die seinem Wollen grollend dienen; aber das Glück ist nicht mit ihnen. Das Erz hat Heimweh. Und verlassen will es die Münzen und die Räder, die es ein kleines Leben lehren. Und aus Fabriken und aus Kassen wird es zurück in das Geäder der aufgetanen Berge kehren, die sich verschließen hinter ihm. Alles wird wieder groß sein und gewaltig. Die Lande einfach und die Wasser faltig, die Bäume riesig und sehr klein die Mauern; und in den Tälern, stark und vielgestaltig, ein Volk von Hirten und von Ackerbauern. Und keine Kirchen, welche Gott umklammern wie einen Flüchtling und ihn dann bejammern wie ein gefangenes und wundes Tier, – die Häuser gastlich allen Einlaßklopfern und ein Gefühl von unbegrenztem Opfern in allem Handeln und in dir und mir. Kein Jenseitswarten und kein Schaun nach drüben, nur Sehnsucht, auch den Tod nicht zu entweihn und dienend sich am Irdischen zu üben, um seinen Händen nicht mehr neu zu sein. Auch du wirst groß sein. Größer noch als einer, der jetzt schon leben muß, dich sagen kann. Viel ungewöhnlicher und ungemeiner und noch viel älter als ein alter Mann. Man wird dich fühlen: daß ein Duften ginge aus eines Gartens naher Gegenwart; und wie ein Kranker seine liebsten Dinge wird man dich lieben ahnungsvoll und zart. Es wird kein Beten geben, das die Leute zusammenschart. Du bist nicht im Verein; und wer dich fühlte und sich an dir freute, wird wie der Einzige auf Erden sein: Ein Ausgestoßener und ein Vereinter, gesammelt und vergeudet doch zugleich; ein Lächelnder und doch ein Halbverweinter, klein wie ein Haus und mächtig wie ein Reich. Es wird nicht Ruhe in den Häusern, sei's daß einer stirbt und sie ihn weitertragen, sei es daß wer auf heimliches Geheiß den Pilgerstock nimmt und den Pilgerkragen, um in der Fremde nach dem Weg zu fragen, auf welchem er dich warten weiß. Die Straßen werden derer niemals leer, die zu dir wollen wie zu jener Rose, die alle tausend Jahre einmal blüht. Viel dunkles Volk und beinah Namenlose, und wenn sie dich erreichen, sind sie müd. Aber ich habe ihren Zug gesehn; und glaube seither, daß die Winde wehn aus ihren Mänteln, welche sich bewegen, und stille sind wenn sie sich niederlegen –: so groß war in den Ebenen ihr Gehn. So möcht ich zu dir gehn: von fremden Schwellen Almosen sammelnd, die mich ungern nähren. Und wenn der Wege wirrend viele wären, so würd ich mich den Ältesten gesellen. Ich würde mich zu kleinen Greisen stellen, und wenn sie gingen, schaut ich wie im Traum, daß ihre Kniee aus der Bärte Wellen wie Inseln tauchen, ohne Strauch und Baum. Wir überholten Männer, welche blind mit ihren Knaben wie mit Augen schauen, und Trinkende am Fluß und müde Frauen und viele Frauen, welche schwanger sind. Und alle waren mir so seltsam nah, – als ob die Männer einen Blutsverwandten, die Frauen einen Freund in mir erkannten, und auch die Hunde kamen, die ich sah. Du Gott, ich möchte viele Pilger sein, um so, ein langer Zug, zu dir zu gehn, und um ein großes Stück von dir zu sein: du Garten mit den lebenden Alleen. Wenn ich so gehe wie ich bin, allein, – wer merkt es denn? Wer sieht mich zu dir gehn? Wen reißt es hin? Wen regt es auf, und wen bekehrt es dir? Als wäre nichts geschehn, – lachen sie weiter. Und da bin ich froh, daß ich so gehe wie ich bin; denn so kann keiner von den Lachenden mich sehn. Bei Tag bist du das Hörensagen, das flüsternd um die Vielen fließt; die Stille nach dem Stundenschlagen, welche sich langsam wieder schließt. Jemehr der Tag mit immer schwächern Gebärden sich nach Abend neigt, jemehr bist du, mein Gott. Es steigt dein Reich wie Rauch aus allen Dächern. Ein Pilgermorgen. Von den harten Lagern, auf das ein jeder wie vergiftet fiel, erhebt sich bei dem ersten Glockenspiel ein Volk von hagern Morgensegen-Sagern, auf das die frühe Sonne niederbrennt: Bärtige Männer, welche sich verneigen, Kinder, die ernsthaft aus den Pelzen steigen, und in den Mänteln, schwer von ihrem Schweigen, die braunen Fraun von Tiflis und Taschkent. Christen mit den Gebärden des Islam sind um die Brunnen, halten ihre Hände wie flache Schalen hin, wie Gegenstände, in die die Flut wie eine Seele kam. Sie neigen das Gesicht hinein und trinken, reißen die Kleider auf mit ihrer Linken und halten sich das Wasser an die Brust als wärs ein kühles weinendes Gesicht, das von den Schmerzen auf der Erde spricht. Und diese Schmerzen stehen rings umher mit welken Augen; und du weißt nicht wer sie sind und waren. Knechte oder Bauern, vielleicht Kaufleute, welche Wohlstand sahn, vielleicht auch laue Mönche, die nicht dauern, und Diebe, die auf die Versuchung lauern, offene Mädchen, die verkümmert kauern, und Irrende in einem Wald von Wahn – : alle wie Fürsten, die in tiefem Trauern die Überflüsse von sich abgetan. Wie Weise alle, welche viel erfahren, Erwählte, welche in der Wüste waren, wo Gott sie nährte durch ein fremdes Tier; Einsame, die durch Ebenen gegangen mit vielen Winden an den dunklen Wangen, von einer Sehnsucht fürchtig und befangen und doch so wundersam erhöht von ihr. Gelöste aus dem Alltag, eingeschaltet in große Orgeln und in Chorgesang, und Knieende, wie Steigende gestaltet; Fahnen mit Bildern, welche lang verborgen waren und zusammgefaltet: Jetzt hängen sie sich langsam wieder aus. Und manche stehn und schaun nach einem Haus, darin die Pilger, welche krank sind, wohnen; denn eben wand sich dort ein Mönch heraus, die Haare schlaff und die Sutane kraus, das schattige Gesicht voll kranker Blaus und ganz verdunkelt von Dämonen. Er neigte sich, als bräch er sich entzwei, und warf sich in zwei Stücken auf die Erde, die jetzt an seinem Munde wie ein Schrei zu hängen schien und so als sei sie seiner Arme wachsende Gebärde. Und langsam ging sein Fall an ihm vorbei. Er flog empor, als ob er Flügel spürte, und sein erleichtertes Gefühl verführte ihn zu dem Glauben seiner Vogelwerdung. Er hing in seinen magern Armen schmal, wie eine schiefgeschobne Marionette, und glaubte, daß er große Schwingen hätte und daß die Welt schon lange wie ein Tal sich ferne unter seinen Füßen glätte. Ungläubig sah er sich mit einem Mal herabgelassen auf die fremde Stätte und auf den grünen Meergrund seiner Qual. Und war ein Fisch und wand sich schlank und schwamm durch tiefes Wasser, still und silbergrau, sah Quallen hangen am Korallenstamm und sah die Haare einer Meerjungfrau, durch die das Wasser rauschte wie ein Kamm. Und kam zu Land und war ein Bräutigam bei einer Toten, wie man ihn erwählt damit kein Mädchen fremd und unvermählt des Paradieses Wiesenland beschritte. Er folgte ihr und ordnete die Tritte und tanzte rund, sie immer in der Mitte, und seine Arme tanzten rund um ihn. Dann horchte er, als wäre eine dritte Gestalt ganz sachte in das Spiel getreten, die diesem Tanzen nicht zu glauben schien. Und da erkannte er: jetzt mußt du beten; denn dieser ist es, welcher den Propheten wie eine große Krone sich verliehn. Wir halten ihn, um den wir täglich flehten, wir ernten ihn, den einstens Ausgesäeten, und kehren heim mit ruhenden Geräten in langen Reihen wie in Melodien. Und er verneigte sich ergriffen, tief. Aber der Alte war, als ob er schliefe, und sah es nicht, obwohl sein Aug nicht schlief. Und er verneigte sich in solche Tiefe, daß ihm ein Zittern durch die Glieder lief. Aber der Alte ward es nicht gewahr. Da faßte sich der kranke Mönch am Haar und schlug sich wie ein Kleid an einen Baum. Aber der Alte stand und sah es kaum. Da nahm der kranke Mönch sich in die Hände wie man ein Richtschwert in die Hände nimmt, und hieb und hieb, verwundete die Wände und stieß sich endlich in den Grund ergrimmt. Aber der Alte blickte unbestimmt. Da riß der Mönch sein Kleid sich ab wie Rinde und knieend hielt er es dem Alten hin. Und sieh: er kam. Kam wie zu einem Kinde und sagte sanft: Weißt du auch wer ich bin? Das wußte er. Und legte sich gelinde dem Greis wie eine Geige unters Kinn. Jetzt reifen schon die roten Berberitzen, alternde Astern atmen schwach im Beet. Wer jetzt nicht reich ist, da der Sommer geht, wird immer warten und sich nie besitzen. Wer jetzt nicht seine Augen schließen kann, gewiß, daß eine Fülle von Gesichten in ihm nur wartet bis die Nacht begann, um sich in seinem Dunkel aufzurichten: – der ist vergangen wie ein alter Mann. Dem kommt nichts mehr, dem stößt kein Tag mehr zu, und alles lügt ihn an, was ihm geschieht; auch du, mein Gott. Und wie ein Stein bist du, welcher ihn täglich in die Tiefe zieht. Du mußt nicht bangen, Gott. Sie sagen: mein zu allen Dingen, die geduldig sind. Sie sind wie Wind, der an die Zweige streift und sagt: mein Baum. Sie merken kaum, wie alles glüht, was ihre Hand ergreift, – so daß sie's auch an seinem letzten Saum nicht halten könnten ohne zu verbrennen. Sie sagen mein, wie manchmal einer gern den Fürsten Freund nennt im Gespräch mit Bauern, wenn dieser Fürst sehr groß ist und – sehr fern. Sie sagen mein von ihren fremden Mauern und kennen gar nicht ihres Hauses Herrn. Sie sagen mein und nennen das Besitz, wenn jedes Ding sich schließt, dem sie sich nahn, so wie ein abgeschmackter Charlatan vielleicht die Sonne sein nennt und den Blitz. So sagen sie: mein Leben, meine Frau, mein Hund, mein Kind, und wissen doch genau, daß alles: Leben, Frau und Hund und Kind fremde Gebilde sind, daran sie blind mit ihren ausgestreckten Händen stoßen. Gewißheit freilich ist das nur den Großen, die sich nach Augen sehnen. Denn die Andern wollens nicht hören, daß ihr armes Wandern mit keinem Dinge rings zusammenhängt, daß sie, von ihrer Habe fortgedrängt, nicht anerkannt von ihrem Eigentume das Weib so wenig haben wie die Blume, die eines fremden Lebens ist für alle. Falle nicht, Gott, aus deinem Gleichgewicht. Auch der dich liebt und der dein Angesicht erkennt im Dunkel, wenn er wie ein Licht in deinem Atem schwankt, – besitzt dich nicht. Und wenn dich einer in der Nacht erfaßt, so daß du kommen mußt in sein Gebet: Du bist der Gast, der wieder weiter geht. Wer kann dich halten, Gott? Denn du bist dein, von keines Eigentümers Hand gestört, so wie der noch nicht ausgereifte Wein, der immer süßer wird, sich selbst gehört. In tiefen Nächten grab ich dich, du Schatz. Denn alle Überflüsse, die ich sah, sind Armut und armsäliger Ersatz für deine Schönheit, die noch nie geschah. Aber der Weg zu dir ist furchtbar weit und, weil ihn lange keiner ging, verweht. O du bist einsam. Du bist Einsamkeit, du Herz, das zu entfernten Talen geht. Und meine Hände, welche blutig sind vom Graben, heb ich offen in den Wind, so daß sie sich verzweigen wie ein Baum. Ich sauge dich mit ihnen aus dem Raum als hättest du dich einmal dort zerschellt in einer ungeduldigen Gebärde, und fielest jetzt, eine zerstäubte Welt, aus fernen Sternen wieder auf die Erde sanft wie ein Frühlingsregen fällt.