Rainer Maria Rilke Die weisse Fürstin Szene Szene Die Hinterbühne: Eine fürstliche Villa (gegen Ende des XVI. Jahrhunderts.) Auf offener Loggia von fünf Bogen ein einfaches, geschlossenes Pilastergeschoß. Davor eine von Statuen eingefaßte Terrasse, von der sich eine Treppe mit breiten Stufen nach dem Garten niederläßt. Im Hintergrunde, hinter der Villa: der Park. Die Mittelbühne: Der Garten; Lorbeerbüsche, Maulbeerbäume und in der Mitte, auf die Treppe zu, eine Platanen-Allee. Vorn links: eine Steinbank mit Kissen und die Bildsäule einer vielbrüstigen Göttin. Die Vorderbühne: Steiniger Strand (mit Landungssteg) und das Meer, welches von der Seite des Zuschauers her gegen die Szene wogt, in gleichmäßig landender Bewegung. – Die Villa spiegelt den Himmel und die Weite des Meeres. Figuren: Die weiße Fürstin. Ihre Schwester Monna Lara. Der Haushofmeister Amadeo. Zwei Mönche in schwarzer Maske. Ein Bote. sie lehnt vorn auf der Steinbank. Sie trägt ein weiches, weißes Gewand. In ihren Augen ist Warten und Lauschen. Pause. AMADEO, DER ALTE in schwarzer Haustracht, ernst. Er neigt sich tief. Der Fürst ist fort. senkt leise die Stirne. Pause. AMADEO, DER ALTE. Und was gebietet Ihr? Pause. in Gedanken. Es ist zum erstenmal, daß uns der Fürst verläßt, nicht wahr? AMADEO, DER ALTE. Zum erstenmal seit Eurem Hochzeitsfest. Und das ist lange. AMADEO, DER ALTE. Es ist das elfte Jahr seit wir das Tor geschmückt Euch zum Empfange. Pause. Man muß nicht denken, daß das viele sind. Ich war ein Kind. AMADEO, DER ALTE. Ich kann mich noch entsinnen; der Kranz schien viel zu früh für Euer Haupt – Er zögert ängstlich. aber aus Kindern werden Königinnen ... Ja, wenn man ihnen alle Rosen raubt und alle Mythen und mit den reifenden Orangenblüten die Stirn umlaubt, bis sie die Schatten glaubt, die kalt vom frühen Brautkranz auf sie niederrinnen: dann werden aus den Kindern – Königinnen. Pause. Sie erhebt sich, lebhafter. Der Fürst nahm viele Diener in den Wald? Rasch. Send alle fort, mach mir die Säle leer, daß keiner mir begegne in den Gängen; denn mir soll sein, als käm ich heute her zu singen und die Säulen zu umwinden mit Fruchtgehängen dichtgefügt und schwer. AMADEO, DER ALTE. Befehlt, ich werde einen Vorwand finden und das Gesinde in die Winde streun; ich aber darf wohl Euern Tag betreun? DIE WEISSE FÜRSTIN: Nein. Geh auch du. Mir ist, du wolltest längst nach Pietrasanta, deine Enkel sehn. Heut solls geschehn. AMADEO, DER ALTE. Ihr wißt so gütig meiner zu gedenken ... Ich bin nicht gut. Ich kann dich nur beschenken, weil du mit gleicher Freiheit mich beschenkst. Und weil du so an Monna Lara hängst, so nimm sie mit zu deinen klugen Kleinen. AMADEO, DER ALTE. Das ist ein Goldenes, das Ihr mir gönnt. Und dann vergeßt nicht: Seide nehmt und Leinen aus meinen Schränken mit, so viel Ihr könnt. AMADEO, DER ALTE. Ihr macht uns reich. Könnt ich Euch sorglos machen! Wer hat denn Zeit – das Leben ist so viel –, an Not zu denken, an die kleinen Sachen, da doch in uns die großen Dinge wachen. Man soll nicht weinen und man soll nicht lachen; hingleiten soll man wie ein sanfter Nachen und horchen auf des eignen Kieles Spiel. Pause. Verzeiht, ich rede aus Gedanken. Seht, die sind in mir so seltsam aufgeschichtet, so Jahr um Jahr. Wie einer, welcher dichtet, und einer, der sehr alt ist, das und das in seinem Innern findet. – Aber geht, und wenn Ihr wiederkommt, erzählt mir was, woran ein Kind sich freuen kann. Es steht Euch Freudiges bevor. Vielleicht auch mir. Wir wollen aneinander denken. AMADEO, DER ALTE verneigt sich tief. Er geht durch die Platanen-Allee auf das Haus zu und quer über die Terrasse. Pause. tritt ganz an den Rand der Küste. In ihren Augen ist das Meer. Sie hebt langsam die Arme und hält sie eine Weile weit ausgebreitet. Pause. kommt von der Terrasse her. Sie trägt ein hängendes Kleid aus verblichenem Blau. Leise legt sie den Arm um die Fürstin. Sie schauen beide aufs Meer. Pause. leise. Laß mich bei dir. Pause. Du liebst doch Kinder, nicht? Ich liebe dich. Kleine Pause. Du weißt nicht, wer ich bin. wendet das Haupt und sieht der Schwester ins Gesicht. Du Kind ... Ob wir im Traum nicht manchmal älter sind? Da sah ich dich. Da warst du wie ein Baum. Du standest einsam und so jung von Grün und warst von einem Abend angeglüht. Und ich ging hin und kam ganz nah und sah und sagte laut: Du hast noch nicht geblüht. Und fragte dich: Wann wirst du blühn? nimmt ihre beiden Hände. Leise. Nun stell dir vor, der Traum ist nicht vorbei. Sei tief im Traum, du Schlafende. Es sei dein Traum und meiner. Hast du oft geträumt, so weißt du auch, wie unberechenbar der Traum uns trägt. Er wendet sich, er bäumt sich auf und er ist voll Gefahr. Er rennt und jagt, dann wieder steht er still und will nicht weiter; und er zittert so wie Pferde zittern, wenn von irgendwo genau derselbe Reiter noch einmal entgegenkommt, genau dasselbe Tier, derselbe Herr darauf, verzerrt und fahl –. So, nicht wahr, ohne Absehn träumen wir. Du weißt, im Traume kann so vielerlei geschehn. Und es kann so verwandelt sein. Wie eine Blume lautlos schläfst du ein, und du erwachst vielleicht in einem Schrei ... Doch Traum ist Traum. Das kommt und das vergeht. Und wenn es Morgen ist, so glänzt das Haus und alle Träume sehen anders aus ... Und sind doch ewig in uns eingewebt. Bedenk, ist irgend Leben mehr erlebt als deiner Träume Bilder? Und mehr dein? Du schläfst, allein. Die Türe ist verriegelt. Nichts kann geschehn. Und doch, von dir gespiegelt, hängt eine fremde Welt in dich hinein. Pause. So lag ich oft. Und draußen war ein Wandern, da nahte, da entfernte sich ein Schritt; mir aber wars der Herzschlag eines andern, der draußen schlug und den ich drinnen litt. Ich litt ihn, wie ein Tier den Tod erleidet, ich konnte keinem sagen, was mir war. Aber am Morgen kämmten sie mein Haar, und immer wieder ward ich angekleidet für einen Tag –; mir schien es für ein Jahr. Mir war, als ob das ganze Leben stände, solang ich wachte; alles was geschah fiel mir vorbei den Träumen in die Hände – jetzt aber weiß ich: es ist dennoch da. Die Welt ist groß, doch in uns wird sie tief wie Meeresgrund. Es hat fast nichts zu sagen, ob einer wachte oder schlief, – er hat sein ganzes Leben doch getragen, sein Leid wird dennoch sein, und es verlief sein Glück sich nicht. Tief unter schwerer Ruh geschieht Notwendiges in halbem Lichte, und endlich kommt, mit strahlendem Gesichte, sein Schicksal dennoch auf ihn zu. Ich weiß nicht, Schwester, was du sagst. Ich seh dich nur. Es tut mir alles weh von dir. Du bist so schwer. Und doch will ich mehr von dir wissen. Ich will eine Nacht auf deinem Kissen schlafen. Ich will am Morgen dein warmes Haar kämmen – drei Stunden – solang meines Armes Kraft ist. Ich will dir dienen. Du bist mir nie so erwachsen erschienen. Ich will mit dir weinen – Ich weine nicht. Ich denke an Einen. Denkst du ihn klar? Ich möchte so gerne an einen denken, aber ich kann mich in keinen versenken; jeder zerfließt mir so sonderbar. Ich fühle ihn klarer Jahr um Jahr. Er hat dich einmal an der Hand gehalten, (da warst du klein.) Dir war er Gestalt unter großen Gestalten, mir war er nicht mein. Aber in einer Nacht, in der einen, da ich lange und ungestillt weinte, da bildete sich sein Bild aus meinen Händen unter dem Weinen. Und seither wuchs es in mir heran wie Knaben wachsen; und ist ein Mann. Das kann also sein: daß man tief vergißt, um tief zu gedenken ... Wir sind des Falles entfernter Dinge dämmernder Schacht – Und meine Tage? Und Nacht um Nacht? Und ich soll warten? – Gott, wie ist alles lange und langsam, was Leben ist. Du liebe kleine Schwester, sei nicht bange; bedenke, das ist alles unser Traum; da kann das Kurze lang sein, und das Lange ist ohne Ende. Und die Zeit ist Raum. Sie nimmt Monna Laras Haupt in ihre beiden Hände und küßt ihre Stirne mit langer milder Zärtlichkeit. Amadeo, der Alte, der seit einer Weile in der Allee gestanden hat, kommt vorsichtig näher; er verneigt sich. AMADEO, DER ALTE. Frau Fürstin – Seid Ihr noch nicht fort? AMADEO, DER ALTE. Verzeiht. Zum Aufbruch waren wir bereit, da kam ein Bote in verstaubtem Kleid mit einem Brief; jetzt wartet er im Saal. Ich will ihn sehn. AMADEO, DER ALTE verneigt sich. Und Monna Lara wird ein andres Mal zu Euren blonden Enkeln Euch begleiten. zu Amadeo. Wir wollen einmal früh hinüberreiten an einem Sommermorgen, Ihr und ich; mein alter Freund, heut grüß ich sie vom weiten, ich bin zu traurig und zu feierlich ... AMADEO, DER ALTE verneigt sich tief. Geht in das Haus. nachdenklich lächelnd. Zu feierlich für Kinder. Und doch Kind. Nicht wahr? Was sonst. Etwas verwandelt sich, etwas fällt ab von mir. Doch es beginnt noch nicht das Nächste. Meine Hände sind Zugvögel, die zum erstenmal das Meer hinüberfliegen; da ist keine Stelle. Und sie versuchen, die und jene Welle zu merken für den Weg der Wiederkehr – nimmt ihre beiden Hände und betrachtet sie. Sie scheinen sich allein; doch fliegen Schwärme desselben Weges zu den heißen Hügeln; der Himmel liegt auf Millionen Flügeln. Und alle kommen in die große Wärme. Indessen ist der Bote schnellen Schrittes in der Allee näher gekommen; da Monna Lara ihn gewahrt, macht sie sich frei und sieht ihm entgegen. Plötzlich, wie in Angst. Soll ich hineingehn? Bist du gern allein? Nein. Wenn du gehst, so gehst du nur zum Schein. Denn was bedeutet es, geht Baum nach Baum an dir vorbei. Das, was du bist, das rührt sich kaum. Du bist nicht fort, und ich bin nicht allein. Der Bote geht auf die Fürstin zu und reicht ihr einen Brief. Er geht hierauf bis an den Anfang der Allee zurück. Die Fürstin öffnet ihn und reicht ihn, ohne zu lesen, Monna Lara; sie lächelt. Ich weiß die Botschaft. Lange. Aber lies. sie liest aufmerksam, fast angestrengt. Und wenn du winkest ... Was bedeutet dies? Daß ich allein bin. Daß ich hier gebiete. Daß seine Barke landen kann am Strand. Und daß ich einen, welcher uns verriete, erwürgen würde: hier, mit dieser Hand. staunend. So soll er kommen, heute, her? Am Parke hier wird er landen, wirklich, wie ein Gast? Hast du das nicht gewußt? Es war mir fast, als ginge heute etwas auf uns zu. Mit plötzlicher Bewunderung. Du Liebliche, du Wundersame, Starke. in Gedanken. Er schickt noch einen Brief, das große Kind. Er muß noch schreiben, dieser liebe Knabe: ›Schau her, ich komme‹ .. Ist mein Blut denn blind? Und noch ein Bote. Hundert Boten habe ich heute schon empfangen. Duft und Wind, Gesang und Stille, fernes Wagenrollen, ein Vogelruf, und du, dein Bleibenwollen – was war nicht Bote? Wieviel Boten stehn vor meinem Herzen, – gehn mir im Gehöre und drängen sich in meinen Adern – ach! Und er besorgt noch, daß ich ihn verlöre. Ich kann verstehen, daß er tausendfach sich sichern will. Wenn etwas noch geschähe, wenn ein Geschick sich wendete und drohte, – o welche Angst ist diese große Nähe von Kommendem ... Der Bote. Er wartet noch, und wir vergessen ihn. Sie winkt. Der Bote tritt herzu und verneigt sich. Ihr sollt Euch stärken, Freund. Die Sonne schien auf Euren Brief. Der Weg war weit und heiß. Ihr seid aus Lucca? Wie Ihr sagt. Ich weiß. Wie steht es in der Stadt? Erlauchte Frau, grau ist die Stadt. Wie dieser Staub so grau. Sie steht, als stünde Frohes nicht bevor. Sie war ganz ohne Stimme, nur am Tor, da rauften sich die Wachen, da ich ging, und schrien mich an und fielen nach mir aus. Ich dankte Gott, daß ich mich nicht verfing in dieses Hauen. Heil kam ich heraus – läßt sich vorn auf der Bank nieder; während des Folgenden hört sie immer weniger auf die Worte des Boten und versinkt in sich selbst, mit weiten Augen hinausschauend aufs Meer. Und wandertet, vermut ich, voller Mut und heil des Weges? War der Weg denn gut? Der Weg war gut, erlauchte Frau. Er bot zwar wenig Schatten. Aber das war besser als durch die Dörfer kommen. Wie durch Messer so ging man durch den Aufschrei ihrer Not. Da ist der Tod, erlauchte Frau, der Tod. Ich sah ein Haus, in seiner Türe schrie ein schwangres Weib und riß sich an den Haaren. Und viele Frauen, die nicht schwanger waren – das macht die Angst, so denk ich – schrien wie sie. Und da und dort ging einer mir vorbei und griff auf einmal so ins Ungewisse und biß die Luft, und plötzlich durch die Bisse des blauen Mundes drängte sich ein Schrei. Ein Schrei, das sagt man so, wer läßt sich stören? Ich habe viele Männer schreien hören, und es kam vor, ich habe selbst geschrien; doch niemals hört ich einen schrein wie ihn. Ja, es gibt Dinge, die man nicht vergißt: – da war die Angst, die in den Tieren ist, die Angst von Weibern, wenn sie irre kreißen, die Angst von kleinen Kindern war darin, – und das ergriff ihn, und das warf ihn hin, und das war so, als müßt es ihn zerreißen. die den Boten starr ansieht, tritt scheu an die Bank zurück. Sie zwingt sich zu sagen. War das in San Terenzo, was Ihr saht? Nein, edles Fräulein. In Vezzano war es. In San Terenzo war es still. Ich trat in eine Kirche ein und bat im Lichte eines einzigen Altares um gute Reise. Ich war ganz allein. Doch in Sarzana, in der Kathedrale, da sangen sie. Was sag ich, singen? Nein, auch das war Schreien: wie mit einemmale an Siebenhundert und die Orgel schrien. Sie knieten, Fräulein. Ihre Hälse waren wie Stengel vom Rhabarber, stimmenstrotzend. Die Augen waren bei den Männern glotzend, wie Munde offen, bei den Frauen zu. Sogar die Kinder hatten keine Ruh: wie lange Hälse streckten sie die Arme und hielten sie wie einen zweiten Mund aus dem Gedränge, aus dem warmen Schwarme; erbarme! brüllten sie, erbarme! Und: erbarme! donnerte im Hintergrund der breite Bischof vor dem Hochaltare das Tabernakel an, so daß die klare Monstranz erzitterte und schien, als sende sie Blicke aus. Sie aber schrien, es war als zöge Gott sie an dem obern Ende der langen Stimmen wie an langem Haar. Und als ich mich zwischen die andern schob, empfand ich (noch empfind ichs an den Sohlen), daß sich die ganze Kathedrale hob – und wieder senkte, wie ein Atemholen. – Das war ein Wunder. Wunder tun uns not. Ihr habt das nicht gesehen, wie der Tod da kommt und geht, ganz wie im eignen Haus; und ist nicht unser Tod, ein fremder, aus ... aus irgendeiner grundverhurten Stadt, kein Tod von Gott besoldet ... sieht plötzlich auf. Tod? Was hat er da gesagt? Ich bitte dich, befiehl ihm, daß er ginge. Mir graut vor ihm, er redet solche Dinge – Ein fremder Tod, sag ich, den keiner kennt, er aber ist bekannt mit einem jeden ... sieht Monna Laras Angst. Verzeih, ich ließ ihn immer weiter reden, mir klangs von ferne wie ein Instrument. Sie gewahrt, daß Monna Lara in ihrer Erregung den Brief, den sie immer noch hielt, ganz zerrissen hat. Lächelnd. Und sieh, mein Brief ... erschrickt. ohne Vorwurf. So leben deine Hände für sich allein – Zum Boten. Mein guter Freund, es wohnt im Meierhofe mancher Mann; der stände Euch besser zu Gehör, daß es sich lohnt. Hier sind nur Frauen und sind ungewohnt so ernsthaften Gespräches. Ihr verschont uns sicher gern, vor allem dieses Kind. tritt zurück und verneigt sich. Verzeiht, erlauchte Frau, ich war wie blind, daß ich nicht sah, wie es dem Fräulein schadet. Es riß mich mit, wie schon die Worte sind. Doch wenn Ihr mich zu einem noch begnadet, so laßt michs sagen. Wenn es mild ist, sprecht. Ihr seid so unbewacht. Das ist nicht recht. Der Park ist offen wie des Herrgotts Land, und hier am Strande kann ein jeder gehen. Da denk ich mir, verzeiht, es kann geschehen, daß diese Hunde kommen; nah von hier gehn sie schon um. Da sah ich ihrer vier raubvogelhaft vor einem Haus gespenstern; sie warten überall und dauern aus, und winkt man ihnen furchtsam aus den Fenstern, so kommen sie und holen aus dem Haus, was Totes da ist: Kinder, Männer, Frauen, – sie nehmen alles, ohne Unterschied. Man sagt, daß sie auch nach den Kranken schauen; doch wie sie schauen? Ja, weiß Gott, man sieht nicht ihr Gesicht. Es geht ein kaltes Grauen von ihnen aus. Ich könnte keinem trauen. Das, was sie tun, mag ja barmherzig sein und christlich gut: sie sorgen für die Toten und tragen sie heraus, so ists geboten, was aber tragen sie ins Haus hinein? Und wenn sie draußen stehn im Feuerschein, und wenn von ihren hohen Leichenhaufen aus Rauch und Schauder sich die Flamme hebt, dann gehn sie in dem Feuer aus und ein. Es ist, als hätte, wer noch lebt, die Pflicht, sich von den Brüdern freizukaufen ... Das müßt Ihr tun, mein Freund; das Lösegeld will ich Euch morgen senden. Bleibt zur Nacht im Meierhofe, dort seid Ihr bewacht und könnt geruhig schlafen und der Welt erhalten bleiben. Geht in Gottes Namen. Dank und Vergebung, sehr erlauchte Damen, für meine lästige Beredsamkeit. Es tut in dieser wunderlichen Zeit so gut, zu sprechen von der Dinge Lauf. Dank, und vergeßt nicht, stellet Wachen auf. besser ist besser; sie sind wie die Kletten und hängen sich an einen an und betten den Scheiterhaufen auf, so daß man denkt, es bliebe einem selber nicht geschenkt, darauf zu schlafen. Nun, für diesmal mag Euch noch ein andres Bette wärmen. So. Nun, hoff ich, seid Ihr auch getrost und froh, und schlaft Euch Mut zu einem Heimkehrtag. verneigt sich tief und geht durch die Allee ab. die ganz reglos dagestanden hatte, bricht plötzlich in Weinen aus. Die Fürstin zieht sie neben sich auf die Bank, und sie legt ihr weinendes Haupt in den Arm der Schwester. Mein liebes Kind, bist du erregt? Du mußt nicht bange sein; das ist Geschwätz, geschart um feige Furcht, geringe Redensart – Ich habe alles dieses nicht gewußt ... Nun kommt auf einmal alles über mich, nun bricht es über mich herein, und ich, ich ahne jetzt erst, daß das Leben droht. Daß das nicht Leben war, das sanfte Sein, das sich mir bot, – wer lebt, ist traurig, hilflos und allein mit sich, mit Sorge, Angst, Gefahr und Tod. Und wenn ers wäre, meine Freundin, sieh, – wenn er es ist, wie ich es bin seit Jahren, glaubst du, die Tage, welche trostlos waren, dürften mir fehlen in der Melodie der großen Freude, die ich heute trage? Sie sagen: Tod, – doch hör, wenn ich es sage: Tod – ist es dann nicht wie aus anderm Klang? Nur ausgelöst, vereinzelt macht es bang. Nimm sie im ganzen – alle, als das Deine die vielen Worte, nimm sie in Gebrauch: – nur wo sie alle bis ins Ungemeine und Große wachsen, wächst das eine auch. Doch nicht um Worte handelt sichs: sie sterben. Sie sterben, viele. Jetzt und jetzt und jetzt. Sie ringen noch, sie hoffen bis zuletzt; noch wenn der Tod die Finger angesetzt, um sie zu würgen, hoffen sie, gehetzt von ihrer Angst. Monna Lara sieht ratlos um sich. Es entsteht eine Stille; die Fürstin schüttelt leise das Haupt. horchend. Und jetzt! Sie wirft sich der Fürstin zu Füßen, flehend mit ringenden Händen. O laß uns helfen! Laß uns weiches Linnen aus deinen Schränken nehmen für die Betten, und was bereit war für die Wöchnerinnen an Binden, Hemden, Salben, Amuletten. Die dichten Tropfen und die leisen Öle, die Elixiere für das trübe Blut – o irgend etwas, das in ihrer Höhle noch niemals war und das ein Wunder tut. Warum geschieht kein Wunder? Daß ich wüßte, mit welchem Wort ich Dich erreichen kann: Maria! Warum rührst Du sie nicht an? Wo ist Dein Mund, der Jesu Wunden küßte? Ekelt es Dich? Und willst Du nicht geruhn, ein Wunder an den Stinkenden zu tun, – so tu's an mir: Gib Milch in meine Brüste, daß ich sie tränke ... Monna Lara hat sich knieend zurückgeworfen und hält mit beiden Händen ihre Brüste hin, als wartete sie, daß sie sich füllen sollten. So bleibt sie eine Weile, ihre Spannung steigert sich, bricht ab, und sie fällt vornüber der Fürstin in den Schooß. sie streicht der Knieenden sanft, beruhigend über das Haar und spricht, über sie geneigt, leise, eindringlich. Wir wollen das Unsrige zu dem Ihren tun. Wir wollen die Falten in ihren weichen Lagern glätten, so daß sie es hätten wie die Kinder der Reichen. Wir wollen ihnen zureden wie Tieren, daß sie sich nicht scheuen, und selbst alle Scheu verlieren ihretwegen. Ich will mich zu denen legen, die frieren. Ich will die Stirnen der Sterbenden halten. Ich will die Alten reinigen, und ihnen die Bärte über die Decken breiten. Heiter will ich zu den Kindern hinüberschauen und die Frauen erleichtern, und ihre blauen Nägel und ihr Eiter soll mich nicht schrecken. Und ich will für die Toten sorgen – Pause. hebt das Haupt. Sie ist ganz ruhig, fast nüchtern. über sie fortschauend, zögernd. Von morgen an wird das mein Tagwerk sein – und meiner langen Nächte Werk. Von morgen? Von morgen, Schwester. Heute bin ich sein, des Kommenden. Wie seiner Väter Erbschaft ihm zugefallen, reich für ihn allein. Selbst mein Gemahl hat mich für ihn bewahrt; mit seiner Wildheit übergroßem Jähzorn, dem keiner wehren könnte, wenn er tobt, hielt er in Bann der Andern Wort und Art: der Edelleute, Dichter und des Herzogs. Pause. So blieb ich Braut. Dem Weitesten verlobt. Monna Lara hat sich während der letzten Worte erhoben; sie steht steif und hilflos, fast puppenhaft vor der Fürstin und spricht mit seltsam tonloser Stimme. Und dein Gemahl, der Fürst, lag nie bei dir? Pause. Die Fürstin aufs Meer hinausblickend. Er lag bei mir. Sie erhebt sich; Monna Lara tritt scheu vor ihr zurück. Wenn abends die Musik ihn sänftigte, so daß er nichts verlangte, so bot ich ihm mein Bett. Sem Auge dankte mir lange. Seine harte Lippe schwieg. So schlief er ein. Und mir war gar nicht bange. Nachts saß ich manchmal auf und sah ihn an, die scharfe Falte zwischen seinen Brauen, und sah: jetzt träumte er von andern Frauen (vielleicht von jener blonden Loredan, die ihn so liebte) – träumte nicht von mir. Da war ich frei. Da sah ich stundenlang fort über ihn durch hohe Fensterbogen: das Meer, wie Himmel, weit und ohne Wogen, und etwas Klares, welches langsam sank; was keiner sieht und sagt: Monduntergang. Dann kam ein frühes Fischerboot gezogen im Raum und lautlos wie der Mond. Das Ziehn von diesen beiden schien mir so verwandt. Mit einem senkte sich der Himmel näher, und durch das andre ward die Weite weit. Und ich war wach und frei und ohne Späher und eingeweiht in diese Einsamkeit. Mir war, als ginge dieses von mir aus, was sich so traumhaft durch den Raum bewegte. Ich streckte mich, und wenn mein Leib sich regte, entstand ein Duft und duftete hinaus. Und wie sich Blumen geben an den Raum, daß jeder Lufthauch mit Geruch beladen von ihnen fortgeht, – gab ich mich in Gnaden meinem Geliebten in den Traum. Mit diesen Stunden hielt ich ihn. Pause. Es gab auch andre Stunden, da ich ihn verlor. Wenn ich drin wachte und er stand davor, vielleicht bereit, die Türe einzudrücken, – dann war ich Grab: Stein unter meinem Rücken und selber hart wie eine Steinfigur. Wenn meine Züge einen Ausdruck hatten, so war das nur der Ampel Schein und Schatten auf einer inhaltlosen Meißelspur. So lag ich, Bild von einer welche war, auf meines Lagers breitem Sarkophage, und die Sekunden gingen: Jahr und Jahr. Und unter mir und in derselben Lage lag meine Leiche welk in ihrem Haar. Pause. Monna Lara tritt zur Fürstin und umfaßt sie leise. Sieh, so ist Tod im Leben. Beides läuft so durcheinander, wie in einem Teppich die Fäden laufen; und daraus entsteht für einen, der vorübergeht, ein Bild. Wenn jemand stirbt, das nicht allein ist Tod. Tod ist, wenn einer lebt und es nicht weiß. Tod ist, wenn einer gar nicht sterben kann. Vieles ist Tod; man kann es nicht begraben. In uns ist täglich Sterben und Geburt, und wir sind rücksichtslos wie die Natur, die über beidem dauert, trauerlos und ohne Anteil. Leid und Freude sind nur Farben für den Fremden, der uns schaut. Darum bedeutet es für uns so viel, den Schauenden zu finden, ihn, der sieht, der uns zusammenfaßt in seinem Schauen und einfach sagt: ich sehe das und das, wo andere nur raten oder lügen. Ja, ja, das ists. Ein solcher muß es sein, sonst wird das namenlose Bild zu schwer. Kleine Pause. Dir kommt er heut ... Kleine Pause. Wie aber konntest du's so lange tragen? Ich vermags kaum mehr. Wenn ich mir denke, daß ich noch ein Jahr herumgehn soll mit unerklärtem Blut, unausgeruht, – von meinem eignen Haar hochmütig übersehen wie ein Kind, allein und blind inmitten meiner Brände, sogar den Hunden neu und wie versagt, mir selbst so fremd, daß mich die eignen Hände anrühren wie die Hände einer Magd ...: wenn ich ein Jahr noch also leben soll, so werf ich mich nach diesem einen Jahre einem Bedienten in den Weg wie toll und fleh ihn an, daß er mir das erspare. Wie trugst du das? Mein Blut war übervoll. Oft rief es laut, daß ich davon erwachte, mich weinend fand und in die Stille lachte und in mein Kissen biß, bis es zerriß. In einer solchen Nacht – ich weiß noch – schmolz von seines Kreuzes Ebenholz mein Christus los; so groß war meine Glut: ... die Arme offen lag er über mir. Und dennoch war so tiefe Kraft in dir. Das war nicht Kraft. Geiz war es, Habsucht war es, womit ich alle Gluten jedes Jahres aufsparte für den späten Hochzeitstag. Nun ist er da. Mit tausendfachem Schlag schlägt mir das Herz. Der Wurzeln letzte Süße ist in mich eingegangen; ich bin reif. Mein Haupt ist schön, und unter meine leichten Füße schiebt sich die Erde wie ein Wolkenstreif. – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – Und morgen darf ich altern. Du bist jung – zärtlich lächelnd. Jugend ist nur Erinnerung an einen, der noch nicht kam. Sie faßt die Schwester mit beiden Händen an den Schultern. Auch du wirst sparen für den Bräutigam. Denn deine Ungeduld ist Übergang. Lang ist das Leben. Pause. bewundernd. Glanz geht von dir aus und eine Stärke wie von Königinnen. sieht aufgerichtet zurück nach dem Palast. Die Sonne sinkt und spiegelt sich im Haus. Nun will ich warten, und dann will ich winken. Winktest du nicht? So hieße das: uns droht Gefahr. mit geschlossenen Augen, traumhaft schmerzlich. Er führe wie das frühe Fischerboot vorüber von dem rechten Rand zum linken. Sie reißt wie in Angst die Augen auf. Aber du winkst?! glücklich. Wenn dort das Meer verloht, so wink ich aufrecht in das Abendrot. Das Haus ist leer – Still! Waren das nicht Schritte? horcht einen Augenblick. Nein; komm zur Terrasse. Man sieht von der Mitte so weit ins Meer. Sie gehen, sich umfaßt haltend, langsam durch die Platanen-Allee. Das Meer atmet langsamer und schwerer. Als die Fürstin einmal stehen bleibt und zurücksieht, sagt. wie einen Kindervers. Nun kannst du nicht gehen und Linnen verschenken und Öl und Salbe und Spezerei, mußt an dein eigenes Bette denken, daß es bereitet und selig sei. nickt ernsthaft im Weitergehen. – Ein Stück weiter faßt Monna Lara die Fürstin an der Hand. Sie bleiben beide stehen, die Fürstin sieht wieder nach dem Meer. Glaubst du, kann ich dir dein Lager rüsten und das Becken in das du dein Antlitz tauchst? Mir ist als ob meine Hände wüßten Alles was du heute brauchst. Die Fürstin nickt, und sie gehen wieder ein Stück weiter; so kommen sie auf die Stufen der Terrasse und bleiben wieder stehen. kniet plötzlich nieder. Ich will dich betten. Ich will dir dienen. Alles Meine ist zu dir treu – Die weiße Fürstin hebt sie leise empor, faßt ihr Gesicht mit beiden Händen und sieht hinein. Deine Augen sind tief und neu. Ich sehe mein ganzes Glück in ihnen. Sie küßt sie auf den Mund. Monna Lara macht sich schnell los und eilt ins Haus hinein. Die Fürstin schreitet jetzt die letzten Stufen empor, wendet sich und sieht in großem Erwarten auf das Meer hinaus. – Nach einer Weile erscheint Monna Lara, einen silbernen Spiegel tragend, den sie, indem sie niederkniet, der Fürstin vorhält. Langsam ordnet die Fürstin ihr schweres Haar. unter dem Spiegel, leise. Jetzt ist er in mir wiedergekommen. Er hat mich einmal an der Hand genommen. Jetzt fühl ich es wieder in meiner Hand. Sieh, so hab ich ihn doch gekannt ... Die Fürstin lächelt in den Spiegel hinein, zerstreut hinhörend. Gleich darauf richtet sie sich, ausblickend, auf. Jetzt geht die Sonne ins Meer. Sie eilt ins Haus zurück. Pause. Die weiße Fürstin steht jetzt allein, aufrecht und in gespanntem Schauen, auf der Terrasse. Die Villa hinter ihr wird immer strahlender (als leuchtete ein großes Fest darin) vom Widerschein der sinkenden Sonne. Da erkennt die Fürstin, nach rechts blickend, etwas Fernes. Sie langt einmal flüchtig nach der Gürteltasche, wie um zum Winken bereit zu sein. Dann wartet sie. Endlich hört man Ruderschläge, die näher kommen. Während die Fürstin der Bewegung draußen mit ihrem ganzen Wesen folgt, ist den Strand entlang von rechts (vom Zuschauer aus gemeint) ein Frater der Misericordia, die schwarze Maske vor dem Gesicht, aufgetreten und bis an den Anfang der Allee gegangen. Ihm folgt ein zweiter. Sie sehen beide nach dem Haus und flüstern miteinander. Jetzt, da die Fürstin mit einer schnellen Gebärde nach ihrem Tuche greift, rühren sich beide, und der erste Mönch macht einige rasche Schritte vorwärts. Dann zögert er, wendet sich nach seinem Gefährten zurück, steht still. Die weiße Fürstin hat ihn bemerkt. Fön diesem Augenblick an sieht sie nur ihn; ihre Gestalt erstarrt in Schrecken, sie verliert das Meer aus den Augen, aus dem Bewußtsein, während jetzt ganz laut die Ruderschläge von dort, langsam, zögernd, vernehmbar sind. Die Fürstin macht eine große Anstrengung, den entsetzlichen Bann zu brechen und dennoch zu winken. Eine Weile dauert dieser Kampf. Bei einer ihrer schweren, mühsamen Bewegungen macht der zweite Bruder ein paar Schritte, so daß er jetzt fast neben dem ersten in der Allee steht. – Die Fürstin rührt sich nicht mehr. Die Fronte der Villa beginnt zu verlöschen. Das Boot muß vorbeigefahren sein; leiser, ferner und ferner verliert sich der Ruderschlag in dem schweren Branden des fast nächtlichen Meeres. Da, als man ihn eben noch unterscheiden kann, wird oben im Haus der Vorhang von einem der hohen Bogenfenster fortgerissen, und etwas Helles, Schlankes erscheint, fast wie die Figur eines Kindes, und winkt. Winkt erst rufend; hält einen Augenblick ein und winkt dann anders: schwer und langsam, in zögernden Zügen, wie man zum Abschied winkt. Vorhang.