Ferdinand von Saar Gedichte Dr. Moritz Lederer herzlich zugeeignet. Lieder Vorgesang Jahre sind dahin gegangen, Reich an Kämpfen, reich an Müh'n; Während And're fröhlich sangen, Ließ ich still mein Herz erglüh'n. Großen Zielen zugewendet, Hab' ich Größ'res nur bedacht – Ach wie wenig ward vollendet, Ach wie wenig ward vollbracht. Jetzt doch, bei des Lebens Neige, Kehr' ich in mich selbst zurück – Und so blüht, ihr Liederzweige, Als ein letztes Dichterglück! Naturempfindung Im Vollgenusse meines Seins – O seliges Behagen! – Fühl' ich, Natur, mich werden Eins Mit dir in diesen Tagen. Vergessen hab' ich Noth und Harm Und menschlich banges Sorgen, Ich ruhe still in deinem Arm, Geheiligt und geborgen. Verstummen will in meiner Brust Das Ringen und das Streben – Und heiter werd' ich mir bewußt: Ich leb' nur, um zu leben; Zu leben wie das Blatt am Strauch Und nichts mir zu erwerben, Als einst im kühlen Abendhauch Ein leichtes, schönes Sterben. Lied im Dornbacher Walde gedichtet Hörst du dort die Stimmen schallen? Dort sind Menschen, roh und kalt – Laß uns, Theu're, tiefer wallen In den heilig stillen Wald. Jene bleiben wohl am Rande, Daß sie noch die Straße seh'n; Denn sie sind im Festgewande, Und da muß man sicher geh'n. Wir doch wollen uns erst schmücken Mit des Lenzes jungem Grün, Wollen uns erst Veilchen pflücken, Die im Dickicht reicher blüh'n. Sind wir lässig nicht im Suchen, Ist dein Tüchlein bald gefüllt, Und im Schatten hoher Buchen Wird der holde Raub enthüllt. Deine Kunst magst du nun zeigen; Um und um ist tiefe Ruh', Nur die Amsel in den Zweigen Pfeift ein Liedchen dir dazu. Müßig sollst du mich nicht finden; Ob ich es auch nie verstand, Zarte Blumen einzuwinden, Bin ich hilfreich doch zur Hand. Denn ich löse deine Flechten Still in gold'ne Locken auf – Und dann drückst du mit der Rechten Gleich den fert'gen Kranz darauf! Der Brombeerzweig Sieh', da will ein dorn'ger Zweig Uns den Pfad verwehren – Sieh die Beeren überreich, Die ihn sanft beschweren. Beeren, schwarz und roth und grün – Wie sie mälig reifen Bei der Strahlen heißem Glüh'n, Die im Wald sie streifen. So viel Wünsche sonder Zahl Trag' ich tief im Herzen, Das dir schlägt in holder Qual Und geliebten Schmerzen. Mancher, schon verblutend, mag, Daß er ward, bereuen – Doch es reift ein jeder Tag Selig einen neuen! Verrath Sei stumm, mein Freund, so sprachst du leise Und küßtest mich mit sanftem Mund, Kein Wort, kein Hauch, kein Blick erweise, Daß wir vereint zu holdem Bund. Erräth die Welt, daß ich dein eigen, Bin ich verloren – zitterst du? D'rum decke seliges Verschweigen Das seligste Geheimniß zu! Du weißt, ich hab' es dir versprochen Mit heil'gem Schwur noch, da ich schied; Doch ach, schon ist er auch gebrochen, Und schon verräth dich jetzt mein Lied. Wie hält ein schmerzliches Entsagen Sich gern in tiefster Brust zurück – Und leiden läßt sich ohne Klagen: Wer aber trüge stumm sein Glück!? Nun ist das Korn geschnitten ... Nun ist das Korn geschnitten, Die Felder leuchten fahl; Ringsum ein tiefes Schweigen Im heißen Sonnenstrahl. Verblüht ist und verklungen, Was duftete und sang, Nur sanft tönt von den Triften Der Herdeglockenklang. Das ist, o Menschenseele, Des Sommers heil'ger Ernst, Daß du, noch eh' er scheidet, Dich still besinnen lernst. Schlummerlied Des Tages laute Stimmen schweigen Und dunkeln will es allgemach; Ein letztes Schimmern in den Zweigen – Dann zieht auch dies der Sonne nach. Noch leuchten ihre Purpurgluthen Um jene Höhen, kahl und fern; Doch in des Aethers klaren Fluthen Erzittert schon ein blasser Stern. Ihr müden Seelen rings im Kreise, So ist euch wieder Ruh' gebracht; Aufathmen hör' ich euch noch leise – Dann küßt euch still und mild die Nacht. Die Blumen der Armuth Verfallen ist die Hütte, Bleich lugt hervor die Noth; Doch im umzäunten Gärtchen, Da blüh'n die Rosen roth. Da stehen weiße Lilien Bei würz'gem Nelkenflor; Da bricht's in allen Farben Aus frischem Grün hervor. Seltsame Hand, beim Himmel, Die diesen Boden pflegt! Er trüge wohl auch Früchte, Der jetzt nur Blumen trägt. Doch meine Seele segnet Die Schönheit, die da sprießt, Und die mit ihren Thränen Die Armuth froh begießt. Wandlung An deinem Busen ruh' ich jetzt, Natur, in stummer Gluth; Mein Aug' noch eine Thräne netzt Von kaum versiegter Fluth. Du aber willst es ganz befrei'n, Du willst es trocknen auch, Und saugst den herben Tropfen ein, Indeß mich küßt dein Hauch. Wie viele Thränen stiegen so Schon in des Äthers Blau – Und fielen nieder licht und froh Dann auf die Welt als Thau! Stadtsommer Funkelnd über den Dächern Liegt der heiße Strahl; Ach, kein Lüften, kein Fächern Lindert die sengende Qual. Stumm in der Häuser Schatten Gehen die Menschen hin; Von Wäldern und grünen Matten Träumt ihr lechzender Sinn. Leiser rollen die Wagen, Plätschert der Brunnen Fluth; In solchen schlummernden Tagen Selbst die Liebe ruht. Einsam im weiten Raume Schlummerst auch du, mein Herz, Und leis' nur wie im Traume Durchzuckt dich der Sehnsucht Schmerz. Winterabend Wie muß der Tag sich neigen Im Winter, ach, so bald; Ein tiefes, mildes Schweigen Liegt über Flur und Wald. Am Himmel noch ein Schimmern, Ein letztes, doch kein Stern; Trübrothe Lichter flimmern Aus Hütten still und fern. Und trüb und immer trüber Der Landschaft weiter Kreis; Es zieht der Bach vorüber Eintönig unter'm Eis. Horch – welch ein leises Beben Urplötzlich in der Luft? Geheimnißvolles Weben, Geheimnißvoller Duft! Wie ferne, ferne Glocken Erklingt's – so wohl – so weh' –: Da fällt in dichten Flocken Zur Erde sanft der Schnee. Thauwetter Horch, wie schüttert es leis! In dem Walde, dem düster'n, Heimliches Knistern und Flüstern – Hörbar tropft es im Kreis. Rasch, wie vor Feuers Gluth, Schmelzen die weißen Krystalle – Bald mit schäumendem Falle Donnert der Wasser Fluth! Bald im sausenden Sturm Tönt, o Frühling, dein Werde, Und zu tiefst in der Erde Regt sich durchschauert der Wurm! Im Traum nur lieb' ich dich ... Im Traum nur lieb' ich dich! Wie könnt' in wachen Tagen Ich mich so nah dir wagen – Im Traum nur lieb' ich dich! Im Traum nur lieb' ich dich! Da schwindet alles Zagen – Da darf dein Mund mir sagen: Im Traum auch lieb' ich dich! Abschied Nun lebe wohl! Wir müssen scheiden – Ich sprech' es aus: auf Nimmerseh'n; Die Stunde schlug schon längst uns Beiden, Wir fühlen es und müssen's leiden – So laß uns auseinander geh'n! Der Tag, wo wir zuerst uns fanden, Uns scheu begrüßt mit Blick und Wort, Er wob schon heimlich an den Banden, Die uns stets inniger umwanden Im Lauf der Jahre fort und fort. Wir wissen es, wie wir gelitten, Wir wissen es, wie wir gekämpft; Doch nimmer ward der Sieg erstritten, Und ob wir selbst in's Herz uns schnitten, Ward nimmer doch die Gluth gedämpft. Die aus geheimstem Innern stammen, Die Mächte, ach, wer kennt sie nicht! So schlugen die verwandten Flammen Zuletzt in eine doch zusammen – Trotz deiner und trotz meiner Pflicht. O weine nicht, daß es geschehen, Daß du mich küßtest leis' und zag – Und ich bei deiner Seufzer Wehen Mit Ungestüm und heißem Flehen Erzitternd an der Brust dir lag. Umschling' dein Haupt mit wildem Mohne, Vergessen soll's auf immer sein; Mir aber wird's zu herbem Lohne, Daß Frieden in der Brust dir wohne, Bin ich dir ferne – und allein. Wir fühlen es und müssen's leiden – So laß uns auseinander geh'n; Die Stunde schlug schon längst uns Beiden, Leb' wohl, leb' wohl, wir müssen scheiden, Leb' wohl, leb' wohl – auf Nimmerseh'n! Errungenschaft Wenn mein Herz mit raschem Schlage Sich in Sehnsucht regen will – Denk' ich nur vergang'ner Tage, Und dann wird es kühl und still. So Verlor'nem nachzublicken, Ohne daß mein Aug' sich trübt, Rasche Wünsche zu ersticken, Werd' ich mehr und mehr geübt. Blinkt aus gastlich milden Zweigen Eine Frucht entgegen mir, Kann ich sie dem Nächsten zeigen: Geh' doch, Freund, und brich sie dir! Und ich weile, um zu pflücken, Nicht mehr vor der Rosen Pracht – Höchstens einen Dorn zu drücken In die Hand mir mit Bedacht. Nacht Des Parkes weite Räume Umflort die stille Nacht; Es steh'n die alten Bäume In düst'rer Wipfelpracht. Die Pfade wie versunken, Am Himmel nicht ein Stern; Verstummt ist schlummertrunken Das Leben nah und fern. So müd', so nachtumfangen, So lautlos bist auch du, Als wärst du eingegangen Schon längst zur ew'gen Ruh'. Nur wie im Dunkel blühen Die Rosen dort am Strauch, Will leis' dich noch durchglühen Ein letzter Liebeshauch. Stimmen des Tages Lang war die Nacht; wie auf stygischem Nachen Hab' ich schlaflos gerungen, gebüßt – Seid jetzt, um mich her im ersten Erwachen, Seid mir, ihr Stimmen des Tages, gegrüßt! Seid mir gegrüßt, früh rasselnde Wagen, Emsige Schritte, die Gasse entlang; Du übertönst jetzt des Holzwurms Nagen, Weckender Morgenglockenklang. Schon mit dem dämmernden Strahl vor dem Fenster, Zwitschert der Sperling, fröhlichen Bluts – Sonne, du nahst, verscheuchend Gespenster, Heilige Quelle des Lichts und des Muths! Lang war die Nacht; wie auf stygischem Nachen Hab' ich in schweigendem Dunkel gebüßt – Seid jetzt, um mich her im ersten Erwachen, Seid mir, ihr Stimmen des Tages, gegrüßt! Vorgefühl Mit ahnungsvollem Lauschen, Das gern an Zeichen glaubt, Hör' ich jetzt leise rauschen, O Glück, dich um mein Haupt. Als Lohn für muth'ges Hoffen, Kommst spät du – nicht zu spät; Noch ist die Brust dir offen, Die lang umsonst gefleht. Gezwungen, zu entsagen, Hab' ich gedarbt, entbehrt, Und hab' in kräft'gen Tagen Vom eig'nen Mark gezehrt. Doch Manches ist geblieben, Und Manches spät gereift: Ein Herz noch, um zu lieben, Ein Geist, der dich begreift. So lohne jetzt mein Hoffen, Wenn spät auch – nicht zu spät: Noch ist die Brust dir offen, Die lang umsonst gefleht! Sommerlied All' deine funkelnden Wonnen verstreue, Herrlicher, sonniger, goldener Tag; Dehne dich endlos, du strahlende Bläue, Blühet und leuchtet, ihr Rosen am Hag! Fluthet, ihr Lüfte, ihr zitternden, heißen, Führet die süßesten Düfte mir zu – Steiget, o steiget, ihr schimmernden weißen Wolken der Ferne in heiliger Ruh'! Ihr aber, Wipfel, mit leisestem Flüstern Weckt mir Erinnerung seliger Lust, Da ich einst saß unter schattenden Rüstern, Still ein geliebtes Haupt an der Brust! An einen kleinen Feuerfalter der eine Nelke umflog Flatt're nur, du kleine Flamme, Um der Nelke Purpurpracht; Ob aus dumpfem Grund sie stamme, Herrlich ist sie doch entfacht. Und vom Anbeginn der Dinge Ist's dasselbe Element, Was auf deiner zarten Schwinge Und in ihrem Hauche brennt! Die Lilien Seh' ich feuergelb und weiß Schmücken euch des Sommers Fluren, Wandelt meine Seele leis' Auf der Schöpfung heil'gen Spuren. Denn so wie in euch der Schnee, Sanft erwarmend, sich gestaltet: Ist in euch der Flamme Weh' Auch zur Blume still erkaltet. Und ich ahn' in tiefster Brust, Wie die Kräfte sich durchdringen, Und im All, hold unbewußt, Gegensätze sich bezwingen! Wieder! Wieder die ersten sonnigen Hauche, Lockend hinaus vor die düstere Stadt; Wieder am zitternden, treibenden Strauche Die ersten Knospen, das erste Blatt. Wieder auf leis' ergrünenden Hängen Ersten Veilchens lieblicher Fund; Wieder mit ersten Jubelgesängen Hebt sich die Lerche vom scholligen Grund. Werdenden Frühlings verkündende Zeichen, Alte Genossen von Lust und Schmerz, Ach, wie entzückt ihr, ihr ewig Gleichen, Ewig auf's neue das Menschenherz! Taubenflug Tauben im Flug, Tauben im Flug – Wie glänzt das helle Gefieder, Lassen sich schwirrend nieder Weiße Tauben im Flug! Tauben im Flug, Tauben im Flug – Sie haben sich wieder erhoben, Es kreisen, von Licht umwoben, Weiße Tauben im Flug! Tauben im Flug, Tauben im Flug Sind auch des Dichters Gedanken Mit den Schwingen, den blanken – Weiße Tauben im Flug! Unerwartet Das tiefste Vollempfinden Der Schönheit wird geweckt, Wenn sie, urplötzlich nahend, Uns fast das Herz erschreckt. Wie wirkt in grauen Tagen Ein unverhoffter Strahl, In bangen Dämmerstunden Ein heller Klang durch's Thal; In düst'rem Waldesschatten Die Blumen farbig licht – Im öden Weltgewühle Ein holdes Angesicht! Ausgleich Was an Schmerzen du erfahren, Ist vergessen auch zur Stund', Küßt nach langen, öden Jahren Wieder dich ein schöner Mund. Was die Zeit an Ruhm dir raubte, Hast du doppelt reich und schnell, Wenn dein Kranz, der früh entlaubte, Wieder ausschlägt grün und hell. Darum sel'ge Thränen weine, Wird dir noch ein spätes Glück: Denn es bleibt nun auch das deine Und kein Gott nimmt's mehr zurück! Herbst Der du die Wälder färbst, Sonniger, milder Herbst, Schöner als Rosenblüh'n Dünkt mir dein sanftes Glüh'n. Nimmermehr Sturm und Drang, Nimmermehr Sehnsuchtsklang; Leise nur athmest du Tiefer Erfüllung Ruh'. Aber vernehmbar auch Klaget ein scheuer Hauch, Der durch die Blätter weht: Daß es zu Ende geht. Vermischte Gedichte Christnacht Wieder mit Flügeln, aus Sternen gewoben, Senkst du herab dich, o heilige Nacht; Was durch Jahrhunderte Alles zerstoben – Du noch bewahrst deine leuchtende Pracht! Ging auch der Welt schon der Heiland verloren, Der sich dem Dunkel der Zeiten entrang, Wird er doch immer auf's neue geboren, Nahst du, Geweihte, dem irdischen Drang. Selig durchschauernd kindliche Herzen, Bist du des Glaubens süßester Rest; Fröhlich begangen bei flammenden Kerzen, Bist du das schönste, das menschlichste Fest. Leerend das Füllhorn beglückender Liebe, Schwebst von Geschlecht zu Geschlecht du vertraut – Wo ist die Brust, die verschlossen dir bliebe, Nicht dich begrüßte mit innigstem Laut? Und so klingt heut' noch das Wort von der Lippe, Das einst in Bethlehem preisend erklang, Strahlet noch immer die liebliche Krippe – Tönt aus der Ferne der Hirten Gesang ... Was auch im Sturme der Zeiten zerstoben – Senke herab dich in ewiger Pracht, Leuchtende du, aus Sternen gewoben, Frohe, harzduftende, heilige Nacht! Die singenden Mädchen Frühling war's. Im Abendschatten Ging ich durch das stille Thal – Da, vor mir auf grünen Matten, Tönt es sanft mit einem Mal. Näher kam ich; zwei Gestalten Saßen ruhig, Hand in Hand; Mädchen, wie bei Tag sie walten Auf durchfurchtem Ackerland. Braun im Antlitz trugen Beide Spuren von der Sonne Kuß, Unter dem zerschliss'nen Kleide Sah hervor der nackte Fuß. Aber schön das Haupt erhoben, Holden Einklang in der Brust, Zu den ersten Sternen droben, Sangen sie wie unbewußt. Sangen sie die alte Weise Von der Liebe Lust und Leid, Achtlos, nur sich selbst zum Preise, Durch die weite Einsamkeit. – Seid getrost, ihr Dichterseelen, Dacht' ich im Vorübergang, Hört ihr noch aus solchen Kehlen Solchen tief empfund'nen Klang! Drahtklänge Ihr dunklen Drähte, hingezogen So weit mein Aug' zur Ferne schweift, Wie tönt ihr, wenn der Lüfte Wogen In euch so wie in Saiten greift! O welch' ein seltsam leises Klingen, Durchzuckt von schrillem Klagelaut, Als hallte nach, was eu'ren Schwingen Zu raschem Flug ward anvertraut. Als zitterten in euch die Schmerzen, Als zitterte in euch die Lust, Die ihr aus Millionen Herzen, Verkündend, tragt von Brust zu Brust. Und so, ihr wundersamen Saiten, Wenn euch des Windes Hauch befällt, Ertönt ihr in die stillen Weiten Als Aeolsharfe dieser Welt! Landschaft im Spätherbst Ueber kahle, fahle Hügel Streicht der Dämm'rung kühler Flügel; Dunkel, wie erstarrte Träume, Steh'n im Thal entlaubt die Bäume. Tiefe Stille, tiefes Lauschen: Keine Welle hörst du rauschen, Keine Stimme hörst du klingen, Dir des Lebens Gruß zu bringen. Nur als stummes Bild der Gnade Siehst du dort am stein'gen Pfade, Von des Kreuzes Holz getragen, Durch die Nacht den Heiland ragen. Der Ziegelschlag Weit gedehnte, öde Strecken, Schmutzig-gelbe Wassertümpel; Einsam ragt der Schlot des Ofens Ueber morsche Bretterschuppen. Fahle Menschen, wie geknetet Aus dem fahlen Lehm des Bodens, D'rin sie wühlen, treiben lautlos Jahr um Jahr hier ödes Handwerk. Füllen und entleeren Truhen, Mischen, treten, streichen, schlichten, So des Backsteins ewig gleiche Form verdrossen wiederholend. Träge zieh'n vorbei die Stunden; Aufgelös't in Staub und Hitze, Oder rings in Koth zerfließend, Scheint die Welt auch hier zu Ende. Die Erdbeere Bei heißen Sonnenbränden, Du Beere, duftig, roth, Mit nimmermüden Händen Pflückt dich das Kind der Noth. Es sieht die Fülle prangen Und unterdrückt dabei Das eigene Verlangen, Wie mächtig es auch sei. Gehäuften Topf und Teller Trägt es zum Händler dann; Der geizt noch mit dem Heller – Er ist ein kluger Mann. Doch nicht bei seines Gleichen Vollendet sich der Kreis: Erst auf dem Tisch des Reichen, Der zu bezahlen weiß. So wird zur Menschenhabe Und dient dem Wucher nur Selbst deine frei'ste Gabe, O liebende Natur! Clarisse Noch glänzt dein Aug', das wunderbare, Und deine Stirn ist licht und frei – Doch ach, es zieh'n, es zieh'n die Jahre An dir auch spurlos nicht vorbei. Oft ist's, als wäre schon verschimmert Der Schmelz der Wangen, zart und hold, Und ganz so reich, wie einstens, flimmert Nicht mehr der Haare dunkles Gold. Schon blickst du sinnend vor dich nieder, Den Mund umzuckt von leisem Weh'; Schwermüthig haucht's um deine Glieder Und deiner Hand durchpuls'ten Schnee. O sieh', die Zeit naht mit dem Loose, Das keine Macht dir ferne hält; Du gleichst schon längst der vollen Rose, Der langsam Blatt um Blatt entfällt. Du aber solltest nicht verblühen, Hinschmelzen feurig nur wie Erz – So laß doch endlich rasch erglühen, Erglüh'n dein allzu zages Herz. Laß diesen schlanken Leib erwarmen, Den stets nur scheuer Traum umfing – Daß du vergehst in Liebesarmen, Wie einstens Jovis Braut verging! Träume Mir träumt oft von Verstorb'nen jetzt, Von solchen, die ich längst vergessen, Die nie erfreut mich, nie verletzt Und meine Seele nie besessen. Sie treten still und ernst heran – Ich aber blicke nach den Leuten Und frage mich im Traume dann Verwundert selbst: was soll's bedeuten? Und beim Erwachen sinn' ich nach, Wie Der, wie Jener hingegangen – Und fühle, daß jetzt allgemach Die Reihe wird an mich gelangen. Geliebtere Vergangenheit Will selbst im Traum nicht wieder sprießen: Gleichgilt'ge Boten schickt die Zeit, Um ihre Rechnung abzuschließen. Kindesthränen Willst du die Leiden dieser Erde, Der Menschheit Jammer ganz versteh'n, Mußt du mit scheuer Gramgeberde, Ein Kind im Stillen weinen seh'n; Ein Kind, das eben fortgewichen Aus fröhlicher Gespielen Kreis Und nun, vom ersten Schmerz beschlichen, In Thränen ausbricht, stumm und heiß. Du weißt nicht, was das kleine Wesen So rauh und plötzlich angefaßt – Doch ist's in seinem Blick zu lesen, Wie es schon fühlt des Daseins Last. Wie es sich bang und immer bänger Zurück schon in sein Inn'res zieht, Weil es Bedränger auf Bedränger Mit leisem Schaudern kommen sieht. Willst du die Leiden dieser Erde, Der Menschheit Jammer ganz versteh'n: Mußt du mit scheuer Gramgeberde Ein Kind im Stillen weinen seh'n. Mutter und Tochter Wie rührt ihr mich, seh' ich in Blick und Mienen, Im Wesen euch so ganz einander gleichen; Die Tochter, von des Frühroths Strahl beschienen, Der Mutter Stern allmälig im Verbleichen. Die Tage, die, nach mancher Qual und Reue, Der blassen Frau gelinder jetzt verrinnen, Du willst sie, holdes Mädchenbild, auf's neue Mit frischer Kraft und frischem Muth beginnen. Und Jene hält dich nicht zurück von Wonnen, Die du, sie weiß es, zahlen mußt mit Zähren – Und so wirst du, vom alten Trug umsponnen, Das alte Schicksal wiederum gebären. Wie Viele sind vor euch den Weg gegangen! Und doch nicht zittern, doch nicht müde werden – Fürwahr, wem könnte vor Vernichtung bangen, Ist solche Dauer uns gesetzt auf Erden? An eine liebende Schwester Jüngst wollte rasch dein Aug' sich feuchten – Es wußte Niemand wohl den Grund: Man sah nur still die Thräne leuchten Und leise zucken deinen Mund. Das aber fühlt' ich: eig'ner Leiden Warst du nicht bange dir bewußt; Du lerntest ja dich stets bescheiden, Weil du für And're zittern mußt. In deiner Mitgebor'nen Kreise Fällt jedes Weh' auf dich zurück; Du nimmst es hin in deiner Weise, Du nimmst es hin, als wär's ein Glück. Nur wenn du des Vergang'nen Schwere – Und was noch kommen kann, erwägst: Verräth in deinem Aug' die Zähre, Wie groß die Last ist, die du trägst. Prüfstein Um des Menschen Werth zu messen, Fragt doch nicht, was er erreicht; Ob er Kraft und Muth besessen, Das ergründet ihr vielleicht. Mancher hob sich, statt zu stranden, Wenn des Unheils Woge schlug – Aber dieses sei verstanden: Ob er auch das Glück ertrug. Ob er, wenn es niederthaute, Labend und erfüllungsschwer, Wie beschämt den Segen schaute, Oder schnöde rief: noch mehr! Ob er, wenn der Preis ihm blinkte, Selig dankend hingekniet, Oder sich das Haupt umzinkte Und der Brüder Reih'n vermied. Wer da auch im Weihrauchqualme Als ein stolzer Sieger stand: Jenem nur gebührt die Palme, Der sich selber überwand! Dem Wettkämpfer Kämpfen willst du mit mir – und siehst mich im Geiste besiegt schon Durch dein gewaltiges Lied, eh' du gesungen es noch. Wächst dir nur dann die Kraft, wenn du sie mit meiner vergleichest? Reizt dich darum nur der Preis, weil du ihn And'ren entziehst? Sieh', ich verschmäh' es zu kämpfen – es sei denn mit ehernen Waffen: Nimmer ein Schwert ist das Lied, nimmer ein Schlachtfeld die Kunst. Nur am eigenen Drang erprobt' ich mich stets, und umschlingen Reiser mir jetzo das Haupt, ernt' ich, was still ich gesä't. Aber ich gönne dir gern, daß du zufrieden mich lässest, Den du mir neidest: den Kranz. Nimm ihn – ich senke die Stirn! Lebensregel O nie in eitlem Hochmuth sprich es aus, Daß Dieser oder Jener nichts bedeute; Mit deinem letzten Urtheil halte Haus: Denn nicht so leicht ergründest du die Leute. In Jedem schlummert eine sond're Kraft, Vielleicht noch von ihm selber unbeachtet, Die plötzlich sich emporhebt, geisterhaft, Und nimmer duldet, daß man sie verachtet. Und so geschieht es, daß oft Weisheit spricht Aus Solchen, die wie Thoren stets erschienen, Daß heil'ger Muth aus schwachen Seelen bricht – Du aber stehst sodann beschämt vor ihnen. Das heißt, wenn du nicht ganz verhärtet bist Und fähig noch, in Reue zu entbrennen; Wer vor der Wahrheit gerne sich verschließt, Wird sie zuletzt auch gar nicht mehr erkennen. Weihegesang für ein Jugendalbum bestimmt gewesen Daß früh sich euer Sinn gewöhne An ernsten Wortes ernsten Klang, Vernehmt jetzt meines Liedes Töne In eu'rer Jugend frohem Drang. Sie mögen euch auf allen Wegen Nachklingen leise im Gemüth, Ein tief empfund'ner Dichtersegen, D'raus euch des Daseins Glück erblüht. Noch ist ein jeder Tag euch helle, Und süßer Schlummer jede Nacht; Doch steht ihr an der Zukunft Schwelle Und mälig schon ziemt euch Bedacht; Ob ihr auch noch in kind'schen Spielen Auf bunten Wiesenplanen tollt –: Es naht die Zeit mit ernsten Zielen, Für die ihr leben, wirken sollt. Die Zeit, wo eu'rem »Heut'« ein »Morgen« Mit neuer Forderung sich reiht, Und langsam nur, bei steten Sorgen, Ein schwierig Tagewerk gedeiht. Dann aber muß sich erst bewähren Die tiefste Kraft, die in euch wohnt, Und ob der Eltern gold'ne Lehren, Des Meisters Eifer sich gelohnt. Doch wie auch rastlos eu're Mühe, Genüg' euch die erfüllte Pflicht: Vergeltungskränze, rasche, frühe, Für euer Thun erwartet nicht. Und seht ihr ringsum Freuden sprießen, Davon euch keine je vergönnt: So zeigt, daß ihr nicht bloß genießen – Daß ihr auch froh entbehren könnt. Mit gier'gem Wunsch streckt der Gemeine Nach Allem, was da lockt, die Hand; Erhab'nen Sinns begehrt der Reine Nur was er seiner würdig fand. Zufrieden seid, wenn euch im Alter Dieselbe Blume noch beglückt – Derselbe hold beschwingte Falter, Der in der Kindheit euch entzückt. So wachs't heran mit stillem Ringen, Ein edles, lauteres Geschlecht, Noch stark genug, das Schwert zu schwingen, Gilt es den Kampf für Licht und Recht; Doch auch so mild schon, nichts zu hassen, Als was da hemmt des Geistes Flug – Und, gern verzeihend, zu umfassen Den Feind selbst, der euch Wunden schlug. Dann aber seid ihr nah und näher Dem Gipfel schon des schönsten Ruhms, Auf eu'ren Stirnen sieht der Seher Den Vollglanz ächten Menschenthums. Und also ruht – ob euch mit Scherzen Die Stunde noch umfangen hält –: In eu'ren jugendlichen Herzen Die Zukunft und das Heil der Welt! Aus schweren Tagen Unmuth Freilich, freilich, Alles eitel, Alles Trug und Schein – Ach, wie bald ergraut der Scheitel, Und du stehst allein! Deine Hoffnungen und Thaten Hat die Zeit gefällt, Und du siehest neue Saaten Ohne dich bestellt. Und du fragst zuletzt mit Grollen: Hab' ich nur gelebt, Um der rauhen Hand zu zollen, Die die Gräber gräbt? Trauer Frühe schon aus leisem Schlummer Stört mich auf der wache Kummer, Und mit stumm getrag'ner Pein Schreit' ich in den Tag hinein. Immer schwerer das Vollbringen, Immer selt'ner das Gelingen, Und es schwindet die Geduld – Und ich fühl' die eig'ne Schuld. Fühl' es mit geheimem Beben: Uferlos verrinnt mein Leben In ein Meer von Qual und Noth – Komm', o komme, Tod! Laßt mich allein Oft will im Tiefsten mich der Wunsch erfassen, Es möge jedes Herz, das für mich schlägt, Von mir sich kehren, zürnend mich verlassen, Weil, mich zu lieben, keinen Segen trägt. O daß ihr jeder Sorge euch entbändet Und jeder Hoffnung, die ihr in mich setzt; Was ihr mir Theu'res jemals auch verpfändet: Mit Undank lohnen muß ich es zuletzt. Denn ach, wie lange kann die Täuschung dauern? Dann seid ihr plötzlich dessen euch bewußt, Was ich schon längst mit unnennbarem Trauern Als Mangel fühle in der eig'nen Brust. Schon wird des Freundes Rath, der warme, treue, Zu einem Mahnerschrei mir, grell und laut, Und wie im Ton des Vorwurfs und der Reue Klingt mir das liebevolle Wort der Braut. Mir ist, ihr wollet Alle an mir rütteln, Daß ich euch gebe, was ich nimmer kann – Und mächtig zwingt's mich, euch von mir zu schütteln Wie einen fremden, längst verhaßten Bann, Um ganz allein den Kummer zu ertragen, Der immer enger, schwerer mich umflicht, Bis einst mein Leib nach stummen Leidestagen Mit seines Elends Last zusammenbricht. Herbstlese Schon blicken rothe Wipfel Aus fahlem Laub hervor, Leis' um der Berge Gipfel Wallt lichter Nebelflor. Schon folgt dem Schnitterreigen Des Jägers rascher Schuß – Doch reift's noch an den Zweigen Im letzten Sonnenkuß. Bald nahen frohe Hände, Sie schütteln Ast um Ast, Sie brechen vom Gelände Der Trauben süße Last. Denn so ist's allerwegen: Daß für des Sommers Fleiß Mit köstlich reichem Segen Der Herbst zu lohnen weiß. Doch was ist dir beschieden, Der du die Zeit verträumt, Der du, zu sä'n hienieden, Zu pflanzen hast versäumt? Da du im Frühlingshauche Nach Rosen nur gesucht: So pflück' vom dorn'gen Strauche Dir jetzt die herbe Frucht. Begegnung Gelinder ward des Winters Joch, Schon sang es in den Fichten; Doch still vom Himmel fiel es noch In Flocken, weichen, dichten. Vorbei an mir, den Pfad entlang, Den schneebedeckten, steilen, Sah ich mit ängstlich raschem Gang Ein kleines Mädchen eilen. Doch wie es sich gelaufen warm – Sein Gruß blieb nicht vergessen; In altem Korb am schmächt'gen Arm Trug es ein bischen Essen. Dem Vater wohl, beschwingt und gern, Gedachte sie's zu bringen – Ich hörte durch die Luft von fern' Der Holzaxt Hiebe klingen. Du armes Kind, du Kind der Noth, Mit deines Kleidchens Flicken, Mit deinen Wangen frisch und roth Und deinen hellen Blicken; Du Kind der Noth, so früh bereit, Zu sorgen schon für And're: Hast mich beschämt für alle Zeit, Da ich allein nur wand're. Allein – und nur zu eig'nem Wohl Und Weh' die Schritte lenke; Mein ganzes Sein erschien mir hohl – Und hohl auch, was ich denke. Der Säulenheilige Ich kenne einen Menschen, der als Anachoret, Wie einst die heil'gen Büßer, auf hoher Säule steht. Im Sommer brennt hernieder versengend heißer Strahl, Im Winter muß er dulden des Frostes starre Qual. Der Glieder freies Regen, es ist ihm, ach, verwehrt; Von Ferne muß er schauen, was tief sein Herz begehrt. Stumm geht die Welt vorüber und reicht ihm kühl hinan, Was seine Pein verlängern, doch sie nicht lindern kann. So steht er viele Jahre – gern stürzt er sich hinab, Doch schaudert ihm noch immer vor'm Sprung in's tiefe Grab. Man wird ihn seh'n dort oben, bis einst sein Hauch entwich: Die Säule ist das Leben – der Mensch jedoch bin ich. Ultima ratio Wer mehr, als er verschuldet, Erlitten und erduldet, Der ist zuletzt gefei't; Wie immer er auch wandle, Wie immer er auch handle: Geschlichtet ist der Streit. Denn endlich naht die Stunde, Wo tief im Herzensgrunde Die Frage lauter spricht: Wem ward ein Recht gegeben – Wer wagt es hier im Leben, Zu halten ein Gericht? Ja, was da auch geschehe, Zum Wohl oder zum Wehe, Geschieht's nicht, weil es muß? »D'rum will ich siegreich fallen Mit meinen Wunden allen!« Ruft dann der Mensch zum Schluß. Er ruft's und will nicht halten Zurück mehr die Gewalten, Die man das Schicksal heißt – Und fragt sich nicht mehr bange, Wen er beim Untergange Mit sich zum Orcus reißt! O wein' dich aus an meiner Brust ... O wein' dich aus an meiner Brust, Laß in dein Herz mich seh'n; Und wärst du noch so schuldbewußt: Ich kann dich ganz versteh'n. Denn nennen kannst du mir kein Leid, Das nicht schon traf auch mich; Auch mir droht noch Vergangenheit – Und schuldig war auch ich. Auch meine Wange hat gebrannt In der Beschämung Roth – Verloren hab' ich mich genannt Und mir erhofft den Tod. D'rum wein' dich aus an meiner Brust, Ich kann dich ganz versteh'n, Und wärst du noch so schuldbewußt: Getröstet wirst du geh'n! Bekenntniß Daß du das Leben nicht als Kampf genommen, Nur als der Kräfte holdes Wechselspiel; Daß du, in heil'gen Gluthen still entglommen, Nur sanften Fluges wolltest an das Ziel; Daß du, nach Hohem strebend, dich verblutet An kleinen Sorgen, die du nie bezwangst, Und so, im Innersten von Licht durchfluthet, Mit dunklen Mächten stets vergebens rangst; Daß du selbst Jenen, die dich da entweihen, In Güte dich geopfert und Geduld – Daß du nicht hassen konntest, nur verzeihen: Das war dein Schicksal, Herz – und deine Schuld! Umsonst Frohlockt nur, daß ihr mich bezwungen Nach langem Kampf und Widersteh'n, Frohlockt nur, daß es euch gelungen, Mich jetzt in eu'rer Macht zu seh'n. Im Tiefsten fühlt ihr dennoch leise, Es war ein falscher, halber Sieg – Ein Sieg zu des Besiegten Preise, Der durch den Fall nur höher stieg. Denn wollt ihr ferner auch behalten, Was ich dahin euch endlich gab: So dürft ihr nicht als Herren walten, Ihr müßt euch beugen tief hinab; Hinab zu meinen Füßen wieder Und scheue Demuth wird euch Pflicht – Sonst klirrt auf's neu' die Kette nieder: Denn meine Seele habt ihr nicht! Mahnung Wenn dir ein gold'ner Traum zerrann Und rauh die Wirklichkeit dein Herz zerspaltet, Nicht mit dem Schicksal had're dann, Das doch nur in dir selber lebt und waltet. Wie sehr man dir auch weh' gethan, Was du auch mußtest von der Welt erdulden: Vielleicht, siehst du es ruhig an, Erweis't sich doch dein eigenes Verschulden. Und klage nicht mit lautem Groll, Daß du allein nur ungeliebt auf Erden – Erwäge stumm und demuthsvoll, Ob du auch würdig bist, geliebt zu werden. So lernst du still und allgemach Dein Wesen bis zur Wurzel klar erkennen, Und was man auch an dir verbrach: Erlebt und nicht erlitten wirst du's nennen. Die Zähre, die im Aug' dir ruht, Gleich einer Freudenthräne wird sie fließen, Und angehaucht von hehrem Muth, Wird selbst die tiefste Wunde leis' sich schließen. Gebet Jahr um Jahr hab' ich gerungen Und erlitten Schmerz um Schmerz; Aber stark und unbezwungen Hielt sich mein gequältes Herz. Wie sich auch die Wolken ballten, Wie das Leben sich verschwor – Mit stets reinerem Entfalten Schwang sich still mein Geist empor. Treu erglühend für das Ächte, Hab' ich fast das Ziel erreicht; Blickt mich an, ihr ew'gen Mächte: Dieser Scheitel ist gebleicht. Und die Flamme meines Lebens Neigt sich mälig zum Verglüh'n – Gönnt mir noch den Rest des Strebens, Gönnt mir noch ein letztes Müh'n. Laßt mich noch getrost vollenden, Was ich ernst und fest begann, Und auf sanften Götterhänden Traget mich von hinnen dann! – Also fleh' ich, von den Schwingen Der Erfüllung leis' umweht – Und doch fürchtend, daß mein Ringen Im Verhängniß untergeht! Sonette Das Sonett Ein Labyrinth mit holdverschlung'nen Gängen Hat dem Gedanken still sich aufgeschlossen; Er tritt hinein – und wird sogleich umflossen Von Glanz und Duft und zauberischen Klängen. Hier leuchten Blumen, die auf Wiesenhängen Des Pflückers harren, sehnsuchtsvoll entsprossen, Dort wollen Zweige, goldschwer übergossen, Den Wandelnden auf schmalem Pfad bedrängen. Der aber, wird so mancher Wunsch ihm rege, Pflückt eine Frucht nur mit zufried'ner Miene – Doch manche Blüthe, die er trifft am Wege. Und nun – ob er gefangen auch erschiene Schon in des Vierreims wechselndem Gehege –: Geleitet ihn in's Freie die Terzine. Berichtigung Du meinst, weil ich ein Dichter bin, so wäre Mein Dasein reich an hohen Weihestunden, Und in mir selbst hätt' ich den Lohn gefunden, Ob ich die ird'schen Güter auch entbehre. Vielleicht, mein Freund! Doch hör die bitt're Lehre: Das ächte Schaffen wird als Qual empfunden; Denn ist man auch zum Fluge schon entbunden, Fühlt man den Kampf stets mit der eig'nen Schwere. Und wie – hab' ich auch nicht umsonst gerungen – Kann ich mich freu'n am fast verwais'ten Streben, Von lärmenden Erfolgen rings umklungen? Unsterblichkeit – wer kann sie je erleben! Glaub' mir: den Lorbeer hätt' ich, nothbezwungen, Gern für ein Linsenmus oft hingegeben. Widerspruch Da kaum die ersten Funken in dir glommen, Als Knabe schon begannst du still zu leiden; Du sagtest dir: mich wird das Glück vermeiden, Und ahntest leise, was da würde kommen. Und als du dann das Kreuz auf dich genommen Und Pfade einschlugst, die von And'ren scheiden, Da schienst du dich an deinem Loos zu weiden – Und sangst mit Lust: mir kann der Schmerz nur frommen! Und doch wie thöricht! Deine Klagen schallen, So oft ein Pfeil dich in die Brust getroffen, Und deiner Sehnsucht heiße Thränen fallen. Noch ist dein Auge holder Schönheit offen, Dein Geist dem Ruhme – und was bei dem Allen Das Schlimmste ist: du hörst nicht auf zu hoffen. Wunsch O daß ich es vermöchte, wahnbesessen, Wie es die Menschen thun, ganz ohne Zagen Der eig'nen Schuld die Andern anzuklagen Und meine Fehler eitel zu vergessen. Könnt' ich, wie sie, aus jeder Traube pressen – Begehren, wo es Pflicht ist, zu entsagen: Dann würd' auch ich mit schmunzelndem Behagen Vom reichen Tische dieses Lebens essen. Ich würde nimmermehr erfahren haben, Was es bedeutet, still sich überwinden, Und zu entbehren, statt sich frech zu laben. Den höchsten Preis würd' ich zu niedrig finden, Und nicht, wie jetzt, des Schicksals kargste Gaben Als unverdiente Gnade noch empfinden. Klage Das aber ist das Traurigste: zu sehen, Wie tief die Menschheit wurzelt im Gemeinen, Wie Thaten, die uns hier die höchsten scheinen, Zumeist aus nied'rem Antrieb nur geschehen. Wie es die Besten selbst so schwer verstehen, Daß man nur schöpfen dürfe aus dem Reinen, Und wie es giebt von Tausenden kaum Einen, Der sich den eig'nen Vortheil läßt entgehen. Und so geschieht es, daß in diesem Leben Ein hoher Sinn gereicht zu Hohn und Schande, Ward des Erfolges Glanz ihm nicht gegeben. Und so geschieht's auch, daß sich bis zum Rande Gewinnsucht füllt, indeß ein selbstlos Streben Versiegen muß, so wie der Quell im Sande. Klarheit Oft ist es mir, als säh' ich niedergleiten Die Schleier still und leise vor den Dingen; Mein Auge kann das weite All durchdringen Und blickt zurück zum Urquell aller Zeiten. Ich sehe, wie die Fäden sich bereiten, Wie sie sich knüpfen, kreuzen und verschlingen – Und so die Tage immer näher bringen, Die zu den uns'ren ernst herüberleiten. Dann fühl' ich mit dem Fernsten mich verwoben, Und in mir leben jedes Einzelleben, Das hier geathmet und geblickt nach oben. Mein eig'nes Ich, mit tiefgeheimem Beben, Seh' ich zur Welt erweitert und erhoben – Und mit ihr, wie ein Traum, in Nichts verschweben. Zuletzt Weh' dem, der da sein eig'nes Thun zu richten Begonnen hat! Dann zählt er zu den Kranken Und schaudernd fühlt er keimen den Gedanken: Sich selbst erkennen, heißt sich selbst vernichten. Denn auf sein Wesen muß er stumm verzichten, Und wie die liebsten Hoffnungen ihm sanken, Lebt er dahin in haltlos ödem Schwanken Und wünscht den Tod herbei, die Qual zu schlichten. Darum frohlockt nicht so beim Weiterschreiten! Das Dasein ist ein großes Sichbesinnen – Und ein Erkennen jeder Sieg im Streiten. Die Menschheit wird sich selber nicht entrinnen; Denn ob sie scheinbar auch nach außen leiten: Die Fäden führen doch zuletzt nach innen. Sonntag Wie lieb' ich es, an Sonntagsnachmittagen Allein zu sitzen im vertrauten Zimmer; Durch's Fenster bricht der Sonne heller Schimmer, Das Buch vergoldend, das ich aufgeschlagen. Die Straßen leer; es rollen keine Wagen; Des Marktes Lärm verstummt, als wär's auf immer, Und all des Sonntagsstaates bunter Flimmer, Er ward hinaus in Wald und Flur getragen. Verlassen fühlt sich, wer zurückgeblieben, Und manches schöne Auge blickt verdrossen, Und manche Wünsche unerfüllt zerstieben. Es ruht das Leben, wie in sich zerflossen; Doch still erfüllt sich auch geheimes Lieben, Und einsam wird des Geistes Glück genossen. Auf einen alten Schloßpark Nie hat die Lust als Ariadnefaden Sich durch dies grüne Labyrinth gezogen; Man glättete hier stets des Lebens Wogen Zum Teich Bethesda, um sich rein zu baden. Eremitagen, Grotten an den Pfaden Für schöne Seelen, die sich selbst belogen, Als sie sich nannten von der Welt betrogen, Und brünstig sah'n nach himmlischen Gestaden. Hier stand die Zeit still, die, vom blut'gen Ruhme Des Corsen kaum befreit, demüthig wieder Zu Füßen sank dem alten Heiligthume. Hier weh'n noch Matthisson's schwermüth'ge Lieder, Hier blüht und duftet noch die blaue Blume, Und wandelt Stilling's Geist noch auf und nieder. Italia 1. Früh' hab' ich deinen Boden schon betreten, Noch eh' du meinem Geiste konntest frommen; Doch sahst du mich in Sehnsucht wiederkommen – Und still den Mann zu deinen Wundern beten. O hehre Schauer, die mich da umwehten! O heil'ge Gluthen, die mich da durchglommen, Als deine Schönheit ganz ich aufgenommen In Land und Stadt, in Meistern und Propheten! Doch allgemach beim ernsten Gang der Zeiten, Wo es zu siegen galt in Kampfesstunden, Sah ich dich ferner stets und ferner gleiten. Und jetzt, da schon, zu Schwärmen rings verbunden, Die Menschen eilen, laut dich zu beschreiten, Bist du, verdämmernd, meinem Blick entschwunden. 2. Ja, And're mögen deine Galerien Durcheilen, deine Dome und Paläste Bestaunen jetzt als red'gewandte Gäste, Die ihrer eig'nen Leere gern entfliehen. Zu jener Reife bin ich längst gediehen, Die sich nicht kümmert mehr um neue Reste; Was ich geschaut, das Höchste und das Beste, Ward längst in mir zu ew'gen Harmonien. Lebendig sind mir Raphaels Madonnen Und Agnolo's gewaltige Naturen: Sie wandeln um mich her im Licht der Sonnen. Wohin ich blicke, find' ich Schönheitsspuren – Und so beglücken mich Erkenntnißwonnen Bei jedem Tritt auf heimatlichen Fluren. 3. Nach dir allein, du Zauberstadt im Meere, Nach dir, Venezia, faßt mich noch ein Sehnen; O könnt' ich still an deinen Brücken lehnen, Du menschenvolle – und doch menschenleere! Was deine Hoheit auch an Glanz entbehre Vergang'ner Zeiten, nichtig muß ich's wähnen; Wie lieb' ich dich mit deinen dunklen Kähnen, Die heut' noch des Genusses schönste Fähre! Du bist der Ort für müde Lebensschwingen, Die gern in deinen märchenhaften Räumen Zu leisem Fluge noch empor sich ringen. Du bist der Ort für letztes Becherschäumen: So möcht' auch ich in dir ein Lied noch singen Und einer letzten Liebe Traum noch träumen. Dem Künstler Bescheide stets als Mensch dich und erhebe Die Kunst nicht höher als sie mag verdienen; Wie groß und einzig sie dir stets erschienen: So Manches um dich her hält ihr die Schwebe. Welch' stolzes Hochgefühl dich auch durchbebe, Nie sprich es aus mit wichtig eitlen Mienen – Laß dich die Drohne nennen von den Bienen, Und unbeirrt im Stillen schaffe, strebe! Und wie du Allen, die dich einst verlachten, Wie du dem Pöbel darfst den Rücken kehren, Der niemals knie't in lichterfüllten Tempeln: Noch tiefer sollst du Jene doch verachten, Die stets Altäre für die Kunst begehren, Um sich zur Gottheit selber frech zu stempeln. Mysterium Was in der Kunst mich staunen läßt seit Jahren, Das ist: daß an dem Edlen sie und Ächten Sogleich die Mängel seh'n, ob vor dem Schlechten Sie stets sich auch zu vollem Beifall schaaren. Wer hat es nicht zu seinem Schmerz erfahren, Daß Thorheit ganz wie Weisheit könne rechten, Und Stumpfsinn siegreich oft ein Wort verfechten, Worüber bei der Einsicht Zweifel waren. Stell' vor dein Bild nur immerhin den Blinden, Er darf getrost die Farbe dir bestreiten; Falsch darf der Taube deine Töne finden. Und einer Dichtung höchste Herrlichkeiten Als baren Überschwang der Narr empfinden, Der sich im Tollhaus König dünkt zu Zeiten. Consequenz Wer da zu früh die Gunst der Welt erfahren Und ihres Beifalls Übermaaß errungen, Der wird sofort, von Hochmuth rasch durchdrungen, Die menschliche Gemeinheit offenbaren. Schon auf dem Gipfel wird er sich gewahren, Gewappnet, wie dem Haupt des Zeus entsprungen; Verachten wird er dreist der Wahrheit Zungen, Ungnädigsein – auch gegen Schmeichlerschaaren. Er fühlt sich, und die höchste selbst der Kronen Vermag ihm keine Demuth einzuflößen: Daß er sie trägt, soll euch , nicht ihn belohnen. Blickt doch nur hin nach eu'ren Ruhmesgrößen, Wie sie da rings als schnöde Götzen thronen, Zum Dank euch weisend ihre Hinterblößen. Ad notam Daß edle Saaten stets nur langsam reifen Und Eins ist mit Verzichten jedes Streben – Daß heil'ger Schmerz nur weiht ein Künstlerleben: Ihr könnt es heute nimmermehr begreifen. Nach hohen Zielen wollt ihr hastig schweifen, Ihr fordert Wein von kaum gepflanzten Reben; Lohn wollt ihr und Genuß – und auch daneben Mit flücht'ger Hand des Ruhmes Purpur weifen. Ich aber sag' euch, die ihr arg verblendet: Noch hat, ob manches auch die Zeit beschnitten, Das eherne Gesetz sich nicht gewendet: » Errungen wird der Lorbeer und erstritten – Und nur von dem , der sich ihm ganz vepfändet, Für ihn geblutet und den Tod erlitten.« Einem verschollenen Lyriker Wie lieblich klingen deiner Dichtung Laute! Und dennoch sind sie ungehört verklungen; Von Allen, die da einst mit dir gesungen, Warst du der Einz'ge, der den Himmel schaute. Doch von der Dämm'rung, die dich rings umgraute, Ward auch zuletzt dein zarter Geist durchdrungen, Und eh' du völlig dich an's Licht gerungen, Versiegte leis' der Quell, der erst sich staute. Dir ward das unheilvollste Loos von allen: Du sah'st dich, ach, für eine Zeit geboren, Die nie gebaut an eig'nen Ruhmeshallen; Die niemals sich ein hohes Ziel erkoren – Und wie sie mußte in sich selbst zerfallen, So ging mit ihr ihr Bestes auch verloren. So ist's Das aber nehmt euch einmal zu Verstande: Daß Einer nie sein Höchstes kann vollbringen, Wenn nicht ein Gott ihm gnädig lös't die Schwingen, Und nicht ein günst'ger Wind ihn treibt vom Strande. Denn nie gedeiht der Baum in dumpfem Sande, Zu Tod sich flattern muß der Aar in Schlingen – Und ernstes Thun kann stets nur halb gelingen, Wenn sich die Mitwelt freut an hohlem Tande. Ja, ob auch eig'ne Kraft und tiefstes Wollen Die Größe hebt aus den gemeinen Gleisen: Des Lebens Mächten muß ein Jeder zollen. D'rum laßt das wicht'ge mit dem Finger Weisen, Seht einen Mann ihr schöpfen aus dem Vollen: Ihn selbst nicht – seinen Stern nur mögt ihr preisen. Bei einem Dichterbegräbniß Laßt es genug doch sein an hohlen Worten! Sagt's rund heraus: der Mann da ist gestorben; Den Dank der Mitwelt hat er nicht erworben, Und hinter ihm geschlossen sind die Pforten. Hinweg den Lorbeerkranz, den längst verdorrten! Verstummt, Posaunen, Flöten und Theorben! Daß an der Ungunst er der Zeit verdorben, Beklagt es nicht, ihr heuchelnden Consorten! Indessen euch des Beifalls Münzen rollten, Bei Hungerkost sein dürftig Liedlein sang er, Verachtet still von euch und laut gescholten. Stellt euch mit ihm nicht selbst jetzt an den Pranger, Und da er euch im Leben nichts gegolten, So laßt ihn auch verfaulen auf dem Anger. Einem Todten Das herbe Loos der Armen und der Schwachen, Es war auch sein's in bangen Erdentagen: Der eig'nen Meinung mußt' er sich entschlagen Und lügen, wie gedruckt, in allen Sprachen. Dem Mammon mußt' er seinen Bückling machen, Der Hoffahrt lächelnd helfen in den Wagen, Verbuhlten Weibern seid'ne Schleppen tragen – Und ernst sein, wenn es ihn gereizt zum Lachen. Wie oft, bei diesem oder jenem Feste, Als laut der Kork sprang von der dunklen Flasche, Hat er getoastet, schmeichelnd auf das beste. Er streute auf sein Haupt der Demuth Asche, Witzworte nahm er hin erlauchter Gäste – Und ballte selbst die Faust nicht in der Tasche. Fluch Es ist des Menschen Fluch und sein Verhängniß, Daß seine Fehler sicher wirkend schreiten Und, offenkundig rings, ihm gleich bereiten Jedweden Schmerz und jegliche Bedrängniß. Sein Bestes aber lebt wie im Gefängniß Und seine Tugenden sind Heimlichkeiten; Er selber muß sie zweifelnd oft bestreiten, Rauh überlassen seiner Herzensbängniß. Denn diese Welt, so rasch im Schulderkennen, So gern bereit, werkthätig sich zu zeigen, Sobald es gilt, ein Schandmal aufzubrennen: Sie hüllt sich allsogleich in starres Schweigen, Soll sie ein ächt Verdienst beim Namen nennen Und einem hohen Wollen sich verneigen. Das Mitleid der Welt Ja, wenn Ihr blickt auf Wunden oder Schwären, Und wenn die Leute liegen auf dem Schragen, Da dürft Ihr Trost und Hilfe nicht versagen – Und weint sogar noch ernst gemeinte Zähren. Wann aber sah man Euch ein Unglück ehren, Das nicht gemahnt an die ägypt'schen Plagen? Was man nicht zeigt, darnach wollt Ihr nicht fragen, Und könnt Euch Dies und Jenes nie erklären. Habt jemals scheuen Kummer Ihr verstanden? Gequälter Herzen schweigende Gebresten? Und einen edlen Geist in Dulderbanden? So laßt Ihr mit den Schlimmsten auch die Besten Gleichmüthig an des Lebens Riffen stranden – Und kehrt Euch ab mit der Verachtung Gesten. Antwort Du fragst, warum ich still und ohne Grollen Mich schmähen lasse, statt in Wort und Liedern Auf Dies und Jenes strafend zu erwidern Und zu entlarven, die mir übel wollen. Befrag' mich nicht! Des Lebens Stunden rollen, Und wer da kämpfen wollte mit dem Nieder'n Und endlich gar sein Wesen noch zergliedern: Der dürfte nie dem dunklen Fährmann zollen. Die Faust ist längst verpönt in uns'ren Tagen, D'rum kannst du deine Stärke nur bezeigen Im stolzen Übersehen und Ertragen. Es braus't zu laut umher der tolle Reigen; Ein Thor mag immerhin die Lunge wagen – Ich habe längst, mein Freund, gelernt zu schweigen. Päan Laß immerhin – droht auch dein Herz zu brechen – Vom Haß und von der Bosheit dich verwunden, Gieb selbst dem Spotte preis, was du empfunden, Und fassen laß dich stets bei deinen Schwächen. Es werden Tage kommen, die dich rächen; Und wenn die Feinde, wider dich verbunden, An ihren Freuden ihren Lohn gefunden – Dann werden selbst die Steine für dich sprechen. Dann preis't man dich, statt dich, wie einst, zu schmähen, Und was man nie und nimmer an dir prüfte, Wird dann, bewundert, sich von selbst verstehen. Denn so nur werden frei die Weihrauchdüfte, Die um der Menschheit Hochaltäre wehen – Und so nur steigt ein Phönix in die Lüfte! Grund Ich wollte nie als Dichter mich geberden, Ob ich's gewesen auch zu allen Stunden, Und ob ich anders stets als ihr empfunden, Es sollte nie für euch zum Vorwurf werden. Ich schätzte jegliches Verdienst auf Erden Und alles Gute, wo ich es gefunden; Wie oft man mir auch schlug die tiefsten Wunden – Als Rächer wollt' ich Niemand doch gefährden. Auf mein Verständniß konnte Jeder zählen, Und Mitleid, sanfte Tröstung ließ ich walten, Sah ich vom Schmerz zerrissen eu're Seelen. Ich rührte nicht an eu'res Wahns Gestalten, Ich schwieg zu eu'ren Schwächen, eu'ren Fehlen –: D'rum habt ihr mich auch niemals hoch gehalten. Mein Lied Nicht mögt ihr glauben, daß ich mir verhehle, Wie oft es widerspricht dem Geist der Zeiten; Schon will die Zukunft anders sich bereiten – Und so sind auch die Töne, die ich wähle. Was auch der Ruhm der Gegenwart erzähle, Und welche Siege mächtig sie begleiten: Den inn'ren Zwiespalt könnt ihr nicht bestreiten – Und dieser Bruch, er ging durch meine Seele. Doch nicht bloß er ! Was da in euch gewittert, Was still und segensreich in euch erglommen: Durch meine Saiten hat es auch gezittert. Auch ich sang meiner Zeit zu Lust und Frommen, Doch sie blieb taub, an Herz und Sinn zersplittert: Ich gab ihr Brod – sie hat's für Stein genommen. Freie Rhythmen Die Lyrik Ob auch ein überkluges Geschlecht Dich belächelt als Unverstand; Ob der banausische Schwarm, Der in den Tempel der Kunst sich drängt, Um bei des Altars heiliger Flamme Mahlzeit zu halten, Dir, weil du den Mann nicht nährst, Hochmüthig den Rücken kehrt, Indeß ein Heer frecher Stümper Dich entweiht zu nichtigem Spiel: Immer und ewig Bleibst du, hochaufstrebende Lyrik, Blüthe und Krone der Dichtkunst. Denn überall sonst befehden sich Stoff und Form, Und der Meister selbst, Der den Zwiespalt zu lösen scheint, In tiefster Brust empfindet er Vor dem beendeten Werk Vorwurfsvollen Mißklang Des Unbewältigten. Du aber, athmend reinster Empfindung Hauch, Folgst in sanften Rhythmen Willig dem Geist Und lenkst ihn zuletzt, Da du Worte hast für das Unsagbare, Siegreich hinan zu ahnungsvollster Erkenntniß. Und wie du der Freude Höhen Als leuchtendste Rose schmückst, Blühst du auch, schwermuthsvoll, Als Passiflore hervor Aus den Abgründen des Lebens. A sè stesso Ein Fremdling bist du, Ein seltsamer Fremdling, o meine Seele, In diesem Erdengetriebe. Ringsum qualmt Selbstsucht und Hoffart zum Himmel, Laster und Thorheit wuchern in üppiger Blüthe Und lustig schießen empor die tauben Halme der Eitelkeit. Und siehe: die Welt erträgt es! Sie erträgt es nicht bloß: Sie opfert der Selbstsucht, Beugt sich der Hoffart, Mästet Thorheit und Laster Und schmeichelt der Eitelkeit. Aber wehe dir, arme Seele, Wenn zu Tage tritt, Daß auch du staubgeboren, Und einmal dich betreten lässest Auf menschlicher Art Und menschlicher Schwäche. Da geifert's sogleich in der Runde! Da predigt die Selbstsucht Entsagung, Die Hoffart Demuth, Das Laster Tugend – Und Thorheit und Eitelkeit Haben für dich ein Lächeln des Hohnes ... Fürwahr ein Fremdling bist du, Ein seltsamer Fremdling, o meine Seele, In diesem Erdengetriebe. An einen kleinen Fisch in meinem Aquarium Silberglitzernd kreisest du Mit zarter Flosse Um die Stengel der Wasserlilien Und zwischen Algen und Moosen Einsam in durchsichtig grüner Wildniß. Ja, einsam! Denn all die still beweglichen Leben, Die in dem hegenden Glase, Eine Welt für sich, Reizvoll Aug' mir und Sinn erfreut: Sie gingen dahin, Heute dies, morgen jenes – Und nur du bliebst noch zurück. Weißt du, daß du allein bist – Und fühlst du dich einsam? Vermissest du die einst'gen Genossen? Durchzuckt dich Erinn'rung an sie Mit der Ahnung des eigenen Todes? – Wer vermag es zu sagen? Mich aber beschleicht, Wenn ich dich so betrachte, Unendliche Wehmuth. Denn unwillkürlich bedenk' ich, Was ein Mensch empfinden müßte, Der als letzter, Als allerletzter Auf Erden wandelte – Am Rande blumiger Wiesen, Verlassenen Wohnstätten vorüber, Oder durch dunkelnde Wälder, Rollende Ströme entlang, Am Gestade des weitaufrauschenden Meeres – Die Brust voll Erinnerungen Und nahenden Todes Gewißheit. Die Malven Hochaufragende Malven, Ihr des Gartens ernsteste Zier, Gern hin wandl' ich an eueren Reih'n, Wenn der goldene Mittag Eu're sanften Farben verklärt. Denn wie ihr so dasteht Regungslos: Ist es mir, als wolltet ihr zu mir sprechen, Wolltet mir Kunde geben Vom Urquell der Dinge, Der geheimnißvoll eu're Wurzeln tränkt, Und dem ihr näher steht als der Mensch, Der, losgelös't vom kettenden Boden, In Freiheit schreitet. Aber ihr könnt es nicht. Versagt ist euch der Laut, Und leise nur blättert sich auf An eu'rer dichtgedrängten Knospenfülle Blüthe um Blüthe – Wie stumme Antwort auf stummes Fragen. Die Lerche Strahlend im heitersten Blau steht die Sonne; Aber früh noch ist es im Lenz Und eisige Lüfte hauchen noch Von den Bergen herüber, Wo hartnäckig der Winter sich fest gefroren In tannenumdunkelten Klüften. Dennoch vom erstarrten Blachfeld Schwingt sich mit kämpfendem Flügel Die Lerche empor, Hin und her geschleudert vom Sturm, Aber die jauchzende Brust umfunkelt Vom ewigen Licht – Schwing' dich ihr nach, du mein geflügeltes Lied! Der Trauermantel Ausgebreitet die ernste Flügelpracht, Nahst du, schwermüthig schöner Falter, Wie im Traum den Blumen, Die, aufleuchtend in duftiger Farbengluth, Des Sommers letzte Tage schmücken Und des Gartens schwindendes Grün. Langsam wiegst du dich In sonniger Luft Von Kelch zu Kelch – Aber auf keinen Senkst du dich nieder. Ist es doch, Als scheutest du die bunt'ren Genossen, Die hier und dort sich festgesogen Und, versunken in des Genießens Wonne, Deiner nicht achten. Einmal noch Umkreisest du das weite Beet – Dann, hohen Schwungs, Entflatterst du in's nahe Dickicht, Wo Fichtenzweige Hellstämmige Birken umdüstern. Sinnend blick' ich dir nach, Du dunkel Geflügelter! Ach, wie so ganz Gleicht meine Seele dir, Die in sanfter Schwermuth, Tief verlangend und doch entsagungsvoll, Ueber des Lebens Holden Verheißungen schwebt – Um immer wieder Zurückzuflüchten In einsame Schatten. Die Primeln So seh' ich auch euch jetzt, Ihr sonnigen Blumenaugen des Lenzes, In zierliche Töpfe verpflanzt Und in japanischen Vasen; Seh' euch mit leisem Schmerz Kunstvoll zum Strauße gereiht, Und als schimmernden Brust- und Lockenschmuck Erhöhen buhlender Schönheit Reiz. Mehr stets liebt' ich euch Als die ersten Veilchen Und die thaufrischen Hagerosen. Denn jene, ob auch verborgen dem Aug', Locken dringenden Duft's Pflücker heran – Und diese, fesselnd mit scharfem Dorn, Drängen berückend am Strauch sich entgegen. Ihr aber, Keusch und unentweiht, Selig des eig'nen Lichts, Blühtet Und verblühtet ihr, An der Erde heilige Mutterbrust Dicht geschmiegt. Höchstens, daß fröhlich euch Ein ländliches Kind dem braunen Haar gesellt, Oder der sinnende Dichter Andächtig euch losgelös't Von der wurzelumhüllenden Scholle, Damit ihr, im schlichten Glase getränkt, Erhelltet seiner düsteren Stube Einsamkeit. Und doch! Wo immer Euer sanfter Glanz auch leuchtet – Selbst in menschenvoller Gassen Kehricht noch: Wehen um euch, Unschuldvoll, Die ersten, Die reinsten Hauche der Schöpfung! An den Mond Längst, du freundliches Nachtgestirn, Ist dein Geheimniß verweht. Erkenntnißstolz blickt der Knabe schon Zu dir empor; Denn verfallen bist du, wie Alles jetzt, Der Wissenschaft, Die deine Höhen und Tiefen mißt – Und wer weiß, ob du nicht endlich doch noch Erstiegen wirst auf der Münchhausenleiter Der Hypothesen. Dennoch, du alter, treuer Begleiter der Erde, Webt und wirkt dein alter Zauber fort, Wenn du, Aug' und Herz erfreuend, emportauchst Mit dem sanftschimmernden Menschenantlitz Und seligen Frieden gießest Über tagmüde Gefilde. Noch immer, wachgeküßt von deinem Strahl, Seufzt Liebe zu dir hinan – Und immer noch, ach! besingen dich Dichter. Klugheit Heilige Klugheit, Sicherste Bürgschaft des Glücks – Sehnsüchtig preis't dich heute mein Lied! Was sind alle Gaben des Schicksals Ohne dich, o Klugheit? Was Kraft? Was Schönheit? Was des Reichthums Güter – Ja selbst der Genius, Wenn ihn deine Hand nicht lenkt? Und doch – Wenn ich erfüllt dich mir denke Als der Menschheit erwünschtestes Ziel: Wie klein und kleinlich erscheinst du mir! Höher nicht als bis zur Noth Erhöbe sich des Geistes Flug, Mäßiger stets Würde der Empfindungen Pendelschwung, Bis das Dasein dem Uhrwerk gliche, Stunden weisend, Nicht werth gelebt zu werden. Und so will ich getrost mich Meine Spanne Zeit noch, Wie die Menschheit schon seit Jahrtausenden, Hinquälen Zwischen lachender Thorheit – und unfroher Weisheit. Den Starken Die ihr kampfbereit Und kampfgerüstet steht, Unerschrocken nach den Gütern der Erde greift Und euch empor schwingt zu des Daseins Gipfeln: Nicht überhebt eu'rer Kraft euch Und verächtlich nicht, Indeß ihr schäumende Freudenbecher leert, Blickt auf die schwächeren Brüder hinab, Die unten in drangvollen Tiefen Glücklose Tage leben. Denn seht: auch ihnen füllt Sehnsucht den Busen Nach jenen lichten und freien Höh'n; Doch im Aufschwung ermatten sie, Und hinsinken mit blutender Stirn, Bald näher, Bald entfernter dem Ziel, Die fruchtlos Ringenden, Um bei den langsamen Schlangenbissen der Selbsterkenntniß Beschämender Ohnmacht Qual zu empfinden. D'rum niemals komm' über die Lippen euch Das furchtbar gedankenlose Pharisäerwort: »Durch eigene Schuld.« Liebreich vielmehr Reicht helfende Hände hinab Und zieht Jene empor, Die sie noch zu fassen vermögen, Auf daß sie unter euch wandeln, Selig dankbar. Und dauernd nicht ist Menschenschicksal. Manchen von Denen, Die im Dunkel gefesselt schmachten, Genügt ein sonniger Hauch, Ein erquickender Tropfen, Ein gelöster Ring aus der Kette der Leiden –: Und befreit, Wie von plötzlichen Flügeln getragen, Schweben zu euch sie hinan – Und über euch weg, Um fürder im Äther zu kreisen. Euere Sohle jedoch Bedarf des Bodens stets, um d'ran zu haften. Weh' euch, wenn dieser wankt! Denn ihr wankt Und stürzt mit ihm, Und der eigenen Schwere Wucht Begräbt euch im Fall ... Verächtlich nicht, Indeß ihr schäumende Freudenbecher leert, Blickt auf die schwächeren Brüder hinab, Die unten in drangvollen Tiefen Glücklose Tage leben – Damit, wenn euer Sturz erfolgt, Ihr zitternder Klagelaut Nicht werde Triumphgesang! Beati possidentes Glücklich seid ihr, ihr Reichen! Nicht daß des Armen begnügsames Herz Nach eu'rem Golde verlangt, Oder daß er thöricht wähnt, Erlassen sei euch des Leidens Zoll, Der auferlegt allem Athmenden. Nein! Er weiß vielmehr, Daß der Schmerz auch in Palästen wohnt, Verzweiflung in stolzen Karossen fährt, Und eu'rer Frau'n Diamantenpracht Meist nur an erstarrte Thränen mahnt, Die im Verborg'nen sie weinen –: Er weiß es und hat für euch Weit eher den Seufzer des Mitleids, Als das bittere Wort des Neides. Eines aber habt ihr voraus – Und danken sollt ihr dafür In schöner Demuth den Göttern! Frei bewahren könnt ihr euch Von Allem, was den Menschen entweiht. Denn niemals seid ihr hingestellt Auf den schmalen Klippenrand der Noth, Der lauterstes Wollen Von unwürdigem Handeln trennt, Und jene Sorge kennt ihr nicht, Die mit heimtückischem Rattenzahn An der Seele frißt, Erhabenen Sinn an Gemeines kettet Und ein großes Herz Niederzwingt in den Sumpf der Duldung, Bis es nach langem Kampf An sich selbst verzweifelt, Schuldig wird – und versinkt. Euch selber treu bleiben könnt ihr, Wenn ihr nur wollt – Und nichts verhindert euch, Edel zu sein und gut . Glücklich seid ihr, ihr Reichen! Selig sind die Armen im Geiste Lächelt nur wissensstolz Von eueren Bücherhekatomben Und eu'ren Kathedern herab, Wenn der Dichter singt: Selig sind die Armen im Geiste! Ja, selig sind sie – Selig wie Kinder, Die, halb noch an nährender Mutterbrust, Halb schon die ersten Schritte thun, Von Blumen und Faltern gelenkt Und vom Zwitschern des Vogels; Aber verschüchtert sogleich Vor jedem rauschenden Lufthauch Zurück sich flüchten in die schützende Hut. Nur Nächstes im Auge, Greifen sie nach dem Nächsten nur – Und so leben sie hin Gute und böse Tage, Harmlos, als müßt' es so sein, Nur das eigene Wohl und Weh' bedenkend. Inzwischen schreitet an ihnen vorüber die Zeit Und reißt die Ahnungslosen Wie im Traum mit sich fort. Und wenn sie dann plötzlich Erwachen bei unsanftem Ruck, Blicken sie auf und fragen in rührender Unschuld: was ist? – Ja, was ist!? Ihr And'ren Könnt es ihnen sagen: Denn ihr wißt es. Dann horchen sie auf Und stehen beschämt – Und klug wie zuvor. Sie begreifen nichts, Sie lernen nichts Und fremd bleibt ihnen Alles, Was ihr preist als die höchsten Triumphe der Menschheit. Aber dafür auch Bleibt ihnen erspart die letzte Erkenntniß: Die Erkenntniß der eigenen Nichtigkeit Und das öde Bewußtsein Von des ewigen Einerlei trostloser Wiederkehr. An ein Kind Rasch erblühend zu holdem Reiz, Trägst du unschuldvoll, Aber nicht ahnungslos, Gern zur Schau frühreife Schönheit. Und Jeder, der dich erblickt, Ermißt, von leisem Schmerz durchzuckt, Schon alle Wonnen, Die du dereinst gewähren kannst. Aber wirst du es auch? Wirst du verfallen nicht, Wie die Meisten, Dem alten Fluch des Geschlechts, Das in knospender Brust Scheue Sehnsucht birgt – Und doch die entfaltete Pracht Ungeliebtem dahingiebt Um ein Nichts? Droht nicht auch dir das Loos, Wie schon Vielen vor dir: Pflichtenerwägend, Versagend und entsagend, In unsäglicher Öde hinzusterben – Oder erst dann Leidenschaft zu entfesseln, Wenn du keine mehr weckst? Wirst du nicht mit einstiger Schönheit verblaßtem Schimmer Plötzlich beglücken wollen – Und so, Erkenntnißlos, Mit dem geliebten Herzen Auch das eigene spießen An die grausamsten Marterpfähle des Lebens? Auf ein tanzendes Mädchen Selig beschwingt den zarten Leib, Leis' sich aufblätternde Rosen im Haar, Schwebst du im Reigen dahin, Der den funkelnden Saal durchwogt. Und wie du mit halbgeschlossenen Lidern, Weltentrückt, Das schöne Haupt zur Schulter des Tänzers neigst: Ist es mir plötzlich, Als säh' ich bleich deines Vaters Antlitz, Das dem deinen glich, Beim Lampenlicht hinabgebeugt Zum fordernden Bogen, Den er füllte in schwerem Gedankenkampf. Todt schrieb sich der Arme, Ein ächter Germane, Um lumpigen Bettlersold, Den Verleger und Zeitung Achselzuckend bewilligt. Denn von den »Leichten« war er nicht Einer: Tiefen wollt' er erhellen mit qualmender Fackel Und – wieder als ächter Germane – Wußt' er zu schöpfen, Doch nicht zu gestalten. Ballast hielt er für Fracht – Und so sank, was er schrieb. Nun er todt, hat die Welt Das Lächeln mitleidigen Spottes In Wohlwollen für dich verwandelt, Und nicht entgelten läßt sie die Tochter Des Vaters pedantische Schrullen. Sie preis't deine Anmuth, Deinen witzigen Geist, Zieht dich zu ihren Festen Und schmückt dich mit Rosen und hellen Gewändern. D'rum schwebe nur hin, mein Kind, Bei den rauschenden Klängen! Was können Lebendige Auch Anderes thun, Als auf Gräbern tanzen ... An die Frauen Seltsam fürwahr, Ihr holden Frau'n, ist der Zwiespalt, Der jetzt eu're Brust bewegt! Schön wollt ihr sein – schöner denn je, Und erfinderischer im Schmücken des Leibes, Als zur Zeit verruchtesten Hetärenthums, Tragt ihr Reize zur Schau, Entflammend das Auge – Entflammend die Wünsche des Mannes. Und doch wie thöricht! Verletzt seid ihr, empört, Wenn er sucht, was ihr bietet. Zornglühend fragt ihr, Ob ihr geschaffen nur seid, Irdisch gemeine Lust zu stillen Als entwürdigte Sklavinnen: Oder ob nicht auch in euch Frei und selbstbestimmend walte der Geist, Der jetzt den Mann zum Herrscher macht, Wie früher die gewaltige Stärke des Arms? – Ja, er waltet in euch! Ringen könnt auch ihr Mit erwachender Kraft Nach den Gütern der Erde, Nach Bürgerkronen und Lorbeerkränzen! Aber nimmermehr wähnt, Daß damit euch anbrechen werden Höhere, frohere Tage des Seins! Glücklich werdet ihr stets nur werden Durch eu're Schönheit – Glücklich nur, so lang sie dauert. Denn zu tief verknüpft mit der Natur Ist euer Schicksal, Und zu dem alten Fluch des Geschlechts, Dem kaum Eine entgeht: Zu den Leiden getäuschter Liebe Werden gesellen sich noch Getäuschter Ehrgeiz, Verfehltes Wirken, Fruchtloses Ringen, Die Qual des Denkens – Und all die tausend Leiden und Kämpfe des Mannes ... Reizt euch das Ziel? Auf der Lobau (1862.) Tiefe Stille. Lautlos zieht vorüber, gespaltenen Laufs, Der breite Donaustrom, Leis' bespülend dicht grünendes Ufergezweig. Kaum zum Lispeln bewegt, Schimmern im Sonnenglanz Die Erlen und Silberpappeln, Die, aufgewuchert zu lieblicher Wildniß, Hochhalmige Wiesenflucht umschatten. Manchmal nur ertönt der kurze Schrei Des Reihers, der einsam die Luft durchkreis't; Hörbar fast Wird des Falters Flügelschlag Und der Odem des Reh's, Das friedlich gras't Wie in weltferner Sicherheit. Wo ist die Zeit, da einst Mit fremdverworrener Stimmen Laut, Mit Waffengeklirr' und Hufgestampf Des gallischen Cäsars Heer Auf diesem Boden gelagert!? – Damals, du sonnig stille Insel, Lag unter deinen Wipfeln zusammengedrängt Ein Weltschicksal! Ein treffender Schlag noch –: Und vernichtet war der kleine Gedunsene Mann mit dem Imperatorkopf, In dem sich die Ichsucht der Menschheit Zum tragischen Popanz verkörperte. Kaum erst erfüllt Hat ein halbes Jahrhundert sich, Seit er hier auf- und niederschritt, Entschlüsse wälzend in ruh'loser Brust –: Und heute schlägt kaum mehr hin und wieder ein Herz, Das seinen Ruhm gedüngt, Oder vor ihm gezittert. Wo sind die Reiche, die er gegründet? Wo die Könige, die er besiegt? Wo die Frauen, die er geliebt? Vorüber Alles. Sonnenbeglänzt Liegt, stromaufwärts, die Kaiserstadt, In die er einzog, sieggewaltig, Um ihr blauäugiges Fürstenkind Mit sich zu führen an der Seine Strand. Friedlich liegt sie; bricht die Schanzen ab, Die er einst gestürmt, Umzieht sich mit neuen Straßen, Baut Paläste und Dome, Als gält' es, sich zu gründen für die Ewigkeit – Und ahnt nicht, Daß auch sie dereinst Zerbröckeln wird in Schutt und Trümmer, Um endlich, Gleich dir , du grünende Insel, Hinweggeschwemmt zu werden Vom Strome der Zeiten. Nänie Muse! Die du einst Goethe's, Die du einst Schiller's Stirn geküßt: Warum nicht wieder, Nachdem ein Jahrhundert verflossen, Umfängst du – Statt nur hier und dort mit leisem Fittig zu streifen – Ganz und voll einen Auserwählten Mit himmlischer Weihe, Auf daß dem deutschen Volk Auf's neue ein Dichter erstehe, Groß, edel und gewaltig wie Jene!? Thörichte Frage, Thörichter Anruf! Versiegt längst ist der castalische Quell, Gelichtet die heilige Neunzahl – Und auf stäubendem Bretterboden nur, In grellem Lichtreflex Und mißduftendem Bühnenflitter, Erscheinen sie noch, die einst den Olymp bevölkert. Todt ist die Kunst! Todt – ob auch ein Heer von Dichtern Scandirende Hände regt, Ob unendlicher Töne Schwall Die Welt durchfluthet – Und in Erz und Marmor Und auf erstaunter Leinwand Der Cäsarenwahnsinn des Virtuosenthums Seine Orgien feiert. Todt ist sie – Und hin und wieder nur, Weit abseits vom Markt, Zucken, verendend, Noch ihre letzten disjecta membra. Den Jüngern Auserwählt zum Leiden war stets der Genius. Ihr wißt es, Und keinen von euch hält es ab, Pfade zu gehen, Die And're vor euch gegangen – Und gleich ihnen Zu siegen oder zu fallen. Aber Eines bedenkt: Ungünst'ger als die, in der wir leben, War keine Zeit noch dem Dichter, Ob auch der Geist in ihr Lauteste Triumphe feiert. Denn seht: Schaffend und empfänglich zugleich Ist der Geist, Wenn er als schimmernde Blüthe noch Liebreich herab sich zur Wurzel senkt, Ahnungsvoll die dunkle beleuchtend. Mehr und mehr jedoch Wird er zur Flamme schon, Die sie verzehrt, Um in sich selber zu brennen – Und endlich auch in sich selbst zu verloh'n. Weggeschwunden ist Unter dem Fuße der Boden euch, Wie der Menschheit, Die, entwachsen der Vergangenheit Und losgelös't von Jahrtausenden, Nach neuem Leben verlangt – Und doch vielleicht nur in's Leere greift. Dies sagt ein Dichter euch, Dessen letztes Lied Wehmüthig noch ertönt Am Rande des Abgrunds. Requiem Allerseelen. Grauer, feuchtkalter Nebel Umhüllt das Land, Und in dem kleinen Friedhof dort am Bergeshang Schimmern Grablaternen, Schimmern auf den Hügeln Immortellen und Astern. Ja, heute gedenkt Jeder seiner Todten, Schmückt die Stätten, Wo sie vermodern oder vermodert sind – Und das Gedächtniß der Menschheit Umwindet Male aus Erz und Marmor Mit den Kränzen des Nachruhms. Wer aber gedenkt Der Ungenannten, Der Ungeliebten, Der Gräberlosen? Derer, die dahingegangen Fernab vom Herzen der Mitwelt Und unvermißt, Unbetrauert, Ihre Atome dem All zurückgegeben? Ihrer gedenkt heute Ein Mensch, Der, gleich ihnen, Gelebt, Gekämpft, Gelitten Und schaudernd oft mit ihrem Schicksal Das eig'ne vorausempfunden. Requiescant in pace! Aus dem Tagebuch der Liebe Nacht und Tag Durchsichtig blaut die laue Sommernacht, Mit glüh'nder Wange kehr' ich vom Gelage; Das ist die Stunde, wo mein Herz erwacht, Das eingeschläfert schwüle, bange Tage. Die Fenster auf. Nun ströme, linde Luft! Wie Kühlung zuckt es aus der Sterne Flimmern; All meine Sinne baden sich in Duft – Da seh' ich's weiß mir gegenüber schimmern. Sie lehnt im Fenster. Antlitz, Arm und Hand Wie Mondenlicht; dem Nacken wird zur Hülle Das zartgewob'ne lichte Florgewand, Und drüber hin des Haares gold'ne Fülle. Die sie bei Tag mit stiller Sorgfalt pflegt, Wie duften jetzt die Rosen und Violen! Der Blumen Hauch zu mir herüber trägt Des Mädchens Seufzer, glühend, unverhohlen: Du rascher Mann, der du so gierig trinkst Aus vollem Becher, d'rin die Freude schäumet; Der du gebieterisch an's Herz dir winkst Jedwede Lust, die dir zu nahen säumet –: O blicke nieder auf mein einsam Loos, In meine Seele blicke, wie sie trauert In der Entbehrung ewig kargem Schooß, Von ahnungsvollen Wünschen nur durchschauert. Erfülle sie! Du kannst es. Nimm mich fort ! Hier welket meine Tugend still verdrossen; Erschließe mir des Lebens reichsten Hort, Und lehr' mich kennen, was du schon genossen! Laß mich umklammern deine starke Brust; Auch dir ist Eins noch unerfüllt geblieben – Ich sprech' es aus, was du noch nicht gewußt: Ich liebe dich mit grenzenlosem Lieben! – Die Nachtigall im nahen Bauer schweigt, Sie flötete der schönsten aller Stunden; Des Morgens Schauer kühl der Nacht entsteigt, Das Fenster klirrt – die Holde ist entschwunden. Zur Unrast such' ich auf den dumpfen Pfühl, Bei ihr verweilen wach noch die Gedanken; Doch endlich naht der Schlaf mir, bleiern, schwül, Und wüste Träume meinen Geist umschwanken. Nun ist es Tag! Nun rasch an's Fenster hin! Nun ist sie bei den Blumen wohl zu schauen – Schon steht sie dort, als milde Spenderin Die durst'gen Kelche sorglich zu bethauen. Doch wie sie mich gewahrt, der erst sich barg, Um spähend zu erhaschen ihre Miene: Tritt sie zurück mit Blicken scheu und karg – Und niederwallt, verhüllend, die Gardine. Opferstunde Stumm glühte rings die Flur im Mittagsbrande, Nur fleiß'ge Bienen summten durch die Schwüle, Als sinnend wir, an stiller Gräber Rande, Durchschritten eines Friedhofs Schattenkühle. Die holden Gleichnisse der Erdendinge, Die Blumen, sah'n wir auf den Hügeln beben, Und d'rüber hin, mit kaum bewegter Schwinge, Wie traumverloren müde Falter schweben. Und leichte Schauer rieselten und wehten, Des großen Räthsels unsichtbare Boten; Wir falteten die Hände wie zum Beten, Mit sanfter Wehmuth denkend an die Todten. Es war, als glitten leise wir hinüber Zu Jenen, die schon längst dahin gegangen; Der bleiche Engel zog an uns vorüber – Wir hörten fast, wie seine Flügel klangen. Doch als wir jetzt, nach ihm empor zu schauen, Mit sanftem Druck uns aneinander schlossen, Da fühlten wir, versenkt in Todesgrauen, Uns plötzlich von dem wärmsten Hauch durchflossen. Durch uns're Liebe, die wir scheu vergessen, Dem Dasein wieder ganz zurückgegeben, Erwachten wir im Dunkel der Cypressen Und hielten uns und küßten uns mit Beben. Nun schien ein Opfer uns die stille Stunde, Dem Tod gebracht, und uns're Wangen glühten, So wie die Rosen, die, mit uns im Bunde, Auf Gräbern ihren süßen Duft versprühten. Elisabeth Wir werden uns, ich weiß es, wiederseh'n – Ob mancher Lenz erblüht noch und verblüht; Wir werden plötzlich vor einander steh'n, Ob wir, uns nicht zu finden, auch bemüht. Dann ist vielleicht dein Haar schon silberweiß, Und kahler wölbet sich der Scheitel mir, Doch jung und blond erscheinst du noch dem Greis, Und braungelockt und jung erscheint er dir. Denn was die Zeit auch Beiden abgestreift: Sie rührte nicht an uns'rer Herzen Gluth, Die, überdauernd, neu zum Leben reift, Was lang in der Erinn'rung Grab geruht. Noch einmal zuckt es in uns mächtig auf, Es ist der Lebenskräfte letzter Schuß; Noch einmal wallt das Blut mit raschem Lauf – Wir küssen heiß wie einst den letzten Kuß. Dann aber lassen wir uns wieder still Und fühlen leise, Hand in Hand gelegt, Daß jeder Keim zur Frucht gedeihen will, Den einmal wahrhaft tief das Herz gehegt. Wir fassen's nicht, daß wir so lang gelebt, Einander fern – und doch die Brust voll Drang; Daß wir, trotz allen Sehnens, nicht gestrebt Uns aufzusuchen – ach schon lang, schon lang! Wir fassen's nicht, daß von einander je Wir scheiden konnten, zürnend und mit Groll, Und selbst uns schaffen jenes herbe Weh', Das heiß in Thränen durch die Wimper quoll. Auch uns'ren Fehlern sinnen wir dann nach – Und finden doch die Summen gleichgesetzt, Da Jedes das nur an sich selbst verbrach, Womit es oft das And're schwer verletzt. – So weilen wir mit Blicken, tief und mild; Ich streichle dir, wie einst, das schlichte Haar, Und uns'rer Jugend lang getrübtes Bild, Vor uns'rem Geiste wird es hell und klar. Und all' der Kampf, die selbstgeschaff'ne Qual Zerstieben, so wie Nebel sanft zerstiebt – Und nieder fällt auf uns der reinste Strahl: Wir sehen nur, wie sehr wir uns geliebt! Lydia Noch ist dein Antlitz hell und mild Und sanft sind deine Augen; Du könntest zum Madonnenbild, Mit himmlischem Genügen In jungfräulichen Zügen, Dem frömmsten Maler taugen. Noch könnt' ein starkes, schlichtes Herz, Nicht achtend deines Falles, Mit stumm zurückgewies'nem Schmerz Bekränzen, früh Verirrte, Dein Haupt mit weißer Myrte – Verzeiht doch Liebe Alles! Noch könntest du so treu, so gut – Wenn du mit reu'ger Thräne In jenes Herzens milder Hut Gebüßt die Schuld der Erden – Zum reinsten Weibe werden, Wie einstens Magdalene. Das könntest du! – Doch büßen bleibt Ja fremd der raschen Jugend; Das Leben zum Genusse treibt – Wer möcht' es ihr verargen, Daß sie verlacht den kargen Und matten Lohn der Tugend? Wohlan denn – so genieße, Kind! Laß deine jungen Sinne – Wie Wölkchen oft vom Frühlingswind Zu heimlichen Gewittern Herangefächelt – zittern Im heißen Strahl der Minne. Doch wenn die Stunde kommen muß – O dann beglücke Jenen, Der längst nach deinem Feuerkuß, Nach deines Gürtels Sinken Und deiner Glieder Blinken Gelechzt mit trunk'nem Sehnen. Der längst erkannt, daß deinem Haupt, Dem schwer zurückgebog'nen, Der Unschuld erster Kranz geraubt – Daß mit bewußtem Trachten Schon diese Augen schmachten, Die bläulich leicht umzog'nen. Und was du hast an Gluth und Blut, Das lasse glüh'n und wallen – Und laß, umwogt von hoher Fluth, Wenn sich die Lippen pressen In seligem Vergessen Den letzten Schleier fallen! Das könntest du. – Doch matt und schwach Schlägt in der Brust das Herz dir – Und sorglos trägst du deine Schmach: Denn jener Tag vor allen, An welchem du gefallen, Bracht' weder Lust noch Schmerz dir. Nicht einmal zürnen kannst du, Weib, Wie schön es dir auch stünde; Du schmückst nur lächelnd deinen Leib, So schwach im Widerstreben, So treulos ohne Beben – So kühl selbst bei der Sünde. Ich aber, wie Pygmalion, Der schönheitstrunk'ne, wilde, Ich nahe mich zertrümmernd schon, Weil ich mich müh' vergebens Um einen Strahl des Lebens, Dem stummen Götterbilde! An eine junge Holländerin Rom, im Herbst 1873. Auf des Wartsaals hartem Sopha Liegend halb, das ros'ge Antlitz Von dem blauen Reiseschleier Hold umflossen, blickst du sinnend Nach dem Fremdling, der inmitten Tief gebräunter Römerenkel Vor dir steht mit heller Locke Und mit Augen, blau wie deine. Will er dich der fernen Heimat An der Zuidersee gemahnen, Die du in der Schwestern Kreise Und der Eltern Hut verlassen, Um zu schau'n die ew'ge Roma, Um zu schau'n den Dom Sankt Peter Und Apoll im Vaticane? Wahrlich, unbefriedigt scheinst du Von den Herrlichkeiten allen – Und doch müd', fast überdrüssig, Ungeduldig schon, zu scheiden Von dem wunderbaren Leben, Das dich hier so fremd umwogt hat. Und aus deines Blickes Leuchten, Aus dem Wallen deines Busens Spricht die Sehnsucht, die du mitnimmst, Wie du sie hieher getragen: Jene Sehnsucht, die sich nimmer Durch den Schutt zerfall'ner Tempel Und geborst'ner Colonnaden, Nicht durch Raphaels Engelsköpfe Stillen läßt, noch durch die bleichen Marmorbilder der Hellenen. Und wie ich dich so betrachte, In die lebenswarme Fülle Deiner Schönheit mich versenkend: Fühl' ich, wie auch meine Seele, Die sich eben sanft beschwichtigt Auf der Kunst geweihtem Boden, An dem Geiste hoher Ahnen, Wieder heiß verlangend aufbebt. Tiefverhalt'ne Gluthen lodern Fühl' ich plötzlich, und es ist mir, Als hätt' ich in dir gefunden All das Glück, darnach ich ringe, Seit ich athme – und entbehre ... Horch! Ein Pfiff und laute Rufe; Thüren werden aufgerissen – Und schon trittst du, rasch den Schleier Niederlassend, mit den Deinen Zarten Fußes auf die Schienen, Wo du im Waggon verschwindest. – Träumend steh' ich vor dem Zuge, Der zu neuem Lauf sich rüstet Mit Gestöhn und wildem Schnauben. Jetzt ein Ruck – ein leises Rollen – Und er führt dich in die Weite, Rascher immer, immer mächt'ger Vorwärts drängend. Und ich folg' ihm – Erst mit Blicken, dann im Geiste, Wie er hineilt durch die hehre Götterlandschaft mit den alten Wundervollen Städtebildern, Bis zu jenem hellen, lichten Marmorbautenkranz am Arno. Und von da, hinan, hinunter, Nach Bologna, nach Venedig, Durch die grünen deutschen Lande, Fort am Rheinstrom – bis sich endlich Aus der Fluth entfernten Meeres Deine Vaterstadt emporhebt: Amsterdam, so reinlich kühlig – Amsterdam, wo bald der stolze Mynheer, wohl der Ersten Einer An der weltberühmten Börse Und ein großer Tulpenzüchter, Dir die ringgeschmückte Hand reicht, Um zu stillen jene Sehnsucht, Die du einst nach Rom getragen ... Ich jedoch – hinunter will ich Durch Campanien im Fluge, Nach dem Golfe von Neapel, Wo das Leben tausendfarbig Aufblitzt, wo der jugendliche Phönix Schönheit aus den Flammen Wildesten Genusses täglich Neu ersteht – und selbst der alte Dräuer mit der Rauchkapuze Machtlos wird vor Myriaden Lustgeschwellter Daseinskeime. Dort im Rausche jener tollen Stadt will ich vergessen lernen, Daß ich dich geseh'n, du holde, Mir verlor'ne Menschenblume. Und bewähren soll sich wieder Mein Verhängniß, das mich immer Aus erhab'nen Lichtgefilden Niederzwingt in dunkle Tiefen Unruhvollen Erdendranges, Bis ich einst an unerfüllten Herzenswünschen still verblute – So wie du! Franziska Blick' ich dich an, du Hohe, Schlanke, So weiß ich nicht, wie mir geschieht; Schon lang umkreis't dich mein Gedanke, Der immer wieder scheu entflieht. Noch hab' ich dich nicht ganz empfunden, Noch hab' ich dich nicht ganz erkannt; Noch nicht den rechten Ton gefunden, Der dich in meine Lieder bannt. Von Mädchenwünschen hold umwoben, Scheinst du oft träum'risch, wandelbar – Dann wieder, stolz das Haupt erhoben, So selbstbewußt, so kühl und klar. Giebt's eine Liebe, dich zu lieben – Und die auch deine Liebe weckt? Wohl Mancher ist dir fern geblieben, Von solchem Zweifel leis' erschreckt. Oft ist es mir, als sollt' ich nahen, Als sollt' ich fassen deine Hand, Den zarten Leib dir sanft umfahen Und küssen deiner Lippe Rand. Doch folg' ich nicht dem Drang der Gluthen, Der scheu aus meinem Innern bricht – Und möchte nichts, als stumm verbluten Vor deinem hellen Angesicht. High-life Sie war ein Weib in vollster Lebensblüthe; Nicht ohne Launen ganz und ohne Schwächen – Im Inn'ren aber war sie laut're Güte. Sie haßte Redeprunk und Silbenstechen; Stumm saß sie meist mit sinnenden Geberden, Nur ihre dunklen Augen ließ sie sprechen. Versagt geblieben war ihr nichts auf Erden – Doch in Erfüllung konnte nie ermatten Ihr Wunsch, zu lieben und geliebt zu werden. Nicht zu den Klugen zählte sie und Satten; Ich ahnte wohl – doch mocht' ich's nie erfahren, Warum sie treulos ward dem jungen Gatten. Ich weiß nur, daß mit stillem Offenbaren Ihr Mund mich küßte, wie im Widerstreiten – Und daß wir Beide fortan glücklich waren. O gold'ne Zeit verschwiegner Seligkeiten, Die du so reich mir damals angebrochen – Laß deinen Wiederschein mein Herz durchgleiten! O holde Tage, o verträumte Wochen Auf hohem Schloß, in freien Sommerfluren – Im Bann der Stadt auch und in ihren Jochen! Da schritten wir vereint auf Rosenspuren, Da saßen wir genüber uns im Wagen, Wenn wir zum Wald – wenn wir zur Oper fuhren! O sel'ges Glück, den weichen Shawl zu tragen – Dicht hinter sie in Logen mich zu schmiegen Und einen Kuß auf weiße Schultern wagen. Und dann in hohen Freuden sich zu wiegen, Wie sie nur bieten kann verbot'nes Minnen, Im Tanz vereint, den weiten Saal durchfliegen! Da lernten wir den Augenblick gewinnen Und – konnt' uns doch der nächste schon gefährden! Im Augenblick Unmögliches ersinnen. Vorbei! Vorbei! Ein Ende mußte werden, Und bin ich auch nicht ungestraft geblieben – Denn welche Schuld entränne hier auf Erden: So wußt' ich doch, was leben heißt und lieben ! Vergessene Liebe Wie oft Erinn'rung plötzlich sich erneut! – Im letzten Carneval, nach einem Fest, Das stolz verschwenderisch der Reichthum gab, Ging ich nach Haus in früher Morgenstunde, Die, noch gehüllt in Nacht, das erste Regen Geschäft'gen Tagwerks meinen Blicken wies. Halb offen standen schon die Bäckerläden; Schlaftrunk'ne Gäule zogen hinter sich die Karren Mit Milch und mit Gemüse nach dem Markt, Allwo beim Scheine wandelnder Laternen Die Hökerweiber ihre Plätze suchten. Und da mit einem Male sah ich mich Zurückversetzt im Geist um dreißig Jahre, Und sah mich selbst, wie ich als schmächt'ges Bürschchen, Im grauen, schlotternden Soldatenmantel, Die blaue Mütze in's Gesicht gezogen, Mich aus der schlafenden Kaserne schlich Zu einem Stelldichein im Morgengrau'n. – Die ich erwartete, sie war das Kind Von armen Leuten, anvertraut dem Ohm, Der mit der spinnendürren Ehehälfte Für das Soldatenvolk in kleiner Stadt Mit Lebensmitteln dürft'gen Handel trieb. Dort wurde sie gebraucht zu nied'rem Dienst: Sie schenkte voll das leere Branntweinglas Und schnitt den Bissen ab dem Fordernden; Jedoch sie that's wie eine Königin – Und war so schön auch! Hoch und stolz gewachsen – Vielleicht zu voll für ihre Jahre schon – Trug sie das Haupt erhoben, das umwunden Endlos von dunkelbrauner Flechte war. Hell schimmerte ihr Antlitz wie die Rose, Und Augen hatte sie von jenem Blau, Mit dem Cyanen leuchten aus dem Korn, Und wie die Kirsche war ihr kleiner Mund, Der trotzig aufgeworfen, Perlen wies. Wir fanden uns beim ersten Seh'n. So kam's, Daß ich nun öfter, als erklärlich schien, In jene Bude trat und länger weilte, Als üblich sonst zur Zehrung von der Faust. Die Alte merkte bald, warum ich kam, Und schickte stets sogleich das Mädchen fort – Zuletzt auch mich, mit schnöden Worten drohend. Doch Liebe, heißt es, findet ihre Wege, Und jenes Stelldichein, Glock' sechs am Morgen, Wo meine Schöne, um des Tag's Bedarf Zu dem entfernten Bäcker eilen mußte, War ein Beweis, wie sehr das Sprichwort trifft. Ich wartete – sie kam. Um's Haupt geschlagen Ein warmes Tuch, und auch den Korb am Arm. In stummer Eile huschten wir dahin An stummen Häusern, bis ein altes Thor Erreicht wir hatten, das mit off'ner Halle In's Freie führte. Mittwoch war es und Auch Wochenmarkt, der dort gehalten wurde Auf wüstem Platz. Mit Wagen kamen schon Die Bauern; Schafe blökten, Kühe brüllten – Und vor uns lag, bei irrem Schein von Lichtern, Ein wirres Durcheinander aufgerollt. Doch wir, geborgen in der Halle Dunkel, Der eis'gen Luft, die sie durchstrich, nicht achtend, Versanken ganz in die entzückten Wonnen Des ersten sel'gen Beieinanderseins – Bis uns der helle Tagesschein erschreckend Um die erglühten Wangen leuchtete. Sie fuhr empor: »So spät schon – ach so spät!« Rief sie, den Korb ergreifend: »morgen wieder!« Und meinen letzten Küssen sich entringend, Enteilte sie ... Das »Morgen« kam und auch das Übermorgen – Und auch der dritte Tag: doch sie kam nicht. Im Tiefsten krank von Sorge und von Sehnsucht, Strich an dem kleinen Laden ich vorüber, Sah in die Fenster, blickte durch die Thür, Trat auch hinein – sie aber blieb verschwunden. Die Frage wagt' ich nicht; doch gute Freunde, Die stets Verkünder sind jedweden Unheils, Erzählten mir: es hätte schlimmen Zwist Gegeben und der Oheim hätte gestern Das schlechte Ding zurück geschickt den Eltern – Wie viele Meilen weit, sie wüßten's nicht ... Das Alles, längst vergessen, kaum mehr wahr, Stand jetzt vor mir, fast greifbar wachgerufen Vom morgendlichen Treiben um mich her. Es war, als lebt' ich's heut', und durch die Seele Ging wonnig weh das ganze Hochentzücken, Der ganze Schmerz mir jener frühen Liebe ... Wie oft Erinn'rung plötzlich sich erneut! Amara Da liegen sie vor mir jetzt deine Briefe, So arm an Inhalt – ja selbst arm an Trug; Erzwung'ne Worte, halbe nur und schiefe – So flüchtig wie dein flücht'ger Federzug. Und hier dein Bild. Gezeichnet von der Sonne, Sieht es verblaßt, verschwommen, wie im Traum; Was ich betrachtet einst mit Leid und Wonne – Jetzt durch die Lupe unterscheid' ich's kaum. Und nicht ein Nachgefühl des Schmerzes zittert In meiner Brust, den ich dereinst gefühlt – Von jenem Schmerz, der mir den Tag verbittert Und meiner Nächte leisen Schlaf durchwühlt. Und staunend muß ich jetzt mich selber fragen: Wie war es möglich, daß ich sie geliebt – Geliebt in vollen, kräft'gen Mannestagen, Wo man doch prüft, eh' man sich ganz ergiebt?! Wie war es möglich, diese schlaffen Züge Einst schön zu finden – diesen schlaffen Leib? Fürwahr, es weht mich an wie grelle Lüge, Daß ich geglüht, fast weibisch, für dies Weib. Für dieses Weib, das, längst in sich gebrochen, Sich aufrecht nur durch harten Stolz erhielt, Und mit des eig'nen Herzens letztem Pochen In kaltem, frechem Uebermuth gespielt. Für dieses Weib, das selbst verschmäht, zu heucheln Der Liebe Wallung, wenn es sich ergab, Und, nicht begnügt, mich lautlos hinzumeucheln, Vor aller Welt gebrochen mir den Stab. Und doch die Beute, die es tief verachtet, Aus festen Banden grausam nicht entließ – Bis es zuletzt, da ich nicht mehr getrachtet, Befreit zu werden, plötzlich mich verstieß ... Wie Alles kam? So Manches kommt im Leben – Begreift ihr das warum, das wie und was? Erfahren muß man es, erleiden eben, Damit man sagen könne: seht, auch das! Einer Dichterin Nun hast du's rhythmisch ausgesprochen, Daß du zu lieben mich geglaubt , Und reißest mir nach kurzen Wochen Den kaum gewund'nen Kranz vom Haupt. Schon steht es aller Welt zu lesen, Was du mir Hohes dargebracht, Wie deiner unwerth ich gewesen Und wie du aus dem Traum erwacht. – Ich sehe wohl: du hast gelitten, Du büßtest rasche Leidenschaft – Doch was dir tief in's Herz geschnitten: Es sprengte deines Geistes Haft. Dein ganzes Wesen ward gesammelt Zu freiem, mächtigem Erguß, Und wo du früher nur gestammelt, Rauscht deiner Verse stolzer Fluß. So möcht' ich fast mich selber preisen, Daß ich das Weib verletzt in dir, Da mit so herrlichem Erweisen Die Dichterin sich rächt an mir. Nun du gelernt zu überwinden Der Seele Schmerz in Wort und Ton, Wirst du stets inniger empfinden Der Muse Trost, der Muse Lohn. Und ob du noch, in Haß entglommen, Mit Recht zu fluchen mir vermeinst –: Die Stunde, glaub' mir, seh' ich kommen, Wo du mich segnen wirst dereinst! Ottilie Es hat der ernste Gang der Jahre Dein Antlitz leise schon gekerbt, Und dir die dunkelbraunen Haare Zu mattem Silber fast entfärbt. Doch hold und schlank sind noch die Glieder, Die du so leicht im Gange regst, Und reich hängt deine Flechte nieder, Wenn du sie tief im Nacken trägst. Und Stunden giebt es, wo die ganze Zurückgedrängte Jugend bricht Aus deinem Aug' mit scheuem Glanze, Der von verlor'nem Leben spricht. Dann will es schmerzlich mich durchsprühen, Und küssen möcht' ich deinen Mund; Du fühlst es und mit sanftem Glühen Erbebst du tief im Herzensgrund. So bebt des Herbstes letzte Traube, Vergessen von des Winzers Hand, Mit letzter Gluth im fahlen Laube, Wenn sie ein später Wand'rer fand. Letzte Liebe Schon ist der Tag uns im Verglühen, In letzter Schönheit prangt dein Leib; Der Herzen allerletztes Blühen Ist unser Glück, geliebtes Weib! D'rum laß – o laß die Zeit uns frommen, Und keine Stunde sei versäumt; Von Wonne sei die Nacht durchglommen, Und dann der Morgen hold verträumt. Und jede Freude dieses Lebens Soll noch durch uns're Seele geh'n; Wir wollen sie, entzückten Bebens, Noch ganz genießen und versteh'n. Mag auch der Himmel leise nachten, Und hält er seinen Blitz gezückt – Wir wollen nimmer es beachten, Wie nahe das Verhängniß rückt. Und sterben laßt uns lebenstrunken, Ist der Vernichtung Stunde da, Wie einst im Tode hingesunken Antonius und Cleopatra! Liebesscene Als Epilog. Der Nachmittag war glühend heiß. Ich saß In eines Wirthes menschenleerem Garten; Gedankenvoll, beim kaum berührten Glas, Wollt' ich des Abends Kühlung hier erwarten. Still durch die Wipfel strich ein schwüler Hauch, Gedämpft erklang des Straßenlärmes Wogen; Nach Krume zwitschernd, wie es Sperlingsbrauch, Kam ab und zu ein kleiner Gast geflogen. Da hört' ich plötzlich nahen Doppeltritt – Und zwei Gestalten, hoch und schlank, erschienen: Ein junges Paar, mit raschem, leichtem Schritt, Mit hellen Augen und mit klugen Mienen. Er fast ein Jüngling noch. Mit breitem Rande Saß lässig ihm der Hut auf dunklen Locken; Zartbusig sie; auf lichtere Gewande Fiel blond ihr Haar, so wie der Flachs vom Rocken. Sie sah'n mich nicht und setzten sich zur Rast – Man merkte wohl, sie seien noch nicht Gatten – Nach kurzem Wählen mit zufried'ner Hast Gleich in des nächsten Baumes breiten Schatten. Nachdem sie sich mit raschem Trunk erfrischt, Und auch vom Brod gebrochen einen Bissen, Lag schon ein Buch vor ihnen aufgetischt – Ein großes Buch, zerlesen und zersplissen. Von »Lanzelot« und von »Ginevra« war, Das sah man, nichts in diesem Buch zu lesen; Dem Kennerblicke ward sofort auch klar, Daß es ein Werk der Wissenschaft gewesen. Vielleicht von Darwin oder Stuart Mill – Wie ändern sich, so dacht' ich, doch die Zeiten, Indessen Jene, leidenschaftlich still, Herniederseh'n auf eng bedruckte Seiten. Und er, so wie in unbewußtem Thun, Die Hand nur legt auf ihre schmale, feine – Und sie, wie um beim Lesen auszuruh'n, Die zarte Wange sanft lehnt an die seine. Mir aber ward der Anblick zum Gedicht, Zu einem neuen hohen Lied der Liebe, Da ich verklärt sah von des Geistes Licht Auf Erden schon den dunkelsten der Triebe. Und mich erhebend, tief bewegt und leis', Ging ich hinweg mit Schritten, kaum zu hören, Um solcher Herzen reinen Zauberkreis Und diese heil'ge Feier nicht zu stören. Nachlese Der Dichter Der Erde Schmerz, der Erde Wonnen, Wir haben redlich sie getheilt; Ich trank mit euch aus einem Bronnen Und mit euch zog ich unverweilt. Doch allgemach im Lauf der Zeiten – Ich wußte selbst nicht, wie es kam – Sah ich euch immer ferner schreiten, Obgleich ich doch nicht Abschied nahm. Auch habt ihr mich nicht ausgestoßen, Und dennoch steh' ich jetzt allein; – Ich hätte gern das Glück genossen, Ein Mensch mit Menschen froh zu sein! Arbeitergruß Vom nahen Eisenwerke, Berußt, mit schwerem Gang, Kommt mir ein Mann entgegen, Den Wiesenpfad entlang. Mit trotzig finst'rer Miene, Wie mit sich selbst im Streit, Greift er an seine Mütze – Gewohnheit alter Zeit. Es blickt dabei sein Auge Mir musternd auf den Rock, Und dann beim Weiterschreiten Schwingt er den Knotenstock. Ich ahne, was im Herzen Und was im Hirn ihm brennt: »Das ist auch Einer,« denkt er, »Der nicht die Arbeit kennt.« »Lustwandelnd hier im Freien, Verdaut er üpp'ges Mahl, Indeß wir darbend schmieden Das Eisen und den Stahl.« »Er sucht den Waldesschatten, Da wir am Feuer steh'n Und in dem heißen Brodem Langsam zu Grunde geh'n.« »Der soll es noch erfahren, Wie es dem Menschen thut, Muß er das Athmen zahlen Mit seinem Schweiß und Blut!« – Verziehen sei dir Alles, Womit du schwer mich kränkst, Verziehen sei dir's gerne: Du weißt nicht, was du denkst. Du hast ja nie erfahren Des Geistes tiefe Müh'n, Und ahnst nicht, wie die Schläfen Mir heiß vom Denken glüh'n; Du ahnst nicht, wie ich hämm're Und feile Tag für Tag – Und wie ich mich verblute Mit jedem Herzensschlag! Der Klostergarten Weißt du noch, geliebte Seele, Wie wir einst – hell schien die Sonne – Leis und schüchtern uns ergingen In dem Garten eines Klosters? Offen stand die kleine Pforte – Und wir waren eingetreten, Tief im Herzen angemuthet Von des Ortes Ruh' und Frieden. Herbst schon war es. An den Birken Goldig schimmerten die Blätter; Astern blühten, Georginen – Hier und dort auch blasse Rosen. Und wir schritten wie verloren In weltfernen Einsamkeiten; Niemand sah uns – doch wir schlugen Vor uns selbst die Augen nieder. Reiner waren wir gekommen, Reiner waren wir gegangen Als die Mönche, die inzwischen Tafelten im Refectorium. An eine Unglückliche Die scheue Kummerfalte, Im Antlitz dir zu schauen, Sie mahnt mich an das alte, Das herbe Loos der Frauen. Nach kurzen Jugendtagen Verschuldetes Entbehren – Die Einen durch Versagen, Die And'ren durch Gewähren. Doch wehe, wenn da Beides In Eins zusammenfließt, Und so ein Meer des Leides Die stumme Brust verschließt! Böse Jahre In meinem Leben gab es böse Jahre – Wie jene aus der Bibel waren's sieben – Da hat mich ein Verhängniß umgetrieben, Ich wandelte – und lag doch auf der Bahre. Nicht ein Erinnern, das ich voll bewahre Aus jener Zeit, wo, ohne Frucht geblieben, Mein Geist in ödem Denken sich zerrieben, Und Gram und Sorge bleichten meine Haare! Gleich schwerem Traum zerfloß ihr dunkles Walten, Und auf vernarbte Wunden kann ich zeigen, Kaum wissend mehr, von wem ich sie erhalten. Nur manchmal, einzeln und in wirrem Reigen, Auftauchen schattenhafte Mahngestalten: Männer und Frau'n, die wie aus Gräbern steigen. Taedium vitae Das ist das taedium vitae, So alt wie diese Welt, Das auf des Daseins Höhen Uns allgemach befällt. Daß noch die Sonne aufgeht, Wie abgebraucht und schaal; O Schlummer, süßer Schlummer – Erwachen, welche Qual! Und dann des Tags Geleise, Das ew'ge Einerlei – Die Erde sammt dem Himmel Ein ausgeblas'nes Ei. Und rings die Ideale Wie Disteln abgeköpft, Und jede Kraft verdrossen, Und jeder Wunsch erschöpft. Nur einer wird zur Sehnsucht, Zur Sehnsucht nach dem Tod – Man möcht' ihn gleich erwarten Im nächsten Straßenkoth. Das ist das taedium vitae, Das sich von selbst ergiebt, Wenn man das liebe Leben Dereinst zu sehr geliebt. Zugeständniß Gewiß! Ich war nicht Einer von den Kalten, Die vor den Reizen steh'n der holden Frauen Gekniff'nen Aug's, mit Worten, halben, lauen – Und stets sich wissen klug im Zaum zu halten. Nein! Ich gehörte zu den Raschdurchwallten, Die, läßt die Schönheit ihrem Blick sich schauen, Zu tiefst empfinden jenes heil'ge Grauen, Das da entstammt der Liebe Urgewalten. Vom Trank war ich durchglüht, der Faust getrieben, Daß er den Kram des Wissens schlug in Scherben, Um Gretchen und um Helenen zu lieben – Und doch, wie jener Spanier, dessen Werben Ganz ohne Zahl und Grenzen einst geblieben: An unerfüllter Sehnsucht hinzusterben. Reinheit Schelte man doch nicht den Dichter, Wenn auch er zuweilen sinkt, Und wie anderes Gelichter Aus des Lebens Pfütze trinkt. Reiner nur in Gegensätzen, Heller tönt empor sein Lied; Nimmer weiß das Licht zu schätzen, Wer das Dunkel stets vermied. Wie ihn auch sein Wipfel kröne, Wurzelt doch in Nacht der Stamm – Und der Lilie keusche Schöne Blühet aus des Teiches Schlamm! Novemberlied Novembernebel füllen Mit feuchtem Grau das Thal, Als wollten sie verhüllen Die Erde, kahl und fahl. Mit seinem dunklen Saume Gespenstisch ragt der Wald, Daraus, so wie im Traume, Von fern die Axt erschallt. Den Pfad mit kühlem Hauche Umwittert ödes Weh', Verwais't am dorn'gen Strauche Bebt Hagebutt' und Schleh'. Wohin die Schritte streben, Versinkt der Fuß im Koth – Mühselig ist das Leben Und traurig wie der Tod. Ein Anderes Die Nebel sind zergangen, Verflogen über Nacht – Fast will die Erde prangen In leiser Frühlingspracht. Es strebt, vom Licht umflimmert, Der Föhrenwald empor, Auf braunen Äckern schimmert Die Wintersaat hervor. Die dürren Büsche glänzen In Tropfen, hell wie Thau, Noch leicht geschmückt mit Kränzen Von Beeren roth und blau. So ist in sanften Farben Die Landschaft rings entrollt; Es leuchten, die da starben, Die Blätter, auf wie Gold. Nun laß', o Herz, die Klage, Vergiß, was dich beschwert, Siehst du so späte Tage So sonnig noch verklärt! Bitte An *** Sei nicht so mild mit mir, so gut – Denn Liebe wird durch leises Hoffen, Und wallt auch stiller schon mein Blut: Noch bin ich süßer Täuschung offen. Noch kann ein holdes Angesicht Der Ruhe tiefes Glück mir rauben, Und weiß ich auch, du liebst mich nicht – Ich könnte doch vielleicht es glauben. Sei nicht so mild mit mir, so gut – Noch bin ich süßer Täuschung offen. Und wallt auch stiller schon mein Blut: Die Liebe wird durch leises Hoffen. Alter Das aber ist des Alters Schöne, Daß es die Saiten reiner stimmt, Daß es der Lust die grellen Töne, Dem Schmerz den herbsten Stachel nimmt. Ermessen läßt sich und verstehen Die eig'ne mit der fremden Schuld, Und wie auch rings die Dinge gehen, Du lernst dich fassen in Geduld. Die Ruhe kommt erfüllten Strebens, Es schwindet des verfehlten Pein – Und also wird der Rest des Lebens Ein sanftes Rückerinnern sein. Gefaßt Da schon die Schatten länger werden Und still zur Rüste geht mein Tag, Frag' ich mich oft, was mir auf Erden Die Zeit noch Alles bringen mag. Ob sie noch hell mein Haupt umschimmert Mit eines letzten Glückes Strahl – Ob sie den dunklen Sarg mir zimmert Aus einer letzten, tiefen Qual? – Wie immer auch – ich will's ertragen; Was ich vermocht, hab' ich vollbracht, Und hab' dabei, ich darf es sagen, Nicht an das eig'ne Wohl gedacht. Dir, heil'ge Kunst, galt all' mein Leben, Und war ich auch von Schuld nicht rein: Vor keiner Stunde will ich beben – Und sollte sie das Ende sein! Rhapsodien Sonnenwende der Liebe Ich habe geliebt Wie Dichter lieben, Und ob ich auch hohes Glück genossen – Mehr noch hab' ich gelitten. Jetzt, da mein Herz steht In der Sonnenwende der Liebe, Erfaßt mich seltsame Wehmuth. Empfänglich noch für der Schönheit Zauber, Und mit geschärftem Aug' Erspähend den feinsten Reiz, Spür' ich auch noch Unverbraucht Des Jünglings Gluth In ernst und kraftvoll gereifter Mannesseele. Aber zugleich schon Fühl' ich mich angeweht Von leisen, mahnungsvollen Schauern Nahenden Alters, Und jener trostlosen Zeit, Wo Eros oft noch Den schärfsten seiner Pfeile versendet, Während abgewandt steht Die göttliche Mutter. Die Pappeln Wie lieb' ich euch, Leise schwankende Pappeln, Die ihr, gesammelten Wuchses, Zum Himmel aufstrebt! Freilich wohl Erreicht ihr ihn nicht – Aber hoch empor ragt ihr Über nied'res Gestrüpp nicht bloß Und den verkrüppelten Fruchtbaum: Auch die mächtige Eiche, Die schattenspendende Linde Laßt ihr unter euch. Und mit ihnen Die dumpfen Wohnungen der Menschen, Deren kurzer Blick, dem Nützlichen zugewandt, Nur selten an euch, den Nutzlosen, Empor sich hebt, Indeß ihr, Weithin überschauend die Landschaft, Selig einsam die Häupter wieget Im ewigen Äther. Wiener Votivkirche Ein Dichter schon vor mir 1 Hat dich, du jüngster der Dome, » Die Kirche ohne Gott « genannt. Und wahrlich: Vielleicht hat, Seit du zu schau'n bist in gepriesener Schönheit, Kaum ein Herz wahrhaft gläubig in dir gepocht, Kaum ein Knie zu wahrer Andacht In dir sich niedergesenkt. Und so ragst du, Ob auch täglich von Orgelklang erfüllt und Weihrauchqualm, Mit deinen Strebepfeilern Und deinen durchbrochenen Thürmen Wie ein steinerner Anachronismus empor Aus glaubensloser Gegenwart. Dennoch, wie du jetzt vor mir liegst Mit geschlossenem Thor In sommerlicher Nachmittagsstille, Durchschauert Andacht mich. Stimmungsvoll Im leichten Schatten deiner Bogengewölbe Webt Vergangenheit, Und mit leisem Fittich umkreis't dich Traumhaft Der Geist ferner Jahrhunderte. Fußnoten 1 Hans Hopfen in seinem Roman »Juschu«. Dem italischen Dichter Glücklich bist du, hesperischer Sänger! Ob in Venedigs Gondel du träumst, Ob in Florenz du weilst oder im ernsten Rom – Ob du wandelst am Gestad des blauen Tyrrhenermeers: Überall lebt dir ein Volk, Das unbefangen noch, Empfänglich an Herz und Sinn, Gern deinem Liede lauscht Und nimmer dir vorwirft, Daß du die eig'nen Gedanken großgezogen An Dante's Geist, Oder getränkt sie Mit Petrarca's schmelzendem Wehmuthslaut. Nicht verstellt es dem Nachgebor'nen Des Ruhmes Pfad mit Standbildern der Vergangenheit, Und wie stolz es auch ist Auf der Vorzeit Größen: Nicht minder stolz und neidlos Blickt es auf den Sohn der Gegenwart. – Ach, wie so anders beschieden es die Götter Dem nordischen Sangesgenossen! Taub bleibt ihm ein Volk von »Denkern«, Das Todte feiert, Um Lebendige einzusargen; Ein Volk, Das seit jeher Am liebsten fremden Klängen gelauscht, An heimischen tadelnd, was es an jenen preis't, Und, schulmeisternd, beständig fordert, Was es, stumpfsinnig, Am Gebotenen nicht erkennt. So, mehr und mehr in sich selbst gedrückt, Verkümmert er, Freudlos einsam, Und lebt – wie sein Geist in ungelesenen Büchern – Ein löschpapierenes Leben. Höchstes Ziel Wonach auch der Mensch Ringe und strebe: Als höchstes Ziel sei stets ihm gewiesen Erkenntniß des eigenen Selbst. Denn so er nicht ermessen kann Seines Wesens Inhalt, Und wie weit er selber Im Guten gehen wird und im Bösen: Was soll die stets geübte Beurtheilung Und Verurtheilung des Nächsten? Und eh' er nicht ganz und voll erkennt, Was nichtig an ihm und verwerflich, So lang er nicht gewahrt die eigenen Schwächen: So lang auch Ist er ein Spielball Thörichter Einbildung und verächtlicher Eitelkeit. Mehr als je Gilt heute noch des Evangeliums Wort Vom Splitter und Balken, Und ringsum zeigt sich, Wie tief in der Menschheit wurzelt Gemeine Selbstverblendung. Aus allen Umhüllungen tritt sie zu Tage: Aus dem Hermelin, Dem Philosophenmantel, Dem Dichtertalar – Aus des Senators Toga Und dem schäbigen Wamms des Volkstribuns. Daher auch noch immer Der Mächtigen Dünkel, Der neidvolle Verläumdungsruf der Schwachen, Das Haßgezänk der Parteien, Die hohlen Phrasen der Weltverbesserer – Und in der Kunst Das eitle Pack der Dilettanten und Kritikaster ... Erkenntniß Seit Ewigkeiten schon Werden ausgesprochen Worte der Wahrheit und Weisheit. Und seit Ewigkeiten auch Werden vernommen sie, Werden aufgeschrieben Und überliefert der Menschheit Als heil'ges Vermächtniß. Aber immer noch Herrschen und walten Wahn und Thorheit. Immer noch Erklärt ein neues Geschlecht Den Irrthum der Vorgebor'nen, Blind jedoch für den eigenen Und taub für den Rufenden in der Wüste. Das bedenke, einsam ringender Geist, Und nicht vertröste dich, Kindisch eitel, Auf das Verständniß der später Urtheilenden. Erkenne vielmehr Des Daseins tiefe Sinnlosigkeit, Und erhabenen Gleichmuths schwebe, Lächelnd, Ueber Vergangenheit, Mitwelt und Nachwelt. An das Glück Ob du auch, Seit jeher abgewendet von mir, Über Würdige und Unwürdige Ausgossest deines Füllhorns Reichthum, Und taub bliebst Für meines Herzens bescheidene Sehnsucht: Dennoch, wahllos spendendes Glück, Sing' ich dir heute des Dankes Hymnus! Denn da du mich preisgabst Den rauhen Mächten des Lebens, Lernt ich es kennen, Und da ich mich, Ohne deines Schutzes Asbestkleid, Ringen mußte durch Irrthum und Schuld, Lernt ich verstehen, verzeihen. Und so entbrennt heute mein Lied Als reinste Naphtaflamme der Mitempfindung – Und nicht als qualmender Docht Im mißduftenden Öle Schnöder Poëtaster-Eitelkeit. Darum auch, gegen mich so karges Glück, Sing' ich dir heute des Dankes Hymnus. An den Tod Grausam bist du, o Tod! Jene, Die unwillig stöhnen Unter des Daseins öder Bleilast, Oder, gehetztem Wilde gleich, Umgetrieben werden von Noth und Drangsal: Jene gehst du vorüber, Tückisch ihnen entschlüpfend, Wenn sie heran dich zwingen wollen – Und ferne bleibst du Jahrelangen Qualen des Siechbetts. Aber Jene, so kräftig dem Glück gebieten In des Lebens Vollgenuß, Oder wie selige Kinder An den bunten Bildern der Welt sich ergötzen: Unerbittlichen Hippenschwungs nieder mähst du sie – Und mit ihnen Muthiges Wollen, Begonnene Thaten und Werke, Lieblichen Frohsinn, Goldene Träume. Und so auch, Verschonst du, Die da athmen Andern zur Qual. Gedeihen lässest du Schnödeste Selbstsucht, Die schwachen Mitgeschöpfen Das Herzblut aussaugt Langsam Als unersättlicher Vampyr. Aber ach! Jene, die unser Glück sind und unser Trost, Raffst du dahin – Und am liebsten schließest du mild blickende Augen. Grausam bist du, o Tod! Palinodie Aber dennoch selig Sind die frühe Verstorbenen! Nur Thorheit beklagt es, Daß sie dahingegangen, Ohne des Daseins Lust und Glück Ausgekostet – Ohne vollbracht zu haben, Was sie hoffnungsvoll angestrebt. Denn unergründlich Ist Menschenschicksal – Und keiner weiß, Was der morgende Tag ihm bringt. Unablässig lauert Unheil, Lauert der Enttäuschung Schmerz Und die Gefahr, schuldig zu werden ... Selig daher, Dreimal selig Sind die frühe Verstorbenen. Miserere! Tausendstimmig Und aber tausendstimmig Klagt und schreit es empor: »Herr, erbarme dich unser! Siehe: Tausendfältig Und aber tausendfältig Drückt des Daseins Noth uns, Zerfleischt uns unerbittlichen Schwunges Des Schmerzes Geißel. Und wenn wir hinsinken Und aushauchen Mit dem letzten Odemzug den letzten Seufzer: Emporgewachsen schon Ist wieder ein Geschlecht Zu gleicher Drangsal, Zu gleicher Noth ... Ende, o ende die Qual – Miserere domine! « Aber ungehört Verhallt der himmelstürmende Aufschrei. Niederscheint gleichgiltig die Sonne, Leben weckend. Befruchtender Regen fällt, Die Saaten grünen, Es blühen die Bäume und tragen Früchte, Und Ernte um Ernte nähret die Qual ... Von Zeit zu Zeit nur, Unerwartet und wie zum Hohn, Sprengen vorüber mit wahllos zerschmetterndem Hufschlag Die apokalyptischen Reiter. Bilder und Gestalten Der Schäfer Wie auch der Tag sich dehne, Auf öder Hügellehne Steht er und blickt in's Land; Er sieht die Sonne steigen Und still sich wieder neigen Bis zu des Himmels Rand. Er sieht den Lenz auf Erden, Er sieht es Sommer werden Und Herbst und Winter auch; Nicht Mittagsgluth, nicht Regen, Nicht Schnee kann ihn bewegen, Noch eis'ger Sturmeshauch. Der Hund an seiner Seite, Daß er die Schafe leite, Kennt seines Rufes Ton; Sonst will kein Wort verlieren, Allein mit seinen Thieren, Der dumpfe Menschensohn. Die Zigeunerin Drängende Hast in wilder Geberde, Gabe heischend mit thierischem Laut, Steht sie vor mir, wie entwachsen der Erde, Daß es in tiefster Seele mir graut. Aus dem Antlitz mit grellem Funkeln Schauen die Augen voll Gier und Trutz, Um die Glieder, die schlanken, dunkeln, Hängt es in Lumpen, starrend von Schmutz. Doch so gewahr' ich strotzende Brüste, Feingeformt wie die schmale Hand, Und durch die Hülle, die lose, wüste, Dämmert der Hüfte schwellender Rand. – Daß er zuletzt noch mit dir versöhne, Brauner Unhold, verfehmtes Weib, Weisest du achtlos in seiner Schöne Sieghaften Zaubers den Menschenleib! Die Kuh Hell schien die Morgensonne. Herbstlich schon, Erquickend strich die Luft durch's weite Thal, Indeß ich, eines Flüßchens Lauf verfolgend, Auf schmalem Fußpfad schritt und frohgemuth Die Blicke schweifen ließ in's Himmelblau Und über Rüben- und Kartoffelfelder, Die weit sich dehnten bis zum dunklen Rande Der fernen Tannenwälder. Links von mir, Auf hohem Damme, liefen an den Schienen Die Stangen hin mit ihren Wunderdrähten, Drauf zwitschernd noch die letzten Schwalben saßen; Ein Wächterhaus, umblüht von Sonnenblumen, Sah nahebei aus dichten Weidenbüschen Gleich einem lieblichen Idyll hervor. Da hört' ich lauten Aufschrei – und gewahrte, Wie eine Kuh aus nied'rem Koben brach – Und hinterdrein, halbwüchsig kaum, ein Mädchen, Das wie in Todesangst den Schweif des Thiers Umklammert hielt, um es am Flieh'n zu hindern. Zu schwach doch war der Ärmsten Kraft; geschleift Auf steilem Abhang, ließ sie endlich los, Dieweil Frau Blässe rasch mit tollen Sätzen Feldeinwärts sprang. Dies Alles war so rasch Gescheh'n, daß ich nicht Hilfe bringen konnte – Und nun trat auch der Wächter selbst hervor, Ein alter, hag'rer Mann, der sich verzweifelt In's graue Haar fuhr, als er schon fernab Die Kuh erblickte durch die Rüben traben. »O du!« rief er in heft'gem Zorn hinab Zur zitternden Gestalt, die sich, vor ihm Am Boden, wimmernd an's zerschund'ne Knie griff: »O du Verfluchte! Dreimal Gottverfluchte! Schärft' ich nicht ein dir, sie mir wohl zu hüten? Ein Bettler bin ich, ärmer als ein Bettler, Wenn sie entläuft! Und kehrte sie auch wieder – Wer zahlt den bösen Schaden auf den Feldern? Und kommt zum Walde sie, trifft sie der Heger – Der ist mir gram und schießt die Bestie nieder! Nun auf! Nun lauf und bring' sie mir zurück – Wenn dir dein Leben lieb ist, Gottverfluchte!« So schrie er wild und mit geballten Fäusten, Nach Odem ringend, in ohnmächt'ger Wuth. Ich selber – rathlos stand ich; wußte nicht, Sollt' ich den Mann begüt'gen – sollt' ich rasch Statt jener armen Kleinen nach der Kuh In Lauf mich setzen – als ich plötzlich sah, Wie diese, gleichsam sich besinnend, anhielt, Dann, leichthin tänzelnd, wie nur Kühe tänzeln, Den Schweif gehoben, sich zur Heimkehr wandte Und munt'ren Brüllens nach dem Koben lief, Den Jammer endend, den sie wachgerufen ... Mir aber war der schöne Tag verdorben. Das erwachende Schloß Der Morgen dämmert. Seine ersten Lichter Erhellen matt und kühl des Parkes Grün. Rings tiefe Stille; leise zwitschernd nur Regt's in den Wipfeln sich, und aus dem Spiegel Des Teiches schnellt ein Silberfisch empor. Mit dicht verhüllten Fenstern lautlos liegt Das Schloß, und in den dunkelnden Gemächern, Vom Schlaf umfangen, liegen die Bewohner. Selbst jene, die der kurzen Sommernacht Langsame Stunden schlummerlos gezählt, Im Seelenaufruhr hin und her sich werfend – Selbst jene hat des Morgens Schauer jetzt Zur Ruh' gebracht ... Noch eine Stunde. Dann ein erster Ruck – Und nach und nach belebt sich dieses Schweigen. Emporgerüttelt aus dem kurzen Schlaf Der Arbeit hat die Pflicht den Dienertroß. Mit unvergnügter Hast geht er an's Tagwerk, Indeß verschlaf'ne Bonnen, leisen Fußes, Vorsorglich seid'nen Kinderbetten nah'n, Und gähnend ihre Brust die träge Amme Dem Säugling reicht, der schon nach ihr gewimmert. Und später dann, von einsam öden Lagern, Aus öden Träumen, heben seufzend sich Empor die Lehrer und die Gouvernanten, Die mit ergrau'nden Häuptern immer noch Als lebende Vocabelntrichter wandeln. Sie schlüpfen rasch in abgenützte Tracht Und blicken in den Hof stumpfsinnig nieder, Wo wiehernd schon die stolzen Rosse stampfen Der stolzen Herren, die mit Sporngeklirr Zum Morgenritt hinab die Treppen eilen. So Jung, wie Alt. Mit leerer Stirn die Einen Und leerem Herzen; And're kühnen Geistes, Die Brust zerwühlt vom Drang der Leidenschaften, Von Herrschsucht, Ehrgeiz, Eifersucht und Haß, Die Brau'n gefaltet und durchfurcht das Antlitz Von Sorgen des Besitzes und der Macht, Von Sorgen, die schon früh die Haare bleichen, Doch auch zum Widerstand die Glieder stählen ... Schon blitzt es gold'ger um das Laub des Parks; Thaufrischer Rosen Duft dringt süß durch Fenster, So man geöffnet leise zur Erquickung Für heiße Stirnen, die auf Spitzenkissen Im Wachen noch fortträumen jene Träume, Wie sie die Frauen träumen ... Allgemach Bewegen weiße Arme sich und Schultern, Und von dem Schnee der Linnen richtet sich In unbelauschter Pracht die Schönheit auf, Hier im Erblühen – dort schon im Verblüh'n. Stets höher steigt die Sonne. Würzig duften Jasmin und Nelke. Heimgekehrt, erhitzt, Ist schon die Reiterschaar. Einladend blinken Unter Platanenwipfeln Silberkannen, Von holden Lippen tönen Morgengrüße, Es strecken zarte Hände sich entgegen Zum Druck und Kuß; von Stimmen wird es laut, Es klirren Tassen – und nun rollt der Tag Durch jedes Leben dieser Welt im Kleinen, Der Tag mit seinem Schicksal – bis sich wieder Zum Schlummer sanft das letzte Aug' geschlossen. Die Wandertruppe Ja, das ist die alte Truppe, Wie sie stets im Elend glänzt, Und die alte Bettelsuppe Wird dem Städtchen heut' kredenzt. Freilich nicht mehr mit Fanfaren, Bunt, wie einstens, aufgeschmückt; Denn es ist der Thespiskarren Mit den Zeiten vorgerückt. Ritterschauspiel und Tragödie Gelten längst als abgeschmackt; Sittenbild, Salonkomödie Geben sie jetzt, schwarzbefrackt. Riß der Held mit Donnergrollen Früher die Coulissen um: Denkt er heute seine Rollen, Und am liebsten spielt er stumm. Höchstens, daß er noch im Stillen Seinen Posa memorirt Und des Dänenprinzen Grillen Vor dem Spiegel einstudirt. In verblaßtem Modeflitter Geh'n die Dämchen öd' umher – Süße Kunst, wie bist du bitter, Hilft uns Amor nimmermehr! Dichter, schreibt uns Messalinen, Denn die wären unser Fach – Nichts von Außen, nichts von Innen, Sprechen dem Souffleur sie nach. So mit seelischen Problemen, Unnatürlich und verzwickt, Mit geschraubten Modethemen Wird das Publikum erquickt. Und das gute harrt geduldig Bis zum Fall des Vorhangs aus – Bleibt es auch den Beifall schuldig: Geht's doch »angeregt« nach Haus. Das junge Weib Da ging ich jüngsthin durch ein armes Dorf; Verfall'ne Hütten, breitgetret'ne Gossen, Durch welche, spülend an der Erde Schorf, Im Sonnenbrande seichte Wasser flossen. Und in dem einen sah ich hochgeschürzt, Den festgebund'nen Säugling auf dem Rücken, Ein junges Weib stehn, malerisch verkürzt Den kräft'gen Leib bei tiefem Niederbücken. Ein Pfännlein wusch sie in der trüben Fluth, Ein Pfännlein, d'rin sie erst gekocht das Essen, Und sang ein Lied dabei mit frischem Muth – Das Kindchen aber schlummerte indessen. Bei meinem Nahen hob sie rasch das Haupt Und sah mich an mit Augen, hellen, braunen, Als wollt' sie fragen: »Herr, wenn ihr erlaubt, Was habt ihr denn so groß mich anzustaunen?« »Ich bin ein Weib – darum auch Magd und Amme, Wie Städterfrau'n kann ich mich nicht erhöh'n; Mein Mann ist arm, wir sind von nied'rem Stamme, Doch bin ich froh – und, wie ihr seht, auch schön!« Sie schlug in's Wasser, daß es sie umsprang; Behend dann lösend ihres Haares Strähne, Wusch sie ihr Antlitz, lachte, daß es klang, Und wies dabei mir ihre weißen Zähne. Ich aber ging, zu jähem Schmerz erregt, So wie berührt an einer off'nen Wunde, Die heute noch gar Mancher schweigend trägt In seines Herzens tiefgeheimstem Grunde. Das alte Ehepaar Wie in Gedanken, unaussprechlich, Gehen Arm in Arm sie einher; Sie noch aufrecht, wenn auch gebrechlich, Tief gebeugt und gebrochen er . Schwer belastet mit Sammt und Seide, Wankt ihr vornehm hagerer Leib Und es blinkt ihr gold'nes Geschmeide – Ja, sie war einst ein schönes Weib! Wie im Nachglanz sieghafter Stunden Flammt noch zuweilen ihr dunkler Blick – Er doch – er hat längst überwunden, Schlaff ergeben in sein Geschick. Ach, was liegt nicht Alles dazwischen, Seit die Beiden gewesen jung; Wenn sie könnten, sie möchten's verwischen Gern in ihrer Erinnerung. Halbes Finden im ersten Genusse, Launen des Hochmuths, der Eitelkeit – Höhnender Treubruch und seine Buße, Böse Jahre voll Haß und Streit. Von der Natur auseinander getrieben, Aber durch »Rücksicht« immer vereint, Lernten sie kaum ihre Kinder lieben, Die oft im Stillen darüber geweint. Dennoch sich täglich in's Auge zu blicken, Hatten die Beiden sich mälig gewöhnt – Und nun hat, nach all' den Geschicken, Sie noch zuletzt das Alter versöhnt. Wenn auch spät – sie hat es empfunden: »Ach, er war doch edel und gut!« Und er denkt mit vernarbten Wunden: »Ach, sie hatte nur heißes Blut!« Und sie lächelt, wenn er beflissen Ihr den Shawl, die Mantille trägt, Und er lächelt, wenn sie die Kissen Abends sorglich zurecht ihm legt ... Wie in Gedanken, unaussprechlich, Gehen Arm in Arm sie einher, Sie noch aufrecht, wenn auch gebrechlich, Tief gebeugt und gebrochen er . Kirchenbild Die Kirche dämmert. Doch ihr Diener wacht – Als Gabensammler naht er wie gerufen, Gleichmüthig und mit Schritten, träg und sacht, Dem Weibe dort auf kühlen Marmorstufen. Der Säugling ruht an ihrer welken Brust, Ihr bleiches Antlitz ist des Kummers Zeichen – Und dennoch will sie, herber Noth bewußt, Der Kirche gläubig eine Gabe reichen. Schon hält der Sammler ihr die Büchse hin, Und da die Münze klirrt zu and'ren Stücken, So kehrt er auch der frommen Spenderin Gleichmüthig wieder seinen feisten Rücken. Sie aber denkt mit wehmuthsvollem Blick An ihres todten Gatten arme Seele, Und wie sie jetzt ihr eigenes Geschick Und das des Kindes Gott dem Herrn empfehle. Sancta simplicitas! Ergreifend Bild Von Erdenweh' und tiefem Himmelsahnen – Du willst mich bitter – und doch sanft und mild An dieses Lebens ew'gen Zwiespalt mahnen! Das letzte Kind »Ha, nun ist es schon das achte, Das sich meinem Schooß entringt, Weil der Mann, der unbedachte, Stets im Rausch mich wieder zwingt.« »Hungern müssen längst die andern, Denn dahin sind Feld und Kuh – Und wir können bettelnd wandern, Kommt dies letzte noch hinzu.« »Säug' ich's auf an welken Brüsten, Fehlt mir selbst des Taglohns Brot – Und wie soll das Zeug ich rüsten? – Wäre doch der Balg gleich todt!« Ungehört und ungesehen Ruft's im öden Stall ein Weib, Greift, bedrängt von raschen Wehen, In den schmerzgesprengten Leib. Mit der Hand, der schwielig rauhen, Faßt sie hart, was sie verflucht – Und stumpfsinnig, ohne Grauen Schaut sie die entseelte Frucht. Hastig jetzt aus morschen Schindeln, Die dort in der Ecke ruh'n, Zimmert sie – das spart die Windeln – Gleich die winzigste der Truh'n. Auf der Bank in dumpfer Stube Wird der Wurm dann ausgestellt; Sei's ein Mädchen, sei's ein Bube – Kam er doch schon kalt zur Welt! Schüttelt auch den Kopf der Bader, Schreibt er dennoch seinen Schein; Gern umgeht er Streit und Hader – Und man gräbt das Särglein ein. Die Amerikanerin Die Guitarr' am rothen Bande Hältst du lässig auf dem Schooße, Und es lauscht dem fremden Gaste Die Gesellschaft voll Entzücken. Mit der kleinen, feinen Stimme Singst du kleine Chansonnetten, Lieblich klingt's wie Meisenzwitschern – Aber deine Augen funkeln. Und es geht nervöses Zucken Durch den Leib, den hektisch schlanken – Traun, in diesem zarten Busen Wohnen große Leidenschaften! Freilich auch gar klug gezügelt Überseeischen Verstandes, Wie bei jenen Doppelwesen, Die Bret Harte uns hat geschildert: Treulos, dem Gewinn ergeben, Kalt und schlangenhaft geschmeidig – Doch wie Dynamit zerstörend, Wenn sie hassen – oder lieben. Ja, die Luft der Cordilleren Weht um deinen dunklen Scheitel, Und es blitzt dein Halsgeschmeide Wie das Gold von San Francisco! Die alternde Magd Aus des Dorfes weitem, stillem Platze – Sonntag ist es und die Arbeit ruht – Gehen plaudernd, Arm in Arm geschlungen, Mägde auf und ab in vollem Staat. Weithin rauschen die gesteiften Röcke, Hörbar knarrt der ungewohnte Schuh; Fröhlich wiegen sich die prallen Leiber Schon im Vorgefühl der Tanzmusik. Schönheit ist es nicht, doch Kraft und Jugend, Was sie harmlos tragen hier zur Schau, Und in hellster Lebensfreude strahlen Ihre derben Wangen, roth und rund. Eine doch, im Antlitz fahl'ren Schimmer, Hält sich abseits in des Hauses Flur; Dünn ist ihres Haares braune Flechte, Fältchen spielen schon um Aug' und Mund. Leicht geschmückt mit einem bunten Tuche, Einte sie sich gern der jüng'ren Schaar; Doch sie wird von Schaam zurückgehalten, Denn sie fühlt es, ihre Zeit ist um. Dennoch scheint sie eines Winks zu harren, Eines Wortes, das herbei sie ruft – Von den Andern aber merkt es keine, Wie ihr Blick in scheuer Sehnsucht brennt. Horch! Da tönen Geigen, Clarinetten – Rasch hinüber nach des Wirthes Saal! Dort, erwartungsvoll, die Pfeif' im Munde, Steh'n die Bursche schon zur Wahl bereit ... Sie allein ist still zurückgeblieben; Auf die öde Schwelle tritt sie jetzt, Lauscht gedankenvoll den hellen Klängen Und des Tanzes wuchtig frohem Lärm. Endlich geht sie, langsam ab sich wendend; Niedersitzt sie an des Herdes Rand, Und hinab zum kalten Stein des Estrichs Rollen ihre Thränen heiß und stumm. Die Post-Elevin Am öden Schalter sitzest du Bei grellem Lampenscheine; Die Federn liegen rings in Ruh' – Nur emsig schreibt die deine. Und wie ich trete jetzt heran, Hebst du die Stirn, die bleiche, Und fast erschrocken nimmst du dann Den Brief, den ich dir reiche. Und rasch umglüht dein Angesicht Ein fliegendes Erröthen – Doch ist es deines Amtes Pflicht, Solch' holde Schaam zu tödten. Dennoch, wie du den Schein mir schreibst, Seh' ich die Finger beben, Und ob du abgewandt mir bleibst, Die zarte Brust sich heben. Nein, jenen Schwestern gleichst du nicht, Die mit verschnitt'nen Haaren Und Brillen vor dem Angesicht Sich zum Erwerben schaaren. Du fühlst, ich ahn' es, tief den Bruch, Der sich im Weib vollzogen, Und siehst dich mit dem Contobuch Um's beste Theil betrogen. In dieser harten Tage Lauf Gilt Nutzen nur und Nützen – Dir geh' ein and'rer Himmel auf Und möge dich beschützen! Stella Es öffnen sich die hohen Flügelthüren Und göttlich lächelnd trittst du in den Saal; Bei deinem Nah'n ist süßer Hauch zu spüren Und funkeln sieht man deines Auges Strahl. Und Alles beugt entzückt sich vor dir nieder – Ja, deine Schönheit, sie ist wunderbar! Wo fand man jemals solchen Reiz der Glieder, Solch lichtes Antlitz – und so dunkles Haar? Und lauschend hangt man jetzt an deinem Munde – Wie inhaltsvoll erklingt ein jedes Wort! Nichts scheint dir fremd auf diesem Erdenrunde, Erschlossen ist dir selbst der Weisheit Hort. Was Künstler schufen und Poëten sangen, Es hat hell leuchtend sich dir eingeprägt; Dein Athmen ist ein zitterndes Verlangen Nach Allem, was im Geiste Wurzel schlägt. Und dennoch – rings gefeiert lauten Preises, Erfüllst du mich mit einem bitt'ren Schmerz; Denn sieh', ich ahn' es – besser noch, ich weiß es: Es schlägt in deiner zarten Brust kein Herz. Aus Hirn und Nerven bloß besteht dein Wesen, Es ist dein Blut nur »ein besond'rer Saft«; Es giebt kein Buch, in dem du nicht gelesen – Doch fehlt die Tiefe dir der Leidenschaft. Zwar spricht man auch von deinen heißen Sinnen, Von diesem und von jenem Seelenkampf – Ich aber kenne dieses irre Minnen, Ekstase halb, halb ungestümer Krampf. Bei jenes Meisters »Tristan und Isolde« Wirst in geheimster Fiber du erregt, Indeß dich nie mit seinem laut'ren Golde Ein schlicht empfund'nes Manneswort bewegt. Vergieb! Kein Vorwurf liegt in diesen Worten; Du bist die ächte Tochter deiner Zeit – Der Zeit, die eines neuen Daseins Pforten Erschlossen hat, mit der Natur im Streit. Wohin sie führt, die ungeduldig schnelle, Ich weiß es nicht – verschleiert liegt die Bahn; Du aber stehst bereits an ihrer Schwelle Und leuchtest strahlend, wie ein Stern, voran! Der Eisenbahnzug Von des Dampf's Gewölk umflogen, Braust heran der lange Zug, Immer mächt'ger fortgezogen, G'radhin, dann in weitem Bug. Abgetheilt nach Wagenklassen, Müde von der Reise Qual, Schau'n die Menschen, stumpf gelassen Durch die Fenster, eng und schmal. Aber frei auf der Maschine, Lenkend sie mit sich'rer Hand, Blickt der Führer, ernster Miene, Drohend fast in's grüne Land: »Lange Jahre, lange Jahre, Wettertrotzend, karg gelohnt, Hab' ich, daß das Volk hier fahre, Stumm des Mammons Macht gefrohnt. Daß ein Jeder mag erreichen Seine Ziele nah und fern, Spornt' ich diese Eisenweichen – Ich der Diener, ihr die Herrn. Doch vielleicht erfüllt schon morgen, Morgen sich die große Zeit, Die da enden wird die Sorgen Einer schnöden Dienstbarkeit; Wo nicht mehr um dürft'ge Groschen Willig findet sich ein Knecht, Und des Darbens Pein erloschen In des Allgenusses Recht. Und so fahrt nur hin, geborgen Noch in ahnungsloser Ruh' –: Lenk' ich euch von heut' auf morgen, Doch schon meinen Zielen zu!« Proles Es war im frühen Lenz. Hell schien die Sonne, Beleuchtend warm das zarte junge Grün; Ein Zittern rings, ein Athmen still in Wonne – Und duft'ger Veilchen tief verborg'nes Blüh'n. Ich hatte froh genützt den holden Morgen Zu einem Gang in's weit gedehnte Land – Nun kehrt' ich wieder zu den alten Sorgen, Zur Stadt zurück längs eines Baches Rand. Die ersten Häuser! Fast schon im Verfallen, Obgleich man sie erst kürzlich aufgebaut! Aus hohen Schloten sah ich's düster wallen Und hörte der Fabriken Arbeitslaut. O welche Luft, beklemmend und mephitisch, Da schon mein Fuß die Gassen jetzt beschritt! Halbnackte Kinder, blutleer und rhachitisch Vor jeder Schwelle und bei jedem Tritt! Und Buden rechts und links mit schlechten Waaren, Auf die selbst Hunger nur mit Ekel trifft; Zahlreiche Schenken für verkomm'ne Schaaren, Die sich betäuben mit des Branntweins Gift. Dazwischen ödes kleines Handwerktreiben In nied'ren Erdgeschossen, feucht und dumpf – Und hin und wieder, glotzend durch die Scheiben, Siechthum und Müßiggang, verthiert und stumpf. Und Weiber auch mit einem bitterbösen Und harten Blick – doch lüstern frech zugleich; Sie sah'n mich an wie Zukunftspetroleusen, Vom Elend – und von jedem Laster bleich ... Ich schauderte. Das bischen Frühlingswonne, Das ich so gerne mit mir heimgebracht, Ging unter wie ein irrer Strahl der Sonne, Der sich verliert in Dämmerung und Nacht. In memoriam Dem Großherzog Karl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach Mit meinem Trauerspiel »Die beiden de Witt«. Vorüber ist der Dichtung Morgenröthe, Vorüber ist die schöne, große Zeit, Da an dem Hof von Weimar Schiller, Goethe Gelebt, gewirkt in ihrer Herrlichkeit. Wir And'ren, die da leben jetzt und ringen, Wir können nur der Abglanz Jener sein – Und doch, was wir aus tiefstem Herzen bringen, Ist mehr als ächten Wesens bloßer Schein. So auch dies Buch, o Herr! Zu streng nicht richte; Vielleicht, daß es dir gänzlich nicht mißfällt: Ein treues Bild entrollt's aus der Geschichte – Warum nicht auch ein Spiegelbild der Welt? An ein edles junges Brüderpaar Seh' ich euch so vor mir Erblühen in Jünglingskraft, Segn' ich euch tief im Herzen, Still eu're Zukunft bedenkend. Reich hat Natur euch begnadet. Sie gab euch des Leibes Wohlgestalt, Gab euch bildsam den Geist Und empfänglich das Herz. Und auch das Leben trat für euch ein. Hingestellt hat es euch Vorweg auf seine höchsten und frei'sten Höh'n, Wo ihr, Mühelos Und unberührt von Gemeinem, Entfalten könnt, Was ein Gott in euch gelegt. Aber gefährlich auch ist die Luft der Höh'n. Das bedenkt – und bewahrt euch Groß den Sinn, Auf daß niemals Die Wolke der Selbstsucht Euch trübe den klaren Blick, Niemals kleinliche Rücksicht Des Gedankens Fittig, Die Arme der That euch lähme – Und ihr auch haltet, Was ihr versprecht Dem ahnungsvollen Geiste des Dichters. Widmung meiner Novelle »Die Steinklopfer« (an Frau Josephine von Wertheimstein). Dir, die du die Armuth kennst Und des Darbens Qual – Nicht weil du sie selbst erlitten, Sondern weil du Mit sehendem Aug' Und fühlendem Herzen Sie bei And'ren wahrnimmst Und linderst tausendfach; Und weil du, Wenn es fruchtete, Dem Pelikan gleich, Die Brust dir öffnen würdest, Um mit dem eigenen Warmen Blut Die darbende Menschheit zu letzen: Dir sei dies Büchlein geweiht – Dies Büchlein Menschlicher Noth, Menschlichen Kummers, Menschlichen Duldens: Ein Büchlein, Das ein Dichter schrieb, Der in allem Diesen Wohlgeübt ist. Nachruf Ich nenn' dich nicht. Wozu auch? Wer dich kannte, Der weiß, wem diese Trauerrhythmen gelten – Und wer dich nicht gekannt, wem bloß dein Name Entgegenklang im wirren Lärm des Tages, Dem sei genug das ernste Dichterwort: Daß du ein edler, selt'ner Mensch gewesen. Noch in des Lebens Aufgang standest du, Der Jugend ros'ger Hauch umwehte dich, Und was das Dasein bieten kann an Glanz, An Freuden und Genüssen – lag verheißend, Verlockend und erreichbar vor dir da. Du aber nipptest kaum am Rand des Bechers, Der dir entgegen schäumte, während du, Selbstlos, die reine Seele rein bewahrend, Und früh schon ernsten Pflichten zugewendet, Nur still bedacht warst, And're zu beglücken. Nicht bloß die Nächsten! Nicht die Theu'ren bloß, Die dir im tiefsten Sein verknüpft gewesen Durch Bande der Natur; nicht bloß die Freunde, Die du mit zartem, treuem Sinn erkoren: Nein, Jeden , den dein mildes Auge traf Im harten Kampf des Lebens um dich her. Denn wie dein Geist, tief innig im Verständniß, Jedwedes Leid ermaß – und jedes Ziel, Nach dem die Menschheit, sich vollendend, ringt: So war dein Herz, tief innig im Empfinden, Auch jener Güte, jener Liebe voll, Die Thränen trocknet und den Dank erläßt. D'rum als du still und sanft gebettet lagst Zum ew'gen Schlaf, von Kerzen leis' umflackert, Und heiße Thränen flossen um dich her: Da fühlte Jeder, der zum letzten Mal Stumm in dein bleiches, schönes Antlitz sah, Was diese rauhe Welt an dir verlor – Und nicht zu fassen war es, daß der Tod Gedankenlos und grausam solch ein Leben Vernichten konnte, eh' es sich erfüllt ... Ich nenn' dich nicht. Wozu auch? Wer dich kannte Der weiß, wem diese Trauerrhythmen gelten – Und wer dich nicht gekannt, wem bloß dein Name Entgegenklang im wirren Lärm des Tages, Dem sei genug das ernste Dichterwort: Daß du ein edler, selt'ner Mensch gewesen. An *** Was über mich auch And're mögen sagen, Ob du dir selbst gefällst in falschen Schlüssen: Was du verbrachst an mir in früh'ren Tagen, Wirst du zuletzt dir doch gestehen müssen. Du weißt, nie hat ein irdisches Verlangen Getrübt mein reines, laut'res Deingedenken; Ich war begnügt, an deinem Blick zu hangen Und tief mich in dein Wesen zu versenken. Nie hab' ich – selbst in Träumen nicht, in leisen – Gehofft, jemals von dir geliebt zu werden; In Wort und Liedern aber mocht' ich's preisen, Daß du als Weib mir einzig schienst auf Erden. Nicht daß ich dich geseh'n ganz ohne Fehle – Bewundert hab' ich nie die allzu Reinen: Doch glaubt' ich dich von jenem Schwung der Seele, Dem ewig fremd die Kniffe der Gemeinen. Von jenem Stolze glaubt' ich dich durchlodert, Von jenem Wahrheitsmuth, der im Erkennen – Ob auch mit Schmerz – wenn es die Stunde fodert, Verdammen kann, was wir das Liebste nennen. Die Stunde kam – du hast dich nicht erwiesen; Du stand'st zu Jenen, die mich schnöd' verrathen Und dann mit Hohn in meine Schmerzen bliesen Und meine Wunden noch mit Füßen traten. Du stand'st zu ihnen, weil dich Pflicht und Liebe An sie gefesselt hielt – wer möcht' es tadeln? Doch mußtest du, zu solchem Herzenstriebe, Dich willig selbst verblenden und entadeln. Es ist vorbei. Vernarbt sind meine Wunden, Längst ward mir auch Vergeltung schon geboten – Doch heut' noch wird der Schmerz von mir empfunden, Daß ich dich werfen mußte zu den Todten. Dem Andenken meiner Mutter (1882.) Zehn Jahre sind es heut' – zehn lange Jahre, Da lagst du hingestreckt auf dunkler Bahre, Das Antlitz fahl, das helle Aug' geschlossen, D'raus mir der Liebe reinster Strahl geflossen. Du wiesest nicht den sanften Glanz der Ruhe, Der Todte oft verklärt in ihrer Truhe; Ein herber Ernst verschärfte deine Züge Und deiner Lippen marmor'nes Gefüge. Der Ernst des Schmerzes war's, den du getragen In deiner Seele bis zu alten Tagen – Des Duldens Ernst, den du, mich nicht zu schrecken, Stets in ein Lächeln wußtest zu verstecken. Mir aber blieb nicht fremd, was du gelitten, Ich sah es klar, wie schweigend du gestritten – Mußt' ich doch selbst in deinen Lebenszeiten Dir stets das allertiefste Weh' bereiten. Hingehen sahst du mich auf steilen Bahnen; Wohin sie führten, konntest du wohl ahnen, Es blieb dein Geist dem meinen nicht verschlossen – Wie wär' ich sonst auch deinem Schooß entsprossen? Doch wußte diese Welt an bangen Zweifeln Gar viele dir in Herz und Sinn zu träufeln; Sie wußte deinen Stolz dir zu verbittern Und ließ dich für das Heil des Sohnes zittern. Wer weiß es nicht, wie schlaue Tröpfe malen Die Nichtigkeit von allen Idealen – Wie hoch dem Neid stets ferne Ziele gelten, Um die erreichten als ein Nichts zu schelten. Wer kennt sie nicht, des falschen Mitleids Wärme, Daß der Getroffene sich tiefer härme – Nicht jenen frechen Muth, der unerschrocken Dem Guten Schlechtes vorzieht mit Frohlocken. Wer kennt es nicht, dies stumme Achselzucken, Dies niederträchtig harte Lobverschlucken, Dies Schweigen, wenn man nicht mehr kann verneinen, Auf's neue stets bereit zum Wurf mit Steinen. Dies Alles mußtest du gleich mir ertragen, Und oft im Inn'ren wolltest du verzagen; Denn leicht nicht konnt' ich meine Kraft entfalten, Und fast schon schien's: sie würden Recht behalten. Und das auch war's, was dir in letzter Stunde Als scheuer Seufzer klang aus bleichem Munde – Das war es, was verschärfte deine Züge Und deiner Lippen marmor'nes Gefüge. Das war es, was mit schmerzlichem Erkennen Ich selber fühlte in der Brust mir brennen, Als ich gebrochen, stumm und ohne Zähre An deiner Leiche blickte wie in's Leere. Und heute noch fühl' ich es brennen leise, Da ich geblickt schon nach dem höchsten Preise – Und eines Kranzes spät erworb'nen Segen Bei deinem Grabe still kann niederlegen. Melanie Seit du von mir für immer bist gegangen Und einsam ist mein Tag und meine Nacht, Seh' ich dich oft im Traum mit bleichen Wangen, Das dunkle Aug' in düst'rem Schmerz entfacht. Du trittst herein in das verwais'te Zimmer Und siehst, wie fremd, mit langem Blick dich um – Und still verklärt von geisterhaftem Schimmer, Willst du dann wieder gehen, ernst und stumm. O bleibe! ruf' ich aus mit bangem Schauer – Wohin, eh' noch dein Mund den Gruß mir bot? Da schüttelst du das Haupt mit tiefer Trauer: Du weißt es ja, so sprichst du, ich bin todt. Ich aber d'rauf: Und bist du auch gestorben, Wir können dennoch bei einander sein; Wir hatten unser Glück so schwer erworben – Ich laß' dich nicht, und fürder bist du mein! Du schaltest nach wie vor im kleinen Hause, Das du betreut mit sorglich lieber Hand – Belebst und schmückst, wie sonst, des Dichters Klause, Den keine Seele je wie du verstand. Und wieder sitzen wir beim schlichten Mahle, Die Bissen reichend uns'rem treuen Hund, Und wandeln dann begnügt im Abendstrahle Mit sanften Schritten durch des Gartens Rund! – Da bebst du auf in seligem Entzücken, Dein Angesicht färbt leiser Röthe Schein – Doch wie ich jetzt dich an mein Herz will drücken, Erwach' ich auch im Dunkel – und allein ... Und dennoch, sieh': muß auch der Traum zerstieben, Er kündet mir geheime Wirklichkeit; Was da gescheh'n: wir sind vereint geblieben, Und scheinbar nur hat uns der Tod entzweit. Wenngleich dein Irdisches zu Staub vermodert, Ich weiß es, daß dein Geist mich stets umschwebt; Von jener Flamme, die in dir gelodert, Fühl' ich für immer mir das Herz durchbebt. Was mit den Jahren wir erlebt, erstritten, Zu festem Kitte ward es allgemach – Wir wurden Eins durch das, was wir erlitten In dieser Welt, die viel an uns verbrach. Und hier am Schlusse dieser Liederreihe – Ach, so vertraut dir einst in Ton und Wort – Empfängt erst unser Bund die letzte Weihe: So lang sie leben, lebst du mit mir fort! Blansko, im Februar 1885.