Der singent schuster zu Lübeck In der saurweis Hans Vogels. 12. februar 1552. 1. Ein burger zu Lübeck geseßen, ein alt man, het kein kint mit seinem weibe, iedoch ser reich am gute – Burkhardus Waldis schreibe – Der war karg mit trinken und eßen und leget gar kein unkost an sein leibe, mit ganz traurigem mute er all sein zeit vertreibe. Bei im ein schuster saße, gar arm an gut, der doch ganz frölich wase, er sung bei tag und auch bei nachte, auch het er gar vil kinder, er arbeit hart, war frölich nichts dest minder. der reich het darauf achte, lud in auf ein suntage; als sie aßen, tet im der reich ein frage, wie er so frölich wer, weil in doch teglich drung armut und arbeit schwer. 2. Der schuster tet im antwort geben: »da hab ich gar wenig guts zu versorgen, mir kan niemant nichts nemen, weder rauber noch diebe. Darum so tu ich sicher leben, arbeit frölich den abend als den morgen, tu um kein gut mich gremen, hab weib und kinder liebe, Die ich hin bring mit eren; gwin ich nicht vil, tu ich dest ringer zeren. got lob, das ich bin frisch und gsunde und laß mich auch benügen an dem was mir got teglich ist zufügen.« als der reich hört den grunde, tet er, seins guts zu denken, dem armen schuster hundert gulden schenken, das er sich nert dest baß mit weib und kint, darob er hoch erfreuet was. 3. Als der schuster das gelt heimbrachte, dacht er, wie er das selb möcht wol anlegen, das er mer möcht gewinnen, wurt geitig über maßen, Lag ungschlafen die ganze nachte mit mancherlei heimlich großen anschlegen und wuchert mit den sinnen; seines singens vergaße, Nit mer wart frölich ere und ging auch traurig auf der gaßen here, kein ru het er in seinem herzen; er dacht: »mir bringt das geld unru und schmerzen«, lief hin, tet wider bringen dem reichen man sein gute, wolt lieber, wie vor, leben in armute, sicher und frölich singen, dan wie ein tor und stum sein traurig, iemer zu leben in dem reichtum.