51. Andenken an die Abwesenden Wenn sich durch der Entfernung dichten Schleier Uns euer Bild, ihr Trautesten, enthüllt, Und unser Blick, gesenkt zu stiller Feier, Wie Tau zerfließt, der dunkle Blumen füllt – Wie beim Verstummen der entlegnen Leier Ein Klang aus gleichgestimmten Saiten quillt, Erhallt im Busen uns mit geist'gem Laute Das Wort, das euer Herz uns einst vertraute. Doch dämmernd, wie durch vorgesunkne Flöre, Ein magisches, verblichnes Luftgesicht, Zu zart, daß es den Sinnen angehöre, Schwimmt euer Blick in der Erinn'rung Licht. So hinter Wolken hellt die Atmosphäre Der Mond; man sieht den Schein, sein Antlitz nicht, Und wähnt, sein Schimmer zittre auf den Wellen, Die des Entschwundnen Blicke noch erhellen. Um unsern Sinn in Prüfungsglut zu läutern, Reißt das Geschick uns oft von Freundes Hand; Da, wo die fremden Flächen sich erweitern, Zieht Sehnsucht enger noch ihr Seelenband; Nur Schatten des Vergangnen zu Begleitern, Durchwandelt Psyche der Verbannung Land, Daß die Verlaßne, tief in öder Ferne, Die Liebe zu dem Unsichtbaren lerne. Sieh, Amor hat sich ihrem Blick entzogen, Denn ihm gebot des Schicksals ernster Schluß, Doch unsichtbar zieht er mit ihr, den Bogen Zum Schuß gespannt – ein mildrer Genius; Ihr Leitgestirn bleibt auch durch Sturm und Wogen Des Gottes Fackel; rein wie Geisterkuß Umweht sein Hauch ihr kühlend Stirn und Wangen, Und übersinnlich glüht nun ihr Verlangen. Auch jene Schatten, die uns treu geleiten, Wo unser Pfad in Wüsten sich verwebt, Sind rein, gleich den von Erdenstoff Befreiten, Sind lauter Geist, an dem kein Staub mehr klebt. Hier lernt man unsrer Sehnsucht Zweck zu deuten, Die stets der engen Gegenwart entstrebt; So lang des Daseins Dämm'rungsstunden währen, Kann nur Entferntes sich für uns verklären. Oft, wenn der Trennung Seelenwunden bluten, Wenn Sorglichkeit und Ahnung uns bedrängt, Weil nur noch von entflohenen Minuten Die Gegenwart den dürft'gen Trost empfängt – Ach! nur ein ungesichertes Vermuten, Was jetzt das Schicksal über sie verhängt, Ein Echo, hergeweht aus ihrem Leben, Kann nur von dem Vergangnen Kunde geben. Kann Sehnsucht nie der Seelen Kraft erhöhen? Wenn reines Streben unsern Geist erhebt, Verkündet oft ein ahnungsvolles Wehen, Daß ein verwandtes Wesen uns umschwebt. Auch Amor braucht das Äußre nicht zu sehen, Ein Bild genügt, das tief im Herzen lebt; Ein Traum von den Geliebten, kurz und flüchtig, Ist schönen Seelen immer süß und wichtig. Aus Morgentau und Blütenkelchen ziehen Die Bienen ihre zarte, süße Kost; Auch Sehnsucht hängt am Kelch der Phantasieen Und saugt aus Thränentau den süßen Trost; Die Blumen, aus der Geisterwelt entliehen, Versenget nie des kalten Daseins Frost; Erinn'rung malt ihr, wie auf klaren Teichen, Ein hold'res Bild als das, was wir erreichen. Das Schönste, was hienieden uns erscheinet, Ist immer noch mit rohem Stoff verwebt. Ihr, die nach dem, was ewig uns vereinet, Nach Freundschaft, die unendlich dauert, strebt, Nach einem Wiederfinden all' der Seinen, Die man vor uns und einst nach uns begräbt, Durchdringt die Wolke, die das Grab umdüstert: Die Edeln bleiben ewig sich verschwistert. Getrost! es hüllt, wie Duft die niedern Auen, Auch unser Herz noch oft der Schwermut Flor; Der Hoffnung Glanz im nassen Auge, schauen Wir zu des ew'gen Aufgangs Höh' empor; Hoch über Sternen kennet das Vertrauen Den Sammelplatz des, was sich hier verlor; Nichts trennt die Geister – Eine hehre Halle, Die Welt des Herrn, faßt und umfängt uns alle.