60. Noahs Taube Eine Parabel. Eh' Noah seine Taube sandte, Das Glaubensland, das unbekannte, Zu suchen durch das weite Meer, Versucht' er es mit einem Raben Von anerkannten Spähergaben; Doch, dessen Flug sank tief und schwer. – »Nun, wenn es dem Verstand des alten Erfahr'nen Forschers nicht gelingt, Sich in der Höhe zu erhalten, Wo erst der Blick zum Ziele dringt, So mag der kühne Falke fliegen! Sein Auge blicket scharf und hell; Er weiß, wie Schein und Ahnung trügen; Sein Kopf ist der Erkenntnis Quell.« – Hoch schwang sich der in engen Kreisen, Verglich, bezweifelt', dachte frei – Und kehrte bald, um zu beweisen, Land hoffen wäre Schwärmerei. Der Kranich war nun angegangen, Man hoffte auf sein Ahnungslicht; Durch Wolken trieb ihn das Verlangen, Jedoch Gewißheit bracht' er nicht. Nun stieg die Not, und Thränen flossen, Der Schwache fing zu zweifeln an; Da stieg bescheiden, doch entschlossen, Ein Täubchen auf zur Himmelsbahn. Es flog, zu retten die Genossen Von Not und glaubenslosem Wahn; Es prüft' und forscht' in düstern Tagen, Und sah dann Land im Morgenrot, Und jenen stillen Ölbaum ragen, Der Zweige ew'gen Friedens bot. – Die fromme Zeugin kehrte wieder, Empfangen nun mit Jubelgruß, Und legte still ihr Zweiglein nieder, Mit Demut an des Altars Fuß. Der Falke mit verbiss'nem Schnabel, Von kaltem Wisserstolz gebläht, Verhöhnt die Botschaft dreist als Fabel, Der Kranich seufzt, der Rabe schmäht. Doch Noahs Blick gebeut zu schweigen Und heißt das fromme Täubchen nah'n: »Seht, Reine wählt der Herr zu Zeugen, Und zeigt der Demut seine Bahn! Wollt ihr das Land des Glaubens schau'n, So lernt Gehorsam und Vertrau'n!«