61. Gesang an die Melodie Melodie! du Laut aus höherm Leben! Deiner Ätherschwingen reinstes Streben Würde zum Unendlichen sich heben; Doch ein Schall, der flüchtige, vertönt, Hallt kein beßrer Wohllaut uns von innen, Der, was hier verklang an äußern Sinnen, Dauernder zum Geistigen verschönt! Durch des Lebens Kränz' und seine Flittern Stürmt das Schicksal oft aus Nachtgewittern, Und die bang' verscheuchten Tön' erzittern, Wie verwehter Freuden Blütenhauch. Alles Schöne muß verblüht entschweben; Die Empfindung flieht, es flieht das Leben, Und des Wohllauts Strom entrinnet auch. Soll die Fülle seiner Harmonieen Leuchtend durch des Lebens Thale ziehen, Darf die Glut der Rührung nie verglühen, Die der Geister Sonn' auf ihn ergoß. Wie vom Engel, der die Wolken teilte, Spät noch Licht auf jenem Teiche weilte, Und die Heilungskraft, die ihm entfloß. Nicht dem Ohre schmeichelnd nur zu kosen, – Zur Erquickung dem Erquickungslosen, Flößt das Öl aus deinen Himmelsrosen Holdes Labsal in des Menschen Herz! – In der Töne zarten Knospen liegen Leise Wehmut, rührendes Vergnügen Und der Sehnsucht wonnevoller Schmerz. Hellas Tochter! holdeste Aöde! Dort in Chören sang dir der Tragöde, Dort beseeltest du der Suada Rede, Schwebtest auf der Dichtung reichem Strom; Schwandest dann, verklärter zu erscheinen, Stiegst in Hymnen christlicher Gemeinen Durch des Tempels Dom zum Sternendom! Heil'ge Andacht, tief und doch erhaben, Nährtest du des Glaubens Himmelsgaben, Märtyrer im Todeskampf zu laben, Lichte Hoffnung, frommes Gottvertrau'n; Gabst Choral und Psalm die höchsten Weihen, Und erhellst mit leisen Litaneien Sterbenden des offnen Grabes Grau'n. Täuschung wärest du, und bald entflohen, Was den Mut erhebt, wo Stürme drohen? Was die Heere stärkt, und die Heroen Zart zu schonen – kühn zu sterben drang? Was, wie Spartas Helden, edle Streiter In die Schlachten führet freudig heiter, Ihr Gedächtnis feiert im Gesang? – Woll' auch uns nicht wirkungslos entschwinden; Immer sollst du offne Herzen finden Und zu schönen Zwecken sie verbinden, Die Gemüter stimmen rein und klar! Und des Vaterlandes edle Söhne, Seiner sanften Töchter Seelentöne, Bringen dir ein würdig Opfer dar! Sanft entström aus weiblich milder Kehle, Mit Gedanken einer Engelsseele! Ausdrucksvoller selbst als Philomele Töne, was ein fühlend Herz erfuhr! Unsern Busen lindernd zu erweiten, Sende du, die Seufzer zu begleiten, Stimmen sanfter Töchter der Natur! Jedem Sennenhorn auf Tannenhöhen, Dem bekränzten Kahn auf Alpenseen Müssen reine Jubel nur entwehen! Kühner Sinn veredle jedes Lied! Reine Freiheit höre rein sich grüßen, Künde weit im Land zu unsern Füßen, Daß sie nie aus edeln Herzen schied! Tön aus jeder Brust im Vollergusse, Und entzieh uns flüchtigem Genusse; Stärke dann zu heiligem Entschlusse; Rüste jeden Laut mit Kraft und Geist! Weih uns, fest das Schicksal zu ertragen, Und das Höchste für die Pflicht zu wagen, Und den Aufschwung, der von Staub entreißt! Einst zerfallen dir des Raumes Schranken; Ewige, melodische Gedanken Steigen, wenn des Kerkers Decken sanken, Aus der Erdentöne Hüll' empor, Wie des Schwanen Lied, wenn mit Gesange Er zum Himmel stieg, im Sphärenklange Schwindend, sich, ein Geisterlaut, verlor.