4. Verwehte Blätter Zweites Buch 1. Einst glänzte am Himmel droben Ein Stern so hell, so rein; Oft hab' ich den Blick erhoben Zu seinem goldenen Schein. Wenn ich ihm mein Sehnen vertraute, Mein Hoffen und meine Qual, Trost und Entzücken taute Auf mich hernieder sein Strahl. Wo blieb er? Suchend am Himmel Schweift mein Auge umher; In all der Sterne Gewimmel Find' ich den einen nicht mehr! 2. Heb, o hebe die Hülle nie Von den modernden Särgen, Die in der Seele begraben sind! Ruhen, bis dein Leben verrinnt, Mögen die Toten alle, die sie Drunten dem Tagslicht bergen. Weh dir, wenn du den Deckel hubst! Hin durch dein Inneres schleichen Wird bis tief in sein Mark ein Graun, Wenn sie dir starr in das Antlitz schaun, Alle die Freuden, die du begrubst, Aller der Hoffnungen Leichen. 3. Wenn mitternächtig auf den Gassen Des Tages letzter Lärm verhallt, Weil' ich allein in deinem Zimmer Und sehe, wie des Mondes Schimmer Zu all den Plätzen, nun verlassen, Mit blassem Dämmerscheine wallt. Ein leises Zittern schleicht, ein Beben Hin an den Wänden, bang und stumm; Der Rosenstrauch, den du begossen, Strömt Duft aus Kelchen, neu erschlossen, Und träumend hinter seinen Stäben Regt sich der Zeisig wiederum. Im Strahl des Mondes tönt mit matten, Gebrochnen Klängen das Klavier; In Wonne halb und halb in Trauer Zieht durch die Saiten hin ein Schauer – Ich fühle, aus dem Reich der Schatten, Adele, ist's ein Gruß von dir! 4. Giebt es noch neuen Gram für mich, Seitdem ich sie verloren habe? Wohl manches Mal noch überschleicht Mich ein Gefühl, das neuem Kummer gleicht; Dann will ich zu ihr eilen, Bei ihr die Wunde auszuheilen; Doch plötzlich sag' ich mir: sie liegt im Grabe, Und in dem alten stirbt der neue Schmerz. Ist eine Freude noch für mich, Seitdem ich sie verloren habe? Wohl hie und da noch, halb mir unbewußt, Regt sich ein froh Gefühl in meiner Brust; Dann will ich zu ihr eilen, Sie soll mit mir die Freude teilen; Doch plötzlich sag' ich mir: sie liegt im Grabe, Und fühle größer noch den alten Schmerz. 5. Was fliegt das Schiff, was lenkt das Steuer Den Kiel durch dunkelblaue See? Ach! zu der einen , die mir teuer, Trägt mich der Wellen keine je! Klar, aus des Ostens Purpurquelle, Strömt auf das Meer des Frührots Glut, Und jubelnd in der goldnen Helle Berauscht sich die beschäumte Flut. Und Inseln, duft'ge Küsten schwimmen An mir vorbei im Morgenwehn, Und zwischen Palmenhainen glimmen Die goldnen Kuppeln von Moscheen. Doch ob sich mir mit lichten Thoren Der Orient erschließen mag, Zu ihr zurück, die ich verloren, Blick' ich in den gesunknen Tag. Fern dort bei Sturm und Blättertreiben Blinkt weiß ein Grabstein durch die Nacht; Da schläft sie unter dunklen Eiben Den Schlaf, aus dem sie nie erwacht. 6. Wieder schreit' ich längs des Stromes, Wo uns, wenn mit ihr ich ging, Trunken an des Himmelsdomes Abendglanz das Auge hing. Da bei Glocken-Spätgeläute, Das in milden Melodien Durch das Laub scholl, überstreute Uns mit Blüten der Jasmin; Und die Abendnebel rauchten Golden aus der Felsenkluft; Zwischen unsre Küsse hauchten Wilde Rosen ihren Duft. Stumm ist nun der Klang der Glocken, Längst der Blumen Duft verweht, Und des Stromes Wellen stocken, Wo mein Fuß vorübergeht; Auf zum dunkel-abendroten Himmel blick' ich trauerbang: Denn der Schatten einer Toten Geht mit mir das Thal entlang. 7. Welch ein Schimmern rings und Leuchten! Funkelnd in des Morgens Strahl Sprühn die Tropfen von den feuchten Zweigen nieder in das Thal. Licht auf den beeisten Spitzen, Licht selbst tief im Abgrundschacht! Ach! durch all das Strahlen, Blitzen Trag' ich einsam meine Nacht. 8. Die Nacht ist schaurig und finster, Der Friedhof mit weißen Flocken bestreut; Hernieder vom alten Münster Im Winde wallt der Glocken Geläut. Sie alle, die oft mir erklungen, Wie tönen mir ihre Stimmen vertraut! Die hat mich in Schlaf gesungen, Und die mich geweckt mit dem ersten Laut. Und unter den steinernen Platten Quillt es hervor wie Leichenduft; Geschwundener Stunden Schatten Entschweben bei den Klängen der Gruft. Errötend, dann neu sich entfärbend, Von sel'ger Zeit mir flüstern sie; Um ihre Lippen hallt sterbend Verschollener Lieder Melodie. Von weißen Rosen umwunden Sind ihre Stirnen; sie reißen sie ab Und zeigen mir blutende Wunden – Ich sinke bebend hin auf ein Grab. Hernieder durch stäubende Flocken Bricht matt des Mondes Glanz, Und fort beim Schalle der Glocken Wallt mir zu Häupten der Geistertanz. 9. Am Tage bang und herzbeklommen Schreit' ich dahin auf ödem Pfad, Bis, wenn sein dreistes Licht verglommen, Die vielersehnte Stunde naht. Sie, die im Tod mich nicht vergessen, Auf kurz dann darf ich wiedersehn; Herüber von den Grabcypressen Schwebt sie zu mir im Abendwehn. Von ihrem Atemzug, dem reinen, Umhaucht fühl' ich mich wiederum; Sie drückt die Lippen auf die meinen, Und Seele hängt an Seele stumm. Wie mahnend in mein Auge sieht sie Legt ihre Hand in meine matt, Und leis zu sich hinab mich zieht sie In ihre dunkle Grabesstatt. Und wo ich nach des Lebens Streite Ruhn soll im stillen Friedenshaus, Dort unten träum' ich ihr zur Seite Den Traum des Todes schon voraus. 10. Das mir sonst so froh erklungen, Deinem Liede, o! warum In den grünen Dämmerungen Lausch' ich jetzt so trauerstumm? Schwer von Wonnen, nun geschwunden, Holde Sängerin der Nacht, Mahnt es mich an jene Stunden, Die ich selig hier durchwacht. Wieder nun wallt von den Beeten Blütenodem durch die Luft, Doch von frühern, längst verwehten Lenzen ist es nur der Duft; Und Erinnerungen fluten Auf der Töne Strom heran – Ach! mir will das Herz verbluten In des Liedes süßem Bann. Antwort einst mit frohem Pochen Gab es ihm, o Nachtigall! Doch in Herzen, die gebrochen, Traurig tönt sein Wiederhall! 11. Ringsum nun wird es stille, Indes der Tag versinkt Und froh im Gras die Grille Den Tau der Dämmrung trinkt. Aufsteigt die Nacht im Westen, Sie atmet hörbar kaum Und wiegt von Ast zu Aesten Den Wald in Schlaf und Traum. Den Vögeln, wie sie brüten, Drückt sie die Augen zu Und lullt im Thal die Blüten, Die Aehren all in Ruh. Komm, Mutter Nacht, und lege Die Hand aufs Herz mir mild, Daß sie die wilden Schläge Dem Ruhelosen stillt! 12. So find' ich wieder dich nach Jahren Und sehe wiederum die Zeit, Als schuldlos wir und glücklich waren, Erstehen, doch im Sterbekleid. Wie matt dahin durch deine Rechte Das Blau der welken Ader schleicht! Wie hat der Gram durchweinter Nächte Das schöne Antlitz dir gebleicht! Wozu die alte Liebe wecken? Entsteigen würde, schattenbleich, Nur ihr Gespenst, um uns zu schrecken, Sie selber nicht, dem Totenreich. Für immer sei es denn geschieden, Wie wir für immer ausgeliebt! Im Tode such', wie ich, den Frieden, Den uns das Leben nimmer giebt. 13. Der Landmann geht zu feiern, Von Sonnenglut versengt, Die sanft mit seinen Schleiern Der Abend nun verhängt: Es huscht durch laub'ge Aeste Der Hänfling heim zum Neste, Wo auf den warmen Eiern Sein Weibchen ihn empfängt. Schon ruht in süßer Zelle Die Biene arbeitsmatt, Zum Schlaf streckt die Libelle Sich auf das Lindenblatt; Zum Dorfe kehrt der Mäher, Und nah schon glänzt und näher Das Lämpchen ihm, das helle, Von seiner Lagerstatt. Nicht fehlt die Ankerkette Dem müden Rudersmann, Dem Rehe nicht sein Bette In Buchwald oder Tann, Und nicht die Schlucht dem Winde, In der er Ruhe finde; Wo aber ist die Stätte, Darauf ich ruhen kann? 14. Auf morgen mir ein Wiedersehen Verhießest du mit letztem Wort; Da riß des Schicksals Sturmeswehen Dich unerbittlich von mir fort. Umsonst durchforscht' ich Länder, Städte, Wo deine Spur auf Erden sei; Statt deiner zog, so viel ich spähte, Die fremde, kalte Welt vorbei. Von Orte trieb es mich zu Orte, An alle Häuser klopft' ich an; Doch immer wurde mir die Pforte Von fremden Händen aufgethan. Und ob zum fernsten der Gestade Wir schweifen über Land und Meer, Nicht einer führt der Erdenpfade Mich zu dir hin, dich zu mir her. 15. Nach des Frühlings blühendem Glück Und des Herbstes strotzenden Garben Nun Felder, kalt vom November bereift! Durch Nebel und stäubende Flocken schweift Mein Blick in dämmernde Fernen zurück Zu Wonnen, die lang erstarben. Nach des Morgens tauigem Glühn Und des Mittags leuchtendem Strahle Nun Nacht und des Mondes eisiger Schein – In Mitte des Friedhofs steh' ich allein Und kränze mit dunklem Cypressengrün Verwitternde Totenmale. 16. Noch, die Zweige überdeckend, Herbstlaub, das nicht weichen will! Und schon neue Knospen weckend Naht der fröhliche April. Seine Wipfel ihm entgegen Freudeschauernd wirft der Wald; Nur in meiner Brust kein Regen! Alles starr und winterkalt! Eh bei Nachtigallenschmettern Wieder grünt das junge Laub, Stumm mit den gewelkten Blättern Sinkt mein Leben in den Staub. 17. Fremd ging ich sonst an dir vorüber; Froh lachte mir der Lebenstag; Ich floh den Gram, der wie ein trüber Nachtschatten auf der Stirn dir lag. Verstummt an Gräbern, über Leichen Seitdem ist meiner Lippen Scherz; Laß uns die Hand einander reichen! Dein Bruder bin ich nun im Schmerz. 18. Getrost! der Weg war heiß und lang, Allein der Abend kommt; Gesorgt ist, sei darum nicht bang, Für alles, was dir frommt. Die Schatten werden länger schon Und kühl're Lüfte wehn; Vom Turme hallt der Glocke Ton Und mahnt zum Schlafengehn. Bald thut sich dir das Rasthaus auf, In dem für alle Raum; Da labt dich nach dem Tageslauf Ein Schlummer ohne Traum. 19. In der Schlucht hat schon zu dichten Haufen sich das Laub getürmt. Während neu der Herbstwind Schichten Welker Blätter niederstürmt. Aber durch das Sturmgetose Und den Moderdunst der Kluft Haucht noch einsam eine Rose Ihres Kelches süßen Duft. Liebe! Aus begrabnen Jahren In mein Leben, längst verdorrt, Hauchst du deine wunderbaren Milden Düfte fort und fort. 20. Wenn flüchtig wir einander nahten, War deine Rede scheu und karg; Durch nichts ward mir der Schatz verraten, Den deine Seele still verbarg. Erst kurz, eh unter schwarzer Hülle Sie dich im Tempel aufgebahrt, Hat sich in ganzer Liebesfülle Dein schönes Herz mir offenbart. Empor schlug da im dunkelroten Lichtglanz die lang verhaltne Glut; Doch schon auch in das Reich der Toten Trug dich hinab die dunkle Flut. Nun neu im wilden Weltgetriebe Steh' ich verlassen, wie ich stand, Und such' umsonst ein Herz voll Liebe Wie deins, das ich zu spät erkannt. 21. Deine blassen, blassen Wangen, O des Himmels Purpurlicht In des Frührots erstem Prangen Deucht so schön wie sie mir nicht. Hie und da noch um die weißen Spielt ein rötlich-matter Strahl, Dann dem Grab sie zu entreißen Ringt das Leben noch einmal. Doch erloschen schnell, vergangen Ist das flücht'ge Rosenrot; Deine blassen, blassen Wangen Locken mich zu süßem Tod. 22. Mein Herz ist stumm, mein Herz ist kalt, Erstarrt in des Winters Eise; Bisweilen in seiner Tiefe nur wallt Und zittert und regt sich's leise. Dann ist's, als ob ein mildes Taun Die Decke des Frostes breche; Durch grünende Wälder, blühende Aun Murmeln von neuem die Bäche. Und Hörnerklang, von Blatt zu Blatt Im Frühlingswinde getragen, Dringt aus den Schluchten ans Ohr mir matt, Wie ein Ruf aus seligen Tagen. Doch das alternde Herz wird jung nicht mehr, Das Echo sterbenden Schalles Tönt ferner, immer ferner her, Und wieder erstarrt liegt alles. 23. Nacht ruht auf dem Geist mir düster und schwül, Ich fühl' ein Brausen im Hirn; O neig dich herab auf meinen Pfühl Und leg mir die Hand auf die Stirn! Nur sie, die liebe, die weiße Hand, Vermag mir zu lindern den Fieberbrand. Das wallt von ihr nieder wie Frühtau mild, Wie West, der um Blüten kost; Es legt sich der Sturm, ob noch so wild, Der mir im Haupte getost, Und meine Seele blickt klar wie zuvor In deiner Augen Himmel empor. 24. Verhängt dein Fenster, dein Stübchen leer, Und du in die Weite gezogen! Was soll mir der Mai in den Gärten umher, Und des Kornfelds Wallen und Wogen? Ich wünsche den eisigen Januar Zurück, und die Nächte, die langen, Als mich umwallte dein Lockenhaar, Mich deine Arme umschlangen. Da schritt ich über den dröhnenden See Zu dir und dem harrenden Glücke Und wieder von dannen durch Sturm und Schnee Auf des Eises fliegender Brücke. Mir wußte das Herz vom Froste nicht, Noch den nächtlichen Finsternissen: Es strahlte von deiner Augen Licht Und glühte von deinen Küssen. 25. So oft in mein Aug', o Kleine, Von deinen Blicken ein Lichtstrahl fällt, Wird wieder von Frühlingsscheine Die erstorbene Seele mir sanft erhellt; Ein Beben und Sprossen und Keimen, Wie auf der Flur bei des Ostwinds Wehn, Beginnt in ihren geheimen Grabkammern, ein Werden und Auferstehn. Bei Nachtigallengeschmetter Regt Knosp' an Knospe, die aufblühn will, Im Kelche die zarten Blätter; Dann wieder alles öde und still. Und ach! wenn der wonnige Schauer Verflogen, der mich flüchtig durchrann, Bleibt mir im Herzen nur Trauer, Daß ich wie sonst nicht mehr lieben kann. 26. Nun ziehen die Wolken durchs lichtere Blau, An grünen Halmen zittert der Tau; Von Blumen schillert der Rasen bunt In der fröhlichen Winde Wehen, Und die Primel steigt aus dem Wiesengrund, Um den leuchtenden Himmel zu sehen. Mit Drosselgesang und Wachtelschlag, Wie umfängst du mich wonnig, strahlender Tag! Doch wo ist die Stimme, die einst mich rief, Und die Hand, die meine gedrückt, Und wo das Auge, so blau, so tief, Das einst in meines geblickt? 27. Verstummt, ihr fröhlichen Gesänge Von Liebeslust und Lebensglück! Wie in Ruinen, tiefzerfallen, Die Abendwinde wiederhallen, Dumpf tönt ihr nur als Trauerklänge Aus meinem Herzen noch zurück. Versunken liegt, in fernen Weiten, Die Welt, in der ich glücklich war, Und hauptverhüllte Schatten tragen Mir Bilder her aus alten Tagen Und schluchzen in den Schall der Saiten: Dahin, dahin für immerdar! 28. Im brausenden Sturz hinab in die Schlünde Wie jubeln die Bäche, vom Eise frei! Wie hallt im Winde durch Schluchten und Gründe Das Alpenhorn und des Hirten Schalmei! Heim kehrt durch des Himmels lichtere Bläue Von Süden der wandernden Vögel Schar, Und jeder findet den Zweig aufs neue, Auf dem er genistet im letzten Jahr. Und bei der Lieder fröhlichem Schalle Auf grünt und blüht und duftet der Baum – Ich kenn' euch, ihr Stimmen, ich kenn' euch alle; Mir ist, als erwacht' ich aus düsterem Traum. Komm, Jugend, komm, Liebe! Was laßt ihr mich harren? Zum Herzen, das einst so froh, so kühn, Kehrt wieder zurück, dem winterlich starren, Und laßt es von neuem duften und glühn! 29. Der mich geboren, zweiter August, Deiner tauigen Dämmerung Lust, Könnt' ich je sie versäumen? Eh noch ein Lichtstrahl die Lerche weckt, Auf den Hügel lieg' ich gestreckt Unter den schlummernden Bäumen; Höre den Bach im Morgenwind Lallen wie ein erwachendes Kind, Und das frohe Geschmetter All der gefiederten Sänger umher, Wie sie mit Flügeln, von Tau noch schwer, Huschen durch zitternde Blätter. Und in der Frühe säuselndem Hauch Alle die munteren Geister auch Fühl' ich im Herzen erwachen; Wie, wenn die Stunde des Lernens vorbei, Knaben sich jagen mit Jubelgeschrei, Tummeln sie sich und lachen, Wecken zum Singen die Vögel im Nest, Schütteln mir Aepfel herab für das Fest, Nüsse vom Haselgestäude – Zweiter August, du, der mich gebar, Immer verjünge von Jahr zu Jahr So mir der Kindheit Freude! 30. Während mit den Sternenaugen Ueber uns der Himmel wacht, Oeffne deinen duft'gen Kelch mir, Heil'ge Wunderblume, Nacht! Wonne, der zerstreuten Seele, Die der Tag verwirrt, zu groß, Himmlisches Entzücken strömt mir Tief aus deinem Blätterschoß. Von dem Duft, der unergründlich Aus dem Weltenabgrund quillt, Mehr, o mehr noch laß mich schlürfen, Bis der Durst mir ganz gestillt! Wenn das Morgenlicht in feur'gen Funken auf die Erde stäubt, Saugend noch an deinem Kelche Häng' ich selig, süßbetäubt. 31. Noch sind die Hähne alle stumm, Und schwer liegt auf den Augenliden Mir noch der Schlaf der Nacht; warum Weckt ihr so überfrüh den Müden? Kaum um den Himmelsrand spielt fern Ein Schein, als ob die Dämmrung graute; Schlaftrunken grüßt den Morgenstern Die Lerche mit dem ersten Laute. Und matt im Osten hebt der Tag Sich halb empor vom Wolkensaume, Dann auf den Pfühl, auf dem es lag, Sinkt neu sein Haupt zurück zum Traume. Drück mir die Augen wieder zu! Fern von dem lauten Lebensschwarme, Allmutter Nacht, vergönne du Mir lang noch Rast in deinem Arme! 32. Ob auch mein Abend längst begonnen, Doch oft, hellleuchtend wie zuvor, Noch steigen lang versunkne Sonnen Vor meinem trüben Blick empor. Dann ist mir, wieder herrlich glänze Die Welt, wie ich sie einst gesehn; Den Atem lang verblühter Lenze Fühl' ich durch meine Seele wehn. Kühl rauscht's in ihrer Wipfel Blättern; Entgegen quillt mir Blütenduft, Und lang gestorbne Lerchen schmettern Von neuem hoch in blauer Luft. O jubelt fort! Sanft auf dem Pfühle Laßt mich entschlummern beim Gesang, Der in des Sonnenaufgangs Kühle Am Himmel meiner Kindheit klang! 33. Ums Haupt der alten Bergesriesen Spielt noch der erste Morgenstrahl Und gleitet, auf dem Rauch der Wiesen Hinzitternd, nieder in das Thal. Leis beben von den Atemzügen Der Schlafenden die Lüfte noch; Noch ruht der Stier, bevor zum Pflügen Der Ackersmann ihn schirrt ans Joch. O weckt zu seinem Werk voll Mühe Den Tag aus seinem Schlummer nicht! Umfang uns lang noch, sel'ge Frühe, Mit Morgenluft und Morgenlicht! 34. Schon lagern über den Mooren Die Nebel des Abends schwer; Kaum zittert ein Strahl verloren Durch der Dünste wallendes Meer. Die Blätter, die Blüten siechen Im kalten Oktoberhauch, Und giftige Lüfte kriechen Verheerend von Strauch zu Strauch. Doch ich träume von grünenden Matten Und Wiesen, mit Tau besprengt, Darüber an felsigen Platten Die Rose der Alpen hängt, Von Gipfeln mit eisiger Firne, Die hoch in den Himmel ragt Und den Morgen auf ihrer Stirne Schon trägt, bevor er noch tagt. Wer je sich an deiner Quelle Den Durst, o Liebe, gestillt, Von ewiger Morgenhelle Ist ihm die Seele erfüllt. 35. Dahin der Jugend Wonnen, Und selbst ihr süßes Weh Zerstoben und zerronnen Wie Frühlings-Blütenschnee. Nicht jauchzt mehr zu den Sternen Mein Herz wie sonst empor; Es starrt in öde Fernen Nach dem, was es verlor. Nicht mehr in Schmerz zu bluten Vermag's, wie einst es that, Als es die roten Fluten Erlabten wie ein Bad. Nur wenn in holdem Sinnen Dein Auge auf mir ruht, Wohl regt sich noch tief-innen In ihm die alte Glut. Hoch klopfend dann entgegen Pocht es dem jungen Glück – Doch sinkt mit matten Schlägen Bald neu in sich zurück. 36. Wie war mir so beklommen, Als ich am Fenster lag! Ich sah, er war gekommen, Der erste Wintertag. In blassem, grauem Streife Zog Heerrauch ob dem Moor, Weiß angehaucht vom Reife Erglänzte Halm und Rohr. Ein Fink sang auf der Linde Beim halbgestürzten Nest, Welk bebten noch im Winde Die Blätter am Geäst. Erst in der Abendspäte Erstarb die Stimme matt – Der eis'ge Nordwind wehte Herab das letzte Blatt.