August Wilhelm Schlegel Jon Schauspiel in fünf Aufzügen Personen Personen. Jon. Kreusa. Xuthus. Phorbas. Pythia. Apollo. 1. Akt 1. Auftritt Erster Auftritt. Sieh, schon bepurpurt des Parnassus Gipfel Der Frühe Schein, der goldne Sonnenwagen Erhebt sich glorreich in die blaue Bahn; Und kaum noch scheuchte den gesunden Schlaf Des Morgens frischer Hauch mir von den Wimpern: Drum eifrig an mein Werk, den heil'gen Dienst! Vor allem aber muß ich dich begrüßen, Apollo, heitrer Gott! der du von droben Das milde Licht herab zur Erde sendest, Und hier im Tempel mit der Weisheit Sprüchen Die dunkle Brust den Sterblichen erleuchtest. O küsse meine Stirn mit reinem Strahl, Du, den Gebieter ich und Vater nenne, Weil du im Heiligtum mich auferzogst, Auf daß ich, von der Menschen wüstem Treiben Ganz unberührt, der Jugend regen Trieb, Das frohe Leben deinem Dienste weihte, Hier saug' ich deinen Atem in die Luft, Und es umfängt mich dieser Haine Schatten So zärtlich wie dein väterlicher Arm. Mir schweifen irr und unbestimmt die Wünsche Nicht in die Ferne: laß nur stets mich weilen Bei dir, und sei mir wohlgefällig nah, So hast du mir das schönste Los gewährt. Ein jeder Tag erneut mir Lieb' und Lust, Wie täglich frisch gepflückte Zweig' und Kränze Von deinem ewig grünen Lorbeerbaum Hier diese Säulen, dieses Tor umwinden. Schon legten sie die Diener mir bereit. Wohlauf! Er nimmt aus einem vor dem Tempel stehenden Korbe Lorbeerkränze und Girlanden, hängt jene an die Türpfosten, und umschlingt mit diesen die Säulen. So! Nun hat Phöbus' Haus den blüh'nden Schmuck, Der ihm gebührt: denn, liebt er schon die Pracht Des Goldes, und die weißen Marmorwände, An denen weiser Künstler Hand Gestalten Der Götter kühn und groß herausgebildet, Ist Daphnes Haar ihm doch vor allem wert. Nun soll Kastaliens silberklarer Tau, Von priesterlichen Mägden mit der Dämmrung Am Felsenborn geschöpft in diesen Krug, Der Schwelle Zugang reinigend benetzen, Wie der Gebrauch es fordert, und mein Amt. Er sprengt aus einem vor dem Tempel stehenden Gefäße. Auch das geschah. Jetzt kommt, ihr leichten Waffen, Die nach Apollos Bild ich tragen darf! Er hängt einen Köcher um, und nimmt den Bogen in die Hand. Mit euch durchwandl' ich ringsum den Bezirk, Und wo nur freches lärmendes Gefieder, Sein Nest zu baun an unerlaubter Stelle, Die schönen Zierden zu verschänden, naht, Da trifft sie mein befiedertes Geschoß. Doch wenn Zeus' Adler aus den Wolken fährt, Wenn Phöbus' tönender Genoß, der Schwan, Mit Purpurfüßen durch die Lüfte rudert, Scheuch' ich nur mit Geräusch sie: denn ich mag Des Himmels Abgesandte nicht ermorden, Die vorbedeutend lenken ihren Flug. 2. Auftritt Zweiter Auftritt. Jon. Pythia. Sei mir gegrüßt, mein Jon. Mir noch schöner, Du mütterliches Haupt. So früh schon wach? Mich weckten die Gedanken, die das Alter Kaum schlummern lassen, wenn der müde Leib Des tiefen ungestörten Schlafs bedürfte. Der Tag, der eben lächelnd aufgegangen, Bewegt für dich mit Rührung mein Gemüt. Was bringt der Tag so Ahnungsvolles mit? Heut sind es grade sechzehn Jahr, daß dich Dein Schicksal meiner Sorge hat vertraut. Ich werd' es dankbar preisen immerfort. Ich trat, wie eben jetzt, vor diese Pforte, Frühmorgens in das Heiligtum zu gehn. Da fand ich dich hier auf der Schwelle liegend, Den neugebornen Säugling; zwar in Windeln Gehüllt, in einem Körbchen wohlverwahrt, Doch hatte kalter Nachtwind dich durchschauert, Auch mochtest du wohl manche Stunde lang Schon nach dem süßen Mutterbusen schmachten: Du zittertest und weintest. Ach ich Armer! Wie? dacht' ich, hat der Dienerinnen eine Den jungfräulichen Stand entehrt, und schiebt Die Frucht des üpp'gen Betts, geheimer Lust, Dem Gotte zu? Und wollte schon gebieten, Man solle vom geweihten Umkreis dich Entfernen, und der Wildnis überlassen. So wär' ich, wie ein Traumbild nur vom Leben, Bewußtlos in die Schattenwelt gewandert. Betrachtend hob ich aus dem Korbe dich, Du zappeltest zu meiner Brust hinan, Die niemals mütterliche Regung kannte. Wir Seherinnen müssen einsam leben, Wir sehn im Alter nicht ein jung Geschlecht Um uns emporblühn: Göttersprüche nur, Durch unser Haupt empfangen und geboren, Sind unsre Söhne, die, wenn wir gestorben, Noch mächtig, unsichtbar, die Welt durchziehn, Eingreifend in der Menschen Tun und Wollen. Wehmut befiel mich, und sie gab mir ein, Vielleicht vergönne mir für meine Treue Apoll die süße Zärtlichkeit zu fühlen, Die eine Mutter an den Säugling knüpft. Ist doch ein leiblich Kind nur auch geschenkt, Und in dem Schoße, der es trägt, entfaltet Geheimnisvoll ist eine höh're Macht, Wie du vom Himmel in den Arm mir fielest. So siegte Mitleid über meine Strenge, Und ich beschloß, als Sohn dich zu erziehn. O daß es nimmer dich gereuen möge! Noch hat es nicht. Als Kind umspieltest du Holdselig, voller Unschuld, die Altäre, Und wurdest mit dem Heiligsten vertraut. Nun da du schlank empor zum Jüngling sprossest, Seh' ich in dir ein mutig frei Gemüt, Doch still und klar, nicht ungestüm verworren. So bleib und wachse fort, daß man einst sage: Zwar keinen Eltern, die zu großer Tat Ihn rühmlich spornten, hatt' er nachzueifern, Bei der Geburt schon Waise; doch statt dessen Hat er an kühner Kraft gehaltnem Maß Zum hohen Vorbild sich den Gott erwählt, Als dessen Eigentum er aufgewachsen: Den Gott, der bald mit Pfeil und Bogen spielt, Bald mit der Leier allgewaltig trifft. Was du ermahnest, wird mir zum Gebet. Doch wirst du zürnen, teure Pythia? Ich kann's nicht bergen, daß mir deine Rede Ein unruhvolles Sehnen hat erregt. Sie sollte nur dich zur Betrachtung leiten. Mit g'nügte sonst, in Delphi stets zu wohnen; Nun drängt mein Wunsch mich in die Welt hinaus. Was hoffst du Beßres jenseit dieser Haine? Die mir das Leben gaben, möcht' ich kennen. Wie weckt' ich solch Verlangen deinem Sinn? Der Mutter Liebe ließest du mich ahnen. Unnennbar muß es sein, was sie empfindet, Wenn an ihr Herz sie den als Jüngling drückt, Den sie gehegt hat unter ihrem Herzen, Bevor er Luft und Licht des Himmels trank; Unnennbar auch des Sohnes Zug zu ihr, Wenn er der Mutter teuren Leib umfaßt, Der seiner Kindheit süße Heimat war, Der Stamm, auf dem er wuchs als blüh'nder Zweig, Und der mit eignem Leben ihn genährt. Und diese Freude hast du nie gefühlt. Vergib dem undankbaren Jon, Mutter, Der außer dir noch eine Mutter sucht. Ich tadle nicht das kindliche Begehren, Wär' sie nur dessen wert, die dich gebar. Versiegt war ihrer Liebe Quelle, wie Sie dir den Trank aus ihrer Brust versagt, In bittern Tod hat sie dich ausgestoßen. O schilt sie nicht! Wer weiß, welch ein Verhängnis Die Widerstrebende mit hartem Zwang Umstrickt, daß sie sich heimlich mir entriß, Und überstandnes Weh mit neuem häufte. Doch streb' ich nach der Mutter nicht allein, An meinem Vater möcht' ich auch hinaufsehn. Oft hört' ich Fremden mit Entzücken zu, Die das Orakel zu besuchen kamen, Wenn sie mir rühmend ihr Geschlecht berichtet. Sie sprachen stolz der Väter Namen aus, Beim Angedenken ihrer Taten wallte Das edle Blut, das sie von jenen erbten, In ihren Wangen auf. So führten sie Den Ursprung bis in alte Zeit zurück, Aus deren Nebel nur Heroenbilder Mit wunderbarem Glanz der Nachwelt leuchten. Nicht selten schloß ein Halbgott oder Gott, Als erster großer Ahnherr ihres Stamms Sich an die schöne Reihe krönend an. Wie glücklich muß der sein, der sich verwandt Dem Würdigsten mit gleichem Anspruch weiß! So manches Gut verliehen dir die Götter, Vielleicht dies Eine sollst du nicht genießen. Sag', hast du keine Spur von meiner Abkunft? Nein, keine die uns näher führen könnte. Nur so viel glaub' ich sicher einzusehn, Du kamst auf Delphis Boden nicht zur Welt. Denn, wenn die Nachbarstadt sie in sich faßte; In sechzehn Jahren hätte deine Eltern Doch irgend wohl ein Zeichen mir verraten. So ward ich aus der Fremde hergebracht. Von einer Hand, die ganz verborgen blieb. Warum befragen wir Apollen nicht? Du könntest hören, was dir nicht gefiele. Wem kann's mißfallen, sein Geschlecht zu wissen? Wenn knechtische Geburt dich nun beschämte? Sehn denn wie ich der Sklaven Kinder aus? Die Pflege kann des Blutes Art veredeln. Jetzt bist du einzig deiner Taten Sohn, Und darfst so mit den Edelsten dich messen. Doch nicht der Eltern Dienstbarkeit besorg' ich Und dein Erröten: noch weit unwillkommner Könnt' ein Orakel deinen Ursprung melden. Der Sterblichen verworrne Leidenschaften Kennst du noch nicht, mein Sohn; sie trennen und vereinen, Was nicht getrennt, was nicht vereint soll sein: Im Eh'bett lagert sich die Buhlerei, Und üppig Blut vermischt sich mit sich selber. Was Wunder, wenn sie solchen Bundes Frucht Und ihrer finstern Heimlichkeit Verräter, Gewaltsam, fühllos, auszusetzen eilen? Doch sollte, wer verbrecherisch ein Kind Erzeugt, dem Gott es darzubieten wagen? Mit dem Verbrechen stirbt die Scham vor Göttern, So wie die Furcht vor Menschen erst erwacht. Weh! welchen Zweifel wirfst du mir entgegen, Woher vielleicht mein Leben sich entsponnen! Was deine Tat nicht war, darf dich nicht kümmern, Bewahrst du um so reiner nur dich selbst. Allein bis dieser nachtgewebte Schleier Von meiner Herkunft weggehoben wird, Muß ich als Fremdling fern von Menschen stehn, Und kann mich nicht in ihre Kreise traulich Verschlingen: ich vernahm mit Schaudern wohl, Wie sich Unwissenheit des eignen Stamms In Haß und Liebe schrecklich hat verirrt. Es kann ein Sohn den nicht erkannten Vater In raschem Zorn erschlagen, und als Braut Bei Hymens Fackeln heim die Schwester führen. Was sichert mich, den Findling ohne Namen, Vor unfreiwill'gem Frevel gleicher Art? Apollos Lieb' und seines Tempels Dienst. Erwart' in Ruh, bis die bestimmte Zeit Die Knoten deines Schicksals lösen wird, Denn Vorwitz könnte sie noch fester schürzen. 3. Auftritt Dritter Auftritt. Die Vorigen, Phorbas mit Gefolge von Sklaven, die kostbare Gefäße, Teppiche usw. tragen. Seh' ich allhier die delphische Prophetin? So ist es. Was von ihr begehrend kommst du? Zuvörderst Heil dem Gott, der dich begeistert, Dann ehrerbiet'ger Gruß dir, große Pythia! Mich sandten die Gebieter mit Geschenken Voraus, ob Phöbus günstig sie empfinge. Denn ihn um Rat zu fragen, machten sie Sich auf den Weg, um Dinge von Gewicht. Nach dieser Zeug' und edlen Erzes Pracht Muß deine Herrschaft hochbegütert sein. Sag' ihre Heimat an, und ihren Namen. Ihr Wohnsitz prangt im herrlichen Athen. Kreusa, Erichthonius' Enkelin, Ist meine Fürstin; Xuthus, ihr Gemahl, Führt jetzo dort das königliche Szepter. Nicht unbekannt ist Xuthus' Name mir, Wenn du vom Sohne des thessal'schen Hellen, Und Äolus' und Dorus' Bruder sprichst. Derselbe ist's. Er kam vor manchen Jahren, Von seinen Brüdern ausgetrieben, her, Und trug hier in den pyth'schen Wettespielen Den Preis davon. Froh des errungnen Siegs Befragt' er den Apoll um sein Geschlecht. Ihm ward zur Antwort: wie sein Vater Hellen Auf das gesamte Volk der Griechen, und Auf einen Stamm der Brüder jeder künftig Den eignen Namen übertragen werde, So sei für sein verlornes Erbteil ihm Beschieden zum Ersatz, in zweien Söhnen Als Ahnherr zweier Stämme fortzuleben. Oft ward der Götterspruch von ihm gerühmt, Allein bis jetzt blieb die Erfüllung fern. Wie kam es, daß der Pallas heilig Volk Den Fremdling sich zum Oberhaupt erkor? Weil uns im schweren Kriege mit Euböa Sein Arm und seine Scharen beigestanden, Ward er gewürdigt, mit Kreusens Hand Des alten Cekrops Szepter zu empfangen. Grünt außer ihr denn sonst kein andrer Zweig Von Erichthonius erdentsproßnem Stamm? Sie ist allein noch übrig in Athen. Ach, deine Worte mahnen, Priesterin, Mich an die Unglücksfälle dieses Hauses, Dem ich ein langes Leben treulich diente. Voll Hoffnung fängt die Jugend strebend an, Und der Bemühung Früchte winken ihr In goldnem Glanz; doch immer weicht das Ziel: So schleicht das Alter unerfreulich näher, Und ganz zum Nachteil wenden sich die Zeiten, Daß wir, je mehr sich die Erfahrung häuft, Je minder stets erlebt zu haben wünschen. In bessern rüst'gen Tagen pflegt' ich einst Die Kindheit des Erechtheus, dessen Vater Minervas vielgeliebter Zögling war. Er wuchs heran zu reifer Männlichkeit, Und wie in Heldenkämpfen seine Kraft, So blühte seine Lust in vielen Kindern, Der Thrazier Eumolpus überzog Furchtbar Athen mit Krieg; mein frommer König, Nicht der Gewalt des Arms allein vertrauend, Begehrte Rat der Seher, wie er sicher Des Sieges könnte sein. Ein streng Orakel Ward ihm, das seine erstgeborne Tochter Als Opfer für die Unterird'schen forderte. Da offenbarte sich der freie Mut, Dem mehr das Vaterland als alles gilt: Nicht die Erwählte bloß verschmähte Zwang, Die Schwestern wollten sie nicht überleben, Und gaben sich freiwill'gem Tode hin. Unmündig noch blieb nur Kreusa übrig, Und ward durch ihrer Mutter Tod, die Trauer Dahinriß, bald verwaist. Erechtheus schlug Im Kampf den riesenhaften Sohn Neptuns; Allein Eumolpus Vater, ihn zu rächen, Stieß mit dem Dreizack an die Felsenküste, Und nächtlich grause Tiefe, gähnend, schlang Den Sieger ein. O wär' ich ihm gefolgt! Denn seine Söhne konnten um die Herrschaft Nicht einig werden, daß die Ält'sten und Das Volk, aus Furcht, es möchte die Parteiung Ausbrechen in der Bürger Wechselmord, Sie sämtlich bannten aus Athens Gebiet. Als nun der Krieg von den Euböern drohte, Verhießen sie dem, der den Feind zu dämpfen Durch List und Tapferkeit am meisten hülfe, Kreusen zur Gemahlin und das Szepter, Was Xuthus, wie du schon vernahmst, erwarb. Und segnet Fruchtbarkeit und Friede nicht Das Land bei dieser Eh' und seinem Reich? Schon mancher Ernten reiche Frucht gedieh, Seit ein gemeinsam Lager unsre Fürstin Mit dem erwählten König hat verbunden, Und immer sah'n wir keine schöne Saat Von Kindern noch aus seinem Boden keimen. Das Volk verlangt mit trüber Ungeduld Nach einem Erben seines Königshauses, In dessen wunderbarem Ursprung es Sein uranfänglich Recht an Attika Und seiner heimischen Erzeugung Bild Erblickt, und darum auch in dessen Fall Den eignen Untergang voraus sich deutet. Die öde Kinderlosigkeit erscheint Den Murrenden ein Fluch der Pallas, weil Die hohe Stadtbeschirmerin unwillig Auf Cekrops Stuhl den Fremdling sitzen sehe. Voll Zuversicht bot Xuthus oft schon an, In Delphis Gott zu dringen, wie sich ihm Der herrlichen Nachkommenschaft Verheißung Erfüllen möchte, die der längst erteilt. Mit ungestümem Eifer stimmte dann Kreusa bei und trieb auf das Vollbringen. Doch, wenn es nahte, schien ein seltsam Zagen Sie zu befallen, und es unterblieb. Nun hat sie endlich den Entschluß behauptet, Und beide nah'n verlangend dem Orakel. Mir folget auf dem Fuß die Königin, Und Xuthus weilt nur unterwegs noch eben Bei des Trophonius Höhle, jenem dunkeln Wahrsager Lösungen und Gegenmittel Der unfruchtbaren Abgestorbenheit, Wie hier dem lichten Phöbus, abzufragen. Du weißt nun alles. Mein Gemüt bewahrt es. Sie mögen kommen; denn es ist der Tag Der unbegabten keiner, wo ich nicht Mich auf den weisen Dreifuß setzen darf: Ich gehe, seine Bräuche zu bereiten. Du, guter Greis, wirst nach der Reise Ruh' Bedürfen, und Erquickung: tritt herein. Dich, Jon, lass' ich hier, mit reinem Gruß Die königlichen Gäste zu empfangen. 4. Auftritt Vierter Auftritt. Willkommen ist der Dienst mir. Schon befreundet Ein wunderbarer Zug mich mit dem Lose Der Unbekannten: gleicht es meinem doch: Sie suchen Kinder und die Eltern ich. O möchte diese tief im Menschenbusen Gebornen, ew'gen, liebevollen Wünsche Bald ohne Täuschung uns Apoll gewähren, Daß ich mich in die Quelle meines Lebens Mit freudiger Umarmung tauchen möge, Und ihnen blüh' ein würdiges Geschlecht! 5. Auftritt Fünfter Auftritt. Jon, Kreusa mit Gefolge, das sich nachher in den Hintergrund verliert. Wir sind am Ziel der Reise. Ja, ich sehe Die hochberühmte Wohnung des Apoll. Wenn mich der stolze Bau noch zweifeln ließe, So geben sie die Lorbeerzweige kund, Das schöne Denkmal jener spröden Nymphe, Die seine Lieb' in starren Tod gejagt. Ist's doch, als schlänge sie, ach, nun zu spät! Um den Verfolger liebevoll die Arme. Was klopfst du, ungeduldig banges Herz, Und deutest mir beim Eintritt Übles vor? Wir wollen das Orakel ruhig hören, Was es auch offenbar' und was verschweige. Schon wartet drinnen dein die Pythia. Allein wie kommt es, Fürstin von Athen, Daß du vom heitern Anblick dieses Tempels, Der sonst die Sterblichen mit Freude füllt, Hinweg dich wendest und mit innrer Wehmut Zu kämpfen scheinst? Ich kenne nichts als Delphi, Doch Fremde hört' ich jubelnd oft beteuern, Daß sie auf Erden Schön'res nie gesehn. Wer bist du, Jüngling, der so freundlich fragt? Man heißt mich Jon; keinen Vater weiß ich Zu nennen, als den Gott, der rings hier waltet. Ein Sohn Apolls? O ja, du wärst es wert. Sein Zögling bin ich mindstens, und sein Diener, Von Kindheit sein geweihtes Eigentum. Bot jemand dich dem Gott zur Gabe dar? Man fand als Säugling mich auf dieser Schwelle. Vielleicht von deiner Mutter ausgesetzt? So muß es sein; sie blieb noch unentdeckt. Wie konnte sie solch lieblich Kind verstoßen? Du weißt wohl: Scham bedrängt die Frauen oft. Ich weiß es, ja; und macht die Sanften hart. Wenn sie nur endlich mir sich zeigen wollte, Um die versäumte Liebe nachzuholen! Ach, welche Liebe bringt das zarte Pflegen Am Mutterbusen ein, das du verlorst? Wie sie, die mich gebar, auch gegen mich Gesinnt war, hat sie doch glücksel'ge Tage Mir zubereitet; denn ich führe hier Ein stilles Leben zwischen heil'gen Bäumen, Bildsäulen und Altären, schmücke täglich Das herrliche Gesäul mit frischen Kränzen, Und sorge, daß Gerät und goldner Zierat In unverletzter Reinheit immer glänze. So wird mir, was ich treu bewahr' und ordne, Zwar göttlich Eigentum, doch wie mein eigen, Mein Werk, mein Leben, und mein ewig Fest. Sieh, darum staunt' ich, edle Königin, Wie diese schöne Welt dich traurig machte. Es waren Wolkenbilder ferner Zeiten, Die meine Augen feuchtend überzogen: Dein Blick und dein Gespräch hat sie zerteilt. Von dem vorausgesandten Greis erfuhr ich, Dir fehl' ein großes Gut bei großen Gütern, So, daß dich Wehmut leicht ergreifen kann. Je reicher dich dein Königshaus umgibt, Je öder scheint es wohl der Kinderlosen. Apollo weiß, wie kinderlos ich bin. Du solltest Mutter edler Söhne sein. Gewiß, gewiß, du wirst es noch erleben! Denn, wie ich eben wundersvoll vernahm, Bist du des großen Erichthonius Enkelin, Und Pallas, die Beschirmerin Athens, Hat deines Stammes Ursprung selbst gepflegt, Wie ließe sie so bald ihn untergehn? Doch meine Opfer und Gebete haben Bis jetzo nichts gefruchtet, und ich sorge Daß unfreiwill'ge Schuld mich ihrer Gunst Verlustig machte. Ernst ist das Gebot Der Göttin, streng der Übertretung Strafe; Das haben Cekrops Töchter wohl erfahren. Sag', wie verdienten sie Minervens Zorn? Die hohe Jungfrau hatte ihren Liebling, Das erdgeborne Kind, in einer Kiste Vor allen Menschen und dem Tag verschlossen, Den Schwestern zur Bewahrung anvertraut, Mit dem Befehl, bevor sie wiederkäme, Den Deckel nicht zu öffnen; denn geheim Und wunderbar, wie er zuerst entsproß, Sollt' er in dunkler Enge sich entfalten. Doch Neugier lockt sie zum Verbotnen, und es reißt Vorwitzig ihre Hand das Kästchen auf. Sie seh'n den Knaben lächelnd drinnen liegen, Den zarten Leib umwunden von zwei Schlangen, Die ihm als Hüter beigegeben sind, Und ihnen in ihr frevelnd Auge starren. Der Anblick scheucht sie mit Entsetzen auf, Das Grausen wird zur wildverwirrten Wut, So, Arm in Arm, die Haare flatternd, stürzen Sie sich vom schroffen Fels hinab ins Meer. Seitdem befolgt des Erichthonius Stamm Die Sitte, jedem Säugling in die Wiege, Zum Angedenken jenes furchtbar'n Schutzes, Ein goldgeringelt Schlangenpaar zu legen. Der Pallas Rache, deutest du sie recht, Zeigt ja, wie sehr für dein Geschlecht sie eifert, Und dessen Feinden selbst feindselig ist. Doch hätte sie sich eine Zeitlang auch Dir abgewendet: hilfreich ist der Himmel, Ein andrer Gott gewährt, was einer weigert. So heißest du mich auf Apollen hoffen? Und kamst du nicht mit dieser Hoffnung her? Es hegt sie mein Gemahl mehr, als ich selbst. Du nahst dich hier dem freundlichsten der Götter. Du rühmst ihn billig: dir erwies er Gutes. Du hast nur seine Liebe nicht erprobt. So war's mein Glück; ein Mensch erprobt die Liebe Der Himmlischen doch niemals ungestraft. Erkläre mir dies rätselhafte Wort. Vernahmst du nie, wie in des Donnrers Armen Einst Semele zu Asche niedersank. Wohltaten kommen uns von höhern Wesen, Doch Liebe kann das gleiche nur gesellen. Hör' an, was mich auf den Gedanken leitet; Dein offner Blick stößt Zuversicht mir ein. Ich bringe außer meinem und des Gatten Anliegen, einer Freundin Auftrag mit Zu des Orakels vielbesuchtem Sitz: Ist kein geheimer Ausspruch zu erlangen? Du, der du stets beim Heiligtum verkehrst, Kannst etwa mir mit Rat behilflich sein. Zu schweigen wie zu reden weiß die Pythia, Ich lernte nur zu schweigen, wo ich soll. Nicht weisem Sinn, doch einer treuen Brust Wirst du vertraun was dich zu drücken scheint. Hör' an. Vergib mein Zögern, denn der Ruf Der Frau'n ist ein zerbrechlich kostbar Gut. Ein Weib, das ich als schuldlos kenn' und edel, Doch deren Namen ich nicht nennen darf, Beteuert, daß Apoll ihr einst genaht, Und ihr der Jugend jungfräuliche Blüte, Ein Gott der schwachen Sterblichen, entwandt. Sag' keine Frevel, fremde Königin. Die Wahrheit ist zu sagen stets erlaubt. Daß Götter Zucht und Sitte so zertreten? Es muß der Mensch die Übermacht wohl dulden. Weißt du, ob jene nicht mit schönen Namen Des unerlaubten Lagers Schmach bemäntelt? Das braucht sie nicht, denn keine Spur, kein Zeuge, Hat an das Licht gebracht was sie erlitt. Die Mutterliebe trieb sie einzig an, Was ich erzähle, mir zu offenbaren. Das Kind, das von der heimlichen Umarmung Ihr Schoß gebar, hat sie, von Angst gedrängt, Zu einer dunkeln Höhle hingetragen, Es brünstig seinem Vater anbefehlend. Doch als sie wieder hinkam, nachzusehn Was draus geworden, ach! da war es fort, Und sie zerraufte schreiend sich das Haar. Und sie fand keinen Gang von Menschen oder Raubtieren, nach dem Orte hin bezeichnet? Den Boden nicht betaut von blut'gen Spuren? Von allem nichts; verschwunden war das Kind. Nun wünscht sie hier in Delphi zu erforschen, Ob es gerettet ward, und, schaut es noch Das Licht der Sonne, wie und wo es lebt. Die arme Mutter! Aber ihr Beginnen Dünkt mir gewagt und dennoch unersprießlich. Wird Phöbus selbst, was er mit Fleiß verhehlt, Verkünden? Kannst du hoffen, einen Spruch Ihm abzuzwingen, der ihn tief beschämt? Wird sich sein Zorn nicht auf den Frager lenken? Nein, nein! verschließe still in deinem Busen Was, offenbart, nur Unheil bringen kann, Was mitzuwissen schon gefährlich ist. Beruh'ge deine Freundin mit dem Trost, Wenn sie nicht eitler Täuschung sich ergeben, Daß Götter ihre Kinder nicht verlassen, Und daß Apoll gewiß den Säugling schirmte, Ihn nicht verschlingen oder rauben ließ, Und irgendwo zu seiner Lust ihn pflegt. Das Kind ist ihr, sie will es auch besitzen. Wohl hat sie recht; was soll ich dir erwidern? Den Gott zu schelten scheut sich meine Zunge, Nicht, weil ich knechtisch fürchten ihn gelernt, Nein, weil des Vorwurfs Widerhaken schmerzlich Zurück sich wenden in mein eignes Herz. Wie kann bei Menschen Recht und Tugend blühn, Wenn selbstvergeßne Götter, Lüsten fröhnend, Die hohe Macht, den weisen Seherblick Mißbrauchen, reine Sitte zu bewält'gen, Dann ihre Schmach ins Dunkel zu entziehn? O wie ein unentfliehbar Netz umstrickt Mich der Gedanke! Laß mich, laß mich fort, Wo einsam ich in meine tiefste Brust Einladen will den vielgeliebten Gott, Ihn leise mahnen, kindlich mit ihm rechten, Ob er mir's löst, ob ich es lösen kann. Denn vielverschlungen sind des Schicksals Wege, Kurz unser Blick und für die Zukunft blind. 6. Auftritt Sechster Auftritt. Welch schuldlos rein Gemüt des blüh'nden Knaben! Ihm konnt' ich ohn' Erröten mich vertrau'n. In diesem Alter wäre jetzt mein Sohn, Wenn die Harpyien nicht vom Angesicht Der Erd' ihn grausam weggerissen hätten. Doch, wenn er unverhofft sich wieder fände, Und gliche diesem hier an holdem Wesen, An schöner Leibsgestalt und freiem Mut: Gern wollt' ich ihn vor aller Welt erkennen Und kühnlich sagen: »Seht den Sohn Apolls! Wer kann das Götterblut in ihm bezweifeln?« Aus meiner lange heimlich glüh'nden Scham Würd' er hervorgehn, wie die Sonne herrlich Des Morgens Purpurwolken überstrahlt, Die stolze neidenswerte Schuld zu segnen. Heut sind es sechzehn Jahr seit jener Nacht, Als ich von ihm wie von mir selbst mich trennte, Und heut muß unser Schicksal sich entscheiden. Wozu bedarf's Umschweife noch? geheimes Befragen des Orakels? Wenn Apoll Auf mein und des Gemahls gemeinsam Wort Mir keine Spur gibt von dem Schmerzenskinde, So ist es längst dahin; und er verleugnet's Wie er es ließ verderben: und dann hab' ich Nichts zu verlieren mehr, und nichts zu hoffen. 7. Auftritt Siebenter Auftritt. Kreusa, Xuthus mit Gefolge. Ich komme, teure Gattin, eilig nach, Damit dich mein Verweilen nicht bekümmre. Was bringst du von dem unterird'schen Seher, Bei dem ich ungern dich zurückgelassen? Kehr' mit mir heim: noch ist kein Schritt getan, Noch lockten wir aus unsrer Zukunft Höhle, Indem wir da nach Segensschätzen forschen, Des grausen Unheils Drachen nicht hervor, Der drinnen schläft, und uns den Zugang wehrt. Versteh' ich recht? wir sollten Delphi wieder So unverrichteten Geschäfts verlassen? Wie hat sich plötzlich dein Entschluß verändert? Glaub' mir, uns frommt am besten, gleich zu gehn. Wie soll ich's, bis du mich belehrt, warum? Noch bin ich ganz verstört, und sammle kaum Die schweifenden Gedanken zum Bericht. Nicht daß mir die Erinnrung wär' entschwunden: Denn als ich aus dem Schoß des Abgrunds kam, Hat mich der Stuhl Mnemosynes empfangen, Und was mir erst vorschwebte, steht unwandelbar In düstrer Deutlichkeit vor meiner Seele. Nachdem ich in der felsgehau'nen Grotte Der Weihung letzte Bräuche noch vollbracht, Streckt' ich die Füße durch den dunklen Eingang, Woraus die Unterwelt zu atmen scheint. Abhängig wie ein jäher Wassersturz Riß es hinab mich, auf dem Rücken liegend, In rascher Eil und unermeßlich weit. Bewegungslos erwartend lag ich drunten, Ich sah noch nichts, ich hörte nur Gezisch, Und wunderbare Stimmen aus der Tiefe. Die Klagetöne schienen bald in Wirbeln Zu steigen, sich zu sondern und gestalten, So bebten mir Erscheinungen vorüber, Angstvoll, doch unbegriffen. Kinder winselnd, Dann flieh'nde Weiber mit zerstreuten Haaren, Ein Jüngling, wild nach ihrem Busen zielend, Und, was am meisten mich mit Schauder füllte, Ein Schattenpaar, das zärtlich sich umarmte, Umstrickten Furien ungesehn mit Schlangen. Dazwischen starrten mich Gorgonenhäupter Hohnlachend an, aus allen Sinnen scheuchend. Ich wollt' an Heil und Leben schon verzweifeln, Als zu mir trat ein Mann von ernstem Anblick, Fast wie der Helfer Äskulap gebildet, Von Bart ehrwürdig und von hoher Stirn, Auf seinen Zauberstab die Rechte lehnend, Trophonius war es, und er sprach also: Nicht vorgreif' ich dem delphischen Sitz und dem Seher Apollo; Aber hüte dich, Xuthus, daß, deinem Geschlecht nachstrebend, Nicht du den Fall des Geschlechtes erwirbst und des Hauses Zerrüttung. Kaum hatt' er seine Weissagung gesprochen, So ward ich wiederum emporgerückt, In gleicher Bahn und Weise, nur das Haupt Noch rückwärts nach den frost'gen Schatten hangend, Bis sich des Himmels Wölbung wieder auftat. Nun weißt du's: folge meinem Rat, Kreusa! Es bleibe das Orakel unbefragt. Und wir in unserm kinderlosen Stand. Weit besser, als von Grund aus untergehn. Ein unerfreulich Leben gleicht dem Tode. Doch selbst den Tod kann Unglück bitter machen. Wir haben an den Göttern nicht gefrevelt, Laß' uns doch prüfen, wie sie's mit uns meinen. Ein großes Gut steht uns vielleicht bevor, Was nur der unterird'schen Mächte Neid Durch leere Schrecknis zu verlarven strebt, Damit wir der verhängnisvollen Urne Mißtrauisch nimmer nahen sollen, oder Mit banger Hand fehlgreifen unser Los. Ja, laß' uns wagen, glücklich sein zu wollen. Entfernt noch, zagt' ich oft vor dem Versuch, Doch jetzt umfängt mich hell die Gegenwart. Der Tempel, diese Pforte, diese Säulen, Sie scheinen gastfrei uns hereinzuladen, Ein flüsternd Säuseln regt sich durch den Hain Als Vorgesang beseligender Sprüche. Der Tag ist heiter, und die Zeichen günstig: Auf zu dem heil'gen Dreifuß! komm, o komm! Du überredest mich beinah, zerstreust Durch deines Muts Begeistrung mir das Grausen, Womit der nächtliche Prophet mich schreckte. Es war nur die Betäubung von den Dünsten, Die Blendung von den Schatten jener Gruft: Hier scheucht sie von der Stirn der Lüfte Schmeicheln, Der Gruß des Lichtes von dem klaren Auge. Was wagen wir? Und alles zu gewinnen, Wär', alles dran zu wagen, nicht zu viel. Wir wollen mutig hoffen, brünstig beten: Ich will Latonen noch ein Opfer bringen, Daß bei dem Sohn die Mutter für mich spreche; Geh du indes zur Pythia hinein. 2. Akt 1. Auftritt Erster Auftritt. Jon singt zur Leier. Strophe. Du hochragendes Haupt des Lorbeers, Zeus himmlischem Blitze nie verwundbar, Noch wildstürmenden Wintern Je hinstreuend den grünen Schmuck! Gesangliebenden Schatten beut mir Kühl wehend, damit ich Der viersaitigen Leier Wohllaut Anstimme dem Widerhall, Daß auf melodischen Wellen die Seele mir, Aus banger Zweifel Wirbeln, Sanft hingleitend im Hafen ausruhe, wo Die geliebten Wünsche wohnen, Wo Zutrauen den Anker auswirft. Gegenstrophe. Dein lichtstrahlendes Götterantlitz, O du, der im reinsten Taue badet Die goldlockige Scheitel Am Felsborne Kastalias, Apoll! dürft ich es schaun nur einmal; Anredens gewürdigt Mich hinwerfen zu deinen Füßen, Inbrünstiger Liebe voll! Was die olympischen Säle verherrlichet, Der sel'gen Inseln Wonne, Schwellt nie sehnend den Busen an, nie mit Neid Ganymedes ew'ge Becher, Dem inwohnet dein hohes Bildnis. Nachsatz. Wer darf göttliche Tat Richten nach Schein? Warte das End' ab. Oft bricht Sonn' aus Gewölk. Zügeln den Mund lehrt, Wie der Niobe Söhnen, Zornblickend, todsendend, du erschienest. Mir offenbare milder dich, Wie wenn du huldreich der Musen Chor führst. Rings her leuchte der Hain, bebe der Talgrund, Beflügelt weh' auch des Tempels Tor auf, Ahndungsvoll wie beseelt schwanke der Baum hier Bei der gewaltigen Götternäh: Nicht soll zagen mein junges Herz, Dir frohlockend entgegen. 2. Auftritt Zweiter Auftritt. Jon, Xuthus. Mit Ungeduld erwart' ich, wem ich jetzt Zuerst begegnen soll. Seh' ich hier niemand? O holder Jüngling, laß mich dich umarmen! Du unterbrichst die schöne Hymne mir: Die Leier ist aus meiner Hand gefallen. Zum Jubel wollen wir sie neu besaiten, Denn uns zum großen Glücke treff' ich dich. Kind, reiß' dich nicht aus meinen Armen los! Was willst du, Fremdling? Es geziemt mir nicht, Dem Jüngling der ein heilig Amt verwaltet, Sich der Vertraulichkeit so hinzugeben. Niemand ist minder fremd sich, als wir beide: Du bist mein Sohn, sieh' deinen Vater hier. Tratst du vielleicht zu nah des Schlundes Mündung, Der wahrhaft nur die Priesterin begeistert, Und hat der Dunst, der aufsteigt, dir das Haupt verwirrt? Wie, oder schwärmst du in des Bacchus Taumel? Der Freude Taumel reißt allein mich hin; Begeistert hat mich, doch nicht lügenhaft, Das Wort der hohen Pythia vom Dreifuß. Wie lautet es? sag' an! Sie gab dich mir. Zu welchem Ende? Um mein Sohn zu sein. So hat sie dir mit Namen mich genannt? Das nicht, und dennoch kann ich hier nicht irren. Vernimm den Hergang, daß du überzeugt, Vom ersten Staunen wieder zu dir kommend, Dich meiner Freude willig überlassest. Ich nahte dem Orakel, um zu fragen, Wie die Verheißung sich erfüllen möchte, Die es vor manchen Jahren mir gewährt: Daß mein Geschlecht in zweien Söhnen blühen Und großen Völkern Namen geben solle. Ich hört' als Antwort aus dem Mund der Pythia: Tritt, Anführer Athens, hinaus vor die Hallen des Tempels: Wem du zuerst da begegnest, den heiß' ich als Sohn dich erkennen, Dankbar ehren fortan, von wem dir das holde Geschenk ward. Kaum daß mein Fuß die Schwelle nun berührt, Und rings umher mein Blick verlangend spähte, So fielen mir die Weisen deiner Leier, Wie einer guten Vorbedeutung Laut, Ins Ohr, und deine liebliche Gestalt Ins Auge, daß ich froh entzückt hinzulief, Die erste Vaterfreude zu genießen. Verzeih', daß ich die Liebkosung mißkannt, Die du so gütig mir entgegentrugst, Noch kann ich nicht mein neues Los begreifen, Es ist zu herrlich und zu wunderbar; Hier übt' ich eben Hymnen auf der Leier, Ob sie des Musenführers Ohr gewönnen, Und sehnte mich, statt aller Erdengüter, Ihn einmal nur von Angesicht zu schaun, Indes gedacht' er mein im Heiligtum, Und sendet dich, den reichbegabten Herrscher, Den ruhmgepries'nen königlichen Helden, Zu väterlicher Sorge mir heraus. Wie bin ich unbemerkter Knab' es wert? Auch mich hat er zu stetem Dank verpflichtet, Und sich freigebig wie ein Gott bewährt. Nicht Aussicht in die Zukunft gab er mir, Wie man des Mahners Ungestüm vertröstet: Nein, die Erfüllung stand vor seinen Toren, Und kam mir rasch entgegen. Kinderlos War ich, und habe jetzo dich zum Sohn, Der blühend schon zur Jugend aufgewachsen, Nicht der mühsel'gen Pflege mehr bedarf, Die an der schwachen, zweifelhaften Kindheit Oft nicht gedeiht. Gleich einem schönen Traum, Der sich verkörpert hätte, stehst du vor mir. Verdienst so ganz an Bildung, holdem Wesen Und edlem Mut Urenkel Zeus zu sein, Daß Kön'ge mich um dich beneiden werden. Du siehst mich schon mit Vateraugen an. Doch sag', wie legst du das Orakel aus? Meint es, du mögest nur den Elternlosen An Sohnes Statt aufnehmen? oder soll Dein wahres Blut in meinen Adern fließen? Kennst du nicht deine Herkunft, teurer Knabe? Man fand mich hier am Tempel ausgesetzt, Seitdem hat niemand sich zu mir bekannt. So bist du sicher meines Leibes Sohn. Ich hörte doch Kreusen erst beteuern, Daß ihr bisher noch ohne Kinder bliebt. Kreusa freilich. Welches ist dein Alter? Mir wurden heute sechzehn voll. Die Zeit trifft überein. Es fehlen noch Drei Monden ungefähr an siebzehn Jahren, Seit ich zum ersten diesen Sitz besucht, Da bei den pyth'schen Spielen Cirrhas Eb'ne Laut wiederhallend mich als Sieger ausrief. Was soll ich jugendlichen Übermutes Mich schämen, nun er einen Lohn mir schafft, Den Maß und Weisheit und ein stolzes Eh'bett, Erworben durch Verdienst, mich ließ entbehren? Beim Schmaus, der festlich meinen Sieg beging, (Jetzt lebt es wieder im Gedächtnis mir) Hat mich der Freude Taumel und des Weins Mit einer der Bacchanten hier verbunden, Die des Parnassus Klüfte wild durchstreifen, Und hochgeschwungen, weinumrankt, ein Thyrsus, Statt Hochzeitfackel uns vorangewinkt. Aus diesem Rausch mußt du entsprungen sein. Mich kümmerte, nach rascher Jugend Art, Das Weib nicht ferner, noch der Tat Erfolg, Und bald verließ ich diese Fluren. Jene, Da sich in ihr des Gottes Glut ernüchtert, Und mit der Tage Lauf, der Monden Wechsel, Ihr Schoß ein vaterloses Kind gebar, Hat sie, so läßt es leichthin sich erraten, Die ihr allein zurückgelaßne Sorge Abwerfend, hier den Göttern dich vertraut, Die durch des Festes übermächt'ge Lust Ins Leben dich gerufen. Und so hast du Durch meine Schuld die reiche Pfleg' entbehrt, Da Mitleid nur den Findling auferzogen. Jetzt aber will ich dir's vergelten, Sohn, Es soll mein stetes Sinnen einzig sein, Dir Glück und frohe Tage zu bereiten. Ich kann nicht länger zweifeln: ja, du bist's, Du bist mein Vater. Laß es mich umschlingen, Dein würd'ges Haupt, das teure, längstbegehrte; Laß meine Lippen sich auf deine Stirn Und beide Augen drücken. Dank, ihr Götter! Apollo, du vor allen, habe Dank! Mein unsichtbarer und olymp'scher Vater, Das bleibst du dennoch, ob du schon mir sichtbar Den sterblichen Erzeuger zugewiesen. Du Schöpfer meiner Sohnespflicht und Freuden, Wie sollt' ich dein darüber je vergessen? O teurer Vater, ich gelobe dir, Ich will durch all mein Streben und mein Tun Dem Geber und Empfänger Ehre bringen. Umarme denn mich wieder! segne mich! Sieh, meine Wonne fließt in milden Tränen: Zu glücklich bin ich, aber eins doch fehlt. Was ist es? steht's in meiner Macht zu schaffen? Daß meine Mutter uns nicht mit umarmt; So schlängen dreifach sich der Liebe Ketten. Mit Recht bedenkst du sie, mein Sohn. Die dich Geboren, ist ein wert zu achtend Weib. Ich war ihr unbekannt, so wie sie mir, Und viel geschehner Dinge Spur verlöscht Die lange Zeit: doch wollen wir nicht ruhn, Bis wir sie wiederfinden, und auf Kundschaft Von ihrem Aufenthalt und Namen senden, Erst hier umher, dann in ganz Griechenland. Mir angehören genüge dir indes. Wer weiß, ob sie der Tod nicht schon entraffte, Und alles Forschens Mühe stumm betrügt! Vermeide Worte schlimmer Vorbedeutung. Du blühst so frisch: wie sollte sie nicht leben, Die mit gesunder Kraft dich ausgestattet? Allein, wenn sie uns auch verborgen bliebe: Mein Haus nimmt dich als Eingebogen auf, Was es vermag, das wird auch dein; Kreusa Wird deiner Mutter Stelle dir vertreten. Ach! andre Kümmernis berührst du da: Ich sorge, deiner Gattin zu mißfallen. So fürchtest du stiefmütterlichen Haß? Es möchte mir das Härtste doch begegnen, Wenn sie nur glücklich und zufrieden wär'. Ich sah dein edles Weib hier bei der Ankunft, Und wie ihr Herz, beklemmt von Mutterliebe, Die keinen Ausweg weiß, noch Gegenstand, Wehmütig hoffte, stolz verzweifelte, Hat sie mir innig das Gemüt bewegt. Bald wird sie nun, was uns gewährt ist, sehn, Und ruhiger daran sich genügen lassen. Ungleich hat das Orakel euch bedacht. Dir gab es heimzuführen deinen Sohn, Der nicht der ihre ist, und nötigt sie, Den Fremden, Unbekannten, den Erzeugten Aus einem Bett, von keinem Recht geweiht, In ihrer Väter Hallen aufzunehmen. Es wird sie immerfort mein Anblick mahnen, Beglückter sei ein andres Weib gewesen, Die dir ein rascher Augenblick verband, Als sie, die seit so vielen Jahren dir Der Gattin Liebe, Sorg' und Treu gewidmet. Nun wird sie erst sich doppelt einsam fühlen, Da du fortan die Kinderlosigkeit Nicht mit ihr teilest, wie bisher. Mich jammert's, Daß sie so arm an Freuden altern soll. Noch bleibt ihr mit der Jugend Hoffnung übrig. Den frühern Ausspruch des Apoll, der mir Verhieß, zwiefacher Ahnherr griech'scher Stämme Durch zweier Söhne Füll' und Kraft zu werden, Hat nach so vielen Jahren der Erfolg Nur halb noch eingeholt. Du bist der eine; Den andern Sohn erwart' ich bald von ihr. Der unfruchtbare Fluch wird jetzt sich lösen: Denn oftmals zögert die beginnende Erfüllung, eh' sie durch die dichten Wolken Der Hindernisse bricht; allein so bald sie Erscheint, zieht ihre Schwester, die Vollendung, Ihr durch das lichte Tor frohlockend nach. Doch dieses können ferner wir besprechen Zu andrer Zeit. Sag' an, wie heißest du? Die Pythia hat Jon mich benannt. Jon, mein teurer Sohn! O schöner Name, Wie wirst du in der Nachwelt Ohren tönen, Wenn Städte, Völkerschaften, Reiche blüh'n Auf lebensvollen Fluren, Küsten, Inseln, Wenn Helden kämpfen, Dichter sie besingen, Und, nach der Sprach' und Sitten Eigenschaft, Jonisch alles preisend wird genannt! Gewöhne denn dich nun, stets zu bedenken, Wie du den Namen glorreich führen willst, Dem das bestimmt ward; sieh von heute dich Als einen Fürstensohn und Herrscher an. Mein königliches Zepter erbt auf dich, Du mußt dich zeitig, es zu führen, üben. Wie anders doch von fern die Ding' erscheinen, Als wenn sie gegenwärtig vor uns stehn! Ich konnte mir so Herrliches nicht träumen, Als mir begegnet, und nun füllt mich Ahndung Mit Bangigkeit vor dem schon, was bevorsteht. Der schnellen Glückserhöhung geht zur Seite Der Übermut, und Neid folgt hintennach. Zu der Athener auserkornem Volk Komm' ich an zwei Gebrechen krankend: erst Ausländisch, und dann unecht von Geburt. Mit welchem Auge werden über sich Sie den gestellt sehn, der zum Dienen aufwuchs? Wen Menschen gern gebieten lassen sollen, Muß von Beginn vor ihnen ausgesondert sein; Mich achten sie nicht einmal gleich geboren. Auf ihr feindselig und verachtend Streben Wird Argwohn lauern müssen, und so drängt Mich fremde Tücke, die Umstricker selbst Mit gleicher Schling' und Listen zu verstricken, Wo nicht, mit trotzender Gewalt zugleich Das Recht und ihr Gewebe zu durchreißen, Daß Tyrannei den Purpur blutig färbt. Hier war ein mäßig Teil und Ruh' und Stille Mein süßes Los, und die willkommnen Schranken Der Lehre, der Gewöhnung und des Orts Bewahrten mich vor ungerechtem Tun. Viel Fremde kamen wechselnd hier und gingen, Die ich willkommen heißend und geleitend Stets neu den Neuen wohlgefällig blieb. Nicht den Erwerb vergänglichen Besitzes Galt mein Verkehr mit ihnen: immer nur Zu festlicher Bereitung, Heiligung, Behilflich war ich ihnen, und mein Dienst Hob über den Verkehr mit Menschen mich. O warum kann ich nicht, jetzt da wir uns Erkannt, als Sohn dir genügen, und dabei Fortwandeln die geliebte Lebensbahn! Das sind nicht fürstliche Gedanken, Sohn! Bewähre mir dein königliches Blut, Und zage nicht vor deines Glückes Glanz. Bedenke, daß dein Vater als ein Fremdling, Von seiner Heimat ein Verbannter, auch Sich auf den Thron der Erechthiden schwang Durch kühne Tat. Ist dies dein Delphi doch, Der Mittelpunkt der Erde, wie sie sagen, Der einz'ge Ort nicht, noch die weite Welt. Nicht Opfer, weiße Binden, Reinigungen, Gebete, Weihrauch, Lorbeer, Festgesänge, Sind dein Geschäft mehr; all dein Trachten muß Nun Tag und Nacht auf nichts gerichtet sein Als Krieg und Waffenübung, Roß und Mann, Die vierbespannten Wagen, Türme, Mauern; Dann auf Gesetz' und Rechte, die Versammlungen Des Volks und Rates, und der Häupter Schmaus In ihres Königs immer offnen Sälen. Du mußt zum herrlichen Athen mir folgen, Noch heut, wann wir das Fest, das ich bei deiner Geburt versäumt, zuvor gefeiert haben. So will ich denn zum Abschied mich bereiten. Lebt wohl, geliebte Bäume! heim'sche Luft! Ergieb'ger Boden, der mich mild genährt! Doch du vor allen, hohes Tempeldach, Worunter oft, auf der Altäre Stufen, Bald am Gestell der Säulen meines Gottes Mich süßer Schlaf umarmt, wie wohl der Landmann, Der einen weit entlegenen Acker baut, Aus Zweigen sich ein Hüttchen wölbt, da ruhiger Des Mittags Glut verschläft, als wie zu Haus Im weichen Bett, indem in seine Träume Der weite blaue Himmel niedersteigt. Quellsprudelnder Parnassus! goldnes Delphi! Ich gehe, doch es bleibt bei euch mein Herz. Ja eines, Vater, mußt du mir geloben, Daß ich die Heimat jährlich darf besuchen. Als Mutter hat mich Pythia gepflegt, Sie weiß noch nicht mein neues Glück, und wird Mich ungern von sich lassen. Oft, recht oft Muß ich sie kindlich wiedergrüßen: sie Vergessen könnt' ich nimmer, härmte mich Nur ab nach ihr, wenn du's nicht zugestündest. Gern alles, lieber Sohn, was du begehrst. 3. Auftritt Dritter Auftritt. Die Vorigen, Kreusa, Phorbas. Verweilst du hier noch, Xuthus, mein Gemahl? Du siehst mich, Teure, deiner Rückkunft wartend. Den Ausspruch hört' ich von den Priestern schon. Und eilst herbei nun, den Erfolg zu sehn. Ja, wer zuerst sich deinen Blicken nahte. Sieh diesen Jüngling an. Ich kenn' ihn wohl. Der ist es. Dieser? Warum sollt' er nicht? beiseit. Weh mir, Apoll! wie tatest du mir das? Mißfällt er dir, daß du befremdet murmelst? Ich wünsche Heil dir mit dem schönen Fund. Ja, stolz erkenn' ich mein Geschlecht in ihm. Du nahmst ihn an als Sohn? Ich fand ihn mein. Wie? doch das ziemt der Gattin nicht zu fragen. Verhüten es die Götter, daß ich jemals Dein Recht verletzt, und das Gelübd' der Eh'! Des Sechzehnjähr'gen Alter zeigt dir schon, Daß ich sein Vater ward, eh' meine Taten Mit unserm Bund das Szepter von Athen Mir noch erworben, eh' ich dich gekannt. Doch, was der jugendliche Trieb gefehlt, Darf mich nun nicht gereu'n, es ist entschuldigt, Da es zur Freude dir, wie mir, gedeiht, Wenn du ihn auch als deinen achten willst. Zu gütig gibst du Rechenschaft, mein König. Das Weib, das seinem Gatten keine Kinder bringt, Ist schon zufrieden, duldet man sie nur Im Hause, dessen Hoffnung sie betrog; Und neben ihr sich andre zu gesellen, Aus deren Liebe bess'rer Segen blüht, Ist Männerrecht, und mehr der Kön'ge noch. Allein wo ist die Mutter deines Sohnes? Wir wissen nicht, wie nah, wie fern sie ist, Ob sie noch lebt, ob sie dem Orkus schon Vermählt ward; unbekannt war ihre Heimat Und Name mir, kaum würd' ich der Gestalt Mich noch entsinnen, säh' ich jetzt sie wieder: Denn mich umgaben der Betäubung Wolken Den einen Augenblick, der uns verband, Und viele Jahr' entrückten sie seitdem. Du redest Rätsel, aber was geschehn Ist klar, und wird sich mehr und mehr entfalten. Und weiß auch Jon nichts von seiner Mutter? Ich sagte dir vorhin schon, Königin, Daß sie sich nie mir zeigte, daß auch Pythia, Die meiner Kindheit ihre Sorg' ersetzt, Noch keine Spur von ihr entdecken konnte. Ja, doch die Zeiten ändern alle Dinge, Nichtwissen, Wissen, selbst Gemüt und Sinn. Viel schwerer sind wohl Mütter auszuforschen, Wenn Dienstbarkeit und Armut sie verbirgt, Als wenn sie eines Fürsten mächt'ge Gunst Zu sich erhebt: da finden sie sich an, Und man erkennt sie auf den ersten Blick. O denke nicht von mir, verehrte Fürstin, Ich könnte mich der ärmsten Mutter schämen. Wie niedrig auch, unedel war sie nicht, Sagt mir die innre Seele. Bei dem Wunsch, Der dich hieher geführt, bei deiner Hoffnung, Ihn künftig auch für dich erfüllt zu sehn! Nicht einer Mutter Herrlichkeit begehr' ich, Die blendend über mich den Glanz verbreite; Der Mutter Herz, das seine süße Wärme Zu einem Strom der Lieb' in mein's ergieße. Gewähre du, Kreusa, mir ein solches, Was deiner Großmut leicht ist: und das meine Gelobt – nicht mehr, das könnt' ich nicht – so sehr Als meine wahre Mutter dich zu lieben. Wär' sie gefunden, o wir wollten beide Hier deine Knie umfassen, und dich flehn Die Eintracht deines Hauses nicht durch uns Gestört zu wähnen. Kein ehrsüchtig Streben Regt sich in einer lieberfüllten Brust: Wir werden keinen Anspruch machen, als Einander Sohn und Mutter ganz zu sein, Von allem dem, was dein ist, nichts bedürfen Zu unserm Glück, als deine Freundesblicke. Du siehst, Kreusa, wie dich zu gewinnen Der Eifer meinen wackern Sohn beseelt. Doch wenn als nahverwandt sich plötzlich die Betrachten sollen, die sich fremd gewesen, So tritt erst zwischen sie das blöde Staunen, Und, an sich selber irr', mißtrauen sie, Wie es auch dir und mir geschah, mein Jon, Und unsrer Freude Flut zu ebben zwang, Bis sie den Damm des Zweifels überschwoll. Nur die beisammen durchgelebte Zeit, Gesell'ge Näh' und frohe Gegenwart Kann der Vertraulichkeit Gewöhnung stiften: Sie wird es bei Kreusen auch und dir. Laßt dann sogleich das Leben uns beginnen, Zwar auf der Reise hier, und fern der Heimat, Das um den Herd der Götter unsers Hauses Uns immer wirtlicher versammeln soll. Das Erstlingsfest der Tage meines Kindes Mahnt, wie ein Gläubiger, der lang' geschwiegen, Mich heut, und mit dem angehäuften Wucher So manchen Jahrs will ich ihm G'nüge leisten. Apoll hat nicht vergebens mich erinnert, Ihn hoch zu ehren, dessen Seherwink Den holden Sohn mir zugeführt: es soll Ihm eine volle Hekatombe fallen, Und rings umher an jeglichem Altar Der Päan von geschmückten Chören jubeln. Indessen teile, wer da will, mit uns Der Becher Lust und ein gemeinsam Mahl; Herolde sollen Delphis rühmliche Bewohner laden, unsre Feier zu begehn, Daß sie in Zukunft auch des Tags gedenken, Wo Xuthus den gewünschen Erben fand. Komm, Sohn, laß selbst uns sorgen und beschicken, Daß Überfluß dies Gastmahl zier' und Ordnung, Und nichts, was unsre Würde heischt, gebreche. Du sollst Bewirter sein, und sollst dir selber Den huldigenden Zoll der Ehrengaben Darbringen, nicht empfangend, sondern gebend, Aus meinem reichen Schatz mit vollen Händen Ihn ausstreun unter ein glückwünschend Volk. Da will ich sehn, wie du zum erstenmal Ein Fürstenamt verwalten lernst: denn Freigebig spenden ist des Herrschers Pflicht, Und seine Pracht dien' allen zum Genuß. Ich folge dir, mein königlicher Vater. 4. Auftritt Vierter Auftritt. Kreusa, Phorbas. O Tochter des Erechtheus! Enkelin Des Erichthonius! du, mein Pflegekind! Wir werden ausgestoßen und verdrängt. So meinst du, Alter? siehst du noch so scharf? Das war es, einem eingeschlichnen Fremdling Das heil'ge Diadem ums Haupt zu winden, Was nur ein Erechthide tragen sollte! Ach immer unglücksel'ges Los der Frau'n, Doch zehnfach mehr der Fürstentöchter noch? Uns bleibt nach freier Neigung keine Wahl, Die mit dem Leib auch das Gemüt vermählte: Wir werden wie ein Eigentum verhandelt. Wie man ein Roßgespann, ein künstlich Erz, Zum Preis beim Wettspiel wohl dem Sieger setzt, Hat man für Schlachten mich zum Lohn erteilt. Und wer bloß mit des Arms Gewalt ein Glück Erobert, das ihm nicht beschieden war, Hält den Besitz als Raub, und übermütig Schätzt er das Unverdiente noch gering: So Xuthus deine Ehgenossenschaft. Fürwahr, nie hätt' ich selber sie erkoren. Wenn sie an Kindern ungesegnet blieb, War doch nichts andres Schuld, als daß Minerva Dem Ankömmling mißgönnte, in den Boden Des attischen, von ihr gepflegten Gartens Ein wild ausländisch wuchernd Reis zu pflanzen. Wer weiß, worüber sonst die Göttin zürnt! Statt nun mit allem Fleiß sie zu gewinnen, Lockt er dich hier zu andern Göttern her, Die trefflich mit ihm einverstanden sind. So scheint's. Er muß viel gelten beim Apoll. Laß nicht voreilig uns den Gott verklagen. Die Himmlischen sind wahrhaft und gerecht: So wenig als die Richter drunten läßt Des Delphiers Orakel sich bestechen. Doch was es redlich ausspricht ohne Falsch, Dem schieben ihre Ränke Menschen unter, Und wissen, eben weil es unbekümmert Auf grader Bahn geht, und in keine Krümmen Sich einläßt, dienstbar es dem Trug zu machen. Glaubst du, es habe Xuthus nicht gewußt, Hier wachs' ein Sohn von ihm zum Jüngling auf? Weswegen trieb er sonst so oft nach Delphi? Er ließ ihn heimlich auferziehen vor dir: Sei's, daß er ihn erzeugt, wie er beteuert, Eh' er dein Gatte ward zu sein gewürdigt; Sei's, daß er höher auch des Knaben Alter Angibt, um zu verhehlen, daß seitdem Er einem unerlaubten Bett gefrönt. Nun offenbart er sich, und weiß die Schuld Gar schlau mit heil'gem Ansehn zu bemänteln, Den höchsten Seher feierlich befragend Um das, was er nur allzu gut gewußt. Ich muß ihm gar ein Freudenfest begehn, Daß er nicht länger den Verrat darf bergen. Die Mutter soll verschwunden sein, von ihr Will keiner wissen: doch der ihren Sohn So gut versorgt, hat sie wohl auch bewahrt. Wie scheue unglückdroh'nde Vögel, die Man nicht bemerkt bei Tag, erst mit der Dämmerung Ausfliegen, wird sie bald zum Vorschein kommen: Denn des Erechtheus Sonne ging ja unter, Du schimmerst noch, ein matter Abendstern, Bald überschattet Dunkel Attika. O hätt' ich nimmer diesen schwarzen Tag erlebt! Schon seh' ich mit dem schmucken dreisten Knaben Die Buhlerin in deinem Hause herrschen. Des Erben Mutter – und hat Xuthus nicht Aus eigner Macht Bastarde seines Bluts Zu Erben unsrer Pallasburg erklärt? – Des Erben Mutter ist die wahre Gattin, Das unfruchtbare Weib wird nichts geachtet, Und muß der andern Sklavendienste leisten. Sieh', diese grauen Haare möcht' ich mir Bestreu'n mit Asch' und Staub, wenn ich bedenke, Was deiner wartet, teure Königin! So läß'st du mich erniedern, meiner Väter Beschützerin? hast du dich, strenge Jungfrau, Denn gänzlich von Kreusen abgewandt? Noch nicht genug. Solang' es möglich ist, Daß sich dein Königsstamm, der teure Ölbaum Einheimisch nur bei uns, jetzt kaum noch grünend, Aus deinem Schoß mit neuen Sprossen ziere, Sind ihres Raubes jene nicht gewiß. Dich zu verstoßen wagt nicht der Tyrann, Er muß Empörung der Athener fürchten. Sie stehn dir also heimlich nach dem Leben; Du bringst nun keinen Becher an den Mund, Daß du nicht vor dem Gifte schaudern müßtest, Womit ihn buhlerischer Neid, und Haß Des Stiefsohns, gärend, reichlich sätt'gen wird. Mir gilt es gleich, es komme, was da will. Was soll ich ängstlich um mein Leben sorgen? Möcht' ich doch gleich den Unmut meiner Seele, Mit mir von jenes Berges Höhen stürzend, In Klüften der Vergessenheit begraben. Du wärst bequem, dich selber wegzuräumen, Daß sie ihr Fest dann doppelt feiern dürften. So willst du all die Schmach geduldig tragen? Und willst, die Enkelin von Pallas Zögling, Ein Spott jedwedem Freigesinnten sein? Was kann ich tun? Ich bin ein schwaches Weib. Ein Weib ist unsre Heldengöttin auch; Nicht das Geschlecht, der Mut macht schwach und stark. Gedenke deiner Schwestern, die freiwillig Und standhaft sich dem Vaterland geopfert. Ganz andre Opfer, minder reine, heischt es jetzt, Von dir die Pflicht nur, dich ihm zu erhalten: Das Heil Athens ruht ja auf dir allein. Sprich denn, wie rätst du mir? Gleich heimzueilen, Und dort mein Volk zum Beistand aufzurufen? Damit wir die thessal'schen Könige, Die wir einst töricht dankbar aufgenommen, Samt dem Gefolge mißerzeugter Söhne, Aus unsern Grenzen jagen mit Gewalt? Unzuverlässig ist die blöde Menge; Sie sind gewöhnt, dem Fremdling zu gehorchen: Was er noch nicht getan, wär's auch gewisser, Als Abend oder Morgen, dessen wirst du sie Zu überzeugen dich umsonst bemühn. Vertrau'n wir uns allein, und führen das Was jetzt notwendig, nicht gewaltsam wild Wie übereilte Jünglingstaten, sondern Bedächtig und verschwiegen sinnend aus. Was achtest du notwendig, treuer Greis? Der aufgedrungne Stiefsohn darf nicht leben. Den zarten Knaben muß die Rache treffen? Entfiel dir alles, daß dich dies befremdet Mich dau'rt die Unschuld seiner blühenden Jugend. Willst du durchaus an dir ihn schuldig sehn? Wohlwollend, schien es, kam er mir entgegen. Des Falschen Freundlichkeit hat dich betört. In seinen Blicken las ich sein Gemüt. Und lasest dein Verderben nicht darin? Wie weißt du, daß es mich von ihm bedroht? Gedenk' an des Trophonius Weissagung. Verwarnt' er nicht, ihr würdet statt erwünschter Nachkommenschaft, nichts als Verderben eures Geschlechts, Zerrüttung eures Hauses finden? Hier gilt's entweder leiden oder tun. Noch lächelt dir dein Unheil in dem Knaben, Wiewohl er es ja sichtlich schon begonnen, Indem er dir den Gatten umgewandt. Er selber trotzte, ganz verwandelt, mir. Ha! das ist Kleines erst. Verstoßung deiner, Mord deiner künst'gen Söhne, Ausrottung Von deinem Stamm, mit Wurzeln, Zweigen, Blüten, Sei dir gewärtig, wenn du nicht zuvorkommst. Wohlan, es muß geschehn. Doch wie vollbringen wir's? Vernimm: das Schicksal legt' in meine Hand Ein schleunig wirkend, doch verborgnes Mittel. Athene gab dem alten Erichthonius Im kleinen Goldgefäß zwiefach gesondert, Zwei Tropfen von der furchtbar'n Gorgo Blut, Des Ungeheuers, das sie selbst erlegt. Der eine fristet Sterbenden das Leben; Der andre, aus des Herzens linker Ader Entquollen, tötet sicher, augenblicklich, Als wenn durch innerlichen Schlag den Gliedern Die Lebensregung plötzlich wär' gehemmt. Dein Ahn verwahrte heilig dies Geschenk, Und hinterließ, als ihn der Himmel aufnahm, Das köstliche Vermächtnis seinem Sohn. Mir hat es dann Erechtheus anvertraut, Da er zum letzten Kampfe ging, selbst im Siege Vorahnend seinen Fall, auf daß es nicht Mit ihm zugrunde ginge. Jetzo ruft uns Die Zeit, die Not, und die Gelegenheit Zu würdigem Gebrauch der Göttergabe. Mich dünkt, ich sehe deine Väter winken Mit ernster Mahnung, dich, ihr Blut zu retten, Mein Alter nicht als feiger Knecht zu schänden. Nein! euch ergeben will ich mich bewähren: Den Todestropfen misch' ich unvermerkt In des verräterischen Buben Wein. Ich schäme mich so hinterlist'gen Mordes. Mein sei der Ruhm der Tat, dein der Gewinn. Doch wenn sie uns zurückfällt auf das Haupt? Mein's will ich freudig dar zum Opfer bieten: So end' ich wohl die allzu langen Tage. Nur einmal tragt noch frisch mich, alte Glieder! Und ihr, erlosch'ne Augen! blicket scharf, Damit ich nichts versäume, noch versehe. Komm, Fürstin, eilen wir zum Gastmahl hin, Wozu sich die Geladnen schon versammeln, Und birg in Fröhlichkeit, was wir bereiten. Ab. Fort, töricht Mitleid, das die Brust beklemmt! Das eigne Kind gab ich den wilden Tieren: An diesem will ich selbst zur Löwin werden. Apoll hat ihn gepflegt; er ist sein Diener, Sein Eigentum, noch mehr, sein Ebenbild. Ihn liebt Apoll, der mich verschmäht, vergißt. Ja, Jon, ja! das büße mir dein Tod! Ab. 3. Akt 1. Auftritt Erster Auftritt. mit fliegenden Haaren. Weh mir, weh! wohin entzieh ich? welche Rettung find' ich aus? Auf den Fersen folgt der Tod mir, und der Pfeile Fittich schwirrt Zu durchbohren meinen Busen, tausendfach von Qual durchbohrt. Kaum, o kaum noch hab' ich Atem, meine Schritte hemmt die Angst, Statt sie leichter zu beflügeln, und ich sterb' und sinke hin. Nein! ich will noch nicht erliegen; aufgerafft die letzte Kraft! Hier am Tempel gilt kein Weilen, feindlich ist dies Heiligtum, Phöbus ließ auf mich ja selber los des wilden Knaben Grimm, Und ihm wär's willkommnes Opfer, tröff' mein Blut hier am Altar. Drum, ihr Nymphen des Parnassus! rettet das verlorne Weib, Rettet, helft, empfanget, berget, die ihr an den Quellen wohnt, In den korycischen Bacchusgrotten, und Dryaden und Napä'n! Habt ihr Höhlen, habt ihr Dickicht, manche dunkle Felsenschluft, O da laßt mich unterschleichen, wie ein aufgejagtes Wild! Ab. 2. Auftritt Zweiter Auftritt. ohne Mantel, Pfeil und Bogen in der Hand. Wohin floh die gift'ge Mutter? find' ich hier sie oder dort? Lief sie wohl schon weit vorüber, oder weilt sie in der Näh'? Doch ein solches Ungeheuer trägt der heil'ge Boden nicht, Den ihr Fuß befleckt: er stößt sie in die wüste Wildnis aus. Ihre Spuren seh' ich dorthin, ja sie soll mir nicht entgehn. O ihr Götter! o Apollo, der du dies Geschoß mir gabst, Zu verscheuchen, zu vertilgen wilden Raubgefieders Brut! Laß ein größres jetzt gelingen! Jetzt begünst'ge meine Jagd! Daß ich nicht das Ziel verfehle, ihre morderfüllte Brust. Bist du doch der Drachentöter, der von hohem Zorn entbrannt Einst die Mutter Erd' entlastet, da du hier den Python schlugst. Trägt die Schlange Weibesantlitz, die ich stracks erlegen will, Ist sie grimmer doch als Python, ihre Augen sprühen Gift. Nun, wohlauf! was zaudr' ich länger? und so bald den Pfeil ihr Blut Rötet, häng' ich dir im Tempel diese frommen Waffen auf. Ab. 3. Auftritt Dritter Auftritt. Welch ein Getümmel und ein Aufruhr schlägt An diese Pforte, diese stillen Hallen, Die brünstiges Gebet nur, und der Hymnen Melodische Gewalt bestürmen sollte? Schon seh' ich niemand mehr: doch eben erst Vernahm ich deutlich Stimmen und Geschrei, Der Flucht und der Verfolgung irre Tritte. Hat sich die Freude bei dem Gastmahl, brausend Wie junger Traubensaft, in sich entzweit? Und fechten, wie die Thrazier, mit Bechern Die Gäste des athenischen Beherrschers? Wofern nur nicht der Übermut, der dort, Von lauter Lust herbeigerufen, tobt, Im Taumel schweifet bis zu blut'ger Tat, Und, wann die angerichtete Zerstörung Ihn kalt ernüchtert hat, in Maß und Schranken Zu spät zurückkehrt mit vergebner Reu. Mein Jon (ach, nicht mein mehr!) war dabei: Galt ihm der Zwist? betraf ein Unfall ihn? Wer kann mir's melden? Doch ich höre nah'n. 4. Auftritt Vierter Auftritt. Pythia, Xuthus, dessen Gefolge den Phorbas in Fesseln herbeiführt. noch hinter der Szene. Hier führt ihn her! hieher! und gebt wohl acht, Daß er euch nicht entrinne. Auftretend. Zum Glücke treff' ich dich: denn dein bedarf's. Was stürmt zu mir in solcher Eil dich her? Ein Frevel ohnegleichen ist verübt. Sag' an: Ich bin auf Schreckliches gefaßt. Noch fehlen Worte dem verstörten Mut. Hat Blut die Becher deines Mahls genetzt? Gift und der Furien Geifer troff hinein. Wen zu verderben wurden sie gemischt? Mein teures Pfand, den kaum gefund'nen Sohn. Ist Jon hin? schlang ihn der Orkus ein? Vorbei an seinen Lippen ging der Todestrank. O himmlisches Gewölb'! ich atme wieder. Auch ohn' Erfolg bleibt, was sie war, die Tat. Wer hat sie ausgesonnen? wer vollbracht? Kreusens Rat, und dieses Knechtes Hand. Dein treuer Diener und dein liebend Weib? Wenn Treu' Verrat ist, Liebe Meuchelmord. O der Verblendung sterblicher Geschlechter, Und ihrer vom Beginn heillosen Werke! In der Verwirrung suchen sie Gedeihn, Aus nächtlicher Verbrechen Graun soll ihnen Die Sonne eines neuen Glücks hervorgehn. Da ist kein noch so stark gewobnes Band Des Bluts, der Liebe, der Genossenschaft, Das hielte, wenn hier stolze Herrschbegier, Dort eigenen Vorteils Sucht gewaltsam reißt, Indes die Faden Tück' und Neid zernagt, Nur der lebt ruhig, der der Lebensgüter Sich ganz verzieh'n, wie abgeschiedne Seelen. Kaum daß mein teurer Jon aus dem Hafen Des Heiligtums den kleinen Nachen wagt, So wirbeln ihn die trüben Strudel fort, Und an der Klippe läg' er schon zerschmettert, Wenn nicht der Göttersorge günst'ger Wind Ob ihm gewaltet, und in die Umarmung Der stillen Bucht ihn hätte heimgeführt. Ach, daß er nimmer sie verlassen dürfte! So müßt' ich nicht nachschauend stehn am Ufer, Und sorgenvoll ihm mit Gelübden folgen, – Doch melde mir, o König, den Verlauf: Wie es ans Licht gekommen, welch ein Wunder Von unserm Jon die Gefahr gewandt; Denn noch kann sich mein Geist nicht überzeugen, Daß nicht ein falscher Argwohn euch verstört. Nur zu gewiß ist was die Sonn' erröten, Die heil'gen Haine schauern machen muß, Was der Stiefmütter schon verhaßten Namen Noch schwärzer zeichnet, und in ihrer Brust, Dem Kelch der Mutterliebe sonst bei Frauen, Die milde süße Milch in Gift verwandelt. Hör' an! auf daß du glaubst was unglaublich ist. Dort auf der frisch begrünten Wiesenfläche Vor Delphi, ward das Mahl mit Fleiß bereitet. Die ganze Eb'ne wimmelte von Dienern, Die hin und wieder Opfertiere führten Und mancherlei Gerät in Händen trugen. Ich selber sorgte für der Speise Fülle, Und was zur Lust und Anmut sonst gehört, Für Salben, Kränze, Blumen, Weihrauchdüfte; Mein Knab' indessen übernahm, die Stätte Den Gästen anzuordnen, wie er es Gar wohl verstand und oft zuvor gesehn. Für ein geräumiges Gezelt den Platz Maß er, und steckt' ihn ab; und in die Ecken Hieß er die Zimmerleute Fichtenstämme Als Pfeiler treiben, die er obenher Mit quergelegten Balken fest verband. Dann wurden sie mit Teppichen bekleidet, Die euer reicher Tempelschatz verwahrt Für solche Festlichkeiten, und worunter Die köstlichsten er mir zu Ehren wählte. Die Häupter schirmte vor den Sonnenstrahlen Ein Himmel, kunstreich in den blauen Stoff Gewirkt mit Gold und Silber, wo der Mond Mit seinen Hörnern, und die mildre Fackel Des Hesperus zu sehn war; hier am Rande Die Nacht umwallt vom sternbesä'ten Schleier Hinanfuhr, und ihr gegenüber sich Der Sonnengott mit seinen Flammenrossen, Forteilend, in den Schoß der Fluten tauchte. So waren auch die rings behangnen Wände Mit Kämpfen der Zentauren, wilden Jagden, Der Satyrn und Bacchanten lust'gen Tänzen, Bevölkert und belebt: es schien der Bau Des schnell emporgewachs'nen Saals, damit Der Gäste Blick sich nicht ins Freie sehnte, In seinem engern Raum die Welt zu fassen, Des Äthers Umschwung und das Erdgewühl. Nicht war nach Mittag zu die offne Seite, Noch auch nach Mitternacht gerichtet, sondern Ließ zwischen beiden Luft, nicht Sonne, zu. Als zum Empfang nun für des Mahls Genossen, Die Polster ringsumher gebreitet waren, Und in des Zeltes Mitte aufgestellt Die Krüge Weins, und Tische mit den Schalen: Da trat der Herold auf die Zeh'n und rief: Wer schmausen wolle, sei hereingeladen. Der Greis hier nun bewies sich gleich geschäftig Den Wein zu mischen und dann einzufüllen, Auch muntert' er die Diener hier und dort Ihn hinzureichen auf, geschürzt und rüstig, Als hätt' er sich vor Freude ganz verjüngt. Das Mahl ging fort: es tönten schon die Flöten, Dazwischen priesen viele Zungen laut Athen und seine glücklichen Beherrscher. Was sollen noch die kleinen Trinkgefäße, Die kaum die Lippen netzen? sprach der Alte; Laßt tiefe Becher kommen, denen voller Die Fröhlichkeit als ihrem Quell entsprudle. Er hoffte wohl im allgemeinen Rausch Sein Tun den Zeugen leichter zu entziehn. So trugen denn die Diener, schwer von Silber Und Gold, in Körben neu Geschirr herbei. Das wurde stracks gefüllt, und einen Becher, Mit schön getriebner Zierrat auserlesen, Nachdem er ihn mit klarem Naß gekränzt, Bot seinem neuen Fürsten Phorbas dar. Mein Sohn trat vor, Trankopfer erst zu spenden; Doch eben da entfuhr ein frevelnd Wort Der Knechte einem in geschäft'ger Hast. Der holde Jüngling, fromm und rein gewöhnt, Für schlimme Vorbedeutung dies erachtend, Trank nicht, goß allen Wein aus auf den Boden. Und hieß die andern auch das gleiche tun. Erwartung war nun im Gezelt und Stille, Bis man die Becher wiederum gefüllt. Und sieh! indem kam eine Schar von Tauben, Die zahm und furchtlos hier im Haine schwärmen, Hereingeflattert durch das Tor. Sie ließen Sich nieder, pickten die Brosamen auf, Und tauchten ihre Schnäbel in den Wein, Der hier und da noch stand in kleinen Seen. Die nun an andern Stellen dies getan, Erlitten nichts; doch zwei, die da getrunken, Und durstig in den glatt beflaumten Hals Den süßen Trank geschlürft, wo Jon eben Den Becher hingoß, fingen an zu taumeln Mit schlaffen Fittigen, wehklagend girrten Sie seltsam dumpfen Laut, und streckten zuckend Die Purpurfüßchen aus, und waren tot. Erstaunen faßte jeden, der es sah; Mein Jon aber warf den Kranz vom Haupt Zerriß den Mantel und mit lauter Stimme: »Dank dir, Apoll, der mich prophetisch warnte! Sonst war dahin mein Leben;« rief er aus. Alsbald erhob sich ein verwirrt Geschrei, Beschuldigend den Alten, der den Wein Gemischt und dargereicht. Ich, voll Entsetzens, Ergriff ihn schleunig, stellt' ihn hart zur Rede, Der, auf der Tat gefangen, nicht versuchte Zu leugnen, sondern trotzig rühmend gar Beteuerte, es wisse niemand drum, Er hab's allein entworfen und vollbracht. Mit Müh' hielt ich die Menge nur zurück, Die schon im ersten Grimm ihn stein'gen wollte. Da sprang, bacchantisch wild, Kreusa plötzlich Hervor und schrie: »Er lügt! glaubt nicht dem Greise! Unschuldig ist er, ich gebot die Tat. So tötet Pallas mit dem Gift der Gorgo, Durch meine Hand, Bastarde fremden Bluts, Die ein sich drängen in ihr Königshaus! Dies dacht' ich triumphierend jetzt zu rufen: Doch es mißlang, und nur Verzweiflung bleibt mir.« Als ob die Schlangen Gorgo selber schüttelte, Starrt alles bei der Greuel Offenbarung, Und niemand dachte, Hand an sie zu legen; Ich selbst war wie von Finsternis betäubt. Doch Jon duldet' ihren schnöden Frevel nicht, Nach seinen Waffen rannt' er, welche friedlich Am nächsten Baume hingen, Pfeil und Bogen, In ihres Herzens Blut die gastlichen Schutzgötter und dies Heiligtum zu rächen. Da sie den Jüngling mit hochglüh'nder Wange Und mit des Zorns verachtungsvollem Blick Ein auf sie stürmen sah, hielt sie's nicht aus, Es wandelte die Frechheit sich in Zagen, Und sinnlos riß sie sich durch alle hin und floh. Und wo ist nun Kreusa? wo ist Jon? Sie wandten sich hierherwärts, mir voraus. Ich hörte hier vorbeifliehn und verfolgen, Doch weit war alles weg, als ich hinaustrat. Sie hofft sich wohl in des Gebirges Jrren Zu retten, doch ereilen wird er sie, Denn ihre Schuld umstellt sie wie ein Netz. O sende, König, deinem Sohne nach, Laß eiligst ihn zu dir zurückentbieten, Eh' er den Streich gewaltsam rasch vollführt, Der ihn, wer weiß? dann ewig könnte reu'n. Zwar lieb' ich, Pythia, den hohen Zorn, Des Jünglings, der sich königlich bewährt; Auch ist Kreusens Haupt dem Tod verfallen: Die Straf' ist so ihr oder so gewiß. Doch nicht mit wüt'gen Händen, wie bei Raub und Krieg, Ziemt es dem Herrscher, an des Schuld'gen Leibe Die Rache zu ersätt'gen: nach Gesetz Und Spruch des Rechts teil' er Vergeltung aus, Entäuß're selber sich des Richteramts, Wo das Verbrechen gegen ihn gerichtet war. Drum geb' ich deinem weisen Rat Gehör. – Geht ihr, sucht mir den Prinzen, sagt, er solle Für jetzo den gerechten Grimm noch hemmen; Und greift die Königin, wo ihr sie trefft. Einige aus dem Gefolge ab. So willst du deine Gattin nach Athen In Fesseln führen, wie den Diener dort? Mitnichten. Nimmer sollen sie die Heimat wieder Mit Augen sehn: der Ort, den ihre Mordsucht Befleckt hat, sei auch der Vertilgung Bühne, Und diese Sonne geh' nicht drüber unter. Es gibt ja hier in Delphi Richtersitze, Gibt Urnen, welche Todeslose still In sich versammeln und ans Licht dann bringen. Ein Gast auf diesem Boden, laß' ich nicht Mein Szepter furchtbar winken, sondern will Nur Kläger sein; nackt liegt der Greuel da, Das ganze Volk ruf' ich zum Zeugen an. Jedoch, wenn du nun heimkehrst in dein Reich Verwitwet von der Enkelin und Tochter Der Helden, die sie göttlich dort verehren, Mit einem unbekannten Sohn des Auslands Auf deinen Stamm geimpft, dem du bestimmst Auf jener heimisch eignen Thron zu steigen: Bedenk', was für ein Argwohn aller Bürger Aufrührisch murmelnd dich umgeben wird. Das Recht ist stark, wenn Mannheit es behauptet. So laß es Richter dort an ihr verwalten. Bald wird die Schlaue da sich schuldlos lügen, Wo niemand Spuren ihres Frevels sah. Die alte Gunst besticht dann, Mitleid mit Dem Rest des Fürstenhauses spricht sie los. Habt ihr nicht dort des Mord's geschworne Richter, Areopag genannt von ihrem Sitz, Die Griechenland als unbestechlich kennt, Wo selbst die Wage der Gerechtigkeit Minerva hält, und strengen, ernsten Blicks Auf jedes Schwanken ihres Züngleins merkt? Dort stelle sie, bis dahin schieb' es auf! Nur jetzt verfahre wider sie nicht weiter, Weil dich die erste Heftigkeit erregt. Die Erechthiden liebt und hegt ja Pallas, Und würfe wohl hinzu das weiße Steinchen, Das gleich die Zahl macht, und die Schuld'gen lös't. O glaube mir, kein ganz verbuchtes Haupt Ist das, worüber noch Olympier Die Hände waltend strecken! Scheint es doch, Als wäre nicht ohn' eines Gottes Obhut Der Tat Erfolg vereitelt, und verwehrt, Daß augenblicklich rasende Verblendung Ein ewig unersetzlich Unheil schaffte; Damit der Weg der Sühnung offen bliebe. Dein Ansehn wähnt' ich hilfreich mir zu finden, Allein du scheinst dem Weibe sehr befreundet, Das, am Apollo frevelnd, deinen Pflegesohn, Von ihm als mein verkündigt, morden wollte. So will ich denn von hinnen, in der Stadt Die Alten, denen obliegt, Recht zu sprechen, Aufmahnen zum Gericht; in Delphis Schutz Begab ich mich als Fremdling mit den Meinen: Sie werden mir nicht weigern, was bei Griechen Die Sitte heischt, was selbst Barbaren täten. Laß, eh' du gehst, den Greis mich hier befragen. – Sprich, hat Kreusa mit darum gewußt? Sie litt nur, was ich aussann und betrieb. Und was bewegte dich, ihr so zu raten? Uralte, unerschütterlich Treu. Du übtest doch Verrat an deinem Herrn. An dem; die längstgestorb'nen ehr' ich mehr. Den Erichthonius und Erechtheus meinst du? Sie zeugen bei den Schatten noch von mir. Und strebte heut dein Anschlag auch für sie? Ja, vom Verderben ihr Geschlecht zu retten. Stand das bevor von dem harmlosen Knaben? Trophonius hat es deutlich prophezei't. Das war es, daß ihr nicht Apollen euch Allein vertraut, und jenes Nachtweissagers Aussprüche mit den seinigen gepaart. Die Unterwelt wühlt aus den düstern Klüften Herauf, und möchte gern was Köstliches Zu sich herunterziehn: so schickt sie Träume, Manch ängstendes Phantom, das wirklich wird, Weil wir es fürchten; so erteilt sie Sprüche, Die der Erfüllung Grund bloß in sich tragen. Nicht wilde Triebe haben dieses Tags Begebenheiten blindlings mißgeordnet, Ein wunderbar Verhängnis ahn' ich drin, Das dich und deine Gattin, edler König, Und, samt euch beiden, den geliebten Sohn, Verstrickt hat: bald entwirrt wird dieser Faden, Gesponnen an der Parzen ew'gen Spindeln, Aus Labyrinthen der Feindseligkeit In liebeselige Gefild' euch führen, Auf daß ihr glauben lernt an höhern Rat. Der Gott will nicht bestürmt sein: freie Gabe Ist des Orakels Wort, und fruchtlos wär's, Das schon Gefragte wiederum zu fragen. Doch hier in seiner Nähe darf ich ruhn, Mich einsam still versenken in Beschauung, Ob er mir Licht in die Gedanken sendet; Durch Wolken strahlen, ist ja seine Art. Du, zögre noch zu handeln, opfre, bete, Daß neuverlieh'ne Gabe nicht um den Besitz Dich täuschen mag, daß nicht sich Sohn und Gattin Einander wechselweise dir entzieh'n. Tu' was dir weise dünkt; ich, was mir ziemt. Ich führ' es aus, was ich dir angekündigt: Denn Ungestraftheit ist Entheiligung, Und wer die Bösen anklagt, dient den Göttern. Pythia zieht sich unter die Vorhalle Tempels zurück. Xuthus mit Phorbas und Gefolge ab. 4. Akt 1. Auftritt Erster Auftritt. Es sei drum, länger halt' ich es nicht aus. O diese Angst ist tausendfacher Tod! So will ich lieber hier die Stirn ihm bieten, Daß er mit einem Streiche rasch mich treffe, Und von der Qual mich lös' und von der Schmach Die lange Stunde hab' ich hier und dorthin Versteckt umhergezittert, wie die Hindin, Wenn sie den jungen Löwen brüllen hört. Ich hört' ihn brüllen: Wald und Felsenklüfte Beschwor er, ihm mein Haupt doch zu verraten, Das er mit aller Götter Fluch belud. Ringsum verdoppelte der Widerhall Die Stimme des Verfolgers, und dann riefen Ihm ›Jon! Jon!‹ die Gefährten zu, Als wäre dieser Nam' ihr Jagdgeschrei, Womit sie mich von allen Seiten schreckten. Da riß ich endlich mich hervor: ich wag' es, Und stelle mich dem Licht des Tages dar. Was hätt' ich wohl zu wagen? Ach Kreusa! Unseliges, verzweiflungsvolles Weib: Nach dem, was du getan, und was erlitten, Ist dir noch andres übrig auf der Welt, Als gleichen Mutes deinen Tod bestehn? Wie hat dich denn die Feigheit übermannt? Doch nein, ich will nicht fälschlich mich verklagen; Es ist der Tod nicht, dessen Blick ich scheue: Daß ihn des Jünglings Hand mir geben soll, Das, das fällt mich unüberwindlich an, Verwirrend, scheucht in Raserei mich fort; Und wie ich auch mit angeschwelltem Stolz Die Brust von innen mir zu stählen suchte, So oft ich sie dem Pfeil entgegentrug, Zerrann des kalten starren Muts Ägide In Furcht und weiche Lebenshoffnung wieder. Laßt sehn, ob uns dies Heiligtum beschirmt. Wie sollt' es? Mich verfolgt ja sein Bewohner. Gleichviel, ich wähle dennoch diesen Sitz, Erwarte hier mein Schicksal, unablöslich Mit meinen Armen den Altar umstrickend. Sie setzt sich auf die Stufen des Altars, und umfaßt ihn. Und wenn ich sterben muß, so soll mein Blut Die Opferstätte wenigstens beflecken, So gräßlich sie beflecken, daß kein Weihrauch Und keine Reinigung sie je entsühnt. Mein letzter Schrei soll durch die Lüfte dringen Zum sel'gen Göttersitz, so herzzerreißend, Daß er, der mich verdirbt, erblassen muß. Das ist die einz'ge Rache ja des Weibes, Hilflos und sterblich, ihre Jammerseele Vor des Vernichters Antlitz auszuatmen. Weh! Lohnest du so der Geliebten, Apoll? O wie anders gelobt hast du mir damals, Als ein arglos Kind jungfräulichen Tritts Ich allein lustwandelt' auf Frühlinges Au'n, Und der Blumen, des Laubs hellfarbigen Putz In das faltig geschürzte Gewand las. Da erschienest du mir holdselig und groß, Goldlockig das Haupt in ambrosischem Duft, Lächelnd in ewiger Jugend und Schönheit, Und ergriffst süßschmeichelnd mit Worten die Hand, Daß der blumige Schatz, unschuldig beklagt, Der sich Sträubenden ach! aus dem Busen entfiel. Sanft riefst du mir zu: Nymphe, getrost! laß Den verwelkten Schmuck auf den Boden sich streu'n, Lieblich und zahllos schwellen ja selbst dir Auf den Lippen die purpurnen Blüten der Lust, Neu sprossend, so oft sie ein Kuß da pflückt. Die laß sich entfalten, und siehe, wie schön Liebe sie dir zum unsterblichen Kranz flicht. So umhauchtest du mich mit berauschendem Wahn, Nicht half ohnmächtiges Rufen, wie rasch Zu der Höhle des Pan du mich hinzogst. Weh, wehe dir, Tag! heimliches Lager du, Götterumarmungen, schwanger mit Unheil! Weh, weh euch gesamt! Wie ein Meer wild braus't, so umdrängten mich bald Träumende Wehmut, hinschmachtender Gram, Die errötende Scheu und erblassende Angst. Der Verwaisten gebrach weiblicher Zuspruch, Still trug ich allein des Geheimnisses Last, Und des Lebens, das Tod mir zu drohn schien. Wes Mund spricht aus der Gebärerin Not, Der Verlass'nen von Göttern und Sterblichen ganz? Und sodann, o Schmach! wie Verbrechen und Raub Zu verleugnen Apolls heiligen Sprößling! Kundige Felskluft, wo ich ihn hintrug, Zu dem Lager, das erst ihm den Ursprung gab, Schweigen und Finsternis, Mitwisser allein! Zeuget mein endlos wehklagendes Leid, Ihr vernahmet es ja, da der Knabe nach mir Ausstreckte die Händchen, begehrend die Brust, Die auf immer von ihm grausam sich losriß. Doch ich ließ ihn dort wie ein köstliches Pfand, Nicht wie ein unnütz lästig Besitztum, Welches in Eil' auf die Straße man hinwirft; In die Windeln gehüllt, die ich emsig gestickt, Oft sie mit Tränen genetzt bei der Arbeit. Auch manch Kleinod legt' ich ihm bei noch, Und die Schlangen von Gold, des erhabnen Geschlechts Urkundliches Bild, Die mich selbst ehmals in der Wiege bewacht. Du aber, Apoll, hast ihn verwahrlos't, Undankbar dem liebenden Lager und mir, Wie der rauhste Barbar nie hätte getan; Gabst Raubtieren des Waldes dein Kind Und den Vögeln des Himmels zum Gastmahl, Während du ruhig im heitern Olymp dort, Knüpfend die traubigen Locken des Haupthaars, Anstimmest der Zither geselliges Spiel, Das melodische Herz mit Gesange dir labst, Und der Musen unsterblichen Chor führst. Noch nicht genug! Da lange kinderlos Ich endlich den gerechten Stolz vergesse Und dem Orakel nah' um Rat und Trost, Beschließt der große Gott mich wegzuräumen, Weil meine Gegenwart ihn hier beschämt. Dem Gatten, dem ich duldend mich gesellt, Weis't er als Sohn zu seinen Tempeldienern, Den ich mit Wohlgefallen töricht sah, Der schmeichlerisch erst mein Vertraun entlockt. Doch bald bestellt ihn Phöbus mir zum Mörder, Und überläßt, wie ein zu kleines Ziel, Die einst geliebte Brust dem falschen Knaben. O allzuschmähliche Erniedrigung! Bin ich nicht einen deiner Pfeile wert? Hier sitz' ich, biete deinem Zürnen Trotz: Triff mich mit deinen blitzenden Geschossen Erbarmungsvoll, und ende meine Qual! Denn alles, was einst Niobe gefühlt, Als du ein Volk von Kindern ihr erwürgt, Und grausam auch nicht eines übrig ließest, Das fühl' ich um den Säugling, deinen Sohn. Ach, dies zu denken, ist's, was mich versteinert! Schon stockt der harte Marmor mir im Herzen, Und wächst durch meine Glieder eisig fort. Wenn ich den schnellen Tod vergeblich rufe, Soll hier mein Auge diese Pforte hüten, Als schaut' ich gegenüber dir in's Antlitz, Bis ich ein tränenvoller Fels geworden, Zum Denkmal deiner Liebe, deiner Lust! Sie sinkt in Ermattung. 2. Auftritt Zweiter Auftritt. Kreusa, Pythia hervortretend unter dem Säulengange des Tempels. Was hör' ich? Ja, die Hoffnung trog mich nicht, Es wird mir Licht gewährt. Ich kann nicht zweifeln: Sich ohne Zeugen wähnend, hat die Arme Ihr Innres ohne Rückhalt offenbart. Nun erst begreif' ich ganz des Spruches Sinn, Durch mich erteilt. Gesegnet diese Stunde, Die alles freundlich lös't. Ich geh', ich eile, Das Denkmal der Geburt des teuren Pfleglings Herbeizuholen, das die jetzt Erbitterten Zum engsten Liebesbund vereinen wird. Ab. 3. Auftritt Dritter Auftritt. Kreusa, Jon. Vergeblich alles! Jede schroffe Spitze Hab' ich erklommen, stieg in jede Schluft hinab, Kein zweifelhaft Gebüsch und Dickicht ließ Ich undurchspäht: und nirgends ihre Spur! Verschlang die Erde sie? hat sie verzweifelnd Von des Parnassus Gipfeln sich gestürzt In nnermeß'nen Abgrund? oder hat Der Himmlischen mir einer die Verfolgung Vereitelt, um die Straf' ihr abzuwenden? Doch seh' ich recht? Sie ist's. – Kreusa, höre! Dich ruf' ich, dich. sich aufrichtend. Was soll ich noch vernehmen? Ich heiße diese Stätte dich verlassen. Als Schutzgenossin faßt' ich den Altar. Errötest du nicht vor des Tempels Stirn? Eh sollte Phöbus wohl vor mir erröten. Du fügst zum Frevel noch den Übermut. Und dich verblendet unbelehrte Jugend. So jung ich bin, erkenn' ich doch das Recht. Denkst du an mir es durch Gewalt zu üben? Fort von geweihter Stätte, noch einmal! Nicht einem Knecht gehorcht die Königin. Doch reinem Priesterwort die Mordbefleckte. Mit welchem Morde hätt' ich mich befleckt? Mit meinem, wandt' es anders nicht der Gott. Du siehst, er beut auch der Verfolgten Zuflucht. So willst du nicht freiwillig sie verlassen? Heil oder Tod trifft mich entschlossen hier. Ich reiße dich mit stärkerm Arm herab. Wie schön der Tempeldiener seinen Herrn doch ehrt! Nun wohl: auch dort ereilet dich mein Pfeil. Der Fleh'nden Blut wird den Altar besudeln. Es wird ihm als willkommnes Opfer fließen. Ich bin bereit. Jetzt naht sich mein Verhängnis. Lisch, Sonnenlicht, mir aus! Empfange mich Nie aufgehelltes Dunkel, Nacht des Erebus! Sie verhüllt sich. Ihr, hohe Parzen, lenket meine Hand. Tritt zurück und legt einen Pfeil an den Bogen. 4. Auftritt Vierter Auftritt. Die Vorigen, Pythia mit einer Dienerin, die ihr einen Korb nachträgt. tritt zwischen sie. Halt ein, verweg'ner Jüngling! Lehrt' ich so Dich die Asyle deines Gottes ehren? Befrei'n ja eben will ich dieses da Von ihr, der Schuld'gen, die es frech entweiht. Denn weilt sie hier, so zieht die blut'ge Spur Stiefmütterlichen Mordes bald ihr nach Die Rachejungfrau'n aus der Nacht uraltem Reich, Ein scheußlich Graun, in diesen lichten Hain. Dir ziemt es nicht zu richten noch zu strafen, Denn dich empört der Jugend heftig brausend Blut. Dankopfer und Gelübde solltest du Dem Sohn Latonens bringen, welcher dich, Vorschauend, an des Orkus Toren warnte, Und denen, die dir Feindliches ersannen, Wer weiß, von welches Dämons Wahn besessen, Die endlos namenlose Reu erspart. Laß jetzt die Waffen und dein wild Beginnen, Und hör', da du nun bald aus Delphi wanderst, Mein scheidend Wort, und nimm die letzte Gabe. Bei diesem greisen längst erblichnen Haar! Wie eine Mutter hab' ich dich vom Anfang Geliebt, gepflegt, im Herzen dich getragen. So hofft' ich auch als Sohn dich zu erwerben: Das ist ja süßer Ehrenlohn der Eltern, Auch sterbend noch fortblühen sich zu sehn; Der Tod kommt wie in Freundesnäh' ein Schlummer, Wenn Kindeshand die müden Augen zudrückt. Ich hoffe hier dich einem frommen Leben Zu hinterlassen, wenn ich bald nun schiede; Nicht einsam selbst nach dir zurückzubleiben. Der Götter Rat beschloß es anders. Wohl! Apoll, der stets dich väterlich versorgte, Hat unter Sterblichen dir einen Vater Nun zugewiesen, dem du folgen mußt. Noch bist du mutterlos: drum siehe hier, Was dir die Mutter finden helfen kann. Bisher hielt ich es sorgsam dir verborgen, Damit dich nicht ein unruhvoller Trieb Auf blinde Abenteur ins Weite risse; Auch bangend, das Geheimnis deiner Abkunft Möcht unerfreulich, heillos sich enthüllen. Doch des Gebieters Wink vom Dreifuß heißt Auch diesen Zeichen einen Mund mich leihn: Jetzt mögen sie dir sagen, was sie können. Da nimm das Körbchen zur Begleitung mit Auf deinen Weg, worin ich erst dich fand, Samt allem, was es Köstliches enthielt: Dich, einzig Kleinod, nahm ich nur heraus. Die Dienerin setzt das Körbchen vor Jon nieder. Wie dank' ich dir, du Segensspenderin? Was du mir weise vorenthalten, Pythia, Gewährst du gütig, da die Zeit gekommen. O süße Wiege! kleiner Nachen du, Worin ich, auf des Lebens wüsten Meeren Bewußtlos ausgesetzt, umhergeschwankt, Wie einer, der vom Schiffbruch kaum sich rettet! Seh' ich dich wieder? bist du's wahrhaft auch? Ich grüße dich mit liebevollen Augen, Die über dir von wilder Ahndung tau'n: Denn Bürge bist du mir und Pfand, daß ich Nun meine Mutter bald umarmen werde. Ich muß den Deckel heben, um von innen Dich zu betrachten. Sieh, da sind die Windeln, Er kniet hinter den Kord, und nimmt die beschriebenen Sachen heraus. Die meine schwachen Glieder erst umhüllt. So zart von weiblich kluger Hand gestickt! Ein Zeichen, daß, die mich gebar, die Müh' Nicht schonte, mich zu pflegen, wenn sie nur gedurft. Ihr seid mir teurer, kindische Gewänder, Als golddurchwirkter Purpur, den fortan Ich als der Sohn des Herrschers tragen soll. Was find' ich hier? Geschmeide, Perlen, Spangen, Wie königliche Jungfrau'n sie besitzen. So reich war sie, und doch so unbeglückt, Gezwungen ihren Erstling auszustoßen! Da hier ein Ölzweig; wie? was deutet der Wohl anders als die Herkunft aus Athen, Der ölbekränzten Stadt der hohen Pallas? Und frisch noch, nach so viel verfloßnen Jahren? Von welchem Wunderbaum ward er gepflückt? Zwei goldne Schlangen endlich hier, beweglich Geringelt, gleich als wenn sie Leben hätten; Was muß ich denken, und wie lös't sich dies? Hört' ich nicht erst, im Erechthidenstamm Sei's Sitte, die den Kindern beizulegen? Ich staun' und staun' und kann es nicht enträtseln. die gegen das Ende der vorigen Rede aufmerksam geworden ist, sich entschleiert und aufgerichtet hat, stürzt sich vom Altar herunter in Jons Arme. Mein Sohn! mein Sohn! Wie ist mir? du, Kreusa! Sieh' deine Mutter, Jon. Ja, du bist's. Mein und Apollos Sohn! O hohes Wunder! O Wonn' und Jubel! Freudenreiches Licht! Ich halte dich, du lebst. Fand ich dich wirklich? Dir wollt' ich einen Todesbecher reichen! Nach diesem Busen hat mein Pfeil gezielt! Kannst du mir je verzeihn? Ach süße Mutter! Fast nahm ich dir zum zweitenmal das Leben. Du gabst es mir, und, was ich bin, ist dein. Nun quillt' die Lieb' in ungehemmten Strömen. Und hat des Zornes Gluten längst gelöscht. Entzücken, unaussprechliches Entzücken! Wie Lüfte der glücksel'gen Inseln haucht es Um meine Brust, und hebt, und wiegt mich fort In taumelnder Bezaub'rung aller Sinne. Bin ich es noch? Die schwer verworr'nen Träume Sind wie im Lethe weggespült, vergessen Ist alles sonst, nur eines halt' ich fest: Daß du mein Sohn, Apoll dein Vater ist. Die so sich freut, muß meine Mutter sein. Ich glaub' auch, ja ich glaube stolz und kühn Mich aus des Welterleuchters Lieb' entsprossen, Zu dem stets kindlich mein Gemüt sich wandte, Die Wolken durch, dem blauen Äther zu. Doch wie es zuging, kann ich noch nicht fassen. Hast du von einer Freundin nicht erzählt, Die aus Apollos heimlicher Umarmung Ein Kind empfangen, und es ausgesetzt? Die war ich selbst, versteckt mich dir verratend, Ich sprach mit dir von dir, und wußt' es nicht. Ich war dir unvermutet nah, Kreusa, Als einsam du in schmerzlich Angedenken, Und, wie verschmäht, in Klagen dich ergossest. O hättest du dich früher einer Freundin Vertrauen mögen, die bejahrt und ruhig Gern ein geängstet Herz der Last entledigt! So hättest du in der Verblendung nicht Die Nächsten dir entfremdet, und beinah Um ein Erröten all dein Glück verscherzt. Dir unterwerf' ich willig meine Schuld: Nicht bloß der Zukunft weise Deuterin, Ich seh' in dir die hohe Schicksalsgöttin, Die, was sie prophezeiet, selbst erfüllt. Drum walte, Pythia, ferner über uns. Sprich, denke von der Sterblichen mit Maß, Die dadurch nur Unsterblichen sich nähert, Daß sie in Demut ganz dahin sich gibt. Wie ich's betrachten mag und drüber sinnen, Stets mit der Freud' erneut das Wunder sich. Wie kam mit mir dies Körbchen her nach Delphi, Wenn du mich in Athen ans Licht gebarst? Gabst du's vielleicht vertrauten Händen mit? Ich bracht' es selber in die Grotte Pans, Empfahl es da der Obhut aller Götter, Vor allen deines Vaters, der, so scheint's, Von dort zu seiner Wohnung dich entrückte. Und wann geschah's, daß wir uns so verloren? Die vor'ge Nacht erfüllte sechzehn Jahr seitdem. So lang ist's grade, seit mich Pythia Frühmorgens auf der Tempelschwelle fand. So weit her kam ich in so kurzen Stunden! Den Göttern, Kind, ist noch viel Größ'res leicht. Allein, wenn mich Apollo zu sich nahm, Und aufzog als den Seinen, ihm zum Dienst: Wie führt er jetzt dem Xuthus mich entgegen, Als dessen echten leiblichen Erzeugten? Nicht trüglich war des Gottes Ausspruch, aber Voreilig hat ihn Neigung mißgedeutet. Er hieß den Gatten deiner wahren Mutter Als Sohn dich nur erkennen, weil bei deiner Geburt die Fackel Hymens nicht gestrahlt, Auf daß dir ein Geschlecht und Erbteil würde; Und Xuthus wünscht' und wähnte dich sein eigen. So laß uns, teure Mutter, zu ihm eilen, Auch ihm zu lösen, was sich uns gelöst. Ich bin nun euer beider: dein geboren, Und ihm geschenkt durch des Erzeugers Wahl. Ich, der ich wider Willen euch entzweit, Muß euch zur schönsten Eintracht neu vereinen. Mitnichten, holder Knabe! Hoffe nicht Das auszugleichen, was unheilbar ist. Ich habe dich, du wirst von mir nicht lassen, Und nimmer kehr' ich zum Gemahl zurück. Dich zu verderben strebt' ich Rasende, Da du, mir fremd, von ihm entsprossen schienst; Nun, da sich's wendet und an's Licht hervortritt, Daß ich dich zwar Verlornen heimlich hatte, Nicht kinderlos zuvor, bei ihm es blieb, Und des vertrauten Betts Genossenschaft Seit der Vermählung so viel Jahre täuschte: Wie kann ich Xuthus Antlitz je noch sehn Ohn' unauslöschlich brennendes Erröten? Weh mir! So schämst du mein, des Armen, dich? Du, Götterjüngling, bist mein Stolz und Ruhm, Der sterbliche Gemahl beschämt mich nur. Schon der Gedanke ist mir unerträglich. O lass' uns fliehn, eh' er uns überrascht! Wohin entfliehn? Fort zu entfernten Städten. Dein Vaterland, den Thron willst du verlassen, Bedürftig, hilflos, in die Fremde wandern? Du bist mir Reichtum, bist mir Heimat nun, Bist mir des Erichthonius Heldenhaus Und aller schutzverwandten Götter Tempel. Mit dir bedarf ich keines andern Glücks. Zum zweiten Male, Königin Athens, Reißt heute schon Verblendung, und der Eifer Des stolz mißtrauenden Gemüts dich fort. Die besten Gaben, hast du selbst erfahren, Verkehrt ein Sinn, der sie nicht still empfängt. Es wird dich, mir zu folgen, nicht gereun. Wenn du dich mit dem Sohn vom Gatten wendest, Verschmähst du ihn nicht bloß, du lehnst dich auf Des Gottes deutlich kundgegeb'nem Willen. Er hieß den König selbst ja seinen Jon An Sohnes Statt aufnehmen in eu'r Haus, Um euer aller Bündnis zu begründen Doch wird mir Xuthus glauben, dieser Jüngling Sei wahrhaft aus olympischem Geblüt? Und daß ich nicht die ird'sche Schuld zum Wunder Jetzt zu verklären suche? Hab' ich doch Kein andres Zeugnis, als die eignen Schwüre. Es ist gewiß. Die wundervolle Rettung Des Säuglings; seine Pfleg' im Heiligtum; Apollos Sorg' und Obhut, die, entlassend, Ihn einem edlen Vater übergab; Eu'r Wiederfinden, eu'r Erkennen, hier Am selben Ort, der Jons erstes Los bestimmt, Wie vor des Gottes huldgesenktem Antlitz; Und selbst der Zeiten Kreislauf, dieser Tag: Das alles spricht mit vieler Zeugen Mund. Wohl nichts von solchem schnellen Wechsel ahndend Wird Xuthus die erkornen Bürger Delphis Noch eifernd, wie er drohte, rufen zum Gericht. Geh' Jon, such' ihn auf: erzähl' ihm alles, Wie sich's begeben, und bered' ihn her. Wir wollen die Versöhnung dann vollenden. Indes erhole du, Kreusa, dich, Von Leid erschüttert und gewalt'ger Lust. Alle ab. 5. Akt 1. Auftritt Erster Auftritt. Jon, Xuthus. So ist es, teurer Vater, wie ich sagte; Du weißt den Hergang nun der ganzen Sache. Sehr Wunderbares muß ich da vernehmen, Fürwahr! Allein auf deinen Lippen wohnt' Die offne Redlichkeit, du kannst nicht lügen; Du glaubst an die unglaubliche Verknüpfung: Doch weißt du, ob nicht Trug sie dir gewebt? In höchst geleg'nem Augenblick erschienen Die Zeichen deiner Herkunft: konnten sie Nicht vorbereitet sein, um deinen Zorn Wie Zauberlieder zu besänftigen, Und dich, sirenengleich, an ein Gestade Verderblich falscher Liebe hinzulocken? Es hat sie Pythia verwahrt. Du wolltest An Lügenkünsten die mitschuldig achten, Durch deren Mund Apollo Wahrheit redet? Die Priesterin hat mit beredten Worten Sich für Kreusas Rettung erst verwandt. Doch richt' ich nicht; schon kommen Delphis Älteste Zusammen, diese mögen das entscheiden. O nein, nicht so, mein Vater und mein Fürst! Was zwischen dir allein und deiner Gattin In stiller Traulichkeit und ohne fremde Dazwischenkunst geschlichtet werden muß, Das ziemt sich nicht vor ein Gericht zu stellen. Entlaß es gleich, wenn du mich irgend liebst. Mir schenkte das Orakel dich zum Sohn, Und scheinst du gleich abtrünnig fast geworden, Will ich doch gern mich väterlich beweisen. Dies ist der Erstling deiner Bitten, Kind, Die darfst du nicht vergeblich tun. Es sei. Begnad'ge denn auch jenen greisen Knecht, Den treuen Kindheitspfleger des Erechtheus, Den bloß Verblendung feindlich mir gemacht. Entlad' ihn deines Zorns und seiner Fesseln. Ein großes Wunder, wahrlich! ist geschehn, Was es auch sei: denn völlig umgewandelt Erkenn' ich dich nicht mehr. Ich glaubt' in dir Vorhin des eignen Blutes Art zu sehn, Ein königlich Gemüt und tapfern Trieb. Nun bist voll unmännlichen Erbarmens, Wie ein von Weibern auferzogner Knabe. Ich achte den für einen wackern Mann, Der seinen Freunden wohlzutun versteht, Doch Feinden Böses vielfach auch vergilt. Wohl! mir geliebt es, töricht sein mit dir: Er lebe denn, ihn strafe seine Schmach. Nur andre Schenken wollen wir bestellen, Er bleibe stets von unsern Bechern fern. Du spottest, Xuthus, über mein Begehren. Doch laß mich fragen, ist's nicht auch zuweilen Mannhafter Seelen wert, enthüllte Tücken Mit Gleichmut übersehn, vergessen, die Ohnmächtig an uns abgeglitten sind? Der Gott gab selber uns der Großmut Wink, Da er vorbeugend seine Boten sandte, Daß der Versuch nicht bis zur Tat gedieh. Der Götterwinke priesterliche Kunde Mag Jon besser wohl als ich verstehn. Von Sterblichen genügt dir überhaupt Kein Vorbild mehr; du strebst nun einzig, uns Des Latoniden Abglanz darzustellen. Bist du nicht auch Olympiern verwandt? O bei dem Zeus, der deinen Vater zeugte, Der gern die Gäst' und Fremdlinge geleitet, Wie ich, ein Gast, zu dir eintreten soll! Nein, stoße mich nicht von dir, bester Vater! Ich lasse nimmer ab: denn das Orakel Gab ja nur darum mich zu eigen dir, Daß ich dir nach und deinen Taten eifre, Die durch die Welt des Ruhmes Fittich trägt. So leite denn mich, väterlich gesinnt, Und lehr' mich Herrscher sein und Held wie du. Du ehrst die Abkunft, wessen du auch sei'st, Mein wackrer Jon; denn wie bildsam Wachs Soll in des weisern Alters Hand die Jugend Sich fügen, bis sie sich herausgestaltet, Und felsenfest in Männerkraft nun dasteht. So ward die Vorwelt groß: sie schreibt uns vor Die Väter achten. Einen solchen Jüngling, Wie dich, wünsch' ich zum Sohn mir oder keinen, Er sei nun leiblich oder angenommen. Laß küssend mich von neuem segnen deine Stirn. 2. Auftritt Zweiter Auftritt. Die Vorigen, Pythia. Ja, dieser Anblick ist mir festlich wert; Ich sehe, mein geliebter Zögling fand Nicht bloß des Vaters Namen, auch sein Herz, Und bin getröstet, daß er von mir geht. O König: eine düstre Wolke hatte Sich um uns her gelagert, doch sie hat In Blitzen ausgewittert, die nicht trafen, Und heiter ist der Himmel, wie zuvor. Spurlos vergehn die neblichten Gebilde Von ird'schem Ursprung an des Äthers ew'gem Blau, Doch unverwüstbar ist nicht das Gemüt; Wenn fremder Leidenschaft geschwoll'ner Strom In des Wohlwollens fruchtbare Gefilde Feindselig einbricht, so zerreißt er sie Mit tiefen Furchen, die sich nimmer ebnen. Wie kann ich es Kreusen je vergessen, Was sie getrachtet wider diesen Knaben, Als er nur mein und nicht der ihre schien? Jetzt, da sich's ganz verschieden offenbart, Steh' ich ihr gegenüber, wie sie mir vorhin, Stiefvater ihres zugebrachten Kindes; Und muß sie Gleiches nicht von mir besorgen? Dein Edelmut verbürgt ihr, daß du nicht Den Liebling, den wie eine Himmelsgabe Du von Beginn dir angeeignet hast, Der Mutter Schuld entgelten lassen wirst. Und wenn du deren noch gedenken magst, So denk' auch, daß ein flücht'ger Wahnsinn sie Ergriffen hatte, daß sie in dem Ausspruch, Der ihr den längst vermißten Sohn zurück Durch deine Hände schonend reichte, nur Getäuschte Hoffnung und Verzweiflung sah. Ihr Glück lag ihr zu nah', es wahrzunehmen. So schwärmte sie in ferner Übel Furcht. Auch was Trophonius geweissagt, hat Sie irr' geleitet: denn ihr Argwohn deutete Das Unheil auf den dir verlieh'nen Knaben, Was über sich sie selbst herbei nun zog. Du, ruhiger und weiser, wirst nicht Recht Zum zweitenmal dem finstern Seher geben, Indem du dich von deiner Gattin wendest, Und Zwietracht nährst, und so dein Haus zerrüttest. Wahr ist's, wenn ich in mir herauf sie rufe, Die Bilder, welche mich in jener Höhle Lichtlosen Blitzen gleich umgaukelt haben, Erkenn' ich wohl, was sie mir angekündigt, Und seh' es schon erfüllt. Ein Jüngling zielte Nach eines Weibes Brust, doch schoß er nicht; Des Argwohns Nattern, die ein liebend Paar Umwanden, konnten wieder sich entwirren, Wie diese ganze Schattenwelt zerfloß. Nicht jenseits ihrer Deutung noch zu toben, Verwarnt uns das: mit diesen leeren Schrecken Wär' abgebüßt der Neid der Unterwelt, Und des Besitzes Ruhe könnte nun Beginnen, aber unbefriedigt läßt Mich das Orakel von sich, mir verlieh Es nicht, was meine Frage bittend meinte. Denn mit dem angenommnen Sohne noch Bleib' ich ja erb- und kinderlos, und Hellens Geschlecht versiegt in mir, und Jovis Blut. Einmal Verheiß'nes wieder zu verkünden, Verschmähte wohl der zuverläß'ge Gott, Doch ist es dein, wenn du es nicht vereitelst. Er hieß fortan dich dankbar ehren, wer Des Sohnes holde Gabe dir verlieh'n. Das zogst du auf den Seher selbst; es galt Wie nun sich's offenbart der Mutter, die Zwar furchtsam schweigend, dir ihn zugebracht. Vorbeugend sprach's Apollos Huld, damit Nicht seiner frühen Liebe spät enthüllte Frucht Dein und Kreusens Bündnis stören möchte, Auf welchem schöne Hoffnung ruht. Ein leichtes Spielwerk, seh' ich, sind wir Sterblichen Dem Doppelsinn der Göttersprüche nur. Sie auszulegen ziemt wohl der Prophetin, Doch, Pythia, du schmeichelst mir zu viel. Denn wird Erechtheus' Tochter, die Genossin Des Delphiers, nun anerkannt von ihm, Noch nach dem irdischen Gemahle fragen, Das altgewohnte Lager nicht verschmäh'n? Es blüht ein Sprößling ja der Erechthiden, Dem Thron des heiligen Athen ein Erbe; Und unwillkommne Nebenbuhler nur Könnt' unsre Ehe diesem Erstling schaffen. Wie fern ist solch ein Übermut von ihr! Sie fühlt ein innig Unrecht gegen dich, Im langen Schweigen der Vergangenheit, Und in den wilden Taten dieses Tages. Du stehst als Sieger rein und ruhmvoll da, Wenn du des Zornes Regung nur bezähmst. Ein edler Mann nutzt nicht die Übermacht, Noch tiefer ein beschämtes Weib zu beugen. Wo weilt sie aber? Sie vermeidet mich. Sie zögert bangend, bis sie erst vernommen, Was meine Red' auf dein Gemüt vermocht, Und, irr' ich nicht, ist sie uns nahe Zeugin. 3. Auftritt Dritter Auftritt. Die Vorigen, Kreusa. wirft sich vor Xuthus nieder, mit der Linken seine Knie umfassend, die Rechte gegen sein Kinn erhoben. Mein königlicher Gatte, kannst du mir Verzeihn, daß ich ein hoffnungslos Geheimnis (So schien es mir) mit dem verschwund'nen Säugling Vor dir in Schweigen und des Orkus Nacht begrub? Ach es vergessen konnt' ich nimmer doch, Und sechzehn Jahr' beklemmt' es meine Brust, Bis heute, da ein mißverstandner Ausspruch Der Hoffnung letzte Stütze mir entzog, Es über mich hereinbrach, wie ein fallend Haus, Daß ich, vernichtend, zu vergehn beschloß, Und mich den Furien ganz zum Raube gab. Für mich begehr' ich nichts, für Jon einzig Das Wiederkehren deiner Freundlichkeit. Gewähre denn mir Frieden, daß wir nicht Sein Herz entzwei'n, wenn er uns feindlich sieht, Dir angehörig durch des Gottes Willen, Mir durch des mütterlichen Schoßes Recht. Steh' auf, Kreusa! Königin, steh' auf, Und kenne besser mich! Nicht jugendlich Von heftig unbedachtem Mut getrieben, Lehn' ich dem waltenden Geschick mich auf, Noch mag ich rechten mit der Götter Tun. Ich glaube deinem Wort, daß unser Liebling Des Latoniden echt Erzeugter sei: Doch das genügt nur mir, ihn zu erkennen. Gäb' uns ein sichtbar Zeichen der Olymp, Das der erstaunten Welt den Zweifel nähme, So wollt' ich diesen Tag zum zweitenmal Als Fest begehn: der nahverwandte Gott Würd' unsern Bund verjüngen, höher weihn; Ein neuer, jubellauter Hymenäus Sollt' angestimmt uns werden, und ich führte In bräutlich frohem Pompe nach Athen dich heim. Nicht eiteln Ruhmes halb, um vor den Menschen Zu prangen in dem Kranz der Götterwahl, Den langes Leid um meine Stirn gewelkt, Um deinetwillen wünsch' ich solch ein Zeichen, Doch darf ich es nicht hoffen; denn Apoll Des ich mich lang geschämt, schämt wohl sich meiner. Drum laß dir gnügen: die allmächt'ge Liebe Die mich in diesem Jüngling neu gebiert, Und mit ergebnem Sinn wie nie zuvor Dir, seinem zweiten Vater, hin mich gibt, Beweise dir, es sei ein göttlich Pfand. O Wonn' und Segen, ihr geliebten Eltern, Zum erstenmal gemeinsam mir begrüßt! Kreusa! Xuthus! fehlt nur das, den schönsten Verein euch zu vollenden, und mein Heil? Wohlan! es hebt und schwellt ein reges Hoffen, Begeist'rung atmend, dies mein junges Herz: Ich bitte dreist, was zweifelnd ihr begehrt. O du, der dieses Tempels Räum' erfüllt Mit unsichtbarer hehrer Gegenwart, Und droben himmelwandelnd, herrlich strahlt, Und nimmer fern ist, und mein Flehn vernimmt! Schon da ich bildlich nur dich Vater nannte, Sehnt' ich mich oft, dein Antlitz einst zu sehn; Ich wandte wie der Sonnenblume Kelch Mich ahndungsvoll zu deinem ew'gen Licht. Jetzt bitt' ich heißer, brünstiger und kühner; Ich maße mir nicht an wie Phaethon Die Flammenross' am Firmament zu lenken, Verkennend mein Vermögen und mein sterblich Los: Der Lieb' Erwidrung fordr' ich kindlich nur, Und meines Ursprungs himmlische Gewißheit. O bei der Süßigkeit des Vaternamens! Gib mir dein Anschaun, wenn du mich erzeugt. Donner und Blitz. Mein Jon, welch Erkühnen! Aber wie? Der Boden scheint zu beben, und mit Stamm Und Laub und Ästen wankt der heil'ge Lorbeer, Es blitzt, ein Schein vergoldet rings den Hain. Ja, die Erhörung naht sich: zaget nicht! 4. Auftritt Vierter Auftritt. Die Vorigen, Apollo erscheint in der Pforte des Tempels. Her komm' ich von Olympus wonnelichtem Saal, Wo mich inmitten ew'gen Musenchorgesangs, Fernher umsäuselt deine Sehnsucht, lieber Sohn. Mein bist du, das beteur' ich, nicht beim schwarzen Styx, Bei meiner Roßhufquelle Silbersprudeln dir. Drum schau' ins Antlitz kühn mir, wie des Adlers Sohn Den jungen Fittich gleich der Sonn' entgegenschwingt, Und dieser Leier unverstimmbar reinen Klang, Hall' ihn in deines Lebens Harmonien nach. Empfang' ihn du, Kreusa, wohl bewahrt zurück, Der schönen Lust Andenken, die mich noch entzückt, Denn unvergänglich ist der Dank der Himmlischen. Flicht, lang noch blühend, um dein glorreich Diadem Lorbeer zusammen mit des Ölbaums eignem Laub. Du, Xuthus, wirst das holde Lager nicht verschmähn Ob meiner offenbarten Mitgenossenschaft. Gottgleiche Schönheit lockte Götter oft ja schon Zu nahn in Liebe; so entsproß Heroenkraft. Sei Jons Vater, wie dein Ahn Deukalion Mit Zeus gemeinsam Vater deines Vaters hieß. Eh' das Gestirn den Jahresumlauf noch vollbringt, Trägt einen zweiten Sprößling deiner Gattin Schoß, Den nenn' Achäus: hochgewaltig wird sein Ruhm In Pelops Eiland; unsers Erstlings Nam' und Volk Soll aus Athen aufblühen weit nach Asien. Nun feiert mit Päanen dieses Tages Rest, Und kehret friedeselig morgen alle heim. Gedenkt, mir gastbefreundet, fern an Delphi noch, Der sonnumstrahlten Erde Mittelsitz und Thron. Der Vorhang fällt unter Donner und Blitz.