§. 10. Die Arme Seele. I. Einleitung. Der katholische Oberpfälzer hält treu an seiner Kirche und läßt sich durch Nichts darin beirren. Aber keine Lehre derselben ist so sehr in sein Wesen, sein ganzes Thun und Lassen übergegangen, als die Lehre von den Seelen im Fegefeuer, ihrer Leiden und der Hilfe, die er ihnen hierin bringen kann und soll. Es ist kein Augenblick, in dem er etwas unternimmt, ohne daß er der Armen Seele sich erinnerte, von des Tages Anbruch bis zur sinkenden Nacht. Sie müssen ihn wecken, wenn er zu bestimmter Stunde nicht verschlafen will, und hat er ein schwierig Unternehmen vor sich, bittet er sie ihm zu helfen. Er steht nicht auf vom Schlafe, ohne ihrer mit einem frommen Aufblicke zu Gott zu gedenken, er verläßt nicht die Stube, ohne ihnen Weihwasser zu geben. Tritt er in die Kirche, thut er desgleichen, sie sind gleichsam der erste Gedanke, mit dem er des Herrn Haus betritt. Das Gebet zu Mittag und Abends wird mit einem Vater Unser und Ave Maria für die leidenden Seelen geschlossen. Dankt er für eine Gabe, so sagt er: »Gelts Gott für die Armen Seelen!« und stößt oder brennt er sich, oder kommt ein Unfall über ihn, so opfert er es dem Lenker aller Schicksale für die Armen Seelen auf. Gibt er Almosen, soll es diesen zu Gute kommen, ist er beleidigt, verzeiht er, daß auch der Herr den Armen Seelen verzeihe. Damit sie sich wärmen, zündet er ihnen Feuer an auf dem Heerde, damit sie sehen in der Finsterniß ihres Aufenthaltes, werden Lichtchen aufgesteckt, in der Kirche wie zu Hause. So sie brennen in heisser Glut, reicht er ihnen geweihtes Wasser zur Kühlung, falls sie hungern sollten, wirft er die Brosamen und Speisereste in den Ofen für sie. Wo er geht oder steht, so oft er zum Mahle oder zur Ruhe sich bereitet, gedenkt er der Seele im Fegefeuer. Die Arme Seele ist ihm ein eigentlicher Hausgenosse, ein guter Freund, mit dem er in Liebe verkehrt wie mit seines Gleichen. Und nicht blos der Katholik ist es, welcher so treu an den Dahingegangenen hängt und ihnen Liebes und Gutes erweist, als wären sie noch um ihn, sondern auch die Protestanten nehmen Theil an diesem Glauben, und nicht selten geschieht es, daß sie auf den Liebfrauenberg bey Amberg für deren Ruhe wallfahrten oder heilige Messen für sie lesen lassen. Die Lehre der Kirche, welche die göttliche Gerechtigkeit mit der göttlichen Liebe versöhnt, kann ja nur tröstend und erhebend wirken im reuigen Sünder, damit er nicht verzweifle bey dem Gedanken, daß nichts Unreines bey Gott eingehen könne, und wie thöricht handelt der Mensch, welcher die Lehre der Kirche nicht achtet und verschmäht, dagegen allen phantastischen Bildern magnetischen Schauens und geisterhaften Tischschreibens mit unbedingtem Vertrauen sich hingibt!