962. Der Pestvogel. Mündlich. Als die Pest im Maingrunde so furchtbar wüthete, daß die Menschen wie Mücken zu Tausenden verschieden, auch gar kein menschliches Mittel mehr helfen wollte, da wankte in einem Orte, in welchem schon die ganze Bevölkerung dahingerafft worden, der letzte Mann siech und elend durch die stillen, mit hohem Gras bewachsenen Gassen des Dorfes. Auf einmal sah er einen Vogel auf dem Giebel des benachbarten Hauses sitzen. Dieser Vogel war seltsam von Ansehen, sein Leib war weiß, sein Schnabel und seine Füße schwarz. Der Vogel fing aber zu singen an und rief vernehmlich dem Kranken zu: »Wiesenbimbernell heilt die Krankheit schnell.« Dieser Ruf fiel wie ein Hoffnungsstrahl in die Seele des Mannes. Sogleich raffte er alle seine Kräfte zusammen, ging hinaus auf die Wiesen und suchte so lange, bis er das Kräutlein gefunden hatte. Bald war er nun mit Gottes Hülfe genesen, deßgleichen alle Bewohner der Umgegend, welche das Kräutlein gebrauchten.