541. Agnes Bernauer. Von Adalbert Müller. – Nach Geschichte und Sage. Lipowsky Agnes Bernauer. – Dramen von Törring, Böttger, Hebbel. 1. »Ach Albrecht! rührt dich nicht mein Schmerz? Muß ich vergebens flehen? Mir ist so weh, mir ist so bang, Mich däucht, als hört ich Grabgesang; Soll ich dich wiedersehen?« »Mit Gott! ich kehre heim, bevor Der Nord den Wald entblättert: Geliebte Agnes weine nicht! Mich rufen Ehr' und Ritterpflicht, Leb wohl! das Heerhorn schmettert.« Und als der theure Gatte schied, Wer malt da ihren Jammer? Zu Straubing 1 saß sie im Gemach, Wie manches O! wie manches Ach! Vernahm die stille Kammer. Dem Lüftchen klaget sie ihr Leid, Das sanft durch's Fenster eilet: »O Lüftchen! fleug am Donaustrand Hinauf mir in das ferne Land, Wo jetzt der Gatte weilet. Im Abenddunkel schwebe fort Und bring' ihm meine Küsse, Umflatt're ihn bei stiller Nacht, Wenn er im Zelte einsam wacht, Wie leichte Geistergrüße.« Wohl liebte nie ein Weib so treu, Wohl nie ein Mann so bieder; Wie Agnes ihren Albrecht liebt, Wie Albrecht seine Agnes liebt, So liebt kein Paar sich wieder. Doch Albrecht war des Herzogs Sohn, Sie eine Bürgerdirne, Bald wurde, ach! ihr Liebesbund Dem strengen, stolzen Vater kund, Grimm runzelt er die Stirne. Zu München saß der alte Ernst Auf golddurchwebtem Throne, Um ihn im reichgeschmückten Saal, Den Sternen gleich an Glanz und Zahl, Die Großen seiner Krone. »Ihr Stände dieses Reichs!« begann Der greise Fürst zu sprechen: »Ihr sehet uns gebeugt von Gram, Erschüttert ist der Eiche Stamm Und wankt und droht zu brechen. Wo weilet Albrecht, unser Sohn, Der Ritter sonder Tadel, Der siegreich stets das Banner trug Und zweimal Ziska's Krieger schlug, Der Stolz von Bayerns Adel? O! such' ihn keiner in der Schlacht Und nicht beim Waffenspiele. Ein Bürgerweib hat ihn umstrickt Und schlau des Helden Herz berückt, Gefesselt ist sein Wille. Ha! schmählich schläft der Leu und trägt Die fluchenswerthen Bande; Man sagt – kalt schaudert's durch die Haut – Die Dirne sei ihm angetraut, Dem Erben unserer Lande. Wir han getreulich, edle Herrn! Jetzt unser Leid entdecket: Berathet, wie von Wittelsbach Zu heben der Entehrung Schmach, Die seinen Schild beflecket.« Er schwieg und Murmeln rings herum, Wie Meereswogen wallen, Doch schnell regt lauter sich das Wort: Verbannung hier und Kerker dort Durchtönt's die stolzen Hallen. Alsbald beschwichtigt das Getos Der Kanzler mit dem Stabe, Voll ernster Würde tritt er vor, Im Saale lauschet jedes Ohr, Und still ist's wie im Grabe. »Man nennt mich,« sprach er, »Albrechts Feind, Drum sollt' ich lieber schweigen: Doch nein! es gilt ja Bayerns Heil, Eh will ich unter's Henkerbeil Den grauen Schedel neigen. Verbannung? Kerker? – Kennt ihr wohl Den Wahnsinn erster Liebe? Wo stemmt sich ihm ein Riegel vor? Wo sind die Fesseln, wo das Thor, Die nicht sein Arm zerhiebe? Ha! bergt sie hundert Meilen tief In des Gebirges Schlünden; Er schwimmt um sie durch Fluß und See, Er klettert auf des Firners Höh' Er sucht und wird sie finden! Werft eine Welt ihm in den Weg, Die nie ein Mensch erstiegen, So lang' er Staub nur ist, wie wir; Nur jene Welt trennt ihn von ihr, Nur dann muß er erliegen. Ihr täuscht euch, Herzog! so ihr wähnt, Als ob der Löwe schliefe, Laut brüllend ist er auferwacht, Zu Vohburg sammelt Heeresmacht Der Erbprinz, – hier die Briese! Wohl fürchtet er, daß euer Zorn Den schönen Treubund störe, So stellet er sich drohend hin Vor seine Baderkönigin Mit blank gezückter Wehre. Drum wollt ihr nicht, daß Bürgerkrieg Das Vaterland verderbe, So fall' als Opfer sie dem Staat, Dies, gnädiger Herzog! ist mein Rath: Die Buhlerin – sie sterbe. Und ist sie todt, dann gute Nacht! Erst Schmerz, dann Schmach und Reue, So rasend, mein ich, ist er nicht, Daß er für eine Leiche ficht, Gen Vaterland und Treue.« Er sprach's – beifällig nickt der Fürst, Das Blutwerk muß gelingen, Ein Bote eilt bei Sternenlicht Nach Straubingen, an's Fraißgericht Den Haftbefehl zu bringen. 2. Und grimmiger schon pfiff der Wind Hin durch die Stoppelfelder, Die Wiesen standen nackt und kahl, Der Blätter Grün war welk und fahl, Und Nebel spie'n die Wälder. Auch Agnes, trüber Ahnung voll, Mocht nirgends ruh'n und weilen, Sie floh vor Angst durch Saal und Gang, Und ihres Jammers Wehlaut drang Bis durch der Winde Heulen: »Mein Albrecht! schon entlaubt der Nord Den Baum mit rauhem Wehen; Muß ich erliegen wilder Pein, Und hier verlassen und allein Vor Herzeleid vergehen?« Es war am Sankt Germanustag, Da schwärzte sich der Himmel; Ein Wetter zog den Strom heran, Mit Blitz und Donnersturm begann Das gräuliche Getümmel. Des Schlosses Sparrwerk krachte dumpf, Die hohen Fenster klirrten, Die Fähnlein jammerten im Chor, Manch Nebelbild rang sich empor, Und blaue Flämmchen irrten. Und sieh! drei Raben rauschten hoch Am Thurm mit schwarzen Schwingen, Sie krächzten traurig durch die Nacht: »Vernehmt den Gruß der dunklen Nacht, Von der wir Kunde bringen.« »Wohl glücklich, die aus Aug und Mund Der Liebe Honig saugen, Doch in des Stromes tiefem Grund Erkaltet auch der wärmste Mund, Verlischt der Strahl der Augen.« »Ein weißes Täubchen saß im Korn, Es ward des Habichts Beute! Ein Lämmchen weidete im Gras, Das würgte sich der Wolf zum Fraß: Wer deuten kann, der deute.« Die schwarzen Warner logen nicht, Als sie das Liedlein sangen; In selber Stunde noch erbrach Der Scherge Agnes Schlafgemach, Und nahm sie stracks gefangen. Er fesselte der Fürstin Hand Mit schwerer Eisenkette Und zerrte sie bei Nacht und Graus Trepp auf, Trepp ab, Gang ein, Gang aus; Naht keiner, der sie rette? In düstrer Halle wartete Des Lamms die Schlächterrotte: Zwölf Richter saßen Mann an Mann, Der Vizedom war obenan, Mit ihm des Kanzlers Bote. Sie sprachen dies und sprachen das, Und zischelten im Stillen, Den Richtern raunten sie in's Ohr: »Besinnt euch Rathsmann, seid kein Thor, Sprecht nach des Herzogs Willen.« Da knarrt die Thür und Agnes naht Im Glanze ihrer Schöne, Den Engeln bess'rer Welten gleich, Und manches Eisenherz wird weich, Manch' Aug' weint eine Thräne. Doch rasch begann der Vizedom Sein Opfer zu verhören; Er frug wohl her und frug wohl hin, Und suchte ihrer Rede Sinn Arglistig zu verkehren. Zwei Männer zeugten mit dem Eid: »Wir haben sie belauschet, Wie sie ein Tränklein seltner Kraft, Gekocht aus gift'ger Kräuter Saft, Das Kopf und Herz berauschet.« Ein Waidmann schwor: »Zu Vohburg strich Ich in den Burggehegen, Und hörte sie bei finst'rer Nacht Am Kreuzweg mit des Teufels Macht Geheime Zwiesprachpflegen.« »Gott!« jammerte, »Gott!« schrie sie auf: »Sie haben falsch geschworen,« Da schnob der Vizedom ergrimmt: »Hinweg mit ihr! Ihr Richter stimmt; Die Stunden geh'n verloren.« Flugs ist ein Urtel abgefaßt: »Agnes Bernauer, massen Sie arger Schwarzkunst überführt So müsse sie, wie sich's gebührt, Durch Henkershand erblassen.« »Man stürze von der Brücke Rand Sie in die Donauwogen, Und Morgens mit dem Frühgeläut Vom Petersthurm, bis selbe Zeit Sey dieser Spruch vollzogen.« 3. Auf's Lotterbettlein hingestreckt, Umschwirrt von holden Träumen, Schlief Albrecht; stille war's umher, Kein Wort, kein Schwertklang regte mehr Sich in des Lagers Räumen. Treuliebchens freundlich kosend Bild Erschien, den Schlaf zu süßen: Ihn däucht's, er läg' in Agnes Arm, An ihren Lippen weich und warm Berausch' er sich mit Küssen. Wie träumt er selig sich, da kommt's Scharf durch die Nacht geritten, Vor'm Zelte hemmt's des Rosses Trab, Ein Reitersmann springt klirrend ab Und naht mit raschen Schritten: »Wach' auf, mein Herr, wach auf, mein Fürst Laß strack's dein Horn erklingen; Umgürte dich mit Schild und Schwert Und borge deinem besten Pferd Des Sturmes flücht'ge Schwingen.« »Um Agnes willen spute Dich Sie morden sie noch heute: Zu München brach man ihr den Stab, Zu Straubing graben sie ihr Grab, Wach auf, mein Fürst und streite!« Wie Wetterschläge donnerte Die Post in Albrechts Ohren, Wild schnaubte er den Knappen an: »Wer hat ihr Leides angethan, Die ich zum Weib erkoren?« »Mich sendet der von Seiboltsdorf, Herr, leset diese Zeilen!« Es spricht's und reicht ein Schreiben dar: »Noch ist zu wenden die Gefahr, Doch braucht es baß zu eilen.« Beim Lampenschein durchlief der Prinz Den Brief des edlen Recken, Sein Antlitz glühte roth vor Zorn, Bald schmetterte das Silberhorn, Als wollt' es Todte wecken. Und links und rechts, und rechts und links Die Fähnlein sich erheben, Viel blanke Ritter sprengen an, »Fort!« ruft der Herzog, »drauf und dran! Es gilt um Agnes Leben.« Halloh! wohl über Berg und Thal Flog's mit verhängten Zügeln, So fährt der Blitz durch's Wolkengrau, Kaum rüttelte den Morgenthau Der Hufschlag von den Hügeln. Und eben glomm der erste Strahl Auf Straubings höchsten Zinnen, Da sprengte Albrechts eil'ger Troß Durch's Thor und suchte nach dem Schloß Die Pfade zu gewinnen. Was woget auf und ab das Volk, Was stürmt es durch die Gassen? Ein heiseres Gebrüll ertönt, Wie der gehetzte Eber stöhnt, Wenn ihn die Doggen fassen. Und lauter wird des Aufruhrs Wuth Und dichter das Gedränge, Der Schwarm kommt tobend angerannt, Bald ist der theure Fürst erkannt, »Zu spät!« ruft's aus der Menge. »Zu spät! die Unthat ist gescheh'n, Was half uns Dräun und Bitten, Er mordet schnell der Vizedom, Sein Scherge warf sie in den Strom, Schon hat sie ausgelitten.« Ach! ringend in des Henkers Arm Rief sie des Gatten Namen: »Hilf Albrecht! Albrecht! rette mich!« Umsonst, bald stürzte brausend sich Ob ihr die Fluth zusammen. »Schaut hin, dort naht der Leichenzug!« Und durch des Thores Bogen Kam's langsam mit Geläut und Sang Und schritt den breiten Markt entlang, Und schwarze Fähnlein flogen. Zum Münster wallt der Trauerzug Und Orgeltöne klagen, Die Schaar der Priester singt dazu: »Herr gib ihr deines Himmels Ruh', Laß ew'ges Licht ihr tagen.« Drauf setzten sie die Bahre hin Und düstre Fackeln scheinen, Fürst Albrecht wanket an den Sarg, Der seines Lebens Kleinod barg, Und alle Augen weinen. Nur er hat keine Thräne, stumm Erliegt er seinem Harme, Dicht an der Leiche stürzt er hin Und klammert um die Dulderin Verzweiflungsvoll die Arme. Viel Stunden bleibt er regungslos, Das Herz droht ihm zu brechen, Doch als die Abenddämmerung graut, Da fährt er auf, da ruft er laut: »Dein Tod, ich werd' ihn rächen!« »Ha Schwert! was flimmerst du so hell? Ist's von den Leichenkerzen? Wohl deut' ich deines Strahles Glut: Dich lüstet's traun! nach Schurkenblut: Pulst's auch in deutschen Herzen?« Weh' dir! dienstfert'ger Vizedom, Schmiegsame, gift'ge Natter! Weh' euch, die ihr im Henkerrath, Gesponnen diese Gräuelthat! Weh' dir! hartherz'ger Vater! »Ich schwör's!« – Sieh da im Augenblick Goß von der Kuppel Höhen Ein klarer Lichtstrom sich herab, Und rings um der Entseelten Grab Begann ein mildes Wehen. Mit wundersüßen Tönen klang's, Wie in der Engel Liede, Herüber vom Altar und Chor Rief's deutlich in der Lauscher Ohr: »Nicht Blut, mein Albrecht! – Friede!« Und Harfenton und Himmelsglanz Verhallten und zerrannen; Als er gesehen und gehört, Zerbrach der Fürst das Racheschwert Und schied versöhnt von dannen. Doch Jahre lang ging er herum, Als wär' er krank und müde, Der Freunde Trostwort hört er kaum, Und oftmals sang er wie im Traum: »Nicht Blut, mein Albrecht! – Friede!« Fußnoten 1 Albrecht hatte sie Anfangs im Schlosse zu Vohburg untergebracht; nach dem Turniere von Regensburg führte er sie in die herzogliche Hofburg von Straubing und gab ihr Hofstaat gleich einer Fürstin.