65. Der Ritter vom Marquardstein. Von Eduard Duller. – Marquardstein über dem Dorfe gl. N. südlich vom Chiemsee gelegen – Hund metrop. III., 81. Falkenstein, Geschichten des Herz. Bayern, II., 481. u.A. 1. Tief im Wald mit Pfeil und Bogen Sitzt der Ritter finster lauernd, Spähend nach dem blut'gen Ziele Von dem Morgen bis zur Nacht. »Hei! das ist ein seltsam Jagen (Ruft er) – nach dem Edelhirschen; Selbst gehetzt in bösen Tagen Lüstet's mich nach sichrem Ziel.« »Cuno! Cuno! böser Waidmann, Sag', warum du mich befehdet, Aus dem Eigen schnöd vertrieben; – Arger Nachbar! sieh dich vor! – Hast du mir doch nichts gelassen Als den Wald, das Haus der Eule, Als den Bogen und die Pfeile Und den nimmersatten Haß. Diesen Forst wirst du durchjagen, Komm! ich harre – laß nicht warten! Sieh! die Rache spannt den Bogen Und der Haß wetzt diesen Pfeil.« – Ritter Marquard sprach's im Forste Schärfend seines Pfeiles Spitze, Lauerd nach des Feindes Herzen Von dem Frühroth bis zur Nacht. Horch! da kams durch Busch und Zweige. 'S ist der Feind! – Empfiehl die Seele! – Daß der Haß in Blut sich neige, Schmiegt zur Sehne sich der Pfeil. Und es trat aus dunklem Laube Hell hervor im Himmelsglanze, »Wie? das sind des Feindes Züge?! Schläft der Haß in diesem Blick? Ja! sie sind's die Augensterne, Rache flammend aufgegangen Wie? das Sternbild strahlet heute Mild im liebevollem Glanz? Ja! sie sind's die dunklen Locken, Die mein Unglück arg umrankten, Wie? in die verwünschten Banden Jagt mich jetzo süße Lust? Ist der Schmerz denn in die Freude, Ist die Rach' verkehrt in Sehnen, Ist der Trotz verthaut in Thränen Und der Haß gelöst in Lieb'? Weib in deiner Zauberschöne Ob du lächelst, weinest, tödtest, – Jagdbewehret, kampfgerüstet, Gleich der Heidengöttin dort. – Cunos Tochter, Adelheide Wärst du? Ja! das sind die Züge! Rollt nicht in der Jungfrau Busen Auch des Vaters böses Blut?! Sind nicht ihre Blicke Pfeile, Die den Weg zum Herzen finden, Die die Rache kühn bezwingen Und ertödten allen Haß? Weh! was ich im Vater hasse, Liebend tritt mir's hier entgegen, Lieb' ich, was ich sollte hassen, Haß ich, was mir liebend naht?« Schönheit hat die schärfste Waffe; Diesen Blicken stirbt sich's selig; – Senk den Speer und brich die Pfeile Ernster Jäger tief im Wald! 2. »Niemals ruh'n will ich, noch rasten, Bis der Feind, der Nachbarritter, Flüchtig geht', der ärmste Bettler In der Bayern reichem Land.« »Feindlich stehn die beiden Burgen, Hoch auf Felsen hie und drüben, Starrt dieß unversöhnte Herz. Feindlich wie der Bau der Felsen.« Also sprach auf hoher Veste Cuno ernst, die finstern Brauen Runzelnd und mit scharfen Blicken Spähend nach dem fernen Forst. »Kehrt die Tochter noch nicht wieder, Die mit mir zum Wald geritten Auf dem blüthenweißen Zelter In das heitre Spiel der Jagd?« »Hat der Knapp' sie nicht gefunden, Der da naht, der altergraue, Trüben Blicks gesenkten Hauptes Vor das Thor der Mögling-Burg?« »Zäume frisch den schnellsten Rappen Rasch zurück zum düstern Walde; – Bricht mir doch das Herz vor Grauen Um mein einzig, theures Kind!« 3. »Wehe! daß ich Vater heiße Und die Tochter schnöd' verloren, Weh! die mürbe Kraft zerschmettert', Weh! in Schand erbleicht dieß Haar! Kind! wie hab' ich dieß verschuldet, Daß du flohst vom lieben Vater Und dem Todfeind, dem verhaßten, Am Altar gereicht die Hand? Hab' dich, als du warst geboren Freudevoll an's Herz gehoben, Meine Lieb' war deine Wiege, Deine Untreu' wird mein Sarg. Alle Liebe hab' ich wuchernd Dir allein nur zugewendet, Daß kein Deut mir überblieben Für die große, weite Welt. Fluch dem Wahn, der mich betrogen, Dem geliebten, süßen Wahne, Daß an meinem Sterbebette Trauernd stünd' ein liebend Kind. Einsam in der öden Halle Werd ich mich zur Ruhe legen, Keine Thräne rinnt mir labend, Und sie brechen unsern Schild. Denn wenn sie zur Gruft mich senken, Wird mein Stamm mit mir begraben; Nur der Haß, der wechsellose, Sitzt dann treu an meinem Sarg.« 4. In der Kammer eng und traulich Koset Marquard mit der Lieben, Kurze Stunden, kurze Monden Auf dem festen Marquardstein. Sind die Liebenden gefangen, Daß sie nie in's Freie wandeln, Liegt wohl in des Schlosses Mauern Eng in Grenzen ihre Welt? Nur die Lieb hält sie gefangen Nur das Glück schlägt sie in Fesseln, Nur die Wonne ist ihr Kerker, Und ihr Himmel ist das Herz. Aber in der Rose Kelche Schläft der Haß, die gift'ge Schlange, Harrend, bis der helle Morgen Froh der Blume Brust erschließt. Auf der Rose liegt von Thränen Schwerer Thau, der eisig lastet, Vaterfluch zehrt an den Keimen, Vaterschmerz beugt tief den Kelch. Zweier Monde barg sie heimlich Marquardstein, die Burg des Ritters; Schläft wohl jetzt des Vaters Rache, Hat der Fluch noch immer Kraft? Und es zieht sie mächt'ges Sehnen Aus dem Schloß zu Lenzesauen, Einmal wieder dort zu wandeln, Wo sie sich zuerst gesehen, Wo der Pfeil mit süßen Schmerzen Schütz und Opfer sanft getroffen, Wo auf Zwei beglückte Herzen Eine Liebessonne schien. Das ist Blühen! das ist Duften In der schönen Zeit des Maien, Spiegelt nicht die klare Welle Sonn' und Glück im reinen Blau?! Doch im Westen fern und drohend Wächst die Wolke, finster brütend, Schweren Fluges immer näher Wälzt sie sich in sich'rer Bahn. Weh! wer je dem Glück vertraute! – Wenn es jetzt auch sonnig lächelt, Eh' man mag den Blick verwenden, Fährt der Blitz aus heitrer Höh'. 5. Tief im Schilf am schönen Chiemsee Sitzt ein Weib mit zweien Jungen, Schön und schrecklich anzuschauen Riesenhaft in Wahnsinnsgluth. Sieh! zwei Bogen, straff gespannte, Legt sie in die Hand der Knaben Und zwei Pfeile, schnell beschwingte, Reicht sie dar mit glüh'ndem Blick. »Zwillingssöhne! Zwillingssöhne!« Ruft sie, »lernt die Waffen brauchen, Seht! ich will das Ziel euch zeigen. Dran verdient das Ritterthum!« »War der Trug nicht euer Vater? Ist die Rach' nicht eure Mutter? Zwillingssöhne, Zwillingssöhne! Seht das Ziel dort! trefft mir's gut! Zwei der Söhne, zwei der Pfeile, Eine Sünde, tausend Schmerzen, – Faßt ihr's? – Söhn'! die ich geboren, Mutter und kein ehlich Weib! Bergt euch tiefer! spannt die Bogen, Seht! da kommen sie gezogen. – Zwillingssöhn! Jetzt Zwillingspfeile Auf ein zwiefach treulos Herz!« Und es kam der falsche Ritter Mit der Gattin Adelhaide, Marquard war's, mit süßen Worten Schmeichelnd dem entführten Kind. Horch! da kam's herangeflogen – Zischend von dem Zwillingsbogen; Von dem Doppelpfeil getroffen Lag der Ritter wund im Blut. Tief im Schilf am schönen Chiemsee Sank die Mutter mit den Knaben, Von den Fluthen still begraben, Dumpf verbarg der See die That. »Doppelliebe! – Doppelpfeile!« Ruft der Ritter, – »Wehe! Wehe! Muß ich hier in Sünden sterben? Weh! wer trägt mich hin zur Burg? Daß ich möge Ruhe finden, Daß ein Priester, mild vergebend Mich entledigt meiner Sünden, Weh! wer trägt mich zur Kapell!« Und es hob die treue Gattin An die Brust den wunden Ritter, Schreitend durch die öden Auen Zur Kapell im Marquardstein. »Richter! laß mir Gnad ergehen.« Stöhnt der Ritter – »fromme Seelen Möchten sie mir Gnad erflehen Im Gebet vor Gottes Thron.« »Ueppig wächst der Baum der Sünden Aus des Herzens tiefem Grunde, Bis die Last der eignen Früchte Kron, und Aest' und Stamm erdrückt. Wer die Burg auf Sand gebauet, Sehe zu, daß sie nicht stürze, Daß der Hallen stolze Wölbung Nicht den Bauherrn selbst begräbt. Wie der Baum brech' ich zusammen Mit der Burg werd' ich zertrümmert; – Baut aus meinem Schatz ein Kloster Baumburg soll es seyn genannt.« Reuig lag der wunde Marquard; – Sein Gelübde fromm beschwörend Sank die Gattin Adelhaide Treu dem Todten an das Herz. Wer zu Stunde sey verschieden? Schwer zu nennen war die Leiche; – War's der Ritter dort, der Bleiche? Ist's die Frau, versteint in Schmerz?