1. Legende von den heiligen drei Königen In zwölf Romanzen Wenn was irgend ist geschehen, Hört man's noch in späten Tagen, Immer klingend wird es wehen, Wenn die Glock' ist angeschlagen; Und so laßt von diesem Schalle Euch erheitern, Viele, Viele, Denn am Ende sind wir alle Pilgernd, Könige, zum Ziele. Weimar, den 1. Juni 1821. Göthe. 1. Wie auf einen Berg im Morgenlande zwölf Sternseher gesetzt wurden Umströmt von seiner Kräuter Düften Und überwallt von edlem Holz, Der höchste, steigt aus blauen Lüften Ein Berg, des Morgenlandes Stolz; Steil ist der Pfad und lang die Reise, Doch oben herrlich Tag und Nacht; Auf seinem Gipfel stehn zwölf Greise Und schauen in des Himmels Pracht. Sie hüllen sich in die Gewande Und schlummern über jeden Tag, Der unter ihnen auf die Lande Umsonst sein Licht verbreiten mag. Sie lassen sich vom Nachthauch wecken, Der durch der Bäume Wipfel fährt; Den Sternen, die den Himmel decken, Ist dann ihr Auge zugekehrt. Mit allen Wunderzeichen schimmert Das Buch des Himmels aufgerollt; Was unten nur wie Silber flimmert, Das leuchtet hier wie reines Gold. Ward in den Sternen je gelesen Der irdischen Geschicke Pfand, So ist es dieser Berg gewesen, Auf dem der Seher Gottes stand. Auch diese stehen zu erkunden In dem Gestirn des Himmels Rat, Doch haben sie noch nicht gefunden Ihr Saatkorn in der reichen Saat: Den Stern, der herrlich, überschwenglich, Vor allen andern stralenvoll, Ein Licht, ein Feuer unvergänglich Den blinden Heiden zünden soll; Den Stern, den Bileam verkündigt, Der einem König stralen wird, Der einst die ganze Welt entsündigt Und herrschen soll, der Völker Hirt. So lautete der Spruch des Weisen An das erstaunte Morgenland; Das rief den himmelskund'gen Greisen Zu wachen auf des Berges Rand. Die Hoffnung kürzt des Weges Ferne, Sie ebnet rings den steilen Pfad, Erhellt die alten Augensterne, Macht den gebeugten Nacken grad'. Und ist im Tod ihr Blick zerronnen, Den langes Forschen aufwärts zog, So wecken ihn die tausend Sonnen, Zu denen seine Sehnsucht flog.