Ruhe Ruhe jeder Leidenschaft Tränkt das Herz mit Götterkraft; Ruhe stählet Sehn' und Mark, Macht zu jeder Bürde stark. Ruhe führt des Sehers Sinn Höher durch die Welten hin, Wo er Orionen mißt Und der Erde Sand vergißt. Ruhe senkt des Weisen Blick Tiefer zu der Brüder Glück; Ruhe mißt am Lebensstab Richtig Zweck und Mittel ab. Ruhe zückt des Kriegers Schwert Blitzender für Haus und Herd; Ruhe biethet der Gefahr Fester Stirn und Busen dar. Ruhe scheucht wie Sonnenblick Nebel von dem Pfad zurück; Ruhe lehrt, was gut und schön, In dem hellsten Lichte sehn, Ruhe reihet jedes Ding In der Kette rechten Ring; Ruhe bleibet, immer rein, Jeder Freude Probestein. Ruhe zieht aus Gottes Luft Süßer seines Lenzes Duft; Ruhe schmeckt der Traube Blut Geistiger zu hohem Muth. Ruhe trinkt zum zweyten Mahl Aus der Freude Festpokal; Ruhe trägt die Freuden heim, Wie die Biene Honigseim. Ruhe hat bey schwarzem Brot Götterkost im Abendroth; Ruhe schöpft zum Nectartrank Wasser von der Rasenbank. Ruhe trotzt dem nahen Sturm Wie die Wach' im Felsenthurm; Ruhe sieht ins offne Grab Ohne Herzensangst hinab. Ruhe nicht, die ohne Sinn, Ohne Schaden und Gewinn, Wie die Schlafsucht um sich gähnt, Aber kaum die Glieder dehnt; Ruhe nicht, die matt und stumpf Bey dem Menschenelend dumpf, Ohne Herz und Regung sitzt, Und den Schweiß der Dummheit schwitzt; Ruhe nicht, die auf die Qual, Auf die Leiden ohne Zahl Ihrer Mitgeschöpfe schielt, Aber nichts mit ihnen fühlt. Ruhe, welche über Welt Kopf und Herz in Eintracht hält; Ruh der Tugend und ihr Lohn, In der Hütt' und um den Thron. Ruhe, die mit süßem Hang Tröstung reicht und Labetrank; Ruhe, die den letzten Deut Einem ärmern Bruder beut. Ruhe, welche Säcke Gold Wie die Kieselwacken rollt; Ruhe, die am Hochgericht Wie bey Bechern Wahrheit spricht. Ruhe, wie Elysium In der Seele Heiligthum, Die mit stiller Majestät Durch die große Schranke geht. Diese Ruhe hält noch fest, Wenn uns Welt und Sinn verläßt, Drückt uns sanft die Augen zu; Himmel, gib mir diese Ruh!