Reinhard Johannes Sorge Der Bettler Eine dramatische Sendung Lied der Bettler Lied der Bettler Wir lagern auf dem harten, magren Boden, Ein Wind zerrt eisig brüderliche Fetzen; Tränen, die rastlos unsre Glieder netzen, Flehen zu Gott, in Gnade uns zu roden. Da sendet er uns Sterne an die Ränder Der Nächte, hell in Höhen aufzusteigen, Und reicht den rissigen Stirnen goldne Bänder: Nun ahnen wir der blinden Seelen Geigen – Der Gott ward Güte, der mit Blitzen geißelt; Er schickte dann aus seinen dunklen Ecken Den dunklen Menschen, den die Lichte recken, Der uns den Engel in den Himmel meißelt. 11. Dezember 1911 – – – In weiten Kreisen deine Flüge grabend: Durch Finsternis, durch wirren Traum gigantisch, Durch Qualenstriche, Höhlenraum gigantisch – Ruhlos gen Morgen, ruhelos gen Abend ... Drehen dich höher deine wilden Schreie Aus Vaterfluch und allen Mutterschmerzen; Bald zündet ewige Zeugung Sternekerzen –: Und trotzig steigt Erlösung aus der Kleie ... Dann rühren deine Schwingen jene Riegel, In deren Kiefern sich manch Hirn zerklemmte; Du liebst die Sehnsucht, die dich hierhin schwemmte, Fängst sie und taumelst nieder in den Tiegel. Wintersonnenwende XI Personen Personen. Die Menschen: Der Dichter. Der Vater. Die Mutter. Die Schwester. Das Mädchen. Der ältere Freund. Der Mäzen. Die drei Kritiker. Gruppenpersonen: Die Zeitung-Lesenden. Die Kokotten. Die Flieger. Nebenpersonen: Die Krankenschwester. Der Kellner. Stumme Personen: Der Wärter. Kellner. Gäste des Kaffeehauses. Gestalten des Dichters: Die drei Gestalten der Zwiesprache. Die Gestalt des Dichters. Die Gestalt des Mädchens. 1. Akt Der erste Aufzug Vor einem Vorhang. Der Dichter und der ältere Freund einander gegenüber. Der Raum hinter dem Vorhang ist erhellt. Sehr gedämpfter Stimmenschall von dort. Im Auge steht dir noch die Freude und haftet noch die Erinnerung des Beifalls ... Ja, es war ein großer Erfolg. Zum Schluß rief man ihn siebenmal. Schon nach dem dritten Akt klatschten die Leute stürmisch. Nach solchem Erlebnis kannst du kaum noch Gedanken für meine Sache haben – Rede nicht so! Aber wir konnten die Besprechung auf keine andere Stunde legen, das weißt du; ich muß heute Nacht wieder abreisen, und dein Mäzen – so nenne ich ihn schon – er war übrigens auch im Theater ... Sprachst du ihn? Ich war am Nachmittag bei ihm. Er scheint wirklich Eindruck von deinen Dichtungen zu haben; wenigstens sagte er nur Lob. Ich glaube, daß es gut wird. Selbstverständlich darfst du ihm die Forderungen nicht nennen, von denen du neulich sprachst; ich versuchte ihm gegenüber heute eine Andeutung; aber er lehnte sofort ab. Du sprachst ihm davon, und er lehnte ab? Natürlich lehnte er ab. Ich tat es auch nur, um dich von der Unmöglichkeit recht zu überzeugen. Ich habe dir genug zugeredet; – und du scheinst es auch einzusehen, nicht wahr? Sicherlich, ich verstehe deinen Rat. Endlich also! Ich bitte dich! ein eigenes Theater! und in deinen Jahren! Das hat dir die Verzweiflung eingegeben, aber gerade die Verzweiflung sollte dich bescheiden machen; in solcher Lage muß man schließlich für jeden Pfennig dankbar sein. Gewiß, die Lage ist verzweifelt. Wenn er den Druck deiner letzten Dramen ermöglichte, wäre dir schon geholfen; du hättest ein kleines Auskommen, es ließe sich leben. Zu Aufführungen kommt es doch sobald nicht, die Stücke sind zu fremd und neuartig. Noch schöner wäre es, wenn er dir eine dauernde Sicherheit gibt, dann bist du von Geldsorgen für alle Mal frei und kannst dich in Ruhe weiterbringen. Es wäre sehr gütig von ihm ... Ich merke, du bist vernünftig geworden und hast auf mich gehört. Wann wirst du mir nicht mehr raten wollen? Das klingt wieder eigensinnig, mein Lieber. Aber ich hoffe, dir mein ganzes Leben lang raten zu können, und hoffe auch, daß du davon Gutes hast; schließlich bleibe ich doch immer einige zwanzig Jahre älter als du. Da hast du recht. Wie geht es eigentlich zu Haus? Mit jedem Tag umdüstert es sich dort. Auf jeden Flecken Sonne speit die Not. Der Vater schreckt uns mit der furchtbaren Krankheit. Was sagen die Ärzte? Sie reden von des Vaters fester Natur und daß man nicht wissen könne, wie lange es noch dauert. Es könne jeden Augenblick der Tod eintreten, aber auch noch dauern. Ihr Gerede besagt nichts; doch diese Unentschiedenheit liegt wohl im Wesen der Krankheit ... Soviel ich weiß, ist es so. – Und deine Mutter? Sie siecht. Meist starrt sie ängstlich auf die Tür und lauscht Auf Vaters Schritte. Schleifen sie heran, Dann zwingt sie für den Irren sich ein Lächeln Auf ihre Lippen, hilflos und tief rührend, Daß mir die Tränen kommen. Sie weint viel Und spricht von Sterben. Armut tut das Letzte. Es ist furchtbar.– Nein, in dieser Umgebung kannst du nicht gedeihen. Kurze Stille. Komm jetzt, wir wollen ihn im Vestibül erwarten; es ist Zeit. – Deine Hände zittern. Sei ruhig, es wird gut für dich. indem beide langsam nach rechts abgehen. Zittern die Hände ...?! Sieh, es gilt doch etwas! Jetzt teilt sich der Vorhang und man blickt in den Saal eines Kaffeehauses. Er ist gegen den Hintergrund hin erhöht, Stufen führen durch die Mitte. Rechts: im Vorder- und Mittelgrund: Tische in der üblichen Art, zahlreiche Gäste, Kellner auf und ab. Links: freier Raum, an der Wand Zeitungen, vorn Kleiderständer, im Mittelgrund ein langes, an den Enden umgebogenes Ledersofa. Auf diesem dicht gedrängt die Zeitunglesenden. Augenblicklich liest der erste Vorlesende, er sitzt auf einer zweiten kleineren und etwas über der ersten erhöhten Lederbank, neben ihm noch zwei andere: der zweite und der dritte Vorlesende, die zuhörend ihre Zeitungen gesenkt in Händen halten. Ebenso die Zuhörer der unteren Bank, von diesen sind einige auch ohne Zeitung. Im erhöhten Hintergrund stehen zum Nachtessen gedeckte Tische, selten besetzt. Die Hinterwand hat einige Fenster; weiße Vorhänge. Rechts im Hintergrund eine Art Erker, achteckige Vertiefung in die Wand, durch Vorhang geschlossen. Wieder rechts davon und auf den Erker zuführend das Ende einer Treppe, die aus dem unsichtbaren, rechts hinter der Bühne gedachten Vestibül heraufführt. Elektrisches Licht. Die Lichtquellen für den Hintergrund sind unsichtbar. Die Gruppe der Lesenden hat die volle Aufmerksamkeit, das übrige Publikum spricht daher gedämpft, es ist Dekoration. Gedämpftes Geräusch der Geschirre. ... und es ist sehr wohl möglich, daß der italienische Geschäftsträger in Konstantinopel den Auftrag erhalten hat, umgehend an die Pforte ... Bitte Schluß! Das wurde schon einmal gelesen! Soll man vor Langerweile krepieren? Wir sind zu Ende. Kann man die neuen Zeitungen denn noch nicht bekommen? Also, meine Herren, fangen wir ruhig noch einmal von vorne an. Gelächter. Von hinten, meine Herren! das ist wie neu ... Lest doch die Annoncen, die sind voller Schweinereien! gähnt. Ach ... langweilig! ... Sie sitzen zusammengesunken, stieren vor sich, gähnen und blicken trübe. Wo bleiben denn die Herren Kritiker? Wenn es so lange dauert, bedeutet's Erfolg. So ... Fräulein Gudrun hat also Erfolg gehabt – Gähnt. oder ist sie Frau, wie ist das eigentlich ...? Na, wir werden ja sehen ... Höchstens doch hören, nicht wahr ...? Also: wir werden hören, wir werden hören ... durcheinander, gähnend, sich räkelnd. Ja, wir werden hören. ruft. Da kommen die Zeitungen! Von links kommen zwei Kellner mit Zeitungen. lebendig hin und her. Her damit! Mir! Mir! Mir! Nein, die Vossische! Erlauben Sie – – Was denn ...? Teufel, so geben Sie doch!! Hier! Hier! Dreck ...! Die Zeitungen sind den Kellnern aus den Händen gerissen, man liest gierig, die keine Zeitung bekommen haben, spähen dem Nächsten mit hinein. Donnerwetter ... ohne Zeitung. Vorlesen! Vorlesen! Na, Kinder, was sagte ich ...? Los doch! Lesen Sie endlich! Hören Sie: Erdbeben in Mittelamerika! Halloh! Wieviel Tote? Fünftausend. Puh Teufel! Bewegung. Gefecht bei Tripolis. Wieviel Tote? Etwa zweihundert Tote. Dreihundertfünfzig Verwundete. Raunen. blätternd. Absturz eines französischen Fliegers. Immer Frankreich ... Wieviel Tote? Gelächter. Massenaufstand ... Spanien ... Grubenkatastrophe ... immer blätternd. Fabrikbrand ... Sturmflut ... Eisenbahnunglück ... Aufhören! Mich friert! Brr ... Aufhören!! Mich friert auch. Wahrhaftig. Immer weiter! Immer weiter! Nein! Nein! Das Positive! Positives. Gut ... Ein neues deutsches Kriegsschiff. Ah! ... Hört! Hört! Zwei neue englische Kriegsschiffe. Bewegung. Potztausend! Das ist negativ. Was? Wieso? Drei Kriegsschiffe, das bedeutet: drei Hungerjahre. Quatsch! Bravo! Volksfeind! Bravo! Was, Volksfeind!? ... Verrückt! Ruhe doch! Mehr Positives! Die Geburt eines kräftigen Jungen! Bravo! Bravo! Positiver Junge! Positiver Junge! Neue erfolgreiche Versuche mit Ehrlich-Hata! Ah! Bravo! Himmlisch! Großer Beifall, Händeklatschen. Die drei Kritiker kommen von links. Ah! Aha! Laute Begrüßung. Erzählen! Erzählen! die anderen überschreiend. Nun?! Nun!? War Fräulein Gudrun gut gebaut? Hatte sie ihre anständigen Höhepunkte, heh!? Gings auch zum Schluß hübsch abwärts mit ihr?! Gelächter und Lärm. Der zweite und dritte Kritiker setzen sich zu den übrigen. mehr im Vordergrund, summt ingrimmig, wie als Antwort auf die Frage des Sechsten. Ihr »sprang ein Dolch ans Herz«! Wie herb, Herr Dichter! Haben Sie die Güte, uns damit nicht zu behelligen – Moderne Damen, die sich vor Eitelkeit schrauben; Die lassen Sie zu Hause – bitte ich – gefälligst! Was brummt man da? Der erste Kritiker setzt sich auf die rechte Lehne des Sofas, da kein Platz mehr frei ist. Es wird allmählich ruhiger. Also nun bitte vernünftig berichten! Los! Zum ersten Kritiker. Fangen Sie an! Meine Herren, ein Erfolg ohne Widerspruch. Alles Mittelmäßige hat nämlich ohne Widerspruch Erfolg. Zustimmung. Das Stück taugt gar nichts. Hören Sie – nein, da muß ich doch sagen – das ist eine ganz verrannte Ansicht! ... Es ist im Gegenteil ein sehr gutes Stück. Ganz prachtvoll. Aber der Dichter ist eben kein solch fahriges Genie und kein Kraftmeier, wie's ja der Pöbel gewöhnlich liebt, sondern ein ernster, gewissenhafter Arbeiter – Sie mißverstehen mich, Bester. Ich schätze den Handwerker, aber dieser ist beschränkt im Gelobten Geist, denn er versteht sich nur auf Umpflanzung; nehmen Sie ihm die Sage, und er wird Hunger leiden. Aber die schöne Sprache –! Schön krähen kann jeder Hahn. Herrgott, auf diese Weise können Sie auch Goethe verulken! Erlauben Sie mal, daß auch ich rede! Ich finde nämlich das Stück im allgemeinen recht annehmbar. Es hat Geschmack, ist taktvoll, es verstößt nicht; überhaupt: es ist die Arbeit eines Gentleman. Aber gerade dieses – meine ich – wird ihm zum Verhängnis: da fehlt irgendwie ein Mutwille, der sich eigen Land zu erobern sucht; da sitzt irgendwo eine Schwäche, die er durch alles Blut und Schwert und Herbheit nicht verhüllen kann – im Gegenteil, er deckt sie dadurch erst recht auf; – dieser Dichter hat einen Mangel tief in seiner Tiefe, der ihn richtet. Bravo! Ich will Ihnen auch sagen, was da im Grunde fehlt: das große Herz fehlt, das sich hingibt bis zur Demut, die große Weltgüte, die sich hingibt bis zur Torheit, die göttliche Blindheit, die so tief sieht in alles Geheimnis – ja! es fehlt der Seher – –! unterbricht lachend. Na! Na! Na! Nur nicht pathetisch! Das große Herz hat mit seinem Stil gar nichts zu tun und mit dem Stoff, den er nimmt, auch nicht. Das tut es doch! Sie sehen eben verkehrt! Ja, dieser Mangel verwirft ihn ein für allemal unter die Fruchtlosen. Dichter sind Liebende, Weltliebende und ihrer Liebe endlos verfallen; der aber ist im Herzen verkümmert und dichtet aus Enge und Eitelkeit sich eitle Frauen. ohne Pause auf die Worte des ersten. Und es fehlt ihm der Dämon, die große Bestätigung seines Selbst von Jenseits. Er ist nur immer sein Schatten, niemals sein besseres Teil. Vor dem GEIST wird er zur Spreu. Ach, das ist ja alles – Nur nicht tragisch werden, bitte! Nur nicht ereifern! Bei dieser Mittelmäßigkeit heute! wer könnte sich da ereifern! Sie machen etwas fix reinen Tisch! Wirklich! Da haben wir unter den Neuesten jetzt den Artusdichter! Er soll uns gestohlen bleiben! Artus und Gudrun – aber unsere Zeit schaut aus – blickt fern und späht – und ihr brennt die Seele! – – Oder wollen Sie etwa noch jenen Dichter nennen, der, als er leergeschrieben war, mit seiner Armut sich noch brüstete und nun mit Pantomimen, Weib und Pomp mirakelt?! Das kann einen ja zum Heulen bringen! Ruhig! Ruhig! Bester. zum ersten. Ach, Sie! Wenn Sie nicht schimpfen können, ist Ihnen nicht wohl. Gehen wir noch ins Viktoria, meine Herren? Natürlich. Los. Ins Viktoria. Sofort. Lärm und Aufbruch. der mit dem ersten unterdessen im Gespräch nach vorn gekommen ist, im Abgehen. Da haben Sie recht. Wir warten auf einen, der uns unser Schicksal neu deutet, den nenne ich dann Dramatiker und stark. Unser Haupt-Mann, sehen Sie, ist groß als Künstler, aber als Deuter befangen. Es ist sehr an der Zeit: einer muß einmal wieder für uns alle nachsinnen. Der Vorhang schließt sich wieder. Der ältere Freund, der Mäzen und der Dichter treten von rechts auf und gehen bis vor die Mitte des Vorhangs. im Auftreten zum Älteren. Darf ich Ihnen meinen Glückwunsch zu dem schönen Erfolg Ihres Freundes aussprechen ... Ich danke Ihnen, ich bin in der Tat sehr glücklich ... Dazu haben Sie alle Ursache. Es war ein ganz ungewöhnlicher Erfolg, ein literarisches Ereignis. Er wendet sich zum Dichter. Aber ich muß auch noch einen zweiten Glückwunsch aussprechen, Ihnen, mein Herr. Ich habe Ihre Dichtungen nun alle gelesen und finde darin sehr reiches und ernstes Talent und viel Zukunft und neue Möglichkeiten. Ich würde gern zu Ihrer Ausbildung beitragen. Haben Sie Dank! Ich fürchte leider, es möchten sich noch Schwierigkeiten zwischen uns stellen. Bis jetzt, mein Herr, haben Sie nicht im geringsten Grund zu solcher Furcht. zum Dichter. Du machst dir ganz unnütze Gedanken ...! Ich möchte über dieses alles nicht so in Eile reden. Nachher – meine ich – wird sich bessere Gelegenheit finden ... Gewiß. Ich wollte Sie nur nicht lange über meinen allgemeinsten Eindruck im Unklaren lassen. Ich habe Ihnen natürlich zum einzelnen noch viel zu bemerken, auch manches anders zu wünschen, das versteht sich von selbst. – Kommen Sie, bitte, ein Platz ist bestellt. Er geht nach links ab. zum Dichter. Warum die Bemerkung über deine Furcht und die Schwierigkeiten? Sie war unnötig. Sie scheint ihn auch verstimmt zu haben. Ja, sie ist wohl unnötig gewesen. Rede recht bedachtsam, ein Wort kann viel verderben. Komm jetzt, er wartet. Er geht nach links ab, der Dichter folgt. Der Vorhang schlägt abermals zurück. Der rechte Teil der Bühne ist jetzt dunkel und menschenverlassen. Irgendwo aus der Höhe links fällt schräg über die linke Seite der Bühne das Licht eines Scheinwerfers, in dessen Strahl man die Kokotten lachend und schwatzend auf der unteren Lederbank sitzen sieht. Sie sind noch atemlos von einem raschen Lauf und ordnen ihren verwirrten Anzug. Ihre Stimmen kommen dem grellen und nackten Eindruck des Scheinwerfers zu Hilfe. Drei Kokotten kommen eben von links und setzen sich flink zu den übrigen. Schnell nur! Sie kommen gleich! Wer fehlt denn noch? Die Rote und die Lange putzen sich Noch unten. Oder warten auf die Kerle, Weil sie die ersten Küsse schmatzen möchten! zu einer Nachbarin. Wieviele waren sie? Ein Dutzend etwa! Ha, guter Fang! sich vorbeugend, zur Ersten. Die Rote ist jetzt reich, Sie trägt nur Echtes. Ach, du junge Pute! Du glaubst den Schwindel noch? Drei Kokotten auf der rechten Seite der Bank, die bisher miteinander getuschelt haben, lachen laut auf. Jawohl die Rote Hat einen Engländer, ganz hart vor Geld. Und rote Augen hat er und Pferdekiefer! Haha! den sah ich auch; ich glaube, er Ist ein Amerikaner. Sie ist dumm; Was geht sie dann mit uns? Sie wird nie satt. Sie lachen. kreischend. Und gab ihm einfach etwas auf den Hintern? Hihi! Lachen. Eine Kokotte kommt von links. zur Eintretenden. Du bleiche Lange mit der Todessehnsucht – Wo bleibt die Rote? Geht sie schon zu Bett? Da unten? Nein, sie schminkt sich erst. Die andern Sind noch nicht da. gähnt. Das rote Luder wird noch An seiner Schminke sticken. Feine Schminke Hat sie, Pariser Schminke ... Äh, da kommt sie! Die Rote kommt von links. Wo steckst du, du Schmink-Affe! kreischend. Hi, Schmink-Affe ...! schlägt die Zweite. Da hast du was ... ich werd dir ... da! lachend durcheinander. He, sie ist wütend. sich balgend. Freche Unke – Freche ... Der Roten entfällt im Streit aus ihrem Handtäschchen eine Büchse Puder, die öffnet sich und der Puder stäubt. wälzt sich vor Lachen. Der Puder! ho! Pariser Puder! ho! jetzt auch aufmerksam. Hi, seht! der Puder...! Puder ... Puder, ... hi!! Lärmen und Lachen. Paß auf, daß dir dein Kind nicht so entwischt! Setz dich hinein, so hast du was davon! keifend. Ihr Schneppen! ... äh! Sie rafft die Büchse auf und tilgt das Verschüttete. St ... st ... Jetzt kommen sie! Die drei Kokotten lachen wieder laut. Still doch! Sie lauschen. Ach Unsinn, 's ist ja alles still – Sie sind's noch nicht. zur Vierten. Du, sag mal, sitzt mein Haar? Ja doch, sitzt meins denn? zur Vierten, indem sie in einen Taschenspiegel blickt. Leih mir deine Schminke! Ich bin am Auge schwarz. reicht ihr. Da hast du sie. zur Zweiten. Du schielst ja! Da nutzt keine Schminke, hi! Ne Glaskugel stände dir besser als Dein Schielauge! Schritte und Stimmen links. Es wird rasch stille. Du Ekel!! Bleckt die Zunge. St ... st ... Es wird ganz still. Die Kokotten starren mit grinsenden Gesichtern nach links. Einheit in Ausdruck und Haltung. Von links kommen die [acht oder neun] Liebhaber. Sie halten beim Anblick der Kokotten einen Augenblick inne. Sie treffen die Auswahl, handeln unter sich, weisen mit den Fingern auf die einzelnen Dirnen. Sehr rasch hintereinander und durcheinander. Da sitzen sie. Ho! Auswahl! da ist Auswahl! Los! Vorwärts! Hoi – das Fleisch! Zum Teufel! halten ihn zurück. Halt du! Ich nehme mir die Rote! Ich die neben ... Du nimmst die Rote nicht! Sie gab mir Blicke ... Laßt mich! Noch nicht! Erst wählen! Was? Erst wählen!! Die Schwarze da... Und ich die Lange. Gut. Nein, Mensch ... die ist zu klein, die Andere – Die sieht gefährlich aus. Sie schielt. Ich die dort. wütend. Was! Laßt mich los! Soll ich denn sticken!? Ihr! Vorwärts! Los jetzt! Sie eilen zu den Mädchen. Lärm, Kreischen, Drängen, Umarmungen, gelle Lachen. Große Bewegung der Gruppe hin und her im weißen Licht des Scheinwerfers. hin und her. Nimm mich! Nicht den! Ich habe Bärenkraft! Es ist nicht wahr! Er ist ein Schwächling! Mich! Du weißt zu küssen, Mädel! Küß mich, Mädel! Was zierst du dich, was läßt du dich nicht packen? Fort, du! du glatziges Scheusal! Fort, du Ekel! Nimm doch uns zwei! Du wirst daran nicht sterben! Du bist todweiß! hu! stichst du mit den Küssen! Ihr Busen, du?! Schlag drauf und er zerplatzt! Du nimmst mir die Besinnung ... Ai, du beißt! Dort oben, ja! Komm schnell, du schwarze Hexe! Ein Paar setzt sich auf die höhere Lederbank, die drei Personen Platz bietet. Du willst was Süßes, wie? was Süßes? Schön! Schlag ihn in seine Fratze! Schlage zu! Laß los, du Kerl! Willst du Ohrfeigen? Du sollst Eis haben ... Was du willst. Vanille? Ins Bett. Nach Haus! Schnell doch! Los! Hui, du Diebin! Die Gruppe wird zum Schluß Monument. Die Stimmen hallen im Rhythmus wie Gesang. Nacheinander. Du speist mir Flammen und verkohlst mich. Wilde! Du preßt wie Eisen und erwürgst mich, Mann! Ich weiß dir eine Lust, die weißt du nicht! Ich weiß dir einen Schlaf, den schliefst du nie! Du bist die Hölle und bist schwarz vor Lust! Du bist wie Satan und sollst mich beschlafen! Das Licht erlischt. Dunkelheit. Der Lärm erstirbt. Kurze Stille. Dann wird der Raum vor dem Erker hell. Das Mädchen und die Krankenschwester sind eben die Treppe [ganz rechts] aus dem Vestibül heraufgekommen und stehen nun vor dem Vorhang, der den Erker verschließt. Bitte hier, Schwester! Hier oben ist es leer. Die Menschen starren so. Warum wollen Sie nicht unter Menschen sitzen? Sie sollen sich doch keine Gedanken machen! Der Arzt hat es Ihnen oft genug gesagt. Sie sollen sich noch soviel wie möglich schonen und Sie sahen doch eben, wie sehr das nötig ist. Wir hätten überhaupt noch nicht ins Theater gehen sollen. Wir sind kaum zehn Minuten gegangen, da werden Sie schon schwindlig! Quälen Sie sich nicht unnütz! Ihr Schicksal ist nicht mehr zu ändern, und Gott wird Ihnen Ihr Kindchen gewiß verzeihen. Kommt keine Bedienung? Ich säße gern. Ein Kellner kommt die Treppe herauf. Wir wollen einen Platz hier oben, recht ruhig. Bitte sehr! Der Kellner zieht den Vorhang zurück, so daß der [achteckige] Erker sichtbar wird. Drinnen Tisch, Stühle. Durch die Fenster sieht man den Nachthimmel. Hell flimmert ein Stern. Wolken treiben. Der Erker ist erhellt, Lichtquelle unsichtbar. Ja, hier wollen wir sitzen. Wie der Kellner die Vorhänge zuziehen will. Bitte, lassen Sie den Ausblick, ziehen Sie die Vorhänge nicht zu! Warum nicht? Es zieht immer ein wenig durch die Ritzen, man erkältet sich so leicht. Ziehen Sie nur vor! Der Kellner tut es. Mädchen und Krankenschwester setzen sich am Tisch einander gegenüber [Profil]. Jetzt erlischt das Licht in und vor dem Erker, und man sieht während des folgenden nur schattenhaft die beiden Gestalten. Der Kellner entfernt sich bald und bringt nach einiger Zeit das Gewünschte. In dem Augenblick der Verdunkelung ward der übrige Hintergrund erhellt; etwa in dessen Mitte sitzen der Mäzen, der ältere Freund und der Dichter und speisen. Ein Kellner geht ab und zu. fast gleichzeitig mit der Helligkeit. Sie haben die Ziele, die ich mir vorgesetzt habe, so sicher aus meinen Dichtungen gedeutet, daß ich jetzt mit mehr Zutrauen auf guten Ausgang zu Ihnen rede, als vorher. Es ist nur schwer, sich hierin verständlich zu machen, es wirkt alles leicht unreif und verfehlt – – Sie verstehen mich wohl? Kurze Stille. Mein Freund hat Ihnen von meiner Lage gesprochen, Sie wissen, in welcher Umgebung ich arbeiten muß – – Und die Bühnen weisen meine Dramen ab, es ist an ihnen vieles so neu, daß man sich scheut, das Experiment der Aufführung zu wagen. Ich stimme Ihnen bei. Sie sind unglücklich daran, denn Ihre Stücke werden nur seltsamer und fremder, und Sie haben eigentlich – wenn ich offen reden soll – immer weniger Aussicht auf Annahme. Natürlich kann man das nicht so bestimmt sagen ... Es freut mich, daß Sie Gleiches wie ich voraussehen, um so mehr werden Sie mich weiter verstehen. Diese Unmöglichkeit, aufgeführt zu werden, ist meine größte Hemmung. Denn für mich ist die Aufführung Notwendigkeit und erst Erfüllung der Schöpfung und Pflicht der Schöpfung gegenüber. Nimm bitte Rücksicht auf das, was ich dir sagte! Kurze Stille. Sie werden begreifen, daß die Veröffentlichung der Dramen im Druck mir nicht viel sein kann, immer nur eine Halbheit, niemals Endzweck, der ist die Aufführung. So bleibt mir nur diese Bitte an Sie übrig: mir eine eigene Bühne gründen zu helfen. Nimm Vernunft an, bitte! das ist unsinnig! Laß mich ausreden. Ich spreche dies mit Überlegung. Ja, mein Herr, lassen Sie ihn sich aussprechen ... Ich will nur das Beste für dich. Dies wird dir nie zum Besten. Ich habe alles sehr bei mir überdacht und oft geprüft, ich habe alle Möglichkeiten erwogen, die mir sonst blieben, aber ich kam immer auf dieses Einzige zurück. – Aufführung muß mir werden; ich sehe meine Dichtungen als Grundlage und Anfang eines erneuerten Dramas an; Sie äußerten sich selbst vorhin in ähnlichem Sinne. Aber dieses neue Drama kann nur durch seine Aufführung wirksam werden und recht befruchtend; mir bleibt nur die eigene Bühne. Sie sprechen von einem neuen Drama, ich halte das bei unserer modernen dramatischen Dichtung in gewisser Weise für berechtigt. Und Ihre Stücke scheinen auch so vielen Keim zu tragen, daß man Ihre Selbsteinschätzung versteht. Überhaupt versichere ich Sie, daß ich Ihre Überlegungen und Ihren Entschluß wohl begreife. Wenn ich Ihnen trotzdem anderes vorschlage, geschieht es also nicht aus Unverständnis, sondern aus guter Einsicht. Ich glaube, daß Ihre nächste Zukunft auch anders möglich ist – so sehr ich Ihnen Ihre Bitte nachfühlen kann – ich sehe doch soviel Wagnis und Schwierigkeiten in der Verwirklichung, daß ein anderer Ausweg notwendig scheint, und den habe ich gefunden, wie ich glaube. Reden Sie bitte! Ich halte meinen Vorschlag für gut und fördernd. Ich setze Ihnen eine Rente aus, hoch genug, um in den nächsten Jahren ganz nach Wunsch leben zu können. Vor allem – meine ich – müssen Sie jetzt reisen. Ihnen droht Unfruchtbarkeit, wenn Sie nicht neues Erlebnis aus der Umwelt finden. Lassen Sie auf diese Art etwa zehn Jahre hingehen und wir können weiter über alles reden. Sie werden viel zugeschaffen haben, das Wagnis wird nicht mehr so groß sein, was sagen Sie? Du hast dein Schicksal in Händen. Kurze Stille. Mein Herr, auch diese Möglichkeit habe ich lange beraten, aber verworfen. Nicht Umwelt brauche ich zu neuem Schaffen, sondern mir muß Erfahrung in dramatischer Technik durch Aufführung der alten Werke werden. Ich muß die Grenzen der Darstellung, ich muß alle dramatischen Grenzen praktisch erproben können, hier fehlt es meinen Dichtungen, nur aus der Beherrschung dieser Dinge kann ich reifere Frucht aus diesen Dingen treiben. Die Welt des Außen ist erst zum zweiten not, und Unfruchtbarkeit wird mir niemals drohen! Meine Berufung befiehlt einzig diese Bahn, darum muß ich ablehnen. Sie reden unbedacht, mein Herr! Sie übersehen den überwiegenden Vorteil meines Vorschlages: eine Ausbildung in wirklicher Ruhe. Dies ist Ihnen not. Die Aufführungen würden eher nachteilig für Sie sein, denn Ihre ganze Persönlichkeit wäre so davon in Anspruch genommen, daß Sie nicht mehr rechte Ruhe zur Arbeit hätten; und Ihre Arbeit kann nur in Ruhe gedeihen. Ich werde Arbeit und Verwirklichung einen können. Ich bin berufen, also dazu fähig. Erlauben Sie, damit fängt das Phantastische an, wir wollen hier nur Wirklichkeiten denken. Kurze Stille. jäh auf. Nicht wahr, Sie wollen mir dies nie erfüllen?! Ich weiß es doch, Sie halten meine Bitte Nur für Phantasterei, wie die Gedanken Über Berufung!? ... Wie soll ich nur reden?! Soll ich erzählen, wie dies aus mir sah, Schon als ich Kind war, und dann mählich reifte Und mächtig wuchs und zwang und fort mich trieb In manche Einsamkeit und manche Qual – Wie's mir Gesetze gab, die mich losrissen Aus innigen Banden lieber Menschen und Zu Grausamkeiten mich verurteilten Gegen das nächste anverwandte Blut?! Das Werk! das Werk! und nur das Werk war Herr! Wie soll ich reden ... Ich will Ihnen Bilder Der Zukünfte erzählen, die in mir Mit Pracht sich aufgerichtet haben, die Mich führen, wo ich bin, und keine Liebe Und keine Wollust hat bisher sie stürzen können Oder nur einen Augenblick verhüllen! Sie werden sehen, welch ein Reichtum auf Sie wartet, welche Summen, wirklich dies Wird eine Goldgrube für Sie! Und gar kein Wagnis! Hören Sie doch: es wird Das Herz der Kunst: aus allen Ländern strömen Die Menschen alle an die heilende Stätte Zur Heiligung, nicht nur ein kleines Häuflein Erlesener! ... Massen der Arbeiter Schwemmt an die Ahnung ihres höheren Lebens In großen Wogen, denn sie sehen dort Aus Rauch und Ragen der Gerüste, aus Sausenden Fährnissen der Räder ihre Seelen aufsteigen, schön und ganz geläutert Vom Schwarm der Zufälle, in herrlicher Erhabenheit Siegerin der eisernen Nöte, Lebendig Stahl und Turm, der seine Sehnsucht Auftrotzet königlich ... Hungernde Mädchen, Die um ihr unrecht Kind sich mager mühen, Sollen dort Brot finden und ihre Kleinen Mit Macht zum Himmel stemmen, wenn sie auch Verreckt schon sind in ihren Armen! Krüppel, Denen das wimmelnde Elend dieser Zeit, Der Gram und Harm ihrer Mißratenheit Schielt aus verbogenen Gelenken, werden Mit Mut und großer Liebe zum aufrechten Leben die Herzen hemmen und den dürren Rumpel dem Tod hinwerfen. Männer aber Sollen die Stirnen härten an Leid und Lust, Die Herzen heben zu Sehnsucht und Verzicht! Das Weib sei vor dem Mann in großer Treue! Er lerne, in Adel vor ihr die Stirn zu neigen! – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – Zur Hochgeburt soll eine hochgeborne Vielfach verderbte Zeit hin vor mich treten, Ja, diese Zeit soll wahrhaft sich im Spiegel Der Allmacht schauen und verstummen, wenn Aus tiefen Himmeln wächst Das gnädige Bild des Ankers, der uns alle Unerbittlich erzgeschwungen Hält an dem Grund der Gottheit. Bei des Dichters Versen hat sich das Mädchen erhoben und ist leise nähergetreten, sie steht links am Eingang des Erkers. Zuletzt ist auch die Krankenschwester herzugekommen, jetzt sieht sie, auf den Zehen emporgerichtet, neugierig dem Mädchen über die Schulter. Ich bitte Sie, mein Herr, bewahren Sie Ihre Ruhe! – Was Sie als Zukunft sehen, ist Dichtung und ein nie erfüllbarer Traum. Deshalb fühle ich mich sozusagen berechtigt, Ihnen zunächst die Bitte abzuschlagen, weil Sie nach ein paar Jahren mit mehr Reife über Ihre Pläne denken werden. Dann haben Sie vielleicht die Grenzen der Möglichkeit ernster kennen und achten gelernt, Ihre Ideen haben sich danach gerichtet, und wir werden es beide leichter haben. Sie sprachen deutlich, und wir sind zu Ende! Die Krankenschwester ist inzwischen wieder auf ihren Platz zurückgekehrt, aber das Mädchen steht nach wie vor vornübergebeugt lauschend. Das Licht im Hintergrund erlischt sogleich nach dem letzten Wort des Dichters. Der linke untere Teil der Bühne wird schwach erhellt. Im Dämmerlicht sieht man auf der unteren Bank die fünf Flieger sitzen. Einheit in starrer Haltung. Einheit in den harten und fruchtbaren Gesichtszügen. ganz im Rhythmus. Du rätst wohl zur Freudigkeit, aber mein Sinn Kann die Fessel nicht brechen: die klammernde Angst. Mir geht es wie ihm, trüb überschwemmt Mein Puls gewaltsam das Lachen. Trauer deutet die Feier der Stunde nicht, Selbst dem schlimmsten Schicksal ziemt höhere Antwort ... Wie strahlte sein Auge zur Sonne froh in Schwesternschaft, froh in heiligem Willen ... Wie band seinen Handdruck ein sicherer Mut, wie War jedes Wort ein Mal des Gelingens ... All zu sehr preßte der Mut seine Hand, Übermütig zerschellte schon mancher – All zu sonnig strahlte sein Auge, der Sonne zu nah, fiel schon mancher in Asche – Trauer deutet die Feier der Stunde nicht, Selbst dem schlimmsten Schicksal ziemt höhere Antwort. Laßt uns warten, schenkt der Ahnung nicht Wert – Oft täuschte sie, bald wird uns Gewißheit. Sechster Flieger kommt von links, tritt vor die andern, das Antlitz ihnen zugekehrt, und verharrt so während des Folgenden. Weh ... Dein Auge schaut aus nach lockerem Grabe ... Deine Stirn malt uns trostloses Sargholz. Weh: die Stürme des Himmels zerbrachen das Flugzeug. Er zerbarst an felsiger Erde... Wehe ... Nicht trog meine Ahnung, Zu Recht schlug mich Furcht in die Reifen! Zu Recht meiner Schwermut Schwemmflut ertränkte das Lachen! Weh: tot liegt er mit offenem Hirne, Noch umklammert er Flügel und Steuer. Wehe ... Sein Mut hob sich hoch in die Stürme – Wütende achten den Mutigen nicht! Warm hob sich sein Auge zur Sonne – Die Glühende achtet den Kuß nicht! Einstimmig töne, klagende Seele, Psalm du und Orgel dem Toten. Trauer deutet die Feier der Stunde nicht, Schlimmstem Schicksal ziemt höhere Orgel. Welchem Gotte sind deine Worte die Fahnen? Welcher Freiheit die tiefe Posaune? Aus tilgenden Stürmen hebt sich mein Gott, Saugt sich Atem aus feindlicher Sonne. Von der Gruft wälzt dein Mutspruch den lastenden Block, Und ich ahne des Todes Verdammung ... Deine Hoffnung entsiegelt verborgenen Klang, Ja ... es tönt schon das ewige Leben. Spende die Weisheit, spende die Allmacht! Wo zerstob seine Glut, wo zerknickte sein Mut? Er fuhr flammender nur in uns nieder! Ja, du brichst meine Wolken mit himmlischem Strahl –! Schmückst mit innigem Lächeln die Trübsal! Sinnet ganz! Steiget tief! Starb er hin? Stand er auf? Unser Auge wird voll seiner Seele – mit Geste. Seine Sehnsucht reckt auf unsre Hände. Sein Tod ward dem Bunde die Mehrung: Band sich ein uns als Faser und Herrschaft ... Stille. leiser, doch mehr eindringlich – und seine Stimme kommt wie von fern her. Über suchenden Worten die Ahnung –! wie tastend. Über suchenden Worten die Ahnung – Über schwankendem Troste der Glaube. die Häupter geneigt. Über schwankendem Troste der Glaube! Verdunkelung der unteren Bühne, der mittlere Hintergrund wird hell. Am Tische nur noch der ältere Freund und der Dichter. Du hast dir diese letzte Möglichkeit zerschlagen. Weißt du, was das ist? Ich habe dich soviel gewarnt, du schienst mir auch zuzustimmen, aber es war Verstellung. Solche Heimlichkeit ist mir im Tiefsten zuwider. Was vorging, ist nicht zu fassen! Ich kann dir so bald nicht vergeben. Was soll werden? Wie willst du dich weiterbringen? Ich war ungern vor dir heimlich. Ich brachte dir manchen Einwand vor, aber du stießest alle um und wiederholtest dich sehr bestimmt. So ließ ich's denn sein. Du hieltest meinen Wunsch in Händen und betrachtetest ihn wie ein lebloses Ding, wie ein Stein oder ein Stück Holz. Hier war aber lebendiges Werden, wechselnd und unergründlich, soviel Seele und Heimlichkeit, daß weder du noch ich fest darüber wissen konnten. Doch dies ist dein Wesen, deine herbe Sitte, stets bandest du mich in eine Zahl und suchtest zu dieser Zahl die Regel. Aber ich selber hatte meine Ziffer und Gesetz noch nicht gefunden. Jetzt sei mir gut! Ich bin verstimmt über das Geschehnis. Diese Beharrlichkeit und Blindheit von dir ist bedenklich. Du bist zu jung, um schon so abweisen zu dürfen. Stille. Er sieht auf die Uhr. Es ist nun Zeit, ich muß zum Zug. Auf Wiedersehen, suche mich bald zu Hause auf; jedenfalls zürnen wir nicht. Sie reichen sich die Hände. Ich danke dir. Leb wohl! Der Freund geht nach rechts ab, am Erker vorbei die Treppe hinunter. Der Dichter blickt schweigend vor sich. Verdunkelung, dann wird der Erker hell. Das Mädchen steht noch wie vorher, die Schwester sitzt und trinkt ihre Schokolade. So kommen Sie endlich! Ihre Tasse ist längst kalt geworden. Es ist auch höchste Zeit für Sie, Sie müssen nach Hause. wendet sich plötzlich und geht rasch zur Treppe rechts. Verzeihen Sie, Schwester! Rechts ab. Verdunkelung, die untere Bühne wird hell. Sie ist menschenverlassen. Der Dichter steigt langsam in den Vordergrund hinab und spricht das folgende. Gleich nach den ersten Worten erscheint das Mädchen rechts unten, dort steht sie, starrt zum Dichter und hört seine Worte. Du warfst mir einen himmelhohen Fels In meine Straße – Mit Felsen auch beschlugest du mein Hirn und, Kaum kann ich denken. Doch deine Widermacht stählt meine Pulse, Schicksal! Einst trotze ich mich himmelauf in blaue Sonne ..., Adler Spreite ich Schwingen aus Feuern der Sonne. Kralle und Adler! und dein Block wird Staubkorn. Er geht die Stufen weiter hinunter und will dann nach rechts abbiegen. Da tritt ihm entgegen, hebt den Arm, als wollte sie den Schreitenden hindern, und sagt. Ich will noch reden, wundervoller Fremder ... 2. Akt Der zweite Aufzug Vor einem Vorhang. Der Vater im blauen Schlafrock. Er bearbeitet eine bunte Kindertrommel mit allzu großem Schläger. Noch bei geschlossener Bühne sind die ersten Schläge zu hören; während sich dann das Theater öffnet, werden sie rascher und rascher, jetzt folgen sie einander wirbelnd schnell. schreit in den Lärm. Hei! Hei! Ho! Holla! Fort! Fort ihr Bälge! Hei! Ha, wie sie rennen! Fort ihr Bälge! Fort, fort, fort, fort, fort! Tüchtig! tüchtig, du gute Trommel, tüchtig! Er hält inne. Ah – nun sind sie fort ... Er blickt empor. Haha, da seh ich dich wieder, Mars, da seh ich dich wieder ...! Du sollst auch einen Kuß haben, Trommel, weil du so brav bist, und die alten Fratzen verjagst. So ... Er küßt sie. Pfui, die alten Fratzen. – Da ein Feuer, da ein Sargdeckel und Qualm, hier eine Laus, da eine Kröte, da ein Herz, da ein Herz mit dem Messer, hier ein Eimer Tränen, da eine Kiste Mord – dabei soll man nicht verrückt werden. Aber ich habe jetzt die Trommel – ätsch – ja, ich habe die Trommel. Der liebe Gott meint es doch noch gut mit seinem Baumeister. Liegt da oben auf dem Boden, als ich die alten Pläne suchen will, ganz verlassen die Trommel. Hahaja, der liebe Gott meint's noch gut mit seinem Baumeister, jaja. Kurze Trommelschläge. eins, zwei, drei, und ich sehe den Mars wieder. Wirft Kußhand nach oben. Guten Tag, lieber Mars, guten Tag, guter Mars, ich habe jetzt die Trommel! Jäh umschlagend. Was, du Kerl ... was! Du Qualmriese, stell dich nicht vor den Mars, du! Er beginnt wieder zu trommeln. Holla, hoho, fort, fort! willst du wohl! du Teufel ... fort! fort! Willst du wohl! fort! Wild trommelnd dringt er nach links vor, als treibe er jemand hinaus. Kurze Weile ist noch das Trommeln hinter der Szene zu hören, dann Stille. Nun teilt sich der Vorhang, man sieht in ein Wohnzimmer. Rechts im Vordergrund Chaiselongue. Vor einem roten Vorhang inmitten der Hinterwand Tisch und drei Stühle. Links Mitte ein Sessel. Links hinten Tapetentür. Teppich rot, Tapeten rot, Polster der Möbel rot, Tischdecke rot. Mutter und Sohn [der Dichter] sitzen am Tisch einander gegenüber [Profil]. ... es ist das erste Mal seit deiner Rückkehr, daß du mir eine freie Stunde gönnst. Und du bist schon über eine Woche zurück. Aber du bleibst den ganzen Tag auf deinem Zimmer oder gehst spazieren. Um mich kümmerst du dich gar nicht, ich sehe dich nur zu den Mahlzeiten, dazu bin ich dann gut genug. Wenn du wüßtest ... ich weine so um dich ... Liebe, laß uns diese freie Stunde über anderes reden ... Nein, nein, ich muß darüber reden können, das möchtest du natürlich nicht! Ach, ich bin ja tot für dich, läßt du mich denn noch irgend etwas von deinem Inneren wissen? Es war schon in den letzten Monaten schlimm genug, aber nun, seitdem du dies Mädchen kennengelernt hast, bist du ganz verschlossen! Von deiner Reise hast du mir kein Wort erzählt, warum bist du nur so schnell wiedergekommen? Du weißt doch, daß ich die Reise unternahm, um meiner Kunst etwas Anregung zu suchen. Ich kehrte zurück, als ich genug gesammelt hatte ... Und du kehrtest so schnell zurück?! Aber ich glaube, du hast die Reise aus ganz anderen Gründen getan, ich glaube das ganz gewiß. Dabei hast du dann irgend etwas Schlimmes erlebt und kamst deshalb so schnell. Woher willst du dies alles wissen? Als du zurück warst, merkte ich, daß dich innerlich etwas sehr beschäftigte. Und es mußte etwas Trauriges sein, das merkte ich auch. Ich kenne dich doch! Ich weiß doch, was in dir vorgeht! Ach, ich weiß das doch! Vielleicht bist du hingefahren und wolltest ein Stück von dir anbringen, und es wurde abgelehnt. Aber laß doch diese unnützen Gedanken ... Ja, ich merke schon, es ist wahr. Ich dachte es mir, ach ... Links hinter der Szene klappt eine Tür. empor. Horch! das war doch sein Schlafzimmer! Was ist denn? er schläft doch? er kommt doch nicht wahr? Kurze Stille. Es ist alles ruhig. Der Wärter wird doch bei ihm sein? Soll ich gehen und nachsehen? Ja, gehe nur, aber leise! Wecke ihn nur nicht, wenn er schläft. Vielleicht ist es besser, du gehst nicht? Ich will doch lieber gehen. Ja, aber ganz leise, ja, es ist doch wohl besser. Man kann ja nicht wissen ... Aber ganz leise, hörst du? Der Sohn nickt Ja und geht durch den Vorhang ab. Eine Stille. legt den Kopf schmerzlich auf die Seite, faltet die Hände, blickt starr gradaus und betet dann eintönig und gramvoll. Gott, du führst alles zum rechten Ende – Auch all mein Leid! O Gott, Gott, so nimm du meine Hände Und führe mich ... Ein wildes Schluchzen läßt ihr Haupt aufzucken. Hinter der Szene rückt ein Stuhl; die Mutter trocknet rasch ihre Tränen und schaut zum Vorhang. kommt zurück. Ja, der Wärter ist bei ihm. Schläft Vater? Er liegt in seinem Schlafrock auf dem Bett und scheint zu schlafen. Hast du nicht mit dem Wärter gesprochen? setzt sich wieder. Nein, ich ging gar nicht ins Zimmer, ich sah nur durch die offene Tür, keiner hat mich gehört. Ach, wenn ich daran denke, daß dies am Ende noch ein Jahr so geht, oder noch länger, – ich halte es nicht aus. Hast du noch einmal an die Tante geschrieben? Sie hat ja schon wieder geschrieben. Ich wollte dir noch den Brief zeigen. Sucht bei sich. Wo habe ich ihn nur ...? Ich habe ihn vielleicht oben gelassen ... Was schreibt sie denn? Sie schreibt ganz herzlos ... Nein, ich habe den Brief jetzt nicht hier. Sie schreibt wieder herzlos? Sie geht auf nichts ein. Sie beruft sich auf die Aussage der Ärzte und will eben durchaus, daß er seine letzten Tage nicht in der Anstalt verbringt, sondern zu Haus. Sie wirft mir Lieblosigkeit vor, weil ich es anders wollte. Aber wie ich ihn lieb habe, das weißt du ... Man kann bei ihr nichts ausrichten, Vorstellungen nützen nichts, und sie gibt eben so viel Geld, daß wir von ihr abhängig sind. Wenn es noch sein Herzenswunsch wäre! Wenn es ihm seine letzten Tage verschönte! Ja, dann würde ich alles auf mich nehmen! Aber der Arzt hat mir doch selbst gesagt, daß es diesen Kranken ganz gleichgültig ist ... ach, es ist so schwer, ich kann nicht mehr schlafen vor Angst ... Sie liebt wohl den Bruder, aber sie fühlt nicht mit unser aller Qual und deiner großen Liebe ... senkt das Haupt. Ja, ich liebe ihn ganz und bin immer um ihn ... leiser. Sieh, ich liebe dich ganz und bin immer um dich ... Die Mutter blickt schmerzlich auf. Ich weine um euch, die Nächte in die Kissen, mein eines Auge weint um den Vater, mein anderes um dich! Es klappt eine Tür, gleich darauf eine zweite, man hört Schritte näher kommen. fährt aus sich auf und schreit. Das ist er! er kommt! Sie flieht in eine Ecke des Zimmers. Riegle zu! riegle zu! Will zur Tapetentür hinaus. Gott, die Tür ist verriegelt! Bleib doch! bleib ruhig! bleib ja ruhig! flieht durch das Zimmer in die hinterste Ecke. Ruf doch nur den Wärter! Der rote Vorhang in der Hinterwand schlägt sich zurück, der Vater erscheint im Rahmen. Er ist wieder im blauen Schlafrock. im Rahmen des Eingangs. Nun bin ich fort – Tralala – Und kann tanzen! Er kommt rechts um den Tisch herum in das Zimmer, ohne die anderen zu bemerken, die rechts beiseite stehen; der Sohn faßt dabei beruhigend den Arm der Mutter. Siehst du wohl, mein Herr Patron, Heidi, bin ich dir entflohn Eins! zwei! drei! Hahaha! Tralala, ich habe mich verstellt Und den Herrn Patron geprellt, Nun lach ich ihn aus Ätsch Aus Aus Aus Und rücke ihm aus – Bums. Er wirbelt umher. Da erblickt er Sohn und Mutter. Ah, da seid ihr ja! Guten Abend! Guten Abend! Guten Abend, Väterchen. Schläfst du noch nicht? Hahaja – was sagt ihr zu mir – ich habe mich bloß schlafend gestellt! Aber der Kerl fiel darauf rein und dachte, ich schliefe wirklich. Fein bin ich ihn losgeworden – hahaha – ich bin ihn los. Ich tanze schon vor Freude, ihr müßt nicht denken, daß ich verrückt bin. Ich tanze doch bloß vor Freude!! Ja, wir wollen doch alle tanzen, wo ist denn unsere Hedi, die soll Klavier spielen. Hopsa ... hopsa ... tralala ... Was sagt ihr denn nur zu mir, ich kann doch noch dichten! fein vorhin, was? Wer verrückt ist, kann doch nicht mehr so dichten! Ja dichten, das war schon immer mein Fach. Weißt du noch, Mutti? Du liebe Braut im Myrtenkranz Kochst mir jetzt hule-hule-Gans ... Hahaha ... Kurze Stille. Aber setzt euch doch hin! Was steht ihr denn? Komm doch, Mutti! Sie setzen sich alle um den Tisch. Na, Junge, du solltest eigentlich schon schlafen – aber du bist ja kein Kind mehr. Früher mußtest du immer Punkt halb acht zu Bett ... Punkt halb acht! Marsch – da half alles nichts! Ich weiß noch – haha – fünf Minuten vorher schieltest du schon immer nach der Uhr, so ganz heimlich zwinkertest du ... aber ich sah es doch. Und dein Buch wolltest du dann immer noch ins Bett nehmen, aber das gab's nicht. – Ja, du warst ein Racker! Und wenn wir Rätsel rieten, weißt du noch, Junge? Wir beide hatten sie immer eins, zwei, drei, aber Mutti riet nie ... nie ... Klopft ihr die Schulter. Ja, ja, Mutti. So einfach ist die Sache nicht. Haha. Du hattest manchmal schon geraten, bevor ich das Rätsel zu Ende gelesen hatte. Ja, Väterchen, du rietest wirklich prachtvoll. Aber wie ist das nun! Wir müssen doch besprechen, wie alles werden wird. Ich bin nun gesund, und der Wärter wird am Ersten entlassen. Ich glaube, Mutti, wir beide leisten uns zuerst eine schöne Reise nach dem Süden, denn woanders ist es jetzt überall noch zu kalt. Ja, ich habe mir das alles schon fein ausgedacht, na, du wirst Augen machen, Muttichen! Das wird ja ganz herrlich werden ... Na, und ob es herrlich wird! Und dann geht's mit neuer Kraft an die Arbeit. Aber tüchtig! Haha, wenn ihr wüßtet ... Arbeit macht das Leben süß Macht es nie zur Last – – Jaja. Du hast dir ja neulich schon die alten Mappen vom Boden geholt –. Ja, das habe ich ... und die Trommel! Haha, wißt ihr denn schon von meiner alten, lieben Trommel ...? Na, das erzähl ich euch ein andermal. Du brauchst nicht gleich ein so ängstliches Gesicht zu machen, Muttichen, es stimmt schon mit der Trommel ... ja – also – wovon sprachen wir denn ... Von den alten Mappen, Väterchen, und von deiner Arbeit. Ja, die Mappen, die brauche ich nämlich zu etwas – haha! ja, es gibt tüchtig zu tun, ho, wenn du wüßtest! Wir werden noch steinreich, wir lachen noch alle aus. Aber es wird nichts verraten. Du hast jetzt eine besondere Arbeit vor, nicht wahr? Nein, es wird nichts verraten. Na, dir sage ichs vielleicht doch, Junge, du bist ja »Herr Kollege«. Wie gehts denn jetzt? Tüchtig fleißig, was? Wie lange wird's noch dauern und du machst deinen Bauführer ... Mutti, weißt du noch, als ich ... Die Mutter nickt. hahaja, das weißt du noch. Du, Junge, sowie ich gesund bin, gehen wir doch zusammen auf die Kneipe, unbedingt, ich will wieder einmal einen richtigen Kommers mitmachen. Ad exercitium salamandri ... eins, zwei, drei ... ja, ja, ich kann's immer noch ... das verlernt man nicht. Die Mutter hat sich inzwischen leise erhoben und will nun durch den Vorhang ab. Wohin willst du denn, Mutti? Ach nein, bleib doch! Heute kannst du schon etwas länger aufbleiben, mir zuliebe, nicht wahr? Nicht wahr, mein kleines Frauchen? hat sich wieder gesetzt. Gewiß, Väterchen. Du kannst dich ja morgen ordentlich ausschlafen, morgen ist Sonntag, da kamen wir doch nie vor neun aus dem Bett! Gott, wie lange ist das her, daß wir beide so zusammen schliefen! Aber laß nur erst den Wärter fort sein, der Erste ist ja bald, laß nur erst, Muttichen, dann machen wir noch einmal Hochzeit. Mein liebes, schönes Frauchen! Eine Stille. Die Mutter betrachtet den Vater ängstlicher. langsam. Sage mal – – Stille. zag. Ja ...? Sage mal, was wollte ich denn noch mit dir reden ... was war es denn Stille. ... Na, warte nur, Muttichen, wenn ich erst wieder verdiene! Da komme ich nicht erst mit 6 000 Mark, sondern gleich mit 600 000. Ja, du wirst staunen, aber warten mußt du noch ein bißchen. Es ist ja so entsetzlich, daß ich in diesen Jahren gar nichts tun konnte. Ich werde noch jetzt verrückt, wenn ich daran denke. Hier, hier, Streift den rechten Arm bloß. da seht mal – habe ich mich ins Fleisch gebissen vor Wut, aber es nutzte nichts, ich konnte nicht arbeiten. Ich konnte beißen und beißen wie ich wollte ... Aber nun hast du ja wieder eine Arbeit vor, Vater. Ja, nun ist freilich alles gut. Am Ende hat das Beißen doch etwas genutzt. Haha, es kam auch genug Blut, einmal eine ganze Schüssel voll! Haha, jetzt können wir aber lachen! Du, Mutti, wir könnten eigentlich zur Feier des Tages eine Flasche Wein spendieren. Und – weißt du was – dann bringe auch gleich die Hedi mit, sie soll doch mit uns anstoßen ... Er steht auf, reibt sich die Hände und springt vergnügt. Hopsa, das wird einmal fein ... Die Mutter redet hinten am Vorhang leise mit dem Sohn, der Vater geht inzwischen summend und ganz mit sich beschäftigt im Zimmer auf und ab. Dann verläßt die Mutter das Zimmer. Der Sohn kommt nach vorn, setzt sich auf das Fußende der Chaiselongue und blickt zum Vater. Eine Stille. Du wolltest mir doch von deiner Arbeit erzählen, Vater ... bleibt stehen. Von der Arbeit; richtig!– – Ja, so einfach ist das nun gar nicht zu erzählen ... Wie lange bist du eigentlich schon dabei? Hm, der Gedanke dazu oder der Traum kam mir schon vor vier Monaten. Und dann machte ich den Plan fertig, aber da war ich noch nicht wieder zu Hause. – Aber den Entwurf habe ich erst gestern begonnen. Du mußt mir alles zeigen. Was sagtest du da vom Traum ...? Ja – wie gesagt – es ist nicht so leicht zu erklären. Hinter der ganzen Arbeit steckt etwas Großes, Wunderbares, weißt du, eine ganz rätselhafte Macht – jaja, das klingt verrückt, ist es aber nicht. Hör nur zu. – Wie fange ich nur an ... Hast du einen Traum gehabt? Ja! ja! Denke dir! eines Nachts sah ich im Traum den Mars, ich sah ihn wie gewöhnlich am Himmel stehen, aber plötzlich wurde er immer heller und größer, er wuchs und wuchs, schließlich wurde er so groß, wie das ganze Zimmer hier und stand dicht vor mir, greifbar, denke dir, ich erkannte deutlich die Kanäle. Die Marskanäle, weißt du? Ja. Ich sah sie deutlich flimmern und rieseln – schnurgrade gingen sie durch den ganzen Mars, schnurgrade. Hattest du sie schon einmal durch ein Fernrohr gesehen? Ja, aber doch viel, viel kleiner, nur wie ein Fünfmarkstück so groß, und jetzt sah ich sie so groß wie diese Wand. Wie wunderbar. Ja, wirklich wunderbar! Denn in der nächsten Nacht träumte ich dasselbe, aber dieses Mal konnte ich sehen, wie an einem Marskanal gebaut wurde! Ah ... in Gedanken wachsend. Ich sah die Böschungen greifbar vor mir, ich sah die Gerüste und Gruben – alles sah ich! – Und ganz seltsame Maschinen, mit seltsamen Räderwerken und ganz fremden Formen – und all das sauste und surrte vor mir, daß mir wirblig wurde! Ich sah auch Menschen, die uns sehr ähnlich waren, aber alle hatten lange, lose Gewänder und spitze Hüte, genau so, wie ich es einmal in einem Roman gelesen hatte. Hattest du alles das gelesen? Was denn ... doch nur von den Menschen hatte ich gelesen, von allem anderen nicht; sonst wäre wahrhaftig nichts Wunderbares dabei gewesen. Hahaha! Also ... wo war ich denn ... Bei den Menschen und Maschinen. Richtig. Wie gesagt: von den Maschinen und dem ganzen Bau hatte ich natürlich nie etwas gelesen ja, das wäre kein Kunststück! Wie war es nun in der dritten Nacht? In der dritten Nacht? Ja, da sah ich von der Baustelle noch ein Stück mehr, auch alles noch deutlicher! Da sah ich auch riesige Dinger auf dem Wasser – es sollten wohl Schiffe sein – ich begriff gar nicht, wie sie überhaupt schwimmen konnten! Nichts begriff ich überhaupt, die Maschinen nicht, nicht eine einzige Konstruktion, rein gar nichts, wie ein Ochse stand ich davor! Aber schließlich begann ich doch dies und das zu wittern – ah – ich zersann mir die Stirn vor all den Dingen, es konnte einem fast den Verstand nehmen, aber ich bohrte mich hinein! Das war eine Zeit, Junge! Da lief ich des Tags wie ein Wilder und wartete auf den Abend. Ich glaube, ich hatte immerfort Fieber vor Warten. Ich brannte. Abends, wenn ich den Mars am Himmel sah, ganz rot, sprach ich mit ihm. In der Nacht war ich dann oben. Ja, ich war oben, wochenlang jede Nacht, ich träumte ja gar nicht, was ich sah, war Wirklichkeit – – Ich glaube dir, Vater. Und wie ging es weiter? Geräusche hinter dem Vorhang. Die Mutter und die Schwester kommen. Die Schwester trägt ein Tablett, darauf eine Flasche Wein und vier Gläser. Die Mutter trägt eine Schüssel Gebäck. Sie setzen es auf den Tisch. Der Schwester blondes Haar ist lang offen; sie hat einen Morgenrock übergeworfen. Der Vater geht, nachdem er einen schnellen Blick auf die Eintretenden geworfen hat, rastlos und ganz im Geist vorne auf und ab. ängstlich. Da sind wir, Väterchen ... Der Vater hört nicht. Ich war schon zu Bett gegangen, Väterchen, und da hat es wohl etwas lange gedauert ... erhebt sich. Komm, Vater, nun wollen wir anstoßen. Führt den Vater zum Tisch. wie oben. So ... so ... so ... Er steht jetzt am Tisch, da trifft sein Blick die Schüssel, er erwacht und sagt lebendig. Ah! Makronen! Hurra, Mutti! das ist aber eine Überraschung! Makronen! Mein Leibgericht. strahlend. Sie sind noch ganz frisch, Väterchen, du solltest sie eigentlich erst morgen bekommen. Na, da muß ich aber mal kosten – Ißt eine Makrone. Hm, köstlich! Ißt noch eine. Wirklich unbezahlbar machst du die, Muttichen, – Ißt weiter. Nein, wie das schmeckt! Wir wollen uns doch alle hinsetzen! Ja, richtig, alle um den Tisch! Aber es fehlt ja ein Stuhl ... schiebt den Sessel schräg vor den Tisch. Hier, nimm du den Sessel, Vater. tut es. Ja, ich nehme den Sessel. Ich kranker Mann! – Aber nun wird angestoßen! ... Wo hast du den Korkenzieher, Muttichen? reicht ihm. Hier. So ... tralala ... das soll uns aber schmecken! Er müht sich, den Korken auszuziehen. Hoppla ... Na, ist das eine schwere Geschichte ... Müht sich wieder. Zeig mal, Vater! Sie sitzen jetzt alle um den Tisch. Versuch du mal, ein verzwicktes Ding – das. schraubt tiefer und zieht dann den Korken. Ah, der Junge wird geschickt ... seht doch nur! Ja, früher war er immer unser Ungeschick. Na, und ob! ... Nun aber mal eingießen. Gießt ein und füllt das Glas über den Rand. Hoppla ... das war zu gut gemeint. Na, der Teppich will auch was haben. Laß mich eingießen, Väterchen. Sie nimmt ihm die Flasche aus der Hand und gießt die anderen Gläser voll. Was sagst du zu den Kindern, Muttichen –. Tüchtig, nicht wahr? Ja, sehr, Väterchen! Willst du nicht eine Rede halten, Junge – Was? Das tatest du doch früher immer mit Vorliebe. Kein Geburtstag konnte vergehen, du mußtest deine Rede halten. Ja, ich weiß noch. Ich hielt immer große Reden; aber heute, denke ich, stoßen wir nur an. Nein, nein, das gibt es nicht, du mußt reden! Wirklich, du mußt reden! erhebt sich und klopft an sein Glas. Ah ... st ... st ... stille! Hört den Herrn Redner! Kommilitonen! Famos! Das wird ein Kommers. Wir begrüßen heute in unserer Mitte unseren lieben alten Herrn wieder frisch und munter. Lange war er unserem Kneiptisch fern, und seine Abwesenheit ließ keine rechte Fröhlichkeit mehr aufkommen. Nun freuen wir uns mit ihm seiner Gesundheit und hoffen für seine Zukunft und seine große Arbeit das Beste. wischt sich die Tränen. Hört ihn nur! Weiter, weiter, Junge! Kommilitonen! Ich fordere euch auf, zur Ehre unseres lieben alten Herrn, dem wir alle so viel zu verdanken haben, der uns stets ein Vorbild war in Treue, Ernst und Pflichterfüllung und es immer sein wird, zur Ehre unseres alten Herrn einen donnernden Salamander zu reiben: Ad exercitium salamandris: Estisne parati? laut und strahlend. Sumus! Eins, zwei, drei – Der Vater reibt sein Glas auf dem Tisch, er macht eine aufmunternde Gebärde zu Mutter und Schwester, diese ahmen ihm schüchtern nach. eins, zwei – bibite! Sie trinken. drei ... Salamander ex-est. Tränen in den Augen, umarmt ihn. Nein, das hast du gut gemacht. Mein Junge! Ganz famos war das von dir. – – Und nun müssen wir auch nochmal alle zusammen anstoßen. Auf die Zukunft! Sie heben alle die Gläser, wie der Vater mit dem Sohn anstoßen will, sagt er. Auf den Mars! Ja, auf den Mars! zu Mutter und Schwester. Das ist nämlich ein Geheimnis von uns. Mutter und Schwester haben scheu und mit lächelnder Überwindung in die Lustigkeit eingestimmt. Eine Stille. wechselt die Augen. Aber ich will dir weiter erzählen – –! zu Mutter und Schwester. Nun geht ihr wohl schlafen, nicht wahr? Vater und ich können ja noch ein bißchen aufbleiben ... Ja, wirklich, ihr müßt jetzt zu Bett, – gute Nacht, Muttichen. Sieh nur, wie artig ich bin, ich gehe nicht mit dir. Aber warte nur, über acht Tage ... das wird aber schön ... Ja! Gute Nacht, Väterchen. rasch auf sie zu und küßt sie. Gute Nacht, gute Nacht, mein Frauchen! Küßt sie heftiger. Gute Nacht! faßt leise seinen Arm. Recht artig, nicht wahr, Vater? läßt die Mutter los. Ja, heute noch, aber über acht Tage ... Die Schwester reicht ihm die Hand und wünscht ihm gute Nacht. Gute Nacht, Hedi. Wirft der Mutter, die abgeht, eine Kußhand zu. Gute Nacht, gute Nacht! Mutter und Schwester verlassen das Zimmer. sieht ihnen nach. Wird wahrhaftig immer schöner, unser Muttichen! Er beginnt auf- und abzugehen. Na, warte nur, warte nur, mein liebes Frauchen! Diese acht Tage gehen auch noch vorüber. – – Eins, zwei, drei, eins, zwei, drei ... bibite ... ach ja. Er setzt sich auf eine Ecke am Fußende des Sofas. Erzähle doch weiter von deiner Arbeit, Vater! Ja, das will ich auch, Junge. Wo ich einmal angefangen habe, muß ich es dir auch zu Ende erzählen. Das gehört sich doch, was? vor ihm. Zuletzt erzähltest du von den Maschinen, und daß du allmählich anfingst, ihre Konstruktion zu begreifen und überhaupt ... verändert; unter dem Zwang der Vision. Ja, die Maschinen! Gott, was für ein Fortschritt gegen unsere! Sieh mal ... Er neigt sich nieder und zeichnet mit dem Finger auf dem Fußboden. Sein Hirn brennt in den Dingen und zerbricht oft die Worte. Der Sohn steht vor ihm... Die große Bohrmaschine zum Beispiel, so und so hing sie auf Spulen, so lief die Umrahmung, so, hier schräg die bei den Träger, hier die Mittelbalken, da über Kreuz ... Da teilte sich der obere Balken, Drahtseile verbanden ihn mit dem unteren Teil, viere verschwanden hier hinter dem Mittelbau. Diesen Mittelbau sah ich später im Durchschnitt, in ihm war der Antrieb, eine schwierige Konstruktion, sie blieb mir lange unklar. Hier unter dem Antrieb waren riesige Haken, darunter war der Bohrer ... sie hatten eine Art der Induktion, ach, ehe ich die herausbekam! Aber alles, alles habe ich endlich gefunden! – Und dann eine Baggermaschine, Gott, darüber hätte man heulen mögen ... was sind wir dagegen! – Hier dieser Bohrer hatte nun ... nein, es ist zu schwer zu beschreiben, ich muß dir die Zeichnungen zeigen, da wirst du es klar haben. Durch die Zähne; er springt auf. Ja, Junge, war es nicht ein ungeheures Glück, dies alles zu sehen!? Und wie ich es sah! Der ganze Mars brannte sich förmlich in mein Gehirn ein. Und mein Gehirn war wie eine riesige Spinne, die den Mars umklammerte, und dann tauchte sie ihren Rüssel in ihn, einen spitzen Stachel, und sog ihm seine Geheimnisse aus ... alle. Hat sich wieder gesetzt. Pause. Und nun willst du ... ganz im Rausch. und nun, und nun – nun will ich Die Erde beglücken! hörst du! Schätze halte ich – Marswunder! Sternenschätze! Weltenglück! Ich habe die Allmacht! kann die große Erde Zu Staub zerstoßen! Stampfe ich den Boden, So kracht er auf. Die harten Felsen reißen Mitten durch! Mitten! Ah – sie reißen schon! Die Berge kehren sich um und wandern weit. Wohin ich will. Abgründe füllen sich Mit Felsen oder Feuer oder Blumen. Ich will es ja! Oder mit Wiese! Grün! Ich schlage Krater! schlage Tiefen, Furchtbare Tiefen – hier! mit dieser Faust! Und rufe die Meere von den Polen her Und alle Meere! alle Meere her, Sie anzufüllen ... Fruchtbar! Fruchtbar! Fruchtbar! Er sinkt zurück. Der Sohn bettet den Vater auf das Sofa. Er legt ihm die Hand auf die Stirn. Der Vater sucht sich wieder aufzurichten; er zuckt unter den Kräften. Stille. Den Plan! ... den Plan! ... den Plan! Sei jetzt ruhig, Vater, und rede nicht mehr davon. Den Plan ... den Plan mußt du sehen! Wehrt der Hand des Sohnes. Laß nur – So. Halb aufgerichtet. Es geht schon. – Du mußt den Plan doch sehen. Er greift in die Tasche seines Schlafrockes und zieht den zusammengelegten und umfangreichen Plan hervor. Rasch breitet er ihn auseinander und auf die Erde. Der Plan mißt etwa dreiviertel der Sofalänge in Höhe und Breite. Da hast du ihn! mein Werk! mein Werk! es ist es! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ja, groß! stolz! herrlich! selig! wundervoll! Der Mars lag mir im Hirn, als ich es schuf! Rollte und glühte rot und wirbelte Gedanken Und hob die Arme auf, elektrisch auf Und führte sie! Da gruben sie die Linien, Der Kosmos grub und alle Sterne gruben! Allmacht schuf dies durch mich! So stolz ... so abwehrend. Vater ... Du sollst mich preisen lassen! Preisen! Fort! Sieh her und staune: Hier den Himalaja Durchschneidet diese Linie; das bedeutet: Weg mit Himalaja! Ich rücke ihn Beiseite! Hier die gelbe Wanze – Sahara heißt sie – wird bald vor mir rennen, Gott weiß, wohin! Der Käfer soll auch rennen, Himalaja! Beide ersäufe ich im Meer mit diesen Zwei Armen, wund vor Kraft und Strahl des Kosmos! Sie brennen! Hörst du! wund! ... Hier diese Linien Alle die schwarzen werden bald von breiten Kanälen silbrig sein! Sie werden das Glück Der Erde, durch meine Macht! Und fruchtbar! fruchtbar! Viel weiße Segel segeln hin und her, Das sind die Tauben, die ich liebe. Weiter, Viel mehr! ... Und Häfen! Häfen! Häfen! werden sich Meilenlang drängen, schwarz und wirr und rauchig, Ich sehe die Schiffe alle schwarz und rauchig Mit Bäuchen, geschwollen von all dem Segen! Segen! Ja, Segen! Brot und Mark schwankt in den Lüften, Die Kräne winden es. Oh Segen! Breite Bruderbrücken binden Ufer und Ufer! Ja, brüderlich! Es klirrt und webt in den Lüften, Und Samen stäubt und wirbelt in den Lüften In großen Wolken. Schwellenden Wolken. Süßen Wolken! Alle Wunder! Alle Wunder! Er lehnt sich zurück. Ah! ich bin müde von der Herrlichkeit! Die Herrlichkeit! Schaffen macht müde! Ich Will mir ein Haus baun an der Straße und Still liegen und mein Glück sehn. Aus den Fenstern. Liegen und sehn. Ich will nichts weiter ... Und sterben Will ich! Mich friert. Decke mich doch zu ... Mich friert so! Die Decke ... nimmt eine – rote – Decke vom Fußende des Sofas und breitet sie über den Vater. So ist's schön ... Hörst du ... ich will nun sterben ... alle Tage Sehne ich mich ... das Werk ist ja getan! Schön war das Schaffen! Schaff es weiter, du Mein Sohn! Du tust es! Danke dir! So, deine Hand! Liebe mich recht und hilf mir sterben. Weißt du ... Gib Gift! Gib deinem armen Vater Gift! Ich dank dir's so! Ich weine schon, du siehst doch! Ja, du gibst Gift und hilfst mir aus dem Leben, Das mich so quält ... Ich will zu Bett... Der Sohn hilft dem Vater sich aufrichten. ... So ... so Du weißt ja nicht, wie's quält! Glaub deinem Vater! Es quält und quält und keiner weiß, wie sehr! Man ist allein ... und schwarz ist es vor Qual Und man ist stumm. Und wird verrückt! du wirst es auch! Gib Gift! Gib Gift! Tu's deinem Vater! Auch Die andern werden froh sein, wenn ich fort bin; – Ihr braucht den Wärter nicht mehr! ... Ja, zu Bett! Der Sohn führt den Vater fort. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Bühne bleibt kurze Zeit lang leer. Sie verdunkelt sich. Der Sohn kommt durch die Tapetentür zurück, die er draußen entriegelte. Er zieht dann den Vorhang weg, und nun steht die Sichel des zunehmenden Mondes im Rahmen. Über ihr flimmert ein Stern. setzt sich auf das Fußende der Chaiselongue. Stellung: Zurückgebeugt, auf die geraden Arme gestützt. Nacht – tief – Nachtblau – Wie wundervoll. – Erlösung. – Silberner Mond. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nun stürzt des Tages steinerne Beklemmung; Kühl kann ich mich in deine Nähe betten Und himmlische Zwiesprache halten, du Silberwunder! Der linke Teil der Hinterwand und die daran stoßende Hälfte der linken Seitenwand weichen zurück und man blickt in den blauen Nachthimmel, Sterne. Rot der Mars. Vor dem Himmel auf der Schwelle des Zimmers werden diese Gestalten sichtbar: Zwei Frauen, tief verhüllt kniend. Hinter ihnen aufrecht, gleichfalls verhüllt, die Gestalt eines Mannes. Langwallende, lose, dunkle Gewande. – Der Jüngling hat sich aufgerichtet, er blickt die drei an. spricht. In des Tages Großer Qual und Not, Bei der lichten Schöpferspiele Tod, Bei der dürren Grauen Rinde Brot – Vergaßest du des Werkes nicht? Nicht dieses ehernen Befehls, Über dir in Ketten an den Himmel geschmiedet? Über dir mit Ketten an dich geschmiedet? – Das zu neuen Zeichen Dich erwählt, Alle deine Pulse zählt, Dich zu jeden Martern stählt, Über dir als Sternglut schwält – Vergaßest du es nicht? Kurze Stille. spricht. In deine strenge Bahn Warf deiner Mutter Stern Manch ausgebrannten Fels Von Schmerzen abgesprengt, Manch unfruchtbar Gestein, Manch aschentotes Stück. Nahm solche störende Verwirrung, solch gemein Geschenke dir niemals Den liebenden Aufblick zum mütterlichen Leuchten, Zu mütterlicher Milde im nachttiefen Blau?! Kurze Stille. spricht. Rot und glühend, Verstört und schöpferisch Deines Vater Meteor In ruheloser Irre Marsumwärts – Begriffest du ihn recht In diesen flammenden Ausbrüchen All seiner Krater Als deinen Zeuger? Kurze Stille. spricht. Dir führte der große allmächtige Wille, Als der Verzweiflung ganz du genaht, Des Mädchens Liebe auf deinen Pfad. Von welchen Sorgen Auch betürmt, Von welchem Gramen Auch bestürmt, Von welchen Mächten Auch zerrungen, Von welchen Liedern Wund gesungen – Gleich liebend öffnet sie stets ihre Arme, Gleich milde ist dir ihr Auge stets nah, Daß der Erstarrte zum Lächeln erwarme, Öffnet sie weit ihre Arme: Oh du, Sei dir ihres Kusses Hauchen, Sei dir ihre fromme Umarmung Heilig Symbol der mystischen Mächte: Ihres heftigen Umfangens Mystisch mütterlich Symbol. Ich höre euch ganz. Ihr seid die Sterne und Stimmen, Mit denen ich immer lebe. Eure Zeichen Habt ihr in mich gemeißelt, diese Zeichen Reden nun immer zu mir. Wenn ihr sprecht, Wird alles Ewigkeit und schöner Trost ... Die donnernden Gestirne Setzten uns über dich Als deine leiblichen Sterne, Schaue auf uns, Leib und Mensch! Andere Sterne Viel noch werden dir aufsteigen, Liebe Sterne Viel dir noch blutend untersinken; Acht' unserer Stimmen, Leib und Mensch! Höre, höre Uns, deine leibliche Ewigkeit – Fühle, fühle Uns, deiner zukünftigen Ewigkeiten Mütter! Sie verschwinden, indem die Wände sich wieder schließen. Die Stimme des Mannes hört man noch verhallend. Der Vater bat dich. Habe Acht. Tue gut. Die Bühne erhellt sich etwas. steht auf. Der Vater bat von mir den Tod. Ich fühle Mit seine Bitte. Doch diese Frage drängt sich zwischen: Schuf er ein fruchtbar Werk? Er darf nicht sterben, Ist er noch schöpferisch geschickt. In seinem Wahnsinn Zeugte vielleicht sein Hirn tiefsinnige Wunder? – Dies soll ein Sachverständiger entscheiden. Man hört unter dem Zimmer das Geräusch einer Türe. Der Jüngling lauscht auf, geht dann zur Tapetentür und öffnet sie. Man hört einen raschen Schritt eine Treppe heraufkommen. Die Tür bleibt offen. Der Jüngling wendet sich und durchmißt noch einmal das Zimmer. Dann kommt das Mädchen herein. Sie schließt die Tür hinter sich, bei ihm, legt sie die Hände auf des Jünglings Schultern. Der Jüngling küßt Stirn und beide Augen. nach einer Stille. Ich komme so spät, Liebling. Es war im Geschäft soviel zu tun. Wir sind erst um neun Uhr fertig gewesen. Ist diese Stelle anstrengender als deine früheren? Ja, das ist sie, aber das tut ja auch nichts. Ich bin so froh, daß ich sie bekommen habe und nun in derselben Stadt mit dir wohnen kann. Und man muß sich auch erst einleben, weißt du. Ich bin doch erst vier Tage hier. indem er sie zur Chaiselongue führt. Ja, es war ein Glück, daß mein Freund dir die Stelle so rasch verschaffen konnte. Wie schnell dies alles kam. Indem sie sich setzen will. Ach, weißt du, wir wollen uns doch wieder hinsetzen wie gestern abend. Ja? – das war so schön. So – Er rückt den Sessel vor den rechten Pfosten der Türöffnung des Hintergrundes, dann setzt er sich in den Sessel, und das Mädchen lagert sich auf die Erde und legt den Kopf an seine Knie. Sie reicht ihm die Hand hinauf. Beide sitzen so vor dem Nachthimmel, vor Mond und Stern. nach einer kurzen Stille. Erzähle du heut zuerst, mein Liebling, denn ich habe dir viel zu sagen. Kind, ist es Schlimmes? Bitte, erzähl du erst! Ich weiß nicht viel. Ich schrieb am Vormittag und über Mittag ging ich spazieren ... Kind, du glaubst gar nicht, wie sehr du mich verändert hast! Weißt du, an dem Abend in Berlin, als mir der letzte Weg versperrt wurde, wußte ich nicht mehr, wie ich vorwärts sollte, und vorwärts zwang es doch, vorwärts zwang die Sehnsucht. Nein, ich wußte nicht mehr, wie ich mich weiterleben sollte! Aber da tratest du vor mich hin und hemmtest die Sehnsucht, und alle Mächte innen drängten mich nicht mehr vorwärts, sondern aufwärts, Kind! Sie trieben mich in Kreise, die ich noch nicht kannte, und sie treiben mich noch in diesen Kreisen und treiben mich höher. Ich weiß nicht, wie es weiter wird ... Eine Stille. neigt sich und küßt das Mädchen. Und nun erzähle du! Hast du endlich Nachricht über dein Kindchen? Ja, heute früh bekam ich den Brief. Es geht ihm gut, Sie lächelt schmerzlich. und es wird alle Tage runder, schreiben sie. küßt dem Mädchen die Tränen von den Wimpern. Es wird schon gut aufgehoben sein im Heim. Ja, sehr gut. Kurze Stille. Und nun lies diesen Brief. Reicht ihm einen Brief. indem er ihn entfaltet. Von wem ist er? Von dem Onkel, dem Baumeister. überfliegt die Zeilen. Was ist das ... was? ... Du sollst dein Kind hergeben? nickt schmerzhaft. Er will es adoptieren lassen. Eine Stille. Ich fasse es noch nicht – weißt du – es ist so grauenhaft unnatürlich und mir so fremd ... Ich konnte es zuerst ja auch nicht fassen! Und niemals wollte ich mein Kind hergeben. Niemals! Aber dann sprach auch der Verstand mit, und da mußte ich meinem Onkel recht geben: was kann ich mit meinem kleinen Verdienst dem Kind denn bieten, und wie sehr ist ihm da in einer anständigen Familie geholfen. Aber laß es zu Leuten kommen, die dem Kind außer ihrer Anständigkeit nichts bieten können, die nicht weiter reich sind, aber vielleicht mit ihren beschränkten Ansichten und ihrer Mißerziehung dem Kind die Jugend verderben ... So hat es wenigstens einen anständigen Namen, siehst du! Das ist ja für sein Weiterkommen so notwendig! ... Und mein Onkel würde sich doch vorher sehr genau über die Leute unterrichten. Wovon reden wir nur –! Wir reden, als ließe sich ein Schicksal vorausbestimmen und mit gutem Verständnis zusammenbauen. Und wir wissen doch nichts von den Möglichkeiten, die das Kind vielleicht zu seinem Glück führen, wenn es bei dir bleibt, und vielleicht zu seinem Unglück, wenn du es fortgibst. Was wissen wir davon! Ja, es ist so schwer ... Wozu wirst du dich entschließen, Liebe ...? Ich bin schon entschlossen. Eines gab für mich den Ausschlag. Leiser. Wenn ich das Kind fortgebe, hält mich kein Wesen mehr ... und ich kann dich ganz lieben ... und ich kann dir ganz dienen ... Eine große Stille. Mein Mädchen ... mein ... es ist so fremd ... so viel ... es ist so gut ... unfaßbar gut ... Er windet sich auf dem Sitz, erhebt sich dann, steht rückgeneigt und starrt in den Himmel. O Wunder! Wunder! Es rauscht heran ... es biegt ... Mich in die jenseitigen Himmel ... biegt mich ... rauscht – O Mädchen! Liebe! Du bist gut – so gut Und ganz... Er neigt sich nieder und küßt wild ihren Scheitel, dann wieder auf dem Sessel, über ihr sinnend. Doch etwas warnt in mir – Ich fürchte mich. Ich fürchte den Muttermord. Mit Haupt und Rumpf aufwachsend. ... Und daß die Schreie der erdrosselten Mutter Dich ganz anfüllen und dein Herz umschwärmen, Dein Wesen umtrümmern und über dem Schutthaufen schreien! Tu's nicht! Tu's nicht! Liebe dein Kind und mich! – Und morde nicht! Ich habe dich zu lieb! Mädchen, dein Opfer ist für mich so tiefer Rausch! Es ist schwindelnd gut und himmlisch! Ich sehnte mich schon jahrelang nach dieser Liebe! Man nennt sie nicht! Man denkt sie nicht! Sie ist nur Wunsch und gut! Tu's nicht! Tu's nicht! So gern ich will! Tu's nicht! Die Furcht rät gut!... ... Die Furcht ging schon vorbei ... Es ist zu viel. Es ist zu schnell. Laß warten ... Eine Stille. Bis dein Onkel dir über etwas Bestimmtes Nachricht gibt, kann noch viel Zeit hingehen, und wir können uns inzwischen wieder und wieder bedenken. Verstehe mich doch recht, mein Mädchen! Das Mädchen reckt den Leib und blickt starr zum Jüngling auf. Der Mond ist fast gänzlich untergesunken, nur die Spitze der Sichel blickt silbern hervor, es sind mehr Sterne sichtbar geworden. spricht. Ich kann dich nicht verstehen, Ich kann mich nicht bedenken, Ich kann dich nur flehen, Ich kann dir nur schenken – All mein Herz Will immer bei dir sein Und will sich dir schenken. Und will sich dir schenken. spricht die ersten Verse niedergeneigt zum Mädchen, die letzten aufrecht und Blick in den Himmel. Alle tiefen Himmel Sollen um uns sein, Alle schönen Sterne Sich in uns versenken – Was will ich verstehen, Was will ich bedenken – Mich mag die große Allmacht Zu meinem Ziel lenken. All mein Herz Will immer bei dir sein, Ich will deine Lieder Im Herzen bewahren – Du kannst mir nur schenken, du darfst mich nur segnen – Wie soll ich dich tränken, womit dir begegnen –? Treu will ich vor dir sein, Gern treu mit dir zum Himmel fahren. 3. Akt Der dritte Aufzug Schaubild: Ein Garten. Links springt aus der seitlichen Mitte der Bühne der Teil einer Veranda quer nach rechts vor, etwa ein Viertel der Bühne weit. Die Veranda ist aus Stein und hat auch Steingeländer. Da sie erhöht ist, verbindet sie ganz links ein efeubewachsenes Mauerstück mit dem Boden, im übrigen ragt sie frei. An der Veranda vorbei vorne links führt ein Weg in den Garten, ebenso kommt einer von rechts vorn. Beide Wege treffen sich. Der Veranda gegenüber eine junge Birke, davor eine Holzbank ohne Lehne. Hintergrund: Rasenbeet, durch den dort nach links umbiegenden Weg geteilt. Den Garten schließt eine Hecke. Die Szene ist vor blauem Frühlingshimmel. Am Morgen. Unter der Birke sitzt die Mutter, die Hände im Schoß und die Augen geschlossen. Stille. Dann kommt der Sohn von links. Guten Morgen, Mutter. Ist der Vater schon zurück? Nein, noch nicht. Ich habe mich hier in die Sonne gesetzt, es ist so schön hier, es ist Frühling geworden. Die Sonne liegt warm auf mir. Und auf meinen Händen. Sie wird dir gut tun. Du siehst müde aus. Du hast wohl seitdem nicht mehr geschlafen? Was erinnerst du mich wieder daran ... Ich will jetzt still hier ruhen und an nichts denken, und du fängst wieder davon an. Du hast ganz recht, wir wollen nicht mehr reden. Nein, nicht mehr ... Du wolltest doch eben erzählen, wie er vor dem Feuer stand und die alten Mappen hineinwarf und dabei sang und tanzte? Es ist doch wahr? Wir wollen nun nicht mehr davon reden. Nein, sag doch, es ist doch alles wirklich geschehen ... Er lief auch herum, schrecklich, mit brennendem Kopf und schrie so grausig? Es ist doch wirklich? Oder ist alles nicht wirklich? Mütterchen, freue dich lieber an der Birke und an allem Frühling! Ja, hier steht unsere liebe Birke – – – Ich habe solche Angst. Sage mir, wovor hast du Angst? zergrübelt. Sage mir doch: es ist alles nicht geschehen, es ist alles nur geträumt. Ich weiß gewiß, ich habe etwas geträumt. Aber vieles ist auch geschehen. Was geschah, Liebe, ist vorüber und was du träumtest, ist auch vorüber. Denke an beides nicht mehr. Siehst du auch, wie ich immer welker werde ... Liebe Mutter! Der Frühling wird dich wieder neu machen. Ja, du bist lieb! Es wird ja auch bald kühl werden um mich, ich werde bald in der Erde liegen dürfen. Täglich bitte ich Gott, daß er mich zu sich nimmt. Dann wird alles gut. küßt sie auf die Stirn. Bald wird alles gut; warte nur, Mutter! Ja, du bist lieb! Aber die Angst geht nicht fort, und der Traum geht auch nicht fort. Und die Wirklichkeit, die ist und bleibt. Ach, es zehrt mich auf; aber laß nur! Du weißt doch, daß Susanne heut zu Tisch kommt? Wie bist du lieb, du hast noch immer dein gutes Herz! Ja, nun muß ich hinein und mich um das Essen kümmern. Hedi ist wohl noch nicht zurück? hilft ihr auf. Ich glaube nicht. So. Meine Knie zittern wieder. Na! So, ich danke ... danke schön. Sie geht nach rechts ab. an der Birke; nach einer Stille. Nun sandte mir der Freund das Gift. Gereift ist Auch alles andere. Es ist sehr die Zeit! Der Mutter Siechtum eilt schon rascher grabwärts; Auch schätzte man des Vaters Werk. Als irr. Er sinnt vor sich und pflückt in Gedanken ein Zweiglein der Birke. Schnell fertig ward die Tat in mir. Darüber Vergaß ich fast die Qual des Werdens. Ihr Lächeln deckte auch das Mädchen liebreich auf die Wunde, Doch unter goldener Brücke blutet sie fort: die Wunde ... Und steig ich tief, schießt aus dem roten Strom die Wurzel Auch dieser Tat. Betrüge nicht! sie wuchs aus deiner Qual! Vater, Mutter, die Schwester boten sich Ihr dar als Pfeiler. – So bin ich türmende Seele Seltsam aus einem Willen –? – Mir ist dies Symbol des Frühlings, der so Not geworden, Und erste Sonne und ein erstes Blau ... kommen von links hinten. Bei ihren Schritten wendet sich der Sohn um. Guten Morgen, ihr beide! Guten Morgen! Wir trafen uns an der Gartentür. Wie wundervoll die Birke steht. Überall ist Frühling. Die Schwester blickt den Bruder an. Eine Stille. zum Bruder. Schliefst du heut Nacht noch seitdem? Nein, auch du nicht? Nein, nein. Die letzten Nächte waren alle unruhig. Die siehst recht blaß aus. Auch du siehst blaß aus, Susanne. Das kommt von selbst. Ist der Vater schon zurück? Ich glaube noch nicht. Fragte Mutter nach mir? Ja, sie ist jetzt in der Küche. Ich will zu ihr. Seht doch nur, die Birke im Wind! Wie blondes Haar. Schön sieht das aus. Indem die Schwester nach rechts abgeht, blickt sie zur Birke auf. küßt das Mädchen auf die Stirn und faßt sie bei den Händen. Guten Morgen, mein Mädchen, hast du nicht gut geschlafen? Doch habe ich gut geschlafen, tief und fest ... Du siehst aber blaß aus und magerst. Ich fühle mich gut, Liebling. küßt ihr Haar, setzt sich dann auf die Bank und zieht das Mädchen neben sich. Ich weiß wohl, was du leidest. Eine Stille. Laß es doch Frühling sein! Laß den Frühling in dich! Was kann ich dazu tun? – Es kommt ja über uns; verstehst du ...? küßt die Stirn. Dieses ist anders. Nein! ... Eine Stille. Ich weiß nicht ... ich habe schon die Entsagung an mir aufgezogen und liebe sie ... Ich liebe mich selbst so in ihr ... All mein Besseres ... Ich weiß nicht. Eilt von rechts her und faßt den Bruder am Arm. Der Vater kam nach Haus! Und er will hierher ... erhebt sich. Er will in den Garten? Ja, er kommt mit dem Wärter. Dann geht ihr zwei! Ich will mit dem Vater allein sein. Da ist er schon. Sie geht mit dem Mädchen nach dem Hintergrund; dort links ab. Der Vater kommt von rechts, der Wärter hinter ihm. Der Vater trägt eine große Mappe voll Zeichnungen unter dem Arm, der Wärter das Handwerkszeug: Zirkelkasten, Lineale usw. Der Vater hat einen grünen Frühlingsanzug an, der aber zu weit ist und schlottert. Die oberen Knöpfe der Weste sind offen. Die Halsbinde ist über den sehr niedrigen Kragen gerutscht. Guten Morgen, Vater. Du bist da! Du mußt aber jetzt fort, ich will hier arbeiten. Bei solchem Wetter muß man doch im Garten arbeiten ... Ja, ein Wetter ist das ...! Er hat die Mappe an die Birke gelehnt. Zum Wärter. Legen Sie doch die Sachen da auf die Bank. Der Wärter tut es. zum Wärter. Bitte, lassen Sie sich von der gnädigen Frau den Kellerschlüssel geben, und holen Sie eine Flasche Wein und zwei Gläser. Der Wärter nickt und geht nach rechts ab. Wein? So am frühen Morgen? Du bist mir einer! Wir wollen doch erst anstoßen, bevor du an die Arbeit gehst. Na, meinetwegen können wir auch erst anstoßen. Er hat unterdessen die Mappen geöffnet und eine Zeichnung [dünne Pappe] herausgenommen. Jetzt will er sie mit Hammer und Nagel, die der Wärter mitbrachte, am Stamm der Birke befestigen. Was tust du denn da? Das geht dich nichts an. Junge. Schlägt den Nagel ein. Ich nagle die Pläne der Reihe nach an – äh, das ging daneben – ich nagle die Pläne der Reihe nach an – und will sie – ich will sie alle nebeneinander haben. Nämlich – so, das wäre das erste Blatt – Nimmt eine neue Zeichnung aus der Mappe. jetzt das zweite darüber ... Steigt auf die Bank und nagelt das zweite über das erste Blatt. Weißt du – wir haben nämlich keinen so großen Tisch ... zu Haus. Und es ist wichtig ... es ist wichtig für die Übersicht, man sieht besser. So. Nun kommt noch das unterste ... Nimmt ein drittes Blatt und nagelt es unter das erste, bückt sich dabei. Was sagst du zu dem Gedanken – der verdammte Nagel; ist keine Zange da ...? reicht sie. Hier. Ja, danke ... Ja, wir können wirklich anstoßen ... das habe ich verdient, wahrhaftig. Kein Auge zugetan in den letzten Nächten ... so – noch einen Nagel – na, dafür bin ich auch vorwärts gekommen. So – jetzt noch in der Mitte – praktisch ist das, wirklich ... so. Die Birke ist nun mit den drei großen Pappen beschlagen, sie zeigen die seltsamsten Linien, ausschweifend in Schwung und Verschlingung, die seltsamsten Ornamente stärksten Rhythmusses. Die Zeichnungen sind in allen Tuschen. vor der Birke. Fein sieht das aus, prachtvoll, was? Der Wärter kommt von rechts mit Wein und Gläsern. Da ist der Wein. Danke sehr. Sie können gehen, ich bleibe bei Vater. Der Wärter rechts ab. während er das Handwerkszeug auf der Bank ausbreitet und zurechtlegt. So, nun wollen wir also mal anstoßen! Und dann an die Arbeit! Viel ist gar nicht mehr zu tun, vielleicht werde ich sogar heute noch fertig. Ha, das wäre aber! Der Sohn füllt die beiden Gläser, die auf der Bank stehen. Ja, gleich stoßen wir an. Ich will nur erst auspacken. Ach! da habe ich keine rote Tusche mehr. Hm – Das Mädchen muß gleich neue besorgen. Die Geschäfte sind aber jetzt geschlossen, es ist Sonntag. Richtig, es ist ja Sonntag, äh, das ist eklig. Was fange ich nun an! Gerade rote Tusche brauche ich noch so nötig. Zeigt auf den Plan. Da ... hier unten, das wird alles mit roter Tusche ausgefüllt. Kannst du nicht eine andere Stelle fertig machen? Ja, das ginge wohl auch. Zeigt wieder. Da ... zum Beispiel, da brauch ich nur Schwarz und Grün. Aber das ist auch bald getan, und nun kann ich heute nicht fertig werden ... Na, dann wirst du's morgen. Ach morgen! morgen! Wer weiß, was morgen ist. Da kann ich schon längst tot sein. Haha ... wahrhaftig. Was mache ich nun ... Eklig ist das. Unmutig vor sich pfeifend, das Haupt gesenkt, die Hände in den Taschen, geht er an der Bank vorbei, dann wendet er rechts um und geht ein Stückchen nach dem Hintergrund. Dabei erblickt er am Boden einen jungen Vogel, der irgendwie aus dem Nest gefallen ist. Nanu, was liegt denn da? Beugt sich nieder. Ein kleiner Piepvogel, wahrhaftig! Nun sieh doch einer an! Nimmt ihn auf. So etwas! Wie hat der sich denn hierher verirrt! Wahrscheinlich aus dem Nest gefallen. Was piepst du denn so kläglich?! Hast du Hunger? ... Hajaja, ich auch! Ganz kurze Stille. Der Vater wendet kein Auge von dem Tier, nun preßt er ihm den Leib. Tut das weh?! tut das weh?! Hajaja ... was meinst du wohl ... Währenddessen kehrt der Vater dem Sohn den Rücken. Der Sohn gießt beide Gläser voll, zieht rasch ein Papier aus seiner Brusttasche und schüttet das Gift in eines der Gläser. Dann sucht er etwas, womit er die Flüssigkeit umrühren kann, schnell bricht er ein grünes Zweiglein von der Birke und rührt damit. Jetzt wendet sich der Vater, und der Sohn wirft das Zweiglein aus der Hand. das Vögelchen haltend. Ha, jetzt habe ich aber einen Gedanken! Großartig, wirklich! Weißt du, wie ich meine rote Tusche bekomme? Weißt du das? Ja, das soll mir einer nachmachen! Paß auf! Er nimmt sehr schnell einen der Zirkel und sticht mit dessen Spitze dem Vogel tief in den Leib. So ... faßt unwillkürlich den Arm des Vaters und sucht zu hindern. Jajaja, so macht man das. Und nun die Reißfeder. Nimmt eine Reißfeder und taucht sie in den Vogel. So ... ja, piepse nur! macht eine Bewegung, das Tierchen zu nehmen. Laß das doch, Vater! Was?! Was?! Was willst du denn?! Nimm dich ja in acht, sage ich dir! Soll ich keine rote Tusche haben, was? Nimm dich in acht! Nimm dir nicht zu viel heraus, Junge! Das wollt ich mir doch ausbitten!! begütigend. Ich bitte dich ... fast schreiend. Ich brauche die rote Tusche, hörst du! Ich muß sie haben! Was ist denn solch Tier? wie ... Ich muß die rote Tusche haben. Ich würde auch Menschen anstechen, sage ich dir, denn ich muß sie haben! Du hast ganz recht, Vater. Ich war wirklich unbesonnen. Was ist denn solch Vögelchen? Und du brauchst doch nun einmal die rote Tusche ... Jetzt bist du verständig. So ist's recht ... Das wollt ich auch meinen ... ja ... An der Arbeit. Siehst du, wie schön das geht, haha ... großartig geht das! Wollen wir nicht erst anstoßen? Anstoßen, ja ... das müssen wir wirklich. Auf den glücklichen Einfall müssen wir anstoßen. hat sein Glas rasch genommen, der Vater hebt den Gifttrank. Da kommt die Mutter von rechts. Als der Vater die Mutter erblickt, setzt er sein Glas nieder, ohne getrunken zu haben. Ei seht doch, da ist ja unser Muttichen! Er geht auf sie zu und führt sie vor. Komm nur, Muttichen, jetzt sollst du auch noch mit uns anstoßen. Ach, ich muß dir doch zeigen – Er hebt den toten Vogel auf und zeigt ihn der Mutter. Da, sieh mal, so bekommt man rote Tusche, wenn man keine hat und die Geschäfte zu sind. Was sagst du dazu ...? Haha! ... Hu, du mußt nicht gleich so erschrecken; ist ein toter Vogel denn so etwas Schlimmes? Nein, erschrecken mußt du nicht, dir tu ich nichts. Wirft den Vogel fort. So ... bist du nun zufrieden? Was? ... Und jetzt wird angestoßen, hol schnell noch ein Glas, Junge, für unser Muttichen. rasch nach rechts ab. Während des folgenden kommen von links Schwester und Mädchen in den Hintergrund, sie pflücken Blumen. Gott, du siehst mich immer noch so er schreckt an, ich tue dir wirklich nichts. Und ganz blaß siehst du aus, ach, richtig vergrämt. Und tiefe Schatten hast du unter den Augen ... Die Mutter versucht zu lächeln. Nein, lächle nicht so, denn solch Lächeln ist ja noch schlimmer als Weinen. Ich weiß schon: Ich habe dir das alles gemacht: Die Blässe und die Schatten und die Falten hier und hier ... Die Mutter schüttelt den Kopf. Doch! schüttle nicht den Kopf! Das ist von den Nächten gekommen, die du um mich geweint hast. Ich weiß das! Ich kenne dich doch! Die Mutter lächelt ganz schmerzhaft, dabei werden ihr die Augen naß. Nicht weinen! Nicht weinen! – Nun wird ja alles besser! Ich bin gesund, siehst du, und kann wieder arbeiten! Vor uns liegt die Zukunft so schön blau wie dieser Tag, nicht wahr, Muttichen? Nein, gräm dich nicht mehr! Mach dich doch nicht krank! ... Du mußt mir doch gesund bleiben, Muttichen, was wäre ich ohne dich ...! Wer hat mir denn alles immer so schön und warm bereitet –? Das warst du. Du warst immer lieb. Wenn ich mal zankte, vergabst du gleich. Ein trautes Heim hast du mir geschenkt und die Kinder geboren. Ihm schimmern Tränen in den Augen. Einziger, was wäre mein Leben ohne dich. Du warst mir immer Halt; ich bin so zerbrechlich schwach und brauche Halt. Du warst es immer. Mutter hast du mich gemacht und glücklich ... Ich kann ohne dich ja nicht sein ... nickt langsam. Schön wird die Zukunft! Das schwöre ich dir. Meine Krankheit hat die Liebe so fest gemacht! Siehst du wohl, das war das Gute daran. Er ergreift ein Glas, blickt sehr ernst die Mutter an und trinkt es halb aus. Dann erst ergreift die Mutter das andere Glas, nickt lächelnd und trinkt gleichfalls. Mädchen und Schwester nach wie vor im Hintergrund, Blumen lesend. Das tut wohl ... Schmeckt dir der Wein? Warum sollte er nicht schmecken? Wie schön er wärmt! Ach! jetzt ist der Frühling da ...! Er legt den Arm um die Mutter. Ach, mein liebes Frauchen! Weißt du, was ich jetzt denke? Flüsternd beginnend, dann Steigerung. Er spricht wie ein Kind. Noch einmal will ich dich Im Brautkleid sehen, Ganz gehüllt in Seide, Und wartend vor dir stehen. Noch einmal muß die Ampel Feenrot leuchten, Und all die Herrlichkeit Mir die Augen feuchten – Dann wirst du scheu und zitternd Die Seide streifen, Ich will die Schleier dankbar Vorfreudig greifen ... Dann wirst du deine Blöße Mit Händen decken, Mir wirst du meine Größe Mächtig erwecken! Dann werden viele Sterne Alle ... um uns blinken ... Du ... bald ist sie nah diese Seligkeit – Komm! laß uns trinken! ... Er ergreift das Glas, aus dem die Mutter vorher getrunken, und leert es. Die Mutter greift zum andern Glas, aber ihren zitternden Händen entfällt es, es klirrt zu Boden. Na, Muttichen, was machst du denn für Sachen ... Der Sohn kommt von rechts, er trägt das dritte Weinglas. vor den Eltern, das Gesicht nach dem Hintergrund gekehrt. Ihr habt getrunken? Ja, wir haben schon vorher angestoßen. Du mußt nun schon allein nachtrinken, mein Junge, das hilft nichts ... Da sind Scherben –? – Mutti hat ihr Glas hinfallen lassen. Am Ende bedeutet das noch Glück, nicht wahr, Muttichen? Also du hast noch nicht getrunken ... Doch! doch! getrunken habe ich schon, aber dann beim zweiten Mal fiel das Glas hin. unwillkürlich leichter. Ah – Aber nun steh nicht so da mit dem leeren Glas, sondern trink! Ergreift die Flasche. Komm, laß dir eingießen! Schenkt dem Sohn ein, der das Glas hält. Und nun trink auf unsere Gesundheit, mein Junge! Der Sohn trinkt, Stellung unverändert. Na, na, wirf dein Glas nicht auch noch hin! Die Hände zittern dir mächtig. Ja, das kommt vom raschen Laufen. Der Sohn setzt das leere Glas auf die Bank. Ich bin müde, mir sind die Glieder so schwer, ich werde mich vor dem Mittagessen noch etwas ruhen. Sieht auf ihre Uhr. Ich habe noch Zeit. Der Vater hat sich inzwischen zu seiner Arbeit gewandt und bereitet die Instrumente. Dir sind die Glieder schwer ...? Wie Blei so schwer. Du weißt doch ... Leiser. die Nacht – Ja, geh nur, Muttichen, geh und ruhe dich! Mach das Essen recht pünktlich. Ja, Punkt halb zwei. Sie geht nach links ab. Bald darauf erscheint sie auf der Veranda, einen – zusammenlegbaren – Lehnstuhl unter dem Arm. Sie stellt ihn auf. wendet sich halb um, tut einige Schritte vorwärts und spricht hinauf zur Mutter. Fühlst du dich sehr schlecht ...? Nur müde. Nur müde ... Weißt du, ich muß erst einmal wieder ordentlich ausschlafen ... Sie lehnt sich in den Stuhl und schließt die Augen. Noch ein Viertelstündchen! Eine Stille. blickt zum Vater, der eifrig arbeitet, dann vor sich, er betrachtet die Scherben und stößt sie mit dem Fuße an. Darauf fährt er mit der rechten Hand langsam über die Stirn. Wie soll das gemeint sein –? ist während der Arbeit zweimal mit der Hand über die Stirn gefahren, jetzt legt er die Instrumente beiseite. So. Nun fehlt nur noch eine ganz unbedeutende Ecke, und dann ist es fertig. Tritt vor die Bank, stemmt die Hände in die Hüften und betrachtet die Zeichnungen. Da hängt sie nun – die große Arbeit ... ja, da hängt das Werk. Seine Augen umschleiern sich allmählich. Er gerät sich mehr und mehr steigernd in Rauschzustand. Ja, es ist zu Ende ... endlich ... Sieh nur hin, mein Junge ... sieh es an! Ah, jetzt ist auch einen Augenblick Ruhe in mir ... aber sie wird nicht lange dauern ... ich kenne mich ja ... ich werde bald weiter müssen ... bei einem neuen Stern von vorn anfangen ... ich weiß das ... Man hat ja nicht Ruhe in diesem Leben ... arbeiten! ewig arbeiten ... wenn ein Stern fertig ist, kommt ein neuer an die Reihe ... jajaja ... Sieh nur hin, Junge, es ist zu Ende. – Und du sollst es ins Leben bringen, hörst du? ... Ich vertraue dir, hörst du ... ich trau dir's an ... Jäh. Ich will dir auch helfen ... Du sollst es leicht haben ... so ... ja so! ... Meine Hände so über mein Gehirn ... und ich schöpfe in mein Gehirn ... siehst du ... tief ... und jetzt, da ... Er legt von seinem Haupt die Hände auf das des Sohnes. schütte ich es in dich ... schenke dir's ... ich presse es in dich ... presse es – schmerzt es? Er preßt heftiger. schmerzt es? ... Es muß auch schmerzen! Es soll auch schmerzen, hahaha ... So. Läßt die Hände atemlos wieder sinken. Nun bin ich noch einmal dein Vater geworden und du mein Sohn. Nicht wahr? Ich habe dir das Werk in dein Gehirn gepreßt?! Hahaha, so ist es doch. Nun sollst du es vollenden ... und bau es noch weiter! ... dies Werk noch weiter! Hörst du? – Denn wozu hast du deine Mutter? So ist es doch ... so ist es doch ... Wozu heiratete ich ... Ich heiratete nicht ... ha! Das Werk hat sich neues Blut gesogen ... es wollte, du sollst es weiter bauen ... haha, so ist es mit der Heirat! ... Wehe, wenn du nicht schaffst ... Schaffe! schaffe! Ich bin dein Vater und behalte dich im Auge ... denke nicht, daß du tun kannst, was du willst! ... ich befehle dir ... du sollst mein Werk noch weiter schaffen ... ich mache es dir zur Pflicht ... Ich bin dein Vater und kann dir befehlen ... Du mußt mir gehorchen ... Da hast du auch Küsse ... Er küßt ihn heftig aufs Haupt. Ich liebe dich ... Du bist ja mein Sohn ... und mußt tun, was ich will ... Ich liebe dich ... und sollst ... Küsse! Küsse! ah ... Er sinkt zurück, der Sohn hält ihn, er sinkt auf die Bank, neigt das Haupt seitwärts und lehnt es an die Birke, an einen der Pläne. Er starb. – Die Schwester und das Mädchen, die so lange im Hintergrund Blumen gepflückt hatten, kommen jetzt nebeneinander durch die Mitte. Jedes trägt einen Strauß loser Veilchen. reicht dem Bruder ihren Strauß. Dies nimm für den Vater! ... Schläft er? reicht ihren Strauß. Dies nimm für die Mutter. Sie gehen beide nebeneinander nach rechts ab. Der Sohn legt den einen Strauß neben den Vater auf die Bank, wo auch die beiden Weingläser stehen und mancherlei Gerät des Vaters verstreut liegt. Den zweiten Strauß behält er in der Hand. Dann plötzlich fällt er in die Knie und preßt heftig sein Haupt in des Vaters Schoß. – Stille. – Er erhebt sich wieder und geht nach links ab. Kurze Zeit bleibt die Bühne leer. Darauf erscheint der Sohn auf der Veranda, wo die Mutter ruht, er tritt leise auf und späht, ob sie schläft. Komm ruhig näher, ich schlafe nicht. tritt heran. Aber du warst nahe daran einzuschlafen? Ja, ich bin sehr müde ... Ach die schönen Veilchen! ... sind sie aus dem Garten? Ja. Die schickt dir Susanne. Und Hedi hat auch welche für den Vater gepflückt. indem sie die Blumen nimmt und ihr Gesicht darein preßt. Ach, das freut mich! Er war vorhin so lieb zu mir, es hat mir vor Freude ordentlich einen Stoß durchs Herz gegeben. Und er sprach so fest von seiner Gesundheit, daß ich zuletzt selbst glaubte, er würde wirklich noch einmal gesund. Ach, vielleicht wird er es noch! Der Sohn ist bei der Mutter niedergekniet und hat ihre Hand gefaßt. Ach ja ... nimm meine Hand, das ist schön. Ja ... recht fest ... so ... Fühlst du dich sehr schlecht? Nur müde – und so eigentümlich – so außer mir – so ganz seltsam fühle ich mich – meine Hände und meinen Leib und alles – so außer mir; – wenn ich nur nicht krank werde – Hast du Schmerzen im Kopf? Nein. – Aber das kommt nun alles von den letzten Jahren – all die Aufregung, weißt du – und die ewige Angst – und dann auch der Kummer mit dir – und gestern Nacht – – ach, ich wünsche mich ja schon so lange ins Grab. die Hand auf ihrer Stirn. Liebe Mutter, du mußt das nicht tun, weißt du, – wenn man immer und immer den Tod wünscht, so kommt er endlich ... lächelt. Wenn Vater gesund wird, möchte ich doch nicht sterben – ich möchte da sein, wo er ist – das möchte ich – Eine Stille. Er sprach so lieb. Es ging mir tief in die Seele. Er sprach so schön von unserer neuen Hochzeit. Die sollte nun bald kommen, er sei ja gesund. Ich sollte noch einmal in weißer Seide vor ihn Hintreten, ganz wie damals, er vor mir hinknien ... Ach ... Es wird vielleicht. Vielleicht bin ich noch einmal seine Braut, Nach so viel Not und Prüfung wird er noch einmal mein. Das wird der Himmel. Wohl noch schöner als wie einst. Ich kenne nun das Leben und das große Leid, Und er kennt doch die Krankheit und Gefangenheit. Dies wird aus unseren Qualen wie eine Auferstehung – So wundervoll im Wissen, nicht nur junge Freude. Wir werden noch schöner glücklich. Alles wird hohe Freude ... Oh dann ... wie gerne nährt ihm wieder meine Brust ein Kind! Sie streckt sich hintüber. kniend und ohne zu ihr aufzublicken. Du Liebe, heilig ruht es sich an deiner Brust. Vieles höre ich rauschen. So seid ihr Mütter. Er blickt auf – Stille. O Mutter, wie starbst du schön ... Stille. Mutter, du starbst an dir. – . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Bühne verfinstert sich. Dann vernimmt man des Sohnes Stimme erzen durch das Dunkel. Du lebtest jenseits einsam auf dem Fels Und wußtest nichts ... Die Tiefe klaffte und das Dunkel hüllte uns, Du sahst mich nicht ... Doch jede Sehnsucht, die mir ward und wuchs, Die wußtest du ... Und jede Träne, die mir stieg und rann, Du sahst sie auch ... Unsichtbar band uns Eins: Das band und klang ... Wortlos ein rührend Lied: Das sang und sang ... Oft tropfte schwer herab vom schwarzen Fels Dein schmerzlich Blut, Manch Wink und Lächeln mein verschüttete Dein Mutterblut ... Doch sandte es noch heimlich mir den Liebesstrahl Aus dunkler Haft, – Nun fährt es auf, wird Stern am Himmel, strahlt In höchster Kraft. 4. Akt Der vierte Aufzug Vor einem Vorhang. Kein Schlaf ... Die Sterne löschen ... Ganz die Nacht Ging schon vorbei – Die Glocken schlugen Morgen ... Stille. Und Ruf um Ruf ... und Last um Last ... Vielspältiges regt in mir so schwere Fragen – Ich weiß die Antwort nicht, weil eine Menschheit Mir keine Antwort schenkt auf alles Lied Und keine Hand auf meine hingereckte – Stille. Dort unten glänzen grell und grün die Lichter Der Glasfabrik. Ein Frühlärm schwirrt hinauf Zur Höhe hier ... Ich bin so sehr allein Und trage Licht und finde nicht die Nacht Für dieses Licht und breche an mir selber ...! Er spricht das Folgende in die Zuschauer. Ihr! ihr! Bereitet mir die Pfade! Seht doch, ich stürme unter euch, die Fackel Rot in geschwungener Hand. Empfangt mich doch! Umdrängt mich doch! Ich bin des Segens voll! Öffnet mir weit Der Irrenhäuser Tore, daß ich zündend Des blöden Lachens trübe Spinnennetze Verwandle in ein glühendes Geäst! Verworfne Leichen brechet auf vor mir –! Ich hebe euch aus stinkender Verwesung Blinkend den Stern, daß ihr zu Boden brecht Vor Glanz und Glut! Donnernd gewölbte Hallen Mit finstrem Himmel: schweren Wolken Rauch, Gepreßt aus Leibern stöhnender Maschinen Bestreue meiner Fackel heiliges Blut! Tut auf! Tut auf! Ich will die Bilder recken, Zu Göttern türmen – Ewiges Geschlecht – Er bricht nieder. – Stille. Dann sich aufrichtend. Nichts anders! Scheu ist hier Vermessenheit. Aus tiefster Reinheit brennen meine Ziele: Ich will die Welt auf meine Schultern nehmen Und sie mit Lobgesang zur Sonne tragen. Stille. – Auf und nieder. Doch vorher zerren mich noch Fäuste – Fäuste – Hart durch den Fels, den ich so lange mied. Ich dulde nicht Feigheit. Meiner Kreise Umlauf Darf jenseits nichts belassen, was nach Möglichkeit Er in sich schließen könnte. Ich darf nicht weichen, Zwingt mich der Wille auch vor einen Berg. So ist es hier. Ich muß ein Tagwerk tun. Qual scheint ein guter Dünger. Ich will Frucht. Stumpft es die Glieder auch, ich leide es. In wundem Herzen fängt sich leicht die Wurzel. Stille. Wird's nicht bald Tag? O Qual! Erlösung! Höher! Aus des Leibes Not Reckt sich die Seele frei zu ihrem Werk – Aus dumpfen Fragen spinnt sie Seile Lichtes, Aus ihrer Sehnsucht spinnt sie sich zu Gott! Er kniet nieder, den Rücken gegen den Schauraum, das Antlitz tief geneigt. Ihr Eltern senkt bisweilen eure Blicke In meinen Grund um Frage – Ich will reden. – Mädchen, und du – – Der Vorhang teilt sich. Die Bühne ist finster, nur links im Mittelgrund sieht man in einer Helle dieses Bild: ein frisch aufgeworfenes Grab von der Längsseite sichtbar. Links an des Grabes Kopfende aufrecht die Gestalt des Mädchens ohne Bewegung. aufrecht hinter dem Grab. Er sät in die frische Erde, bückt sich zuweilen und greift in ein – unsichtbares, durch das Grab verdecktes – Gefäß mit Blumensamen. Der Samen ist vermengt, die Saat wird bunt. Frühling soll auf dem Grabe wuchern! Lieb, Sä' aus! Sä' aus! mit beiden Händen säe! Es ist ein Grab in dir. Schlag an den Sarg, Ruf Auferstehung, schlage das Zeichen des Frühlings! Sä' in dich! Säe: Veilchen, Freude-Tränen! Sä' in mich: einen hohen Freudewunsch! ... Oder hol Wasser, besprenge die fröhliche Aussaat! Er sät aus vollen Händen, das Mädchen verharrt reglos. Ruht schön, ihr Eltern, Liebe ...! Seht, ich tilgte Euch eure große Qual in diesem Bett. Zärtlich bettet Kinderliebe! So einst bettetet In Brautumarmung zwischen Küsse ihr Und Lust mich. Zärtlich bettet Elternliebe! – Vater, als mein Werk sich aus deinem wollte, Mußte der Mutter Leib dir ehelich werden, Daß es erwachse. Sorglich waltet Kosmos. Du, Zeuger, wurdest nun erlöst durch deine Zeugung. Durch mich! Durch alle Sehnsucht deiner Zeugung. – Es schloß sich der Kreis. Frucht wich der Frucht. Blüht, Blüten! Ein frohes Mal sei dieses Grab! Hier ward Große Vollendung nach Gesetz und Güte. Schön sprossen Blumen und der Segen bricht! Kurze Stille. Dann spricht er zum Mädchen. Finde auch du, Lieb, Stege ewiger Güte Aus deiner Lichtmacht in das große Licht! Die Erscheinung verschwindet. Der Dichter bleibt kniend. Es ist unterdessen heller geworden. Man erkennt das Bühnenbild: Auf einer Höhe bei Jena. Vor freiem Himmel. Rechts ein kleines thüringisches Bauernhaus. Rings felsiger Boden, Gras in Spalten, einzelne lose Steine. Rechts im Vordergrund: eine Kiefer. Ein Weg kommt links herauf, dort ein paar Sträucher. knieend. Meere! Neu-Meere! Nie betretene Küsten! Menschen! Licht-Menschen! Nie geliebte Liebe! Stern-Sterben! Tod-Rausch! Nie geschluchztes Lied! Zu fremden Ufern biege mir die Segel, Du meines Schweigens wundersame Macht! Er erhebt sich. – Stille. – Frührot. Das Mädchen tritt aus der Tür des Hauses. Sie hat einen grauen Mantel übergeworfen. Du bist sehr früh, mein Lieb ... Warum wachtest du? Ich wachte um einen Entschluß. Liebe, mein Werden zwingt mich in einen neuen Kreis: ich habe mich lange bedacht, denn dieser Weg hat soviel Qual für mich, schwerste Qual. Ich werde in einen Beruf gehen. Es ist nicht Notwendigkeit, denn ich könnte auch von meinem Freunde borgen, – er hat sich mir ganz zur Verfügung gestellt – aber in mir ist es Notwendigkeit. Ich verstehe dich ... Was willst du tun ...? Ich weiß nicht ... Es wird von selbst ... Wir werden in die Stadt ziehen ... Es war so schön hier. So frei ... Aber tu, was dir gut ist. Alles, was du tust, ist gut. küßt ihr Haar. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ich habe auch die Nacht gewacht ... Weißt du – das Kind ... Stille. Mein Mädchen, ich ahne – Es geschah in dir – Du bist so licht – bebend am Leibe. Ich tu nach dir, du Lieber, Und bleibe Mutter und mein Kind bleibt mein. Umarmung. Die Sonne geht auf. Du hast den Weg zu dir gefunden, Liebe, Es ging die Eitelkeit, es kam die Demut. Du weißt nun viel – Wie glänzt die Sonne schön Und tausendmal in deinen Tränen... Nie noch Sah ich die Sonne herrlich so... Du weißt nun viel. Und über jedem Wissen, das wir litten, Hebt sich die Sonne strahlender nur auf, Und wir mit ihr, mit Augen und mit Herzen! 5. Akt Der fünfte Aufzug Vor einem Vorhang. – Der Dichter am linken Pfosten der Bühneneinrahmung. Hinter dem Vorhang schallt gedämpft der Lärm der Großstadtstraße. Auch dieser Morast ist durchschwommen. Was jetzt? Ich weiß nun, wie es tut, die Tage in fremden Riemen hinzutraben und sich die Glieder so umschnüren zu lassen, daß das Fleisch in Ballen zwischen den Fesseln quillt ... Äh ... Zehn Wochen lang Beruf; Zeit genug, weise zu werden, ich werde mich nicht mehr so leichtsinnig in des Malmwerks eiserne Fresse werfen ... Nein, ich tauge nicht zum Zeitungsschreiber! Vorher war es mir vermessen und schwächlich, den Tagesberuf zu fliehen, aber jetzt weiß ich, daß die Natur mir meine Tage nicht für die Tage gibt, sondern für mein Werk, das über Tagen lebt. Dies ist mein Gesetz ... Äh, es ist zum Verzweifeln, sich immer und immer auszugraben, um sich dem Leben gegenüber zu begründen. Der Spaten stößt Splitter in den Schmelz, die Heiligtümer, die er auswirft, scheinen rohe tote Klötze. Was soll werden? Ich fühle mich voller Schlamm, und vor mir liegt ein Schlammpfad endlos über schwarze Erde. So ist Armut ... Hält mich kein Stern, halten mich keine Sterne liebevoll zwischen sich? Sterne und Liebe werden Schutt auf meiner Zunge! Bis an die Zunge bin ich voll Schutt und Mörtel! ... Pfui, wie ich mich herausschwatze! Pfui, Schauspielerei! Pfui dieses Pfui! Äh, ich bin mir stinkend, alle Ekelquellen haben sich aufgetan, es schwemmt mich an die letzten Ekelwände, da beißt der Kiefer Kot bis auf den Grund. – – Den Vorhang zerreißen! ... Dem Tod sich vorwerfen ...!! Von links zieht Militärmusik heran, allmählich anwachsend. Der Ekel! Der Ekel! Das Handwerk hat mein Blut geronnen gemacht, ich eitere in den Adern, eine Kruste Geronnenes wuchert um mein Herz. Alles ward böse! Wachsendes Hurrarufen der Menge. Wo ist die Erlösung der reinen Pulse? Eine Silberquelle durch Wald und Moos – ein Lichtmorgen im Walde ... Nach außen. Was ist das? Er ist während der Rede bis zur Mitte des Vorhangs vorgeschritten, nun schlägt er ihn ein wenig zurück. Musik und Rufe sehr laut. Marschtritt der Soldaten. Man sieht zuweilen eine Uniform, eine Waffe, einen Helm durch den Spalt blitzen und dazwischen die dunkle Masse der Zuschauer auf dem jenseitigen Bürgersteig. Die Majestät ... Er steht eine Weile in schweigender Betrachtung. Schön gebietet der Marschallstab, schön tanzt das Pferd in seinen Kräften ... Er schweigt wieder, dann läßt er den Vorhang sich schließen. Der Aufzug verklingt allmählich. Szeptersehnsucht! Kronentraum! Er wendet sich halb um; dann fiebrig, den Rumpf etwas rückgeneigt und mit hastigen Händen. O höher! höher! Höher aus dir! Über dich aufwärts! O hoch zur Krone! Deine goldenen Träume und die goldenen Hoffnungen alle, schlag zusammen! schlag zusammen! Und dann hol dir eine Glut und schmilz es im Tiegel! Ja, schmilz dich im Tiegel und gieße dich neu! In eine einzige große Krone gieße dich neu; festige sie so hoch, daß sich nicht mehr Dunstwolken und Schmutznebel an ihre Zacken hängen können ... Ewige Sonne! Ewiges Szepter! und Ewiges Leben! Er geht durch den Vorhang ab. Nach kurzer Zeit teilt sich der Vorhang wieder. Man blickt in eine schmale, ärmliche Dachkammer. Ziemlich in der Mitte der Hinterwand eine Türöffnung, durch dunklen, groben, großkarierten Vorhang geschlossen. Rechts und links in dem schräg aufsteigenden Dach je eine Dachluke. Rechts: Tisch mit Papieren bedeckt. Tinte, Feder, ein leeres Wasserglas; rechts vor diesem Tisch ein Stuhl. Kein Teppich. Links von dem Vorhang tritt die Hinterwand etwas zurück, so daß die linke Seite des Zimmers breiter ist. Rechts und links in der Hinterwand je ein Fenster. Ein größerer Tisch mit Wachstuchdecke und drei Stühlen links. Links an der Seitenwand der Herd. Geschirre. Neben dem Herd vorne links die Tür. Wie sich der Vorhang öffnet, ist die Bühne ganz dunkel. Man hört hinter dem Vorhang ein Geräusch und gleich darauf fällt Licht durch die Spalten. hinter dem Vorhang. Dies ist der Fluch der Krone, die ich schmiedete. Nun schlägt sich der Vorhang zurück und der Dichter steht im Türrahmen. Er hat den blauen Schlafrock des Vaters umgeschlagen. Er hält eine Kerze in der Linken. Kurze Stille. Wie lebe ich dies? Wie lebe ich die Erleuchtung? Er hat die Kerze auf den Tisch rechts gestellt. Mit dem ewigen Fernblick. welch einen Trostkreis hellte mir dieser Blitz auf, daß ich noch leben kann!? Ja, ein Blitz fuhr nieder und zerriß mein Erdreich! O Erlebnis! Nacht und Erlebnis; Nachterlebnis! Alle Tiefen hatten sich um mich gelagert, wechselweise mir ihren Kuß aufgepreßt, aber dann schleuderte sich der Blitz aus ihnen ... er warf die Verkündung in mich ... Lichtwort ... Lichtmacht ... O Segen des Blitzes! Seligkeit der Lichtmächte! O zitterndes Glück der Nähe Gottes, ewiger Kummer seiner Nähe! Wie soll ich leben, da mich dies verdammt –! Er ist jetzt am Tisch rechts vorn und betrachtet das Manuskript. Glücklich ist die Arbeit gearbeitet, schön geplant und mit Glück gefügt, ja, in welchem Glückstaumel kreiste oft die Feder! Nun kann kein Strich mehr daran geschehen ... Er blättert im Manuskript. Ja, es ist unglücklich, es ist ohne Stille ... Pfui, wie die Dirnen keifen! und dies! und dieses! Rohe Laute, roher Lärm, roh, aber ohne Leben! ohne Stille! ohne Ewigkeit! Wie ein Nilpferd: schwerfällig, trompetend, wälzt sich hier die Handlung durch ihre trüben Gewässer ... Was ist Handlung! ... Was ist wahrhafte Handlung!? ... Sie hat keinen Ausdruck, nicht im Wort, denn sie ist schweigend, nicht in der schauspielerischen Gebärde, denn sie hat wohl Gebärde, aber unnachahmbare, nicht im Schaubild, denn sie bietet wohl ein Bild, aber es ist erfüllt von ewigen Beziehungen, von Regungen und tausend Seelen, die nicht wiederzugeben sind. Dies ist der Fluch! ... Stille. Wie würde sich solche Handlung denken lassen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ein Mädchen – – irgendwo im Wald rasten ein Mädchen und Jüngling. Irgendwie kamen sie sich auf der Wanderschaft entgegen. Nun ist es Nacht; es fällt ein Stern ... und das Mädchen – nein, so nicht – es taumelt irgendwo ein Blatt vom Baum, das Mädchen blickt auf und indem sie aufblickt, trifft ihr Blick einen fallenden Stern am Himmel, glänzend fällt er. Und dieser Stern setzt sie so in Verwirrung, Erstaunen, Entzücken, ihre inneren Wesen recken sich unter ihm auf, sie tut einen leisen Schrei. Da hebt der Jüngling den Kopf und sieht sie an. In ihren Augen zittert jetzt all ihr Innentum, alles, was durch den Stern wachend wurde, und dieses zitternde Zeichen ihrer Mädchentiefen fährt in den Jüngling als Strahl und Verhängnis ... Er wird diesen Blick nicht vergessen, der hat sich mit allen Tiefen in des Jünglings Tiefen gesenkt, dort ist er fürs Leben mit ihm verschwistert ... Des Jünglings Leben steht nun unter diesem Blick und unter dieser Liebe, und so ward sein Schicksal. Aber wäre das Blatt nicht gefallen, hätte das Mädchen nicht emporgeblickt, wäre der Stern nicht gerade bei ihrem Aufschauen gestürzt, so wäre nichts geschehen. Nach kurzer Zeit wären sie auseinander gegangen und es wäre nichts geschehen. Wer kann es darstellen? Wer kann es darstellen, wie dieser Licht-Schwung einer trümmernden Welt durch Räume und Räume eilt und irgendwo eine Liebe stiftet und Seelen heilt ... Wer kann es in Gebärde ausdrücken, wie ihre Mädchenseelen sich ins Auge drängen, wie dieser Blick sich ewig verankert in den Tiefen des Jünglings ... Was geht da vor ... ich sage verankern ... Mädchentiefen ... Hohle Symbole ... das Eine, was vorgeht, ich fühle es in mir, brennend, das Unaussprechbare – Mit einer zerbrechenden Geste. es ist unaussprechbar. Keine Kunst kann es wirklich werden lassen ... Was soll werden! ... Der Fluch! der Fluch! Wie kann ich noch einen Vers niederschreiben, Gestalten setzen, Worte meißeln bei dieser Gewißheit, bei dieser Offenbarung ...! Ja, es war der Blitz aus der Hand Gottes, denn nur Gott kann so unglücklich machen!!! Sich windend. Der Fluch ... Die Verdammung ... denn ich weiß – ach, ich weiß es so gewiß – diese Offenbarung wird mich nie verlassen, der Hunger nach aller Ewigkeit wird mich nie verlassen ... und doch werde ich die Feder greifen und doch Worte dichten. Ich weiß es ... ich fühle es, diese Macht läßt mich nicht, dieser Zwang zu den Symbolen ... Warum ... warum ... Warum kann ich mich nicht lossagen von jeder Kunst, von dem, was sich Kunst nennt ... Warum nicht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hin zu einer Quelle im Wald, einsam mit dem Mädchen, des Morgens zur Sonne blicken, des Abends zur Sonne blicken, die silbernen Wasser mit Händen schöpfen, des Mittags im kühlen Silber baden und die weißen, reinen Mädchenbrüste küssen, keusch wie die Quelle küssen, und die Füße auf moosigen Steinen ... Und Tag um Tag so, alle Tage so, Silber und Sonne und Mädchen und Ewigkeit ... Ja, das wäre das Leben ... Niederbrechend. O Glückseligkeit ... Nur das wäre das Leben, strahlend rein – und nur so wäre es heilig ... nichts anderes darf heilig genannt werden, keine Kunst darf heilig genannt werden, weil sie noch reden will ... O Träne! Träne! ... Glückseligkeit! ... Das ewige Leben !!! Und es nicht leben können! Ich weiß ja, ich kann es nicht leben – oh Fluch! oh Fluch! zum Wort verdammt sein! Ja, ich bin zum Wort verdammt! Ich muß Bildner werden der Symbole, muß dem Priestertum entsagen ... Künstler ... Halbheiliger nur ... Schein-Heiliger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Laß sinnen ... sinnen ... Symbole ... Jäh empor, mit Händen aufwärts. Oh Trost des Blitzes ... Erleuchtung ... Schmerztrost des Blitzes ... Symbole der Ewigkeit ... Ende! Ende! Ziel und Ende! Wenn mich das Blut, die Summe der Unwirklichkeit, des Lärms, des Lärmen-Wollens in mir ... in meinem Blut, wenn dieses verdammt, in Symbolen zu reden, so gilt es: Durch Symbole der Ewigkeit zu reden. Erschöpft. So wäre dies dann ein Ziel ... Ein Wesen der Sendung – schmerzlich – schmerzlich, denn die Sendung bleibt – zwar schafft sie näher – aber die Sendung bleibt. Eine Stille. im Traum. Nun muß ich nieder in den Tiegel steigen, Die siedenden Erze mit den Händen greifen ... Und läutern ... läutern ... Nun muß ich den Kreis Schlagen um diese Zeit und ihren Zirkel Malen in Weltnacht und als neuen Stern. Während des Vorgangs ist der Morgen durch die Fenster gedämmert. Es klopft an der Tür links. Der Dichter fährt aus sich auf, geht dann zur Tür, dreht den Schlüssel im Schloß und öffnet sie. herein. Er ist gekleidet wie im ersten Aufzug. Guten Morgen – Guten Morgen, Lieber. Es ist schön, daß du trotz deines kurzen Aufenthaltes hier in Berlin mir noch eine Stunde gönnst. Ja, ich habe etwas mit dir zu bereden. Dies Zusammensein erinnert mich an unser letztes in Berlin, weißt du, an den Abend ... Dieser Abend wird mir immer unlieb bleiben, denn du hast dir damals zu viel vernichtet ... Ich glaube noch immer, daß ich damals recht tat ... Aber wir wollen nicht mehr davon reden. Eine Stille. Du wohnst recht ärmlich hier. Es muß sich wohnen lassen. – Ich will nur das Nötigste borgen. Du borgst von deinem Freund ...? Ja. Wird das nicht mit der Zeit recht drückend für dich? Die Hand, die mir reicht, wird glücklich sein. – Vielleicht versuche ich auch noch einmal einen Beruf, was die Sendung fordert, leide ich alles. Ich weiß nicht ... Aber was wolltest du mit mir besprechen? Ja ... Ich habe dein letztes Stück gelesen, in dem du Stellung nimmst zu den verschiedenen dramatischen Dichtern dieser Zeit, und ich muß dich bitten, gewisse Dinge zu streichen, die sich gegen meinen Freund, den Dichter, richten. Ich zürne dir nicht deswegen, jeder Künstler muß schließlich seine eigenen Wege gehen, Ablehnung ist ja so natürlich. Um meinetwillen brauchst du auch nichts zu ändern. Laß aber das Stück einmal aufgeführt werden oder überhaupt veröffentlicht, so ist es doch wahrscheinlich, daß diese absprechenden Stellen der Anerkanntheit meines Freundes Abbruch tun. Und das möchte ich verhindern. Ich verstehe dich ganz und verstehe auch deine Bitte. Wirst du sie mir tun? Für mich ist dies Zwang und Scham, Verleugnung und Unreinheit. Lieber möchte ich noch von einer Veröffentlichung dieses Dramas ein für allemal absehen. Du willst das ganze Drama deshalb beiseite legen ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nein, ich kann auch keine meiner Dichtungen auslöschen, denn zu jeder Läuterung, die mir ward, und jeder Höhe, die mir noch wird, sind sie Vorbereitung und als solche mir wert. Aber bedenke doch, wozu du mich zwingst, wenn du mir abschlägst! Wozu zwinge ich dich? Wir müßten uns trennen. Hieltest du dies für not? Um meinen Freund wäre es not. Du weißt, daß er und ich seit frühster Zeit gemeinsam sind und daß wir unser Leben gemeinsam erlebt haben. Wenn er durch dich im Öffentlichen angegriffen würde, darf ich nicht mehr dein Freund sein. Bedenke das doch! Eine Stille. Ich sehe das Ziel! ... Eine Stille. Welch ein Ziel? Gibt es noch einen Ausweg? Nur den über die Unreinheit. – Du forderst von mir ein Opfer. Gewiß, es muß mir Freude sein, dir zu opfern. Aber dieses kann nicht Frucht bringen. Wir würden Freunde bleiben. Das würden wir nicht. Meinst du, meine Verleugnung bliebe an deinem Bilde in mir ohne Wirkung? So wie du bist, magst du recht haben. Lieber, laß uns beide rein bleiben und Freunde. – Wir müssen uns für ein Leben trennen, aber wir bewahren einander in uns nach wie vor. Will es viel besagen, daß wir nicht mehr Worte miteinander wechseln? Wir haben genug gesprochen, um uns die Tiefe hinter unseren Worten zu schenken, wir sind für das Leben nicht mehr zu trennen. Würde ich deine Bitte tun, so würden unsere Tiefen einander unzugänglich, weil der eine der seinen die Maske aufgesetzt hätte. Laß uns Freunde bleiben und auseinander gehen. Eine große Stille. Ich danke dir ... Ich bewahre dich. Lebe wohl! Lebe wohl! Sie reichen sich die Hände. Der ältere Freund geht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . schlägt den Vorhang zur Seite und kommt nach vorn. Hörtest du, was wir sprachen? Ich hörte alles. Es war schön, wie ihr spracht. bei ihr, blickt in ihre Augen. Weinst du, Liebe ...? Ich hatte ihn auch lieb ... Wir lieben uns immer ... Nun bist du sehr allein. Eine Stille. mit Geste zum Vorhang. Schläft das Kindchen? Ja, fest und gut. Eine Stille. Was fragst du? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wie künde ich – Wie bette ich dies in Worte ...?! Eine Stille. ganz in sich. Es schwemmte mich die große Woge an den Rand Der Ewigkeit, ich sah die fernsten Himmel – Ich sah die Schatten unsrer Worte fern verdämmern. Alles wird ewig. Krone bog sich. Licht reiht Licht. Ich schaue viele Stufen noch vor mir im Licht Und viele Reinheiten, die ich noch nicht durchwandelte ... Mein Mädchen, hilf mir in die nächste Reinheit wandeln. – Durch meine Wolken viele zuckte oft ein Wunsch Wie Sonne, glitt durch Wolken und verklang; Aus meinen Taumeln vielen reckte er sich auf, Blickte mich an aus Augen gütig und versank ... Doch bei der letzten Läuterung entstieg er dem Feuer, Eine Krone golden, und blieb über mir. Der Wunsch ...!? Alles ward ewig. Licht reiht Licht! Krone auch uns! – Ich ahne viele Liebe noch vor mir im Licht Und viele tiefe Lust, die ich noch nicht durchkostete.. Zwar alle Wandel, die noch unser Leben trägt, Können nicht wandeln einen ewigen Bestand Von mir zu dir ... Doch kann er leicht entatmen in Winde, in Nacht, in All; unfaßbar werden! Laß festigen! Laß bauen uns! Laß festigen! Art senke sich in Art. Treue in Treue. Blut sich in Blut. Banne die Ewigkeit Zu Leib und Mensch ... – – Ein Kind ... Ein Kind von dir – O Selig – Seligkeit! O Lieber – selig – Sieh, ich träumte ja davon In jeder Nacht – es war das heimliche Heiligtum ... Du weißt nicht – selig... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ... wir sind arm! ... Was wird? Ich will mit dir nur in die nächste Reinheit schreiten: Ruhlos hebt dieser Wunsch den Pilgerstab Zu meiner Säule innerst, die ich mächtig ahne. – – Wenn es denn Wahrheit wird, laß mich ein Wort Aus meiner tiefsten Seele sagen, wahr –: Ich will dann dieses Kindes Mutter nicht mehr sein! Sie weist nach dem Vorhang. Nie! Niemals! Höre mich! Verstehe doch! Dies Kind empfing ich aus Gewalt, ich liebte es, Weil ich mit Wehe es im Leibe trug. Doch dein Kind liebe ich schon Ewigkeiten lang, Im Kindertraum schon und im Nachtgebet. – – – Du sprachst vom Opfer viel. Dies hier ist Not.– Ich segne es und schneide mir mein Leben Aus meinem Blut und tu es mütterlich ... Für's Muttertum ... indem er langsam die Augen schließt. Ich küsse dich und liebe dich im Opfer Und schreite lichtwärts in den nächsten Kreis – O reiche deine Hand – Mädchen, mich dünkt, Ein herbes Pfand will diese Pilgerschaft: Die Augen löschen – – – doch die Leuchte steigt!